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Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 22.944,45 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basiszinssatz seit dem 06.06.2020 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
2Der Kläger begehrt von der Beklagten die Rückerstattung von Verlusten, die er bei dem von der Beklagten angebotenen Online-Casino erlitten hat.
3Die Beklagte bot im Internet Online-Glücksspiele auf der Internetseite C an. Dabei bietet die Beklagte klassische Casinospiele, wie Roulette, Blackjack und Slots (Spielautomaten) an. Erstmals im Jahre 2012 bewarb sie sich um eine bundesweite Sportwettenkonzession in Deutschland. Zu einer Konzessionserteilung kam es aber zunächst nicht.
4Im Zeitraum vom 19.03.2020 – 14.04.2020 leistete der Kläger, der in D, NRW wohnt, unter dem Kundenkonto „E“, welches er am 19.03.2020 eröffnete, an die Beklagte einen Betrag in Höhe von 23.700,- €. Der Kläger spielte auf der oben angegebenen deutschsprachigen Internetseite Roulette und Black Jack. Die Beklagte verfügte in diesem Zeitraum über keine deutsche Konzession bezüglich dieses Angebots.
5Die durch den Kläger aufgerufene Internetpräsenz war in deutscher Sprache verfasst. Bei der Registrierung musste der Kläger auch seinen Wohnort angeben. Die Registrierungsmöglichkeit bestand uneingeschränkt für sämtliche Bundesbürger. Die Beklagte wies zu Beginn ihrer Allgemeinen Geschäftsbedingungen darauf hin, dass sie von der Regierung von Gibraltar lizensiert sei.
6In Ziffer 24 der von der Beklagten verwendeten Allgemeinen hieß es unter der Überschrift "Anwendbares Recht":
7"Die vorliegenden Verträge unterliegen dem Recht von Gibraltar und werden entsprechend ausgelegt. lm Fall von Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit den vorliegenden Verträgen oder deren Durchsetzung ist jenes Gericht verantwortlich, in dessen Sprengel der Kunde seinen Wohnsitz hat. [...]."
8Der Kläger forderte die Beklagte durch Anwaltsschreiben vom 11.05.2020 auf, die erlangten Beträge bis spätestens zum 02.06.2020 zu erstatten. Die Beklagte lehnte eine Erstattung mit Email vom 05.06.2020 ab. Mit Schreiben seiner jetzigen Prozessbevollmächtigten setzte der Kläger eine Nachfrist zur Erfüllung der Erstattung. Auch auf dieses Schreiben wies die Beklagte den geltend gemachten Anspruch zurück.
9Der Kläger ist der Ansicht, die Beklagte habe die Geldsumme ohne Rechtsgrund erhalten. Er habe gegen die Beklagte einen Wertersatzanspruch sowie einen Schadensersatzanspruch. Die zwischen den Parteien geschlossenen Glücksspielverträge seien nichtig.
10Der Kläger beantragt,
11die Beklagte zu verurteilen, an ihn 22.944,45 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basiszinssatz seit dem 03.06.2020 zu zahlen.
12Die Beklagte beantragt,
13die Klage abzuweisen.
14Die Beklagte ist der Ansicht, die Klage sei bereits unzulässig, weil die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts nicht gegeben sei. Jedenfalls aber sei die Klage unbegründet. Es sei kein deutsches Recht anwendbar. Zudem stehe § 4 Abs. 1, Abs. 4 GlüStV nicht im Einklang mit höherrangigen Unionsrecht. Jedenfalls werde das Online-Casino-Angebot aufgrund der behördlichen Duldungspraxis seit dem 15.10.2020 (Umlaufbeschluss der Chefinnen und Chefs der Staats- und Senatskanzleien der Länder vom 08.09.2020) verwaltungsrechtlich als unschädlich angesehen, weswegen zivilrechtlich nichts anderes gelten könne.
15Die Beklagte ist weiter der Ansicht, der Kläger könne das Geleistete aufgrund von § 762 Abs. 1 BGB nicht zurückfordern; zudem sei der Anspruch jedenfalls gemäß § 817 Satz 2 BGB ausgeschlossen. Ein Vermögensschaden gemäß § 823 Abs. 2 BGB im Sinne der Differenzhypothese sei dem Kläger nicht entstanden, da den Spieleinsätzen auch tatsächliche Gewinnchancen und Spielmöglichkeiten gegenüberstanden hätten. Im Übrigen verstoße die Rückforderung gegen § 242 BGB. Der Kläger beabsichtigte sich die Kosten eines Freizeitvergnügens nachträglich erstatten zu lassen, obwohl er ein legales Angebot angenommen habe.
16Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
17Entscheidungsgründe
18Die zulässige Klage ist vollumfänglich begründet.
19I.
20Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist das Landgericht Düsseldorf international zuständig.
21Dies ergibt sich aus Art. 18 Abs. 1 VO (EU) 1215/2012 (Brüssel la-VO/EuGVVO). Der Kläger ist im Hinblick auf den hier gegenständlichen Sachverhalt Verbraucher im Sinne von Art. 17 Abs. 1 EuGVVO. Danach ist Verbraucher eine Person, die den betreffenden Vertrag zu einem Zweck geschlossen hat, der nicht der beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit dient, was hier unzweifelhaft anzunehmen ist. Dies ergibt sich sowohl dem Vortrag des Klägers als auch dem der Beklagten. Insoweit hat die Beklagte selbst in ihrer Klageerwiderung vom 16.02.2021, dort Seite 1, ausgeführt, dass der Kläger einem Freizeitvergnügen nachgegangen sei. Insoweit erfolgt das bestreiten der Beklagten hinsichtlich der klägerischen Verbrauchereigenschaft ins Blaue hinein und zudem unsubstantiiert. Die Beklagte trägt zudem widersprüchlich vor, was im Rahmen der mündlichen Verhandlung erörtert wurde.
22Nach Art. Art. 18 Abs. 1 VO (EU) 1215/2012 (Brüssel la-VO/EuGVVO) kann der Verbraucher die Klage an seinem Wohnsitz erheben. Dies ist D. Aufgrund des Streitwertes ist das Landgericht Düsseldorf sachlich zuständig.
23II.
24Die Klage ist begründet.
25Der Kläger hat einen Wertersatzanspruch gegen die Beklagte gemäß §§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1, 818 Abs. 2 BGB sowie einen Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Höhe von 22.944,45 Euro.
261.
27Auf den Sachverhalt ist deutsches materielles Zivilrecht anzuwenden.
28Gemäß Art. 6 Abs. 1 ROM-I-VO unterliegt ein Verbrauchervertrag dem Recht des Staates, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, sofern der Unternehmer seine Tätigkeit auf diesen Staat ausrichtet. Das Angebot der Beklagten war von Deutschland aus über C zugänglich. Gemäß Art. 4 Abs. 1 ROM-II-VO ist bei unerlaubten Handlungen das Recht des Staates anzuwenden, in dem der Schaden eintritt. Die Einzahlungen hat der Kläger von seinem Wohnsitz aus, jedenfalls aber aus Deutschland aus, getätigt. Dies ist bereits aufgrund des Datums und der sich zu dieser Zeit in einer Hochphase befindlichen Corona-Pandemie ersichtlich. Das unsubstantiierte Bestreiten der Beklagten erfolgt ersichtlich ins Blaue hinein und ist vor diesem Hintergrund unbeachtlich. Auf den dahingehenden Hinweis ist kein weiterer Vortrag mehr erfolgt. Ebenfalls wurde keine Schriftsatzfrist beantragt.
29An der Anwendbarkeit des deutschen materiellen Rechts ändert es auch nichts, dass laut Ziffer 24 der Allgemeinen Vertragsbedingungen die Beklagte den Vertrag dem Recht von Gibraltar unterwerfen möchte. Denn die Klausel ist gemäß § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB unwirksam.
30Gemäß Art. 6 Abs. 2 Satz 2 Rom-I-VO darf eine Rechtswahl dem Verbraucher nicht den Schutz der Bestimmungen entziehen, von denen nach dem ohne die Rechtswahl anzuwendenden Recht nicht durch Vereinbarung abgewichen werden darf. Die §§ 305 ff. BGB bleiben somit anwendbar. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH stellt eine Rechtswahlklausel, die von einem ausländischen Unternehmer gegenüber Deutschen Kunden gestellt wird und die für alle Rechtsstreitigen ausschließlich das ausländische Recht gelten lässt eine unangemessene Benachteiligung gegenüber dem Verbraucher dar (vgl. BGH, Urt. v. 19. 7. 2012 - I ZR 40/11, MMR 2013, 501 (504) beck-online). Die Überschrift "Anwendbares Recht" vermittelt dem Verbraucher einen falschen Eindruck und hält ihn potenziell davon ab, geeignete Rechtsschutzmöglichkeiten zu ergreifen. Insgesamt wird aus der pauschalen Verweisung auf ausländisches Recht nicht hinreichend konkret erkennbar, in welchem Umfang verwiesen wird und welche Regelungen schließlich Anwendung finden.
