Seite drucken
Entscheidung als PDF runterladen
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand:
2Die Klägerin verlangt von der Beklagten aus Kartell- und Wettbewerbsrecht, das Angebot von Röstkaffee unter den Herstellungskosten zu unterlassen.
3Die Klägerin gehört zur M.-Unternehmensgruppe. Sie bietet eine Vielzahl von Waren und Dienstleistungen an, u.a. Kaffeeprodukte, aber auch verschiedene Food- und Non-Food Produkte wie beispielsweise Schokolade, Tee, Kleidung, Küchen- und Badezimmergeräte. Hierzu unterhält die Klägerin zum einen eigene Filialen und einen Online-Shop, zum anderen vertreibt sie ihre Produkte als Kommissionsware in den Ladenlokalen vieler sog. Depotpartner im Lebensmitteleinzelhandel, bei Bäckereien und Drogeriemärkten. Die M.-Unternehmensgruppe erzielte im Jahr 2022 einen weltweiten Umsatz in Höhe von 3,25 Mrd. EUR. Dachgesellschaft der Klägerin ist die W. Zu dieser gehört als weiteres operativ tätiges Unternehmen die O. AG.
4Die Beklagten gehören zur Unternehmensgruppe V., einer der großen Anbieter im Lebensmitteleinzelhandel in Deutschland. Die Unternehmensgruppe erzielte im Jahr 2022 in Deutschland einen Umsatz von 17,9 Mrd. EUR.
5In den V.-Märkten werden Kaffeeprodukte unter Eigenmarken vertrieben. Im Laufe des Jahres 2023 nahmen die Beklagten ein „Re-Branding“ vor und ersetzten die bisherigen Eigenmarken für Kaffeeprodukte „G.“ und „X.“ durch die Marke „Z.“. Die Produkte dieser Marke werden von F. GmbH & Co. oHG (im Folgenden: J.), die zur Unternehmensgruppe V. gehört, hergestellt. Das Standard-Sortiment in den V.-Märkten besteht aus sechs Sorten Mahlkaffee, sieben Sorten ganzer Bohnen, sechs Sorten Kaffeepads und sechs Sorten Kaffeekapseln.
6In der Woche ab dem 11.12.2023 boten die Beklagten einige dieser Kaffeeprodukte wie folgt an:
7 „Z. Espresso Bio Fairtrade 1kg“ für 5,89 EUR
8 „Z. Caffè Crema & Aroma 1kg“ für 4,69 EUR
9 „Z. Caffè Gustoso“ für 3,69 EUR
10In der Woche ab dem 18.12.2023 boten die Beklagten einige dieser Kaffeeprodukte wie folgt an:
11 „Z. Bio Fairtrade Mahlkaffee 500g“ für 3,19 EUR
12 „Z. Unser Bester 500g“ für 2,49 EUR
13 „Z. Gold 500g“ für 2,39 EUR
14 „Z. Fein & Mild 500g“ für 2,39 EUR
15In der Woche ab dem 12.02.2024 boten die Beklagten einige dieser Kaffeeprodukte wie folgt an:
16 „Z. Bio Fairtrade Mahlkaffee 500g“ für 3,99 EUR
17 „Z. Espresso Bio-Fairtrade 1kg“ für 8,19 EUR
18 „Z. Caffè Crema Bio-Fairtrade 1kg“ für 8,19 EUR
19 „Z. Gold 500g“ für 3,19 EUR
20 „Z. Fein & Mild 500g“ für 3,19 EUR
21Die in den drei Aktionswochen aufgerufenen Preise lagen jeweils unter den tatsächlichen Herstellungskosten F.. Außerhalb dieser Aktionswochen boten die Beklagten diese Produkte zu Preisen an, welche die Herstellungskosten übersteigen.
22Die Klägerin ermittelte den Umfang der Unterschreitung der Herstellungskosten, wobei wegen der Einzelheiten auf die entsprechenden Ausführungen in Rz. 31 ff. der Klageschrift (Bl. 19 ff. GA) Bezug genommen wird. Dabei setzte sie zunächst einen sog. Einbrand – Gewichtsverlust, der bei der Röstung des Rohkaffees entsteht – in Höhe von jeweils 15 % an. Nachdem die Beklagten den tatsächlichen Einbrand bei den betroffenen Produkten beziffert hatten, wobei wegen der Einzelheiten auf die Ausführungen im Schriftsatz vom 10.07.2024 (Bl. 101 GA) Bezug genommen wird, legte die Klägerin eine Berechnung unter Berücksichtigung dieser Werte vor. Die Klägerin berechnet die Unterschreitung der Herstellungskosten jeweils alternativ unter Zugrundelegung eines Einkaufs des Rohkaffees zum durchschnittlichen Kurs der letzten drei Monate sowie zum bestmöglichen Kurs der letzten zwölf Monate. Bei Bio-Fairtrade-Produkten berechnet sie die Unterschreitung der Herstellungskosten jeweils alternativ unter Zugrundelegung eines Einkaufs des Rohkaffees vor dem 31. Juli 2023 sowie danach. Die sich jeweils ergebenden, beiden Werte werden im Folgenden als Spanne dargestellt. Nach der Berechnung der Klägerin wurden die Herstellungskosten in folgendem Umfang unterschritten:
23Woche |
Produkt |
Verkaufspreis |
Verlust |
11.12.2023 |
Z. Bio-Fairtrade Espresso 1kg |
