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Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, den Klägerinnen Schadensersatz für alle weiteren Schäden zu leisten, die aus dem im Bußgeldbescheid des Bundeskartellamts vom 4. Juli 2018 – Az.: B12 – 21/17 – U 2, B12 – 21/17 – P 1/1 (ex-B 12 - 22/15 – U 17a, B12 – 22/15 – P 17/) dargestellten Wettbewerbsverstoß resultieren.
Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
Die Gerichtskosten, die außergerichtlichen Kosten des Beklagten und die außergerichtlichen Kosten der Streithelferin des Beklagten tragen die Klägerin zu 1. zu 66% und die Klägerin zu 2. zu 18%. Der Beklagte trägt die Gerichtskosten zu 16%. Die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 1. trägt der Beklagte zu 11% und die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 2. zu 30%. Eine weitere Kostenerstattung findet nicht statt.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des jeweiligen Vollstreckungsbetrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
2Der Beklagte war bis Ende 2015 Geschäftsführer der Klägerin zu 1. und Vorstandsvorsitzender der Klägerin zu 2. Die Klägerinnen nehmen ihn auf Erstattung einer vom Bundeskartellamt (BKartA) gegen die Klägerin zu 1. verhängten Unternehmensgeldbuße und auf Erstattung der von der Klägerin zu 2. getragenen Kosten der Rechtsverteidigung der Klägerinnen im Bußgeldverfahren in Anspruch. Außerdem wollen die Klägerinnen festgestellt wissen, dass der Beklagte verpflichtet ist, ihnen den infolge der Kartellverstöße künftig entstehenden weiteren Schaden zu ersetzen. Bei der Streithelferin des Beklagten handelt es sich um dessen D&O-Versicherer.
3Die Klägerinnen, gehören der „X“ an. Die Klägerin zu 2. ist die Obergesellschaft (Holding) der Gruppe, der die Klägerin zu 1. als operativ tätiges Unternehmen und 100%ige Tochter der Klägerin zu 2. angehört. Schwerpunkt der unternehmerischen Tätigkeit der X sind die Herstellung und der Vertrieb von qualitativ hochwertigen Edelstahl-Halbfertigerzeugnissen, so genannter „Präzisions-Halbzeuge“. Die Unternehmen der Gruppe erzeugen selbst keinen Stahl, sondern beziehen diesen von verschiedenen Herstellern, um ihn weiterzuverarbeiten. Wegen der Einzelheiten zu den Geschäftsbereichen der Unternehmen der X wird insbesondere auf die Ausführungen in der Klageerwiderung (dort S. 13 = GA 43) unter C. 1. verwiesen.
4Zum 31. Dezember 2015 schied der Beklagte aus den Diensten der Klägerinnen aus. Zwischen der Klägerin zu 2., vertreten durch den Vorsitzenden des Aufsichtsrats X, und dem Beklagten wurde der von dem Beklagten als Anlage B17 in Kopie vorgelegte Aufhebungsvertrag geschlossen, in dessen § 15 es unter der Überschrift „Erledigungsklausel“ heißt:
5„Alle gegenseitigen Ansprüche aus dem Dienstvertrag und aus Anlass seiner Beendigung, die nicht in dieser Vereinbarung geregelt sind, unabhängig davon, ob bekannt oder unbekannt, fällig oder fällig werdend, sind mit Erfüllung dieser Vereinbarung erledigt. Ausgenommen sind Schadensersatzansprüche aus vorsätzlicher Handlung und Ansprüche nach dem Mindestlohngesetz.“
6Mit Schreiben vom 12. September 2016 informierte das BKartA die Klägerin zu 2. über die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens wegen des „Verdachts wettbewerbsbeschränkender Absprachen gegen Hersteller von Stahlprodukten“, welches sich gegen sie und auch gegen die Klägerin zu 1. richte.
7In dem Schreiben heißt es:
8„... das Bundeskartellamt führt ein Ermittlungsverfahren gegen Hersteller von Stahlprodukten wegen des Verdachts wettbewerbswidriger Absprachen und Verhaltensweisen.
9Die Beschlussabteilung geht dabei davon aus, dass die betroffenen Unternehmen vor dem Hintergrund des Auslaufens des Vertrags über die Gründung der europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl am 23. Juli 2002 einerseits und erheblicher Überkapazitäten in Europa andererseits mindestens in der Zeit vom 1. Januar 2003 bis zum 26. November 2015 Vereinbarungen getroffen und Verhaltensweisen praktiziert haben, die von dem Grundverständnis getragen wurden, einen Preiswettbewerb unter den Wettbewerbern zu vermeiden oder jedenfalls spürbar zu dämpfen. Zu diesem Zweck stimmten sich die Vertreter der betroffenen Unternehmen über Preise und Preisbestandteile sowie Produktionsbeschränkungen ab und tauschten wettbewerblich sensible Informationen aus. Eine Plattform für die Absprachen waren nach derzeitigem Ermittlungsstand die Sitzungen des Vorstandes und des Engeren Vorstandes der X, Düsseldorf.
10An diesen Sitzungen hat für Ihr Unternehmen, einschließlich der Tochtergesellschaft X zumindest in der Zeit von März 2002 - Nov. 2015 der damalige Vorstandsvorsitzende der X, Herr X, der auch Geschäftsführer der X war, teilgenommen. Herr X war im vorliegenden Zeitraum zeitweise Mitglied im Engeren Vorstand und dort auch Vorsitzender bzw. stellv. Vorsitzender.
11Die Beschlussabteilung hat deshalb gegen die X einschl. der mit ihr verbundenen X ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Sollten die Ermittlungen den Verdacht bestätigen, können gegen die beteiligten Unternehmen Geldbußen verhängt werden.
12(Verstoß gegen § 31 Abs. 1 Nr. 1 GWB i.V.m. Art. 101 AEUV bzw. § 81 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 1 GWB; §§ 30, 130 OWiG).