312.
32Die Beklagte hat durch die Einzahlung des Klägers in Höhe von 23.700,- € Euro, mithin durch eine Leistung des Klägers, etwas im Sinne des § 812 BGB erlangt. Dies erfolgte ohne Rechtsgrund. Der Glücksspielvertrag der Parteien stellt keine geeignete Rechtsgrundlage dar.
33Der Glücksspielvertrag ist gemäß § 134 BGB i.V.m. § 4 Abs. 4, Abs. 1 GlüStV nichtig. Art. 4 Abs. 1 S. 2 GlüStV i.V.m. Art. 4 Abs. 4 GlüStV ist ein Verbotsgesetz im Sinne von § 134 BGB. Zum Zeitpunkt, als der Kläger die Einsätze getätigt hat (Feburar/März 2020), war § 4 Abs. 4, Abs. 1 GlüStV geltendes Recht.
34Die Norm ist auch mit Unions- und Verfassungsrecht vereinbar. Die Frage der Vereinbarkeit des § 4 Abs. 4 GlüStV hat das BVerwG in einer Entscheidung aus Oktober 2017 (BVerwGE 160, 193 - Internetverbot für drei Glücksspielarten, juris-Tz. 30 ff.) überzeugend bejaht. Es hat unter umfassender Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ausgeführt (Hervorhebungen nur hier):
35b) Soweit der Bescheid vom 21. Januar 2010 auf die Untersagung des Online-Poker- und Online-Casinospielangebots zielt, kann der Klägerin das Internetverbot des § 4 Abs. 4 und 5 GlüStV 2012 entgegengehalten werden. Es steht mit Verfassungs- und Unionsrecht im Einklang. Wie der Senat ..., das Bundesverfassungsgericht ... und der Europäische Gerichtshof ... zum damaligen § 4 Abs. 4 GlüStV 2008 bereits entschieden haben, ist ein generelles Internetverbot für öffentliches Glücksspiel mit dem Grundrecht der Berufsfreiheit und dem allgemeinen Gleichheitssatz sowie mit Unionsrecht vereinbar. Dass nunmehr nach § 4 Abs. 5 des geänderten Glücksspielstaatsvertrages der Eigenvertrieb und die Vermittlung von Lotterien sowie die Veranstaltung und Vermittlung von Sport- bzw. Pferdewetten (vgl. § 27 Abs. 2 GlüStV 2012) im Internet erlaubt werden können, führt zu keiner anderen rechtlichen Bewertung.
36aa) Mit dem Internetverbot werden in nicht diskriminierender Weise verfassungs- und unionsrechtlich legitime Gemeinwohlziele, insbesondere des Jugendschutzes sowie der Bekämpfung der Spielsucht und Begleitkriminalität, verfolgt. In der eben zitierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs ist anerkannt, dass Glücksspiele im Internet die genannten Ziele in besonderem Maße gefährden, weil das Anbieten von Spielen über das Internet spezifische Gefahren mit sich bringt. Schon wegen des fehlenden unmittelbaren Kontakts zwischen dem Verbraucher und dem Anbieter bergen Online-Glücksspiele anders geartete und größere Gefahren des Auftretens krimineller Verhaltensweisen wie der betrügerischen Manipulation und der Geldwäsche. Zudem begründen die Eigenheiten des Internets, verglichen mit herkömmlichen Vertriebsformen, anders geartete und größere Gefahren, insbesondere für Jugendliche und für Personen, die eine besonders ausgeprägte Spielneigung besitzen oder entwickeln könnten. Auch der besonders leichte und ständige Zugang zu den im Internet angebotenen Spielen sowie die potenziell große Menge und Frequenz von Spielangeboten in einem Umfeld, das überdies durch die Isolation des Spielers, durch Anonymität und durch fehlende soziale Kontrolle gekennzeichnet ist, stellen Faktoren dar, die die Entwicklung von Spielsucht und übermäßige Ausgaben für das Spielen begünstigen und deshalb die damit verbundenen negativen sozialen und moralischen Folgen vergrößern können ...