5,89 EUR |
2,34 – 3,53 EUR |
11.12.2023 |
Z. Caffè Crema & Aroma 1kg |
4,69 EUR |
1,50 – 2,02 EUR |
11.12.2023 |
Z. Caffè Gustoso |
3,69 EUR |
2,01 – 2,64 EUR |
18.12.2023 |
Z. Bio Fairtrade Mahlkaffee 500g |
3,19 EUR |
0,94 – 1,54 EUR |
18.12.2023 |
Z. Unser Bester 500g |
2,49 EUR |
0,91 – 1,13 EUR |
18.12.2023 |
Z. Gold 500g |
2,39 EUR |
0,87 – 1,10 EUR |
18.12.2023 |
Z. Fein & Mild 500g |
2,39 EUR |
0,98 – 1,20 EUR |
12.02.2024 |
Z. Bio Fairtrade Mahlkaffee 500g |
3,99 EUR |
0,19 – 0,79 EUR |
12.02.2024 |
Z. Espresso Bio-Fairtrade 1kg |
8,19 EUR |
0,19 – 1,39 EUR |
12.02.2024 |
Z. Caffè Crema Bio-Fairtrade 1kg |
8,19 EUR |
0,19 – 1,39 EUR |
12.02.2024 |
Z. Gold 500g |
3,19 EUR |
0,18 – 0,61 EUR |
12.02.2024 |
Z. Fein & Mild 500g |
3,19 EUR |
0,28 – 0,72 EUR |
In der Folge boten die Beklagten in weiteren Wochen jeweils zwei bis vier Kaffeeprodukte zu Preisen an, die unter den tatsächlichen Herstellungskosten F. lagen. Wegen der Einzelheiten wird auf die jeweiligen Ausführungen der Klägerin wie folgt Bezug genommen:
25 Wochen ab dem 25.03.2024, 03.06.2024 und 29.07.2024 (Rz. 15 ff. des Schriftsatzes vom 27.09.2024, Bl. 156 ff. GA)
26 Woche ab dem 04.11.2024 (S. 4 ff. des Schriftsatzes vom 21.11.2024, Bl. 199 ff. GA)
27 Woche ab dem 16.12.2024 (S. 3 ff. des Schriftsatzes vom 12.12.2024, Bl. 240 ff. GA)
28 Woche ab dem 23.12.2024 (S. 1 ff. des Schriftsatzes vom 17.12.2024, Bl. 249 ff. GA)
29Ergänzend wird auf die von der Klägerin als Anlage K 59 überreichte Übersicht aller Angebotswochen und Berechnungen Bezug genommen.
30Die Klägerin ist der Auffassung, die Beklagten nutze durch dieses Verhalten gemäß § 20 Abs. 3 S. 1 GWB ihre überlegene Marktmacht gegenüber der Klägerin aus, um diese als Wettbewerberin unbillig zu behindern. Zwar liege kein Fall von § 20 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 GWB vor, wonach eine unbillige Behinderung insbesondere vorliegt, wenn ein Unternehmen Lebensmittel unter Einstandspreis verkauft. Denn aufgrund der konzerneigenen Herstellung der Produkte fehle es hier an einem Einstandspreis im Sinne der Vorschrift. In einem solchen Fall komme aber die Anwendung der Generalklausel des § 20 Abs. 3 S. 1 GWB in Betracht, bei deren Auslegung das Regelbeispiel des § 20 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 GWB zu berücksichtigen sei. Die Wirkung des Verkaufs von Lebensmitteln unter Herstellungskosten sei genauso zu beurteilen wie diejenige des Verkaufs unter Einstandspreis.
31Die Klägerin ist weiter der Auffassung, das Verhalten der Beklagten stelle eine gemäß § 3 Abs. 1 UWG unzulässige, allgemeine Marktbehinderung dar.
32Die Klägerin beantragt,
33die Beklagten zu verurteilen,
34es bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,- und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft oder einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens EUR 250.000,-, Ordnungshaft insgesamt höchstens 2 Jahre)
35zu unterlassen, in der Bundesrepublik Deutschland
36Röstkaffee unter den Herstellungskosten anzubieten und/oder anbieten zu lassen, wie nachfolgend abgebildet geschehen,
371. in der Woche ab dem 11. Dezember 2023
38- den „Z. Espresso Bio Fairtrade 1kg“ für 5,89 EUR:
39„Bilddarstellung wurde entfernt“
40- den „Z. Caffè Crema & Aroma 1kg“ für 4,69 EUR:
41„Bilddarstellung wurde entfernt“
42- den „Z. Caffè Gustoso“ für 3,69 EUR:
43„Bilddarstellung wurde entfernt“
44„Bilddarstellung wurde entfernt“
452. in der Woche ab dem 18. Dezember 2023
46- den „Z. Bio Fairtrade Mahlkaffee 500g“ für 3,19 EUR,
47- den „Z. Unser Bester 500g“ für 2,49 EUR,
48- den „Z. Gold 500g“ für 2,39 EUR,
49- und „Z. Fein & Mild 500g“ für 2,39 EUR:
50„Bilddarstellung wurde entfernt“
513. in der Woche ab dem 12. Februar 2024
52- den „Z. Bio Fairtrade Mahlkaffee 500g“ für 3,99 EUR,
53- den „Z. Espresso Bio-Fairtrade 1kg“ für 8,19 EUR,
54- den “Z. Caffè Crema Bio-Fairtrade 1kg für 8,19 EUR,
55- den „Z. Gold 500g“ für 3,19 EUR,
56- und „Z. Fein & Mild 500g“ für 3,19 EUR:
57„Bilddarstellung wurde entfernt“
58Die Beklagten beantragen,
59die Klage abzuweisen.
