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I.Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 123.133,59 € zu zahlen.
II.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
III.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin zu 23% und die Beklagte zu 77%.
IV.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
T a t b e s t a n d
2Die Klägerin verlangt von der Beklagten Fälligkeitszinsen auf den in der EEG-Jahresendabrechnung 2014 ausgewiesenen Nachzahlungsbetrag für den Zeitraum vom 01.01.2015 bis 31.07.2015.
3Die Klägerin ist Übertragungsnetzbetreiberin im Sinne des § 5 Nr. 31 EEG 2014 (im Folgenden: ÜNB); sie betreibt eines der vier Übertragungsnetze für Strom in Deutschland. Das Übertragungsnetz wird in Höchst- und Hochspannung mit 380 kV und 220 kV betrieben, um Strom möglichst verlustarm über größere Entfernungen zu transportieren. Das Netzgebiet der Klägerin erstreckt sich räumlich auf weite Bereiche von Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, das Saarland, den süd-westlichen Teil von Hessen sowie Oberschwaben und das Allgäu.
4Die Beklagte ist ein bundesweit tätiges Energieversorgungsunternehmen im Sinne des § 5 Nr. 13 EEG 2014 (im Folgenden: EVU), das ganz überwiegend Privat-, aber auch Geschäftskunden (im Folgenden zusammen als Letztverbraucher bezeichnet) mit (Öko-)Strom beliefert.
5Dem Übertragungsnetz nachgelagert sind weitere regionale und örtliche Stromversorgungsnetze, die mit geringerer Spannung betrieben werden. Der aus erneuerbaren Energien gewonnene Strom wird vor Ort in die jeweiligen regionalen und örtlichen Stromversorgungsnetze eingespeist.
6Die Klägerin ist als ÜNB gemeinsam mit den drei weiteren in Deutschland tätigen ÜNB gemäß den §§ 56 ff. des Erneuerbare-Energien-Gesetzes in der Fassung von 2014 (zuvor und nachfolgend „EEG 2014“) für die Durchführung eines mehrstufigen Ausgleichsmechanismus zuständig, mit dessen Hilfe die Kosten für die Förderung der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien deutschlandweit verteilt werden. Im Rahmen dieses Ausgleichsverfahrens, das ergänzend in der Ausgleichsmechanismus-Ausführungsverordnung (AusglMechV) geregelt ist, werden dabei die anfallenden Kosten zunächst auf der Ebene der ÜNB zusammengeführt und saldiert, anschließend mit Erlösen für den Verkauf von Strommengen verrechnet und die verbleibenden Kosten schließlich deutschlandweit unter Berücksichtigung der von den Letztverbrauchern abgenommenen Strommengen entsprechend verteilt. Ziel dieses bundesweiten Ausgleichsmechanismus ist es, die Kosten der Förderung der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien gleichmäßig auf die Letztverbraucher im gesamten Bundesgebiet zu verteilen.
7Die gleichmäßige Verteilung auf die Letztverbraucher erfolgt dabei in Form der sog. EEG-Umlage. Hierbei handelt es sich um einen bundesweit einheitlichen, letztlich von den Letztverbrauchern je verbrauchter Kilowattstunde zu zahlenden (Mehr-) Betrag in ct/kWh, der jedes Jahr aufs Neue berechnet wird. Bestimmte gewerbliche Letztverbraucher, insbesondere stromintensive Betriebe, sind dabei privilegiert und müssen nur eine verringerte EEG-Umlage zahlen.
8Der bundesweite Ausgleichsmechanismus sieht vor, dass die ÜNB die EEG-Umlage zunächst von den EVU erheben, die sie ihrerseits je verbrauchter Kilowattstunde regelmäßig ihren Kunden, den von ihnen mit Strom belieferten Letztverbrauchern, in Rechnung stellen. Dementsprechend sieht § 60 Abs. 1 S. 1 EEG 2014 vor, dass die ÜNB von den EVU anteilig die Zahlung der EEG-Umlage für die in ihrem Netzgebiet insgesamt an ihre Kunden gelieferten Strommengen verlangen können.
9Die EVU sind verpflichtet, während des laufenden Abrechnungsjahres, das dem Kalenderjahr entspricht, in angemessener Höhe monatliche Abschläge auf den Anspruch der ÜNB auf Zahlung der EEG-Umlage zu entrichten (§ 60 Abs. 1 S. 4 EEG 2014). Die Höhe der jeweiligen monatlichen Abschläge bemisst sich nach einer vom EVU aufgestellten Prognose des Letztverbraucherabsatzes. In der Praxis hat sich hierbei – analog zur monatlichen Verpflichtung zu Abschlagszahlungen – auch ohne entsprechende gesetzliche Regelung ein Verfahren etabliert, bei dem die EVU neben einer Prognose für das gesamte Jahr ergänzend während des Abrechnungsjahres zudem monatlich „monatsscharfe“ Prognosen abgeben. Seine aktuelle Monatsprognose teilt das EVU dem regional zuständigen ÜNB über ein hierfür eigens eingerichtetes Internetportal mit. Nach Abschluss des Kalenderjahres muss der EVU dem jeweiligen vorgelagerten ÜNB unverzüglich die an Letztverbraucher gelieferte Energiemenge elektronisch mitteilen und bis zum 31. Mai die Endabrechnung für das Vorjahr vorlegen (§ 74 S. 1 EEG 2014). Auf der Grundlage des tatsächlichen Letztverbraucherabsatzes muss der ÜNB dem EVU schließlich bis zum 31. Juli des Folgejahres eine Jahresendabrechnung vorlegen (§ 73 Abs. 2 EEG 2014).
10Je nachdem, ob diese Jahresendabrechnung einen Zahlungsanspruch des EVU gegenüber dem ÜNB aufweist (da der prognostizierte Letztverbraucherabsatz und damit auch die monatlichen Abschläge insgesamt zu hoch angesetzt waren) oder ein Zahlungsanspruch des ÜNB gegenüber dem EVU besteht (weil der prognostizierte Letztverbraucherabsatz bzw. die monatlichen Abschläge zu niedrig angesetzt waren), ergibt sich zwischen den Parteien ein Ausgleichsanspruch, der bis zum 30. September des Folgejahres auszugleichen ist (§ 3 Abs. 7 AusglMechV).