37Dass sich an diesem Befund zwischenzeitlich etwas geändert hätte, ist weder berufungsgerichtlich festgestellt noch vorgetragen oder im Hinblick auf die weiterhin bestehenden Besonderheiten des Internets sonst ersichtlich. Gerade in Anbetracht der spezifischen Gefahren, die mit dem Anbieten von Glücksspielen über das Internet verbunden sind, haben die Länder das Internetverbot grundsätzlich beibehalten ... Den spezifischen Sucht-, Betrugs-, Manipulations- und Kriminalitätspotenzialen der einzelnen Glücksspielformen soll nunmehr lediglich mit differenzierten Maßnahmen begegnet werden (§ 1 Satz 2 GlüStV 2012). So soll die in § 1 Satz 1 Nr. 2 GlüStV 2012 hervorgehobene Schwarzmarktbekämpfung unter anderem durch die teilweise Öffnung des Internets für erlaubte Lotterie- sowie Sport- und Pferdewettangebote verwirklicht werden. Damit wird bezweckt, die Nachfrage spielaffiner Personen in Richtung der legalen Angebote und bei diesen wiederum in Richtung der, insbesondere aus suchtpräventiven Gesichtspunkten weniger gefahrenträchtigen Spielformen zu lenken (amtl. Erl. S. 6 = LT-Drs. BW 15/1570, S. 53). Das Online-Verbot von Casinospielen und Poker hat der Gesetzgeber hingegen beibehalten, da bei diesen Spielen ein herausragendes Suchtpotenzial, eine hohe Manipulationsanfälligkeit und eine Anfälligkeit zur Nutzung für Geldwäsche bestünden (amtl. Erl. S. 12 = LT-Drs. BW 15/1570, S. 59).
38Ausgehend von den dargestellten legitimen Gemeinwohlzielen ist das Internetverbot auch nach dem neuen Glücksspielstaatsvertrag verfassungs- (bb) und unionsrechtskonform (cc).
39bb) Das Internetverbot verstößt weiterhin nicht gegen Art. 12 Abs. 1 GG ...
40cc) Das Internetverbot des § 4 Abs. 4 und 5 GlüStV 2012 ist auch mit Unionsrecht vereinbar. Es schränkt zwar die durch Art. 56 f. AEUV gewährleistete Dienstleistungsfreiheit von Glücksspielanbietern ein, die - wie die Klägerin - ihren Sitz in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union haben und ihre Dienstleistungen im Bundesgebiet erbringen wollen. Diese Beschränkung ist aber gerechtfertigt, weil sie auch im unionsrechtlichen Sinne verhältnismäßig und insbesondere geeignet ist, zur Erreichung der mit ihr verfolgten Gemeinwohlzwecke in systematischer und kohärenter Weise beizutragen.
41Es ist grundsätzlich Sache des Mitgliedstaates, das nationale Schutzniveau in Bezug auf Glücksspiele selbst zu bestimmen und die Erforderlichkeit einzelner Maßnahmen zu beurteilen ... Die staatlichen Stellen verfügen im besonderen Bereich der Veranstaltung von Glücksspielen über ein ausreichendes Ermessen, um festzulegen, welche Erfordernisse sich aus dem Schutz der Verbraucher und der Sozialordnung ergeben ... Gleichwohl obliegt es dem Mitgliedstaat, der sich auf ein Ziel berufen möchte, mit dem sich eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs rechtfertigen lässt, dem Gericht, das über diese Frage zu entscheiden hat, alle Umstände darzulegen, anhand derer dieses Gericht sich vergewissern kann, dass die Maßnahme tatsächlich den sich aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ergebenden Anforderungen genügt ... Das nationale Gericht muss eine Gesamtwürdigung der Umstände vornehmen, unter denen die streitigen restriktiven Rechtsvorschriften erlassen und durchgeführt worden sind ...
