Seite drucken
Entscheidung als PDF runterladen
I. Die Verfügungsbeklagten werden verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 EUR, ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Wiederholungsfalle Ordnungshaft bis zu 2 Jahren, wobei die Ordnungshaft im Hinblick auf die Antragsgegnerinnen zu 1) und zu 2) an ihren jeweiligen Geschäftsführern zu vollstrecken ist, zu unterlassen,
medizinische Geräte, die ein Substrat und eine hydrophile Oberflächenbeschichtung umfassen, die auf dem Substrat angeordnet ist,
in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen,
bei denen das Substrat auf seiner Oberfläche, die unter der hydrophilen Oberflächenbeschichtung liegt, eine Oberflächenbeschaffenheit mit einem arithmetischen Mittenrauwert (Ra) des Oberflächenprofils gemäß ISO 4287:1997 von mindestens 3 μm und/oder eine Höhendifferenz zwischen zwei Schnittlinien (Rdc (1-99 %)) gemäß ISO 4287:1997 von mindestens 18 μm aufweist.
II. Die Verfügungsbeklagten werden verurteilt, der Verfügungsklägerin innerhalb einer Frist von 14 Tagen nach Zustellung der einstweiligen Verfügung Auskunft darüber zu erteilen, in welchem Umfang die Verfügungsbeklagten die vorstehend zu I. bezeichneten Handlungen seit dem 26. Oktober 2011 begangen haben, und zwar unter Angabe
a) der Menge der erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
b) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und -preisen unter Einschluss von Typenbezeichnungen sowie der Namen und Anschriften der Abnehmer,
wobei zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Kaufbelege (nämlich Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen.
III. Die Kosten des Verfahrens tragen die Verfügungsbeklagten.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Vollziehung der einstweiligen Verfügung ist von einer Sicherheitsleistung der Verfügungsklägerin in Höhe von EUR 1.000.000,00 abhängig.
Tatbestand
2Die Verfügungsklägerin nimmt die Verfügungsbeklagten wegen Verletzung des deutschen Teils des europäischen Patents X (Anlage A3, in deutscher Übersetzung Anlage A3a, im Folgenden: Verfügungspatent) im Wege eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung auf Unterlassung und Auskunft in Anspruch.
3Das Verfügungspatent wurde am 17. April 2008 von der A , damals noch firmierend unter B , angemeldet. Der Hinweis auf die Erteilung des Verfügungspatents wurde am 26. Oktober 2011 veröffentlicht. Auf einen gegen die Erteilung des Verfügungspatents gerichteten Einspruch wurde das Verfügungspatent von der Einspruchsabteilung zunächst widerrufen. Diese Entscheidung wurde von der Beschwerdekammer aufgehoben und die Sache an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen, die mit Entscheidung vom 12. Februar 2019 den Einspruch zurückwies und das Patent unverändert aufrechterhielt.
4Das Verfügungspatent, dessen Verfahrenssprache Englisch ist, betrifft ein verbessertes medizinisches Gerät mit hydrophiler Beschichtung. Der von der Verfügungsklägerin geltend gemachte Anspruch 1 lautet in der deutschen Übersetzung:
51. Medizinisches Gerät, das ein Substrat und eine hydrophile Oberflächenbeschichtung umfasst, die auf dem Substrat angeordnet ist, wobei das Substrat auf seiner Oberfläche, die unter der hydrophilen Oberflächenbeschichtung liegt, eine Oberflächenbeschaffenheit mit einem arithmetischen Mittenrauwert (Ra) des Oberflächenprofils gemäß ISO 4287:1997 von mindestens 3 μm und/oder eine Höhendifferenz zwischen zwei Schnittlinien (Rdc (1 - 99 %)) gemäß ISO 4287:1997 von mindestens 18 μm aufweist.
6Am 14. März 2022 übertrug die A das Verfügungspatent einschließlich aller Ansprüche aus dem Patent auf die Verfügungsklägerin. Diese ist seit dem 21. März 2022 im Patentregister eingetragene Inhaberin des Verfügungspatents.
7Die Verfügungsbeklagte zu 3) bietet an und vertreibt Medizinprodukte und Serviceleistungen, darunter auch Harnkathether der SpeediCath® Flex-Serie für Männer (angegriffene Ausführungsform). In der Bundesrepublik Deutschland vertreibt sie diese Produkte über zwei Tochtergesellschaften, die Verfügungsbeklagten zu 1) und 2). Die Verfügungsbeklagte zu 1) bietet auf ihrer Internetseite www.coloplast.de die angegriffene Ausführungsform in den folgenden sieben Produktvarianten an:
8• 28910 - CH10 - Taschenformat
9• 28912 - CH12 - Taschenformat
10• 28914 - CH14 - Taschenformat
11• 28920 - CH10
12• 28922 - CH12
13• 28924 - CH14
14• 28916 - CH16
15Bei der fünfstelligen Ziffer handelt es sich um die Artikelnummer des jeweiligen Produkts, der Zusatz CHXX beschreibt die Charriere-Größen. Die Verfügungsbeklagte zu 1) vertreibt die angegriffene Ausführungsform in der Bundesrepublik Deutschland vor allem über Sanitätsfachhändler und Apotheken. Die Verfügungsbeklagte zu 2) stellt die angegriffene Ausführungsform her oder lässt sie jedenfalls herstellen. Dementsprechend sind die Gebrauchsanweisungen und die Produkte mit einer CE-Kennzeichnung der Verfügungsbeklagten zu 2) versehen.
16Die angegriffene Ausführungsform weist einen Katheterschaft mit einem beschichteten Abschnitt und einem daran angrenzenden unbeschichteten Konnektor aus einem einheitlichen Material auf. Die Beschichtung besteht aus hochmolekularem Polyvinylpyrrolidon (PVP), das über Kohlenstoff-Kohlenstoff-Einfachbindungen kovalent an die Polyurethan-Ketten auf der Oberfläche des Katheterschafts gebunden ist. Die Bindungen entstehen durch die Vernetzung von Radikalgruppen des Katheterschafts und der Beschichtung unter ultraviolettem Licht.
17Eine Vorgängerversion der angegriffenen Ausführungsform, die sich nur durch die Verpackung von der jetzigen Version unterschied, wurde im September 2016 auf der ISCOS-Konferenz in Wien vorgestellt, auf der auch die A anwesend war. Die Markteinführung war für 2016/2017 in allen bedeutenden Märkten geplant. Spätestens Ende 2016 hatte die A Kenntnis von der ersten Version der angegriffenen Ausführungsform.
18Am 7. Oktober 2021 wurde bei der A besprochen, ob das Verfügungspatent im Hinblick auf die anfallenden Jahresgebühren weiter aufrechterhalten werden sollte. Dazu sollte insbesondere untersucht werden, ob Produkte von Wettbewerbern das Verfügungspatent verletzen. Als ein zu untersuchendes Wettbewerbsprodukt wurde die angegriffene Ausführungsform identifiziert. Daraufhin wurde am 25. Oktober 2021 Herr C , Mitarbeiter der D , von Frau E , Mitarbeiterin der A , beauftragt, Muster der angegriffenen Ausführungsform in der Bundesrepublik Deutschland zu beschaffen. Auf seine Bestellung hin lieferte die F Anfang November zunächst Muster der Charriere-Größe CH12 im Taschenformat. Frau E erhielt die Muster am 8. November 2021 und ließ sie intern untersuchen. Am 29. November 2021 teilte Herr G , Mitarbeiter der F&E-Abteilung der A die Ergebnisse der Untersuchung eines Musters mit (Ra-Wert: 4,441 μm, Rdc-Wert: 29,7113 μm im Durchschnitt).
19Frau E unterrichtete am 30. November 2021 Herrn H , Inhouse Counsel für Rechtsfragen bei der A , über die Messergebnisse. Auf seine Bitte hin gab Frau E die Ergebnisse am selben Tag weiter an Herrn I , schwedischer Patentanwalt, zur Überprüfung der Verletzung des Verfügungspatentes. Dieser teilte am 10. Dezember 2021 mit, dass es sich wahrscheinlich um eine Patentverletzung handele. Darüber informierte Herr H am selben Tag noch den Prozessbevollmächtigten der Verfügungsklägerin mit der Bitte um Überprüfung nach deutschem Recht. Dieser bestätigte am 13. Dezember 2021 den Verdacht und empfahl eine Untersuchung aller Charriere-Größen der angegriffenen Ausführungsform durch ein unabhängiges Institut.
20Daraufhin wurde Herr C am 15. Dezember 2021 mit der Beschaffung aller sieben Produktvarianten beauftragt. Die Lieferung und Weiterleitung an Frau E erfolgte in drei Teilen, am 16., 22. und 27. Dezember 2021. Frau E bereitete die Muster der angegriffenen Ausführungsform jeweils vor und gab die entsprechenden Proben am 20. und 22. Dezember 2021 und am 4. Januar 2022 weiter an das RISE Research Institutes of Sweden AB (nachfolgend RISE-Institut), wo sie von Frau J vermessen wurden. Frau J legte am 2. März 2022 einen vorläufigen Untersuchungsbericht vor, der am 14. März 2022 mit dem Prozessbevollmächtigten der Verfügungsklägerin und ihrer Patentanwältin besprochen wurde. Diese erhielten am 31. März 2022 den endgültigen Untersuchungsbericht vom 30. März 2022.
21Die Verfügungsklägerin sieht in dem Angebot und Vertrieb der angegriffenen Ausführungsform durch die Verfügungsbeklagten eine Verletzung des Verfügungspatents.
22Das Verfügungspatent sei dahingehend zu verstehen, dass es ein medizinisches Gerät und das dazugehörige Herstellungsverfahren schütze. Bei der Auslegung sei daher insbesondere auch der Verfahrensanspruch zu berücksichtigen. Daraus und aus der Beschreibung des Verfügungspatents ergebe sich, dass es auf die Oberflächenrauigkeit des Substrats an sich ankomme, also sowohl auf die Rauigkeit vor dem Beschichten des Substrats als auch nach dem Beschichten. Auch der Anspruchswortlaut mache das deutlich. Es genüge zudem, wenn nur ein Teil der Substratoberfläche die Oberflächenrauigkeit aufweise und auch nur ein Teil der Oberfläche beschichtet sei.
23Die angegriffene Ausführungsform verwirkliche die Lehre des Verfügungspatentanspruchs, insbesondere weise sie die beanspruchte Oberflächenbeschaffenheit auf. Dies hätten die Untersuchungen des RISE-Instituts ergeben. Die Beschichtung habe sich ohne weiteres mit einem Schaber vom Substrat und anschließend unter fließendem Wasser entfernen lassen. Die Oberfläche des Substrats sei dadurch nicht verändert worden. Messungen des beschichteten Abschnitts des Katheterschafts – sowohl mit Beschichtung als auch nach Entfernung der Beschichtung– und des unbeschichteten Konnektors hätten Ra- und Rdc-Werte im beanspruchten Bereich ergeben. Das gelte für alle Messungen mit Ausnahme der Charriere-Größe CH10 im Taschenformat. Hier hätten sich jedenfalls einzelne Muster als patentgemäß erwiesen. Die sich aus der Patentverletzung ergebende Verurteilung zur Unterlassung sei auch verhältnismäßig. Die mit der Einstellung des Vertriebs der angegriffenen Ausführungsform verbundenen Folgen – sei es für die Verfügungsbeklagten oder die Abnehmer und Anwender – gingen nicht über die typischerweise mit einer Unterlassungsverurteilung verbundenen Nachteile hinaus.
24Weiterhin bestehe ein Verfügungsgrund. Der Rechtsbestand des Verfügungspatents sei aufgrund des erfolgreich abgeschlossenen Einspruchsverfahrens hinreichend gesichert. Die weiteren Entgegenhaltungen nähmen die Lehre des Verfügungspatentanspruchs nicht neuheitsschädlich vorweg. Hinsichtlich der erfinderischen Tätigkeit sei schon nicht klar, von welchem nächstliegenden Stand der Technik die Verfügungsbeklagten ausgingen. Ungeachtet dessen habe das Patent den Effekt eines verbesserten Wasserrückhalts bei erhöhter Oberflächenrauigkeit experimentell nachgewiesen, so dass er für die erfinderische Tätigkeit relevant sei. Das habe auch das EPA nicht anders gesehen. Schließlich habe sich die Verfügungsklägerin auch nicht zögerlich verhalten. Sie habe erst am 14. März 2022 gesicherte Kenntnis von der Patentverletzung durch alle sieben Produktvarianten der angegriffenen Ausführungsform gehabt. Auch wenn sie die angegriffene Ausführungsform früher gekannt habe, habe sie keine greifbaren Hinweise auf eine Patentverletzung gehabt. Eine Marktbeobachtungspflicht bestehe nicht. Sie habe sogar stichprobenartig Katheter von Wettbewerbern – darunter auch der Verfügungsbeklagten – überprüft, was diese mit Nichtwissen bestreiten. Hinweise auf eine Patentverletzung durch die angegriffene Ausführungsform hätten sich daraus aber nicht ergeben. Nachdem die Verfügungsklägerin im Dezember 2021 aus der Untersuchung eines Musters der angegriffenen Ausführungsform erste Hinweise auf eine Patentverletzung erhalten habe, habe sie den weiteren Sachverhalt zügig aufgeklärt.
25Die Verfügungsklägerin beantragt,
26I. die Verfügungsbeklagten zu verurteilen,
27es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes bis zu 250.000 EUR, ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Wiederholungsfalle Ordnungshaft bis zu 2 Jahren, wobei die Ordnungshaft im Hinblick auf die Verfügungsbeklagten zu 1) und zu 2) an ihren jeweiligen Geschäftsführern zu vollstrecken ist, untersagt,
28medizinische Geräte, die ein Substrat und eine hydrophile Oberflächenbeschichtung umfassen, die auf dem Substrat angeordnet ist,
29in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen,
30bei denen das Substrat auf seiner Oberfläche, die unter der hydrophilen Oberflächenbeschichtung liegt, eine Oberflächenbeschaffenheit mit einem arithmetischen Mittenrauwert (Ra) des Oberflächenprofils gemäß ISO 4287:1997 von mindestens 3 μm und/oder eine Höhendifferenz zwischen zwei Schnittlinien (Rdc (1-99 %)) gemäß ISO 4287:1997 von mindestens 18 μm aufweist;
31II. die Verfügungsbeklagten zu verurteilen, der Verfügungsklägerin innerhalb einer Frist von 14 Tagen nach Zustellung der einstweiligen Verfügung Auskunft darüber zu erteilen, in welchem Umfang die Verfügungsbeklagten die vorstehend zu I. bezeichneten Handlungen seit dem 26. Oktober 2011 begangen haben, und zwar unter Angabe
32a) der Menge der erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
33b) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und -preisen unter Einschluss von Typenbezeichnungen sowie der Namen und Anschriften der Abnehmer;
34wobei zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Kaufbelege (nämlich Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen.
35Die Verfügungsbeklagten beantragen,
36den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen,
37hilfsweise, die Vollziehung einer einstweiligen Verfügung nur gegen Sicherheitsleistung zu gestatten.
38Die Verfügungsbeklagten sind der Auffassung, es fehle sowohl an einem Verfügungsanspruch, als auch am Verfügungsgrund.
39Der Verfügungspatentanspruch sei dahin auszulegen, dass eine chemische Verbindung von Substrat und Oberflächenbeschichtung ausgeschlossen sei, weil beide räumlich-körperlich voneinander unterschieden werden müssten. Für die Oberflächenbeschaffenheit des Substrats sei allein auf die unter der Beschichtung befindlichen Bereiche des Substrats abzustellen. Insbesondere komme es auf die Oberflächenbeschaffenheit in dem Zeitpunkt an, in dem sich die Beschichtung auf dem Substrat befinde. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus dem Verfahrensanspruch, weil dieser sich auf eine andere Verarbeitungsstufe beziehe. Insofern unterschieden sich Vorrichtungs- und Verfahrensanspruch. Schließlich müsse auch der gesamte Bereich des Substrats, soweit es beschichtet sei, die patentgemäße Beschaffenheit aufweisen. Ausgehend von dieser Auslegung sei das Verfügungspatent nicht verletzt. Substrat und Beschichtung ließen sich bei der angegriffenen Ausführungsform nicht räumlich-körperlich abgrenzen. Die kovalente Verbindung zwischen dem PVP der Beschichtung und dem Polyurethan des Substrats lasse sich nach erfolgter Vernetzung nicht mehr brechen, ohne das Substrat zu zerstören oder Beschichtungsreste zurückzulassen. Da die Beschichtung auch in sich vernetzt sei, gebe es Polymeragglomerate in der Beschichtung, aber auch zwischen Substrat und Beschichtung, die nicht abgeschabt werden könnten, aber aufgrund ihrer Größe auch nicht vernachlässigbar seien. Die von der Verfügungsklägerin vorgelegten Testergebnisse für den beschichteten Abschnitt des Katheterschafts seien daher fehlerhaft. Zur Oberflächenbeschaffenheit des Substrats sei im Grunde gar nicht vorgetragen. Auf die unbeschichteten Abschnitte komme es nicht an, zumal sie der Lagerflüssigkeit ausgesetzt seien, die Reste der Beschichtung enthielten, die sich mit der Zeit auf den unbeschichteten Bereichen ablagern könnten. Ungeachtet dessen sei eine Verurteilung zur Unterlassung unverhältnismäßig, weil die Anwender dadurch in ihrem Recht auf körperliche Unversehrtheit betroffen würden. Sie könnten nicht ohne gesundheitliche Risiken ohne weiteres auf ein anderes Produkt wechseln, weil dies zeitlichen und personellen Aufwand bedeute, der nicht sichergestellt sei, so dass es zu Fehlanwendungen kommen könne; zudem sei der Vertrauensverlust in die Verfügungsbeklagten mit allen wirtschaftlichen Folgen für sie bei einer Einstellung des Vertriebs unverhältnismäßig hoch.