11Gemäß § 60 Abs. 4 S. 1 EEG 2014 müssen EVU, die ihrer Pflicht zur Zahlung der EEG-Umlage nach Absatz 1 der Vorschrift nicht rechtzeitig nachgekommen sind, die sich ergebende Geldschuld nach § 352 Abs. 2 HGB ab Eintritt der Fälligkeit mit Zinsen in Höhe von 5 % p.a. verzinsen. Satz 2 des § 60 Abs. 4 EEG sieht in der Fassung des EEG 2014, die vom 01.08.2014 bis 31.12.2016 galt, für den Fall der unterbliebenen Mitteilung oder einer zu späten Mitteilung der gelieferten Strommengen eine Fiktion der Fälligkeit ab dem 01. Januar des Folgejahres und eine entsprechende Verzinsung des Fehlbetrages vor. Nach dieser Vorschrift ist
12„Satz 1 [des § 60 Abs. 4 EEG 2014] (…) entsprechend anzuwenden, wenn die Fälligkeit nicht eintreten konnte, weil das Elektrizitätsversorgungsunternehmen die von ihm gelieferten Strommengen entgegen § 74 nicht oder nicht rechtzeitig dem Übertragungsnetzbetreiber gemeldet hat; ausschließlich zum Zweck der Verzinsung ist in diesem Fall die Geldschuld für die Zahlung der EEG-Umlage auf die nach § 74 mitzuteilende Strommenge eines Jahres spätestens am 1. Januar des Folgejahres als fällig zu betrachten.“
13Im Jahr 2014 meldete die Beklagte an die Klägerin monatlich jeweils bis zum 20. des Kalendermonats den voraussichtlichen Letztverbraucherabsatz des laufenden Monats über das von der Klägerin hierfür eingerichtete Internetportal. Auf Grundlage dieser Meldungen berechnete die Klägerin daraufhin den von der Beklagten auf die EEG-Umlage zu zahlenden Abschlag und stellte ihr diesen in Rechnung. Dabei wurde der von der Beklagten mitgeteilte Letztverbraucherabsatz für die Monate des Kalenderjahres 2014 jeweils mit der für das Jahr 2014 einheitlich geltenden EEG-Umlage in Höhe von 6,24 ct/kWh multipliziert. Die ihr von der Klägerin im Jahr 2014 vorgelegten monatlichen Abschlagsrechnungen beglich die Beklagte jeweils vollständig innerhalb der Zahlungsfrist. Aus den zwölf monatlichen Abschlagszahlungen ergab sich als Letztverbraucherabsatz die vermeintlich gelieferte Gesamtstrommenge von 841.852.645 kWh. Insgesamt entrichtete die Beklagte auf Grundlage der Abschlagsrechnungen für das Jahr 2014 an die Klägerin Abschlagszahlungen in Höhe von 52.531.605,04 € (= 58.036.869,51 € - 5.505.264,47 €, vgl. hierzu die als Anlage K 1 vorgelegte Jahresendabrechnung).
14Tatsächlich lieferte die Beklagte im Kalenderjahr 2014 indes erheblich mehr Strom an Letztverbraucher. Die Beklagte war zunächst auf Grundlage des Prüfvermerks ihres Wirtschaftsprüfers vom 29.05.2015 (Anlage K 2) davon ausgegangen, dass sie – bereinigt um hinsichtlich der EEG-Umlage privilegierte Strommengen – 930.078.037 kWh an Letztverbraucher geliefert hatte und hatte dies der Klägerin nach Ablauf des Abrechnungsjahrs 2014 für die Erstellung der Jahresendabrechnung auch mitgeteilt. Daraufhin stellte die Klägerin in ihrer Jahresendabrechnung für das Kalenderjahr 2014 vom 28.08.2015 (Anlage K 1) der Beklagten unter Zugrundelegung der für das Kalenderjahr 2014 geltenden EEG-Umlage von 6,24 ct/kWh und unter Berücksichtigung der unterjährig erfolgten Abschlagszahlungen einen Nachzahlungsbetrag in Höhe von 5.505.264,47 € in Rechnung.
15Unter Hinweis auf die Regelung in § 60 Abs. 4 S. 2 EEG 2014 berechnete die Klägerin der Beklagten wenig später in der Rechnung vom 21.09.2015 auf den Nachzahlungsbetrag Zinsen in Höhe von 159.124,77 € für den Zeitraum vom 01.01.2015 bis zum 31.07.2015, also für 211 Tage zu einem Zinssatz von 5% p.a. (vgl. hierzu die Berechnung auf Seite 6 der Anspruchsbegründung, Bl. 20 GA). Die Beklagte beglich daraufhin lediglich den Nachzahlungsbetrag, also den nach der Jahresendabrechnung noch offenen Anspruch der Klägerin auf Zahlung der EEG-Umlage, nicht aber die hier in Rede stehenden Zinsen.
16Die Beklagte lehnte in ihren Schreiben vom 23.09.2015 und 06.10.2015 (Anlagen K 3 und K 4) die Zahlung der Zinsforderung ab. Daraufhin beantragte die Klägerin am 11.03.2016 den Erlass eines Mahnbescheids. Nach erfolgtem Widerspruch und der Abgabe des Verfahrens an das Landgericht Düsseldorf stellte sich heraus, dass die Beklagte im Jahr 2014 geringere Strommengen an ihre Kunden geliefert hatte als in der Jahresendabrechnung 2014 angegeben. Da nach den gesetzlichen Vorgaben die Jahresendabrechnung 2014 nach dem 31.05.2015 nicht mehr korrigiert werden durfte, konnte die niedrigere, tatsächlich ausgelieferte Gesamtstrommenge von 910.123.033 kWh für das Jahr 2014 erst ein Jahr später im Rahmen der Jahresendabrechnung für 2015 im Zuge einer nachträglichen Korrektur gemäß § 62 EEG 2014 berücksichtigt werden (vgl. hierzu die Jahresendabrechnung der Klägerin für 2015 vom 25.07.2016, Anlage B 2, und die tabellarische Übersicht, Anlage B 3, dort auf Seite 5 unter „Korrektur 2016“). Für das Lieferjahr 2014 ergibt sich damit – zusammen gelesen aus den Jahresendabrechnungen für 2014 und 2015 – eine Reduzierung des Nachzahlungsbetrags von 5.505.264,47 € auf 4.260.072,22 €, entsprechend dem in der Anlage B 3 ausgewiesenen Korrekturbetrag von 1.245.192,25 €.