42Ausgehend von diesen Maßstäben steht die Eignung des Internetverbots zur Verfolgung der legitimen Gemeinwohlziele des Glücksspielstaatsvertrages nicht in Zweifel. Mit der kontrollierten Zulassung des Vertriebswegs Internet für Lotterien sowie Sport- und Pferdewetten soll den unerlaubten Angeboten im Internet zur besseren Erreichung der Ziele des § 1 GlüStV 2012 eine legale, sichere und den Spielerschutz gewährleistende Alternative gegenübergestellt werden. Eine begrenzte Erlaubnis von Glücksspielen im Rahmen von Sonder- oder Ausschließlichkeitsrechten kann der Verwirklichung der im Allgemeininteresse liegenden Ziele des Verbraucherschutzes und des Schutzes der Sozialordnung dienen, da sie die Spiellust und den Betrieb der Spiele in kontrollierte Bahnen lenkt ... Etwaige praktische Probleme des Staates, Verbote im Glücksspielwesen wirksam durchzusetzen, insbesondere im Zusammenhang mit dem Internet als einem schwer zu kontrollierenden transnationalen Medium, vermögen die grundsätzliche Eignung der Maßnahme nicht in Frage zu stellen ...
43Das Internetverbot trägt auch nach Zulassung der Ausnahmen für Lotterien sowie Sport- und Pferdewetten in systematischer und kohärenter Weise zur Erreichung der dargelegten Ziele des Glücksspielstaatsvertrages bei. Der Europäische Gerichtshof hat die unionsrechtlichen Anforderungen aus dem Kohärenzgebot für den Bereich des Glücksspiels dahin konkretisiert, dass Regelungen im Monopolbereich zur Sicherung ihrer Binnenkohärenz an einer tatsächlichen Verfolgung unionsrechtlich legitimer Ziele ausgerichtet sein müssen. Über den Monopolsektor hinausgreifend fordert das Kohärenzgebot, dass eine die Dienstleistungsfreiheit einschränkende Regelung nicht durch eine gegenläufige mitgliedstaatliche Politik in anderen Glücksspielbereichen mit gleich hohem oder höherem Suchtpotenzial in einer Weise konterkariert werden darf, die ihre Eignung zur Zielerreichung aufhebt ... Hingegen verpflichten die unionsrechtlichen Grundfreiheiten den Mitgliedstaat nicht zu einer sämtliche Glücksspielsektoren und föderale Zuständigkeiten übergreifenden Gesamtkohärenz glücksspielrechtlicher Maßnahmen ...
44Die teilweise Zulassung der Veranstaltung und Vermittlung von Glücksspielen im Internet widerspricht keiner konsequenten Eindämmung der den Glücksspielen immanenten Gefahren. Sie bezieht sich lediglich auf die nach Einschätzung des Gesetzgebers unter suchtpräventiven Gesichtspunkten weniger gefährlichen Lotterien sowie Sport- und Pferdewetten. Das demgegenüber höhere Suchtpotenzial von Online-Casinospielen und Online-Poker haben die Länder in ihren amtlichen Erläuterungen zum Glücksspielstaatsvertrag unter Bezugnahme auf eingeholte Studien und Berichte hinreichend dargestellt. Diese Glücksspiele weisen nach der entsprechenden Einschätzung der Länder außerdem eine gegenüber anderen Glücksspielangeboten höhere Anfälligkeit für Manipulationen und die Nutzung für Geldwäsche auf (vgl. amtl. Erl. S. 12 = LT-Drs. BW 15/1570, S. 59). Darüber hinaus ist die ausnahmsweise Erlaubniserteilung für Lotterien sowie Sport- und Pferdewetten im Internet nach § 4 Abs. 5 GlüStV 2012 an strenge Voraussetzungen geknüpft, die dem spezifischen Gefährdungspotenzial des Online-Glücksspiels Rechnung tragen ... Insbesondere ist gemäß § 4 Abs. 5 Nr. 3 GlüStV 2012 eine Erlaubnis für solche Online-Glücksspiele ausgeschlossen, bei denen besondere Suchtanreize durch schnelle Wiederholung bestehen. Lotterien mit hoher Ziehungsfrequenz, die dadurch zum Weiterspielen animieren, sind im Internet daher nicht erlaubnisfähig. Entsprechendes gilt für Sportwetten, bei denen nach § 21 Abs. 4 Satz 4 GlüStV 2012 ein generelles Verbot von Live-Ereigniswetten besteht. Auch im Übrigen ist nicht ersichtlich, inwieweit die begrenzte und regulierte Zulassung von Lotterien sowie Sport- und Pferdewetten im Internet die Erreichung des Ziels der Suchtbekämpfung bei im Internet weiterhin verbotenen Glücksspielen konterkarieren würde.