40An einem Verfügungsgrund fehle es, weil der Rechtsbestand trotz des Einspruchsverfahrens nicht hinreichend gesichert sei. Die Lehre des Verfügungspatents sei im Stand der Technik nahegelegt. Denn der angebliche technische Effekt einer Verbesserung des Parameters der Wasserrückhaltefähigkeit durch Festlegen einer universellen Untergrenze für die Rauheit der Oberfläche des Substrats dürfe bei Beurteilung des Beitrags der technischen Lehre des Verfügungspatents zum Stand der Technik keine Berücksichtigung finden. Dies gelte erst recht für die behauptete Verbesserung der Bindung zwischen Beschichtung und Substrat. Darüber hinaus sei die Lehre des Verfügungspatents aber auch nicht neu.
41Schließlich fehle es auch an der für den Verfügungsgrund erforderlichen Dringlichkeit. Die Verfügungsklägerin bzw. ihre Rechtsvorgängerin hätte aufgrund greifbarer Hinweise bereits mit der Markteinführung der ersten Version der angegriffenen Ausführungsform, spätestens aber nach rechtskräftigem Abschluss des Einspruchsverfahrens tätig werden müssen. Sie habe Kenntnis von der angegriffenen Ausführungsform gehabt und einfachste Untersuchungen nicht durchgeführt, um eine Patentverletzung festzustellen. Dass die Verfügungsklägerin andere Katheterprodukte stichprobenartig untersucht habe, werde mit Nichtwissen bestritten, zeichne sie aber auch nicht von einer Verpflichtung zur Untersuchung der angegriffenen Ausführungsform frei. Es sei auch nicht erklärlich, warum die A sich im Oktober 2021 überlegt habe, das Verfügungspatent zu evaluieren und das Produkt der Verfügungsbeklagten zu untersuchen, dies aber nicht schon in den Jahren zuvor getan habe. Dass dies nicht geschehen sei, werde jedenfalls mit Nichtwissen bestritten. Auch danach seien das Vorgehen der Verfügungsklägerin bis zum Erwerb der ersten Muster und die anschließende interne Untersuchung schleppend verlaufen. Das Muster hätte Herr C auch bei der Apotheke „an der Ecke“ erwerben können. Völlig unerklärlich sei dann die Einschaltung eines schwedischen Patentanwalts für die Beurteilung einer Patentverletzung in der Bundesrepublik Deutschland, zumal dafür zehn Tage notwendig gewesen seien. Auch die Untersuchung weiterer Varianten der angegriffenen Ausführungsform sei nicht erforderlich gewesen, weil durch den Nachweis der Verletzung des ersten Musters hinsichtlich der Frage der Patentverletzung Gewissheit bestanden habe. Jedenfalls hätten die weiteren Kathetergrößen auch schon zusammen mit dem ersten Muster bestellt werden können. Die Untersuchungen durch das RISE-Institut hätten ebenfalls unverhältnismäßig lang gedauert. Schließlich habe es von der Vorlage des vorläufigen Untersuchungsberichts bis zum endgültigen Untersuchungsbericht noch einmal vier Wochen gedauert. Dass der Prozessbevollmächtigte der Verfügungsklägerin statt ihrer erkrankten Patentanwältin wegen anderweitiger Verpflichtungen keine Besprechung des vorläufigen Untersuchungsberichts vor dem 14. März 2022 habe durchführen können, werde mit Nichtwissen bestritten.
42Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist zulässig und begründet.
44Die Verfügungsklägerin hat einen Verfügungsanspruch und einen Verfügungsgrund glaubhaft gemacht.
Die Verfügungsklägerin hat gegen die Verfügungsbeklagten Ansprüche auf Unterlassung und Auskunft aus Art. 64 EPÜ i.V.m. §§ 139 Abs. 1, 140b Abs. 1, 3 und 7 PatG.
46I.
47Die Erfindung nach dem Verfügungspatent betrifft im Allgemeinen medizinische Geräte, die ein Substrat mit einer äußeren hydrophilen Oberflächenbeschichtung aufweisen. Insbesondere betrifft die Erfindung einen Katheter zum Einführen in einen Durchgang im menschlichen oder tierischen Körper, und insbesondere Harnkatheter.
48In der Verfügungspatentschrift wird allgemein zum Stand der Technik ausgeführt, dass viele medizinische Vorrichtungen langgestreckte Schäfte umfassen würden, z.B. Schläuche, die zum Einführen in und durch Durchgänge in einem lebenden Körper bestimmt seien. Die gebräuchlichste Art dieser medizinischen Geräte sei als Katheter bekannt. Beispielhafte Katheter umfassten solche, die für die urologische, angioplastische und valvuloplastische Verwendung bestimmt seien, d.h. die für das Einführen in die Harnröhre, das Lumen eines Blutgefäßes und den Herzdurchgang eines lebenden Körpers, normalerweise eines menschlichen Körpers vorgesehen seien (Abs. [0002]; Absätze ohne Bezugsangabe sind solcher der Verfügungspatentschrift).
49Aufgrund der beabsichtigten Verwendung solcher medizinischer Geräte müsse das Material, aus dem der langgestreckte Schaft hergestellt sei, bestimmte Parameter erfüllen. Das Material müsse Anforderungen wie Weichheit, gute Knickfestigkeit, gute Formbeständigkeit, Verarbeitbarkeit, zum Beispiel leichte Formbarkeit und Verklebbarkeit, und die Möglichkeit, durch Bestrahlung, Dampf, Ethylenoxid oder auf andere Weise sterilisiert zu werden, erfüllen. Des Weiteren müsse das Material eine Oberflächenbehandlung annehmen, die dem medizinischen Gerät gewünschte Oberflächeneigenschaften wie z.B. Hydrophilie verleihe. Dazu sei es von äußerster Wichtigkeit, ein Substratmaterial zu finden, das die Möglichkeit biete, das Substrat zu beschichten (Abs. [0003]).
50Des Weiteren bestehe ein anerkanntes Problem mit hydrophilen Beschichtungen oder Schichten darin, dass die hydrophile Polymeroberfläche Wasser verlieren und austrocknen könne, wenn sie z.B. mit einer Schleimhaut in Berührung komme, z.B. wenn der Katheter in die Harnröhre eingeführt werde. Dies geschehe aufgrund eines Unterschieds zwischen dem osmotischen Potenzial der hydrophilen Oberfläche und dem osmotischen Potenzial der Schleimhaut. Die Schleimhaut habe ein höheres osmotisches Potenzial, d.h. eine höhere Salzkonzentration, als die hydrophile Oberfläche. Dieser Unterschied im osmotischen Potenzial führe dazu, dass das Wasser von der hydrophilen Oberflächenschicht zur Schleimhaut wandere, so dass der Unterschied in der Salzkonzentration ausgeglichen werde. Dies beeinträchtige natürlich die reibungsarmen Eigenschaften der hydrophilen äußeren Oberflächenbeschichtung und könne beim Patienten zu Schmerzen und Verletzungen führen. Aus diesem Grund habe der Anmelder des Verfügungspatents schon zuvor eine verbesserte hydrophile Beschichtung entwickelt, bei der eine die Osmolalität erhöhende Verbindung auf eine reaktionsunfähige hydrophile Polymeroberfläche aufgetragen worden sei, um somit eine stabilere hydrophile Oberfläche zu erzeugen, wie in EP X offenbart sei. Das zuvor bestehende Problem des Austrocknens der hydrophilen Beschichtung beim Einführen in die Harnröhre, welches den Artikel unzureichend hydrophil machte, sei damit vermindert worden (Abs. [0004]).
51Den relevanten druckschriftlichen Stand der Technik fasst das Verfügungspatent dahingehend zusammen, dass ähnliche hydrophile Beschichtungen mit einer die Osmolalität erhöhenden Verbindung in WO X diskutiert würden, welches ein Verfahren offenbare, mit dem die die Osmolalität erhöhende Verbindung während des Vorgangs des Auftragens der hydrophilen Beschichtung auf das Grundmaterial hinzugegeben werde, wobei EP X und EP X eine hydrophile Beschichtung umfassend eine nicht gelöste, feste, die Osmolalität erhöhende Verbindung, z.B. in Form eines Pulvers oder von Korn, offenbarten, und EP X eine vernetzte hydrophile Beschichtung umfassend eine wasserlösliche, die Osmolalität erhöhende Verbindung offenbare (Abs. [0005]).
52Hinsichtlich dieser bekannten Verfahren und Beschichtungen sieht das Verfügungspatent jedoch einige Probleme. Zum Beispiel seien die Herstellungsverfahren, die verschiedene Wege der Einarbeitung der die Osmolalität erhöhenden Verbindungen in die Beschichtungen umfassten, eher langwierig, mühsam und teuer. Des Weiteren würden die Eigenschaften der daraus resultierenden, benetzten hydrophilen Oberflächenbeschichtung, die in den Patienten eingeführt werden sollten, zumindest zu einem gewissen Grad von den Parametern des Benetzungsprozesses beeinflusst, wie der Menge der für die Benetzung verwendeten Benetzungsflüssigkeit, den Bestandteilen der gewählten Benetzungsflüssigkeit und der Zeitspanne, für die die Benetzung durchgeführt werde. Da mehrere dieser Parameter vorher möglicherweise nicht bekannt seien und erheblich variieren könnten, würden auch die Eigenschaften der daraus resultierenden aktivierten Beschichtung unvorhersehbar (Abs. [0006]).
53So bestehe ein allgemeines Problem bekannter medizinischer Geräte mit hydrophilen Beschichtungen darin, dass der Wasserrückhalt in der Beschichtung zu gering sei, insbesondere nach dem Auslaugen, oder dass die Beschichtung zu schlecht an dem Substrat anhafte, und/oder das Mittel, das für die Verlängerung der Wasserrückhaltedauer und der Anhaftung der Beschichtung verwendet wird, zu teuer und/oder umweltschädlich sei (Abs. [0007]).
54Es bestehe daher Bedarf an einem verbesserten Substrat und/oder einem verbesserten Beschichtungsverfahren zur Bereitstellung von medizinischen Geräten mit einer hydrophilen Oberflächenbeschichtung, das umweltfreundlich und kostengünstig sei, und das sicherstelle, dass die hydrophile Beschichtung adäquat anhafte und effizient in der Verwendung sei (Abs. [0008]).
55Vor diesem Hintergrund sieht es das Verfügungspatent als Aufgabe (das technische Problem) an, die oben genannten Probleme zu beheben, insbesondere ein medizinisches Gerät, wie z.B. einen Harnkatheter, mit einer hydrophilen Oberflächenbeschichtung bereitzustellen, bei dem die Wasserrückhaltefähigkeit der hydrophilen Beschichtung verbessert ist.
56Als Lösung für dieses Problem schlägt das Verfügungspatent ein medizinisches Gerät mit den Merkmalen von Anspruch 1 vor, die wie nachstehend gegliedert werden können:
571. Medizinisches Gerät, das umfasst:
581.1 ein Substrat und
591.2 eine hydrophile Oberflächenbeschichtung;
602. die hydrophile Oberflächenbeschichtung ist auf dem Substrat angeordnet;
613. die Oberfläche des Substrats liegt unter der hydrophilen Oberflächenbeschichtung;
624. das Substrat weist auf seiner Oberfläche eine Oberflächenbeschaffenheit auf
634.1 mit einem arithmetischen Mittenrauwert (Ra) des Oberflächenprofils gemäß ISO 4287:1997 von mindestens 3 μm und/oder
644.2 eine Höhendifferenz zwischen zwei Schnittlinien (Rdc (1 - 99 %)) gemäß ISO 4287:1997 von mindestens 18 μm.
65Der mit der Erfindung verbundene Vorteil besteht laut Verfügungspatentschrift darin, dass der Wasserrückhalt einer hydrophilen Oberflächenbeschichtung sich signifikant verbessert, wenn die hydrophile Oberflächenbeschichtung auf ein Substrat mit einer erhöhten Oberflächentextur- oder Oberflächenrauigkeit aufgebracht wird (Abs. [0013]). Weiterhin hafte die auf Substrate aufgebrachte Beschichtung stärker auf dem Substrat und reduziere somit die Gefahr, dass die Beschichtung im Gebrauch abfalle oder erheblich beschädigt werde (Abs. [0014]).
66II.
67Das erfindungsgemäße medizinische Gerät besteht aus einem Substrat (Merkmal 1.1) und einer hydrophilen Oberflächenbeschichtung (Merkmal 1.2), die auf dem Substrat angeordnet ist (Merkmal 2) mit der Folge, dass die Oberfläche des Substrats unter der hydrophilen Oberflächenbeschichtung liegt (Merkmal 3). Zudem stellt der Verfügungspatentanspruch bestimmte Anforderungen an die Beschaffenheit der Substratoberfläche hinsichtlich Mittenrauwert und Höhendifferenz (Merkmalsgruppe 4).
Nach der Lehre des Verfügungspatents ist es dem Fachmann überlassen, wie die hydrophile Oberflächenbeschichtung auf der Substratoberfläche angeordnet wird, damit sie an ihr anhaftet. Insbesondere schließt der Verfügungspatentanspruch eine – gegebenenfalls auch untrennbare oder schwer zu trennende – chemische Verbindung der Beschichtung mit der Oberfläche nicht aus.
Der Wortlaut des Verfügungspatentanspruchs äußert sich nicht zur Art und Weise, wie die Oberflächenbeschichtung mit der Substratoberfläche verbunden wird. Allein aus der Unterscheidung zwischen einer hydrophilen Oberflächenbeschichtung und einer Substratoberfläche kann nicht hergeleitet werden, dass bestimmte Methoden der Verbindung ausgeschlossen sind. Auch der Wortlaut der Merkmale 2 und 3, wonach die hydrophile Oberflächenbeschichtung „auf der Oberfläche angebracht“ ist und die Substratoberfläche „unter der hydrophilen Oberflächenbeschichtung liegt“, führt zu keiner anderen Bewertung. Zwar müssen das Substrat mit seiner Oberfläche und die Oberflächenbeschichtung räumlich-körperlich unterscheidbar sein. Eine chemische Verbindung von Oberfläche und Beschichtung schließt das aber nicht aus, selbst wenn es im Grenzbereich der beiden Materialien aufgrund chemischer Reaktionen zu stofflichen Veränderungen kommt, die weder der Oberfläche noch der Beschichtung stofflich eindeutig zugeordnet werden können. Solange eine stoffliche Unterscheidung von Substrat und Beschichtung möglich ist, wird diese von der Lehre des Verfügungspatentanspruchs erfasst.
Auch bei einer funktionalen Betrachtung der Merkmale 2 und 3 wird eine chemische Verbindung der hydrophilen Oberflächenbeschichtung mit der Substratoberfläche nicht ausgeschlossen. Die Merkmale 2 und 3 betreffen lediglich die räumliche Zuordnung von Beschichtung und Oberfläche, die für den Gebrauch des medizinischen Geräts von Bedeutung ist und im Grunde eine Selbstverständlichkeit darstellt, da die hydrophile Beschichtung außen auf dem Substrat aufgebracht sein muss. Für die Art und Weise der Verbindung von Beschichtung und Oberfläche lässt sich dem nichts entnehmen.
71Erst mit der Beschaffenheit der Substratoberfläche in Form eines bestimmten Mittenrauwertes und/oder einer bestimmten Höhendifferenz im Sinne der Merkmalsgruppe 4 geht die Funktion einher, für einen im Vergleich zum Stand der Technik verbesserten Wasserrückhalt und eine verbesserte Anhaftung der Beschichtung zu sorgen. Aber auch diese Funktion, insbesondere die verbesserte Anhaftung der Beschichtung, schließt eine chemische Verbindung zwischen hydrophiler Oberflächenbeschichtung und Substratoberfläche nicht aus. Vor allem ist die Lehre des Verfügungspatentanspruchs auf eine bestimmte strukturelle Beschaffenheit der Oberfläche begrenzt und enthält keine Anordnung, gerade mit dieser Oberflächenbeschaffenheit eine bestimmte Verbesserung der Anhaftung der Beschichtung oder auch nur einen bestimmten Grad einer Anhaftung zu erzielen. Ebenso wenig gibt es in der Verfügungspatentschrift Anhaltspunkte dafür, dass das Patent nur medizinische Geräte mit nicht-chemischen Verbindungen von Beschichtung und Oberfläche ins Auge fasst, bei denen allein durch eine bestimmte Oberflächenbeschaffenheit für eine verbesserte Anhaftung der Beschichtung gesorgt werden soll; aus der in der Verfügungspatentschrift angesprochenen Gefahr des Abfallens der Beschichtung und der Verbesserung der (An-)Haftung (Abs. [0013], ]0014] und [0054]) kann dies jedenfalls nicht abgeleitet werden. Die Anhaftung der Beschichtung kann daher auch durch eine chemische Verbindung mit der Substratoberfläche erfolgen, solange diese die erforderliche Oberflächenbeschaffenheit aufweist.