17Die Klägerin ist der Ansicht, auch bei einer Zu-wenig-Meldung bestehe nach dem Sinn und Zweck der in § 60 Abs. 4 S. 2 EEG 2014 geregelten Pflicht zur Verzinsung des Nachzahlungsbetrags. Der entsprechende Fehlbetrag, der darauf zurückzuführen sei, dass die Beklagte als EVU ihre monatlichen Prognosen für den Letztverbraucherabsatz zu niedrig angesetzt und deshalb zu geringe Abschläge gezahlt habe, sei aufgrund der Regelung in § 60 Abs. 4 S. 2 EEG 2014 bereits unmittelbar ab dem 1. Januar des Folgejahres nach § 352 Abs. 2 HGB zu verzinsen. Diese Regelung diene dazu, eine möglichst hohe Prognosegüte zu erreichen bzw. umgekehrt zu vermeiden, dass sich einzelne EVU erst durch eine spätere Zahlung nach erfolgter Endabrechnung unterjährig einen Liquiditätsvorteil verschafften.
18§ 60 Abs. 4 S. 2 EEG 2014 knüpfe allein an das objektive Bestehen eines Nachzahlungsanspruchs bzw. an objektiv unzutreffende Meldungen im Sinne des § 74 S. 1 EEG 2014 bzw. an die entsprechende Vorgängervorschrift § 49 EEG 2012 an. Die Beklagte sei der darin niedergelegten Pflicht zur vollständigen und zutreffenden Meldung nicht nachgekommen. Dies ergebe sich bereits daraus, dass sich im Rahmen der späteren Jahresendabrechnung ein beträchtlicher Nachzahlungsbetrag ergeben habe, der darauf zurückzuführen sei, dass die Beklagte ihre monatlichen Prognosen zu niedrig angesetzt und deshalb zu geringe Abschläge gezahlt habe.
19Ein Fall der Unmöglichkeit liege nicht vor. Der Beklagten sei zu dem jeweiligen Zeitpunkt der monatlichen Meldung nach § 74 S. 1 EEG 2014 bzw. § 49 EEG 2012 unter Verwendung von Standardlastprofilen eine hinreichende genau Prognose möglich gewesen. Soweit die Beklagte vorgetragen habe, eine bessere Prognose sei ihr nicht möglich gewesen, verweist die Klägerin auf die als Anlage K 6 vorgelegte Gegenüberstellung der von der Beklagten nach § 74 S. 1 EEG 2014 bzw. § 49 EEG 2012 gemeldeten Strommengen und den im Rahmen des Bilanzkreises angemeldeten Strommengen, aus der sich ergebe, dass der Beklagten bei letzteren Meldungen (die im Rahmen der sog. Fahrplananmeldungen auch täglich erfolgten) eine deutlich bessere Voraussage der an Letztverbraucher zu liefernden Strommenge möglich gewesen sei, was nahelege, dass die Beklagte bei den Meldungen gemäß § 74 S. 1 EEG 2014 bzw. § 49 EEG 2012 systematisch Abschläge vorgenommen habe.
20Ein Verschulden(-snachweis) sei nicht erforderlich. Selbst wenn man eine im Gesetzeswortlaut nicht angelegte, gewisse Prognosetoleranz annehmen wollte, sei die Abweichung zwischen den vorab gemeldeten und den tatsächlich gelieferten Strommengen auf das gesamte Jahr gerechnet mit rund 9,5% so groß, dass eine Exkulpation hier von vorneherein ausscheide. Auch ein etwaiges Mitverschulden sei nicht zu berücksichtigen, da sie nicht verpflichtet gewesen sei, die nach § 74 S. 1 EEG 2014 bzw. § 49 EEG 2012 monatlich gemeldeten Strommengen mit den Mitteilungen über zu liefernde bzw. gelieferte Strommengen im Rahmen des Bilanzkreises abzugleichen, auf Plausibilität zu prüfen und ggfs. eigenständig Korrekturen an den von der Beklagten nach dem EEG gemeldeten Werten vorzunehmen.
21Die Klägerin beantragt,
22die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 159.124,77 € zu zahlen.
23Die Beklagte beantragt,
24die Klage abzuweisen.
25Sie ist der Ansicht, dass der Zinsanspruch schon dem Grunde nach nicht bestehe, da ein pflichtwidriges Handeln nicht vorliege. Vielmehr habe sie ihre Mitteilungspflichten hinreichend erfüllt.
26Dem Gesetzeswortlaut des § 74 S. 1 EEG 2014 lasse sich die Pflicht zur Mitteilung von monatlich aktualisierten Prognosen bereits nicht entnehmen. Nach dem Wortlaut „gelieferte Energiemengen“ beziehe sich die Mitteilungspflicht vielmehr auf die in einem vergangenen Zeitraum gelieferte Strommenge und nicht auf monatliche Prognosen für künftige Stromlieferungen. Demgegenüber sei das Meldesystem der Klägerin so ausgestaltet gewesen, dass noch während des laufenden Monats eine Meldung für diesen Monat habe erfolgen müssen.
27Die Beklagte behauptet, sie habe die der Klägerin mitgeteilten monatlichen Prognosen nach bestem Wissen und Gewissen erstellt; bezogen auf die einzelnen Monate habe sie stets sorgfältige Prognoseberechnungen angestellt. Etwaige Ungenauigkeiten ergäben sich systembedingt, da es sich um eine die Zukunft betreffende Prognoseentscheidung handele und eine hohe Kundenfluktuation herrsche. Vorliegend sei eine genaue Prognose auch deshalb schwierig gewesen, weil sie ausschließlich Standardlast-Kunden beliefere, bei denen der Stromverbrauch für einen bestimmten Zeitabschnitt lediglich in einer Durchschnittskurve (sog. Standardlastprofile) dargestellt werde und anders als bei Kunden mit registrierender Leistungsmessung nicht kontinuierlich in kürzeren Zeitabständen Messwerte übermittelt würden. Die von ihr, der Beklagten, belieferten Kunden würden ihre Stromzähler üblicher Weise jährlich nur einmal in einem rollierenden Verfahren ablesen, so dass ihr der exakte Stromverbrauch dieser Kunden je Monat nicht bekannt sei. Vor diesem Hintergrund seien Abweichungen von einigen Prozent dem Abrechnungssystem immanent und stellten daher unter Berücksichtigung der üblichen Prognosetoleranz keinen pflichtwidrigen Verstoß dar.
28Aus diesem Grund liege jedenfalls das für den geltend gemachten Zinsanspruch erforderliche Verschulden nicht vor. Der geltend gemachte Zinsanspruch setze wegen seines pönalen Charakters zwingend ein Verschulden voraus.
29Die Geltendmachung der Zinsen sei jedenfalls wegen Verstoßes gegen Treu und Glauben ausgeschlossen, da es sich um ein diskriminierendes Verhalten des ÜNB handele. Die Klägerin ziehe keine EEG-Umlage für die Eigenversorgung ein und unterlasse es so, dass das „EEG-Konto“ unterjährig in Form weiterer Abschlagszahlungen gefüllt werde.
