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Der Angeklagte ist schuldig des versuchten Mordes in Tateinheit mit schwerer Körperverletzung, gefährlicher Körperverletzung, fahrlässiger Körperverletzung sowie besonders schwerer Brandstiftung.
Er wird zu einer
lebenslangen Freiheitsstrafe
verurteilt.
Die Schuld des Angeklagten wiegt besonders schwer.
Der Angeklagte wird verurteilt, an den Nebenkläger NN10 50.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29. November 2023 zu zahlen. Es wird festgestellt, dass der Angeklagte verpflichtet ist, dem Nebenkläger NN10 sämtliche immateriellen Schäden, die diesem aus der hier abgeurteilten Tat künftig entstehen werden, zu ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger, das Versorgungsamt, die Krankenkasse oder andere Dritte übergegangen sind oder übergehen werden. Im Übrigen wird von einer Entscheidung über den Adhäsionsantrag abgesehen. Das Urteil ist hinsichtlich des Zahlungsausspruchs gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Der Angeklagte wird weiter verurteilt, an die Nebenklägerin NN11 5.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12. Dezember 2023 zu zahlen. Das Urteil ist hinsichtlich des Zahlungsausspruchs gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Der Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens und hat den Nebenklägern NN3, NN4, NN5, NN6, NN8, NN7, NN10, NN9 und NN11 ihre notwendigen Auslagen – den Nebenklägern NN10 und NN11 auch die durch die jeweiligen Adhäsionsanträge entstandenen Auslagen – zu erstatten.
Angewendete Vorschriften: §§ 211, 224, 226, 229, 306b, 52 StGB
G r ü n d e:
2I.
31 1. Der zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung 57 Jahre alte und in Ratingen geborene Angeklagte wurde dort im Jahre 1973 eingeschult. (…)
42 2. Der Angeklagte ist rechtskräftig vorbestraft, wobei die nachfolgend genannten Strafbefehle vor Begehung der hier abgeurteilten Tat rechtskräftig geworden sind.
53 (…)
6II.
74 1a) Der Angeklagte wohnte gemeinsam mit seiner im Jahr 1932 geborenen Mutter in einer angemieteten Wohnung im 10. Obergeschoss des – insgesamt etwa 100 Wohnungen umfassenden – Gebäudekomplexes B Straße 45 in Ratingen. Zu einem unbekannten Zeitpunkt – mehrere Wochen vor dem 11. Mai 2023 – verstarb die gesundheitlich bereits stark beeinträchtigte Mutter des Angeklagten in der Wohnung. Das Ableben seiner Mutter meldete der Angeklagte weder den Behörden noch sonstigen Einrichtungen. Den Leichnam beließ er in einem zu der Wohnung gehörenden Zimmer. Anfang Mai 2023 entschloss er sich, die Wohnung bis auf Weiteres nicht mehr zu verlassen. Er beschaffte sich zahlreiche Kästen Mineralwasser, größere Mengen Lebensmittel – insbesondere Nudeln, Konserven und Fertiggerichte – sowie ebenfalls größere Mengen Hygieneartikel und lagerte diese in der Wohnung ein. Einen Teil der Wasserkästen stellte er in Stapeln von innen vor die Wohnungseingangstür, so dass diese nicht mehr ohne Weiteres zu öffnen war.
85 b) Der Zugang zu der Wohnung des Angeklagten erfolgt über einen sich an das Treppenhaus anschließenden Laubengang. Dieser Laubengang verläuft zunächst mehrere Meter überdacht und – balkonartig – mit einer ins Freie geöffneten Seite; ab etwa dreieinhalb Metern vor der Eingangstür zu der Wohnung des Angeklagten ist der Gang von allen Seiten geschlossen („getunnelt“). Die Wohnung selbst besteht aus sieben Räumen: Hinter der Wohnungseingangstüre befindet sich eine Diele, von der aus man links in das Badezimmer gelangt. Weiterhin werden von der Diele ein Abstellraum, eine Küche und drei Wohnräume erschlossen. Wegen der Einzelheiten wird gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO auf die nachfolgend bezeichneten Abbildungen verwiesen:
9Nr. |
Beschreibung |
Fundstelle |
1 |
Front des Gebäudekomplexes mit dem vorgebauten Treppenhaus (Pfeil Nr. 1) und dem balkonartig geöffneten Teil des zu der Wohnung des Angeklagten führenden Laubengangs (Pfeil 2). |
„Bild Nr. 1“ des schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen NNN1 (Bl. 35 des Sonderbandes „Brandgutachten“ – oberes Bild). |
2 |
Grundriss des 10. Obergeschosses. Die unten links eingezeichnete Wohnung des Angeklagten ist mit der Zahl „185“ gekennzeichnet. Auch ist der von der Wohnungseingangstür zum Treppenhaus verlaufende Laubengang erkennbar. |
Bl. 8 des Sonderbandes „Brandgutachten“ (Seite 7 des Textteils des Gutachtens). |
3 |
Vergrößerter und anders ausgerichteter Ausschnitt des Grundrisses, auf dem die Raumaufteilung innerhalb der Wohnung zu erkennen ist. Rechts unten ist das Ende des Laubengangs zu erkennen. Der „getunnelte“ Teil des Laubengangs geht nach rechts in den balkonartig ausgestalteten und mit einer offenen Seite versehenen Teil über. |
Bl. 9 des Sonderbandes „Brandgutachten“ (Seite 8 des Textteils des Gutachtens). |
6 2a) Am 11. Mai 2023 wandte sich ein Mitarbeiter des Vermieters des Angeklagten an die Polizei Ratingen und berichtete, dass der zu der Wohnung des Angeklagten gehörende Briefkasten augenscheinlich seit längerem nicht mehr geleert worden sei. Außerdem habe man den Angeklagten und seine Mutter ebenfalls seit längerer Zeit nicht mehr gesehen. Daraufhin begaben sich die Nebenkläger Polizeikommissar NN4 und Polizeikommissarin NN3 zu der Wohnung, um zu überprüfen, ob den Bewohnern – also dem Angeklagten oder seiner Mutter – etwas zugestoßen sei. Nachdem auf Klingeln, Klopfen und lautes Rufen – unter Angabe der Funktion als Polizeibeamte – nicht geöffnet worden war, entschieden die Nebenkläger NN3 und NN4, die Feuerwehr hinzuzuziehen und die Wohnung durch diese öffnen zu lassen. Auf ein entsprechendes Ersuchen trafen nach kurzer Zeit ein Einsatzfahrzeug der Feuerwehr Ratingen – besetzt mit den Nebenklägern NN8, NN7 und NN5 (jeweils Feuerwehrbeamte) –, ein Krankenwagen – besetzt mit den Nebenklägern NN9 und NN11 (jeweils Rettungssanitäter) – sowie ein Notarzteinsatzfahrzeug – besetzt mit den Nebenklägern NN10 (Notarzt) und NN6 (Feuerwehrbeamter und Rettungssanitäter) ein. Auch auf erneutes Klopfen und Rufen – unter anderem über den angrenzenden Balkon einer Nachbarwohnung – zeigte der in der Wohnung befindliche Angeklagte keine Reaktion.
117 Nachdem die Wohnungseingangstür nicht durch Entfernen des Schließzylinders geöffnet werden konnte, schlugen die Feuerwehrleute eine der Glas- scheiben ein, um so die Türklinke von innen herunterdrücken zu können. Unmittelbar nach Einschlagen der Scheibe machte sich den Nebenklägern ein sehr starker, aus der Wohnung gelangender Geruch bemerkbar, den diese – zutreffend – als sogenannten „Verwesungsgeruch“ einordneten. Sie gingen aufgrund dessen davon aus, dass sich in der Wohnung keine lebenden Personen mehr aufhalten.
128 Da sich auch das Vorhaben, die Wohnungseingangstüre durch Herunterdrücken der inneren Türklinke zu öffnen, nicht umsetzen ließ, entschlossen sich die Nebenkläger NN7 und NN5 nach Rücksprache mit den Nebenklägern NN3 und NN4, zwei der drei durch die Tür horizontal und vertikal verlaufenden – aus Metall bestehenden – Sprossen mitsamt den zugehörigen Glasscheiben zu entfernen, um so einen Einstieg in die Wohnung zu ermöglichen. Die entsprechenden Arbeiten wurden von den Nebenklägern NN5 und NN7 unter Verwendung einer elektrischen Säge durchgeführt und verursachten einen erheblichen Lärm. Nachdem die Sprossen entfernt worden waren und sich eine ausreichend große Öffnung ergab, hob der Nebenkläger NN5 die von dem Angeklagten innen vor der Tür aufgestapelten Wasserkästen heraus und reichte sie an andere Nebenkläger weiter, die sie durch Bilden einer „Kette“ an den jeweils nächsten weitergaben und schließlich in dem Laubengang abstellten.
139 b) Durch den nun freien Zugang betrat zunächst der Nebenkläger NN4 die Wohnung. Von der unmittelbar hinter der Wohnungseingangstür gelegenen Diele schob er zunächst einen weiteren Stapel Wasserkästen in das rechts gelegene Badezimmer, um so den Durchgang zu verbreitern. Seine bei Betreten der Wohnung gezogen gehaltene Dienstwaffe hatte er zuvor wieder in das Gürtelholster gesteckt. Unmittelbar nach dem Nebenkläger NN4 betrat auch die Nebenklägerin NN3 die Wohnung. Beide trugen Uniformen und waren deutlich als Polizeibeamte erkennbar. Auch die Nebenkläger NN5, NN7 und NN6, die zu diesem Zeitpunkt unmittelbar vor der Wohnungseingangstüre standen, trugen Dienstkleidung, aufgrund derer sie deutlich als Feuerwehrbeamte erkennbar waren.
1410 Als die Nebenkläger NN4 und NN3 die Wohnung betraten, hielt sich der Angeklagte an einer links der Eingangstür gelegenen Ecke der Diele neben einem Schrank verborgen. Er hielt einen Kunststoffeimer in den Händen, den er zuvor mit etwa vier bis sechs Litern unverdünnten Vergaserkraftstoffs befüllt hatte. Als die Nebenklägerin NN3 unmittelbar hinter der Schwelle der Wohnungseingangstür stand und einen weiteren Stapel mit Wasserkästen zur Seite schob, trat der Angeklagte hervor. Die Nebenklägerin bemerkte nun erstmals den – in einem Abstand von nicht mehr als zweieinhalb Metern schräg links von ihr stehenden – Angeklagten und äußerte zu dem – rechts von ihr in dem Badezimmer stehenden und mit dem Verschieben der Wasserkästen befassten – Nebenkläger NN4 die Worte „Da ist einer drin!“. Der Nebenkläger NN4 wandte sich in Richtung des Angeklagten, sah diesen ebenfalls, zog seine Dienstwaffe und richtete sie auf den Angeklagten. Zeitgleich schüttete der Angeklagte den Vergaserkraftstoff aus dem Kunststoffeimer in Richtung der Nebenklägerin NN3. Der Flüssigkeitsschwall traf die Nebenklägerin frontal im Kopf- und im Oberkörperbereich. Ein erheblicher Teil der Flüssigkeit gelangte durch die geöffnete Wohnungseingangstür in den davor gelegenen Gang, in dem sich – unmittelbar vor der Tür – die Nebenkläger NN5, NN7 und NN6 aufhielten; ein ebenfalls erheblicher Teil regnete von der Nebenklägerin ab und sammelte sich innerhalb der Wohnung auf dem Boden der Diele. Der Nebenkläger NN4 forderte den Angeklagten nun auf, sich hinzulegen („Hey! Leg Dich hin! Leg Dich hin!“). Unmittelbar nach dieser Aufforderung entzündete der Angeklagte ein mit einer brennbaren Flüssigkeit versehenes Textilstück und warf dieses in Richtung der – sich nun jenseits der Türschwelle, jedoch unmittelbar vor der Tür aufhaltenden – Nebenklägerin NN3. Der Nebenkläger NN4 hatte das Entzünden des Textilstücks noch bemerkt, ging aber zunächst davon aus, der Angeklagte wolle sich selbst in Brand setzen. Er äußerte die Worte „Der zündet sich an! Alle raus!“ und verließ unmittelbar hinter der Nebenklägerin NN3 die Wohnung. Noch während sich beide im Bereich der Türschwelle befanden, entzündete sich das dort sowie in dem dahinter gelegenen Gang aus dem Vergaserkraftstoff entstandene Luft-Gas-Gemisch. Dies führte dazu, dass in Sekundenbruchteilen eine weiträumige Flamme sowie eine ganz erhebliche Hitze von mehreren hundert Grad Celsius entstand. Die großflächig mit Vergaserkraftstoff benetzte Nebenklägerin NN3 fing sofort Feuer. Auch die Bekleidung der Mehrzahl der weiteren Nebenkläger – die Nebenkläger NN8, NN9, NN10 und NN11 befanden sich ebenfalls in dem Laubengang, jedoch außerhalb des Sichtbereichs des Angeklagten – fing infolge der hohen Temperatur Feuer und brannte selbständig weiter.