13Ich weise in diesem Zusammenhang auf die Bekanntmachung des Bundeskartellamtes Nr. 9/2006 über den Erlass und die Reduktion von Geldbußen in Kartellsachen vom 07. März 2006 (sog. Bonusregelung) hin, die auf der Internetseite des Bundeskartellamtes unter www.bundeskartellamt.de abrufbar ist. Nach der Bonusregelung können Unternehmen und natürliche Personen, die an einer verbotenen Absprache beteiligt sind, unter bestimmten Voraussetzungen vollständig oder teilweise vom Bußgeld befreit werden. ...“
14Die in dem Schreiben des BKartA angesprochene Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl („EGKS“), auch „Montanunion“ genannt, war ein europäischer Wirtschaftsverband und einer der Vorläufer der Europäischen Union. Er verschaffte seinen Mitgliedstaaten zollfreien Zugang zu Kohle und Stahl. Der Verband wurde Anfang der 1950er Jahre durch Vertrag der Gründerstaaten, zu denen Deutschland gehörte, für die Dauer von 50 Jahren geschlossen. Der Vertrag lief am 23. Juli 2002 aus. Unter der Geltung des EGKS-Vertrages wurde ein Preissystem für Edelstahlerzeugnisse etabliert, das im Wesentlichen auch heute noch praktiziert wird. Die Preise für Edelstahlerzeugnisse setzten sich danach aus einem Basispreis und verschiedenen variablen Zuschlägen, insbesondere für Legierungsmittel und Schrott, zusammen. Bei dem Basispreis handelt es sich um einen festen, für einen gewissen Zeitraum vereinbarten Grundpreis. Die Höhe der variablen Zuschlagspreise hängt von der Entwicklung der Preise der betroffenen Rohstoffe ab. Die stahlproduzierenden Unternehmen (Stahlhersteller) sowie die weiterverarbeitenden Unternehmen auf der zweiten Marktstufe, zu denen auch die Klägerin zu 1. gehört, veröffentlichten auch nach Auslaufen des EGKS-Vertrages inhaltlich vergleichbare Preiszuschlagslisten.
15Dieses einheitliche branchenweite System war wesentliche Grundlage und tragende Säule des Geschäftsmodells der Klägerinnen. Insbesondere der Legierungszuschlag stellt eine erhebliche Preiskomponente beim Verkauf von Präzisions-Halbzeugen dar. Die Bedeutung des Legierungszuschlags zeigt sich u.a. in der regelmäßigen thematischen Behandlung in Vorstands- und Aufsichtsratssitzungen sowie Gesellschafterversammlungen und Familienratssitzungen der Klägerinnen.
16Das vom BKartA eingeleitete Verfahren richtete sich auch gegen weitere Unternehmen, die Edelstahl herstellten bzw. weiterverarbeiteten.
17Nach Einstellung des Verfahrens gegen die Klägerin zu 2. setzte das BKartA mit in Bestandskraft erwachsenem Bußgeldbescheid vom 12. Juli 2018 (von der Klägerin in Kopie als Anlage K4 vorgelegt) gegen den Beklagten ein Bußgeld in Höhe von € 126.000,- und gegen die Klägerin zu 1. ein solches in Höhe von € 4.100.000,- wegen „einer vorsätzlichen Kartellordnungswidrigkeit gemäß § 81 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen („GWB") in Verbindung mit Art. 101 Abs. 1 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union in der Fassung der Bekanntmachung vom 09.05.2008 (ABL. C 115 vom 09.05.2008, S. 47, „AEUV")“ fest.
18Die Geldbußen hatten nach dem Inhalt des Bescheids ausschließlich ahndenden Charakter. Das BKartA übte sein Ermessen nach § 81 Abs. 5 S. 1 GWB in Verbindung mit § 17 Abs. 4 OWiG) dahin aus, dass ein wirtschaftlicher Vorteil nicht abgeschöpft wurde. Die Kosten des Verfahrens trugen der Klägerin zu 1. und der Beklagte als Gesamtschuldner. Der auf die Klägerin zu 1. entfallende Anteil der Verfahrenskosten belief sich auf EUR 7.754,68.
19In dem Bescheid legte das BKartA den Teilnehmern des Kartellverstoßes zur Last, mindestens im Zeitraum vom Ende des EGKS-Vertrages am 23. Juli 2002 bis zum 31. Dezember 2015 durch ein und dieselbe Handlung gemeinschaftlich handelnd mit Vertretern weiterer im Bußgeldbescheid genannter Unternehmen sowie der Unternehmensvereinigungen X („X“) und X („X“) „als vertretungsberechtigtes Organ einer juristischen Person (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 OWiG) vorsätzlich dem Verbot von Vereinbarungen zwischen Unternehmen zuwidergehandelt zu haben, welche den Handel zwischen den Mitgliedsstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarktes bezwecken oder bewirken (§ 81 Abs. 1 Nr. 1 GWB in Verbindung mit Art, 101 Abs. 1 AEUV).“ In tatsächlicher Hinsicht wurde ihm zur Last gelegt, „als Geschäftsführer der Nebenbetroffenen im Rahmen eines gemeinsamen Grundverständnisses ein branchenweit einheitliches Preissystem aus Basispreis und Zuschlägen, die unter den hier betroffenen Stahlherstellern abgestimmt waren, für die von den hier betroffenen Stahlherstellern bezogenen und weiterverarbeiteten eigenen Produkte praktiziert zu haben. In seiner Verantwortung hat die Nebenbetroffene die nach diesem System berechneten Legierungszuschläge sowohl beschaffungs- als auch absatzseitig den eigenen Verträgen zugrunde gelegt. Im Handelsgeschäft mit Werkzeug- und Schnellarbeitsstählen hat die Nebenbetroffene den eigenen Verträgen den brancheneinheitlichen Schrottzuschlag zugrunde gelegt. In diesem Zusammenhang wird dem Betroffenen ferner zur Last gelegt, in seiner Zeit als Geschäftsführer der Nebenbetroffenen regelmäßig an Sitzungen des Vorstandes und des Engeren Vorstandes der X sowie bis Ende 2009 an sog. „Präzisbandtreffen“ des Wirtschaftsverbandes der europäischen Eisen- und Stahlindustrie („EUROFER“) teilgenommen zu haben, bei oder In Zusammenhang mit denen er sich mit Vertretern anderer hier betroffener Unternehmen (Lieferanten und Wettbewerber) sowohl über das branchenweit einheitliche Preissystem als auch über die aktuelle Auftragslage, die Entwicklung der Lagerbestände bei den Kunden und den Ablauf des Versands ihrer Produkte, Produktionsstillstände und beabsichtigte Preiserhöhungen ausgetauscht hat.“
20In dem Bußgeldbescheid heißt es dazu u.a.:
21„I. Das Grundverständnis
22(1) Spätestens mit dem Auslaufen des EGKS-Vertrages am 23. Juli 2002 hat das Leitungspersonal – in der Regel Vorstände bzw. Geschäftsführer und Vertriebsleiter – der ... betroffenen Edelstahl herstellenden und / oder weiterverarbeitenden / vertreibenden Unternehmen – gefördert durch die X – die grundlegende Übereinkunft getroffen, die bestehenden Markt- und Wettbewerbsverhältnisse auch nach Auslaufen des EGKS-Vertrages Im Wesentlichen unverändert zu erhalten und fortzuführen, um so einen Preiswettbewerb zwischen den Unternehmen zu vermeiden oder jedenfalls spürbar zu dämpfen und für alle Beteiligten ein möglichst auskömmliches Preisniveau im Markt zu etablieren. Hierzu gehörte, den in der Branche produkt- und marktstufenübergreifend üblichen Preisaufbau aus Basispreis und Zuschlägen auch nach Auslaufen des EGKS-Vertrages im Wesentlichen unverändert zu erhalten, Effektivpreise möglichst zu vermeiden und innerhalb dieser Struktur Preise und Preisbestandteile nur gemeinsam zu verändern („das Grundverständnis“). Dieses Grundverständnis bestand (1) zwischen den hier betroffenen Stahlherstellern untereinander, (2) zwischen den hier betroffenen Stahlherstellern und ihren hier betroffenen Abnehmern auf der ersten Marktstufe (namentlich Weiterverarbeiter und/oder Händler) und (3) zwischen den hier betroffenen Abnehmern der hier betroffenen Stahlhersteller auf der ersten Marktstufe (namentlich Weiterverarbeiter und/oder Händler) untereinander (zusammen „die betroffenen Unternehmen“).