30Schließlich bestehe der Zinsanspruch jedenfalls nicht in der geltend gemachten Höhe. Unter Berücksichtigung der gemäß § 62 EEG 2014 erfolgten nachträglichen Korrektur und der als Anlage B 2 vorgelegten Korrekturrechnung der Klägerin vom 25.07.2016 reduziere sich mit der Hauptforderung automatisch auch die Höhe der Zinsforderung. Deshalb sei allein der Nachzahlungsbetrag von 4.260.072,22 € der Zinsberechnung zugrunde zu legen. Da die Klägerin die geltend gemachten Zinsen ferner nicht bis zum 31.07.2015, sondern höchstens bis zum 31.05.2015 verlangen könne, belaufe sich die Zinsforderung nur auf 88.119,30 €. Ab dem 31.05.2015 fehle es an dem erforderlichen Nichteintritt der Fälligkeit wegen verspäteter Meldung, weil die Klägerin unmittelbar nach Erhalt des Prüfvermerks des Wirtschaftsprüfers vom 29.05.2015 die ausstehende Nachforderung hätte fällig stellen können. Unter Berücksichtigung eines Mitverschuldensanteils von ½ reduziere sich die Zinsforderung im Ergebnis auf 44.059,65 €. Das Mitverschulden der Klägerin liege darin begründet, dass diese die sich abzeichnende Nachzahlung anhand der ihr im Rahmen des Bilanzkreises mitgeteilten Zahlen und Daten (im Folgenden: Bilanzkreismitteilungen) selbst habe vorhersehen können.
31Im Schriftsatz vom 28.08.2019 hat die Beklagte hilfsweise die Aufrechnung mit einem Schadensersatzanspruch wegen Verletzung einer Vertragspflicht aufgrund des nicht erfolgten Abgleichs der unterjährigen EEG-Meldungen mit den Daten aus der Bilanzkreisabrechnung in Höhe der von der Beklagten im Falle einer Verurteilung zu zahlenden Zinsen erklärt.
32Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die von den Parteien überreichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die tatsächlichen Feststellungen in den nachfolgenden Entscheidungsgründen Bezug genommen.
33E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
34Die zulässige Klage ist überwiegend begründet.
35I.
36Die Klägerin kann gemäß § 60 Abs. 4 S. 2 EEG 2014 i.V.m. § 352 Abs. 2 HGB von der Beklagten für die Zeit vom 01.01.2015 bis 31.07.2015 auf den Nachzahlungsbetrag für das Jahr 2014 – bezogen auf die reduzierte Hauptforderung – gesetzliche Fälligkeitszinsen in Höhe von 123.133,59 € verlangen.
37Die EEG-Umlage ist im Hinblick auf den Nachzahlungsbetrag von 4.260.072,22 € deshalb nicht fällig geworden, weil die Beklagte ihren Mitteilungspflichten nach § 74 EEG 2014 bzw. § 49 EEG 2012 nicht hinreichend nachgekommen ist.
381.
39Die Beklagte hat während des Abrechnungsjahrs 2014 gegen ihre Mitteilungspflichten aus § 74 S. 1 EEG 2014 bzw. § 49 EEG 2012 verstoßen, da sie der Klägerin in ihren monatlichen Meldungen für den Letztverbraucherabsatz, die Grundlage für die monatlichen Abschlagsrechnungen der Klägerin waren, zu geringe Strommengen mitgeteilt hat. Dies berechtigt die Klägerin, die geltend gemachten gesetzlichen Fälligkeitszinsen aufgrund der in § 60 Abs. 4 S. 2 EEG 2014 geregelten Fiktion der Fälligkeit beginnend ab dem 01.01.2015 zu verlangen.
40a.
41Mit der Zu-wenig-Meldung liegt ein Verstoß gegen die Mitteilungspflichten aus § 74 S. 1 EEG 2014 bzw. § 49 EEG 2012 vor.
42aa.
43Während des Abrechnungsjahres war die Beklagte als EVU gemäß § 74 S. 1 EEG 2014 und der inhaltsgleichen Regelung in § 49 EEG 2012 verpflichtet, der Klägerin als ihrem regelverantwortlichen ÜNB unverzüglich die an die Letztverbraucher gelieferte Energiemenge elektronisch mitzuteilen.
44Vorliegend finden mangels Übergangsregelungen bis zum 31.07.2014 die Vorschriften des EEG 2012 sowie ab dem 01.08.2014 diejenigen des EEG 2014 Anwendung.
45„Unverzüglich“ gemäß § 74 S. 1 EEG 2014 (bzw. § 49 EEG 2012) bedeutet dabei ohne schuldhaftes Zögern im Sinne des § 121 Abs. 1 S. 1 BGB, was im Hinblick auf die von den EVU zu entrichtenden monatlichen Abschläge dahingehend auszulegen ist, dass die EVU dem ÜNB spätestens nach Ablauf eines Kalendermonats die im letzten Monat an Letztverbraucher abgegebenen Strommengen mitteilen müssen (LG Dresden, Urt. v. 22.02.2017, Az. 4 O 526/16, Rn. 33, zitiert nach juris, vorgelegt als Anlage B 5; LG Wuppertal, Urt. v. 10.03.2017, Az. 2 O 186/16, Rn. 27, juris, m.w.N., vorgelegt als Anlage B 11; Salje, EEG 2014 Kommentar, 7. Aufl. 2015, § 74 Rn. 1, 4; Rabensdorf in: Säcker, Berliner Kommentar zum Energierecht, Sonderband zu Band 2 zum EEG 2014, 3. Aufl. 2015, § 74 EEG Rn. 10).
46Eine solch „unverzügliche“ Mitteilung ist deshalb notwendig, weil nur so sichergestellt ist, dass zeitnah monatliche Abschlagszahlungen auf die zu erwartende EEG-Umlage von den ÜNB berechnet werden können (Rabensdorf in: Säcker, Berliner Kommentar zum Energierecht, 3. Auflage 2014, Sonderband EEG 2014, § 74, Rn. 2). Bei Nichtmeldung relevanter Strommengen kann der ÜNB hingegen keine oder nur eine nicht zutreffende Abschlagsrechnung stellen (Salje, EEG 2014 Kommentar, 7. Aufl. 2015, § 60, Rn. 70).