1511 c) Sämtliche Nebenkläger rannten nun durch das Treppenhaus zehn Geschosse hinunter zum Hauseingang. Die Nebenklägerin NN3 brannte währenddessen vollständig vom Unterkörper bis zum Kopf. Nach Verlassen des Gebäudes wurde sie von den anderen Nebenklägern, soweit diese aufgrund ihrer eigenen Verletzungen hierzu (noch) in der Lage waren, gelöscht und versorgt. Der Nebenkläger NN10 legte der Nebenklägerin NN3 einen Infusionszugang, ehe er weitere Hilfsmaßnahmen einstellen musste, da auch seine eigenen Hände erheblich verbrannt waren.
1612 Bereits nach kurzer Zeit trafen weitere Feuerwehr- und Rettungskräfte ein. Die Nebenkläger wurden – überwiegend in Hubschraubern – in umliegende Krankenhäuser verbracht und ärztlich versorgt.
1713 Der Angeklagte konnte nach einiger Zeit von Sondereinsatzkräften der Polizei in seiner Wohnung festgenommen werden. Zuvor hatte er sich noch auf den Balkon der Wohnung begeben und den auf dem Balkon einer Nachbarwohnung stehenden Sondereinsatzkräften den ausgestreckten Mittelfinger gezeigt.
1814 3. Die Geschädigten erlitten aufgrund der Tathandlung teils schwerste und lebensgefährliche Verbrennungen mit erheblichen gesundheitlichen Folgen. Die kategorisierende Einordnung der nachfolgend dargestellten Befunde erfolgt unter Verwendung der bei der Beurteilung von Verbrennungen üblichen Schweregrade.
1915 (…)
2016 4a) Nachdem die Nebenkläger das Gebäude verlassen hatten, brannte der von dem Angeklagten in der Diele sowie in dem Bereich vor der Wohnungseingangstür entzündete Kraftstoff über einen Zeitraum von mindestens 20 Minuten selbständig weiter, wobei es zu Temperaturen von mehr als 1.000 Grad Celsius kam. Im Bereich der Diele entstanden infolgedessen Brandzehrungen an den Türen sowie großflächige Abplatzungen von Putzschichten im Bereich der Wände und der Decke. Das Mobiliar in der Nähe der Brandstelle – insbesondere ein größerer Schrank, neben dem der Angeklagte bei Verschütten des Kraftstoffs stand – verbrannte vollständig. Flammen und heiße Brandgase gelangten in die an die Diele angrenzenden Zimmer. In allen Räumen kam es zur großflächigen Verteilung von gesundheitsschädlichem Rauchgaskondensat, das sich auf nahezu allen Oberflächen der Wohnung niederschlug. Der Brand konnte schließlich – im Anschluss an die Festnahme des Angeklagten – gelöscht werden. Als Folge der Löschmaßnahmen stand in der gesamten Wohnung eine mehrere Zentimeter hohe Säule Löschwasser. Auch in dem Bereich des Laubengangs kam es infolge des Feuers zu erheblichen Brand- schäden. Insbesondere wurden der Boden sowie die Wandbeschichtung zerstört. Die Brandfolgen machten die Räume zu Wohn- sowie zu sonstigen Zwecken unbrauchbar. Wegen der Einzelheiten wird gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO auf die nachfolgend bezeichneten Abbildungen verwiesen:
21Nr. |
Beschreibung |
Fundstelle |
152 |
Diele der Wohnung nach Löschen des Brandes von der Wohnungseingangstüre aus gesehen. |
„Bild Nr. 36“ des schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen NNN1 (Bl. 52 des Sonderbandes „Brandgutachten“ – unteres Bild). |
153 |
Diele der Wohnung nach Löschen des Brandes. |
„Bild Nr. 39“ des schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen NNN1 (Bl. 54 des Sonderbandes „Brandgutachten“ – oberes Bild). |
154 |
Diele der Wohnung nach Löschen des Brandes mit Blick auf die Wohnungseingangstüre (Pfeil 1). |
„Bild Nr. 42“ des schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen NNN1 (Bl. 55 des Sonderbandes „Brandgutachten“ – unteres Bild). |
155 |
„Getunnelter“ Teil des Laubengangs mit Blick in Richtung der Eingangstüre der Wohnung des Angeklagten (Pfeil); gegenüber liegt der Eingang einer Nachbarwohnung. |
„Bild Nr. 28“ des schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen NNN1 (Bl. 48 des Sonderbandes „Brandgutachten“ – unteres Bild). |
17 b) Die Ausbreitung des Feuers in dem Bereich des Laubengangs führte zu einer erheblichen Gefährdung anderer – nicht von dem Tötungsvorsatz des Angeklagten erfasster (siehe unten II5f) – Personen; hinsichtlich der Nebenkläger NN8, NN9, NN10 und NN11 führte diese Gefahr auch zu einer erheblichen körperlichen Schädigung (siehe oben III3f bis III3i). Im Übrigen bestand – ohne die zeitnahe Löschmaßnahme – die Gefahr, dass das Feuer auf eine der bewohnten Nachbarwohnungen übergreift und auch die dort lebenden Personen erheblich körperlich schädigt.
2318 5a) Der Angeklagte erkannte die Nebenkläger NN3, NN4, NN5, NN7 und NN6 vor der Tat jeweils zutreffend als Polizeibeamte und Feuerwehrleute. Er hatte bereits vor Öffnen der Wohnungseingangstür davon Kenntnis genommen, dass Polizei- und Feuerwehrkräfte in die Wohnung gelangen wollten.
2419 b) Indem der Angeklagte die Nebenklägerin NN3 mit Vergaserkraftstoff übergoss und anschließend ein brennendes Textilstück in ihre Richtung warf, wollte er sie – wie auch geschehen – in Brand setzen. Er wollte sie hierdurch töten. Ebenso wollte er den sich zu diesem Zeitpunkt noch in der Wohnung aufhaltenden Nebenkläger NN4 töten. Dabei ging er davon aus, dass es dem Nebenkläger NN4 nicht gelingen würde, das Badezimmer der Wohnung zu verlassen, und er dort aufgrund des von ihm – dem Angeklagten – gelegten Brandes verbrennen würde.
2520 c) Der Angeklagte hatte vor Entzünden des Textilstücks auch bemerkt, dass sich die drei Feuerwehrleute und Nebenkläger NN5, NN7 und NN6 unmittelbar vor der Tür befanden. Ihr Ableben nahm der Angeklagte als Folge der Brandlegung zumindest billigend in Kauf.
2621 d) Dem Angeklagten war bewusst, dass die Nebenkläger NN3, NN4, NN5, NN6 und NN7, wären sie – wie von ihm gewollt bzw. billigend in Kauf genommen – verbrannt, bei vollem Bewusstsein ganz besonders starke Schmerzen und körperliche Qualen erleiden. Hinsichtlich der Nebenkläger NN3 und NN4 wollte er dies auch; hinsichtlich der Nebenkläger NN5, NN7 und NN6 nahm er dies jedenfalls billigend in Kauf. Dem lag jeweils eine gefühl- und mitleidlose Gesinnung zugrunde, die an das noch zu erörternde Tatmotiv des Angeklagten anknüpfte.
2722 e) Der Angeklagte wollte die Nebenkläger NN3 und NN4 auch an ihrer Gesundheit schädigen, hinsichtlich der Nebenkläger NN5, NN6 und NN7 nahm er deren Gesundheitsschädigung als Folge seines Verhaltens zumindest billigend in Kauf.
2823 (1) Hinsichtlich der Nebenkläger NN3, NN4, NN5 und NN6 hätte der Angeklagte auch voraussehen können, dass durch das von ihm verursachte Feuer Brandwunden entstehen, die zu dauerhaften und entstellenden Narben führen. Er hätte diese Folge durch das Unterlassen der Brandlegung vermeiden können.
2924 (2) Hinsichtlich der Nebenkläger NN3, NN4, NN5, NN7 und NN6 war dem Angeklagten zudem bewusst, dass die von ihm vorgenommene Brandlegung aufgrund des Übergreifens des Feuers auf die Kleidung und den Körper generell sowie im konkreten Fall geeignet war, deren Leben – in ganz erheblichem Umfang – zu gefährden.
3025 f) Hinsichtlich der Nebenkläger NN8, NN9, NN10 und NN11, die bei Begehung der Tat jeweils nicht in seinem Blickfeld waren und die er auch vorher nicht wahrgenommen hatte, schließt die Kammer aus, dass der Angeklagte sie bemerkt und sich Gedanken über deren körperliche Schädigung gemacht hatte. Er hätte die Möglichkeit der Anwesenheit weiterer Personen auf dem Laubengang jedoch bei gehöriger und zumutbarer Anstrengung voraussehen und ihre Schädigung durch Unterlassen der Brandlegung vermeiden können.
3126 g) Der Angeklagte nahm billigend in Kauf, die von ihm genutzte Wohnung durch die Brandlegung zu zerstören und unbewohnbar zu machen. Ihm war bekannt, dass die Wohnung, die nach unten sowie vertikal angrenzenden Wohnungen sowie die im gesamten Gebäude vorhandenen Wohnungen als Ort privater Lebensführung dem dauerhaften Aufenthalt von Menschen dienen.
3227 h) Der Angeklagte wusste, dass er den von ihm verursachten Brand nach seiner Entstehung nicht werde kontrollieren können. Ihm war auch bewusst, dass sich das Feuer weiter in dem Laubengang ausbreiten konnte, um so auf andere Gebäudeteile – insbesondere andere Wohnungen – überzugreifen, was – wie der Angeklagte ebenfalls wusste – für zahlreiche Personen eine naheliegende Gefahr für Leib und Leben mit sich brachte. Das nahm er billigend in Kauf.
3328 i) Der Angeklagte handelte bei dem Angriff auf die Nebenkläger aus Hass gegen den Staat und die diesem eingegliederten kommunalen Körperschaften, aus Hass gegen die den Staat und die kommunalen Körperschaften repräsentierenden Behörden sowie aus Hass gegen die für diese Behörden handelnden Personen. Ihm war dieses Motiv auch bewusst; ebenso wusste er, dass er zu den Nebenklägern keine persönliche Verbindung hatte und er diese nur stellvertretend für den ihm verhassten Staat bzw. die ihm verhassten kommunalen Körperschaften angriff. Er hatte die Bedeutung der vorgenannten Umstände für die von ihm verübte Tat in sein Bewusstsein aufgenommen und war in der Lage, sie gedanklich zu beherrschen und zu steuern.
3429 j) Der Angeklagte ging nach der Tat davon aus, dass die Nebenkläger NN3, NN4, NN5, NN7 und NN6 an den ihnen infolge des Brandes zugefügten Verletzungen versterben. Er hatte im Übrigen – wie er wusste – auch keine Möglichkeit mehr, nach Entzünden des Feuers noch weiter auf die genannten Nebenkläger einzuwirken.
3530 6. Der Angeklagte war zum Zeitpunkt der Tatbegehung uneingeschränkt in der Lage, das Unrecht seines Verhaltens zu erkennen. Die Fähigkeit war auch nicht in einem Umfang eingeschränkt, den die Kammer als erheblich im Sinne von § 21 StGB bewerten würde.
36III.
3731 1. Der Angeklagte hat sich weder im Ermittlungsverfahren noch in der Hauptverhandlung zu seinen persönlichen Verhältnissen oder zu dem Tatvorwurf geäußert.
3832 2. Die Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten (oben I) beruhen auf dem Inhalt von ihm gefertigter und in seiner Wohnung sichergestellter Schriftstücke („Lebensläufe“), auf dem Inhalt des Bundeszentralregisters sowie auf dem Inhalt der schriftlichen Gründe der unter I2 dargestellten Strafbefehle.
3933 3. Die Feststellungen zur Tat hat die Kammer wie folgt getroffen:
4034 a) Die Feststellungen zu den Wohnverhältnissen des Angeklagten (Zusammenleben mit seiner Mutter – oben II1a) beruhen auf den Angaben der Nebenkläger NN3 und NN4, die über entsprechende – vor dem Einsatz erhobene – Erkenntnisse berichtet haben. Die Feststellungen zum Ableben der Mutter des Angeklagten beruhen auf den Angaben der Sachverständigen Dr. NNN3 (Rechtsmedizinerin), die über die Erkenntnisse aus der Obduktion des nach Löschen des Brandes in der Wohnung aufgefundenen Leichnams berichtet hat. Dass der Todeseintritt bereits längere Zeit zurücklag, ergab sich insbesondere aufgrund des stark reduzierten Körpergewichts des Leichnams (24 Kilogramm bei einer Größe von 1,52 Metern), der teils lederartig verfestigten Haut sowie der teils erheblichen Fäulnisveränderungen. Aufgrund dessen sowie aufgrund der durch den Brand verursachten thermischen Veränderungen des Leichnams war es – so die Sachverständige nachvollziehbar – indes nicht möglich, eine Todesursache festzustellen. Anhaltspunkte für eine nicht natürliche Todesursache – insbesondere durch stumpfe oder scharfe Gewalteinwirkung auf den Körper – ergaben sich jedoch nicht.