60Die Beklagten wenden gegen die Berechnung der Höhe der Unterschreitung der Herstellungspreise durch die Klägerin ein, dass die von der Klägerin zugrunde gelegten Preise für Rohkaffee an der Kaffeebörse noch durch ein sog. Differential – Zu- und Abschläge auf den Basispreis – beeinflusst würden und die J. im relevanten Zeitraum „auch teilweise mit negativem Differential eingekauft“ habe. Zudem verfüge die J. über eine Deckung von Rohkaffee für etwa sechs Monate.
61Die Beklagten sind der Auffassung, die Voraussetzungen des § 20 Abs. 3 S. 1 GWB lägen nicht vor. Die Klägerin sei schon kein kleines oder mittleres Unternehmen. Zudem fehle es an einer überlegenen Marktmacht der Beklagten gegenüber der Klägerin, da insofern nur der Markt für Kaffeeprodukte maßgeblich sein könne. Jedenfalls setze die Generalklausel des § 20 Abs. 3 S. 1 GWB eine Verdrängungsabsicht bzw. eine nachhaltige Beeinträchtigung der Wettbewerbs-verhältnisse voraus, woran es hier fehle.
62Die Beklagten sind weiter der Auffassung, die Fallgruppe der allgemeinen Marktbehinderung sei bereits nicht als Fall der Generalklausel des § 3 Abs. 1 UWG anzuerkennen. Jedenfalls lägen auch die Voraussetzungen dieser Fallgruppe hier nicht vor.
63Entscheidungsgründe:
64Die zulässige Klage ist unbegründet.
65Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch steht der Klägerin weder aus § 33 Abs. 1 GWB i.V.m. § 20 Abs. 3 S. 1 GWB, noch aus § 8 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 Nr. 1 UWG i.V.m. § 3 Abs. 1 UWG zu. Andere Anspruchsgrundlagen kommen nicht in Betracht.
66I.
67Der Klägerin steht gegen die Beklagten kein Unterlassungsanspruch aus § 33 Abs. 1 GWB i.V.m. § 20 Abs. 3 S. 1 GWB zu.
68Gemäß § 33 Abs. 1 GWB ist u.a. bei Verstoß gegen eine Vorschrift des Teils 1 des GWB der Rechtsverletzer gegenüber dem Betroffenen zur Beseitigung der Beeinträchtigung und bei Wiederholungsgefahr zur Unterlassung verpflichtet. Gemäß § 20 Abs. 3 S. 1 GWB dürfen Unternehmen mit gegenüber kleinen und mittleren Wettbewerbern überlegener Marktmacht ihre Marktmacht nicht dazu ausnutzen, solche Wettbewerber unmittelbar oder mittelbar unbillig zu behindern. Eine unbillige Behinderung im Sinne dieser Vorschrift liegt gemäß § 20 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 GWB insbesondere vor, wenn ein Unternehmen Lebensmittel unter Einstandspreis anbietet, es sei denn, dies ist jeweils sachlich gerechtfertigt. Das Anbieten von Lebensmitteln unter Einstandspreis ist gemäß § 20 Abs. 3 S. 2 Nr. 4 GWB sachlich gerechtfertigt, wenn es geeignet ist, den Verderb oder die drohende Unverkäuflichkeit der Waren beim Händler durch rechtzeitigen Verkauf zu verhindern sowie in vergleichbar schwerwiegenden Fällen.
69Vorliegend kann dahinstehen, ob Klägerin gegenüber den Beklagten eine „kleine oder mittlere Wettbewerberin“ ist und das Verbot des § 20 Abs. 3 S. 1 GWB überhaupt anwendbar ist (dazu 1.). Jedenfalls liegt keine unbillige Behinderung der Klägerin durch die Beklagten vor (dazu 2.).
701.
71Es kann letztlich offenbleiben, ob die Beklagten über eine überlegene Marktmacht gegenüber der Klägerin als „kleine oder mittlere Wettbewerberin“ verfügt.
72a)
73Allerdings kann die Klägerin entgegen der Auffassung der Beklagten nicht bereits deshalb aus dem Schutzbereich des § 20 Abs. 3 S. 1 GWB ausgeschlossen werden, weil sie schon wegen ihrer absoluten Größe kein „kleiner oder mittlerer Wettbewerber“ sein könne.
74Für die Abgrenzung, welche Wettbewerber auf dem relevanten Markt als kleine und mittlere Unternehmen anzusehen sind, kommt es allein auf das (horizontale) Verhältnis der Unternehmensgrößen der in Betracht stehenden Unternehmen an; die generelle Festlegung einer absoluten Obergrenze ist nicht möglich (Markert, in: Immenga/Mestmäcker, 7. Aufl. 2024, § 20 GWB Rn. 207; Nothdurft, in: Langen/Bunte, 14. Aufl. 2022, § 20 GWB Rn. 140 f.). Das entspricht auch der Auffassung des BGH, der gegen die Einstufung als kleines oder mittleres Unternehmen nach absoluten Zahlen anführt, dass die Verhältnisse auf dem jeweils maßgeblichen Markt nicht ausgeblendet werden dürfen (BGH NJW 2003, 205, 206 – Konditionenanpassung). Deshalb sei eine unter funktionalen Gesichtspunkten vorzunehmende Prüfung erforderlich, die von den Besonderheiten des jeweils relevanten Marktes ausgeht.
75b)
76Die Prüfung hat von dem Markt für Kaffeeprodukte auszugehen.