47Dass jeweils monatliche Meldungen zu erfolgen haben, ergibt sich unter Berücksichtigung der gesetzlichen Regelungen in § 60 Abs. 4 EEG 2014 und § 74 S. 1 EEG 2014 (bzw. § 49 EEG 2012). Danach korrespondiert die Pflicht zur monatlichen Meldung in zeitlicher Hinsicht mit der Pflicht des EVU zur Zahlung monatlicher Abschläge auf die EEG-Umlage während des laufenden Abrechnungsjahres (§ 60 Abs. 1 S. 4 EEG 2014 bzw. § 16 Abs. 1 S. 3 EEG 2012). Auch wenn der Gesetzeswortlaut des § 74 S. 1 EEG 2014 (bzw. des § 49 EEG 2012) nicht von monatlichen, sondern von „unverzüglichen“ Meldungen spricht, ergibt sich gleichwohl aus systematischen Überlegungen, dass es einen turnusmäßigen Gleichlauf zwischen der Mitteilung des EVU einerseits und der darauf basierenden Abschlagsrechnung des ÜNB für die jeweiligen Monate gibt (vgl. LG Dresden, a.a.O., Rn. 33; Salje, EEG 2014 Kommentar, 7. Aufl. 2015, § 74, Rn. 4).
48Dass die Prognosen des Letztverbraucherabsatzes monatlich mitzuteilen sind, entspricht im Übrigen auch der seit längerem geübten Praxis in der Branche, in der sich ein System monatlicher Meldungen etabliert hat (vgl. Resthöft/Schäfermeier, Kommentar zum EEG, 4. Aufl., 2014, § 49 EEG, Rn. 6), sowie dem Willen des Gesetzgebers. In der Gesetzesbegründung zur Einführung der Vorgängernorm (§ 49 EEG 2012) wird ein solcher direkter Bezug zwischen der Mitteilungspflicht und den Abschlagszahlungen ausdrücklich hergestellt. Danach sind „Elektrizitätsversorgungsunternehmen verpflichtet, die an Letztverbraucher gelieferte Energiemenge mitzuteilen“, wobei „die Angaben maßgeblich sind für die monatlichen Abschläge (…)“ (BT-Drs. 16/8184, S. 69 rechte Spalte).
49Den sich aus § 74 S. 1 EEG 2014 bzw. § 49 EEG 2012 i.V.m. § 60 Abs. 4 S. 2 EEG 2014 ergebenden Pflichten ist die Beklagte – sowohl gesondert für jeden Monat betrachtet als auch auf das gesamte Jahr gerechnet – nicht nachgekommen, da sie im Rahmen der monatlichen Meldungen eine Gesamtstrommenge von 841.852.645 kWh mitgeteilt hat. Tatsächlich aber belief sich die Gesamtstrommenge im Abrechnungsjahr 2014 unter Berücksichtigung der nachträglichen Korrektur in der Jahresendabrechnung der Klägerin für 2015 vom 25.07.2016 auf 910.123.033 kWh (vgl. Anlage B 2 und Anlage B 3, dort unter „Korrektur 2016“). Damit stand zum Ablauf des Abrechnungsjahres am 31.12.2014 eine Meldung der Beklagten über 68.270.388 kWh aus. Auf das ganze Jahr gerechnet betrug die Abweichung somit rund 7,5%.
50bb.
51Die vorliegende teilweise Nichtmeldung wird wie die vollständige Nichtmeldung vom Anwendungsbereich des § 60 Abs. 4 S. 2 EEG 2014 erfasst.
52Die Auslegung von § 60 Abs. 4 S. 2 EEG 2014 ergibt, dass neben der vollständigen Nicht-Meldung der gelieferten (Gesamt-)Strommenge auch die Zu-wenig-Meldung in Bezug auf die gelieferte (Gesamt-)Strommenge erfasst ist (vgl. LG Wuppertal, a.a.O., Rn. 21; AG München, Urt. v. 20.01.2017, Az. 191 C 5166/16, Rn. 16 zitiert nach juris, vorgelegt als Anlage K 8; Salje, in: EEG 2014 Kommentar, 7. Auflage 2015, § 60 Rn. 70). Die Interessenlage ist insofern dieselbe wie bei einer vollständigen Nichtmeldung. Die in § 60 Abs. 4 S. 2 EEG 2014 geregelte Fiktion der Fälligkeit soll verhindern, dass dem EVU, das den gesetzlichen Meldepflichten des § 74 S. 1 EEG 2014 nicht nachkommt, unterjährig während des laufenden Abrechnungsjahres ein Liquiditätsvorteil dadurch entsteht, dass die Abschlagszahlungen aufgrund der Zu-wenig-Meldungen niedriger ausfallen als dies unter Berücksichtigung des tatsächlichen Letztverbraucherabsatzes der Fall gewesen wäre.
53cc.
54§ 60 Abs. 4 S. 2 EEG 2014 ist auch in zeitlicher Hinsicht für den sich am Ende des in Rede stehenden Abrechnungsjahrs (am 31.12.2014) ergebenen Nachzahlungsbetrag anwendbar, da dieser Zeitpunkt nach Inkrafttreten des EEG 2014 am 01.08.2014 liegt. Mit Inkrafttreten des § 60 Abs. 4 S. 2 EEG 2014 wurde der Beginn des Zinslaufs in zeitlicher Hinsicht auf den 01.01.2015 vorgezogen; der Zinslauf selbst hatte am 01.08.2014 aber noch nicht begonnen.
55Da es sich nicht um einen abgeschlossenen Sachverhalt handelt, liegt auch kein Fall der unzulässigen echten Rückwirkung vor. Zum einen war das Abrechnungsjahr 2014 im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Gesetzesänderung noch nicht abgeschlossen. Zum anderen waren unterjährig im Abrechnungsjahr 2014 noch für August bis Dezember weitere monatliche Abschläge zu zahlen.
56Vor diesem Hintergrund wäre es der Beklagten sogar noch während des Abrechnungsjahres 2014 möglich gewesen, die – nach ihrem eigenen Vortrag bereits anhand der Bilanzkreisdaten erkennbaren – Abweichungen zwischen den bis zum 31.07.2014 gemäß § 49 EEG 2012 gemeldeten Werten und den tatsächlich pro Monat gelieferten Strommengen durch die Meldung von entsprechenden Mehrmengen für die letzten Monate des Abrechnungsjahres 2014 auszugleichen.
57dd.