4135 b) Die Feststellungen zu den weiteren örtlichen Gegebenheiten (oben II1b) beruhen auf den Angaben des Sachverständigen NNN1 (Ingenieur und Sachverständiger für Brandursachenermittlung) sowie dem Inhalt der von diesem gefertigten Lichtbilder. Aus diesen Lichtbildern ergibt sich im Übrigen auch, dass der Angeklagte – wie unter II1a festgestellt – größere Mengen Lebensmittel, Mineralwasser und Hygieneartikel in der Wohnung eingelagert hatte. So befanden sich in dem von dem Angeklagten als Schlafraum genutzten Wohnzimmer ganz erhebliche Mengen an Nudeln, Konserven und weiteren Lebensmitteln. Wegen der Einzelheiten wird gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO auf die nachfolgend bezeichneten Abbildungen verwiesen:
42Nr. |
Beschreibung |
Fundstelle |
156 |
In dem Wohnzimmer gemachte Aufnahme. Links neben dem Möbelstück („Sekretär) sind erhebliche Mengen Lebensmittel – insbesondere Nudeln und Konserven – erkennbar. |
„Bild Nr. 63“ des schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen NNN1 (Bl. 66 des Sonderbandes „Brandgutachten“ – oberes Bild). |
157 |
Wie vor. |
„Bild Nr. 64“ des schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen NNN1 (Bl. 66 des Sonderbandes „Brandgutachten“ – unteres Bild). |
36 c) Die Feststellungen zu dem Geschehen unmittelbar vor der Tat (oben II2a) sowie zu dem eigentlichen Tatgeschehen (oben II2b) beruhen auf den Angaben der Nebenkläger. Diese werden belegt durch den Inhalt von Bild-/Tonauf- zeichnungen, die von den Nebenklägern NN3 und NN4 mit körpernah getragenen Aufnahmegeräten (sogenannte „Bodycams“, vgl. § 15c PolG NRW) erstellt wurden und die die Geschehnisse auf dem Laubengang – insbesondere das Öffnen der Wohnungseingangstüre – sowie die anschließenden Geschehnisse in der Wohnung im Sinne der getroffenen Feststellungen wiedergeben. Insbesondere ist zu sehen und zu hören, wie die Nebenkläger NN5 und NN7 mit dem Öffnen der Tür beschäftigt sind, wie der Nebenkläger NN4 die Wohnung durch die sodann geschaffene Öffnung betritt, wie die Nebenklägerin NN3 nach Betreten der Wohnung eine schräg links von ihr stehende Person bemerkt („Da ist einer drin!“), wie der Nebenkläger NN4 sich zu dieser Person umdreht, wie diese Person zeitgleich eine erhebliche Flüssigkeitsmenge in Richtung der Nebenklägerin NN3 schüttet, die diese frontal im Kopf- und Oberkörperbereich trifft, wie der Nebenkläger NN4 die Person mit vorgehaltener Dienstwaffe auffordert, sich hinzulegen („Hey! Leg Dich hin! Leg Dich hin!“), wie diese Person ein Textilstück entzündet und in Richtung der Nebenklägerin NN3 wirft, wie es zu einer Entzündung im Bereich des Türeingangs kommt und schließlich wie der Nebenkläger NN4 durch das bereits im Türbereich stark brennende Feuer hindurch die Wohnung verlässt.
4437 d) Dass es sich bei der – anhand der Videoaufnahme nur in ihren Umrissen erkennbaren – Person um den Angeklagten handelte, steht aufgrund folgender Umstände fest: Der Angeklagte, der neben seiner zu diesem Zeitpunkt bereits verstorbenen Mutter der einzige Mieter und Bewohner der Wohnung war, begab sich noch während des Brandgeschehens aus der Wohnung auf den zugehörigen Balkon. Hiervon konnte sich die Kammer anhand von Videoaufnahmen überzeugen, die von dem Bewohner eines Nachbarhauses erstellt wurden und den Balkon der noch brennenden Wohnung sowie – auf diesem – eine eindeutig als der Angeklagte zu identifizierende Person zeigen. Dass sich neben dem Angeklagten eine weitere (lebende) Person in der Wohnung aufhielt, die als Täter in Betracht kommt, ist auszuschließen. Denn diese Person müsste, da nur der Angeklagte in der Wohnung festgenommen wurde, die Wohnung – mangels anderer Ausgänge – durch die Wohnungseingangstüre verlassen haben. Nach den Ausführungen des Sachverständigen NNN1 wäre dies wegen der dort unmittelbar nach der Brandlegung herrschenden hohen Temperaturen und des offenen Feuers jedoch nicht möglich gewesen. Jedenfalls hätte eine solche Person – ebenso wie der Nebenkläger NN4 – bei Verlassen der Wohnung schwerste Brandverletzungen erlitten, die ohne zeitnahe medizinische Hilfe zum Ableben geführt hätten. Aus dem Umstand, dass sich außer den Nebenklägern keine weitere brandverletzte Person in dem Gebäude oder in dessen Nähe befand, schlussfolgert die Kammer auf den Angeklagten als Täter. Hiermit stimmt überein, dass die Nebenklägerin NN3 den Täter als Person mit grauen längeren Haaren beschreiben konnte, was auf den Angeklagten – auch zum Tatzeitpunkt – zutrifft.
4538 e) Die Feststellungen zu der Menge der von dem Angeklagten auf die Nebenklägerin NN3 geschütteten Flüssigkeit hat der Sachverständige NNN1 nach Auswertung der Videoaufnahme und Durchführung entsprechender – unter Verwendung von Wasser unternommener – Versuche mit vier bis sechs Litern beschrieben, was der Kammer angesichts des deutlich sichtbaren Schwalls sowie der erheblichen Menge, die nach Auftreffen auf die Nebenklägerin NN3 von dieser abregnet ohne Weiteres plausibel erscheint.
4639 f) Dass es sich bei der Flüssigkeit um Vergaserkraftstoff handelte, wird nicht nur dadurch belegt, dass der Sachverständige NNN1 von einem entsprechenden, deutlich wahrnehmbaren Geruch im Bereich der Wohnungseingangstür berichtete. Der Sachverständige hat zusätzlich mit Hilfe eines Photoionisationsdetektors (Gerät zur Feststellung kohlewasserstoffhaltiger Substanzen) den Türbereich ausgemessen und dort, wo die Flüssigkeit auf die Nebenklägerin Falkenburg getroffen ist, sowie in dem angrenzenden Bereich des Laubengangs sehr hohe Werte von Kohlenwasserstoff – dem Hauptbestandteil von Vergaserkraftstoff – festgestellt. Eingedenk des Umstandes, dass sich der von der Flüssigkeit benetzte Bereich auch sofort entzündete, hat die Kammer daher – mit dem Sachverständigen NNN1 – keinen Zweifel daran, dass es sich bei der auf die Nebenklägerin NN3 ausgebrachten Flüssigkeit um Vergaserkraftstoff (Benzin) handelte. Hierfür spricht auch, dass sich nach den Ausfüh- rungen des Sachverständigen NNN1 in der Wohnung mehrere mit Vergaserkraftstoff gefüllte Kunststoffkanister befanden, dieser also für den Angeklagten in der Tatsituation verfügbar war.
4740 g) Die Feststellungen zu dem sich an die Inbrandsetzung anschließenden Geschehen (oben II2c) beruhen auf den Angaben der Nebenkläger sowie den Angaben des mit der Koordination der Rettungsmaßnahmen befassten Zeugen NN12 (Leiter der Feuerwehr Ratingen). Dass sich der Angeklagte nach der Tat auf den Balkon begab und den eingetroffenen Sondereinsatzkräften der Polizei den ausgestreckten Mittelfinger zeigte, ist durch die bereits unter III3d erwähnten Videoaufnahmen belegt.
4841 4. Die Feststellungen zu den körperlichen Folgen der Tat für die jeweiligen Nebenkläger (oben II3) beruhen auf den Ausführungen der rechtsmedizinischen Sachverständigen NNN4, Dr. NNN3, Dr. NNN6, Dr. NNN5 und Dr. NNN7. Diese haben sich – unter Darstellung des anhand der Krankenakten erhobenen Behandlungsverlaufs – zu der Art und dem Ausmaß der jeweils erlittenen Verletzungen geäußert und diese Verletzungen anhand hiervon gefertigter Lichtbilder erläutert. Auf Veranlassung der Kammer sind – mit Ausnahme der im Vergleich zu den anderen Nebenklägern körperlich deutlich leichter verletzten Nebenklägerin NN11 – sämtliche Nebenkläger vor der Hauptverhandlung erneut untersucht worden. Von den dabei ebenfalls durch Lichtbilder dokumentierten und noch sichtbaren Verletzungen – überwiegend Brandnarben – konnte sich die Kammer, soweit im bekleideten Zustand sichtbare Körperregionen betroffen waren, auch bei Vernehmung der Nebenkläger in der Hauptverhandlung ein Bild machen.
4942 Über ihre Verletzungen, den Behandlungsverlauf, die verbliebenen Schädigungen, die psychischen Folgen sowie die Auswirkungen der körperlichen und psychischen Beeinträchtigungen auf die Erwerbsfähigkeit haben zudem die jeweiligen Nebenkläger selbst in der Hauptverhandlung im Sinne der getroffenen Feststellungen berichtet.
5043 5. Die Feststellungen zu den weiteren Folgen des Brandgeschehens (oben II4) beruhen auf den Ausführungen des Sachverständigen Dr. NNN1, der die an der Wohnung und den angrenzenden Bereichen eingetretenen Schäden am Tattag sowie an weiteren Tagen in Augenschein genommen, fotographisch dokumentiert und aus brandsachverständiger Sicht bewertet hat. Der Sachverständige hat sich auch zu der konkreten Gefährlichkeit des Brandgesche- hens für andere – außerhalb der Wohnung und des Eingangsbereichs aufhäl- tige – Personen geäußert und die von der Kammer festgestellten Gefahren plausibel und nachvollziehbar beschrieben. Hinsichtlich der Nebenkläger NN8, NN9, NN10 und NN11 haben sich diese Gefahren – wie unter II3 festgestellt – auch in einem konkreten Verletzungsergebnis niedergeschlagen.
5144 6. Die Feststellungen zum subjektiven Tatbestand (oben II5) schlussfolgert die Kammer aus dem objektiven Geschehen.
5245 a) Dass der Angeklagte die Nebenkläger NN3, NN4, NN5, NN7 und NN6 zutreffend als Polizeibeamte und Feuerwehrleute erkannte (oben II5a), ergibt sich für die Kammer aus dem Umstand, dass sie jeweils aufgrund ihrer Uniformen (NN3 und NN4) bzw. ihrer Dienstkleidung (NN5, NN7 und NN6) deutlich als solche erkennbar waren. Nach ihren durch die Bodycam-Aufnahmen belegten Angaben hatten sich die Nebenkläger NN7 und NN5 zudem bereits längere Zeit – mindestens 30 Minuten – vor der Wohnungseingangstüre aufgehalten und waren dort unter anderem mit dem – einen erheblichen Lärm verursachenden – Entfernen der Türsprossen befasst. Schließlich hatten sich die Nebenkläger NN3 und NN4 auch schon zuvor beim Klopfen und Schellen an der Wohnungseingangstür in ihrer Funktion zu erkennen gegeben. Aufgrund dessen ist die Kammer sicher, dass der Angeklagte bereits vor Öffnen der Türe wusste, dass es sich bei den demnächst eintretenden sowie vor der Türe stehenden Personen um Polizeibeamte und Feuerwehrleute handelt.
5346 b) Dass der Angeklagte die Nebenkläger NN3 und NN4 durch die Brandlegung töten wollte (oben II5b), er insoweit also mit direktem Tötungsvorsatz handelte, schlussfolgert die Kammer aus der Art und Weise seines Vorgehens.
5447 (1) Wenn eine Person mit einer größeren Menge Vergaserkraftstoff überschüttet und kurz darauf in Brand gesetzt wird, muss auch derjenige, der nicht über chemische, physikalische oder medizinische Kenntnisse verfügt, damit rechnen, dass diese Person selbständig weiterbrennt und die äußerst naheliegende Wahrscheinlichkeit besteht, dass sie infolge der dabei entstehenden Brandverletzungen verstirbt. Dies gilt umso mehr, als die Nebenklägerin NN3 und ihre Begleiter in der konkreten Situation keinen kurzfristigen Zugriff auf effektiv wirkende Löschmittel hatten. Die Kammer ist sicher, dass sich der Angeklagte dieser äußerst naheliegenden Lebensgefährlichkeit seiner Handlung bewusst war. Dabei hat die Kammer in Rechnung gestellt, dass der Angeklagte lediglich eine Schule für Lernbehinderte besucht hat. Andererseits war der Angeklagte in der Lage, eine Ausbildung zum Maler und Lackierer abzuschließen, seinen 14 Monate dauernden Wehrdienst abzuleisten und anschließend über mehrere Jahre in dem erlernten Beruf tätig zu sein. Angesichts dessen schließt die Kammer aus, dass eine in der Schulausbildung zutage getretene Lernschwäche dem in einem Handwerksberuf ausgebildeten Angeklagten im Erwachsenenalter den Blick auf die besondere Gefährlichkeit seines Verhaltens und die naheliegende Folge eines tödlichen Ausgangs für die betroffenen Nebenkläger verstellt haben könnte.