Dass die Lehre des Verfügungspatentanspruchs eine chemische Verbindung von hydrophiler Oberflächenbeschichtung und Substratoberfläche nicht ausschließt, ergibt sich auch aus der Beschreibung des Verfügungspatents. Demnach bildet die hydrophile Beschichtung bei einer bevorzugten Ausführungsform ein Polyharnstoff-Netzwerk, wobei das Polyharnstoff-Netzwerk eine kovalente Bindung – also eine chemische Verbindung – mit den aktiven Wasserstoffgruppen im Substrat eingeht (Abs. [0021]; ebenso Unteranspruch 11). Gleiches gilt für die Beschreibung eines bevorzugten Verfahrens zum Beschichten eines Substrats (Abs. [0035] und [0036]), dem sich sogar entnehmen lässt, dass durch die Vorbehandlung mit einer IsocyanatLösung und das anschließende Aufbringen der Polyvinylpyrrolidon-Lösung am Übergang vom Substrat zur Beschichtung durch chemische Reaktion neue stoffliche Verbindungen entstehen. Auch solche Erzeugnisse sind von der Lehre des Verfügungspatents erfasst.
73Dagegen kann nicht mit Erfolg eingewendet werden, dass sich die zitierten Textstellen auf den Verfahrensanspruch 10 des Verfügungspatents bezögen, der andere Anforderungen an die Substratoberfläche und das medizinische Gerät stelle als der Verfügungspatentanspruch.
74Das Verfahren nach Anspruch 10 ist darauf gerichtet, ein medizinisches Gerät gemäß Anspruch 1 des Verfügungspatents in die Hand zu bekommen. Es gibt in der Verfügungspatentschrift keine Anhaltspunkte dafür, dass der Verfahrensanspruch andere Anforderungen an das Substrat und die Beschichtung stellt und zu anderen technischen Eigenschaften des medizinischen Geräts führt als der Vorrichtungsanspruch beschreibt. Weder die im Anspruch 10 verlangte Oberflächenbeschaffenheit des Substrats vor der Beschichtung, noch die verwendeten Begriffe „Netzwerk“ und „vernetzen“ in den auf den Verfahrensanspruch rückbezogenen Ansprüchen 11 und 12 führen zu anderen als den mit dem Anspruch 1 verlangten technischen Eigenschaften des medizinischen Geräts. Vor allem umfassen sie nicht eine chemische Verbindung von Beschichtung und Oberfläche, die der Anspruch 1 ausschließt. Vielmehr ist der Vorrichtungsanspruch hinsichtlich der Art und Weise der Verbindung von Beschichtung und Substratoberfläche indifferent, so dass er zwanglos auch kovalente Bindungen und insbesondere ein Polyharnstoff-Netzwerk umfassen kann, wie sie Gegenstand bevorzugter Ausführungsbeispiele und von Unteranspruch 11 und 12 sind.
75Soweit in der Verfügungspatentschrift die Begriffe „anhaften“ im Zusammenhang mit dem medizinischen Gerät und „vernetzen“ im Zusammenhang mit dem Herstellungsverfahren verwendet werden, führt auch dies zu keiner anderen Wertung. Der Anspruch 1 des Verfügungspatents enthält den Begriff „anhaften“ gar nicht, so dass er sich schon deshalb nicht begrifflich von den Unteransprüchen 11 und 12 abgrenzen lässt. Darüber hinaus werden die Begriffe in der Verfügungspatentschrift aber auch nicht als sich gegenseitig ausschließende Begriffe verwendet, so dass sich aus ihnen nichts für eine Auslegung herleiten lässt, die chemische Verbindungen zwischen Oberfläche und Beschichtung ausschließt.
76Dass der Verfahrensanspruch 10 auf die Herstellung medizinischer Geräte im Sinne von Anspruch 1 des Verfügungspatents gerichtet ist, ergibt sich nicht zuletzt daraus, dass in der Beschreibung des Verfügungspatents Experimente mit medizinischen Geräten dargestellt werden (Abs. [0043] ff.), die mit dem Verfahren nach Anspruch 10 des Verfügungspatents hergestellt wurden (Abs. [0045]). Die Experimente dienen dazu, den von der Oberflächenbeschaffenheit des Substrats abhängigen Wasserrückhalt in der Beschichtung aufzuzeigen. Die daraus abgeleiteten Erkenntnisse und Feststellungen gelten für das Verfahren nach Anspruch 10 ebenso wie für die medizinischen Geräte nach Anspruch 1 des Verfügungspatents. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass die mit dem Verfahren nach Anspruch 10 hergestellten und dann getesteten medizinischen Geräte keine Ausführungsformen von Anspruch 1 sein sollten. Vielmehr werden hier einheitlich die mit der Erfindung nach Anspruch 1 und 10 zu erzielenden technischen Eigenschaften dargestellt.
Bei der erfindungsgemäßen Oberflächenbeschaffenheit handelt es sich um eine Materialeigenschaft der Substratoberfläche, die grundsätzlich unabhängig von der Oberflächenbeschichtung des Substrats vorliegt. Es genügt, dass das Substrat, auf das die Beschichtung aufgebracht werden soll, eine erfindungsgemäße Oberflächenbeschaffenheit aufweist. Etwaige Veränderungen der Oberflächenbeschaffenheit des Substrats, die durch das Aufbringen der Beschichtung entstehen, sieht das Verfügungspatent als unbeachtlich an. Mit ihnen setzt sich das Verfügungspatent nicht auseinander, sondern geht – unausgesprochen – davon aus, dass auch bei einer durch den Beschichtungsvorgang bedingten Veränderung der Substratoberfläche ein medizinisches Gerät mit einem Substrat mit unveränderter Oberflächenbeschaffenheit vorliegt. Insofern ist auch dann, wenn sich die Substratoberfläche durch den Beschichtungsvorgang tatsächlich verändert, ein medizinisches Gerät, dessen Substrat vor Aufbringung der Oberflächenbeschichtung eine Beschaffenheit im Sinne der Merkmalsgruppe 4 aufwies, als patentgemäß anzusehen. Im Ergebnis genügt es daher, für die Merkmalsgruppe 4 auf die Beschaffenheit der Substratoberfläche vor der Beschichtung abzustellen.
Nach dem Wortlaut des Verfügungspatentanspruchs weist das medizinische Gerät ein Substrat und eine hydrophile Oberflächenbeschichtung auf, wobei das Substrat dieses Geräts eine Oberfläche mit einer Beschaffenheit gemäß der Merkmalsgruppe 4 aufweist. Damit sind Eigenschaften angesprochen, die das geschützte Erzeugnis, also das medizinische Gerät als solches aufweisen muss.
79Damit ist aber noch nicht gesagt, unter welchen Bedingungen und Voraussetzungen ein medizinisches Gerät als patentgemäß anzusehen ist, insbesondere die Oberflächenbeschaffenheit der Substratoberfläche eines medizinischen Geräts als der Merkmalsgruppe 4 entsprechend zu qualifizieren ist.
80Für die zwischen den Parteien streitige Frage, ob medizinische Geräte, deren Substratoberfläche infolge des Beschichtungsvorgangs Beschaffenheitsveränderungen erfahren hat, ggf. noch als patentgemäß anzusehen sind, lässt sich aus dem Wortlaut des Verfügungspatentanspruchs nicht ableiten, dass die Substratoberfläche die in der Merkmalsgruppe 4 geforderten Werte auch nach Aufbringung der hydrophilen Beschichtung exakt aufweisen muss. Denn das Verfügungspatent setzt sich mit der Frage, wie mit einer Veränderung der Oberflächenbeschaffenheit durch die Aufbringung der hydrophilen Beschichtung umzugehen ist, gar nicht auseinander bzw. sieht eine Veränderung der Oberflächenbeschaffenheit für die Beurteilung als patentgemäßes Erzeugnis als unbeachtlich an. Dann lassen sich aber allein anhand des Wortlauts des Anspruchs auch keine zwingenden Aussagen zu dieser Frage ableiten. Der durch Auslegung des Verfügungspatentanspruchs zu ermittelnde Schutzbereich des Patentanspruchs darf gemäß Art. 69 Abs. 1 EPÜ und Art. 1 des Protokolls über die Auslegung des Art. 69 Abs. 1 EPÜ nicht auf den reinen Wortlaut des Anspruchs beschränkt werden. Für den mit dem Patentanspruch geschützten Gegenstand ist vielmehr unter Berücksichtigung der Beschreibung und der Zeichnungen des Patents zu ermitteln, welcher technische Sinngehalt dem Wortlaut des Anspruchs zukommt (Benkard/Scharen, PatG 11. Aufl.: § 14 Rn 13 m.w.Nw.).
Ausgehend von diesen Grundsätzen ist für ein medizinisches Erzeugnis im Sinne des Verfügungspatents und die Oberflächenbeschaffenheit seines Substrats gemäß der Merkmalsgruppe 4 die Beschaffenheit der Substratoberfläche unabhängig von der hydrophilen Beschichtung maßgebend. Selbst für den Fall, dass die Beschichtung zu einer (chemisch bedingten) Veränderung der Oberflächenbeschaffenheit des Substrats – etwa durch kovalente Bindungen mit der Substratoberfläche und infolge Polymerisation am Übergang vom Substrat zur Beschichtung – führt, ist die Oberflächenbeschaffenheit des Substrats unabhängig von der Beschichtung zu betrachten und als patentgemäß anzusehen, wenn die Oberfläche ohne die Beschichtung – mithin unmittelbar vor dem Beschichtungsvorgang – eine Beschaffenheit gemäß der Merkmalsgruppe 4 aufwies.
82Der Wortlaut des Verfügungspatents schließt ein solches Verständnis nicht aus.
83Die Beschreibung des Verfügungspatent setzt sich mit der Frage, wie sich durch die Aufbringung der hydrophilen Beschichtung ggf. bedingte Veränderungen der Oberflächenbeschaffenheit – etwa aufgrund chemischer Reaktionen – auswirken, nicht explizit auseinander. Es hat aber den Anschein, dass das Verfügungspatent solche Veränderungen, wie sie durch Polymerisation und kovalente Bindungen entstehen (Abs. [0035] und [0036]), als unbeachtlich und die Oberflächenbeschaffenheit des unbeschichteten Substrats als maßgebend ansieht.
84Darüber hinaus ergibt sich aus der Beschreibung des Verfügungspatents, dass diese im Allgemeinen, aber auch für bevorzugte Ausführungsformen sogar grundsätzlich davon ausgeht, dass für die patentgemäße Beschaffenheit des Substrats eines medizinischen Erzeugnisses die Oberfläche des noch zu beschichtenden Substrats entscheidend ist. So heißt es zur Funktion der patentgemäßen Oberflächenbeschaffenheit:
85„…dass der Wasserrückhalt einer hydrophilen Oberflächenbeschichtung sich signifikant verbessert, wenn die hydrophile Oberflächenbeschichtung auf ein Substrat mit einer erhöhten Oberflächentextur- oder Oberflächenrauigkeit aufgebracht wird.“ (Abs. [0013]; vgl. auch Abs. [0033]; Unterstreichung seitens der Kammer)
86Zu einer bevorzugten Ausführungsform der Erfindung wird ausgeführt:
87„Das Substrat ist des Weiteren auf seiner mit der hydrophilen Beschichtung zu bedeckenden Oberfläche mit einer ausgeprägten Oberflächentextur oder Oberflächenrauigkeit versehen.“ (Abs. [0031]; Unterstreichung seitens der Kammer)
88und für die Durchführung der Experimente werden Substratmaterialen verwendet, von denen es heißt:
89„Die Materialien (…) sind identisch, und der einzige Unterschied zwischen den Substraten besteht darin, dass Bsp. A so extrudiert ist, dass es im Vergleich zu Bsp. A‘ eine erhöhte Oberflächenrauigkeit aufweist.“ (Abs. 0044)
90Mit dem soeben zitierten Absatz ist zudem die Art und Weise der Herstellung der Oberflächenbeschaffenheit des Substrats angesprochen, die ebenfalls dafür spricht, dass für die Oberflächenbeschaffenheit auf das Substratmaterial unabhängig von der Beschichtung abzustellen ist. Nach der Beschreibung des Verfügungspatents lässt sich die Oberflächenrauigkeit/-textur beispielsweise einfach durch eine geeignete Steuerung des Extrusionsvorgangs während der Herstellung der Substratschäfte herstellen. Alternativ ist es möglich, eine geeignete Oberflächenbeschaffenheit durch Oberflächenbehandlung nach der Extrusion zu erhalten (Abs. 0031). Alle genannten Beispiele stellen auf den Zeitpunkt vor dem Aufbringen der hydrophilen Oberflächenbeschichtung ab.
Dagegen kann nicht mit Erfolg vorgebracht werden, die zuvor zitierten Textstellen bezögen sich auf das mit dem Anspruch 10 geschützte Verfahren. Das ist zum einen – mit Ausnahme der Absätze [0035] und [0036] – bei keinem der genannten Textstellen der Fall und zum anderen soll das mit dem Anspruch 10 geschützte Verfahren – wie bereits gezeigt – gerade zu einem medizinischen Gerät gemäß Anspruch 1 führen. Insofern ist der Anspruch 10 auch für die Auslegung von Anspruch 1 heranzuziehen. Das Verfahren nach Anspruch 10 beschreibt demnach einen Weg, um das medizinische Erzeugnis nach Anspruch 1 zu erhalten. Der Verfahrensanspruch 10 setzt aber voraus, dass das Substrat, auf dem die Beschichtung aufgebracht werden soll, d.h. vor dem Beschichtungsvorgang, eine Oberflächenbeschaffenheit hat, die der Merkmalsgruppe 4 von Anspruch 1 entspricht. Dies muss dann auch für den Anspruch 1 gelten, d.h. es genügt, dass das Substrat eines erfindungsgemäßen medizinischen Geräts vor der Beschichtung eine Oberflächenbeschaffenheit gemäß der Merkmalsgruppe 4 vorliegt.
Dies ergibt sich auch, wenn die Funktion der vom Anspruch 1 verlangten Oberflächenbeschaffenheit in den Blick genommen wird.
93Soweit der arithmetische Mittenrauwert des Oberflächenprofils und/oder die Höhendifferenz zwischen zwei Schnittlinien der Substratoberfläche bewirken, dass die aufgebrachte Beschichtung stärker auf dem Substrat haftet und somit die Gefahr reduziert, dass die Beschichtung im Gebrauch abfällt (Abs. [0014]), ist es ausreichend und gegebenenfalls sogar notwendig, dass das Substrat vor dem Beschichtungsvorgang eine Oberflächenbeschaffenheit im Sinne der Merkmalsgruppe 4 aufweist. Denn dann steht die erfindungsgemäße Oberflächentextur schon beim Beschichtungsvorgang für eine verbesserte Anbindung der hydrophilen Oberflächenbeschichtung an die Substratoberfläche zur Verfügung. Dabei ist es unerheblich, ob die Beschichtung mit der Substratoberfläche chemisch oder auf eine andere Art und Weise verbunden ist.
94Gleiches gilt, wenn die mit der Oberflächenbeschaffenheit verbundene Funktion des verbesserten Wasserrückhalts in den Blick genommen wird. Denn es ist nicht die Substratoberfläche und schon gar nicht ihre Oberflächenbeschaffenheit, die der Wasseraufnahme dient, sondern die hydrophile Beschichtung dieser Oberfläche. Dementsprechend äußert die Verfügungspatentschrift auch die Vermutung, dass der verbesserte Wasserrückhalt zumindest teilweise auf eine verbesserte Anhaftung der Beschichtung an dem Substrat zurückzuführen sein könnte, was wiederum auf die erhöhte Exposition gegenüber Bindungsstellen zwischen der Beschichtung und dem Substrat zurückzuführen sein könnte (Abs. [0013]). Diese Wirkungsweise wird aber nur dann erzielt, wenn bereits bei Beginn des Beschichtungsvorgangs die Substratoberfläche die erfindungsgemäße Beschaffenheit aufweist.
Durch diese Auslegung wird der Verfügungspatentanspruch nicht zu einem product-by-process-Anspruch und schon gar nicht zu einem Verfahrensanspruch oder als ein solcher behandelt. Weder enthält der Anspruch ein durch einen Verfahrensschritt zur Herstellung des Erzeugnisses geprägtes Merkmal, noch führt die Auslegung des Verfügungspatentanspruchs dazu, dass die Merkmalsgruppe 4 durch einen Verfahrensschritt geprägt wird. Entscheidend ist nach wie vor, dass das fertige Erzeugnis – das medizinische Produkt im Sinne von Merkmal 1 – sämtliche Merkmale des Verfügungspatentanspruchs aufweist. Dies gilt auch für die Merkmalsgruppe 4, nur dass die unter der Beschichtung befindliche Oberfläche des Substrats nicht zwingend exakt die geforderten Werte aufweisen muss, sondern auch etwaige Abweichungen von der Lehre des Verfügungspatents erfasst werden, die dadurch bedingt sind, dass die Oberfläche eines Substrats mit einer Beschaffenheit im Sinne der Merkmalsgruppe 4 infolge der Beschichtung eine – ggf. chemisch bedingte – Veränderung erfahren hat.