58Entgegen der Ansicht der Beklagten ist bei der Beurteilung, ob es sich um eine Zu-wenig-Meldung handelt, allein auf diejenigen Meldungen abzustellen, die die Beklagte in Ausführung ihrer gesetzlichen Meldepflicht gemäß § 74 S. 1 EEG 2014 (bzw. § 49 EEG 2012) der Klägerin im Abrechnungsjahr 2014 jeweils monatlich auf dem eigens hierfür eingerichteten Internetportal mitgeteilt hat (im Folgenden: EEG-Meldungen). Bilanzkreismitteilungen der Beklagten, die von dieser im Einzelnen nicht näher in das Verfahren eingeführt worden sind (vgl. hierzu lediglich deren Angaben in der Anlage B 3, dort rechte Spalte), ersetzen die EEG-Meldungen, die für die Bestimmung der Abschlagszahlung maßgeblich sind, nicht. Allein maßgeblich für die Abrechnung sind ausweislich des Wortlautes § 60 Abs. 4 S. 2 2. Hs EEG 2014 („die nach § 74 mitzuteilende Strommenge“) die EEG-Meldungen.
59Der Zweck der Bilanzkreismitteilungen ist demgegenüber erkennbar ein anderer; sie dienen der Voraussage der benötigten Strommenge, um die Netzstabilität zu gewährleisten. Bei den dort mitgeteilten Werten ist es zudem nicht ausgeschlossen, dass sie einen nicht EEG-umlagefähigen Mehrbetrag enthalten und es sog. Beistellungen an Dritte (z.B. an andere EVU) gibt, weshalb sie nicht 1:1 auf die EEG-Meldungen übertragen werden können (so auch LG Tübingen, Urt. v. 20.02.2017, Az. 20 O 70/16, zitiert nach juris).
60Da – wie im Rahmen der mündlichen Verhandlung ausgeführt worden ist – nach der bis zum 01.08.2014 geltenden Gesetzeslage keine bilanzkreisscharfen Mitteilungen von Seiten der EVU zu erfolgen hatten und die technische Umsetzung der gesetzgeberischen Vorgaben bis Ende 2014 nicht vollständig abgeschlossen war, bestand jedenfalls in dem hier streitgegenständlichen Zeitraum die von der Beklagten angeführte Kontrollmöglichkeit für die Klägerin in weiten Teilen noch nicht.
61Insofern verfängt auch der Hinweis der Beklagten, wonach die Klägerin für die Abrechnung verantwortlich sei und es sich bei der EEG-Meldung nur um eine „zusätzliche Information“ handele, nicht. Dass die EEG-Meldung maßgeblich ist für die von der Klägerin zu erstellende Abschlagsrechnung, zeigt sich gerade auch in dem von der Beklagten an anderer Stelle angeführten möglichen Szenario, in dem der ÜNB die Abschläge in Abweichung von den EEG-Meldungen bewusst zu niedrig ansetzt, um sich in dem derzeitigen Niedrigzinsumfeld eine „Kapitalanlage“ zu schaffen.
62Soweit die Beklagte auf das Urteil des Landgerichts Dresden verweist und anführt, die Zinstragungspflicht stehe in untrennbarem Zusammenhang mit dem Bilanzkreissystem, ist der gerichtlichen Entscheidung lediglich zu entnehmen, dass die Mitteilungen gemäß § 74 EEG 2014 „bilanzkreisscharf“ zu erfolgen haben (LG Dresden, a.a.O., Rn. 34 f.). Dass statt der EEG-Mitteilung die Bilanzkreismitteilungen maßgeblich sein sollen, lässt sich der Entscheidung des Landgerichts Dresden hingegen nicht entnehmen. Das Landgericht Dresden stellt lediglich fest, dass gemäß dem neu eingefügten § 74 S. 2 EEG 2014 die ÜNB durch bilanzkreisscharfe EEG-Meldungen in die Lage versetzt werden sollen, nachprüfen zu können, ob die gemeldeten Mengen mit den an Letztverbraucher gelieferten Strommengen übereinstimmen (LG Dresden, a.a.O.).
63Schließlich ergibt sich auch aus dem Umstand, dass die Klägerin gegenüber einem anderen EVU, der ff GmbH, im Jahr 2017 im Einzelfall per E-Mail darauf hingewiesen hat, dass sich bei einer Gegenüberstellung mit den Werten aus den Bilanzkreismitteilungen eine „große Abweichung“ zu den EEG-Meldungen ergeben habe (vgl. Anlage B 6), nichts anderes, da die dortige Abweichung offenbar weitaus höher als im vorliegenden Fall war.
64ee.
65Die Erfüllung der gesetzlichen Mitteilungspflichten ist den EVU auch nicht unmöglich. Das Meldesystem der Klägerin verwehrt der Beklagten nicht, eine EEG-konforme Meldung nach § 74 S. 1 EEG 2014 (bzw. § 49 EEG 2012) vorzunehmen.
66Soweit eine Meldung gemäß § 74 S. 1 EEG 2014 (bzw. § 49 EEG 2012) – wie hier – während des laufenden Monats für denselben Monat erfolgt, liegt ein Fall der Unmöglichkeit im Sinne des § 275 Abs. 1 BGB nicht bereits deshalb vor, weil die später tatsächlich gelieferte Strommenge nicht exakt vorausgesagt werden kann. Bei einer Mitteilung während des laufenden Monats – hier bis zum 20. des jeweiligen Kalendermonats, wie die Parteien im Rahmen der mündlichen Verhandlung unstreitig gestellt haben – handelt es sich zumindest für die verbleibenden Tage des Monats erkennbar um eine ex-ante-Prognose des zu erwartenden Letztverbraucherabsatzes, der stets eine gewisse Ungenauigkeit innewohnt.
67Auch der Wortlaut des § 74 S. 1 EEG 2014 (bzw. § 49 EEG 2012), wonach die „gelieferten Energiemengen“ und nicht die „voraussichtlich zu liefernden Energiemengen“ mitzuteilen sind, verpflichtet die EVU nicht, stets den tatsächlichen Letztverbraucherabsatz mitzuteilen. Mit dem Terminus „gelieferte Energiemengen“ ist erkennbar nicht nur der Teil der tatsächlich in der Vergangenheit gelieferten Strommenge, sondern auch derjenige Teil gemeint, der bis zum Ende des laufenden Monats noch geliefert werden wird. Daher dürfen EVU bei einer Meldung während des laufenden Monats eine entsprechende Prognose für die restlichen Tage des Monats vornehmen, die auf Erfahrungswerten aus den Vorjahren oder Vormonaten basiert.