5548 Dass der Angeklagte eine besonders große Menge des Kraftstoffs auf die Nebenklägerin geschüttet und diesen anschließend entzündet hat, führt die Kammer zu der weiteren Überzeugung, dass er ihr Ableben nicht nur als Möglichkeit in Rechnung gestellt hat, sondern dass er sie auch – im Sinne eines direkten Vorsatzes – töten wollte.
5649 (2) Die Kammer ist sich sicher, dass sich dieser – direkte – Tötungsvorsatz auch auf den Nebenkläger NN4 bezog. Hierfür spricht zum einen, dass der Angeklagte durch seine Handlung eine ganz erhebliche und von ihm erkannte Lebensgefahr auch für den Nebenkläger NN4 verursachte. Denn der Angeklagte setzte nicht nur die Nebenklägerin NN3 in Brand sondern auch den Bereich, in dem sie sich bei Auftreffen der Flüssigkeit befand, mithin den Bereich der Diele zwischen Wohnungstür und dem Eingang zu dem Badezimmer der Wohnung. Dort befand sich bei der Brandlegung der Nebenkläger NN4, so dass es äußerst fraglich war, ob dieser das Badezimmer überhaupt werde verlassen können. So ist auch auf der Bodycam-Aufnahme zu erkennen, dass bei Entzünden des Luft-Gasgemischs der hinter der Eingangstür gelegene Teil der Diele brennt und der Nebenkläger NN4 die Wohnung – gewissermaßen „in letzter Sekunde“ – verlässt, wozu er durch die Flammen hindurchtreten muss und wodurch er – wie oben (II3) festgestellt – ganz erhebliche und lebensgefährliche Brandverletzungen erlitt. Dass der Angeklagte den Nebenkläger NN4 und dessen Position im Badezimmer der Wohnung bemerkte, steht ebenfalls aufgrund der Bodycam-Aufnahme fest. Denn der Nebenkläger NN4 hatte dem Angeklagten bereits vor Abwerfen des brennenden Textilstücks, nämlich zeitgleich mit dem wenige Sekunden zuvor erfolgten Verschütten des Kraftstoffs, laut zugerufen, dass dieser sich hinlegen solle. Folglich hatte der Angeklagte bei Abwerfen des Textilstücks keine Zweifel, dass er hiermit auch den Nebenkläger NN4 der unmittelbaren Wirkung des entzündeten Feuers aussetzt. Hinzu kommt Folgendes: Der Angeklagte wollte die ihm bis dahin nicht bekannte Nebenklägerin NN3 – wie noch auszuführen sein wird – allein deshalb töten, weil sie als Polizeivollzugsbeamtin den ihm verhassten Staat repräsentierte. Diese Eigenschaft trifft jedoch in derselben Weise auf den – von dem Angeklagten ebenfalls als Polizeibeamten identifizierten – Nebenkläger NN4 zu, so dass die Motivlage insoweit identisch war. Dass und warum der Angeklagten hinsichtlich der Ausprägung seines Tötungswillens zwischen den beiden Nebenklägern NN3 und NN4 unterschieden haben könnte, ist nicht ersichtlich.
5750 c) Dass der Angeklagte auch den Verbrennungstod der sich unmittelbar hinter der Wohnungseingangstür aufhaltenden Nebenkläger NN5, NN7 und NN6 – zumindest – billigend in Kauf nahm (oben II5c), ergibt sich für die Kammer aus den folgenden Erwägungen: Der Angeklagte hatte die drei Nebenkläger bemerkt, da sie – nach Entfernen eines Teils der vor der Tür aufgestapelten Wasserkästen durch den Nebenkläger NN4 und die Nebenklägerin NN3 – in seinem Sichtfeld lagen. Dem Angeklagten war auch nicht entgangen, dass – wie auch durch die Bodycam-Aufnahme belegt – ein erheblicher Teil des in Richtung der Nebenklägerin NN3 geschütteten Vergaserkraftstoffs seinen Weg in den Laubengang unmittelbar vor der Wohnungseingangstüre gefunden hatte. Denn die Nebenklägerin NN3 stand bei Auftreffen des Flüssigkeitsschwalls – aus Sicht des Angeklagten – unmittelbar vor der Türschwelle, so dass die Teile des Schwalls, die nicht sie trafen, sondern an ihr vorbeigingen, erkennbar hinter sie in den Gang gelangten. Dass sich hieraus eine naheliegende Lebensgefahr für die dort stehenden Feuerwehrleute ergab, die mangels Löschmitteln keine Möglichkeiten zur effektiven Brandbekämpfung vor Ort hatten, hat zur Überzeugung der Kammer auch der Angeklagte erkannt. Aus dem Umstand, dass er diese Gefahr, die im Falle ihrer Realisierung ebenfalls die naheliegende Gefahr eines Todes durch Verbrennen mit sich brachte, gleichwohl verursachte, schlussfolgert die Kammer auf seine zumindest billigende Inkaufnahme des Ablebens auch dieser drei Nebenkläger.
5851 d) Das Bewusstsein des Angeklagten, den Nebenklägern NN3, NN4, NN5, NN7 und NN6 bis zum Eintritt des Verbrennungstodes ganz erhebliche Schmerzen und körperliche Qualen zuzufügen (oben II5d), hat die Kammer aus der allgemeinkundigen Tatsache hergeleitet, dass das Brennen von Körperteilen zu derartigen – besonders starken – Schmerzen führt. Dafür, dass der Angeklagte sich bei Begehung der Tat derlei nicht bewusstgemacht haben könnte, haben sich keine Anhaltspunkte ergeben. Dass der Angeklagte die Tat aus einer gefühl- und mitleidlosen Gesinnung heraus begangen hat, schlussfolgert die Kammer bereits aus dem Umstand der Tatbegehung in Kenntnis der besonders schmerzhaften Folgen für die Opfer (vgl. BGH Urteil vom 27. Mai 1982 – 4 StR 200/82 – NStZ 1982, 379). Es liegen auch keine Umstände in der Person des Angeklagten vor, die dieser Schlussfolgerung entgegenstehen könnten. Dem Umstand, dass er eine Schule für Lernbehinderte besuchte, kommt insoweit angesichts des weiteren Lebenswegs (erfolgreicher Abschluss einer handwerklichen Ausbildung, vollständiges Durchlaufen des Wehrdienstes) keine maßgebliche Bedeutung zu (siehe auch oben III6b).
5952 e) Dass der Angeklagte die Nebenkläger NN3 und NN4 an ihrer Gesundheit schädigen wollte bzw. eine solche Schädigung hinsichtlich der Nebenkläger NN5, NN7 und NN6 billigend in Kauf nahm (oben II5e), ergibt sich für die Kammer ohne Weiteres als naheliegende Folge der vorsätzlich begangenen Tathandlung.
6053 (1) Dass der Angeklagte hinsichtlich der Nebenkläger NN3, NN4, NN5 und NN6 die gesundheitlichen Folgen der Tat in Gestalt entstellender Narben hätte voraussehen können (oben II5e1), ergibt sich ebenfalls aus den allgemeinkundigen sowie auch für den medizinischen Laien naheliegenden Folgen von Brandeinwirkungen auf Personen. Dass er diese Folgen durch Nichtbegehung der Tat hätte vermeiden können, ist offensichtlich.
6154 (2) Dass dem Angeklagten die (ganz erhebliche) konkrete Lebensgefährlichkeit seiner Tat für die vorgenannten Nebenkläger sowie den Nebenkläger NN7 bewusst war (oben II5e2), ergibt sich aus seiner bereits unter III6b und III6c erörterten Kenntnis der Folgen seiner Tat für diese Nebenkläger.
6255 f) Dass sich der Angeklagte keine Gedanken über die Anwesenheit der Nebenkläger NN8, NN9, NN10 und NN11 gemacht hat (oben II5f), schlussfolgert die Kammer aus dem Inhalt der Bodycam-Aufnahmen. Diese belegen, dass sich die vorgenannten Nebenkläger nicht in den Bereich der Wohnungseingangstüre begeben haben. Sie blieben somit außerhalb des Sichtfeldes des Angeklagten. Dafür, dass der Angeklagte ansonsten mit der Anwesenheit dieser vier Nebenkläger in dem Laubengang gerechnet hätte, haben sich keine Anhaltspunkte ergeben. Indes hätte er bei gehöriger Anstrengung in Erwägung ziehen müssen und können, dass sich außer den Nebenklägern NN3, NN4, NN5, NN7 und NN6 noch weitere Personen in einem Bereich befinden, der durch das von ihm entfachte Feuer betroffen wird und dass diese Personen hierdurch körperliche Schäden erleiden. Solche Schäden hätte er durch bloßes Unterlassen der Brandlegung vermeiden können.
6356 g) Das Wissen des Angeklagten um die Gefahr der vollständigen Zerstörung der von ihm genutzten Wohnung sowie die billigende Inkaufnahme dieser Zerstörung (oben II5g) schlussfolgert die Kammer aus dem Umstand, dass dergleichen die naheliegende Folge der Inbrandsetzung einer großen Menge von Vergaserkraftstoff in einem geschlossenen Raum mit – wie hier – ungehinderter Luftzufuhr ist. Seine Kenntnis um die Nutzung des Gesamtgebäudes zu Wohnzwecken ergibt sich zwanglos aus dem Umstand, dass er dort seit Jahren lebte.
6457 h) Das unter II5h festgestellte Wissen des Angeklagten um die qualifizierte Gefährlichkeit des von ihm nicht mehr kontrollierbaren Brandgeschehens schlussfolgert die Kammer daraus, dass eine solche auch für den technisch nicht vorgebildeten Laien naheliegend war. Das nicht kontrollierbare Ausbreiten eines Brandes, der durch Entzünden einer größeren Menge Vergaserkraftstoff in einer Wohnung bzw. in einem Flur (Laubengang) mit kontinuierlicher Luftzufuhr gelegt wurde, auf andere Personen und Gebäudeteile – insbesondere andere Wohnungen – drängt sich als wahrscheinliche Folge geradezu auf. Der Angeklagte hatte auch keinen Anlass zu der Annahme, dass das Feuer ausschließlich im Bereich seiner Wohnung abbrennen würde, ohne auf andere Wohnungen oder Flure und Bewegungszonen überzugreifen. Im Gegenteil: Seine Wohnung war mit zahlreichen brennbaren Gegenständen – insbesondere Möbeln – ausgestattet, die dem Feuer ohne die von der Feuerwehr vorgenommenen Löschmaßnahmen weitere Nahrung gegeben hätten. Hinzu kommt, dass sich unmittelbar gegenüber der Tür zur Wohnung des Angeklagten die im Wesentlichen aus Glas bestehende Eingangstür einer Nachbarwohnung befand (siehe oben II1b und II4a).
6558 i) Auf das festgestellte Tatmotiv – Hass auf den Staat und die ihm eingegliederten kommunalen Körperschaften, Hass gegen die den Staat und die kommunalen Körperschaften repräsentierenden Institutionen sowie Hass auf die für diese Institutionen handelnden Personen (oben II5i) – schlussfolgert die Kammer aus dem Tatgeschehen in Verbindung mit dem sonstigen Verhalten des Angeklagten. Die Kammer ist überzeugt, dass der Angeklagte mit einem Erscheinen von Amtsträgern in seiner Wohnung gerechnet hat und bei dieser Gelegenheit seinem Hass auf diese durch die Tat Ausdruck verleihen wollte. Andere handlungsleitende Beweggründe schließt die Kammer aus.
6659 (1) Dass der Angeklagte mit dem Angriff auf die Nebenkläger irgendeinen legitimen Zweck verfolgte, ist auszuschließen. Insbesondere ist auszuschließen, dass der Angeklagte die Nebenkläger in der Annahme eines von ihm für sich in Anspruch genommenen Verteidigungsrechts angriff, weil er davon ausgegangen wäre, die Nebenkläger NN3 und NN4 seien rechtswidrig in seine Wohnung eingedrungen. Hiergegen spricht bereits, dass der Angeklagte die Nebenkläger als in Ausübung ihres Dienstes handelnde Polizeibeamte erkannte (oben II5a), die bereits zuvor unter Angabe ihrer Funktion auf sich aufmerksam gemacht und ihn zum Öffnen der Türe aufgefordert hatten (oben II2a). Hätte der Angeklagte angenommen, die Polizei- und Einsatzkräfte seien aus Rechtsgründen nicht befugt, seine Wohnung zu betreten, hätte für ihn nichts nähergelegen, als auf sich aufmerksam zu machen und sie – durch die verschlossene Tür – zum Verlassen der Örtlichkeit oder zu einer Beendigung ihres Vorhabens aufzufordern. Der Angeklagte wartete stattdessen das Öffnen der Türe sowie das Betreten der Wohnung durch die Nebenkläger NN4 und NN3 ab und griff die Nebenklägerin NN3 sodann ohne Vorankündigung mit direktem Tötungsvorsatz sowie unter willentlicher Verursachung erheblicher Schäden auch an seiner eigenen Wohnung an. Dies spricht deutlich dagegen, dass es ihm darauf ankam, die Nebenkläger in Verfolgung einer eigenen vermeintlichen Rechtsposition zu einem bestimmten von ihm gewünschten Verhalten zu veranlassen.