23...
24(4) Bei der Abstimmung des Marktverhaltens zwischen den betroffenen Unternehmen spielten Produkt- und marktstufenübergreifend die Verbände, Insbesondere die X und X eine maßgebliche Rolle. Sie bildeten ein gemeinsames Dach für das einheitliche Auftreten der betroffenen Unternehmen am Markt „als Branche“ und boten ihnen mit einer Vielzahl von Gremien – insbesondere zahlreichen produktspezifischen Ausschüssen – über Jahrzehnte Plattformen für die Umsetzung des gemeinsamen Grundverständnisses. Die Anzahl, Häufigkeit und Regelmäßigkeit der Gelegenheiten, zu denen sich Vorstände bzw. Geschäftsführer und Vertriebsleiter der betroffenen Unternehmen miteinander trafen, erzeugte unter ihnen ein außerordentliches Näheverhältnis, das zu dem Selbstverständnis (Grundverständnis) führte, einheitlich als Branche aufzutreten und „mit einer Stimme" zu sprechen. Dabei nahmen die Verbände eine aktive Rolle ein, insbesondere indem sie Gremiensitzungen vor- und nachbereiteten, den Informationsaustausch zwischen den betroffenen Unternehmen organisierten und für die Abstimmung von Preisbestandteilen erforderliche Daten aufbereiteten und zur Verfügung stellten.
25...
26II. Die abgestimmten Zuschläge
27...
28(13) Zwischen den hier betroffenen Stahlherstellern untereinander, zwischen den hier betroffenen Stahlherstellern und ihren Abnehmern auf der ersten Marktstufe (namentlich Weiterverarbeiter und Händler) sowie zwischen den hier betroffenen Abnehmern der Stahlhersteller auf der ersten Marktstufe (namentlich Weiterverarbeiter und Händler) untereinander bestand darüber hinaus ein Grundsatz, die nach diesem System berechneten Legierungszuschläge sowohl beschaffungs- als auch absatzseitig den eigenen Verträgen zugrunde zu legen.
29...
30IV. Zum Austausch sensibler Informationen
31(22) Vertreter der hier betroffenen Unternehmen haben, Insbesondere im Rahmen von sog. „Tischabfragen“ Innerhalb von Gremien der X, X ..., in der Zeit von mindestens Juli 2002 bis November 2015 regelmäßig wettbewerblich sensible Informationen etwa betreffend die aktuelle Auftragslage, die Entwicklung der Lagerbestände bei den Kunden und den Ablauf des Versands ihrer Produkte, Produktionsstillstände und beabsichtigte Preiserhöhungen ausgetauscht.
32...
33V. Zur Beteiligung des Betroffenen und der Nebenbetroffenen
34(24) Die Nebenbetroffene hat sich an der oben beschriebenen Tat beteiligt; indem insbesondere der Betroffene In seiner Eigenschaft als Geschäftsführer der Nebenbetroffenen das oben beschriebene Grundverständnis mitgetragen und auf der Weiterverarbeitungsebene umgesetzt hat.
35(25) Insoweit hat die Nebenbetroffene in der Verantwortung des Betroffenen das oben beschriebene, branchenweit einheitliche Preissystem aus Basispreis und abgestimmten Zuschlägen während des gesamten Tatzeitraums (mindestens 2003 bis Dezember 2015) für die von den hier betroffenen Stahlherstellern bezogenen und weiterverarbeiteten eigenen Produkte praktiziert. Hierbei hat die Nebenbetroffene die nach diesem System berechneten Legierungszuschläge sowohl beschaffungs- als auch absatzseitig den eigenen Verträgen zugrunde gelegt. Im Handelsgeschäft mit Werkzeug- und Schnellarbeitsstählen hat die Nebenbetroffene den eigenen Verträgen den brancheneinheitlichen Schrottzuschlag zugrunde gelegt.
36(26) Der Betroffene hat in seiner Zeit als Geschäftsführer der Nebenbetroffenen regelmäßig an Sitzungen des Vorstandes und des Engeren Vorstandes der X sowie bis Ende 2009 an sog. "Präzisbandtreffen" des Verbandes X teilgenommen, bei oder in Zusammenhang mit denen er sich mit Vertretern anderer hier betroffener Unternehmen (Lieferanten und Wettbewerber) sowohl über das branchenweit einheitliche Preissystem als auch über die aktuelle Auftragslage, die Entwicklung der Lagerbestände bei den Kunden und den Ablauf des Versands ihrer Produkte, Produktionsstillstände und beabsichtigte Preiserhöhungen ausgetauscht hat. Die Nebenbetroffene hatte jedoch für das branchenweit einheitliche Preissystem keine konstitutive Bedeutung. Dem Betroffenen ging es daher nach eigenem Bekunden auch nicht um die Stabilisierung oder Erhaltung des einheitlichen Preissystems, sondern um Absicherung der eigenen Beschaffung und den Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit der Nebenbetroffenen auf der Weiterverarbeitungsstufe.
37...“
38Die Klägerinnen behaupten, auf Seiten der Klägerin zu 1. seien neben dem Beklagten keine weiteren Personen an dem Informationsaustausch beteiligt gewesen. Da die Klägerin zu 2. nicht Mitglied der Edelstahl-Vereinigung gewesen sei, habe der Beklagte schon pflichtwidrig gehandelt, als er sich bei Treffen der Vereinigung als „Vorstandsvorsitzender der X “ und damit im Namen der Klägerin zu 2. präsentiert habe. Eine Entsendung habe allein in der Eigenschaft als Geschäftsführer der Klägerin zu 1. stattgefunden.