Soweit die Verfügungsbeklagten darauf hinweisen, dass für die Oberflächenbeschaffenheit nur solche Bereiche des Substrats relevant sind, die auch mit einer Oberflächenbeschichtung versehen sind, ist das grundsätzlich zutreffend. Dies schließt aber nicht aus, dass es auch beschichtete Bereiche des Substrats gibt, die nicht die erfindungsgemäße Oberflächenbeschaffenheit aufweisen. Weder der Wortlaut, noch die Funktion der Oberflächenbeschaffenheit zwingen zu einer anderen Auslegung. Die Wirkung eines medizinischen Geräts, das nur in Teilbereichen der beschichteten Substratoberfläche eine Beschaffenheit im Sinne der Merkmalsgruppe 4 aufweist, ist jedenfalls teilweise gegenüber dem Stand der Technik verbessert. Das Verfügungspatent verlangt keine bestmögliche Wirkung.
97III.
98Die angegriffene Ausführungsform verwirklicht sämtliche Merkmale des Verfügungspatentanspruchs.
Unstreitig handelt es sich bei den angegriffenen Kathetern um medizinische Geräte.
Die angegriffene Ausführungsform weist auch ein Substrat und eine hydrophile Oberflächenbeschichtung im Sinne von Merkmal 1.1 und 1.2 auf, die gemäß den Merkmalen 2 und 3 angeordnet sind.
101Bei dem Substrat handelt es sich um ein Material aus Polyurethan, bei der Beschichtung handelt es sich um hochmolekulares PVP. Dass das Substrat und die Beschichtung chemisch verbunden sind, ist unschädlich. Ebenso unbeachtlich ist es, dass das PVP kovalent an die Polymerketten des Substratmaterials Polyurethan unter teilweise Entstehung neuartiger Polymerketten bindet und die infolge dieser Vernetzung entstandenen Bindungen nicht ohne weiteres zu lösen sind. Das Verfügungspatent lässt eine chemische Verbindung zwischen Substrat und hydrophiler Beschichtung und auch eine chemische Veränderung dieser Materialien zu. Die Verfügungsbeklagten stellen selbst nicht in Abrede, dass es sich im Kern weiterhin um ein Substrat aus Polyurethan-Material handelt, das stofflich von der Beschichtung aus PVP unterschieden werden kann.
102Das PVP als hydrophile Oberflächenbeschichtung der angegriffenen Ausführungsform ist gemäß Merkmal 2 auf dem Polyurethan-Substrat angeordnet und umgekehrt liegt die Oberfläche dieses Substrats gemäß Merkmal 3 unter der PVP-Schicht.
Die angegriffene Ausführungsform verwirklicht zudem die Merkmalsgruppe 4. Dies hat die Verfügungsklägerin anhand der von ihr in Auftrag gegebenen Untersuchungen von Mustern der angegriffenen Ausführungsform im Einzelnen dargelegt. Diesen Vortrag haben die Verfügungsbeklagten nicht erheblich bestritten.
Sämtliche Produktvarianten der angegriffenen Ausführungsform weisen ein Substrat mit einer Oberflächenbeschaffenheit auf, deren Mittenrauwert (Ra) des Oberflächenprofils und dessen Höhendifferenz zwischen zwei Schnittlinien (Rdc) im beanspruchten Bereich liegen.
105Dies ergibt sich aus den Untersuchungen des RISE-Instituts, die von der Verfügungsklägerin in Auftrag gegeben wurden und deren Ergebnisse als Anlage A 15, in deutscher Übersetzung als Anlage A 15a vorliegen.
106aa)
107Das RISE-Institut untersuchte von allen Produktvarianten der angegriffenen Ausführungsform jeweils einen Ausschnitt der drei Abschnitte eines Katheters, nämlich aus dem Anschlussteil („connector part“ – „K“), aus dem Mittelteil („middle part“ – „M“) und aus der Spitze („tip part“ – „T“). Das Anschlussteil „K“ ist anders als das Mittelteil „M“ und die Spitze „T“ nicht mit einer hydrophilen Beschichtung versehen. Jede Kathetervariante der angegriffenen Ausführungsform war mit ihren drei Abschnitten Gegenstand von zwei Untersuchungen: Ein Katheter jeder Variante wurde dahingehend vorbehandelt, dass die Verfügungsklägerin versuchte, die hydrophile Beschichtung mit Hilfe eines Schabers und anschließendem Waschen und Abreiben zu entfernen, und dann untersucht. Ein anderer Katheter jeder Variante wurde als Referenzprobe nicht behandelt, sondern nur seine Beschichtung getrocknet und dann vermessen (Zusatz „U“ – „untreated“). Es wurden Abschnitte von insgesamt zehn vorbehandelten und zehn unbehandelten Mustern untersucht.
108Die Messungen wurden mit einem Oberflächenrauigkeitsmessgerät des Typs Stylus Oberflächen-Profilometer Form Talysurf 120, Taylor Hobson Ltd, UK, durchgeführt. Dabei wird die Spitze einer Nadel mit einem Radius von 2 unter einem Winkel von 90° über die Oberfläche geführt. Messungen erfolgten an fünf verschiedenen, gleichmäßig über die Oberfläche des jeweiligen Abschnitts verteilten Messstrecken von 12,5 mm Länge. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Anlagen A 15/A 15a verwiesen.
109bb)
110Mit Ausnahme der angegriffenen Ausführungsform des Typs Charriere-Größe CH10 (Taschenformat) zeigen die Messergebnisse durchweg Werte im beanspruchten Bereich für den arithmetischen Mittenrauwert und die Höhendifferenz. Von der Charriere-Größe C10 (Taschenformat) der angegriffenen Ausführungsform verwirklichen nur einzelne Exemplare die Merkmalsgruppe 4.
111Ob und wie weit durch die Vorbehandlung der Muster eine Veränderung der Oberflächenbeschaffenheit stattfand, die eine Aussage über den Mittenrauwert und die Höhendifferenz der angegriffenen Ausführungsform nicht mehr zulässt, bedarf keiner Entscheidung. Denn auch die Messergebnisse für die unbeschichteten und unbehandelten Konnektorabschnitte liegen im beanspruchten Bereich und lassen eine Aussage über die Oberflächenbeschaffenheit des Substrats in dem beschichteten Bereich zu.
112(1)
113Aus den Tabellen 2 bis 9 sowie 12 bis 15 der Anlage A 15/A 15a ergibt sich, dass die Mittenrauwerte und die Höhendifferenz der Konnektorabschnitte („K“) sowohl der behandelten, als auch der unbehandelten Muster der angegriffenen Ausführungsform im beanspruchten Bereich gemäß Merkmalsgruppe 4 liegen. Für die Charriere-Größe CH 10 (Taschenformat) gilt dies nur für die Muster K2 und K5 (Tabelle 10) bzw. KU1 (Tabelle 11). Auch wenn es sich bei den angegebenen Werten um die Mittelwerte von fünf verschiedenen Messungen handelt, zeigen die Standardabweichung und sogar die erweiterte Unsicherheit selbst für die Konnektorabschnitte der Charriere-Größe 10 (Taschenformat), dass es sich bei den Werten nicht um Ausreißer handelt, sondern davon auszugehen ist, dass die Oberfläche des gesamten Konnektorabschnitts dieser jeweiligen Probe im beanspruchten Bereich liegt.
114(2)
115Aus der Oberflächenbeschaffenheit der unbeschichteten Konnektorabschnitte kann ohne Einschränkung die Schlussfolgerung gezogen werden, dass das Substrat der angegriffenen Katheter auch in den beschichteten Bereichen die Merkmalsgruppe 4 verwirklicht. Denn unstreitig entsteht bei der Herstellung des Kathetersubstrats ein endloser Schlauch, der an allen Stellen – also vom Konnektor bis zur Spitze – dieselbe Oberflächenbeschaffenheit, insbesondere dieselbe Rauigkeit, aufweist. Ob der nachfolgende Beschichtungsprozess in Form der Vernetzung der PVP-Beschichtung mit der Substratoberfläche mittels UV-Licht zu einer Veränderung der Oberflächenbeschaffenheit des Substrats führt und ob diese Veränderungen einen messbaren Einfluss auf die Rauheit der Oberfläche haben, bedarf keiner Entscheidung. Nach der Lehre des Verfügungspatents ist die Oberflächenbeschaffenheit des Substrats im Sinne der Merkmalsgruppe 4 unabhängig von der Beschichtung zu betrachten. Insbesondere sind Veränderungen der Oberfläche unbeachtlich, die durch den Beschichtungsvorgang bedingt sind, wenn das Substrat jedenfalls unmittelbar vor der Beschichtung eine Substratoberfläche gemäß der Merkmalsgruppe 4 aufwies. Das aber steht aufgrund der vorgelegten Untersuchungsergebnisse fest.
116Es geht bei alledem nicht darum zu beurteilen, ob die angegriffene Ausführungsform in ihrem unbeschichteten Bereich patentgemäß ist. Die unbeschichteten Bereiche werden nur deshalb in die Betrachtung einbezogen, weil ihre Beschaffenheit einen Rückschluss auf die Oberflächenbeschaffenheit der beschichteten Bereiche zulässt. Entscheidend ist, dass deren Rauheit im beanspruchten Bereich liegt. Ob sich dies auch durch die Untersuchung der beschichteten Abschnitte „M“ und „T“ und die daraus gewonnenen Messergebnisse hätte feststellen lassen, bedarf keiner Entscheidung. Gleichwohl ist auffällig, dass die Messergebnisse durchweg konsistent sind, also die Messergebnisse der behandelten Abschnitte „M“ und „T“ – selbst für die Charriere-Größe 10 (Taschenformat) – den Ergebnissen für den Abschnitt „K“ entsprechen, während sie für die unbehandelten Abschnitte durchweg kleiner ausfallen, was seine Ursache darin haben könnte, dass sich die hydrophile Beschichtung in diesem Fall noch auf dem Substrat, aber eben nicht auf dem Abschnitt „KU“ befand. Insofern stehen die Messergebnisse für die Abschnitte „M“ und „T“ jedenfalls nicht im Widerspruch zu dem Vortrag, dass die angegriffene Ausführungsform über alle Abschnitte hinweg aus einem einheitlichen Substratmaterial mit gleicher Oberflächenbeschaffenheit hergestellt wird.
Die Verfügungsbeklagten haben den Vortrag der Verfügungsklägerin nicht erheblich bestritten.
118Soweit die Verfügungsbeklagten das Vorgehen der Verfügungsklägerin im Rahmen der durchgeführten Untersuchungen mit Nichtwissen bestreiten, ist dieses Bestreiten unerheblich. Hinsichtlich der konkreten Werte für die Oberflächenbeschaffenheit des Substrats der angegriffenen Ausführungsform ist ein Bestreiten mit Nichtwissen unzulässig. Denn bei der angegriffenen Ausführungsform handelt es sich um ein Produkt der Verfügungsbeklagten, das sie selbst in Händen halten und damit Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung ist, § 138 Abs. 4 ZPO. Selbst wenn ihnen die konkrete Oberflächenbeschaffenheit des Substrats der angegriffenen Ausführungsform nicht im Einzelnen bekannt war, hätten sie diese durch eigene Untersuchungen in Erfahrung bringen können. Daran fehlt es, so dass der Vortrag der Verfügungsklägerin als zugestanden gilt, § 138 Abs. 4 ZPO.
119Ob und wie weit es für ein erhebliches Bestreiten ausreichend ist, wenn die Messergebnisse lediglich mit der Begründung bestritten werden, dass sich die Probenvorbereitung und die gewählte Messmethodik für den Erhalt von belastbaren Messergebnissen nicht eignen, kann im Streitfall dahinstehen. Denn ein solches Vorbringen der Verfügungsbeklagten betrifft im Wesentlichen die auf die beschichteten Bereiche des Substrats der angegriffenen Ausführungsform gerichteten Untersuchungen durch die Verfügungsklägerin. In Bezug auf die für die Feststellung der Merkmalsverwirklichung maßgeblichen (unbeschichteten) Konnektorabschnitte ist das Vorbringen der Verfügungsbeklagten hingegen pauschal und ohne Substanz und daher nicht geeignet, die vorgetragenen Messergebnisse in Frage zu stellen.
120Soweit die Verfügungsbeklagten einwenden, die Pick-up-Nadel des Oberflächen-Profilometers könne bei den Messungen verrutschen und es müsse sichergestellt sein, dass dies nicht passiere, greift dies nicht durch. Die Verfügungsbeklagten zeigen keine Anhaltspunkte dafür auf, dass es zu einem Verrutschen der Pick-up-Nadel gekommen sein könnte, sondern behaupten nur eine abstrakte Möglichkeit. Gleiches gilt für die Möglichkeit einer Beschädigung der Oberfläche des Katheterschafts durch die Pick-up-Nadel und eine dadurch bedingte Verfälschung der Messergebnisse. Auch aus der dazu vorgelegten eidesstattlichen Versicherung von Herrn Gogotic ergibt sich nichts anderes (Anlage KAP 2/KAP 2a). Die Verfügungsklägerin hat hingegen substantiiert erläutert, wie sichergestellt wird, dass die Pick-up-Nadel parallel zur Achse des Katheterschlauchs geführt werden kann, ohne abzurutschen, indem der Schlauch auf einen entsprechenden Pin gezogen wird, der mit der Nadel koaxial ausgerichtet werden kann. Im Übrigen werden Oberflächenmessungen – auch von Kunststoffobjekten – typischerweise mit Profilometern nach Art des vom RISE-Instituts verwendeten Typs durchgeführt, ohne dass es dabei zu Beschädigungen kommt. Dafür ist auch seitens der Verfügungsbeklagten nichts dargetan.
121Auch der Einwand, es gebe keinen behandelten Konnektorabschnitt, der mit einem unbehandelten Konnektorabschnitt hätte verglichen werden können, weil der Konnektor von vornherein keine Beschichtung aufweist, greift nicht durch. Denn für die vorgetragenen Messergebnisse und die Feststellung der Merkmalsverwirklichung kommt es darauf nicht an.
122Der Vortrag der Verfügungsbeklagten, die Oberfläche des Konnektorabschnitts sei der Flüssigkeit ausgesetzt, in der der Katheter gelagert sei, enthalte mit der Zeit Reste der Beschichtung wie beispielsweise Harnstoff und PVP, die sich am unbeschichteten Teil des Katheters ablagerten und seine Oberflächeneigenschaften veränderten, ist ebenso unerheblich wie die Annahme, es könnten sich durch die Befestigung des Adapters am Ende des Testabschnitts Ablagerungen des Klebers auf der Oberfläche bestehen. Wiederum zeigen die Verfügungsbeklagten allenfalls pauschal und ohne jede Substanz mögliche Einflüsse auf die Messungen auf, ohne dass es Anhaltspunkte dafür gäbe, dass es tatsächlich zu solchen Ablagerungen und einer Verfälschung der Messungen kam. Aus den vorgelegten Messergebnissen lassen sie sich jedenfalls nicht herauslesen. Vielmehr hätte es den Verfügungsbeklagten oblegen, dies anhand eigener Messungen darzustellen.
123Schließlich kann gegen die Messergebnisse auch nicht mit Erfolg eingewandt werden, dass ihnen die statistische Aussagekraft fehle. Denn es genügt bereits ein Exemplar der angegriffenen Ausführungsform, dessen Oberflächenrauigkeit im beanspruchten Bereich liegt, um eine Patentverletzung zu begründen. Es geht also nicht um eine statistische Aussage über das Produktportfolio oder einen Kathetertyp, sondern den Vortrag bzw. Nachweis einer Patentverletzung im konkreten Einzelfall, der hier durch fünf Messungen an jedem der drei Abschnitte eines Katheters geführt worden ist. Ungeachtet dessen zeigen die Messergebnisse über alle Kathetertypen hinweg – mit Ausnahme der Charriere-Größe 10 (Taschenformat) – für alle untersuchten Exemplare konsistent, dass die Produktpalette als solches von der Lehre des Verfügungspatents Gebrauch macht.
124IV.
125Durch Angebot und Vertrieb der angegriffenen Ausführungsform in der Bundesrepublik Deutschland machen die Verfügungsbeklagten von der Lehre des Verfügungspatents Gebrauch, ohne dazu berechtigt zu sein. Dies begründet nachstehende Rechtsfolgen.
Die Verfügungsbeklagten sind der Verfügungsklägerin aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ i.V.m. § 139 Abs. 1 PatG zur Unterlassung verpflichtet.
127Der Anspruch ist nicht gemäß § 139 Abs. 1 S. 3 PatG mangels Verhältnismäßigkeit ausgeschlossen. Die Verurteilung zur Unterlassung stellt im Streitfall – auch unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls und der Gebote von Treu und Glauben – weder für die Verfügungsbeklagten, noch für Anwender, die die angegriffene Ausführungsform derzeit verwenden, keine unverhältnismäßige, über die typischen Folgen einer Unterlassungsverurteilung hinaus gehende Härte dar.
Bei der Regelung des § 139 Abs. 1 S. 3 PatG handelt es sich um eine Klarstellung des Gesetzgebers, mit der zum Ausdruck gebracht werden soll, dass der Unterlassungsanspruch unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit eingeschränkt sein kann, wie es auch bereits vor Erlass der Regelung in der höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkannt war (BT-Drs. 19/25821, S. 52f.). Der Einwand der Unverhältnismäßigkeit verlangt eine Würdigung der Gesamtumstände des Einzelfalls und eine sorgfältige Abwägung aller Umstände unter Berücksichtigung des Gebotes von Treu und Glauben und der grundsätzlich vorrangigen Interessen des Verletzten an der Durchsetzung seines Unterlassungsanspruchs (BT-Drs. 19/25821, S. 53; Schulte/Voß, PatG, 11. Aufl.: § 139 Rn 78). An die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH GRUR 2016, 1031 – Wärmetauscher) anknüpfend wird auch in der Gesetzesbegründung hervorgehoben, dass eine Einschränkung des Unterlassungsanspruchs „nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen in Betracht kommt“ (BT-Drs. 19/25821, S. 53).