77Die Feststellung einer überlegenen Marktmacht gegenüber kleinen und mittleren Wettbewerbern lässt sich nur für die Tätigkeit von Unternehmen auf einzelnen, in sachlicher, räumlicher und zeitlicher Hinsicht abgegrenzten Märkten bestimmen (Markert, in: Immenga/Mestmäcker, 7. Aufl. 2024, § 20 GWB Rn. 204; Nothdurft, in: Langen/Bunte, 14. Aufl. 2022, § 20 GWB Rn. 133).
78Der sachliche Markt, auf dem die Klägerin und die Beklagten jeweils tätig sind und der hier betroffen ist, ist der Markt für Kaffeeprodukte. Dieser ist insbesondere von dem Sortimentsmarkt „Lebensmitteleinzelhandel“ abzugrenzen, bei dem es um die Nachfrage an einem Produktbündel geht. Auf diesem Markt ist die Klägerin aber gerade nicht tätig. Auch durch die Präsenz auf diesem Markt durch ihr Depot-Geschäft u.a. bei Lebensmitteleinzelhändlern wird sie gerade nicht selbst zur Anbieterin des Sortiments dieser Händler. Es kommt daher auf die Verhältnisse des Markts für Kaffeeprodukte und insofern insbesondere darauf an, welche Marktmacht ein großer Lebensmitteleinzelhändler wie V. auf dem Markt für dieses Produktsegment entfalten kann.
79c)
80Der Vortrag der Parteien ist hier nicht ausreichend, um eine etwaige Überlegenheit der Beklagten gegenüber der Klägerin auf dem Markt für Kaffeeprodukte feststellen zu können. Die Parteien haben nur zum Gesamtumsatz der jeweiligen Unter-nehmensgruppen vorgetragen, ohne im Einzelnen auf die Umsätze, Marktanteile und die spezifischen Verhältnisse des Marktes für Kaffeeprodukte einzugehen.
81Festgehalten werden soll dennoch Folgendes: Trotz des erforderlichen Einzelmarkt-bezuges kommt es in Betracht, die Ressourcenvorteile der Beklagten unter dem Gesichtspunkt zu würdigen, dass sie diesen langfristig wirksame, erweiterte Verhaltensspielräume – auch auf dem Markt für Kaffeeprodukte – vermitteln könnten (vgl. dazu Nothdurft, in: Langen/Bunte, 14. Aufl. 2022, § 20 GWB Rn. 135). Die finanziellen Ressourcen und das breite Sortiment der Beklagten könnten es diesen ermöglichen, auf die Marktverhältnisse im Markt für Kaffeeprodukte in einer stärkeren Weise einzuwirken, als es ihr Marktanteil auf diesem Markt grundsätzlich zuließe. Auch der BGH hat bei der Prüfung überlegener Marktmacht darauf abgestellt, dass die überragenden finanziellen Ressourcen eines in einen großen internationalen Handelskonzern eingebundenen Unternehmens dieses in die Lage versetzt, eine Verlustpreisstrategie für einzelne Produkte über einen längeren Zeitraum durchzustehen (vgl. BGH NJW 2003, 1736, 1737 – Wal-Mart). Das könnte allerdings ausgeschlossen sein, wenn die Klägerin über den langfristig gesicherten höheren Marktanteil verfügt (vgl. dazu erneut Nothdurft, in: Langen/Bunte, 14. Aufl. 2022, § 20 GWB Rn. 135 m.w.N.). Außerdem könnten die Verhaltensspielräume der Beklagten dadurch begrenzt sein, dass auch die Klägerin, nicht zuletzt durch ihre Einbindung in den D.-Konzern, über ganz erhebliche finanzielle Ressourcen verfügt. Letztlich kann all dies aber dahinstehen.
822.
83Es liegt jedenfalls keine unbillige Behinderung der Klägerin durch die Beklagten vor.
84Die Parteien gehen zu Recht übereinstimmend davon aus, dass die Voraussetzungen des Regelbeispiels des § 20 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 GWB hier nicht vorliegen (dazu a)). Die Voraussetzungen der Generalklausel des § 20 Abs. 3 S. 1 GWB liegen hier mangels Verdrängungsabsicht bzw. Gefahr einer nachhaltigen Beeinträchtigung der strukturellen Voraussetzungen für einen wirksamen Wettbewerb ebenfalls nicht vor (dazu b)). Schließlich sind die Voraussetzungen der Generalklausel für die Fallgruppe des Anbietens von Lebensmitteln unter Herstellungskosten auch nicht aufgrund der Wertungen des Regelbeispiels zu modifizieren (dazu c)).
85a)
86Das Regelbeispiel des § 20 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 GWB greift hier mangels Vorliegen eines „Einstandspreises“ nicht.
87Durch den Begriff des „Einstandspreises“, der in § 20 Abs. 3 S. 3 GWB legaldefiniert wird, ist das strenge Verbot des § 20 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 GWB praktisch auf den Handel mit fremdbezogenen Waren und Dienstleistungen begrenzt und gilt nicht für selbst hergestellte Waren oder erbrachte Dienstleistungen (vgl. Bosch, in: Bechtold/Bosch, 11. Aufl. 2025, § 20 GWB Rn. 34 f.; Markert, in: Immenga/ Mestmäcker, 7. Aufl. 2024, § 20 GWB Rn. 219). Das gilt auch für vertikal integrierte Unternehmen, bei denen zwar ein Preis an ein konzernzugehöriges Unternehmen zu zahlen ist, sich aber ein „Einstandspreis“ nicht anhand objektiver Kriterien ermitteln lässt (vgl. Westermann, in MüKo Wettbewerbsrecht, 4. Aufl. 2022, § 20 GWB Rn. 96). Danach fehlt es auch bei dem hier vorliegenden Bezug der Kaffeeprodukte der Beklagten von der konzernzugehörigen J. an einem „Einstandspreis“.