39Insgesamt seien der Klägerin zu 2. für die tatsächlichen und rechtlichen Aufklärungen des Sachverhalts im Ermittlungsverfahren Kosten in Höhe von € 1.144.885,24 entstanden. Kosten seien allein bei der Klägerin zu 2. entstanden, weil sich das Ermittlungsverfahren des BKartA anfangs ausschließlich gegen sie gerichtet habe. Diese Kosten sind nach Ansicht der Klägerinnen im Verhältnis zu der am Konzernumsatz zu messenden drohenden Bußgeldhöhe von bis zu EUR 37 Mio. erforderlich und angemessen gewesen. Die von den Klägerinnen in der Summe und mit Verteilung auf die beteiligten Rechtsanwälte aufgeteilten Rechtsanwaltskosten bestehen aus 582 Einzelpositionen, die sie nicht näher darlegen.
40Finanzielle, aus dem Preissystem resultierende Vorteile seien den Klägerinnen nicht entstanden. Ein finanzieller Vorteil scheide schon deshalb aus, weil dieser alleine durch das Weiterreichen der durch die Stahlhersteller erhobenen Zuschlagspreise nicht entstanden sei. Auch ohne das Verhalten des Beklagten hätten die Klägerinnen das branchenübliche Preissystem umsetzen können, was zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit geführt hätte. Hieraus ist nach Ansicht der Klägerinnen die Schlussfolgerung zu ziehen, dass ihnen kein adäquat kausaler Vorteil durch das Grundverständnis entstanden sei, der auszugleichen wäre.
41Die Klägerinnen zu 1. und zu 2. beantragen,
421. den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin zu 1) einen Betrag in Höhe von EUR 4.107.754,68 zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen,
2. den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin zu 2) einen Betrag von EUR 1.144.885,24 zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen,
3. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, den Klägerinnen Schadensersatz zu leisten für alle weiteren Schäden, die aus dem im Bußgeldbescheid des Bundeskartellamts vom 4. Juli 2018 – Az.: B12 – 21/17 – U 2, B12 – 21/17 – P 1/1 (ex-B 12 - 22/15 – U 17a, B12 – 22/15 – P 17/) dargestellten Wettbewerbsverstoß resultieren.
Der Beklagte und ihre Streithelferin beantragen,
49die Klage abzuweisen.
50Der Beklagte behauptet, das ihm vom BKartA zur Last gelegte Verhalten sei von den Klägerinnen im Wesentlichen gebilligt bzw. aktiv unterstützt worden. Der im Rahmen der Verbände stattfindende Informationsaustausch sei den Klägerinnen bekannt gewesen. Insbesondere habe das gesamte Leitungspersonal mitsamt den Gesellschaftern der Klägerin zu 2. auch Kenntnis von den konstitutiven Elementen des Preissystems gehabt. Die Klägerinnen seien deshalb daran gehindert, ihn auf Schadensersatz in Anspruch zu nehmen.
51Der Beklagte bestreitet die durch die Inanspruchnahme des externen IT-Dienstleister X entstandenen Kosten der Höhe nach mit Nichtwissen. Diejenigen Leistungen, die nach Einreichung des Bonusantrages an das Bundeskartellamt erbracht worden seien, seien nicht regressfähig, jedenfalls nicht notwendig gewesen.
52Er behauptet, den Klägerinnen sei nach Anrechnung eines kartellbedingten Vorteils im Wege der Vorteilsausgleichung kein Schaden entstanden.
53Von der Höhe der geltend gemachten Ansprüche würde eine existenzvernichtende Wirkung ausgehen.
54Entscheidungsgründe
55Während der auf Feststellungsantrag zu 3. der Verpflichtung des Beklagten zum Ersatz weiterer Schäden gerichtete Klageantrag zu 3. gerechtfertigt ist (A), sind die Klageanträge zu 1. und 2. nicht begründet (B).
56(A)
57Dem zulässigen Feststellungsantrag ist zu entsprechen, weil der Beklagte den Klägerinnen aus § 43 Abs. 2 GmbHG bzw. § 93 Abs. 2 S. 1 AktG verpflichtet ist, den ihnen durch das vom BKartA sanktionierte Verhalten entstehenden weiteren Schaden zu ersetzen.
58Weiterer Schaden meint in diesem Zusammenhang den Schaden, der über die Vermögenseinbußen hinausgeht, die die Klägerin zu 1. durch das gegen sie festgesetzte Bußgeld und die auf sie entfallenden Kosten des Bußgeldverfahrens und die die Klägerin zu 2. durch die Kosten der Rechtsverteidigung im Bußgeldverfahren erlitten haben.
59I.
60Den Klägerinnen kann ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung nicht abgesprochen werden. Zudem besteht eine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass ihnen infolge des durch das BKartA sanktionierte Verhalten ein Schaden in irgendeiner Höhe entsteht, weil es nicht ausgeschlossen ist, dass sie von Abnehmern ihrer Produkte mit Erfolg auf Schadensersatz in Anspruch genommen werden können. Sie sind unstreitig bereits mit entsprechenden Schadensersatzverlangen konfrontiert worden.
61II.
62Die Klägerin zu 1. kann von dem Beklagten dem Grunde nach aus § 43 Abs. 2 GmbH Ersatz beanspruchen.
631. Der Beklagte hat durch das ihm vom BKartA zur Last gelegte – in tatsächlicher Hinsicht unstreitige – Verhalten nach Maßgabe des Bußgeldbescheids gegen Kartellrecht verstoßen und gleichzeitig die ihm gegenüber der Klägerin zu 1. als Geschäftsführer obliegende Legalitätspflicht (a) schuldhaft (b) verletzt. Die Kenntnis anderen Leistungspersonals und der Gesellschafterin der Klägerin zu 1. entlastet den Beklagten nicht (c). Schließlich ist die Klägerin zu 1. auch nicht aus anderen Rechtsgründen an der Durchsetzung ihres Ersatzanspruchs gehindert (d) bis f)).
64(a) Der X-Geschäftsführer ist nach § 43 Abs. 2 GmbHG unter anderem verpflichtet, für die Legalität des Handelns der Gesellschaft Sorge zu tragen. Verstöße gegen die Legalitätspflicht können auch im Verhältnis zur Gesellschaft selbst nicht mit dem Vorbringen gerechtfertigt werden, sie lägen in deren Interesse (vgl. BGH, Urteil vom 27. August 2010 – 2 StR 111/09 –, BGHSt 55, 266-287). „Nützliche“ Gesetzesverstöße machen diese nicht weniger pflichtwidrig. Insoweit steht dem Organwalter kein unternehmerisches Ermessen zu (Fleischer, BB 2008, 1070 (1071); Lotze, NZKart 2014, 162 (168); Binder/Kraayvanger, BB 2015, 1219 (2021); Kersting, ZIP 2016, (1266)). Durch den Kartellverstoß begeht der Geschäftsführer eine Pflichtverletzung gegenüber der Gesellschaft. Der Verstoß gegen kartellrechtliche Bestimmungen im Außenverhältnis indiziert den Pflichtverstoß im Innenverhältnis.
