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Leitsatz (nicht amtlich)
1. Liegt der Schwerpunkt der Tätigkeit eines Sprachsachverständigen in der Interpretation des Gesprochenen und entspricht damit nicht der gewöhnlichen Tätigkeit einer Übersetzung, die im Schwerpunkt aus einer schriftlichen Übersetzung besteht, richtet sich die Vergütung nach § 9 Abs. 1 JVEG.
2. Es ist der Honorarsatz eines Dolmetschers nach § 9 Abs. 5 JVEG zu erstatten, weil der Sprachsachverständige, der in der Hauptverhandlung zu Beweiszwecken ein Schriftstück, das gesprochene Wort eines Telefongesprächs oder Text- und Sprachnachrichten sowie Videos übersetzt, damit eine typische Dolmetscherleistung erbringt.
1. Das Verfahren wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache auf die Kammer übertragen.
2. Die der B GbR zu erstattende Vergütung wird festgesetzt auf
3.430,60 €.
Gründe
2I.
3Die Kammervorsitzende hat zu den Hauptverhandlungstagen am 9. und 17. März 2021 über die Antragstellerin die Sprachsachverständige Q geladen, wobei der von ihr selbst gesprochene Romanes-Dialekt aus dem Sprachraum des Balkans stammt. Bei der zu übersetzenden Sprache handelte es sich um einen seltenen Dialekt der Sprache Romanes aus dem polnischen Sprachraum. Aufgrund der Seltenheit des Dialektes war es der Kammer indes nicht möglich, einen beeidigten Dolmetscher hierfür zu beauftragen. Frau Q ist beeidigte Dolmetscherin für Romanes.
4Geladen wurde die Sprachsachverständige vor dem Hintergrund, sich gutachterlich zu den im Rahmen beider Terminstage in Augenschein genommenen Videoaufzeichnungen, Sprach- und Textnachrichten zu äußern. In der Hauptverhandlung am 9. März 2021 übersetzte die Sprachsachverständige die Quellen simultan. Im Anschluss an diesen Terminstag nahm die Sprachsachverständige eine Übersetzung der Quellen außerhalb der Hauptverhandlung vor. Zu dieser Übersetzung wurde sie im Sitzungstag vom 17. März 2021 gutachterlich angehört und von den Verfahrensbeteiligten befragt.
5Ihre Ansprüche hat die Sachverständige an die Antragstellerin abgetreten.
6Die Antragstellerin hat den Ansatz eines Stundenhonorars von 100,00 € beantragt. Der Bezirksrevisor ist im Rahmen seiner Stellungnahme zu dem Ergebnis gelangt, dass ein Stundenhonorar in Höhe von 85,00 € in Ansatz zu bringen sei. Die Antragstellerin legte hiergegen „Erinnerung“ ein und verweist in ihrer Stellungnahme auf die Besonderheiten der Dialektausprägung und den damit einhergehenden erheblichen Aufwand.
7II.
81. Die von der Antragstellerin eingelegte „Erinnerung“ ist als Antrag gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 JVEG auszulegen. Jedenfalls ist ein solcher aber auch durch den Bezirksrevisor mit Verfügung vom 6. Juli 2021 gestellt worden. Insoweit war eine Festsetzung durch die Kammer in der Besetzung mit den drei Berufsrichterinnen vorzunehmen, nachdem das Verfahren gemäß § 4 Abs. 7 Satz 2 JVEG auf die Kammer übertragen wurde.
92. Die Vergütung war vorliegend auf 3.430,60 € festzusetzen, wobei ein Stundensatz von 85,00 € zugrundezulegen war.
10a) Gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 1 JVEG erhalten Sachverständige, Dolmetscher und Übersetzer unter anderem ein Honorar für ihre Leistungen, welches in den §§ 9-11 JVEG näher geregelt ist.
11Hier lag eine Tätigkeit als Sprachsachverständige vor. Anders als Dolmetscher und Übersetzer hat der sog. Sprachsachverständige die Aufgabe, einen zu dolmetschenden oder zu übersetzenden Text zu interpretieren, insbesondere bei der Erläuterung von im Ausgangstext vorkommenden Abkürzungen, bei unklaren Begriffen, bei unvollständigem oder unklarem Ausgangstext, bei erforderlichen rechtsvergleichenden Überlegungen, aber auch bei Auslegung anderssprachiger Sprachbilder und Redewendungen. Die Vergütung des Sprachsachverständigen ist im JVEG nicht ausdrücklich geregelt. In der Rechtsprechung und Kommentarliteratur wird grundsätzlich danach differenziert, ob der Sprachsachverständige auch bzw. wie ein Dolmetscher (z.B. in der Hauptverhandlung) tätig wird oder aber als Übersetzer. In der ersten Konstellation soll sich die Vergütung nach § 9 Abs. 1 JVEG richten (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 21. Februar 2019 – III-4 Ws 150/18 –, Rn. 48, juris).