88b)
89Die Voraussetzungen der Generalklausel des § 20 Abs. 3 S. 1 GWB liegen nicht vor.
90aa)
91Zur Beurteilung, ob die Ausnutzung einer überlegenen Marktmacht kleinere oder mittlere Wettbewerber unbillig behindert, ist eine Interessenabwägung unter Berück-sichtigung der auf die Freiheit des Wettbewerbs gerichteten Zielsetzung des Gesetzes vorzunehmen (BGH NJW 1995, 2293, 2294 – Hitlisten-Platten; auch zum Folgenden). Wettbewerbsmaßnahmen von Unternehmen mit überlegener Markt-macht sind nicht schon deshalb als unbillige Behinderung kleiner oder mittlerer Wettbewerber anzusehen, weil sie dazu beitragen können, die Lage von kleinen oder mittleren Unternehmen im Wettbewerb zu verändern oder einzelne Wettbewerber oder Gruppen von Wettbewerbern zu verdrängen; denn dem wirksamen Wettbewerb ist eine solche Wirkung eigen. Eine unbillige Behinderung liegt danach nur vor, wenn in Verdrängungsabsicht gehandelt wird oder kleine oder mittlere Wettbewerber in ihren wettbewerblichen Betätigungsmöglichkeiten derart behindert werden, dass daraus die Gefahr einer nachhaltigen Beeinträchtigung der strukturellen Voraussetzungen für einen wirksamen Wettbewerb – einschließlich des Wettbewerbs durch kleine oder mittlere Unternehmen – erwächst.
92Bei der Beurteilung von Unter-Kosten-Verkäufen anhand des § 20 Abs. 3 GWB ist davon auszugehen, dass es dem Unternehmer grundsätzlich freisteht, seine Preisgestaltung in eigener Verantwortung vorzunehmen (BGH NJW 1995, 2293, 2294 – Hitlisten-Platten; auch zum Folgenden). Dementsprechend sind auch Unter-Kosten-Verkäufe und die Werbung für diese grundsätzlich zulässig. Der Kaufmann muss nicht auf einen Stückgewinn ausgehen. Es ist vielmehr jedenfalls in Handelsbetrieben mit breitem Sortiment zulässig, auf die Werbewirkung eines Unter-Kosten-Angebots zu setzen, um mit dem Absatz des gesamten Angebots ein möglichst günstiges Betriebsergebnis zu erzielen. Die Gefahr einer nachhaltigen Beeinträchtigung der strukturellen Voraussetzungen für einen wirksamen Wettbewerb kann nicht schon dann angenommen werden, wenn Unter-Kosten-Angebote nicht nur gelegentlich, sondern systematisch im Wettbewerb eingesetzt werden. Dies gilt schon deshalb, weil mit der Feststellung eines systematischen Vorgehens noch nichts über den Umfang und die Marktbedeutung der Maßnahmen ausgesagt ist.
93bb)
94Nach diesen Maßstäben ist hier weder eine Verdrängungsabsicht der Beklagten, noch eine Gefahr einer nachhaltigen Beeinträchtigung der strukturellen Voraussetzungen für einen wirksamen Wettbewerb auf dem Markt für Kaffeeprodukte festzustellen.
95(1)
96Im Ausgangspunkt ist festzuhalten, dass nach den zutreffenden Ausführungen des BGH grundsätzlich nichts gegen das im Lebensmitteleinzelhandel verbreitet vorzu-findende und auch hier von den Beklagten eingesetzte Konzept einer Mischkalku-lation einzuwenden ist. Bei diesem Ansatz zielt der Kaufmann nicht darauf ab, mit jedem einzelnen Produkt seines Sortiments einen größtmöglichen Gewinn zu erzielen. Vielmehr setzt er die Werbewirkung von verlustbringenden Angebotspreisen für einzelne Produkte ein, um die Kunden dazu zu veranlassen, den Einkauf eines größeren Warenbündels bei ihm vorzunehmen. Da die Verbraucher ein „One-stop-shopping“ bevorzugen, ist es nachvollziehbar, dass ein solches Konzept dem Lebensmitteleinzelhändler ein besseres Betriebsergebnis verspricht und deshalb betriebswirtschaftlich vernünftig ist (vgl. dazu auch Monopolkommission, Sondergutachten „Preiskontrollen in Energiewirtschaft und Handel? Zur Novellierung des GWB“, 2007, Rn. 57; zuletzt abgerufen am 06.01.2025 unter https://www.monopolkommission.de/images/PDF/SG/s47_volltext.pdf; im Folgenden: Monopolkommission, 2007).
97Auf dieser Grundlage hat der BGH ebenfalls zutreffend ausgeführt, dass auch der systematische Einsatz dieser Strategie diese noch nicht unzulässig macht.
98(2)
99Eine Verdrängungsabsicht der Beklagten gegenüber kleinen und mittleren Wett-bewerbern auf dem Markt für Kaffeeprodukte kann hier nicht festgestellt werden, da ihre Strategie gerade den dauerhaften, nachvollziehbaren Zweck der Förderung des eigenen Absatzes im Rahmen einer Mischkalkulation verfolgt und ihre Preisgestaltung deshalb auf einer kaufmännisch vertretbaren Kalkulation beruht. Es ist gerade nicht ersichtlich, dass die Beklagten eine kaufmännisch eigentlich unvertretbare, nur kurz- bis mittelfristig durchzuhaltende Strategie einsetzen, mit der sie zeitweise Verluste in Kauf nehmen – was sie durch ihre Finanzkraft aushalten könnten –, um kleine und mittlere Wettbewerber von dem Markt für Kaffeeprodukte zu verdrängen und anschließend die Preise anheben zu können.