Eine nach dieser Maßgabe vorgenommene Interessenabwägung führt vorliegend nicht dazu, dass der Unterlassungsanspruch aus Gründen der Verhältnismäßigkeit einzuschränken oder gar vollständig ausgeschlossen ist.
130aa)
131Die Verfügungsbeklagten stützen den Einwand der Unverhältnismäßigkeit im Wesentlichen darauf, dass – nach ihrer Auffassung – durch eine Unterlassungsverurteilung das Recht auf körperliche Unversehrtheit nach Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG der Anwender, die die angegriffene Ausführungsform verwenden, beeinträchtigt werde. Dem vermag die Kammer nicht zu folgen.
132Es ist nicht dargetan, dass die Einstellung von Angebot und Vertrieb der angegriffenen Ausführungsform unmittelbar in die körperliche Unversehrtheit von Anwendern der angegriffenen Ausführungsform eingreift. Die Verfügungsbeklagten tragen vor, dass es sich bei der angegriffenen Ausführungsform nicht um ein Produkt handele, bei dem Kunden kurzfristig auf ein anderes Produkt wechseln könnten, weil die Auswahl eines geeigneten Katheters und die Einübung seines Gebrauchs mit zeitlichem und personellem Aufwand sowohl für Patienten als auch für Ärzte, Therapeuten und pflegendes Personal verbunden sei. Zeitlicher und personaler Aufwand sind jedoch keine Gründe, die eine Unterlassungspflicht unverhältnismäßig erscheinen lassen. Soweit es um Ärzte, Therapeuten und Pfleger geht, ist deren Gesundheit ohnehin nicht betroffen. Aber auch für die unmittelbaren Anwender mag eine Katheter-Umstellung mit nicht geringen Unannehmlichkeiten verbunden sein (oder wie die Verfügungsbeklagten selbst vortragen: „impraktikabel“ sein), was die Kammer auch durchaus anerkennt und in jedem Einzelfall bedauerlich ist; allerdings stellen solche Unannehmlichkeiten keine über die typischen Folgen einer Unterlassungsverurteilung hinaus gehende Härte dar, die die Unverhältnismäßigkeit der Unterlassungspflicht begründen könnten.
133In gesundheitlicher Hinsicht tragen die Verfügungsbeklagten lediglich vor, bei einer Einstellung der Belieferung von „jetzt auf gleich“ sei eine Umstellung aller Patienten aufgrund des damit verbundenen Aufwands nicht zu bewerkstelligen und daher mit erheblichen gesundheitlichen Risiken infolge unterbliebener oder unzureichender Einweisungen oder Fehlern in der Anwendung verbunden. Aber auch dieser Vortrag vermag eine Einschränkung der Unterlassungspflicht aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nicht zu rechtfertigen. Die für den Einwand der Unverhältnismäßigkeit darlegungs- und beweisbelasteten Verfügungsbeklagten tragen schon nicht vor, wie hoch das Risiko der dargestellten Anwendungsfehler überhaupt ist. Dazu hätte vorgetragen werden müssen, wie viele Patienten die angegriffene Ausführungsform nutzen, welcher konkrete zeitliche und personelle Aufwand mit einem Produktwechsel für die Patienten tatsächlich verbunden ist und warum dieser allgemein nicht zu leisten ist. Zudem hat die Verfügungsklägerin unwidersprochen vorgetragen, dass die Schwierigkeiten das Erlernen der Katheterisierung als solcher betreffen und weniger den Umgang mit verschiedenen Produkten und Marken. Daher kann den Verfügungsbeklagten auch nicht darin gefolgt werden, ein Produktwechsel sei für den Patienten mit besonderen Risiken verbunden ist. Ohnedies dürfte das eher Patienten betreffen, die ausschließlich auf die Selbstkatheterisierung angewiesen sind, weil für Therapie- und Pflegepersonal angenommen werden kann, dass es sich mit verschiedenen Katheterprodukten auskennt. Damit verbleibt es auch in dieser Hinsicht dabei, dass ein Produktwechsel seitens der Anwender unerwünscht sein kann, aber nicht die Folgen hat, die zu einer Beschränkung des Unterlassungsanspruchs führen könnten.
134Soweit die Verfügungsbeklagten auf die Schwierigkeiten hinweisen, die mit der aus therapeutischer Sicht zu vermeidenden Umstellung auf einen anderen Kathetertyp bei Kindern verbunden sind, greift der Einwand schon deshalb nicht durch, weil die angegriffene Ausführungsform ausschließlich für erwachsene Männer geeignet, jedenfalls aber nicht für Kinder vorgesehen ist.
135Zu einem anderen Abwägungsergebnis führt auch nicht der Umstand, dass der Unterlassungsanspruch im Wege eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung geltend gemacht wird. Es mag sein, dass es den Verfügungsbeklagten während der kurzen Verfahrensdauer nicht möglich ist, eine für die angegriffene Ausführungsform eine patentfreie Umgehungslösung zu entwickeln und auf den Markt zu bringen. Das ist aber typische Folge eines im Wege des Eilrechtsschutzes erlassenen Unterlassungsgebotes und seitens der Verfügungsbeklagten hinzunehmen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht mit Blick auf die Anwender der angegriffenen Ausführungsform, weil nicht dargetan ist, dass für diese mit Ausnahme einer – bislang gar nicht existierenden – Umgehungslösung der Verfügungsbeklagten keine alternativen Katheter zur Verfügung stehen.
136bb)
137Soweit sich die Verfügungsbeklagten darauf berufen, die Einstellung des Vertriebs der angegriffenen Ausführungsform würde bei ihnen zu einem erheblichen Schaden führen, weil sie ihre Kunden verlieren würden und das Vertrauen in die Produkte der Verfügungsbeklagten nachhaltig erschüttert sei, handelt es sich um Folgen, die typischerweise mit einer Unterlassungsverpflichtung verbunden sind und keine unverhältnismäßige Härte darstellen. Ob die Verfügungsbeklagten ihre Vertragspartner auch in naher Zukunft für ihre anderen Produkte oder neue Produktentwicklungen nicht mehr werden begeistern und daher keinen neuen Kundenstamm werden erschließen können, ist eine durch nichts belegte Vermutung, die zudem konkrete Schäden für die Verfügungsbeklagten nicht benennt.
138cc)
139Bei alledem ist zu berücksichtigen, dass es weder eines Produktwechsels auf Seiten der Anwender bedarf, noch zu einem Vertrauensverlust in den Konzern der Verfügungsbeklagten kommen muss, wenn es den Verfügungsbeklagten gelänge, mit der Verfügungsklägerin eine Lizenz am Verfügungspatent auszuhandeln. Eine grundsätzliche Lizenzbereitschaft hat die Verfügungsklägerin erklärt. Seitens der Verfügungsbeklagten ist nicht vorgetragen, warum bislang nicht nach einer Lizenz nachgesucht wurde oder eine Lizenznahme scheiterte. Hatten die Verfügungsbeklagten es aber selbst in der Hand, die nachteiligen Folgen einer Unterlassungsverurteilung abzuwenden, kann von einer solche Verurteilung nicht aufgrund von Verhältnismäßigkeitserwägungen abgesehen werden (Kühnen: Hb. d. Patentverletzung, 14. Aufl.: Kap. D Rn 536 f.).
Weiterhin hat die Verfügungsklägerin gegen die Verfügungsbeklagten einen Anspruch auf Auskunft aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ i.V.m. § 140b Abs. 1 und 3 PatG.
141Da es sich um eine offensichtliche Rechtsverletzung handelt, kann die Verpflichtung zur Auskunft auch im Wege der einstweiligen Verfügung angeordnet werden, Art. 64 Abs. 1 EPÜ i.V.m. § 140b Abs. 7 PatG.
142Eine Patentverletzung ist offensichtlich, wenn die Rechtsverletzung nicht nur glaubhaft ist, sondern eine Fehlbeurteilung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen ist (OLG Hamburg InstGE 8, 11 Transglutaminase). Auch der Rechtsbestand darf nicht zweifelhaft sein; es muss mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen sein, dass das Verfügungsschutzrecht rechtsbeständig ist (OLG Düsseldorf, Urt. v. 19.02.2016, I-2 U 55/15, BeckRS 2016, 06344).
143Diese Voraussetzungen sind im Streitfall gegeben. Die Auslegung des Verfügungspatentanspruchs begegnet keinen rechtlichen Schwierigkeiten. Dass für den Nachweis der Patentverletzung die angegriffene Ausführungsform näher untersucht werden musste, macht den Nachweis der Patentverletzung nicht zweifelhaft. Denn gegen die Verletzung des Verfügungspatents haben die Verfügungsbeklagten – wie ausgeführt – keine erheblichen Einwendungen erhoben. Dass ihnen eigene Untersuchungen der angegriffenen Ausführungsform, wie sie für den Verletzungsnachweis im Streitfall erforderlich waren, selbst nicht durchführen konnten, ist nicht ersichtlich. Insbesondere kam es dafür nicht auf eine Entfernung der hydrophilen Beschichtung an. Schließlich begegnet auch der Rechtsbestand keinen Zweifeln (dazu nachfolgend unter B. I.).
Ein für den Erlass einer einstweiligen Verfügung erforderlicher Verfügungsgrund im Sinne von § 935 ZPO ist zu bejahen.
145Gemäß §§ 935, 940 ZPO setzt der Erlass einer einstweiligen Verfügung voraus, dass die Verwirklichung des Rechts einer Partei vereitelt oder wesentlich erschwert wird oder sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile für das Recht erforderlich erscheint. Entscheidend für das Vorliegen eines solchen Verfügungsgrundes ist, ob es dem Antragsteller nicht zugemutet werden kann, ein Hauptsacheverfahren durchzuführen und in diesem auf den Erlass eines Vollstreckungstitels zu warten (OLG Mannheim InstGE 11, 143 – VA-LCD-Fernseher; OLG Düsseldorf GRUR-RR 2017, 477 (Rn 13) – Vakuumgestütztes Behandlungssystem). Dies setzt neben der Dringlichkeit der Sache grundsätzlich eine Abwägung zwischen den schutzwürdigen Belangen des Antragstellers und den schutzwürdigen Interessen des Antragsgegners voraus (OLG Düsseldorf InstGE 9, 140 (Rn 24) – Olanzapin; GRUR-RR 2017, 477 (Rn 13) – Vakuumgestütztes Behandlungssystem; Schulte/Voß, PatG 11. Aufl.: § 139 Rn 439; Cepl/Voß, ZPO 2. Aufl.: § 940 Rn 64; Benkard/Grabinski/Zülch, PatG 11. Aufl.: § 139 Rn 153a).
146I.
147Die Interessenabwägung fällt im vorliegenden Fall zugunsten der Verfügungsklägerin aus.
148Denn zwischen unmittelbaren Wettbewerbern kommt der Erlass einer einstweiligen Verfügung regelmäßig dann in Betracht, wenn sowohl die Frage der Patentverletzung als auch der Bestand des Verfügungspatents im Ergebnis so eindeutig zugunsten des Antragstellers zu beantworten sind, dass eine fehlerhafte, in einem nachfolgenden Hauptsacheverfahren zu revidierende Entscheidung nicht ernstlich zu erwarten ist (OLG Düsseldorf InstGE 9, 140 – Olanzapin; InstGE 12, 114 – Harnkatheterset; GRUR-RR 2011, 81 – Gleitsattelscheibenbremse II; GRUR-RR 2013, 236 (239 f) – Flupirtin-Maleat; GRUR-RS 2021, 4420 – Cinacalcet II; OLG Karlsruhe GRUR-RR 2009, 442 – Vorläufiger Rechtsschutz), weil dem Antragsteller vor dem Hintergrund der zeitlichen Begrenzung seines Schutzrechts (vgl. zu diesem Aspekt OLG Düsseldorf InstGE 9, 140 (Rn 61) – Olanzapin und InstGE 12, 114 (Rn 29) – Harnkatheterset) in der Regel nicht zuzumuten ist, die Verletzung seines Ausschließlichkeitsrechts weiter hinzunehmen und ihn darauf zu verweisen, seinen Schaden in einem späteren Hauptsacheverfahren zu liquidieren (OLG Düsseldorf, InstGE 10, 124 (Rn 8) – Inhalator; vgl. OLG Karlsruhe GRUR-RR 2015, 509 (Rn 52) – Ausrüstungssatz).
149Da die Verletzung des Verfügungspatents nach den Ausführungen zum Verfügungsanspruch zweifellos gegeben ist, kommt dem Rechtsbestand für die Interessenabwägung nach den vorangehenden Grundsätzen besondere Bedeutung zu.
Nach ständiger Rechtsprechung muss für den Erlass einer einstweiligen Verfügung der Rechtsbestand des Verfügungsschutzrechts hinlänglich gesichert sein. Zweifel an der grundsätzlich zu respektierenden Schutzfähigkeit des Verfügungspatentes können das Vorliegen eines Verfügungsgrundes ausschließen (OLG Düsseldorf InstGE 9, 140 (Rn 27) – Olanzapin). Der Rechtsbestand muss so weit gesichert sein, dass eine fehlerhafte, in einem etwa nachfolgenden Hauptsachverfahren zu revidierende Entscheidung nicht ernstlich zu erwarten ist (OLG Düsseldorf InstGE 12, 114 (Rn 12) – Harnkatheterset). Die Einschätzung der Rechtsbeständigkeit muss das Verletzungsgericht in eigener Verantwortung vornehmen (OLG Düsseldorf InstGE 9, 140 (Rn 27) – Olanzapin; InstGE 12, 114 (Rn 14) – Harnkatheterset). Es kann sich nicht kurzerhand auf den Erteilungsakt verlassen, sondern hat selbständig zu klären, ob angesichts des Sachvortrages des Antragsgegners ernstzunehmende Anhaltspunkte dafür bestehen, dass das Verfügungspatent ggf. keinen Bestand haben wird (OLG Düsseldorf InstGE 12, 114 (Rn 14) – Harnkatheterset; GRUR-RS 2016, 03306 – Ballonexpandierbare Stents). Seine Vernichtung muss als Folge der Einwendungen des Antragsgegners aus Sicht des Verletzungsgerichts nicht zwingend und sie muss auch nicht überwiegend wahrscheinlich, aber aufgrund einer in sich schlüssigen, vertretbaren und letztlich nicht von der Hand zu weisenden Argumentation des Antragsgegners möglich sein, um einem Verfügungsantrag den Erfolg versagen zu können (OLG Düsseldorf InstGE 12, 114 (Rn 14) – Harnkatheterset; GRUR-RS 2016, 03306 – Ballonexpandierbare Stents).
151Wann von einem hinreichend gesicherten Rechtsbestand des Verfügungspatents ausgegangen werden kann, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab.
152Zuvorderst muss das Verfügungsschutzrecht, damit Zweifel am Rechtsbestand des Verfügungspatents sich in einer Zurückweisung des Verfügungsantrags niederschlagen können, allerdings überhaupt mit einem Einspruch oder einer Nichtigkeitsklage angegriffen werden, weil nur sie das Patent tatsächlich zu Fall bringen können (OLG Düsseldorf InstGE 7, 147 – Kleinleistungsschalter; InstGE 12, 114 (Rn 15) – Harnkatheterset). Ist das Patent dann erstinstanzlich widerrufen oder für nichtig erklärt, kommt eine Unterlassungsverfügung in der Regel nicht mehr in Betracht (OLG Düsseldorf InstGE 9, 140 (Rn 29) – Olanzapin; InstGE 10, 114, (Rn 19) – Harnkatheterset). Umgekehrt kann regelmäßig von einem hinreichend gesicherten Rechtsbestand ausgegangen werden, wenn das Verfügungspatent bereits ein erstinstanzliches Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren überstanden hat (OLG Düsseldorf InstGE 9, 140 (Rn 28) – Olanzapin; InstGE 10, 114, (Rn 18) – Harnkatheterset) oder ein entsprechend qualifizierter Vorbescheid des EPA oder BPatG ergangen ist (OLG Düsseldorf GRUR-RR 2021, 249 – Cinacalcet II).
153Ohne eine erstinstanzliche Entscheidung im Rechtsbestandsverfahren gilt der zuvor genannte Maßstab für den Rechtsbestand. Die im Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren vorgebrachten Einwendungen dürfen sich bei der im Eilrechtsschutz gebotenen summarischen Prüfung nicht als haltlos erweisen (OLG Düsseldorf InstGE 12, 114 (Rn 18) – Harnkatheterset). Ob und wie weit in Abhängigkeit von den Umständen des Einzelfalls andere Maßstäbe zur Anwendung gelangen, bedarf im Streitfall keiner Entscheidung. Solche Umstände, bei denen die Anforderungen an den Rechtsbestand herabgesetzt sind, sind jedenfalls in der obergerichtlichen Rechtsprechung anerkannt (OLG Düsseldorf InstGE 12, 114 (Rn 18) – Harnkatheterset; Mitt. 2013, 232, 237 – Flupirtin-Maleat; OLG München GRUR 2020, 385 – Elektrische Anschlussklemme; vgl. Kühnen: Hb. d. Patentverletzung, 14. Aufl.: Kap. G Rn 58 ff. m.w.Nw.).