45Dass es bei der Prüfung der unionsrechtlichen Verhältnismäßigkeit einer restriktiven nationalen Regelung im Bereich der Glücksspiele nicht nur auf die Zielsetzung dieser Regelung im Moment ihres Erlasses ankommt, sondern auch auf die nach ihrem Erlass zu bewertenden Auswirkungen ..., führt zu keiner anderen Beurteilung. Vorliegend ist zu berücksichtigen, dass die partielle und streng regulierte Öffnung des Internetvertriebswegs hinsichtlich der Sportwetten ausdrücklich Experimentiercharakter hat (vgl. § 10a GlüStV 2012). Im Rahmen der Experimentierklausel soll erprobt werden, ob sich durch ein kontrolliertes Angebot privater Konzessionäre die Ziele des Glücksspielstaatsvertrages, insbesondere das Ziel, den Schwarzmarkt zurückzuführen bzw. in ein legales Feld zu überführen (vgl. amtl. Erl. S. 8 = LT-Drs. BW 15/1570, S. 55), besser verwirklichen lassen. Die Experimentierklausel ist gerade darauf angelegt, Erfahrungen zu sammeln und die Ergebnisse der probeweisen Öffnung systematisch zu beobachten und auszuwerten (vgl. amtl. Erl. S. 10 = LT-Drs. BW 15/1570, S. 57). Da dieses Experiment noch nicht abgeschlossen ist, sondern die Erteilung der zahlenmäßig limitierten Sportwettenkonzessionen angesichts noch hierzu anhängiger gerichtlicher Verfahren weiterhin aussteht, kann die probeweise Öffnung des Vertriebswegs Internet, insbesondere hinsichtlich seiner Eignung, noch nicht abschließend bewertet werden. Die beschränkte Öffnung für Online-Lotterien und -Pferdewetten steht zwar nicht unter diesem Experimentiervorbehalt. Es fehlen aber jegliche Anhaltspunkte dafür, dass die regulierte Öffnung dieser Glücksspielarten eine allgemeine Spielleidenschaft über diesen begrenzten Markt hinaus entfacht hätte.
46Die Kammer schließt sich dieser überzeugend begründeten Ansicht an, zumal der BGH bereits den § 4 Abs. 4 GlüStV a.F., der ein absolutes Online-Verbot vorgesehen hatte, allerdings mit einer geduldeten Ausnahme für Pferdewetten, als europarechtskonform angesehen hat (BGH GRUR 2012, 193 - Sportwetten im Internet II, juris-Tz. 39 ff., 57 ff; dem EuGH war diese Ausnahme bei seiner Rechtsprechung zu § 4 GlüStV, Carmen Media, bekannt, s. BGH a.a.O., juris-Tz. 79; zur Vereinbarkeit des § 4 Abs. 4 GlüStV mit Unionsrecht s. auch Köhler in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 37. Aufl., § 3a Rn. 1.246; so auch: OLG Köln, Urteil vom 10. Mai 2019 – I-6 U 196/18 –). Ein etwaiger Eingriff in die Dienstleistungsfreiheit aus Art. 56 AEUV ist gerechtfertigt. Die Entscheidungsprärogative des nationalen Gesetzgebers, die Gesundheit und das Vermögen des Einzelnen zu schützen, hat sich in ausgewogener Weise in Form des Verbots konkretisiert.
47Indem die Beklagte trotz des Verbotes dem Kläger die Möglichkeit eingeräumt hat, an dem Online-Glücksspiel teilzunehmen, hat sie gegen § 4 Abs. 4, Abs. 1 GlüStV verstoßen. Unerheblich ist, ob der Beklagten im Oktober 2020 eine Erlaubnis zur Vermittlung und Veranstaltung von Sportwetten erteilt wurde, wie von ihr behauptet. Auch bei Unterstellung dieses – bestrittenen – Vortrages, wäre eine solche Erlaubnis für das Online-Casino-Angebot im streitgegenständlichen Zeitraum ohne rechtliche Bedeutung.
48An dem Verstoß gegen das Verbotsgesetz ändert auch eine etwaige Duldung der Tätigkeit durch die zuständigen Behörden nichts. Eine Duldung würde, wenn überhaupt gegenüber der Behörde einen Vertrauenstatbestand schaffen, den Veranstalter aber nicht von der Verantwortung gegenüber dem Verbraucher entbinden.