100Eine solche Strategie verspräche auch keinen Erfolg. Denn zum einen bestehen Preiserhöhungsspielräume nur dann, wenn es auf einem Markt erhebliche Marktzutrittsbarrieren gibt (vgl. Monopolkommission, 2007, Rn. 58). Davon ist bei dem Markt für Kaffeeprodukte nicht auszugehen. Die Ausführungen der Klägerin zur Preisgestaltung im Markt für Kaffeeprodukte zeigen anschaulich, dass der mit Abstand größte Kostenfaktor der Einkauf des Rohkaffees ist und der Aufwand zur Röstung des Kaffees finanziell überschaubar ist. Deshalb ist von einer hohen Wirksamkeit potentiellen Wettbewerbs auf dem Markt für Kaffeeprodukte auszu-gehen, die einem Preiserhöhungsspielraum der Beklagten entgegensteht. Zum anderen findet der Preiswettbewerb im Lebensmitteleinzelhandel primär zwischen den großen Unternehmen aus der Spitzengruppe statt (vgl. Monopolkommission, 2007, Rn. 59). Auch deshalb ließe eine Verdrängung kleiner und mittelständischer Wettbewerber auf dem Markt für Kaffeeprodukte nicht das Entstehen von Preiserhöhungsspielräumen für die Beklagten erwarten.
101(3)
102Es ist auch keine Gefahr einer nachhaltigen Beeinträchtigung der strukturellen Voraussetzungen für einen wirksamen Wettbewerb auf dem Markt für Kaffeeprodukte festzustellen.
103Zum einen sind Intensität und Häufigkeit der Maßnahmen der Beklagten begrenzt.
104Zwar ist der Grad der Unterschreitung der Herstellungskosten teilweise durchaus hoch, wie die Berechnungen der Klägerin – auch unter Berücksichtigung der mit diesen verbundenen Unsicherheiten und der Einwendungen der Beklagten – zeigen und wie indiziell auch schon dadurch deutlich wird, dass die Beklagten mit Reduktionen von bis zu 50 % auf die regulären Preise werben. Dem steht allerdings gegenüber, dass die Häufigkeit der Angebotswochen und der Umfang der jeweils betroffenen Produkte überschaubar sind. Obwohl sich der Antrag der Klägerin nur auf die drei Angebotswochen ab dem 11.12.2023, 18.12.2023 und 12.02.2024 bezieht, gehören auch die nachfolgenden Angebotswochen zum Streitstoff, soweit sie Rückschlüsse auf die Strategie der Beklagten und deren Auswirkungen auf den Wettbewerb zulassen. Im Jahr 2024 waren insgesamt 7 von 52 Kalenderwochen von den Angeboten der Beklagten betroffen. Das entspricht einem Anteil von ca. 13,5 % bzw. durchschnittlich einer Angebotswoche alle ca. 7,5 Wochen. Von den Angeboten war jeweils nur ein kleiner Ausschnitt des insgesamt 25 Sorten umfassenden Kaffee-Sortiments der Beklagten betroffen, nämlich jeweils zwei bis fünf wechselnde Produkte. Wie die Übersicht der Klägerin über die Wiederholungen der betroffenen Produkte zeigt (Anlage K 59, S. 10), war im Jahr 2024 kein Produkt von mehr als drei Angebotswochen betroffen.
105Vor diesem Hintergrund erscheint es fernliegend, dass ein nennenswerter Anteil der Verbraucher seinen Kaffeebedarf alleine durch Nutzung der Angebotswochen der Beklagten zu decken vermag. Dies auch deshalb, weil die Anzahl und Staffelung der Angebotswochen für die Verbraucher nicht vorherzusehen sind. Das spricht dagegen, dass das Vorgehen der Beklagten die strukturellen Voraussetzungen für einen wirksamen Wettbewerb auf dem Markt für Kaffeeprodukte gefährdet.
106Zum anderen fehlt es an einer solchen Gefahr hier aber selbst dann, wenn man im Hinblick auf Häufigkeit und Intensität der Maßnahmen der Beklagten eine Veränderung der Strukturen auf dem Markt für Kaffeeprodukte dahingehend für möglich hält, dass Fachhändler erhebliche Marktanteile gegenüber den Beklagten einbüßen könnten. Denn in einem auf die grundsätzliche Freiheit des Wettbewerbes ausgerichteten System kann nicht die Aufrechterhaltung einer bestimmten Marktstruktur verlangt werden, die zu einem gewissen Zeitpunkt vorgefunden wird. Das ist auch mit der Wendung der „Gefahr einer nachhaltigen Beeinträchtigung der strukturellen Voraussetzungen für einen wirksamen Wettbewerb“ nicht gemeint. Selbst wenn dauerhaft kein Mitbewerber mit den Preisen der Beklagten für Kaffeeprodukte mithalten könnte, wären die strukturellen Voraussetzungen für einen wirksamen Wettbewerb auf diesem Markt nicht gefährdet, weil den Mitbewerbern die Möglichkeit bleibt, sich etwa durch ein differenziertes Sortiment, besondere Qualität oder Beratung hervorzuheben. Das unterscheidet den vorliegenden Fall von dem Unter-Kosten-Verkauf von standardisierten Lebensmitteln wie Zucker oder Milch, bei denen neben dem Preis keine solchen Möglichkeiten zur Differenzierung bestehen.