154Diese Grundsätze werden durch Art. 9 Abs. 1 RL 2004/48/EG (Durchsetzungsrichtlinie) und die zu seiner Auslegung ergangene Entscheidung Phoenix Contact/Harting des EuGH (GRUR 2022, 811) nicht in Frage gestellt. Nach den vorstehenden Ausführungen wird der Erlass einer einstweiligen Verfügung wegen einer Verletzung von Patenten nicht grundsätzlich verweigert, wenn das in Rede stehende Patent nicht zumindest ein erstinstanzliches Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren überstanden hat. Es ist vielmehr dem in der Bundesrepublik Deutschland herrschenden Trennungsprinzip und den mit einer einstweiligen Verfügung verbundenen einschneidenden Folgen für den Antragsgegner geschuldet, dass der Rechtsbestand des Verfügungspatents in der für den Verfügungsgrund maßgeblichen Interessenabwägung Berücksichtigung findet. Nach den vorangehend wiedergegebenen Maßstäben kommt der Erlass einer einstweiligen Verfügung auch ohne positive erstinstanzliche Rechtsbestandsentscheidung in Betracht. Insbesondere entsprechen diese Maßstäbe nicht den vom EuGH in der Entscheidung Phoenix Contact/Harting – bedingt durch die Vorlagefrage – geschilderten Grundsätzen der Rechtsprechung, wonach der Erlass einstweiliger Maßnahmen – neben der Feststellung der Patentverletzung – das Vorliegen einer Entscheidung im Einspruchs-/Beschwerdeverfahren vor dem EPA oder des BPatG im Nichtigkeitsverfahren voraussetze, mit der bestätigt werde, dass das betreffende Patent für das in Rede stehende Produkt Schutz entfalte (EuGH GRUR 2022, 811 – Phoenix Contact/Harting).
155Die Kammer ist auch der Auffassung, dass mit der Erteilung des Verfügungspatents als solcher keine Vermutungswirkung für den Rechtsbestand des Verfügungspatents verbunden ist. Selbst dann, wenn man die Ausführungen des EuGH in der Entscheidung Phoenix Contact/Harting, wonach für europäische Patente ab dem Zeitpunkt der Veröffentlichung ihrer Erteilung eine Vermutung der Gültigkeit bestehe (EuGH, GRUR 2022, 811 (41)), derart begreifen möchte, dass damit eine Vermutung im rechtlichen Sinne gemeint ist – woran die Kammer Zweifel hat –, ist eine solche widerleglich durch eine negative Einspruchs- oder Nichtigkeitsentscheidung des EPA oder des Bundespatentgerichts. Anders als im Hauptsacheverfahren, das bei einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit einer zukünftigen Vernichtung des Patents ausgesetzt werden kann, kann im Eilrechtsschutz nicht bis zu einer erstinstanzlichen Entscheidung von EPA oder Bundespatentgericht zugewartet werden. Der Möglichkeit einer das Verfügungspatent aufhebenden oder abändernden Entscheidung ist daher im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung Rechnung zu tragen, indem das Verletzungsgericht zu klären hat, ob ernstzunehmende Anhaltspunkte für eine solche verneinende Entscheidung bestehen und daher die einstweilige Verfügung ggf. zu versagen ist.
Gemessen an diesen Grundsätzen ist der Rechtsbestand des Verfügungspatents hinreichend gesichert. Denn das Verfügungspatent hat ein Einspruchsverfahren überstanden. Nach dem erstinstanzlichen Widerruf des Verfügungspatents wurde diese Entscheidung von der Technischen Beschwerdekammer aufgehoben und an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen. Nach erneuter Verhandlung wurde das Verfügungspatent mit Entscheidung vom 12. Februar 2019 uneingeschränkt aufrechterhalten. Gegen diese Entscheidung wurde keine Beschwerde mehr eingelegt, mithin die Entscheidung und der Rechtsbestand des Verfügungspatents von den einsprechenden Wettbewerbern akzeptiert.
157Auch die neuerliche Nichtigkeitsklage der Verfügungsbeklagten lässt keine Zweifel am Rechtsbestand des Verfügungspatents aufkommen.
Wird aus Anlass des Verfügungsantrags ungeachtet des das Antragsschutzrecht aufrechterhaltenden vorausgegangenen Rechtsbestandsverfahrens ein weiteres Nichtigkeitsverfahren eingeleitet und dort zusätzlicher Stand der Technik entgegengehalten, der in früheren Verfahren nicht vorlag und von den zuständigen Behörden oder Gerichten nicht berücksichtigt werden konnte, so kann auch das den Rechtsbestand des Verfügungspatents wieder in Frage stellen, so dass der Erlass einer einstweiligen Verfügung nicht mehr in Betracht kommt (OLG Düsseldorf GRUR-RR 2011, 81 (82) – Gleitsattelscheibenbremse II). Allerdings ist allein der Umstand, dass Entgegenhaltungen präsentiert werden, die als solche noch nicht im Rechtsbestandsverfahren gewürdigt worden sind, belanglos; maßgeblich ist, ob sie einen Stand der Technik repräsentieren, der näher an der Erfindung liegt als der bereits fachkundig geprüfte (OLG Düsseldorf GRUR-RR 2011, 81 (82) – Gleitsattelscheibenbremse II; OLG Düsseldorf, Urt. v. 21.01.2016, I-2 U 48/15 – Ballonexpandierende Stents).
Die weiteren von den Verfügungsbeklagten vorgetragenen Nichtigkeitsgründe wecken keine Zweifel am Rechtsbestand des Verfügungspatents.
160aa)
161Die Lehre des Verfügungspatents ist neu gegenüber der US X (Anlage KAP 17, in deutscher Übersetzung KAP 17a; nachfolgend als US ‘X bezeichnet).
162Die Entgegenhaltung US ‘X beschäftigt sich mit der Beschichtung medizinischer Vorrichtungen. Sie offenbart jedoch weder, dass eine hydrophile Oberflächenbeschichtung auf dem Substrat mit einer Oberflächenbeschaffenheit gemäß der Merkmalsgruppe 4 angeordnet ist und diese Oberfläche dementsprechend unter der hydrophilen Oberflächenbeschichtung liegt (Merkmale 2 und 3), noch ein medizinisches Gerät mit einer Substratoberfläche gemäß der Merkmalsgruppe 4.
163(1)
164Der Verfügungspatentanspruch ist dahingehend auszulegen, dass die hydrophile Oberflächenbeschichtung unmittelbar auf der Oberfläche des Substrats angeordnet sein muss, dessen Oberfläche eine Beschaffenheit gemäß der Merkmalsgruppe 4 aufweist. Es darf sich also keine weitere Schicht zwischen der so beschaffenen Oberfläche des Substrat und der hydrophilen Beschichtung befinden.
165Diese Auslegung ergibt sich aus dem Wortlaut des Verfügungspatentanspruchs und der Funktion der erfindungsgemäßen Oberflächentextur. Schon der Begriff „Oberflächenbeschichtung“ macht deutlich, dass es um die Beschichtung der in den Merkmalen 3 und 4 näher beschriebenen Oberfläche des Substrats geht. Die Merkmale 2 und 3 betreffen zudem wechselseitig die räumlich-körperliche Zuordnung der hydrophilen Beschichtung und des Substrats zueinander. Wenn es dort heißt, dass die hydrophile Beschichtung auf dem Substrat angeordnet ist und die Oberfläche des Substrats unter der hydrophilen Oberflächenbeschichtung, ist damit das unmittelbare Aneinanderliegen von Substratoberfläche und Oberflächenbeschichtung gemeint. Nichts anderes ergibt sich aus der Beschreibung des Verfügungspatents. Soweit dort in einem Ausführungsbeispiel eine Isocyanat-Lösung auf das Substrat aufgebracht wird, bevor die Beschichtung mit dem hydrophilen PVP erfolgt (Abs. [0035]), handelt es sich bei der Isocyanat-Lösung nicht um eine die Oberfläche bedeckende Beschichtung. Die Isocyanat-Lösung stellt nach den Ausführungen der Verfügungsklägerin in der mündlichen Verhandlung aus der Sicht des Fachmanns einen Primer dar, mit dem die Substratoberfläche chemisch vorbehandelt wird, damit eine Vernetzung des PVP mit der Substratoberfläche erfolgen kann.
166In funktionaler Hinsicht ist es auch notwendig, dass die hydrophile Beschichtung unmittelbar auf der Oberfläche des Substrats mit der Beschaffenheit gemäß der Merkmalsgruppe 4 angeordnet ist. Denn durch die erfindungsgemäße Oberflächentextur wird der Wasserrückhalt der hydrophilen Oberflächenbeschichtung und die Anhaftung der Beschichtung auf dem Substrat verbessert (Abs. [0013] und [0014]). Diese Funktionen setzen aber voraus, dass die Oberflächenbeschichtung unmittelbar auf die Substratoberfläche mit der erfindungsgemäßen Rauigkeit aufgebracht wird. Das Zusammenwirken von Oberflächentextur und Oberflächenbeschichtung kommt hingegen nicht mehr zum Tragen, wenn die Substratoberfläche zunächst mit einer anderen Beschichtung versehen wird, auf der dann die hydrophile Beschichtung aufgebracht wird. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Oberflächenrauigkeit des Substrats nach Aufbringen einer ersten Schicht unverändert bleibt. Welche Mechanismen dann dafür sorgen sollen, dass der Wasserrückhalt der hydrophilen Oberflächenbeschichtung und die Anhaftung der Beschichtung am Substrat verbessert werden, ist nicht ersichtlich und auch nicht Gegenstand des Verfügungspatents. Die vom Verfügungspatent spezifisch geforderte Oberflächentextur ist es jedenfalls nicht.
167(2)
168Die Entgegenhaltung US ‘X beschreibt zunächst allgemein Substrate, die mit einer passivierenden Keratin enthaltenden Beschichtung versehen sind (Abs. [0006] der US ‘X ). Allerdings geht die Entgegenhaltung von einer zweistufigen Beschichtung des Substrats aus (vgl. Abs. [0010] f. und [0096] ff. der US ‘X ). Es werden Silane als Kopplungsmittel verwendet, um die hydrophile Keratinschicht auf dem Substrat aufzubringen (Abs. [0010] f. und [0096]) der US ‘X ). Insbesondere wird ein zwei stufiges Tauchverfahren zum Aufbringen der Keratin-Beschichtung durchgeführt, bei dem das Substrat zunächst in eine Silan-Lösung getaucht und anschließend mit einer Keratinschicht kovalent veredelt wurde (Abs. [0096], [0103] der US ‘X ). Dabei bildet die Silankomponente eine „hervorragende Beschichtung“ (Abs. [0096] der US ‘X ) und unterscheidet sich von der im Verfügungspatent verwendeten Isocaynat-Lösung dadurch, dass das Organosilan Isocyanatgruppen als organische Komponente aufweisen kann (Abs. [0011] der US ‘X ), aber selbst auf dem Substrat verbleibt und eine Beschichtung bildet, während nach dem Verfügungspatent lediglich Isocyanatgruppen als Primer aufgebracht werden. Die hydrophile Beschichtung mittels Keratin wird nach dem Offenbarungsgehalt der Entgegenhaltung US ‘X nicht unmittelbar auf dem Substrat aufgebracht, für das allein die erfindungsgemäße Oberflächenbeschaffenheit gemäß Merkmalsgruppe 4 beschrieben ist. Stattdessen befindet sich das Keratin als hydrophile Schicht auf der Silan-Beschichtung. Eine bestimmte Oberflächenbeschaffenheit für das mit Silan beschichtete Substrat wird jedoch nicht beschrieben. Ebenso wenig ist offenbart, dass es sich bei der Silan-Beschichtung ihrerseits um eine hydrophile Beschichtung handelt (vgl. Abs. [0103] der US ‘X für Keratin).
169Darüber hinaus offenbart die US ‘X aber auch kein medizinisches Gerät mit den Eigenschaften des Verfügungspatentanspruchs. Die erfindungsgemäße Oberflächenbeschaffenheit (vgl. Abs. [0074] der US ‘X ) wird lediglich im Rahmen von Versuchen mit quadratischen Titan-Platten der Größe 1 Fuß x 1 Fuß offenbart, die zuvor gesandstrahlt wurden, um einheitliche Oberflächen zu erhalten (Abs. [0072] ff. der US ‘X ). Es handelt sich bei diesen Platten erkennbar nicht um ein medizinisches Gerät. Ob aber die genannte Oberflächenbeschaffenheit auch bei einem etwaigen medizinischen Gerät zum Einsatz kommen soll, ist nicht unmittelbar und eindeutig offenbart, zumal es in den Versuchen zunächst nur um die Vergleichbarkeit der verschiedenen aufgebrachten Beschichtungen ging, für die es einer einheitlichen Substratoberfläche bedurfte. Im Ergebnis liegt die Entgegenhaltung US ‘X von der Lehre des Verfügungspatents weiter weg als der geprüfte Stand der Technik.
170bb)
171Die Lehre des Verfügungspatentanspruchs 1 ist auch neu hinsichtlich der Entgegenhaltung US X (Anlage KAP 18, in deutscher Übersetzung Anlage KAP 18a; nachfolgend als US ‘X bezeichnet).
172Die Entgegenhaltung betrifft ein Zytokin-induzierendes Material und ein Zytokin-induzierendes Mittel. Letzteres weist einen Behälter und ein Zytokin-induzierendes Material auf, das in dem Behälter untergebracht ist (Abs. [0009]). Das Zytokin-induzierende Material wiederum enthält einen Zytokin-induzierenden Wirkstoff und einen wasserunlöslichen Induktionsverstärker oder es enthält einen wasserunlöslichen Induktionsverstärker, an dem Zytokin-induzierender Wirkstoff fixiert ist (Abs. [0009] der US ‘X ).
173Es begegnet bereits durchgreifenden Zweifeln, ob die Entgegenhaltung US ‘X überhaupt ein medizinisches Gerät zum Gegenstand hat. Denn als Substrat sehen die Verfügungsbeklagten den Induktionsverstärker an, der Bestandteil des Zytokin-induzierenden Materials ist. Dieses wirkt jedoch allenfalls als Arzneimittel, in dem es immunologisch, nicht aber physikalisch oder physiologisch wirkt, wie es von einem medizinischen Gerät zu erwarten ist. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass das Zytokin-induzierende Material in einen Zytokin-induzierendem Mittel wie einem Blutbeutel enthalten ist (Abs. [0052] der US ‘X ), da auch dieser Beutel entsprechend Figur 3 lediglich dazu dient, Blut oder Blutbestandteile einzuleiten, damit sie mit dem Zytokin-induzierenden Material in Kontakt kommen, und nach der Induktion der Zytokine wieder zu entnehmen. Insofern bleibt es bei der immonologischen Wirkung des Induktionsverstärkers bzw. des Zytokin-induzierende Materials, ohne dass dieses die für ein medizinisches Gerät erforderliche physikalische oder physiologische Wirkung entfaltet.
174Ungeachtet dessen offenbart die US ‘X aber auch keine hydrophile Oberflächenbeschichtung. In der einzig möglichen Offenbarungsstelle wird ausgeführt, dass der Induktionsverstärker unpolar sei und möglicherweise hydrophob. In diesem Fall könne ein polymeres Material auf Polystyrolbasis als Induktionsverstärker verwendet werden, der an seiner Oberfläche hydrophilisiert werden könne, z.B. durch Oberflächenmodifikation oder Oberflächenbeschichtung (Abs. [0017] der US ‘X ). Damit ist aber nicht offenbart, dass der Induktionsverstärker eine hydrophile Oberflächenbeschichtung im Sinne des Verfügungspatents aufweist, also eine Beschichtung, die Wasser aufnehmen kann. Es ist lediglich die Rede von einer Hydrophilisierung.
175Selbst wenn man dies anders sehen wollte, wird in der zitierten Textstelle der US ‘X lediglich die Möglichkeit einer Hydrophilisierung der Oberfläche eines Induktionsverstärkers beschrieben. Ein entsprechendes medizinisches Gerät wird jedoch nicht offenbart. Vielmehr bevorzugt die Entgegenhaltung Induktionsverstärker mit einer hydrophoben Oberfläche, weil dann die bevorzugte physikalische Adsorptionstechnik zur Fixierung des Zytokin-induzierenden Wirkstoffs am Induktionsverstärker verwendet werden kann (Abs. [0042] der US ‘X ).
176Im Ergebnis liegt damit die Entgegenhaltung von der erfindungsgemäßen Lösung weiter weg als der in der Einspruchsentscheidung gewürdigte Stand der Technik. Es werden lediglich allgemein gehaltene Offenbarungsstellen, die in keinem unmittelbaren Zusammenhang stehen, kombiniert, ohne dass die Entgegenhaltung die Lehre des Verfügungspatents als solche eindeutig und unmittelbar offenbart.
177cc)
178Es bestehen auch keine Zweifel daran, dass die Lehre des Verfügungspatents auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.
179Die Verfügungsbeklagten sind der Ansicht, die vom Verfügungspatent behauptete Wirkung einer verbesserten Wasserrückhaltefähigkeit und einer besseren Anhaftung der Oberflächenbeschichtung am Substrat infolge einer universellen Untergrenze für die Rauheit der Substratoberfläche dürfe bei der Beurteilung des Beitrags der technischen Lehre des Verfügungspatents zum Stand der Technik keine Berücksichtigung finden, so dass die Lehre des Verfügungspatents daher nahegelegt sei.