493.
50Der Rückforderungsanspruch bzw. der Anspruch auf Zahlung von Wertersatz ist vorliegend auch nicht ausgeschlossen.
51a.
52Ein Ausschluss der Rückforderung gemäß § 817 Satz 2, 1. Hs. BGB besteht nicht. Hiernach ist die Rückforderung ausgeschlossen, wenn sowohl der Leistungsempfänger als auch der Leistende außerhalb der Rechtsordnung gehandelt haben. Die Norm ist in ihrem Anwendungsbereich einzuschränken, wenn sie ansonsten dem Sinn und Zweck der Verbotsnorm zuwiderliefe. Das ist bei solchen Vorschriften der Fall, die aus Gründen der Generalprävention bzw. dem Schutz des Leistenden erfordern, dass auch die Vermögensverschiebung rückgängig gemacht wird (vgl. Palandt-Sprau, BGB, 79. Auflage, 2020, § 817 Rn. 18). § 4 Abs. 4, Abs. 1 GlüStV soll gerade dem Schutz der Verbraucher dienen (vgl. Erläuterungen zum GlüStV, Stand: 07.12.2011, S. 7, 18).
53Selbst wenn der Kläger durch die Teilnahme an dem Glücksspielangebot gegen § 285 StGB verstoßen haben sollte, ist die Rückforderung nicht ausgeschlossen. Alles andere würde zu einem mit der Rechtslage nicht in Einklang zu bringendem Ergebnis führen. Es wäre höchst widersprüchlich, würde man einerseits den gesetzgeberischen Willen zum Schutz des Verbrauchers anerkennen. Andererseits eine Handlung des Verbrauchers, mit der er sich genau in diese Gefahr begibt, vor der er geschützt werden sollte, zum Ausschluss des Anspruchs führen lassen.
54Jedenfalls fehlt es an dem für § 285 StGB erforderlichen Tatbestandsvorsatz zum Zeitpunkt der Handlung, §§ 15, 8, 16 StGB. Es kann nicht unterstellt werden, dass der Kläger angesichts der undurchsichtigen Rechtslage zu dem Thema ohne weiteres durch eigene Recherche hätte herausfinden können, dass das Angebot nicht erlaubt ist. Es gab auch keine Anhaltspunkte für den Kläger, wonach ihm sich hätte aufdrängen müssen, dass es sich um ein illegales Angebot handele und er es somit gar nicht anders hätte sein können, dass er die Illegalität für möglich hielt. Der Kläger konnte sich ohne weiteres unter Angabe seines Wohnortes zum Glücksspiel anmelden. Die Beklagte bewarb ihr Angebot auf einer in Deutsch verfassten Internetseite unter Angabe einer Lizensierung in Gibraltar. Auch indem die Beklagte ihr Angebot unter Hinweis auf eine Lizensierung in Gibraltar bewirbt, erweckt sie vielmehr den Eindruck der Zulässigkeit des Angebots als dass seitens des Kunden Zweifel aufkommen müssten.
55b.
56Mangels Vorsatzes des Klägers scheidet der Bereicherungsanspruch auch nicht gemäß § 814 Alt. 1 BGB aus. Der Kläger hat nicht gewusst, dass der Glücksspielvertrag aufgrund eines Gesetzesverstoßes nichtig war und er nicht zur Leistung verpflichtet gewesen ist.
57c.
58Auch nach § 762 Abs. 1 S. 2 BGB ist die Rückforderung nicht ausgeschlossen. Es liegt zwar ein Glücksspiel vor. Die Norm greift aber nur, wenn ein wirksamer Vertrag vorliegt. Ist der Vertrag nichtig, bleibt es bei den allgemeinen Regeln (vgl. BeckOK BGB/Janoschek, 58. Ed. 1.5.2021 Rn. 18, BGB § 762 Rn. 18).
594.
60Zudem besteht ein Anspruch nach § 823 Abs. 2 BGB. § 4 Abs. 4, Abs. 1 GlüStV ist auch ein Schutzgesetz im Sinne dieser Norm. Ein Schutzgesetz ist eine Rechtsnorm, die zumindest auch dem Schutz des Einzelnen gegen Rechtsgutsverletzungen dienen soll. Es kommt auf den Inhalt und Zweck des Gesetzes sowie darauf an, ob dieser Schutz auch dem Willen des Gesetzgebers entspricht (vgl. BGH NJW 2020, 1962 Rn. 73, beck-online). Wie bereits ausgeführt schützt das GlüStV und auch § 4 Abs. 4, Abs. 1 den Verbraucher vor den Gefahren des Glücksspiels.