68Dass die Beklagte – wie sie behauptet – nicht über ausreichend genaue Messwerte verfügt, ist ebenfalls nicht hinreichend dargetan. Weshalb eine solche Prognose bei den von der Beklagten ausschließlich belieferten Standardlast-Kunden nicht möglich sein soll, ist unter Berücksichtigung des Vorbringens der Klägerin nicht nachvollziehbar. Denn die Beklagte kann bei Bestandskunden auf die ihr vorliegenden Daten aus den vergangenen Jahren und bei Kunden, die den Stromanbieter gewechselt haben, auf die ihr von den jeweiligen Netzbetreibern zur Verfügung gestellten Daten zurückgreifen. Der zu erwartende Stromverbrauch lässt sich damit – auch bei einem rollierenden Ablesungssystem mit nur einer Ablesung des Stromzählers durch den Kunden pro Jahr – unter Berücksichtigung von Durchschnittskurven hinreichend sicher prognostizieren, zumal von der eigentlichen Prognose oft nur wenige Tage am Monatsende betroffen sein dürften, da hinsichtlich der bereits vergangenen Tage des Monats der tatsächliche Gesamtverbrauch bekannt ist.
69Schließlich war es der Beklagten– wie die tabellarische Übersicht gemäß Anlage K 6 mit der Gegenüberstellung der von der Beklagten nach § 74 S. 1 EEG 2014 bzw. § 49 EEG 2012 gemeldeten Strommengen und den im Rahmen des Bilanzkreises angemeldeten Strommengen zeigt – im Rahmen der Bilanzkreismitteilungen auch möglich, weitaus genauere Prognosen abzugeben.
70Nach alldem war die Beklagte auch nicht aufgrund der Ausgestaltung des Meldesystems der Beklagten gehindert, der gesetzlichen Regelung entsprechende Angaben zu machen. Im Übrigen ist es den EVU unbenommen, die Meldung gemäß § 74 S. 1 EEG 2014 (bzw. § 49 EEG 2012) auch noch unverzüglich nach Ablauf des Kalendermonats vorzunehmen (s.o. unter I.1.a.aa.), so dass ausschließlich in der Vergangenheit gelieferte Strommengen mitgeteilt werden.
712.
72Entgegen der Ansicht der Beklagten knüpft die sich aus § 60 Abs. 4 S. 2 EEG 2014 ergebende Verzinsungspflicht allein an das Bestehen eines Nachzahlungsbetrags an. Ausreichend sind bereits objektiv unzutreffende Meldungen des EVU, die dazu geführt haben, dass sich nach der Jahresendabrechnung unter Berücksichtigung der geleisteten Abschlagszahlungen ein Fehlbetrag ergibt.
73a.
74Ein Verschulden der Beklagten ist ausweislich des Wortlauts des § 60 Abs. 4 S. 2 EEG 2014 nicht erforderlich. Die Vorschrift fingiert lediglich die Fälligkeit der noch ausstehenden EEG-Umlagebeträge nunmehr anders als die Vorgängernorm bereits auf den 01. Januar des auf das Abrechnungsjahr folgenden Jahres.
75Auch der Umstand, dass die Meldung nach § 74 S. 1 EEG 2014 „unverzüglich“, also nach der Legaldefinition in § 121 BGB ohne schuldhaftes Zögern zu erfolgen hat, begründet für den vorliegenden Fall der Zu-wenig-Meldung kein Verschuldenserfordernis. Vielmehr beurteilt sich danach lediglich das zeitliche Maß, das für eine rechtzeitige Meldung nicht überschritten werden darf.
76b.
77Auch im derzeitigen Niedrigzinsumfeld kommt § 60 Abs. 4 S. 2 EEG 2014 entgegen der Ansicht der Beklagten nicht ein solch pönaler Charakter zu, dass zwingend als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal ein Verschulden erforderlich ist. Die Vorschrift dient nach ihrem Sinn und Zweck vielmehr dem gerechten Ausgleich der widerstreitenden Interessen. Dabei hat der ÜBN ein Interesse daran, dass die monatlichen Meldungen (Prognosen) möglichst genau sind, damit er unterjährig nicht unnötig in Vorleistung zu gehen braucht. Auch soll verhindert werden, dass das EVU während des Abrechnungsjahres über einen Liquiditätsvorteil verfügt, der bei anderweitiger Beschaffung am Kapitalmarkt zu den dort marktüblichen Zinsen einen nicht unerheblichen geldwerten Vorteil ausmacht (vgl. LG Dresden, a.a.O., Rn. 37). Daneben soll das EVU direkten Einfluss auf die Höhe der Abschlagsrechnungen haben und so vor Überzahlungen geschützt werden. Eben dieser Ausgleichcharakter kommt auch in der Gesetzesbegründung zum Ausdruck, wonach mit der Vorschrift eine Besserstellung derjenigen EVU, die den Letztverbraucherabsatz nicht oder nicht rechtzeitig dem ÜNB gemeldet haben, vermieden werden soll (BT-Drucks. 18/1304, S. 152) bzw. die EVU keinen monetären Vorteil aus der verspäteten oder der nicht erfolgten Zahlung erlangen sollen (BT-Drucks. 17/8877, S. 23 f.).
78Schließlich zeigt auch die Bezugnahme auf § 352 Abs. 2 HGB, dass es sich um gesetzliche Fälligkeitszinsen und nicht um verschuldensabhängige Verzugszinsen handelt.
793.
80Ein Mitverschulden der Klägerin gemäß § 254 BGB liegt nicht vor.
81Die Klägerin war nicht verpflichtet, die EEG-Meldungen der Beklagten anhand der parallel hierzu erfolgten Bilanzkreismitteilungen der Beklagten auf Stimmigkeit und Richtigkeit zu überprüfen. Sie durfte und konnte die im Wege der EEG-Meldungen genannten Strommengen angesichts der erkennbar aufeinander bezogenen Regelungen in § 74 S. 1 EEG 2014 (bzw. § 49 EEG 2012) und § 60 Abs. 1 S. 4 EEG 2014 als die maßgeblichen Werte für die Erstellung der Abschlagsrechnungen übernehmen. Anhaltspunkte dafür, dass die von der Beklagten im Wege der EEG-Mitteilungen genannten Werte so weit von den tatsächlich Strommengen abwichen, dass der Klägerin hätte auffallen müssen, dass diese offensichtlich nicht stimmen konnten, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
82Daran ändert auch die widerlegliche Vermutung in § 60 Abs. 1 S. 2 EEG 2014 nichts, nach der davon auszugehen ist, dass Energiemengen, die aus einem beim ÜNB geführten Bilanzkreis an physikalische Entnahmestellen abgegeben werden und für die keine bilanzkreisscharfe Meldung eines EVU nach § 74 EEG 2014 vorliegt, von dem Inhaber des betreffenden Bilanzkreises an Letztverbraucher geliefert worden ist. Diese widerlegliche Vermutung greift subsidiär nur dann, wenn das EVU überhaupt keine EEG-Meldungen abgegeben hat. Liegen EEG-Meldungen hingegen – wie hier – vor, sind diese maßgeblich.