65(b) Diese Verletzung der ihm gegenüber den Klägerinnen obliegenden Pflicht, sich in Ausübung seiner Geschäftsführertätigkeit im Außenverhältnis rechtmäßig zu verhalten, hat der Beklagte fahrlässig und damit schuldhaft begangen.
66(aa) Bezugspunkt des Verschuldens ist dabei nur die Pflichtverletzung, nicht auch der Schadenseintritt (vgl. MHLS/Ziemons, 3. Aufl. 2017, GmbHG § 43 Rn. 416). Dafür, dass der Beklagte seine ihm der Klägerin zu 1. gegenüber obliegenden Pflichten wissentlich und willentlich verletzt und damit vorsätzlich gehandelt haben könnte (vgl. MHLS/Ziemons, 3. Aufl. 2017, GmbHG § 43 Rn. 407) sind tragfähige Anhaltspunkte nicht erkennbar.
67(bb) Die Beurteilung der Verschuldensfrage ist an einem objektiven Verschuldensmaßstab auszurichten, weil die an das Verhalten des Geschäftsführers zu stellenden (Mindest-)Anforderungen grundsätzlich nicht von dessen individuellen Fähigkeiten abhängen. Wer Geschäftsführer ist, muss die zur Ausübung dieses Amtes erforderlichen Fähigkeiten und Kenntnisse besitzen. Ohne Bedeutung für das Verschulden ist, was allgemein oder in der betreffenden Branche üblich ist. Vielmehr bestimmt sich der Verschuldensstandard aufgabenbezogen danach was die dem Geschäftsführer übernommene Führungsaufgabe erfordert (vgl. MHLS/Ziemons, 3. Aufl. 2017, GmbHG § 43 Rn. 411 ff.).
68(cc) Dass der Beklagte persönlich gutgläubig handelte, vermag ihn nach alledem schon deshalb nicht zu entlasten, weil ein Geschäftsführer für die Fähigkeiten und Kenntnisse einzustehen, welche die ihm anvertraute Aufgabe objektiv erfordert (vgl. MüKoGmbHG/Fleischer, 3. Aufl. 2019, GmbHG § 43 Rn. 255). Unter Anlegung eines objektiven Maßstabs hätte der Beklagte erkennen müssen, dass sein Verhalten rechtswidrig war. Zwar wird teilweise angenommen, dass wegen bestehender kartellrechtlicher Grauzonen Organe bei zweifelhafter Rechtslage nach Ausübung pflichtgemäßen Ermessens auch eine für die Gesellschaft günstige Auffassung wählen dürfen, ohne stets an den (kartell-)rechtlich sichersten Weg gebunden zu sein (Lotze, NZKart 2014, 162 (163); Fleischer, BB 2008, 1070 (1071); ders. ZIP 2005, 141 (150)). Der Geschäftsleiter treffe eine Entscheidung im fremden Interesse. Da ihm auch bei einer für das Unternehmen vorteilhaften Entscheidung keine eigenen unmittelbaren Vorteile erwüchsen, könne ihm umgekehrt auch nicht das volle Risiko einer rechtlichen Fehleinschätzung aufgebürdet werden (Binder/Kraayvanger, BB 2015, 1219 (2021)). Nach anderer Ansicht fehlt es an einem Verschulden des handelnden Geschäftsführers, wenn bei bestehenden Rechtszweifeln externer Rat eingeholt wird und sich diese nicht ausräumen lassen bzw. der Geschäftsführer mit guten Gründen von der Rechtmäßigkeit seines Verhaltens ausgehen durfte.
69Selbst wenn man in diesem Zusammenhang von einer unklaren oder umstrittenen Rechtslage ausgehen wollte, hätte es ihm bereits zu Beginn seiner Teilnahme 2003 oblegen, im Rahmen der ihn treffenden Rechtsvergewisserungspflicht die rechtlichen Zusammenhänge eingehend zu prüfen und bei entsprechender Bedeutung der Frage internen oder externen Rechtsrat einzuholen (vgl. MüKoGmbHG/Fleischer, 3. Aufl. 2019, GmbHG § 43 Rn. 36). Das hätte insbesondere auch deshalb nahegelegen, weil – wie der Beklagte selbst vorträgt – sowohl die Kommission als auch das BKartA in der Vergangenheit bereits wegen ähnlicher oder gleichartiger Verhaltensweisen Bußgelder gegen Unternehmen der Stahlbranche festgesetzt hatten. Der Beklagte hat sich vor seinem pflichtwidrigen Verhalten nicht umfassend erkundigt und nach sorgfältiger Abwägung für eine vertretbare Meinung entschieden. Im Innenverhältnis zu der Klägerin zu 1. gelten bezogen auf das Risiko einer rechtlichen Fehleinschätzung diejenigen Sorgfaltsanforderungen, die von der Rechtsprechung für das Vorliegen eines beachtlichen Verbotsirrtums aufgestellt wurden. Danach trifft Organmitglieder die Pflicht, sich unter umfassender Darstellung der Verhältnisse und Offenlegung der erforderlichen Unterlagen von einem unabhängigen, für die zu klärende Frage fachlich qualifizierten Berufsträger beraten zu lassen und den erteilten Rechtsrat einer sorgfältigen Plausibilitätskontrolle zu unterziehen. Ein Irrtum, der trotz solcher Erkundigung und Prüfung besteht, ist entschuldigt (Binder/Kraayvanger, BB 2015, 1219 (2021)). Die Einholung von Rechtsrat in Form von anwaltlich erstellten kartellrechtlichen Gutachten erfolgte durch den Beklagten bzw. die Edelstahl-Vereinigung erst im Jahre 2015, kurz vor der Beendigung des vom BKartA als kartellrechtswidrig beanstandeten Verhalten. Hinzu kommt, dass die Empfehlung der Kanzlei Hogan Lovells, auf welche sich der Beklagte beruft, gerade vom Austausch von unternehmensindividuellen Information abriet.
70(c) Es würde den Beklagten auch nicht zu entlasten, wenn anderes Leitungspersonal der Klägerinnen, das Preissystem und seine branchenweit übliche Anwendung kannten und über die dazu geführten Gespräche der Vertreter der beteiligten Unternehmen informiert waren.
71Eine derartige Kenntnis mag zwar eine eigene Haftung weiterer Personen aus den Unternehmensleitungen der Klägerinnen rechtfertigen, für die Entscheidung des Rechtsstreits ist diese Frage aber nicht von Bedeutung, zumal der Beklagte der Gesellschaft der Klägerin zu 1. im Innenverhältnis das Mitverschulden anderer Geschäftsführer nicht entgegenhalten kann, weil der Sinn der in § 43 Abs. 2 GmbH angeordneten Solidarhaftung dem entgegen steht. Ebenso wenig kann er ein Überwachungsverschulden seitens der der Gesellschafter oder – im Fall der Klägerin zu 2. (siehe dazu unter III.) – eines Aufsichtsrats in Bezug auf sein eigenes Fehlverhalten einwenden. Denn die jeweiligen Organpflichten sind so ausgestaltet, dass sie nebeneinander bestehen (vgl. MüKoGmbHG/Fleischer, 3. Aufl. 2019, GmbHG § 43 Rn. 260 mwNw).