6760 (2) Die Kammer schließt auch aus, dass der Angeklagte mit der Tat der Festnahme zur Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe nach Nichtbegleichen der Geldstrafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Ratingen vom 5. August 2022 (oben I2a) entgehen wollte. Zwar war am 23. März 2023 ein entsprechender Vollstreckungshaftbefehl ergangen; dem Angeklagten war die Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe im Fall der Nichtzahlung auch schon angekündigt worden. Gleichwohl schließt die Kammer aus, dass für ihn bei Begehung der Tat der Wille handlungsleitend war, sich einer Inhaftierung zu entziehen. Denn es hätte für den Angeklagten in diesem Fall wesentlich nähergelegen, seine polizeibekannte Wohnanschrift zu verlassen und sich verborgen zu halten. Stattdessen hielt er sich – unter Anlegung von Nahrungsmittelvorräten – weiterhin in seiner Wohnung auf und demonstrierte seine Anwesenheit zudem durch das – auch von außen erkennbar aus deren Innenraum heraus erfolgte – Erschweren der Öffnungsmöglichkeit (Aufstapeln von Wasserkästen vor der Eingangstüre).
6861 (3) Dieses Verhalten interpretiert die Kammer gerade nicht im Sinne einer zweckgerichteten und auf die Vermeidung einer Verhaftung gerichteten Vorgehensweise. Sie zieht hieraus vielmehr den Schluss, dass der Angeklagte eine Konfrontation mit der die Staatsgewalt repräsentierenden Polizei erwartete und in diesem Fall eine gewaltsame Eskalation durch einen von ihm selbst vorgenommenen Angriff auf die an dem Einsatz beteiligten Beamten herbeiführen wollte. Hierfür spricht im Übrigen auch, dass er in der Wohnung fünf mit Vergaserkraftstoff befüllte Kunststoffkanister lagerte und damit – in größerer Menge – genau dasjenige später von ihm verwendete Tatmittel vorhielt. Dafür, dass er in der Wohnung den Kraftstoff – jedenfalls in der vorgehaltenen Menge – anderweitig hätte nutzen können und wollen, ist nichts ersichtlich.
6962 (4) Die vorgenannten Umstände sprechen mithin dafür, dass der Angeklagte sich in Erwartung einer Konfrontation mit der Polizei in seiner Wohnung aufhielt und diese Konfrontation bei Eintreffen der Nebenkläger NN3 und NN4 aktiv und mit massivem Gewalteinsatz begann, um so negative – gegen den Staat, die Kommunen, staatliche oder kommunale Behörden und für diese tätige Dienstträger gerichtete – Affekte abzureagieren.
7063 Dafür, dass sich ein solche – zum Hass gesteigerte – Affekte bei dem Angeklagten gebildet hatten, sprechen Geschehnisse im Vorfeld der Tat: So hatte der Angeklagte im Zeitraum zwischen dem 23. März 2022 und dem 14. Mai 2022 – mithin innerhalb von nur sieben Wochen – mit seinem Fahrzeug insgesamt 25 Geschwindigkeitsüberschreitungen begangen, für die er nicht nur mit entsprechenden Bußgeldern sondern auch jeweils mit einem Punkt im Fahreignungsregister belegt wurde. Sämtliche Verstöße erfolgten an derselben Geschwindigkeitsmessanlage in Heiligenhaus (einem Nachbarort von Ratingen), davon neun Verstöße an demselben Tag (30. April 2022). Hinsichtlich sämtlicher Ordnungswidrigkeiten trat die Rechtskraft zwischen dem 18. Juni 2022 und dem 26. Juli 2022 ein. Aufgrund dieses Verhaltens hatte der Kreis Mettmann ein Verfahren zur Entziehung der Fahrerlaubnis eingeleitet. Weiterhin drohte – neben der Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe (siehe oben) – auch die Stilllegung seines Kraftfahrzeugs, weil der Haftpflichtversicherungsschutz entfallen war.
7164 Für das Vorliegen einer zum Hass gesteigerten Ablehnung staatlicher Einrichtungen – namentlich der Polizei – spricht auch das Verhalten des Angeklagten unmittelbar nach der Tat: So ist auf den – bereits erwähnten (oben III3d) – aus einem Nachbarhaus heraus gefertigten Videoaufnahmen zu sehen, wie der auf dem Balkon der brennenden Wohnung stehende Angeklagte den auf dem Balkon einer Nachbarwohnung stehenden – aufgrund ihrer Uniformierung als solche deutlich erkennbaren – Sondereinsatzkräften der Polizei den ausgestreckten Mittelfinger präsentiert und so seine Missachtung kundtut. Auch in der Hauptverhandlung hat der Angeklagte – wenngleich in abgemilderter Form – seine Abneigung gegen staatliche Einrichtungen zum Ausdruck gebracht, indem er sich an allen Sitzungstagen trotz entsprechender Aufforderung durch die Wachtmeister weigerte, sich zu Beginn des Sitzungstages beim Einzug der Kammer zu erheben.
7265 Die genannten Umstände – Fehlen eines plausiblen Alternativmotivs, Herbeiführung der (äußerst) gewaltsamen Eskalation in Erwartung des Erscheinens der Polizeibeamten in seiner Wohnung, drohende Durchsetzung staatlicher Sanktionen als Folge eigener Regelverstöße, demonstrative Kundgabe der Missachtung staatlicher Einrichtungen und für sie handelnder Personen nach der Tat und in der Hauptverhandlung – verdichten sich für die Kammer im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung zu der Überzeugung, dass der Angeklagte die Tat aus Hass auf den Staat und die ihm eingegliederten kommunalen Körperschaften, Hass gegen die den Staat und die kommunalen Körperschaften repräsentierenden Institutionen sowie Hass auf die für diese Institutionen handelnden Personen begangen hat.
7366 (5) Dass dem Angeklagten seine Tatmotivation bewusst war und er auch wusste, dass er zu den Nebenklägern keine persönliche Verbindung hatte und er diese nur stellvertretend für den ihm verhassten Staat bzw. die ihm verhassten kommunalen Körperschaften angriff, ergibt sich für die Kammer aus dem objektiven Geschehensablauf. Der Angeklagte wusste aufgrund des von ihm zuvor verfolgten Geschehens vor der Türe, dass nach Öffnen der Tür zwei ihm unbekannte Polizeibeamte seine Wohnung betreten würden. Im Hinblick hierauf hatte er sich zur Umsetzung seines Tatplans vorbereitet und Kraftstoff in den Kunststoffeimer gefüllt. Diese Vorgehensweise in Kenntnis des kommenden Geschehens belegt, dass ihm auch die subjektiven Elemente seiner Tat – namentlich die diesen zugrundeliegenden Tatsachen – bewusst waren und er in Lage war, sie gedanklich zu beherrschen und zu steuern. Dieser Fähigkeit stand – wie im Zusammenhang mit der Erörterung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit noch auszuführen sein wird – auch keine auf einer affektiven Belastung beruhende Einengung seiner Wahrnehmungsfähigkeit entgegen. Denn der tatauslösende Hass entstand nicht kurzfristig aufgrund der Tatsituation, sondern war – wie ausgeführt – bereits zuvor vorhanden.
7467 j) Die Feststellungen zum Rücktrittshorizont des Angeklagten beruhen auf folgenden Erwägungen:
7568 (1) Angesichts des besonders massiven Brandgeschehens, das durch die große Menge des von dem Angeklagten ausgeschütteten Kraftstoffs ausgelöst wurde, ist die Kammer sicher, dass der Angeklagte davon ausging, die von ihm wahrgenommenen Nebenkläger NN3, NN4, NN5, NN7 und NN6 würden infolge des Angriffs versterben. Da ihm die Örtlichkeiten bekannt waren, hatte er auch keinen Grund zu der Annahme, dass es den Nebenklägern gelingen würde, auf dem über zehn Stockwerke durch das Treppenhaus zurückgelegten Weg ihre brennenden Körper bzw. ihre brennende Bekleidung zu löschen. Das Überleben der besonders schwer verletzten Nebenkläger NN3, NN4, NN5 und NN6 war letztlich auch nur auf die zeitnahe Verfügbarkeit von Krankentransportfahrzeugen (Rettungswagen und Rettungshubschraubern) und damit den zeitnahen Beginn der lebensrettenden Maßnahmen zurückzuführen. Diese wiederum beruhten auf der nach Dafürhalten der Kammer besonders effektiven Koordination der Maßnahmen durch die einsatzleitenden Beamten der Feuerwehr. Mit all diesen – letztlich lebensrettenden – Effekten konnte der Angeklagte nicht rechnen und hat er zur Überzeugung der Kammer auch nicht gerechnet. Dies führt die Kammer zu der Überzeugung, dass er nach der Tat von einem Ableben der zuvor genannten Nebenkläger ausging.
7669 (2) Unabhängig hiervon ist die Kammer auch überzeugt, dass der Angeklagte für sich selbst keine Möglichkeit mehr sah, den Nebenklägern nachzusetzen und weiter im Sinne der Umsetzung seines Tötungsvorsatzes auf sie einzuwirken. Denn das von ihm entzündete Feuer machte die Wohnungseingangstür für ihn unpassierbar. Möglichkeiten, die Nebenkläger aus der Wohnung heraus zu attackieren, hatte er nicht.
7770 7. Die Feststellungen zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Angeklagten hat die Kammer mit Hilfe des Sachverständigen Dr. NNN2 (Psychiater und Psychologe) getroffen. Der Sachverständige konnte den Angeklagten – mangels Mitwirkungsbereitschaft – zwar nicht außerhalb der Hauptverhandlung ex- plorieren. Er hat den Angeklagten jedoch während der Hauptverhandlung beobachten können; zudem hat er Erkenntnisse ausgewertet, die während des Vollzugs der Untersuchungshaft über den Angeklagten angefallen sind. Nach der von der Kammer in Anwendung eigener Sachkunde nachvollzogenen Einschätzung des Sachverständigen liegt bei dem Angeklagten keines der in § 20 StGB genannten Eingangsmerkmale vor. Eine eventuell bei dem Angeklagten in Betracht zu ziehende schizoide und dissoziale Persönlichkeitsakzentuierung wäre bereits nicht unter den Begriff der schweren anderen seelischen Störung zu subsumieren; im Übrigen wäre auch das Ausmaß einer durch eine solche Akzentuierung hervorgerufenen Verminderung der Steuerungsfähigkeit nicht von einer Art, die die Kammer als erheblich im Sinne von § 21 StGB bewerten würde.
7871 Im Einzelnen:
7972 (…)
8073 f) Die Kammer hat sich – gewissermaßen im Sinne einer „Hilfserwägung“ – die Frage gestellt, ob sie bei Vorliegen eines der in § 20 StGB genannten Eingangsmerkmale und im Falle von deren Einfluss auf die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten deren hierdurch veranlasste Verminderung als erheblich im Sinne von § 21 StGB bewertet hätte. Sie hat diese Frage verneint. Da bei der Beurteilung der Erheblichkeit einer Einschränkung der Steuerungsfähigkeit normative Gesichtspunkte einfließen, sind diejenigen Anforderungen zugrunde zu legen, die die Rechtsordnung an jedermann stellt. Diese Anforderungen sind umso höher, je schwerwiegender das in Rede stehende Delikt ist (vgl. BGH Beschluss vom 3. August 2004 – 1 StR 293/04 – NStZ-RR 2004, 329). Angesichts dessen hätte die Kammer im vorliegenden Fall die Erheblichkeitsschwelle auch bei Annahme eines Eingangsmerkmals nicht als erreicht angesehen.
81IV.
8274 Durch das festgestellte Verhalten hat sich der Angeklagte wie folgt strafbar gemacht:
8375 1. Der Angeklagte hat – unter Verwirklichung von drei Mordmerkmalen – versucht, die Nebenkläger NN3, NN4, NN5, NN7 und NN6 zu töten (§§ 211, 22 StGB).
8476 a) Er hat mit direktem (NN3 und NN4) bzw. bedingtem (NN5, NN7 und NN6) Vorsatz unmittelbar zur Tötung der Nebenkläger angesetzt.