107c)
108Schließlich sind die Voraussetzungen des § 20 Abs. 3 S. 1 GWB für die Fallgruppe des Anbietens von Lebensmitteln unter Herstellungskosten auch nicht aufgrund der Wertungen des Regelbeispiels des § 20 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 GWB zu modifizieren.
109Mit dem Regelbeispiel hat der Gesetzgeber an das Angebot von Lebensmitteln unter Einstandspreis durch ein marktmächtiges Unternehmen die (unwiderlegliche) Vermutung geknüpft, dass dieses damit eine Strategie zu Lasten der geschützten Gruppe von kleinen und mittleren Wettbewerbern unter Einsatz seiner überlegenen Marktmacht betreibt (vgl. BGH NJW 2003, 1736, 1738 – Wal-Mart). Nach Auffassung der Klägerin muss die dahinterstehende Wertung des Gesetzgebers auch bei der Anwendung der Generalklausel berücksichtigt werden. Es wäre dann Raum dafür, in ähnlich gelagerten Fallgruppen wie womöglich dem Angebot von Lebensmitteln unter Herstellungskosten die Anforderungen der Generalklausel abzusenken.
110Richtig ist jedoch, dass das Gesetz nur für Angebote unter Einstandspreis eine Vermutung der Unbilligkeit enthält und für andere Niedrigpreisstrategien an den anerkannten Voraussetzungen der Generalklausel festzuhalten ist (so auch Westermann, in MüKo Wettbewerbsrecht, 4. Aufl. 2022, § 20 GWB Rn. 93). Es entzieht sich der gerichtlichen Bewertung, welche – auch politischen – Erwägungen den Gesetzgeber im Einzelnen dazu bewogen haben, einerseits das sehr strenge Verbot des Angebots unter Einstandspreis zu schaffen und dieses andererseits nicht auf Angebote produzierender Unternehmen unter Herstellungskosten zu erstrecken. Weitergehende Regelungsvorschläge lagen ihm vor (vgl. dazu Markert, in: Immenga/Mestmäcker, 7. Aufl. 2024, § 20 GWB Rn. 219 mit Nachweisen) und sind auch seither unterbreitet, aber bisher nicht umgesetzt, worden. Der „Kontrast zwischen der Aktivität des Gesetzgebers im Bereich der Regelbeispiele und seiner Passivität bezüglich der Generalklausel“ (Nothdurft, in: Langen/Bunte, 14. Aufl. 2022, § 20 GWB Rn. 154) spricht dafür, dass über den Anwendungsbereich des Regelbeispiels hinaus eine bewusste Nichtregelung durch den Gesetzgeber vorliegt.
111Entgegen der Auffassung der Klägerin ist es auch normativ jedenfalls nicht zwingend, die Fallgruppen der Angebote von Lebensmitteln unter Einstandspreis sowie unter Herstellungskosten gleich zu behandeln. Die vom Gesetzgeber mit dem Regelbeispiel in den Blick genommenen Händler kaufen Waren lediglich zu einem bestimmten Einstandspreis ein und verkaufen diese sodann zu einem bestimmten Verkaufspreis wieder. Eine Unterschreitung des Einstandspreises mag dabei für den Gesetzgeber bereits den starken Verdacht missbräuchlichen Verhaltens begründen. Demgegenüber sind die Hersteller von Waren an einer grundsätzlich komplexen Wertschöpfung beteiligt. Das mag es für den Gesetzgeber rechtfertigen, hinsichtlich ihrer Preisgestaltung eine größere Zurückhaltung an den Tag zu legen.
112Nun wendet die Klägerin einerseits ein, dass die Wertschöpfung bei der Verarbeitung von Rohkaffee gerade nicht besonders komplex sei, und andererseits, dass die zunehmende vertikale Integration des Lebensmitteleinzelhandels in den letzten Jahren eine neue Bewertung dieser Zusammenhänge erfordern könnte. Das sind jedoch politische Forderungen, die an den Gesetzgeber zu richten wären. Ob und ggf. wie die von ihm bisher gegen (bloße) Lebensmittelhändler gerichtete Missbrauchsvermutung auch auf vertikal integrierte Händler, womöglich beschränkt auf zu definierende „wenig komplexe“ Produkte, ausgeweitet werden sollte, kann nur Gegenstand einer ergebnis-offenen, politischen Diskussion sein.
113Auf dieser Grundlage kann auch aus der Verwendung der Regelbeispielstechnik durch den Gesetzgeber nichts Anderes abgeleitet werden. Zwar ist der Klägerin methodisch Recht zu geben, dass der Gesetzgeber mit der Verwendung eines Regelbeispiels regelmäßig zum Ausdruck bringt, die Voraussetzungen der Generalklausel seien in dem Regelbeispiel erfüllt. Dann wäre es folgerichtig, dass die Wertungen des Regelbeispiels auch auf die Generalklausel „zurückwirken“ können. Die Regelung des § 20 Abs. 3 GWB ist jedoch atypisch: Im Kern handelt es sich bei § 20 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 GWB um einen eigenständigen Verbotstatbestand, der lediglich rechtstechnisch als Regelbeispiel ausgestaltet wurde (Nothdurft, in: Langen/Bunte, 14. Aufl. 2022, § 20 GWB Rn. 152). Das zeigt sich alleine daran, dass nach der Vorschrift bereits eine einmalige, wenig gewichtige Unterschreitung des Einstandspreises eines Lebensmittels etwa im Rahmen einer Werbeaktion zur Produkteinführung untersagt ist, bei der ein Zusammenhang mit der Ausnutzung überlegener Marktmacht sowie eine Verdrängungsabsicht bzw. Gefahr einer nachhaltigen Beeinträchtigung der strukturellen Voraussetzungen für einen wirksamen Wettbewerb an sich nicht vorliegt.