180Die Ansicht der Verfügungsbeklagten setzt offenbar bei dem vom EPA vertretenen Aufgabe-Lösung-Ansatz an. Ihr liegt – nach der näheren Erläuterung in der mündlichen Verhandlung – der Einwand zugrunde, dass das Verfügungspatent die gestellte Aufgabe nicht löse, so dass sie – etwa ausgehend von der WO 97/29160 (Anlage NK 20 zum Anlagenkonvolut KAP 12) – lediglich dahingehend formuliert werden könne, eine geeignete Oberflächenbehandlung durchzuführen, was aber aufgrund der Üblichkeit einer solchen Oberflächenbehandlung naheliegend sei und die Auswahl der Werte für die Oberflächenbeschaffenheit willkürlich erscheinen lasse.
181Mit diesem Einwand hat sich die Einspruchsabteilung des EPA jedoch schon in der Einspruchsentscheidung und ihrer Begründung auseinandergesetzt. Sie hat das zu lösende Problem ausgehend von der D1 im Einspruchsverfahren dahingehend beschrieben, ein medizinisches Gerät bereitzustellen, das eine hydrophile Beschichtung mit guter Haftung auf dem Substrat und hohem Wasserrückhaltevermögen aufweist (Ziff. 23.2 der Anlage A 18/A 18a). Die Kammer hält diesen Ansatz für zutreffend, jedenfalls aber für vertretbar. Es geht nämlich dem Verfügungspatent nicht darum, ein bestimmtes Maß an Wasserrückhaltefähigkeit oder Anhaftung zu erzielen. Die Erkenntnis liegt vielmehr darin, dass bei steigender Oberflächenrauigkeit auch der Wasserrückhalt steigt. Dies scheint auch die Einspruchsabteilung so gesehen zu haben, wenn es in der Begründung der Einspruchsentscheidung heißt, die Vergleichsdaten würden „zeigen, dass eine Zunahme der Oberflächenrauigkeit mit einer Zunahme der Wasserrückhaltung einhergeht“ (Ziff. 23.2 der Anlage A 18/A 18a). Die Auswahl der Untergrenze für den Ra- und den Rdc-Wert gibt insofern an, ab welchem Maß von einem erhöhten Wasserrückhaltevermögen auszugehen ist – im Vergleich zu einem Substrat mit niedrigeren Ra- bzw. Rdc-Werten. Ausdrücklich hat die Einspruchsabteilung erklärt, dass die Patentinhaberin Vergleichsdaten vorgelegt habe, die den behaupteten Effekt aufzeigten und von denen ausgehend die Auswahl der Untergrenzen für den Ra-Wert und den Rdc-Wert nicht willkürlich gewählt seien (Ziff. 23.2 und zuvor bereits Ziff. 22.1 der Anlage A 18/A 18a). Dem schließt sich die Kammer an. Die Verfügungsbeklagten haben nicht aufgezeigt, dass diese Begründung offensichtlich fehlerhaft ist.
182Soweit die Verfügungsbeklagten einwenden, der behauptete Effekt sei schon nicht aufgetreten oder nicht gezeigt, ist zunächst festzuhalten, dass dies nicht einmal die Einsprechende im Einspruchsverfahren – immerhin eine namhafte Wettbewerberin der Parteien – vorgetragen zu haben scheint. Ungeachtet dessen greifen die Einwendungen der Verfügungsbeklagten auch nicht durch. Zunächst ist es unbeachtlich, dass es sich bei dem Begriff der Wasserrückhaltefähigkeit nicht um ein allgemein gültiges Maß handelt, sondern lediglich um einen vom Verfügungspatent definierten Begriff. Wie die Wasserrückhaltefähigkeit in den Experimenten bestimmt wurde, erläutert das Verfügungspatent hinreichend (Abs. [0049]). Die Verfügungsbeklagten legen nicht dar, dass ihnen diese Angaben keine Vergleichsmessungen erlauben. Dabei kommt es nicht darauf an, exakt die im Verfügungspatent angegebenen Messungen nachzuarbeiten, sondern lediglich die Vergleichbarkeit zwischen zwei oder mehr zu testenden Kathetern herzustellen, um den behaupteten Effekt feststellen oder widerlegen zu können.
183Die Kammer hat auch keine Zweifel daran, dass die im Patent offenbarten Daten den behaupteten Effekt einer Abhängigkeit des Wasserrückhalts von der Oberflächenrauigkeit belegen können. Die Verfügungsbeklagten selbst haben dies eindrucksvoll graphisch dargestellt (vgl. Anlage KAP 14). Dem Fachmann ist klar, dass es neben der Oberflächenrauigkeit noch weitere Parameter gibt, von denen die Wasserrückhaltefähigkeit abhängig ist, insbesondere die getroffene Materialwahl, die Schichtdicke und dergleichen. Insofern ist es zwingend, dass nur solche Katheter verglichen werden, die sich außer in der Beschaffenheit der Substratoberfläche nicht unterscheiden, weil sonst keine verlässliche Aussage über die Wirkung der Oberflächenrauigkeit getroffen werden kann. Insofern mag der Effekt eines durch eine erhöhte Oberflächenrauigkeit verbesserten Wasserrückhalts sehr viel geringer sein als der Einfluss des gewählten Materials oder irgendeines anderen Parameters. Aber ein Effekt ist vorhanden. Daher greift auch der Einwand, die Unterschiede zwischen den Werten der Wasserrückhaltefähigkeit bei verschiedenen Rauheiten seien viel geringer als die Unterschiede in den Rauheiten (bspw. Faktor 1,035 vs. ca. 42), nicht durch, zumal im Verfügungspatent ein proportionaler Zusammenhang zwischen dem Anstieg der Wasserrückhaltefähigkeit und der Zunahme der Rauigkeit ebenso wenig behauptet wird wie ein größenmäßig vergleichbarer prozentualer Anstieg beider Parameter. Ungeachtet dessen erscheint vor dem Hintergrund des nachgewiesenen Effekts, nämlich einer Abhängigkeit der Wasserrückhaltefähigkeit von der Oberflächenbeschaffenheit auch die Auswahl der Untergrenze als universeller Wert aus patentrechtlicher Sicher nicht problematisch, geht doch das Patent nachgewiesenermaßen davon aus, dass bereits ab dieser Untergrenze die Wasserrückhaltefähigkeit höher ist als bei geringeren Rauigkeiten. Daher hat auch die Einspruchsabteilung die Auswahl der Untergrenze nicht als problematisch angesehen.
184Die von den Verfügungsbeklagten durchgeführten Experimente zur Überprüfung des behaupteten Effekts der verbesserten Wasserrückhaltefähigkeit in Abhängigkeit von einer erhöhten Rauigkeit der Substratoberfläche sind nicht geeignet, diesen Effekt zu widerlegen, sondern deuten vielmehr auf seine Existenz hin. Die Verfügungsbeklagten haben nicht für jeden einzelnen getesteten Katheter die Rauigkeit der Substratoberfläche und den Wasserrückhalt angegeben und so die einzelnen Katheter verglichen, sondern ließen zunächst sämtliche Kathetersubstrate anhand einer Sichtprüfung und einer haptischen Prüfung in fünf Rauheitsklassen von glatt bis rau einteilen. Es versteht sich von selbst, dass bei dieser eher von subjektivem Empfinden vorgenommenen Einteilung nicht ausgeschlossen ist, dass Kathetersubstrate als glatt und damit in eine niedrige Klasse eingestuft werden, obwohl ihre Oberfläche bei einer Messung nach ISO 4287:1992 sich im Einzelfall als rauer herausgestellt hätte als die in höhere, also „rauere“ Klassen einsortierte Katheter. Dass sich die Maße der Rauigkeit der einzelnen Kathetersubstrate überschneiden, gibt der Testbericht eindrucksvoll wieder (vgl. Abb. 1 und 3 der Anlage KAP 15/KAP 15a). Sodann wurden die Substrate einheitlich beschichtet und ihre Wasserrückhaltefähigkeit gemessen. Allerdings ist eine Zuordnung der Wasserrückhaltefähigkeit der einzelnen Katheter zu ihrer jeweiligen Oberflächenbeschaffenheit nicht möglich. Es sind nur die Durchschnittswerte der Wasserrückhaltefähigkeit für jede Rauheitsklasse angegeben (Abb. 5 der Anlage KAP 15/KAP 15a). Aus der Überlagerung der 5 %- und 95 %-Perzentile der Rauheitsklassen schließen die Verfügungsbeklagten, dass eine Abhängigkeit der Wasserrückhaltefähigkeit von der Oberflächenrauigkeit nicht nachweisbar sei (Abb. 7 und 8 der Anlage KAP 15/KAP 15a). Dem ist entgegenzuhalten, dass die von den Verfügungsbeklagten durchgeführten Experimente überhaupt keine Aussage über das Verhältnis von Wasserrückhaltefähigkeit und Oberflächenbeschaffenheit zulassen, weil sie die beschichteten Substrate nicht einzeln betrachten, sondern dergestalt in Klassen vermischen, dass es zwangsläufig zu Überschneidungen in den Perzentilen kommen muss, die eine Vergleichbarkeit der Katheter ausschließt. Wenn überhaupt eine Aussage getroffen werden kann, dann die, dass unter Außerachtlassung der Perzentile sich ein leichter Anstieg der Wasserrückhaltefähigkeit bei steigender Oberflächenrauigkeit mit Ausnahme der höchsten Rauheitsklasse andeutet. Im Ergebnis bleibt es damit bei den im Verfügungspatent wiedergegebenen Experimenten und deren Ergebnissen, die für die Existenz des behaupteten Effekts sprechen. Aus diesem Grund kann sich die Beklagte auch nicht mit Erfolg auf die Entscheidung „Trigonellin“ des Bundesgerichtshofes berufen (GRUR 2001, 730).
185II.
186Auch die für den Verfügungsgrund erforderliche Dringlichkeit ist gegeben.
Dringlichkeit erfordert, dass der Antragsteller mit der Einleitung des einstweiligen Verfügungsverfahrens nicht ungebührlich lange zugewartet und hierdurch zu erkennen gegeben hat, dass er seine Rechte nur zögerlich verfolgt und eines umgehenden Verbots tatsächlich nicht bedarf (OLG Düsseldorf GRUR-RR 2013, 236 – Flupirtin-Maleat; GRUR-RR 2017, 477 – Vakuumgestütztes Behandlungssystem). Wann Dringlichkeit zu verneinen ist, lässt sich nicht anhand fester Fristen, sondern nur unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls bestimmen, was je nach konkreter Sachlage zu einem kürzeren oder längeren Zeitraum führen kann. Sobald der Antragsteller positive Kenntnis von den Umständen der Schutzrechtsverletzung erlangt hat, ist er gehalten, seine Ansprüche zügig und ohne Nachlässigkeit zu verfolgen. Diese Kenntnis ist vorhanden, wenn ihm sämtliche Tatsachen, die eine Schutzrechtsverletzung begründen, und die Person des Verantwortlichen zuverlässig bekannt sind (OLG Düsseldorf GRUR-RR 2017, 477 – Vakuumgestütztes Behandlungssystem; OLG Karlsruhe GRUR-RR 2015, 509 – Ausrüstungssatz).
188Unerheblich ist es, ob der Patentinhaber von dem Verletzungsprodukt bei Beachtung seiner Marktbeobachtungspflicht zeitiger hätte Kenntnis haben können. Fahrlässiges Unwissen schadet grundsätzlich nicht (OLG Düsseldorf Urt. v. 05.07.2012 – I-2 U 12/12; OLG Düsseldorf GRUR-RR 2017, 477 – Vakuumgestütztes Behandlungssystem). Hat der Patentinhaber allerdings greifbare Hinweise auf rechtsverletzende Handlungen, darf er sich ihnen nicht verschließen, sondern hat ihnen nachzugehen. (OLG Düsseldorf Urt. v. 05.07.2012 – I-2 U 12/12; OLG Düsseldorf GRUR-RR 2017, 477 – Vakuumgestütztes Behandlungssystem). Von einem bewussten Sich-Verschließen im Sinne einer grob fahrlässigen Unkenntnis, die dringlichkeitsschädlich wirkt, kann jedoch nur dann ausgegangen werden, wenn eine fehlende Reaktion auf offensichtliche Rechtsverstöße ein völliges Desinteresse am Marktgeschehen indiziert (OLG Köln GRUR-RR 2014, 127 – Haarverstärker). Ist das Verletzungsprodukt als solches dem Patentinhaber bekannt, seine schutzrechtsverletzenden Eigenschaften aber nicht auf den ersten Blick erkennbar, sind vom Patentinhaber zeitnahe Nachforschungen zur Wahrung der Dringlichkeit zu erwarten, wenn sich eine Benutzung der geschützten Lehre als ernstzunehmende Möglichkeit aufdrängt (Kühnen: Hb. d. Patentverletzung, 14. Aufl.: Kap G Rn 140). Versäumt er dies in einer Weise, dass seine Untätigkeit - objektiv betrachtet - auf eine Gleichgültigkeit bei der Verfolgung der eigenen rechtlichen Interessen schließen lässt, geht die Dringlichkeit verloren (OLG Düsseldorf Urt. v. 05.07.2012 – I-2 U 12/12; OLG Düsseldorf GRUR-RR 2017, 477 – Vakuumgestütztes Behandlungssystem).
Gemessen an diesen Grundsätzen hat die Verfügungsklägerin die Dringlichkeit ihres Vorgehens gewahrt.
Bei der Verfügungsklägerin bzw. ihrer Rechtsvorgängerin, der A (nachfolgend kurz: die Verfügungsklägerin), war frühestens am 29. November 2021 die Kenntnis vorhanden, dass eine bestimmte Kathetergröße der angegriffenen Ausführungsform die Lehre des Verfügungspatents verwirklicht. An diesem Tag lagen Frau E die ersten Ergebnisse einer Untersuchung der Oberflächenbeschaffenheit eines Musters der angegriffenen Ausführungsform vor.
191Zu einem früheren Zeitpunkt hatte die Verfügungsklägerin keine greifbaren Hinweise darauf, dass die Verfügungsbeklagten mit Angebot und Vertrieb der angegriffenen Ausführungsform das Verfügungspatent verletzen. Zwar war der Verfügungsklägerin die Marktpräsenz der angegriffenen Ausführungsform jedenfalls kurz nach der Markteinführung der – technisch identischen – ersten Version der angegriffenen Ausführungsform unstreitig bekannt. Der angegriffenen Ausführungsform lässt sich jedoch nicht ansehen, ob sie von der Lehre des Verfügungspatents Gebrauch macht, insbesondere die Merkmalsgruppe 4 verwirklicht. Es gibt auch keine Anhaltspunkte dafür, dass eine Oberflächenbeschaffenheit im vom Patent beanspruchten Bereich wahrscheinlich war. Welche Beschaffenheit die Substratoberfläche der angegriffenen Katheter aufweist, war schlicht nicht bekannt, so dass genau so viel für wie gegen eine Patentverletzung sprach. Schon aus dem Grund war die Verfügungsklägerin nicht gehalten, weitere Untersuchungen vorzunehmen, und könnte ihr eine etwaige Untätigkeit in dieser Hinsicht nicht vorgeworfen werden.
192Abgesehen davon war die Verfügungsklägerin nicht untätig, so dass ihr auch eine Gleichgültigkeit gegenüber etwaigen Verletzungen ihres Verfügungspatents nicht vorgeworfen werden kann. Sie überprüfte in der Vergangenheit wiederholt stichprobenartig Katheter wesentlicher Wettbewerber im Hinblick auf eine Verletzung des Verfügungspatents, darunter mit Mustern des EasiCath und des SpeediCath auch Katheter der Verfügungsbeklagten. Dies hat die Verfügungsklägerin mit eidesstattlicher Versicherung von HerrnK , Direktor F&E bei der Verfügungsklägerin, glaubhaft gemacht (Anlage A 29). Auch die Kammer hat daran keine Zweifel. Soweit die Verfügungsbeklagten das Fehlen weiterer Aufzeichnungen bemängelt, ist das unerheblich. Auf den genauen Zeitpunkt der Überprüfungen kommt es nicht an.
193Dass sich unter den untersuchten Kathetern nicht die angegriffene Ausführungsform befand, ist unbeachtlich. Von der Verfügungsklägerin kann nicht erwartet werden, dass sie sämtliche Katheter-Modelle sämtlicher oder jedenfalls der wesentlichen Wettbewerber ohne Anhaltspunkte für eine Patentverletzung untersucht. Dies käme einer Marktbeobachtungspflicht gleich. Dagegen lässt sich auch nicht einwenden, dass die Untersuchungen einfach sind. Immerhin ist die Entfernung der Beschichtung vom Substrat mit Schwierigkeiten verbunden und kann zu Zweifeln an den Messergebnissen führen. Dass es darauf im Streitfall nicht ankam, war nicht vorauszusehen.
194Sofern man überhaupt eine Obliegenheit zur Überprüfung von Wettbewerbsprodukten im Hinblick auf eine Patentverletzung verlangen wollte, sind stichprobenartige Untersuchungen jedenfalls ein probates Mittel, um einen Überblick über eine etwaige Benutzung des Verfügungspatent durch das Wettbewerbsumfeld zu erhalten, der Anlass für weitere Untersuchungen hätte sein können. Solche Stichproben führte die Verfügungsklägerin durch.