8577 b) Er wollte die genannten Nebenkläger grausam töten. Grausam tötet, wer seinem Opfer in gefühlloser, unbarmherziger Gesinnung Schmerzen oder Qualen körperlicher oder seelischer Art zufügt, die nach Stärke oder Dauer über das für die Tötung erforderliche Maß hinausgehen (vgl. BGH Beschluss vom 21. Juni 2007 – 3 StR 180/07 – NStZ 2008, 29). Dies ist bei der Tötung durch Verbrennen eines Menschen regelmäßig der Fall (vgl. BGH Beschluss vom 8. November 2016 – 5 StR 390/16 – NStZ 2017, 218; Schneider in Münchener-Kommentar zum StGB, 4. Auflage, § 211 Rn. 136; BeckOK StGB/Eschelbach StGB § 211 Rn. 60.1; Rissing-van Saan/NN11 in LeipzigerKommentar zum StGB, 13. Auflage, § 211 Rn. 131; Safferling in Matt/Ren- zikowski, StGB, 2. Auflage, § 211 Rn. 56). Umstände, die vorliegend eine abweichende Beurteilung rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich: Sämtliche der fünf genannten Nebenkläger haben von ihrer Inbrandsetzung bis zu ihrer Sedierung im Rahmen der ärztlichen Versorgung schwerste Schmerzen erlitten. Diese Schmerzen waren auch Folge der eigentlichen Tötungshandlung (vgl. hierzu BGH Beschluss vom 21. Juni 2007 a.a.O.; Urteil vom 17. Mai 1990 – 1 StR 99/90 – NStZ 1990, 491; Schneider a.a.O. Rn. 140). Der Annahme einer grausamen Tötung steht in Ansehung der Nebenkläger NN5, NN7 und NN6 auch nicht entgegen, dass der Angeklagte hinsichtlich dieser lediglich mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt hat (vgl. BGH Urteil vom 11. Mai 1988 – 3 StR 89/99 – NStZ 1988, 454; Schneider a.a.O. Rn. 144). Soweit für den subjektiven Tatbestand einer grausamen Tötung ein Handeln aus einer gefühl- und mitleidlosen Gesinnung erforderlich ist (vgl. BGH Beschluss vom 13. März 2007 – 5 StR 320/06 – NStZ 2007, 402 [403]; kritisch hierzu: Schneider a.a.O. Rn. 145), ist auch diese Voraussetzung erfüllt (oben II5d und III6d).
8678 c) Der Angeklagte nahm die Tötungshandlung zudem mit einem gemeingefährlichen Mittel vor. Mit gemeingefährlichen Mitteln tötet derjenige, der ein Werkzeug einsetzt, das in der konkreten Tatsituation eine Mehrzahl von Menschen an Leib und Leben gefährden kann, weil der Täter die Ausdehnung der Gefahr nicht in unter Kontrolle hat (vgl. BGH Urteil vom 13. Februar 1985 – 3 StR 525/84 – NJW 1985, 1477 [1478]; Schneider a.a.O. Rn. 127). Dies ist bei der Verursachung eines Brandes in einem Mehrfamilienhaus jedenfalls dann der Fall, wenn dieser Brand – wie hier – geeignet ist, andere Bewohner oder sonstige Personen, die sich in dem Gebäude aufhalten, zu gefährden oder zu schädigen (vgl. BGH Beschluss vom 14. April 2020 – 5 StR 93/20 – NStZ 2020, 614 [615]; Urteil vom 1. September 1992 – 1 StR 487/92 – NStZ 1993, 136). Vorliegend ist ein solcher Schaden durch die Verletzung der Nebenkläger NN8, NN9, NN10 und NN11 sogar tatsächlich eingetreten. Dabei ist der Kammer bewusst, dass das Mordmerkmal nicht bereits bei (versuchten) Mehrfachtötungen erfüllt ist, also in Fällen, in denen sich der Vorsatz gegen eine be-
87stimmte Anzahl von dem Täter individualisierter Opfer richtet (vgl. BGH Beschluss vom 12. November 2019 – 2 StR 415/19 – NStZ 2020, 284). So war es hier jedoch in Ansehung der Nebenkläger NN8, NN9, NN10 und NN11 nicht, weil diese von dem Angeklagten bei der Tathandlung überhaupt nicht wahrgenommen worden waren und sich somit sein Vorsatz auch nicht gegen sie richtete (oben II5f). Dass der Angeklagte – möglicherweise – auch den Tod jener Nebenkläger billigend in Kauf genommen hätte, wenn ihm deren Anwesenheit bekannt gewesen wäre, hindert – als hypothetische Erwägung – die Annahme des Mordmerkmals nicht. Doch auch unabhängig hiervon ergab sich die von dem Angeklagten erkannte Gefahr für weitere Hausbewohner und Hausbesucher daraus, dass sich das Feuer – innerhalb und außerhalb der Wohnung – weiter ausbreitet, insbesondere auf andere Wohnungen übergreift, sowie Flucht- und Rettungswege abschneidet und schon hierdurch zu einer Gefährdung anderer
88– nicht von dem Angeklagten individualisierter – Personen führt. Schließlich ist mit einer Brandlegung in einem Gebäude nahezu immer – so auch hier – eine Gefährdung der mit den Löscharbeiten befassten Rettungskräfte verbunden (vgl. BGH Beschluss vom 14. April 2020 – 5 StR 93/20 – a.a.O.).
8979 d) Schließlich handelte der Angeklagte auch aus sonstigen niedrigen Beweggründen.
9080 Aus niedrigen Beweggründen handelt ein Täter, wenn sich die Motivation, die ihn zu seiner Tat geführt hat, nicht nur als verwerflich darstellt, sondern nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe steht und daher in deutlich weitreichenderem Maße als bei einem Totschlag, verachtenswert ist (BGH Urteil vom 13. Mai 2015 – 3 StR 460/14 – NStZ-RR 2015, 308 [309]). Maßstab für diese Beurteilung sind die in der Rechtsgemeinschaft als sittlich verbindlich anerkannten Anschauungen. Die Beurteilung der Frage, ob die Beweggründe für die Tat in deutlich weiterreichendem Maße als bei einem Totschlag als verachtenswert erscheinen, hat aufgrund einer Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren, insbesondere der Umstände der Tat, der Lebensverhältnisse des Täters und seiner Persönlichkeit zu erfolgen (BGH Urteil vom 22. März 2017 - 2 StR 656/13 – NStZ 2018, 527). Bei einer Tötung aus Wut, Ärger, Hass, Rache oder aus Eifersucht kommt es darauf an, ob diese Antriebsregungen ihrerseits auf einer niedrigen Gesinnung beruhen (vgl. BGH Beschluss vom 15. März 2003 – 3 StR 149/03 – NStZ 2004, 34; Urteil vom 25. Juli 2006 – 5 StR 97/06 – NStZ-RR 2006, 340; Urteil vom 1. März 2012 – 3 StR 425/11 – NStZ 2012, 691).
9181 Gemessen hieran bewertet die Kammer unter Ausübung des ihr zustehenden Beurteilungsspielraums (vgl. BGH Urteil vom 19. Juni 2008 – 4 StR 105/08 – NStZ-RR 2008, 308; Urteil vom 13. Februar 2007 – 5 StR 508/06 – NStZ 2007, 330 [331]; Urteil vom 9. September 2003 – 1 StR 153/03 – NStZ-RR 2004, 79 [80]) sämtliche für die Tatbegehung maßgeblichen äußeren und inneren Faktoren im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung als sittlich auf niedrigster Stufe stehend.
9282 (1) Dem Angeklagten waren die Nebenkläger NN3 und NN4 persönlich nicht bekannt. Er wusste, dass sie in der Tatsituation in pflichtgemäßer Ausübung ihres Dienstes handelten. Indem er, ohne ein weitergehendes Ziel zu verfolgen, allein deshalb zu ihrer Tötung ansetzte, weil sie den ihm verhassten Staat repräsentierten, machte er sie zu bloßen Objekten dieses Hasses. Er entkleidete sie ihrer Eigenschaft als Individuen und reduzierte sie auf ihre Funktion. Weil er „den Staat“ als solchen nicht angreifen konnte, versuchte er zwei für diesen Staat tätige Beamte zu töten, die mit dem Hass, den er empfand, selbst nicht das Geringste zu tun und hierfür keinerlei Ursache gesetzt hatten. Ein derartiges Tötungsmotiv, bei dem das dem Täter persönlich unbekannte Opfer als Repräsentant oder Stellvertreter einer dem Täter verhassten Gruppe angegangen wird, ist niedrig im Sinne von § 211 StGB (vgl. BGH Beschluss vom 10. Januar 2023 – AK 49/22 – Rn. 32; Beschluss vom 11. Juli 2003 – 2 StR 531/02 – NStZ 2004, 89 [90]; von Selle NJW 2000, 992 [996]; Schneider a.a.O. Rn. 88; Rissing-van Saan/NN11 a.a.O. Rn. 65; Fischer, StGB, 71. Auflage, § 211 Rn. 23).
9383 (2) Der Angeklagte handelte auch hinsichtlich der Nebenkläger NN5, NN7 und NN6 aus niedrigen Beweggründen. Dem steht nicht entgegen, dass der Angriff auf diese Nebenkläger lediglich mit bedingtem Vorsatz erfolgte (BGH Beschluss vom 11. Juni 1986 – 4 StR 275/86 – BGHR StGB § 211 Abs. 2 Niedrige Beweggründe 1). Im Übrigen erweist sich der Beweggrund für eine (versuchte) Tötung auch dann als niedrig, wenn jemand das Ableben eines anderen als bloße Nebenfolge eines seinerseits aus niedrigen Beweggründen gegenüber anderen Personen unternommenen Tötungsversuchs – gewissermaßen als „Kollateralschaden“ – billigend in Kauf nimmt. Denn auch in diesem Fall negiert der Täter den personalen Eigenwert des (weiteren) Opfers, indem er dessen Lebensrecht seinem niedrigen (Haupt-)Motiv unterordnet.
9484 e) Der Angeklagte ist nicht strafbefreiend von dem Mordversuch zurückgetreten. Zum einen handelt es sich um einen beendeten Versuch, so dass der Angeklagte gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 2. Alternative StGB nach der Tat Bemühungen zur Rettung seiner Opfer hätte entfalten müssen, um hinsichtlich des versuchten Tötungsdelikts in den Genuss von Straffreiheit zu gelangen. Dies hat er nicht getan. Zum anderen hätte er – angenommen, er hätte aus seiner Sicht noch nicht alles zur Herbeiführung des tatbestandlichen Erfolges Erforderliche getan – auch keinerlei Möglichkeit mehr gehabt, seinen Opfern nachzusetzen und weitere Handlungen gegen diese zu vorzunehmen.
9585 2. Hinsichtlich der Nebenkläger NN3, NN4, NN5 und NN6 hat der Angeklagte den Tatbestand der schweren Körperverletzung erfüllt, da diese Nebenkläger durch die Tat dauerhaft in erheblicher Weise entstellt worden sind (§ 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB). Eine erhebliche Entstellung ist anzunehmen, wenn die Gesamterscheinung der betroffenen Person als Folge der Körperverletzung wesentlich beeinträchtigt ist (vgl. BGH Urteil vom 8. November 1966 – 1 StR 450/66 – NJW 1967, 297). Ob die Beeinträchtigung wesentlich ist, ist Tatfrage (vgl. BGH a.a.O.), die in wertender Betrachtung anhand eines objektiven Maßstabs zu beantworten ist, der sich an den sonstigen in § 226 Abs. 1 StGB aufgeführten schweren Folgen zu orientieren hat (vgl. BGH Beschluss vom 11. Juli 2006 – 3 StR 183/06 – NStZ 2006, 686; Beschluss vom 2. Mai 2007 – 3 StR 126/07 – BGHR StGB § 226 Abs. 1 Entstellung 1). In die Betrachtung ist einzubeziehen, ob und in welchem Umfang die äußerlich sichtbaren Verletzungsfolgen im sozialen Umgang auffallen und hierauf bezogene emotionale Reaktionen anderer Menschen hervorrufen (vgl. Grünewald in Leipziger-Kommentar zum StGB, 13. Auflage, § 226 Rn. 18; Hardtung in Münchener-Kommentar zum StGB, 4. Auflage, § 226 Rn. 31).
9686 Vor diesem Hintergrund gilt hinsichtlich der einzelnen Nebenkläger Folgendes:
9787 a) Die Nebenklägerin NN3 ist bereits anhand ihrer deutlich sichtbaren Narben im gesamten Gesicht und am gesamten Hals erheblich entstellt.
9888 b) Auch die Narben, die bei dem Nebenkläger NN4 im Gesicht zurückgeblieben sind, erfüllen die Voraussetzungen einer erheblichen Entstellung. Im Bereich der Stirn und auf dem Nasenrücken finden sich deutlich sichtbare Hautveränderungen in Form flächiger Narben, deren Sichtbarkeit noch durch die – ebenfalls auf die Brandeinwirkung zurückzuführenden – Rötungen erhöht wird. Auch der Angeklagte NN4 ist ohne Weiteres als Brandverletzter erkennbar, was in der persönlichen Begegnung in der Hauptverhandlung nochmals wesentlich deutlicher wurde als auf den oben (II3) in Bezug genommenen Fotografien. Insbesondere wird dort deutlich, dass die Oberflächenstruktur der Gesichtshaut unnatürliche Unterschiede aufweist und – als Folge der Brandeinwirkung – teilweise glänzend und teilweise matt ist.