72d) Ein Ausschluss der Haftung des Beklagten lässt sich auf der Grundlage seines Sachvortrages auch nicht mit den ihm von der Gesellschafterversammlung der Klägerin zu 1. im Laufe der Jahre erteilten Entlastungen begründen.
73Zwar kann die erteilte Entlastung die Durchsetzung von Regressansprüchen der GmbH ausschließen. Die Präklusionswirkung erfasst jedoch nicht automatisch und unterschiedslos alle Ansprüche, die im Entlastungszeitraum entstanden sind. Maßgeblich ist vielmehr der Gegenstand der Beschlussfassung über die Entlastung. Danach werden nur solche Ansprüche von der Präklusion erfasst, deren Existenz vor dem Hintergrund der der Gesellschafterversammlung von den Geschäftsführern gelieferten Informationen bei sorgfältiger Prüfung erkennbar waren Die Präklusion setzt grundsätzlich die Erkennbarkeit bzw. Kenntnis der entsprechenden Umstände durch alle Gesellschafter voraus. Die Gesellschafter trifft dabei keine Obliegenheit zur Informationsbeschaffung. Vielmehr ist es Aufgabe des Geschäftsführers, die Gesellschafter über alle relevanten Vorgänge und Vorkommnisse zu informieren, sodass es grundsätzlich nicht genügt, dass sich die Gesellschafter entsprechende Informationen nicht selbst verschafft haben. Denn die hinreichende Information der Gesellschafter ist eine Bringschuld der durch die Präklusionswirkung begünstigten Geschäftsführer und keine Holschuld der Gesellschafter. Etwas anderes kann nur gelten, wenn die Gesellschafter vor mit Händen zu greifenden Umständen die Augen verschließen. Fallen allerdings in der Gesellschaft die Zuständigkeiten für die Überwachung der Geschäftsführung einerseits und deren Überwachung andererseits auseinander, kommt in Betracht, für die Kenntnis bzw. das Kennenmüssen (auch) auf das überwachende, nicht allein das entlastende Organ abzustellen (MüKoGmbHG/Liebscher, 3. Aufl. 2019, GmbHG § 46 Rn. 146 ff. mwNw; Lutter/Hommelhoff/Kleindiek, GmbH-Gesetz Kommentar, 20. Aufl. 2020, § 43 GmbHG, Rn. 40).
74Wegen der Bringschuld des Geschäftsführers zur Information der Gesellschafter und den an das Handeln des Geschäftsführers auch in diesem Zusammenhang anzulegenden objektiven Pflichtenmaßstab, schließt eine vollständige Information der Gesellschafter bei in rechtlicher Hinsicht nicht offensichtlichen Pflichtverletzungen den Hinweis auf die rechtlichen Risiken des Geschäftsführerhandelns ein. Der Entlastungsentscheidung liegt nur dann die erforderliche vollständige Information der Gesellschafter zugrunde, wenn sie auch über rechtliche Zweifelsfragen vollständig informiert wurden und ihnen der eingeholte externe Rechtsrat zur Kenntnis gebracht wurde. Auf den Entscheidungsfall bezogen bedeutet dies, dass die Entlastungsbeschlüsse der Gesellschafterversammlung die Durchsetzung der hier in Rede stehenden Ansprüche nicht wirksam ausschließen können, weil die Gesellschafter in Bezug auf das Fehlverhalten des Beklagten nicht vollständig informiert waren, was wiederum darauf zurückzuführen ist, dass der Beklagte die objektiv gebotene Einholung von Rechtsrat unterlassen hat.
75e) Aus dem vorstehend genannten Grund ist die Haftung des Beklagten auch nicht durch eine sonstige Billigung oder das stillschweigend erklärte Einverständnis aller Gesellschafter ausgeschlossen (vgl. dazu: BeckOK GmbHG/Pöschke, 49. Ed. 1.8.2021, GmbHG § 43 Rn. 277 f.). Beides würde voraussetzen, dass die Gesellschafter nach vollständiger Information auch die rechtliche Reichweite ihres Verhaltens erkennen konnten. Die bloße Kenntnis der Gesellschafter von dem Preissystem und dass es auf Absprachen beruhte, reicht nicht aus.
76Die jedenfalls unvollständige Information der Gesellschafter steht auch der Annahme eines rechtsmissbräuchlichen Verhaltens der Klägerinnen bei der Anspruchsverfolgung gegenüber dem Beklagten entgegen.
77Entsprechendes gilt soweit sich der Beklagte auf die Gesichtspunkte von Treu und Glauben und rechtsmissbräuchliches Verhalten stützt.
78f) Schließlich kommt auch eine Haftungsmilderung nach den Rechtsprechungsregeln über betrieblich veranlasste Tätigkeit nicht in Betracht (vgl. MüKoGmbHG/Fleischer, 3. Aufl. 2019, GmbHG § 43 Rn. 256 mwNw).
792. Die Forderung der Klägerin zu 1. ist nicht durch den zwischen der Klägerin zu 2., vertreten durch deren Aufsichtsratsvorsitzenden, und dem Beklagten erloschen. Da die Klägerin zu 1. nicht Partei des Vertrages war, stellt der in dem Vertrag vereinbarte Forderungsausschluss – soweit er Ansprüche der Klägerin zu 1. einschloss – einen unzulässigen und unwirksamen Vertrag zu Lasten Dritter dar.
803. Die Frage der Vorteilsausgleichung kann für die Entscheidung über den Feststellungsantrag dahinstehen, weil nicht schon auf erste Sicht und ohne eine aufwändige Sachverhaltsaufklärung festzustellen ist, dass der eingeklagte Kartellschaden in voller Höhe weitergegeben worden ist (vgl. OLG Düsseldorf BeckRS 2021, 6271 Rn. 110 und NZKart 2018, 577, 581 jeweils für den vergleichbaren Fall der Voraussetzungen für den Erlass eines Grundurteils). Denn nur unter diesen Voraussetzungen könnte die Wahrscheinlichkeit verneint werden, dass der Klägerin zu 1. ein Schaden in irgendeiner Höhe entstehen wird.
81II.
82Der Feststellungsantrag zu 3. ist aus den unter I. dargestellten Gründen, die in diesem Zusammenhang ebenfalls Geltung beanspruchen, auch zugunsten der Klägerin zu 2. zulässig und aus § 93 Abs. 2 AktG begründet.