195Aus den durchgeführten Überprüfungen ergab sich – so die Verfügungsklägerin in der mündlichen Verhandlung – in Einzelfällen eine Verletzung des Verfügungspatents, in den meisten Fällen jedoch nicht. Soweit eine Patentverletzung nicht festgestellt werden konnte, ergaben die stichprobenartigen Untersuchungen auch keine Anhaltspunkte für eine Verletzung des Verfügungspatents durch andere Kathetermodelle. Denn die Werte für die Rauigkeit der Substratoberfläche der untersuchten Katheter lagen schlicht nicht im beanspruchten Bereich. Das gilt auch für die untersuchten Katheter der Verfügungsbeklagten. Dass ihre Oberflächenrauigkeit teilweise höher lag als bei den Produkten anderer Wettbewerber spielt keine Rolle, weil sich daraus keine Anhaltspunkte ergeben, dass wieder andere Katheter als die angegriffene Ausführungsform sogar noch höhere Werte aufweisen. Die Oberflächenbeschaffenheit der einzelnen Katheter ist voneinander unabhängig.
196Stattdessen ließe sich sogar annehmen, dass sich die Substrate der Katheter eines Wettbewerbers aufgrund eines ggf. vergleichbaren oder gar identischen Herstellungsverfahrens nicht wesentlich voneinander unterscheiden werden und daher andere Katheter als die untersuchten Modelle das Verfügungspatent auch nicht verletzen. Das gilt im Streitfall umso mehr, als die angegriffene Ausführungsform zur Modellreihe SpeediCath (Kürzel SC) gehört, deren Standardmodell von der Verfügungsklägerin untersucht worden war und sich gerade nicht als patentverletzend herausgestellt hatte.
197Daher greift auch der Einwand der Verfügungsbeklagten in der mündlichen Verhandlung nicht durch, die Verfügungsklägerin habe nicht stichprobenartig, sondern systematisch die Hauptprodukte der Wettbewerber – selbst wenn sie schon länger auf dem Markt gewesen seien – überprüft, so dass sich der Umstand, dass die angegriffene Ausführungsform als erfolgreiches Nachfolgeprodukt der Verfügungsbeklagten nicht früher untersucht wurde, als ein bewusstes Verschließen der Augen vor einer etwaigen Patentverletzung darstelle. Abgesehen davon, dass eine stichprobenartige Prüfung nicht zwingend unsystematisch sein muss, gab es keine greifbaren Anhaltspunkte für eine Verletzung des Verfügungspatents durch die angegriffene Ausführungsform. Vielmehr deutete der Umstand, dass die Oberflächenbeschaffenheit des Speedi Cath Standard nicht im patentgemäßen Bereich lag, darauf hin, dass auch die angegriffene Ausführungsform nicht patentverletzend ist.
198Dass die Verfügungsklägerin dann eher zufällig auf die Patentverletzung durch die angegriffene Ausführungsform stieß, weil sie sich im Oktober 2021 entschloss, das Verfügungspatent zu evaluieren und in diesem Zuge zu prüfen, ob möglicherweise Produkte von Wettbewerbern das Verfügungspatent verletzen, ist durch eidesstattliche Versicherung von Frau E , Mitarbeiterin der Verfügungsklägerin, glaubhaft gemacht (Anlage A 14). Die Kammer hat keine Zweifel an der Richtigkeit dieser Erklärung. Ebenso ist es aus wirtschaftlichen Gründen plausibel, dass die Verfügungsklägerin entschied, mit der angegriffenen Ausführungsform das erfolgreiche Produkt eines wichtigen Wettbewerbers statt eines Nischenprodukts zu untersuchen.
199Aufgrund dieses Zufalls ist es auch unbeachtlich, ob die Verfügungsklägerin in früheren Jahren ähnliche Evaluationen ihres Patentportfolios durchführte und die angegriffene Ausführungsform früher hätte untersuchen können. Solange es keine Anhaltspunkte für eine Patentverletzung gab, waren die Verfügungsbeklagten nicht gehalten, entsprechende Untersuchungen an der angegriffenen Ausführungsform durchzuführen. Umgekehrt oblag es ihnen auch nicht, die angestrebten Untersuchungen bis zur konkreten Kenntnis von der (patentverletzenden) Oberflächenbeschaffenheit der angegriffenen Ausführungsform zu beschleunigen. Denn der Anlass für die Untersuchungen war nicht ein greifbarer Anhaltspunkt für eine Patentverletzung, sondern die Evaluation des Patentportfolios, zu dem auch das Verfügungspatent gehörte.
Aber auch ab dem Zeitpunkt der Kenntnis davon, dass die Rauigkeit der Substratoberfläche einer einzelnen Kathetergröße der angegriffenen Ausführungsform im beanspruchten Bereich liegt und das Verfügungspatent dadurch verletzt wird, mithin ab dem 29. November 2021 verhielt sich die Verfügungsklägerin nicht zögerlich, so dass die für den Erlass der einstweiligen Verfügung erforderliche Dringlichkeit gegeben ist.
201aa)
202Vom Zeitpunkt der Kenntniserlangung an hat sich der Antragsteller unverzüglich darüber klar zu werden, ob er gegen den Verletzungstatbestand vorgehen will, und im Anschluss daran ohne zeitliche Verzögerung alles Notwendige zu tun, um den Sachverhalt in einer solchen Weise aufzuklären und aufzubereiten, dass er mit Aussicht auf Erfolg ein gerichtliches Verfahren auf vorläufigen Rechtsschutz anstrengen kann (OLG Düsseldorf GRUR-RR 2017, 477 – Vakuumgestütztes Behandlungssystem; OLG Karlsruhe, GRUR-RR 2015, 509 – Ausrüstungssatz). Dabei steht der Zeitraum, den der Antragsteller zur Vorbereitung eines erfolgversprechenden Verfügungsantrags für die sorgfältige Ermittlung des Sachverhalts und die Beschaffung geeigneter Glaubhaftmachungsmittel benötigt, der Dringlichkeit nicht entgegen, solange er die erforderlichen Schritte jeweils zielstrebig in die Wege leitet und zu Ende führt (OLG Düsseldorf GRUR-RR 2017, 477 – Vakuumgestütztes Behandlungssystem; GRUR-RR 2013, 236 – Flupirtin-Maleat; OLG Karlsruhe, GRUR-RR 2015, 509 – Ausrüstungssatz). Er muss daher den Verfügungsantrag erst anbringen, wenn er sowohl über zuverlässige Kenntnis sämtlicher Tatsachen als auch über geeignete Glaubhaftmachungsmittel verfügt, die verlässlich eine aussichtsreiche Rechtsverfolgung ermöglichen (OLG Düsseldorf GRUR-RR 2017, 477 – Vakuumgestütztes Behandlungssystem; GRUR-RS 2016, 03306 – Ballonexpandierbare Stents; GRUR-RR 2013, 236 – Flupirtin-Maleat; OLG Karlsruhe, GRUR-RR 2015, 509 – Ausrüstungssatz).
203bb)
204Unschädlich ist, dass Frau E , nachdem ihr das Ergebnis der ersten Untersuchung eines Musters vorlag, auf Geheiß von Herrn H am 30. November 2021 das Untersuchungsergebnis zunächst Herrn I , dem schwedischen Patentanwalt der Verfügungsklägerin, vorlegte, der erst am 10. Dezember 2021 Herrn H von der Wahrscheinlichkeit einer Patentverletzung unterrichtete. Die Einschaltung von Herrn I als solche begegnet unter dem Gesichtspunkt der Dringlichkeit keinen Bedenken. Handelt es sich nach dem Vortrag der Verfügungsklägerin in der mündlichen Verhandlung bei Herrn I doch um den Patentanwalt, der das Verfügungspatent von Anfang an betreut hatte und insbesondere am Einspruchsverfahren beteiligt war. Vor dem Hintergrund ist die Sinnhaftigkeit seiner Einschaltung nicht von der Hand zu weisen, zum einen zwecks Einholung einer von der Verfügungsklägerin unabhängigen Meinung zur Frage der Patentverletzung und das weitere Vorgehen, zum anderen angesichts des Bestrebens, die Beurteilung eines mit der Auslegung des Verfügungspatents und seines Rechtsbestands vertrauten Fachmanns zu erhalten. Die Rückmeldung von Herrn I , bis zu der immerhin zehn Tage vergingen, hätte sicher früher erfolgen können. Gleichwohl sieht die Kammer diese Zeitdauer vor dem Hintergrund, dass sich jede Maßnahme weiter beschleunigen lässt, aber dem Antragsteller grundsätzlich eine gewisse Zeit für Überlegungen und Vorbereitungen zuzubilligen ist, nicht als unangemessen lang an. Die Zeitdauer von zehn Tagen rechtfertigt nicht die Annahme, die Verfügungsklägerin habe dadurch deutlich gemacht, kein Interesse an einer eiligen Entscheidung zu haben.
205Auch das weitere Vorgehen der Verfügungskläger lässt keine Zweifel daran, dass die Verfügungsklägerin zielstrebig auf die Durchsetzung ihrer Rechte hinarbeitete. Der jetzige Prozessbevollmächtigte der Verfügungsklägerin wurde noch am selben Tag, dem 10. Dezember 2021, einem Freitag, verständigt und unmittelbar nach dem Wochenende der Verdacht der Patentverletzung durch ihn bestätigt. Dass sich die Verfügungsklägerin dann auf Empfehlung ihres Prozessbevollmächtigten entschied, weitere Größen zu untersuchen und diese Untersuchungen durch ein externes Institut durchführen zu lassen, ist unbedenklich. Denn der Antragsteller muss bei der Rechtsverfolgung keinerlei Risiko eingehen. Er darf sich auf jede mögliche prozessuale Situation, die nach Lage der Umstände eintreten kann, vorbereiten, so dass er umfassend darauf eingerichtet ist, erfolgreich zu erwidern und die nötigen Glaubhaftmachungsmittel präsentieren zu können. Auf Nachermittlungen während des Verfahrens muss er sich nicht einlassen (OLG Düsseldorf GRUR-RS 2021, 32434 – Cinacalcet II). Insofern war der Verfügungsklägerin eine Ausermittlung des Sachverhalts, insbesondere die Untersuchung weiterer Kathetergrößen zuzugestehen. So kann durch solche Untersuchungen einem Streit über den Umfang der Patentverletzung aus dem Verfahren, jedenfalls aber aus der Zwangsvollstreckung begegnet werden. Untersuchungen durch ein unabhängiges Institut haben dabei den Vorteil einer höheren Objektivität für sich. Ob es sich bei den zu untersuchenden Kathetern tatsächlich nur um verschiedene Varianten einer angegriffenen Ausführungsform oder um verschiedene Ausführungsformen handelt, war nicht vorhersehbar. Jedenfalls zeigt die Charriere-Größe CH10 (Taschenformat), dass es durchaus Unterschiede beim Substrat geben kann, die zu einer anderen Beurteilung der Verletzung hätten zwingen können.
206Mangels greifbarer Anhaltspunkte für eine Patentverletzung war die Verfügungsklägerin nicht gehalten, aufgrund der Entscheidung vom 7. Oktober 2021, die angegriffene Ausführungsform überhaupt untersuchen zu wollen, bereits zu diesem Zeitpunkt im größeren Umfang sämtliche Größen der angegriffenen Ausführungsform zu erwerben. Dass dies in den hohen Stückzahlen auch im Dezember nicht mal eben bei der Apotheke „um die Ecke“ möglich war, sondern bei einem Sanitätsgroßhandel erfolgte, versteht sich von selbst.
207Unschädlich ist auch der Umstand, dass die Verfügungsklägerin die Untersuchungen durch das RISE-Institut durchführen ließ. Zu Recht weisen die Verfügungsbeklagten selbst darauf hin, dass der Antragsteller in der Auswahl eines Instituts frei ist. Etwaige Verzögerungen, die dadurch entstanden, dass die in der Bundesrepublik Deutschland erworbenen Katheter nach Schweden gesandt werden mussten, sind so gering, dass sie nicht ins Gewicht fallen. Zudem ist es nicht so, dass sich die Verfügungsklägerin nicht um ein anderes Institut – auch in der Bundesrepublik Deutschland – bemüht hätte, um die angegriffene Ausführungsform zu untersuchen. Die Verfügungsklägerin hat durch eidesstattliche Versicherung von Herrn K und durch Vorlage von entsprechendem Emailverkehr glaubhaft gemacht (Anlage A 33), dass die Verfügungsklägerin auch beim TÜV-Süd angefragt hatte, der sich aber nicht in der Lage sah, die Untersuchungen durchzuführen.
208Dass die zu untersuchenden Katheter an die Verfügungsklägerin und nicht unmittelbar an das RISE-Institut gesandt wurden, hat seine Ursache darin, dass die Katheter zunächst vorbereitet werden musste, insbesondere die Beschichtung vom Substrat entfernt wurde. Es ist plausibel, dass dies nicht das RISE-Institut selbst machte. Erhebliche Verzögerungen sind dadurch nicht entstanden. Es kann auch nicht mit Erfolg eingewandt werden, dass es für die Frage der Patentverletzung letztlich gar nicht auf die Untersuchung der beschichteten Bereiche ankam und daher sowohl die Entfernung der Beschichtung als auch die Vermessung der beschichteten Bereich einen Aufwand bedeuteten, der die Vorlage der Untersuchungsergebnisse nur weiter verzögerte. Denn welche Untersuchungen letztlich für die Kammer von Bedeutung sein würden, war nicht sicher vorhersehbar.
209Die Kammer sieht es auch nicht als dringlichkeitsschädlich an, dass es zwei Monate dauerte, bis am 2. März 2022 ein erster vorläufiger Untersuchungsbericht des RISE-Instituts vorlag. Die Dauer ist der Anzahl der durchzuführenden Messungen (> 2000) und dem Umstand geschuldet, dass ein Institut wie das RISE-Institut nicht ausschließlich für Untersuchungen von Kathetern im Auftrag der Verfügungsklägerin zur Verfügung steht; unter anderem war Frau J als durchführende Person beim RISE-Institut auch durch Sitzungen eines ISO-Komitees und andere Aufträge gebunden. Aufgrund eidesstattlicher Versicherung von Frau E (Anlage A 14) steht für die Kammer jedenfalls fest, dass Frau J seitens der Verfügungsklägerin wiederholt auf die Dringlichkeit der Sache hingewiesen wurde. Mehr konnte auch von der Verfügungsklägerin zu der Zeit nicht erwartet werden.
210Dass der endgültige Untersuchungsbericht noch einmal einen Monat später erst am 31. März 2022 bei der Verfügungsklägerin eintraf, lag nicht daran, dass Frau J vier Wochen für die Abfassung des Untersuchungsberichts benötigte. Vielmehr war eine Besprechung des vorläufigen Berichts aufgrund der Erkrankung der deutschen Patentanwältin Frau Haas erst am 14. März 2022 möglich. Selbst wenn man unterstellt, dass der Prozessbevollmächtigte der Verfügungsklägerin den vorläufigen Untersuchungsbericht früher mit der Mandantin hätte besprechen können, ergäbe sich keine andere Wertung. Denn auch dann hätte nicht davon ausgegangen werden können, dass die Besprechung unmittelbar am 2. März 2022 stattgefunden hätte. Wird berücksichtigt, dass den Prozessbevollmächtigten der Verfügungsklägerin dann auch noch Zeit für die Abfassung eines Entwurfs eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung und für eine abschließende Freigabe durch die Verfügungsklägerin zuzugestehen ist, stellt sich die Einreichung des Antrags am 4. April 2022 – also innerhalb eines Monats nach Vorlage des vorläufigen Untersuchungsberichts – nicht als zögerlich dar. Dabei ist noch nicht berücksichtigt, dass die Vorlage des endgültigen Untersuchungsberichts ebenfalls Zeit gekostet hätte, selbst wenn die Besprechung vor dem 14. März 2022 stattgefunden hätte.
211Unbeachtlich ist auch der Einwand, dass sich der vorläufige vom endgültigen Untersuchungsbericht kaum unterscheide, es mithin kaum Änderungsbedarf gegeben habe. Dies macht einen vorläufigen Bericht nicht überflüssig, weil vor der Vorlage eines vorläufigen Untersuchungsberichts der Änderungsbedarf nicht bekannt ist. Danach ist dem Antragsteller zuzugestehen, den endgültigen Bericht abzuwarten, weil ihm sonst die Glaubhaftmachungsmittel für den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung fehlen. Ungeachtet dessen war die Verfügungsklägerin in der Zeit bis zur Vorlage des endgültigen Untersuchungsberichts am Donnerstag, dem 31. März 2022 nicht untätig. Vielmehr lässt der Zeitpunkt der Einreichung des Antrags beim LG Düsseldorf am Montag, dem 4. April 2022 vermuten, dass der Antrag bis zur Vorlage des endgültigen Untersuchungsberichts weitgehend vorbereitet wurde. Nach alledem hat die Verfügungsklägerin die Dringlichkeit gewahrt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.
213Die Anordnung einer Sicherheitsleistung beruht auf §§ 921, 936 ZPO und ist deshalb sinnvoll und geboten, weil damit gewährleistet wird, dass der Unterlassungsausspruch nicht unter geringeren Bedingungen (nämlich ohne Sicherheitsleistung) vollstreckbar ist, als er es bei einem entsprechenden erstinstanzlichen Hauptsacheverfahren – welches gemäß § 709 ZPO stets nur gegen Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist – wäre.
Streitwert: 1.000.000,00 EUR
215Zugleich für Richterin am Landgericht Dr. Gräwe, die wegen des Eintritts in den Mutterschutz an der Unterschriftsleistung gehindert ist.
216Dr. Voß Wimmers
217Vorsitzender Richter am Richterin am Landgericht
218Landgericht