9989 Weiterhin erfüllen auch die großflächigen Vernarbungen und farblichen Veränderungen im Bereich der Beine und – als Folge der medizinisch erforderlichen Entnahme von Hautarealen zu Transplantationszwecken (Spalthautentnahme) – des Rückens die Voraussetzungen einer erheblichen Entstellung, da diese ohne Weiteres sofort sichtbar sind und als verletzungsbedingte Abweichungen vom Normalzustand auffallen. Dass diese Körperbereiche im vollbekleideten Zustand nicht sichtbar sind, ist für die Einordnung als erhebliche Entstellung ohne Belang. Denn es reicht aus, dass sie jedenfalls in bestimmten Lebenssituationen – beispielsweise bei sportlicher Betätigung, beim Schwimmen oder beim Tragen kurzer Hosen – als solche erkannt werden (vgl. Grünewald in Leipziger-Kommentar zum StGB, 13. Auflage, § 226 Rn. 19).
10090 c) Bei dem Nebenkläger NN5 ergibt sich erhebliche Entstellung zunächst aus den flächigen Vernarbungen im Gesicht, die sich ebenfalls durch eine deutlich erkennbare Veränderung der Oberflächenstruktur der Haut mit teilweisen farblichen Veränderungen auszeichnen. Hinzu kommen wulstige Vernarbungen im Bereich der gesamten Nase sowie – teils als Folge der Entnahme von Spalthaut – großflächige Vernarbungen im Bereich der Beine mit auffälligen farblichen Veränderungen.
10191 d) Auch bei dem Nebenkläger NN6 finden sich als Folge der Verletzung im Bereich der Stirn deutlich sichtbare Veränderungen der Oberflächenstruktur der Haut. Diese fielen im Rahmen der persönlichen Begegnung in der Hauptverhandlung wesentlich deutlicher auf, als es auf den Lichtbildern den Anschein hat. Gleiches gilt für die ebenfalls verletzungsbedingte Veränderung der linken Ohrmuschel, deren Rand im Vergleich zu der rechten Ohrmuschel unnatürlich „ausgefranst“ wirkt. Schließlich kommen bei dem Nebenkläger NN6 großflächige Vernarbungen mit deutlich sichtbaren farblichen Veränderungen im Bereich im Bereich der rechten Bauchflanke hinzu.
10292 e) Bei sämtlichen Nebenklägern werden die sichtbaren Verletzungen dauerhaft sein, da nach Dafürhalten der Sachverständigen nicht erwartet werden kann, dass weitere ästhetisch-chirurgische Eingriffe wesentliche Verbesserungen erbringen.
10393 f) Die vorgenannten Verletzungsfolgen sind dem Angeklagten als Folge der Verletzungshandlung zurechenbar, da er jedenfalls mit dem Zurückbleiben erheblicher Narben und Hautveränderungen als Folge der Brandverletzungen rechnen und diese durch Unterlassen der Tat vermeiden konnte. Die strafrechtliche Zurechenbarkeit der Verletzungsfolgen gilt auch, soweit bei den genannten Nebenklägern sichtbare Narben durch die Entnahme von Spalthaut zurückgeblieben sind. Denn der Angeklagte hätte voraussehen können, dass zur Vermeidung schwererer Folgen der verursachten Brandverletzungen Hauttransplantationen mit der Folge von Narbenbildung an anderen Körperregionen vorzunehmen waren.
10494 3. Hinsichtlich der Nebenkläger NN3, NN4, NN5, NN7 und NN6 hat der Angeklagte auch den Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung – begangen durch eine das Leben gefährdende Behandlung (§ 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB) – erfüllt. Denn der gegen diese Personen gerichtete Einsatz von Feuer war offensichtlich geeignet, ihren Tod herbeizuführen, was der Angeklagte – wie oben (II5e2) festgestellt – auch wusste.
10595 4. Hinsichtlich der Nebenkläger NN8, NN9, NN10 und NN11 hat sich der Angeklagte der fahrlässigen Körperverletzung (§ 229 StGB) schuldig gemacht. Er hätte deren körperliche Beeinträchtigung und die Verursachung von Schmerzen als Folge der Brandlegung voraussehen und durch deren Unterlassung vermeiden können.
10696 5. Schließlich hat sich der Angeklagte auch der besonders schweren Brandstiftung nach § 306b Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 StGB schuldig gemacht. Er hat ein der Wohnung von Menschen dienendes Gebäude durch eine Brandlegung teilweise zerstört. Die von ihm bewohnten Räume waren infolge des Brandes – insbesondere durch flächige Verteilung von Rauchgaskondensat in allen Räumen (vgl. BGH Beschluss vom 14. Dezember 2000 – 3 StR 414/00 – NStZ 2001, 252) – bis zu einer umfassenden Instandsetzung und damit für längere Zeit nicht mehr bewohnbar (vgl. BGH Urteil vom 12. September 2002 – 4 StR 165/02 – NStZ 2003, 204). Hierdurch hat er zumindest fahrlässig (vgl. Radtke in Münchener-Kommentar zum StGB, 4. Auflage, § 306b Rn. 3) auch schwere Gesundheitsschädigungen anderer Menschen – namentlich der Nebenkläger NN3, NN4, NN5 und NN6 – verursacht sowie vorsätzlich (vgl. Radtke a.a.O.) andere Menschen – insbesondere die Nebenklägerin NN3 – in die Gefahr des Todes gebracht.
10797 6. Der Angeklagte handelte rechtswidrig und schuldhaft. Eine Rechtfertigung
108ergibt sich insbesondere nicht unter dem Gesichtspunkt der Notwehr (§ 32 StGB). Abgesehen davon, dass der Angeklagte schon nicht mit Verteidigungswillen handelte (oben II5i und III6i1), bestand auch keine Notwehrlage; das Handeln der Nebenkläger war rechtmäßig. Die Nebenkläger NN3 und NN4 konnten aufgrund des aus der Wohnung dringenden Verwesungsgeruchs sowie des Ausbleibens jeder Reaktion auf ihre Versuche, sich durch Klingeln und Rufen bemerkbar zu machen, davon ausgehen – und sind auch davon ausgegangen (oben II2a) –, dass sich in der Wohnung keine lebenden Personen mehr aufhalten. Für sie bestand vielmehr Grund zu der Annahme, die Wohnungsinhaber seien verstorben und ihre Leichname befänden sich seit längerer Zeit in der Wohnung. Damit oblag es Ihnen gemäß § 8 Abs. 1 PolG NRW, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um den Sachverhalt weiter aufzuklären und so der Ordnungsbehörde eine Entscheidung über die Bestattung bzw. deren Ersatzvornahme (§ 8 Abs. 1 BestG NRW) zu ermöglichen. Im Übrigen waren sie auch gemäß §§ 163 Abs. 1 Satz 1 StPO gehalten, dem – hier naheliegenden – Verdacht nachzugehen, dass der mutmaßliche Tod der Wohnungsinhaber auf einer nicht natürlichen Ursache beruht, um so die Erforderlichkeit weitergehender Ermittlungen beurteilen zu können (zur Pflicht der Polizei, einen Leichnam zu sichern, siehe: Weingarten in Karlsruher-Kommentar zur StPO, 9. Auflage, § 159 Rn. 7). Die Nebenkläger waren daher befugt, die Wohnung – unter Heranziehung der Einsatzkräfte der Feuerwehr im Wege der Amtshilfe (§ 4 Abs. 1 VwVfG NRW) – öffnen zu lassen und diese zu betreten, um sich so zu vergewissern, ob der Verdacht begründet ist und die Leichname der Wohnungsinhaber gemäß § 94 Abs. 1 StPO in Verwahrung zu nehmen bzw. gemäß den §§ 8 Abs. 1, 43 Nr. 1 PolG NRW, § 8 Abs. 1 BestG NRW sicherzustellen sind. Einer richterlichen Anordnung (vgl. § 42 Abs. 1 Satz 1 PolG NRW) bedurften sie hierfür nicht, da sich die Maßnahme auf das Betreten der Wohnung beschränken konnte und deren Durchsuchung zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts nicht erforderlich war. Für ein bloßes Betreten der Wohnung war keine richterliche Anordnung erforderlich (vgl. BVerwG Urteil vom 6. September 1974 – I C 17/73 – NJW 1975, 130; BeckOK PolR NRW/Braun PolG NRW § 41 Rn. 41 jeweils auch zur Abgrenzung zwischen Betreten und Durchsuchen). Im Übrigen bedurfte es auch deshalb keiner richterlichen Anordnung, weil die Nebenkläger NN3 und NN4 jedenfalls im Sinne einer polizeirechtlichen Anscheinsgefahr (vgl. BVerwG Urteil vom 26. Februar 1974 – I C 31/72 – NJW 1974, 807) davon ausgehen konnten, dass das Hausrecht an der Wohnung – mangels noch lebender Wohnungsinhaber (vgl. Stern,
109Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band III/1 Seite 1045 zum Ende der Grundrechtsberechtigung mit dem Tod des Grundrechtsträgers) – nicht ausgeübt wird, so dass eine fehlende oder verweigerte Zustimmung des Hausrechtsinhabers nicht durch eine richterliche Entscheidung ersetzt werden musste.
11098 7. Der Angeklagte hat sämtliche Tatbestände durch eine Handlung und damit tateinheitlich (§ 52 Abs. 1 StGB) verwirklicht. Die – in der Qualifikationsform des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB begangene – gefährliche Körperverletzung tritt auch hinsichtlich der Nebenkläger NN3, NN4, NN5 und NN6 nicht hinter die zu deren Nachteil begangene schwere Körperverletzung zurück (vgl. BGH Beschluss vom 21. Oktober 2008 – 3 StR 408/08 – NStZ 2009, 572). Auch soweit der Angeklagten die besonders schwere Brandstiftung in den Begehungsformen beider Absätze der § 306b StGB verübt hat, liegt Tateinheit vor (vgl. Radtke a.a.O. Rn. 43; Valerius in Leipziger-Kommentar zum StGB, 13. Auflage, § 306b Rn. 46; BeckOK StGB/von Heintschel-Heinegg/Kudlich StGB § 306b Rn. 37), was jedoch in der Urteilsformel mangels eigenständiger Tatbezeichnungen nicht zum Ausdruck gebracht werden kann.
11199 8. Die Kammer hat im Rahmen des ihr durch § 260 Abs. 4 Satz 5 StPO eingeräumten Ermessens aus Gründen der Verständlichkeit davon abgesehen, in der Urteilsformel zum Ausdruck zu bringen, in wie vielen Fällen der Angeklagte einzelne Tatbestände zum Nachteil mehrerer Nebenkläger verwirklicht hat (vgl. BGH Urteil vom 27. Juni 1996 – 4 StR 166/96 – NStZ 1996, 493; Beschluss vom 15. Juli 1999 – 4 StR 192/99 – NStZ 2000, 30; Beschluss vom 24. November 2010 – 2 StR 519/10 – NStZ-RR 2011, 111; Beschluss vom 24. September 2018 – 5 StR 365/18 –; Tiemann in Karlsruher-Kommentar zur StPO, 9. Auflage, § 260 Rn. 34); sie fasst die Tatbestände und die jeweils betroffenen Nebenkläger jedoch an dieser Stelle nochmals zusammen:
112Tatbestand |
Norm |
betroffene Rechtsgutträger |
versuchter Mord |
§§ 211, 22, 23 StGB |
NN3, NN4, NN5, NN7, NN6 |
schwere Körperverletzung |
§ 226 Abs. 1 StGB |
NN3, NN4, NN5, NN6 |
gefährliche Körperverletzung |
§ 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB |
NN3, NN4, NN5, NN7, NN6 |
fahrlässige Körperverletzung |
§ 229 StGB |
NN8, NN9, NN10, NN11 |
besonders schwere Brandstiftung |
§ 306b Abs. 1, Abs. 2 StGB |
V.
114100 1. Ausgangspunkt für die Festlegung der gegen den Angeklagten zu verhängenden Strafe war die in § 211 StGB als Rechtsfolge angeordnete lebenslange Freiheitsstrafe.
115101 a) Die Kammer hat zunächst geprüft, ob von der in § 23 Abs. 2 StGB vorgesehenen Möglichkeit einer Milderung dieser Rechtsfolge Gebrauch zu machen ist. Dabei hat die Kammer eine Gesamtbetrachtung der Persönlichkeit des Angeklagten sowie der Tatumstände vorgenommen (vgl. BGH Urteil vom 15. Juni 2004 – 1 StR 39/04 – NStZ 2004, 620), hierbei jedoch im Hinblick auf § 46 Abs. 3 StGB diejenigen Umstände außer Betracht gelassen, die zu Lasten des Angeklagten bereits zur Begründung von Mordmerkmalen herangezogen wurden.