83Darüber hinaus hat die Beklagte nicht hinreichend dargelegt, inwiefern aus den Bilanzkreismitteilungen im vorliegenden Fall unter Berücksichtigung der Besonderheiten im Einzelfall direkt auf die an Letztverbraucher gelieferten Strommengen hätte geschlossen werden können.
844.
85Ein Verstoß gegen Treu und Glauben liegt ebenfalls nicht vor, da eine gesetzeswidrige Ungleichbehandlung im Vergleich zu Eigenversorgern im hier maßgeblichen Abrechnungsjahr nicht vorlag. Entgegen der Ansicht der Beklagten war die Klägerin als ÜNB mit Inkrafttreten des EEG 2014 am 01.08.2014 nicht sogleich verpflichtet, die EEG-Umlage auch bei Vorliegen einer Eigenversorgung von den Eigenversorgern zu erheben. § 11 AusglMechV a.F. gab damals vor, dass Forderungen gegenüber Eigenversorgern auf Zahlung der EEG-Umlage gemäß § 61 EEG 2014 für die Zeit vom Inkrafttreten des EEG 2014 bis zum 31.05.2015 nicht vor dem 01.07.2015 fällig werden.
865.
87Der Zinsanspruch ist angesichts des nachträglich reduzierten Nachzahlungsbetrags lediglich in Höhe von 123.133,59 € begründet.
88Der Zinssatz von 5% p.a. ist durch die Bezugnahme in § 60 Abs. 4 S. 2 EEG 2014 auf § 352 Abs. 2 HGB bestimmt.
89Die gesetzlichen Fälligkeitszinsen sind aufgrund der in § 60 Abs. 4 S. 2 EEG 2014 geregelten Fiktion der Fälligkeit ab dem 01.01.2015 zu zahlen.
90Die Klägerin hat Anspruch auf die Fälligkeitszinsen auch über den 31.05.2015 hinaus bis zum 31.07.2015. Soweit die Beklagte in diesem Zusammenhang darauf verweist, dass sie der Klägerin am 29.05.2015 – also fristgerecht bis zum 31. Mai (§ 74 S. 1 EEG 2014) – den tatsächlichen Letztverbraucherabsatz mitgeteilt habe und es insofern an der Klägerin gelegen habe, die Endabrechnung früher vor Ablauf der Frist am 31.Juli (§ 73 Abs. 2 EEG 2014) zu erteilen, greifen die Einwände nicht durch.
91Dass die Klägerin die Jahresendabrechnung erst am 28.08.2015, also nach Ablauf der Frist, erstellt hat, gereicht ihr insofern nicht zum Nachteil, als sie vorliegend Zinsen allein bis zum 31.07.2015, dem Tag des Fristablaufs, geltend macht und sie auch nicht verpflichtet war, deutlich vor Ablauf der Frist am 31.07.2015 ihre Jahresendabrechnung vorzulegen. Auch die Beklagte hatte ihrerseits die Frist zur abschließenden Meldung des tatsächlichen Letztverbraucherabsatzes ausgeschöpft, weshalb es der Klägerin nicht zuzumuten war, binnen kurzer Frist von wenigen Tagen die Angaben der Beklagten zu prüfen und eine Jahresendabrechnung zu erstellen.
92Unter Berücksichtigung des reduzierten Nachzahlungsbetrag von 4.260.072,22 € fielen im Zeitraum vom 01.01.2015 bis 31.07.2015 Zinsen in Höhe von 123.133,59 € an (= 4.260.072,22 € * 211 Tage/365 Tage * 5/100).
93II.
94Im Übrigen – soweit die Klägerin Zinsen verlangt, die einen Betrag von 123.133,59 € übersteigen – ist die Klage unbegründet und unterliegt daher der Abweisung.
95Die im Zuge der nachträglichen Korrektur gemäß § 62 EEG 2014 erfolgte Reduzierung des Nachzahlungsbetrages auf 4.260.072,22 € ist im Rahmen der Zinsforderung entsprechend zu berücksichtigen, da nur für eine bestehende Hauptforderung auch Zinsen verlangt werden können. Die Zinspflicht ist insofern stets akzessorisch zur Hauptschuld (Grundmann, in: MüKo, BGB, 7. Aufl. 2016, § 246 Rn. 10). Anderenfalls verbliebe der Klägerin ein (Zins-)Vorteil, auf den sie nach der erfolgten Korrektur keinen Anspruch hat.
96Darauf, dass der Grund für die nachträgliche Korrektur, im Verantwortungsbereich der Beklagten liegt, weil die durch einen Wirtschaftsprüfer testierte Jahresendabrechnung für 2014 zu korrigieren war, kommt es angesichts der strengen Akzessorietät nicht an.
97III.
98Auch die im Schriftsatz der Beklagten vom 28.08.2019 erklärte Hilfsaufrechnung greift nicht durch.
99Der Beklagten steht gegenüber der Klägerin der mit der Hilfsaufrechnung geltend gemachte Schadensersatzanspruch wegen Verletzung einer vertraglichen Pflicht aufgrund des nicht erfolgten Abgleichs der unterjährigen EEG-Meldungen mit den Daten aus der Bilanzkreisabrechnung bereits dem Grunde nach nicht zu. Eine entsprechende Kontrollpflicht ergibt sich auch unter Berücksichtigung der sich aus § 241 Abs. 2 BGB ergebenden allgemeinen Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Rechtsgüter und Interessen der anderen Vertragspartei nicht. Denn nach der gesetzlichen Regelung obliegt es – wie oben bereits unter I.1.a.dd) ausgeführt –allein dem EVU, eine möglichst genaue Prognose vorzunehmen und die zu meldenden Werte gegebenenfalls mit dem auch ihm bekannten Bilanzkreisdaten abzugleichen.
100IV.
101Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S. 1 und S. 2 ZPO.
102Streitwert:
103159.124,77 €
104Die Hilfsaufrechnung der Beklagten betrifft angesichts des bereits im Rahmen der Klage erhobenen Einwands des Mitverschuldens denselben Gegenstand und ist daher gemäß § 45 Abs. 1 S. 3 GKG nicht streitwerterhöhend zu berücksichtigen.