12b) Aufgabe der Sprachsachverständigen war es hier, in der Hauptverhandlung die von ihr übersetzten Quellen zu erläutern und einzelne Wörter – aufgrund des speziellen Dialektes – in den Kontext einzuordnen und so ihre Bedeutung zu erforschen. Der Schwerpunkt der Tätigkeit lag damit in der Interpretation des Gesprochenen und entspricht damit nicht der gewöhnlichen Tätigkeit einer Übersetzung, die im Schwerpunkt aus einer schriftlichen Übersetzung besteht (vgl. hierzu KG Berlin, Beschluss v. 3. April 2014 – 1 Ws 65/13, Rn. 7 m.w.N., juris; OLG Stuttgart, Beschluss v. 28. Februar 2020 – 4 Ws 45/20, Rn 12f., juris; OLG Düsseldorf, Beschluss v. 8. August 2011 – 2 W 27/11, BeckRS 2012, 5112). Damit richtet sich die Vergütung vorliegend nach § 9 Abs. 1 JVEG, der nach § 24 JVEG hier in der Fassung v. 1. Januar 2021 Anwendung findet.
13Nach dieser Vorschrift erhält der Sachverständige einen Stundensatz, der sich nach den in Anlage 1 aufgeführten Honorargruppen richtet, wobei sich gemäß Satz 2 die Zuordnung der Leistung zu einem Sachgebiet nach der Entscheidung über die Heranziehung des Sachverständigen bestimmt. Erbringt der Sachverständige eine Leistung auf einem Sachgebiet, das in keiner Honorargruppe genannt wird, ist sie unter Berücksichtigung der allgemein für Leistungen dieser Art außergerichtlich oder außerbehördlich vereinbarten Stundensätze nach billigem Ermessen mit einem Stundensatz zu vergüten, der den höchsten Stundensatz nach der Anlage 1 jedoch nicht übersteigen darf (§ 9 Abs. 2 JVEG).
14Vorliegend ist eine Einordnung in die Honorargruppe der Dolmetscher nach § 9 Abs. 5 JVEG vorzunehmen, sodass der Stundenlohn nach Satz 1 der Vorschrift 85,00 € beträgt.
15Denn der Sprachsachverständige, der in der Hauptverhandlung zu Beweiszwecken ein Schriftstück, das gesprochene Wort eines Telefongesprächs oder – wie hier – Text- und Sprachnachrichten sowie Videos übersetzt, erbringt damit eine typische Dolmetscherleistung (vgl. hierzu KG Berlin, Beschluss v. 3. April 2014 – 1 Ws 65/13, Rn. 7 m.w.N., juris; OLG Stuttgart, Beschluss v. 28. Februar 2020 – 4 Ws 45/20, Rn 20. juris).
16Dabei übersieht die Kammer nicht, dass sich die Tätigkeit im vorliegenden Fall aufgrund des seltenen Dialekts als besonders anspruchsvoll darstellte. So führt die Antragstellerin nachvollziehbar aus, die Sprachsachverständige habe sich mit den Besonderheiten der Dialektausprägung auseinandersetzen und die möglichen Übersetzungsalternativen linguistisch einordnen, bewerten und im Zuge der Hauptverhandlung gegenüber den Prozessbeteiligten erläutern müssen. Allerdings sieht sich die Kammer gehindert, diesen Besonderheiten vorliegend durch Erhöhung des Stundensatzes – beispielsweise durch Einordnung in eine andere Vergütungsgruppe – auszugleichen, da die Vergleichbarkeit am ehesten mit der Vergütungsgruppe der Dolmetscher besteht. Eine Erhöhung dieses Stundenlohns sieht das Gesetz indes nicht vor. Insoweit wurde mit der Neuregelung auch die Unterscheidung zwischen konsekutivem und simultanem Dolmetschen aufgegeben und ein einheitlicher Satz bestimmt (BeckOK KostR/Bleutge, 34. Ed. 1.7.2021, JVEG § 9). Der Stundensatz des Dolmetschers gilt demensprechend pauschal und zwar ohne Berücksichtigung etwaiger Schwierigkeiten, der Seltenheit der zu übertragenen Sprache oder Besonderheiten des Gerichtsverfahrens und juristischer Fachbegriffe (Toussaint/Weber, 51. Aufl. 2021, JVEG § 9 Rn. 22). Diesem Umstand soll vielmehr durch den erhöhten Zeitanfall, mit dem im Ergebnis eine höhere Vergütung einhergeht, Rechnung getragen werden (vgl. KG Berlin, a.a.O., Rn. 14).
173. Eine Kostenentscheidung war gemäß § 4 Abs. 8 Satz 1 JVEG nicht veranlasst.