83Zu ergänzen ist insoweit, dass sich die Unwirksamkeit des im Aufhebungsvertrag vereinbarten Forderungsverzichts aus § 93 Abs. 4 S. 3 AktG ergibt.
84(B)
85I.
86Klageantrag zu 1. ist unbegründet.
871. Die Haftung des Geschäftsführers aus § 43 Abs. 2 GmbH umfasst nicht die Erstattung eines gegen die GmbH vom BKartA nach deutschem Ordnungswidrigkeitenrecht verhängten Unternehmensbußgelds, weil eine solche Haftung dem Sanktionszweck des § 81 GWB widerspricht. Der Schutzzweck der Haftungsnorm ist deshalb entsprechend einzuschränken (vgl. auch LAG Düsseldorf, Urteil vom 27. November 2015 – 14 Sa 800/15 –, juris, Rn 242; Lotze, NZKart 2014, 162 (167); ders./ Smolinski, NZKart 2015, 254 (255 f.); Dreher, VersR 2015, 781 (787); ähnlich Thomas, NZG 2015, 1409 (1412 ff.)).
88a) Kartellgeldbußen und Geldbußen für Ordnungswidrigkeiten aus anderen Rechtsgebieten betreffen keine vergleichbaren Sachverhalte (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. 12. 2012 – 1 BvL 18/11, NJW 2013, 1418). Die Frage der Regressfähigkeit von kartellrechtlichen Unternehmensgeldbußen ist daher allein unter Berücksichtigung kartellrechtlicher Grundsätze zu beurteilen. Mit dem kartellrechtlichen Sanktionszweck von Unternehmensgeldbußen ist es unvereinbar, wenn das Unternehmen sich diese von Organen, Geschäftsleitern oder Mitarbeitern erstatten lässt (Bunte, NJW 2018, 123, 126).
89b) aa) Unternehmensgerichtete Sanktionen sollen präventiv Kartellrechtsdelikte wegen ihrer besonders hohen Sozialschädlichkeit verhindern. Die wirtschaftlichen Anreize zu wettbewerbsschädlichem Verhalten von Unternehmen im Kartellrecht werden nur dann wirksam beseitigt, wenn die unternehmerische Einheit auch auf der Ebene der Sanktion als Ganzes adressiert und getroffen wird (vgl. Begründung RegE zur neunten GWB-Novelle, BT-Drs. 18/10207 S. 85). Unternehmen und Unternehmensträger sollen durch fühlbare Einbußen zu einer angemessenen Kontrolle angehalten werden. Das Unternehmen soll sich seiner Verantwortung nicht entziehen können (vgl. OLG München, BeckRS 2012, 08896 unter II. 2. b)). Das wäre aber der Fall, wenn es die Geldbuße an die für sie handelnden Personen im Rahmen der Innenhaftung abwälzen könnte (vgl. OLG München, BeckRS 2012, 08896 unter II. 2. b); vgl. auch Dreher, VersR 2015, 781 (787); Bunte, NJW 2018, 123 (124); Immenga/Mestmäcker/Biermann, GWB, 6. Aufl. 2020, § 81, Rn. 341, 382; Bürger, NZKart 2017, 624 (630)). Könnte das Unternehmen die ihm auferlegte Geldbuße als unerwünschten vermögensrechtlichen Schaden auf ein Organ verlagern, würde sich die Frage stellen, warum der Staat überhaupt eine Buße gegen das Unternehmen verhängt (Thomas, NZG 2015, 1409 (1412)). Nur mit der endgültigen Bußgeldbelastung des Unternehmens selbst wird dem Sinn und Zweck des Kartellbußgeldrechts mit der Aufteilung der innergesellschaftlichen Verantwortungssphären Rechnung getragen. Die Geldbuße muss den Unternehmensträger und sein Vermögen selbst treffen, um sein zukünftiges Verhalten wirksam zu beeinflussen (vgl. Lotze, NZKart 2014, 162 (167); Bunte, NJW 2018, 123 (124); a.A. Binder/Kraayvanger, BB 2015, 1219 (1225)).
90bb) Der Argumentation, dass die Möglichkeit eines Haftungsregresses die Prävention von Kartellverstößen im Sinne einer Steuerungsfunktion fördere (Kersting, ZIP 2016, 1266 (1268); Bayer/Scholz, GmbHR 2015, 449 (452); Glöckner/Müller-Tautphaeus, AG 2001, 344 (349)), folgt die Kammer nicht. Zumindest nach deutschen Recht besteht die Möglichkeit der – auch im Entscheidungsfall praktizierten – Bebußung des ausführenden Organs, sodass sich der als Organ Handelnde nicht sicher sein kann, nicht neben dem Unternehmen auch persönlich sanktioniert zu werden (Lotze/Smolinski, NZKart 2015, 254 (257)). Die Gefahr, dass Geschäftsführer und Vorstandsmitglieder über variable Vergütungsbestandteile an den Kartellgewinnen partizipieren und etwaige Sanktionskosten zu Lasten der Gesellschaft externalisieren, besteht schon wegen § 81 Abs. 4 S. 1 GWB nicht. Dass nach europäischem Recht eine solche Haftung des ausführenden Organs nicht vorgesehen ist, spricht nicht für die Möglichkeit, die Kartellbuße nach nationalem Recht an diese Person abwälzen zu können, sondern vielmehr gegen einen ersatzfähigen Vermögensschaden. Das Unternehmen ist die eigentliche Normadressatin des Kartellrechts, weil ihr Verhalten sich auf dem Markt widerspiegelt. Allein hierauf beschränkt sich die Sanktionswirkung des europäischen Kartellrechts (vgl. Bunte, NJW 2018, 123 (125)).
91cc) Die beim Unternehmen verbleibende Kartellbuße führt zu einer Verantwortungsverpflichtung aller Leitungspersonen und Unternehmensträger. Das Unternehmen soll wirksam angehalten werden, präventive Maßnahmen zu treffen, weil sich die Investition in effektive Kontrollsysteme lohnt (Grunewald, NZG 2016, 1121 (1122)). Damit wird eine gute Corporate Governance durch effektive und nachhaltige Compliance-Maßnahmen erreicht (Bunte, NJW 2018, 123 (125); BReg. zur neunten GWB-Novelle, BT-Drs. 18/12760, S. VI). Da es allen Organen in einer Gesellschaft obliegt, auf die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen hinzuwirken und gegebenenfalls Compliance-Programme einzuführen (vgl. Binder/Kraayvanger, BB 2015, 1219 (2021); Lotze, NZKart 2014, 162 (162) mwN.), kann sich die Gesellschaft nicht auf die Verfehlung des einzelnen berufen und das ihr auferlegte Bußgeld auf ihn abwälzen.