61Ein schuldhafter Verstoß der Beklagten liegt vor. Sie hat mindestens fahrlässig gehandelt. Die Beklagte hat den Wohnort der Spieler abgefragt und war somit in der Lage zu erkennen, dass eine unerlaubte Glücksspielteilnahme vorliegt. Obwohl sie jedenfalls hätte wissen können, dass der Kläger in O wohnt und sie zu diesem Zeitpunkt auch keine Erlaubnis für das Glücksspiel hatte, hat sie eine Teilnahme des Klägers am Online-Casinospiel ermöglicht.
62Die Beklagte hat durch Veranstaltung des Glücksspiels ohne behördliche Erlaubnis auch gegen § 284 StGB verstoßen. Hierfür ist erforderlich, dass der Gefährdungserfolg im Inland eintritt, §§ 3, 9 StGB. Wie bereits ausgeführt hat der Kläger von Deutschland aus das Online-Casino-Angebot der Beklagten genutzt, welches zu diesem Zeitpunkt ohne die erforderliche Konzession gemäß § 4 Abs. 4, Abs. 1 GlüStV ausgerichtet wurde.
635.
64Es ist ein Schaden im Sinne der Differenzhypothese in Höhe von 22.944,45 Euro entstanden. Der Einzahlung des Klägers in Höhe von 23.700 Euro steht eine Auszahlung der Beklagten in Höhe von 755,55 Euro gegenüber.
65An dem Vorliegen eines Schadens ändert auch die Behauptung der Beklagten nichts, dass dem Einsatz des Klägers eine Gewinnchance oder ein Spielgenuss gegenübergestanden hätte. Der Kläger konnte aufgrund der Nichtigkeit des Vertrages keine einklagbaren Gewinne erzielen, sodass auch die reine Gewinnchance als Vorstufe keinen Vermögenswert darstellen kann. Zudem ist in konsequenter Weise entsprechend dem Sinn und Zweck von §§ 4 Abs. 4, Abs. 1 GlüStV eine reine Teilnahmemöglichkeit nicht als ausreichend zu erachten, um ein Vermögensminus auszugleichen. Würde man dies ausreichen lassen, um einen Anspruch ausscheiden zu lassen, würde man dem Schutzgedanken des GlüStV diametral zuwiderlaufen. Der Veranstalter würde weiterhin von seinem illegalen Angebot profitieren können.
66Die der Rückforderungsanspruch des Klägers ist auch nicht gemäß § 242 BGB ausgeschlossen. Die Beklagte kann sich nicht auf die Grundsätze von Treu und Glauben berufen, da sie sich ihrerseits ohne die erforderliche Rücksicht verhalten hat. Sie hat wie ausgeführt gegen geltendes Recht verstoßen, indem sie ohne Konzession über eine aus Deutschland erreichbare Internetdomain Online-Casino-Spiele für Verbraucher aus Deutschland angeboten hat. In diesem Fall darf sie nicht redlicher Weise darauf vertrauen, dass ihr Geschäftsmodell dauerhaft durchführbar bleibt, solange sie über keine Konzession verfügt.
676.
68Der Anspruch auf die geltend gemachten Zinsen ergibt sich ab dem 05.06.2020 aus den §§ 286, 288 BGB. Verzug ist erst durch die E-Mail vom 05.06.2020 eingetreten, in welcher die Kammer eine endgültige Erfüllungsverweigerung nach § 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB sieht. Für den Eintritt des Verzugs ist grundsätzlich erforderlich, dass auf eine nach Fälligkeit erfolgte Mahnung keine Leistung erfolgt. Das Schreiben der jetzigen Prozessbevollmächtigten vom 11.05.2020 hat zunächst den Anspruch des Klägers nur beziffert. Eine einseitige Fristsetzung genügt für die Entbehrlichkeit der Mahnung nach § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB nicht aus.
69III.
70Die prozessualen Nebenforderungen haben ihre Grundlage in den §§ 92 Abs. 2 Nr. 1, 709 ZPO.
71Der Streitwert wird auf 22.944,45 EUR festgesetzt.
72B |
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