114Man mag es für dogmatisch unstimmig halten, dass diese einschränkenden Merkmale nach diesem Verständnis bei der Generalklausel Geltung beanspruchen, aber bei dem Regelbeispiel nicht (vgl. Nothdurft, in: Langen/Bunte, 14. Aufl. 2022, § 20 GWB Rn. 152). Es ist aber nicht Aufgabe des Gerichts, diese Unstimmigkeit durch Auslegung zu beseitigen, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Gesetzgeber sie bewusst geschaffen hat. So liegt es hier.
115Eine analoge Anwendung des § 20 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 GWB scheidet nach alledem ebenfalls aus, da es bereits an einer planwidrigen Regelungslücke fehlt, aber auch die Vergleichbarkeit der Interessenlagen zweifelhaft erscheint.
116II.
117Der Klägerin steht gegen die Beklagten auch aus § 8 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 Nr. 1 UWG i.V.m. § 3 Abs. 1 UWG kein Unterlassungsanspruch zu.
118Gemäß § 8 Abs. 1 S. 1 UWG kann auf Beseitigung und bei Wiederholungsgefahr auf Unterlassung in Anspruch genommen werden, wer eine nach § 3 UWG oder § 7 UWG unzulässige geschäftliche Handlung vornimmt. Gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG stehen die Ansprüche jedem Mitbewerber zu, der Waren oder Dienstleistungen in nicht unerheblichem Maße und nicht nur gelegentlich vertreibt oder nachfragt. Gemäß § 3 Abs. 1 UWG sind unlautere geschäftliche Handlungen unzulässig.
119Es kann dahinstehen, ob im Rahmen der Generalklausel des § 3 Abs. 1 UWG an der Fallgruppe der allgemeinen Marktbehinderung festzuhalten ist. Dem ist entgegen-zuhalten, dass eine solche Fallgruppe erstens in jüngerer Zeit keinen praktischen Anwendungsbereich mehr erkennen lässt, zweitens in ihren inhaltlichen Kriterien ausgesprochen vage ist und drittens Gefahr läuft, mit spezialgesetzlichen Rege-lungen in Konflikt zu geraten (vgl. zum Ganzen Köhler/Alexander, in: Köhler/ Feddersen, UWG, 43. Aufl. 2025, § 4 Rn. 5.1 ff.). Insbesondere dürfen die Wertungen der speziellen Tatbestände der §§ 19 ff. GWB nicht unterlaufen werden.
120Jedenfalls liegen die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 UWG – auch unter Berück-sichtigung dieser Gesichtspunkte – hier nicht vor. Der BGH hat einen Fall der allgemeinen Marktbehinderung nach § 3 Abs. 1 UWG unter dem Gesichtspunkt der Preisunterbietung angenommen, wenn die Preisunterbietung sachlich nicht gerecht-fertigt ist und dazu führen kann, dass Mitbewerber vom Markt verdrängt werden und der Wettbewerb dadurch auf diesem Markt völlig oder nahezu aufgehoben wird (BGH GRUR 2009, 416 – Küchentiefstpreis-Garantie). Es kann auf die Ausführungen zu den vergleichbaren Maßstäben des § 20 Abs. 3 S. 1 GWB verwiesen werden (unter I. 2. b)). Es wäre widersprüchlich und systemwidrig, eine unbillige Behinderung i.S.d. § 20 Abs. 3 S. 1 GWB zu verneinen, aber für das gleiche Verhalten jedoch eine unlautere geschäftliche Handlung in Form einer allgemeinen Marktbehinderung nach § 3 Abs. 1 UWG anzunehmen.
121III.
122Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 709 S. 1, 2 ZPO.
123Der Streitwert wird auf 300.000,00 EUR festgesetzt.
124Rechtsbehelfsbelehrung:
125Gegen die Streitwertfestsetzung ist die Beschwerde an das Landgericht Düsseldorf statthaft, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,00 EUR übersteigt oder das Landgericht die Beschwerde zugelassen hat. Die Beschwerde ist spätestens innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, bei dem Landgericht Düsseldorf, Werdener Straße 1, 40227 Düsseldorf, schriftlich in deutscher Sprache oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Die Beschwerde kann auch zur Niederschrift der Geschäftsstelle eines jeden Amtsgerichtes abgegeben werden. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann die Beschwerde noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
126Hinweis zum elektronischen Rechtsverkehr:
127Die Einlegung ist auch durch Übertragung eines elektronischen Dokuments an die elektronische Poststelle des Gerichts möglich. Das elektronische Dokument muss für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet und mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg gemäß § 130a ZPO nach näherer Maßgabe der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (BGBl. 2017 I, S. 3803) eingereicht werden. Auf die Pflicht zur elektronischen Einreichung durch professionelle Einreicher/innen ab dem 01.01.2022 durch das Gesetz zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten vom 10. Oktober 2013, das Gesetz zur Einführung der elektronischen Akte in der Justiz und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs vom 5. Juli 2017 und das Gesetz zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 05.10.2021 wird hingewiesen.
128Weitere Informationen erhalten Sie auf der Internetseite www.justiz.de.
129E. |
Dr. U. |
A. |