92dd) Aus der strafrechtlichen Zulässigkeit, (freiwillig) die Geldbuße eines anderen zu tragen, sind keine Erkenntnisse für die Frage einer zivilrechtlichen Haftung für eine Kartellgeldbuße zu gewinnen. Die zivilrechtliche Dispositionsbefugnis von natürlichen Personen über ihr Vermögen trifft keine Wertentscheidung darüber, ob die vom Ordnungsgeber gezielt einer bestimmten Person auferlegte Geldbuße nach zivilrechtlichen Gesichtspunkten von einem Dritten zu tragen ist (Bayer/Scholz, GmbHR 2015, 449 (451); Thomas, NZG 2015, 1409 (1411); LAG Düsseldorf, Teilurteil vom 20. Januar 2015 – 16 Sa 459/14 –, juris, Rn. 159). Entgegen einer in der Literatur vertretenen Meinung (u.a. Fleischer, DB 2014, 345 (347); Bayreuther, NZA 2015, 1239 (1241); Glöckner/Müller-Tautphaeus, AG 2001, 344 (346)) hat der Gesetzgeber mit der Bußgeldandrohung des § 81 GWB eine Entscheidung darüber getroffen, wer die verhängte Geldbuße tragen muss. Der Zweck der Bußgeldregelung reicht damit weiter als die Sicherstellung der effektiven Durchsetzung des Kartellrechts. Ansonsten würde über die ordnungsrechtliche Verantwortlichkeitsentscheidung hinweg die zivilrechtliche Korrektur dieser Entscheidung ermöglicht. Die propagierte konsequente Trennung zwischen Ordnungs- und Zivilrecht würde unterlaufen werden, anstatt sie zu stützen. Der mit einer Geldbuße verbundene wesentliche Zweck der Sanktionierung des Unternehmens könnte nicht wirksam erreicht werden, wenn sich die Rechtsordnung zu sich selbst in Widerspruch setzte, indem sie zivilrechtlich die Kompensation der verhängten Sanktion zuließe. Dem steht nicht entgegen, dass die zivilrechtliche Zulässigkeit des Innenregresses eines einem Kartellbetroffenen zu zahlenden Schadensersatzes angenommen wird (anders Bayreuther, NZA 2015, 1239 (1241)), weil es sich dabei nicht um eine behördliche Sanktion handelt und der Regress dem Sanktionszweck deshalb nicht entgegen steht.
93ee) Schließlich ergibt sich aus der gesetzgeberischen Ausgestaltung der unterschiedlichen Bemessung der Bußgeldhöhe für natürliche und juristische Personen in § 81 Abs. 3a, 4 S. 1 und 2 GWB ein weiteres Argument gegen die Zulässigkeit eines Geschäftsführerregresses im Innenverhältnis. So wird der Bußgeldrahmen für natürliche Personen auf bis zu einer Million Euro beschränkt. Hingegen bemisst sich die maximale Höhe der Unternehmensgeldbuße anhand des vorjährlichen Gesamtumsatzes des Unternehmens. Hieraus ist die gesetzgeberische Wertung zu entnehmen, dass dem handelnden Geschäftsführer die auferlegte Geldbuße schon abstrakt ohne Würdigung des konkreten Einzelfalls nicht zuzurechnen ist (ähnlich Bunte, NJW 2018, 123 (125); a.A. Kersting, ZIP 2016, 1266 (1268)). Die Zulässigkeit der Möglichkeit, die dem Unternehmen auferlegte Kartellbuße an den Geschäftsführer im Wege des Innenregresses abzuwälzen, würde den gesetzgeberischen Wertungen über die Festsetzung der Kartellbuße der Höhe nach zuwiderlaufen. Die unterschiedliche Ausgestaltung des Bußgeldrahmens würde ins Leere laufen, wenn das Unternehmen es in der Hand hätte, das gegen sie verhängte Bußgeld an die an sich gesetzlich privilegierte natürliche Person "weiterzureichen" (Lotze, NZKart 2014, 162 (167); Dreher, VersR 2015, 781 (787)).
94Die einem Unternehmen konkret auferlegte Geldbuße korreliert der Höhe nach nicht mit dem Verschulden des gegen Kartellvorschriften handelnden Geschäftsführers. Vielmehr zeigt der Umsatzbezug bei der Bußgeldbemessung, dass eine Korrelation zwischen Schadenspotential bei Leitungsfehlern und der Größe des Unternehmens besteht (Bayer/Scholz, GmbHR 2015, 449 (455)). Die Bußgeldvorschriften zeigen, dass die Haftung anhand des Vermögens der Tätergesellschaft bemessen wird, es mithin überhaupt nicht um die graduelle Ahndung der Zuwiderhandlung geht (vgl. Bürger, NZKart 2017, 624 (630); ähnlich Bunte, NJW 2018, 123 (125)). Eine Abwälzung der Unternehmensgeldbuße hätte zur Folge, dass der Mitarbeiter für eine Buße einstehen müssen, die völlig losgelöst von ihren persönlichen Verhältnissen festgesetzt wurde. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Geldbuße auf eine zwischen dem Unterhemen und der Kartellbehörde erfolgte Verständigung folgt.
952. Aus den vorgenannten Gründen kommt auch eine Inanspruchnahme des Beklagten auf Erstattung der Geldbuße aus anderen grundsätzlich in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen nicht in Frage.
96II.
97Der Klageantrag zu 2. ist ebenfalls nicht begründet.
98Erwägungen unter B I. schließen Haftung für Kosten der Verteidigung im Bußgeldverfahren aus, die die Klägerin zu 2. im Entscheidungsfall insbesondere mit dem Ziel aufgewendet hat, die Höhe des ihr bzw. der Klägerin zu 1. drohenden Bußgelds zu reduzieren, für das der Beklagte – wie unter (B) I. gezeigt – nicht einzustehen hat. Die dargestellte Beschränkung des Schutzzwecks der Norm gebietet es, die Einschränkung der Haftung des Beklagten auch auf die Kosten der Rechtsverteidigung zu erstrecken. Denn in der Sache hat die Klägerin zu 2. diese Kosten – streitig – aufgewandt, um die Höhe des ihr drohenden, nicht von dem Beklagten zu erstattenden Bußgelds möglichst niedrig zu halten.
99(C)
100Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1, 101 Abs. 1 ZPO.
101Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO. Da der feststellende Urteilsausspruch keinen vollstreckungsfähigen Inhalt hat, orientiert sich der Ausspruch zur Sicherheitsleistung allein an der Kostenentscheidung.
102Der Klageantrag zu 3. hat in der Sache zwei Feststellungsanträge zum Gegenstand, nämlich den der Klägerin zu 1. und den der Klägerin zu 2. Von dem von ihnen angegebenen Gesamtstreitwert entfällt auf jeden dieser Anträge ein Gegenstandswert iHv 500.000,- Euro.
103X