116102 Für eine Strafmilderung sprach, dass der Angeklagte nur mäßig vorbestraft ist und bis zum Jahr 2022 vollständig straffrei lebte. Auch hat die Kammer zu seinen Gunsten berücksichtigt, dass die ausgeurteilten Schmerzensgeldansprüche eine sanktionsähnliche Wirkung haben. Gegen eine Milderung sprachen die sogenannten Vollendungsnähe hinsichtlich der Nebenklägerin NN3 (vgl. BGH Beschluss vom 5. Juli 2010 – 5 StR 84/10 – NStZ –RR 2010, 305; Beschluss vom 6. November 2002 – 5 StR 361/02 – NStZ-RR 2003, 72; Urteil vom 15. Februar 1995 – 2 StR 482/94 – NStZ 1995, 285) sowie die gesundheitlichen Folgen, die diese Nebenklägerin aufgrund der Tat treffen. Die Überlebensprognose der Nebenklägerin NN3 war unmittelbar nach der Tat äußerst schlecht. Der insoweit sachkundige Zeuge NN10, der der Nebenklägerin nach der Tat im Rahmen seiner Möglichkeiten ärztliche Hilfe geleistet hat, hat in der Hauptverhandlung angegeben, dass er angesichts des erkennbaren Ausmaßes – es waren mindestens 70 % der Körperoberfläche betroffen – und der Schwere der Verbrennungsverletzungen von einem kurzfristigen Versterben der Nebenklägerin ausgegangen sei. Auch aus dem Gutachten der Sachverständigen Dr. NNN3 ergibt sich, dass noch Wochen nach der Tat aus ärztlicher Sicht viel für ein Ableben der Nebenklägerin NN3 sprach. Auch die oben (II3) festgestellten ganz erheblichen Verletzungsfolgen der Nebenklägerin NN3 fallen bei der Entscheidung über den Strafrahmen ins Gewicht. Insbesondere die aufgrund der flächigen Verbrennungen starke Narbenbildung an zahlreichen deutlich sichtbaren Körperregionen, die die Nebenklägerin im Alltag stark einschränken, lassen das durch den Angeklagten verwirklichten Unrecht als besonders hoch erscheinen. Schließlich spricht gegen den Angeklagten auch die besondere – im Rahmen des durch § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB erfassten Verhaltens am oberen Ende der Skala anzusiedelnde – Gefährlichkeit der Tathandlung.
117103 Im Rahmen der gebotenen Gesamtschau hat die Kammer die genannten Umstände erneut gewichtet und gegeneinander abgewogen. Dabei war sie sich bewusst, dass von dem Ergebnis dieses Abwägungsvorgangs abhing, ob gegen den Angeklagten mit der lebenslangen Freiheitsstrafe eine Rechtsfolge zu verhängen wäre, die als absolute Strafe einer eigentlichen Bemessung im Erkenntnisverfahren nur noch in sehr eingeschränktem Maße und zudem nur noch zu seinen Lasten (vgl. § 57a Abs. 1 Nr. 2 StGB) zugänglich ist und die ihn daher auch angesichts seines bereits relativ fortgeschrittenen Lebensalters besonders belastet (vgl. BGH Urteil vom 22. September 1993 – 3 StR 430/93 – BGHR StGB § 23 Abs. 2 Strafrahmenverschiebung 12). Gleichwohl ist die Kammer aufgrund der genannten Umstände zu dem Ergebnis gelangt, dass eine Milderung des Strafrahmens der sich hieraus ergebenden Schuld nicht gerecht würde. Sie hat deshalb hiervon abgesehen und gegen den Angeklagte eine
118lebenslange Freiheitsstrafe
119104 verhängt.
120105 b) Besondere Umstände, die die Verhängung dieser Strafe als unangemessen und verfassungsrechtlich bedenklich erscheinen lassen könnten (vgl. BGH Beschluss vom 19. Mai 1981 – GSSt 1//81 – NStZ 1981, 344), liegen nicht vor.
121106 c) Im Gegenteil liegen Umstände vor, die nach Dafürhalten der Kammer die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld (§ 57a Abs. 1 Nr. 2 StGB) gebieten. Zu diesem Ergebnis ist die Kammer aufgrund einer (weiteren) Gesamtwürdigung der strafzumessungsrelevanten Umstände gelangt.
122107 (1) Allerdings hat die Kammer gemäß § 46 Abs. 3 StGB auch insoweit wieder darauf geachtet, zu Lasten des Angeklagten keine Umstände einzubeziehen, die bereits zur Begründung von Mordmerkmalen herangezogen wurden (vgl. BGH Beschluss vom 20. August 1996 – 4 StR 361/96 – a.a.O.).
123108 (2) Auch hat die Kammer aus denselben Gründen diejenigen Umstände nicht zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt, die bereits für die Strafrahmenwahl von Bedeutung waren (vgl. BGH Beschluss vom 13. April 2010 – 5 StR 113/10 – NStZ 2010, 512; Beschluss vom 17. Februar 2016 – 1 StR 12/16 – NStZ-RR 2016, 136; Beschluss vom 12. April 2016 – 5 StR 102/16 – NStZ-RR 2016, 242 StraFO 2016, 422; Heger/Petzsche in Matt/Renzikowski, StGB, 2. Auflage, § 23 Rn. 21; Murmann in Leipziger-Kommentar zum StGB, 13. Auflage, § 23 Rn. 48; anders bei der Prüfung eines im Gesetz vorgesehenen minder schweren Falles: BGH Beschluss vom 5. Mai 2021 – 3 StR 107/21 –).
124109 (3) Bei der Entscheidung über die Frage der besonderen Schuldschwere hat die Kamer erneut berücksichtigt, dass der Angeklagte nur mäßig vorbestraft ist, bis zum Jahr 2022 vollständig straffrei lebte und auch durch die ausgeurteilten Schmerzensgeldansprüche sanktionsähnlich betroffen ist. Weiterhin hat die Kammer zu seinen Gunsten berücksichtigt, dass es hinsichtlich des versuchten Tötungsdelikts nur beim Versuch geblieben ist und dass ihn eine Feststellung der besonderen Schuldschwere angesichts seines relativ fortgeschrittenen Lebensalters relativ empfindlicher treffen würde. Gegen den Angeklagten sprach jedoch, dass er auch den Nebenkläger NN4 töten wollte, die Tötung der Nebenkläger NN5, NN7 und NN6 billigend in Kauf nahm und dass er auch diesen Nebenklägern vorsätzlich erhebliche Verletzungen zufügte, die hinsichtlich der Nebenkläger NN4, NN5 und NN6 dauerhafte körperliche Folgen nach sich ziehen. Gegen den Angeklagten spricht weiterhin, dass er zusätzlich den Tatbestand der besonders schweren Brandstiftung verwirklicht hat. Insoweit hat die Kammer indes bedacht, dass das nach beiden Absätzen des § 306b Abs. 1 StGB verwirklichte Erfolgsunrecht, soweit die Verletzung (Abs. 1) und Gefährdung (Abs. 2) anderer Personen in Rede steht, bereits von anderen hier ausgeurteilten Tatbeständen erfasst wird.
125110 Zusammenfassend kann gesagt werden, dass der Angeklagte, obwohl alle Nebenkläger die Tat überlebt haben, in das Leben von acht weiteren Menschen – in vier Fällen vorsätzlich und in vier Fällen fahrlässig – mit erheblichen nachteiligen Folgen eingegriffen hat. Die Kammer konnte sich in der Hauptverhandlung selbst ein Bild davon machen, wie sehr diese Nebenkläger immer noch unter dem Eindruck des Geschehens stehen.
126111 Unter zusammenfassender Würdigung der vorgenannten Gesichtspunkte kommt die Kammer zu dem Ergebnis, dass erheblich schulderhöhende Umstände vorliegen, die eine Aussetzung der Vollstreckung der lebenslangen Freiheitsstrafe nach Ablauf von 15 Jahren als unangemessen erscheinen lassen, so dass die Kammer die
127besondere Schwere der Schuld
128112 festgestellt hat.
129VI.
130113 Die Kammer hat auf die – zulässigen – Adhäsionsanträge der Nebenkläger NN10 und NN11 wie aus der Urteilsformel ersichtlich erkannt. Beiden Nebenklägern steht der zugesprochene Schmerzensgeldanspruch aus den §§ 823 Abs. 1, Abs. 2, 249 Abs. 1, 253 Abs. 2 BGB i. V. m. § 229 StGB zu.
131114 1a) Für die Bemessung des dem Nebenkläger NN10 zuerkannten Anspruchs gilt Folgendes: Der Nebenkläger hat aufgrund der Tat erhebliche Schmerzen erlitten und psychische Belastungen davongetragen. Er war mehrere Monate arbeitsunfähig und musste während dieser Zeit aufgrund der noch nicht ausgeheilten Verletzungen an seinen Händen in der Unsicherheit leben, nicht zu wissen, ob er seinem Beruf als Chirurg wieder werde nachgehen können.
132115 Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes hat die Kammer zum einen die dem Anspruch gem. § 253 BGB vorrangig zukommende Ausgleichsfunktion berücksichtigt und hierbei das konkrete Schadensbild (oben II3h) zugrunde gelegt. Zum anderen ist bei der Bemessung berücksichtigt worden, dass dem Anspruch auch eine Genugtuungsfunktion zukommt, die das Verschulden des Angeklagten als Zumessungskriterium einbezieht (vgl. BGH Urteil vom 6. Dezember 1960 – VI ZR 73/60 – VersR 1961, 164). Dieses bewertet die Kammer als besonders hoch, da die schadensstiftende Handlung – obgleich der Nebenkläger NN10 selbst nicht vorsätzlich verletzt wurde – auf eine vorsätzliche Schädigung anderer Personen abzielte. Dieses vorsätzliche Handeln des Angeklagten, das sich durch eine lebensverachtende Haltung gegenüber den Nebenklägern NN3, NN4, NN5, NN7 und NN6 auszeichnete, traf auch den Nebenkläger NN10 unmittelbar körperlich und verletzte ihn beträchtlich.
133116 Die Kammer bemisst den Schmerzendgeldanspruch des Nebenklägers NN10 unter zusammenfassender Würdigung der vorstehend dargestellten Gesichtspunkte mit 50.000,00 €.
134117 b) Der ausgeurteilte Zinsanspruch ergibt sich aus den §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB. Der Adhäsionsantrag wurde dem Angeklagten am 28. November 2023 zugestellt.
135118 c) Der ebenfalls zulässige Antrag des Nebenklägers auf Feststellung weiterer immaterieller Ersatzpflicht des Angeklagten ist begründet. Die psychotherapeutische Behandlung des Nebenklägers NN10 ist noch nicht abgeschlossen.
136Daher dürfte auch die fortwährende Einsatzfähigkeit in seinem Beruf erst nach Beendigung der Behandlung abschließend zu beurteilen sein. Außerdem ergibt sich ein Feststellungsinteresse (§ 256 ZPO) aufgrund seines durch die Tatfolgen erhöhten Risikos, im Bereich der verletzten Hautareale an Hautkrebs zu erkranken.
137119 d) Von der Entscheidung über den weitergehenden Feststellungsantrag hat die Kammer abgesehen (vgl. BGH Urteil vom 21. Juni 2007 – IX ZR 29/06 – NJW 2007, 2854).
138120 2a) Für die Bemessung des der Nebenklägerin NN11 zuerkannten Schmerzensgeldanspruchs ist die Kammer von den oben (II3i) festgestellten, ihr zugefügten körperlichen Verletzungen und psychischen Belastungen sowie dem spezifischen Verschulden des Angeklagten (oben VI1a) ausgegangen. Auf dieser Grundlage hat die Kammer den der Nebenklägerin NN11 zustehenden Schmerzensgeldanspruch mit 5.000,00 € bemessen. Soweit dieser Anspruch deutlich niedriger ist als der Anspruch, den die Kammer dem Nebenkläger NN10 zuerkannt hat, ist dies darauf zurückzuführen, dass die körperlichen Verletzungen des Nebenklägers NN10 deutlich stärker waren: So waren bei ihm 14 % der Körperoberfläche von den Hitzeeinwirkungen betroffen; auch musste er mehrere Tage lang intensivmedizinisch behandelt – insbesondere sediert und intubiert – werden.
139121 b) Der zugunsten der Nebenklägerin NN11 ausgeurteilte Zinsanspruch ergibt sich ebenfalls aus den §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB. Der Adhäsionsantrag wurde von dem Verteidiger am 11. Dezember 2023 als zugestellt entgegengenommen.
140VII.
141Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 465 Abs. 1, 472 Abs. 1 Satz 1, 472a Abs. 1 StPO. Da sich die Nebenkläger NN8, NN9, NN10 und NN11 der öffentlichen Klage im Hinblick auf die Folgen der Tat auch gemäß § 395 Abs. 3 StPO hätten anschließen können, hat der Angeklagte auch deren Auslagen zu erstatten. Die Anordnung der vorläufigen Vollstreckbarkeit hinsichtlich der ausgeurteilten Zahlungsaussprüche beruht auf § 406 Abs. 3 Satz 2, § 709 ZPO.