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Der Angeklagte wird wegen Mordes durch Unterlassen in Tateinheit mit Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion durch Unterlassen und mit versuchtem Mord durch Unterlassen und mit gefährlicher Körperverletzung durch Unterlassen zu
lebenslanger Freiheitsstrafe
verurteilt.
Er trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen einschließlich seiner und der notwendigen Auslagen der Nebenklägerin.
Angewendete Strafvorschriften:
§§ 211 Abs. 1 und Abs. 2 5. Var., 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 5, 308 Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 3, 13, 22, 23, 52 StGB
Gründe
3I.
4Der Angeklagte wurde am ##.##.#### in Mönchengladbach-Rheydt geboren, wo er bis zum Alter von 6 oder 8 Jahren aufwuchs. Anschließend zog er mit seiner Mutter, die als Altenpflegerin tätig ist, nach Mönchengladbach. Der Vater des Angeklagten ist Kraftfahrer. Die Ehe seiner Eltern ist geschieden, die Mutter des Angeklagten zwischenzeitlich wieder verheiratet. Der Angeklagte hat keine Geschwister.
5Altersgerecht wurde der Angeklagte eingeschult. Als sich seine Eltern im Alter von 8 Jahren trennten, musste der Angeklagte wegen des trennungsbedingten Umzugs die Schule wechseln und verlor seinen Freundeskreis. Eine Zeit lang verlor der Angeklagte auch den Kontakt zu seinem Vater, bis dieser den Kontakt wieder suchte und diesen bis zur Inhaftierung des Angeklagten auch aufrechterhielt. Von der Grundschule wechselte der Angeklagte auf die Hauptschule in Mönchengladbach-Eicken, die er im Alter von 16 Jahren mit dem Hauptschulabschluss der Klasse 10a abschloss.
6Da der Angeklagte nicht unmittelbar eine Lehrstelle gefunden hatte, nahm er nach der Schule zunächst ein Jahr an einer berufsvorbereitenden Maßnahme teil und absolvierte zwei Praktika. Bei der Firma Q1, später G1, machte er eine Ausbildung zum KfZ-Mechatroniker. Dort lernte er auch das spätere Opfer, den Geschädigten J1 kennen, der ebenfalls in diesem Betrieb arbeitete. Im Jahr 2007 schloss der Angeklagte seine Ausbildung erfolgreich ab. Anschließend arbeitete er noch ein halbes Jahr im Ausbildungsbetrieb, bis das Arbeitsverhältnis bedingt durch die Insolvenz seines Arbeitgebers endete. Über eine Zeitarbeitsfirma wurde der Angeklagte an einen Skoda- und Seat-Händler mit angeschlossener Reparaturwerkstatt in Sittard / Niederlande vermittelt. Nach ein bis zwei Monaten erhielt er dort eine Festanstellung auf Vollzeitbasis.
7Der Angeklagte fuhr täglich die Wegstrecke von etwa 60 km zu seinem Arbeitsplatz in den Niederlanden hin und zurück. Im Alter von 21 Jahren zog er von zu Hause aus und nahm eine eigene Wohnung auf dem T1 in Mönchengladbach. Die Wohnung hatte er durch Vermittlung seines Arbeitskollegen J1 erhalten, der im gleichen Haus wohnte.
8Der Angeklagte war in der Vergangenheit weder in psychologischer oder psychotherapeutischer Behandlung noch schwerwiegend erkrankt. Drogenprobleme verneinte der Angeklagte, Alkohol genoss er nur zu Anlässen.
9Der Angeklagte ist nicht vorbestraft.
10II.
11Im Herbst 2006 lernte der Angeklagte die zu diesem Zeitpunkt 16 Jahre alte Nebenklägerin H1 kennen. Über gemeinsame Computerspiele im Internet war der Angeklagte mit dem Bruder der Nebenklägerin, dem Zeugen T2, in Kontakt gekommen. Als der Angeklagte den Zeugen T2 und dessen Familie in Essen besuchte, machte er dort die Bekanntschaft der Nebenklägerin. Zwischen beiden entwickelte sich in kurzer Zeit eine intime Liebesbeziehung. Die Nebenklägerin, die in Essen zur Schule ging, lebte bei ihrer Mutter, hielt sich an den Wochenenden jedoch meistens bei dem Angeklagten auf. Nachdem sich die Freundschaft zwischen dem Angeklagten und der Nebenklägerin – für den Angeklagten war es die erste intime Freundschaft – zunächst harmonisch entwickelt hatte, verschlechterte sich die Beziehung ab dem Jahr 2007 aus Sicht der Nebenklägerin, die sich nicht hinreichend beachtet fühlte, deutlich. Sie drohte dem Angeklagten, die Beziehung zu beenden, wenn sich an seinem Verhalten nichts ändere. Anlässlich eines solchen Streits mit der Nebenklägerin kündigte der Angeklagte an, sich durch das Aufdrehen der Gasleitung umbringen zu wollen, wenn die Nebenklägerin ihn verlasse, bei einer anderen Gelegenheit kündigte er schriftlich an, sich umbringen zu wollen.
12Im Februar 2008 lernte die Nebenklägerin anlässlich des Geburtstags des Angeklagten dessen Freund, den Zeugen L1, kennen, mit dem sie einige Wochen vor der Tat – von dem Angeklagten unbemerkt – ein intimes Verhältnis begann. Während der Angeklagte schlief, hatte die Nebenklägerin, die sich mit dem Zeugen L1 nie alleine traf, in der Wohnung des Angeklagten Geschlechtsverkehr mit dem Zeugen L1. Die Nebenklägerin plante, sich von dem Angeklagten zu trennen und eine Beziehung mit dem Zeugen L1 einzugehen, der Zeuge L1 zögerte aber noch, sich hierauf einzulassen.
13Am Tatwochenende fuhr die Nebenklägerin wie üblich zum Angeklagten nach Mönchengladbach. Der Angeklagte bewohnte die Parterrewohnung im Anbau des Hauses T1 in Mönchengladbach, die darüber liegende sich ebenfalls über den Anbau erstreckende Wohnung bewohnte der Geschädigte J1. Bei dem Haus handelte es sich um ein mehrstöckiges in geschlossener Bauweise errichtetes Haus. Im Erdgeschoss des Haupthauses war eine Pizzeria untergebracht. Insgesamt gab es sechs Mietparteien.
14Am Samstag den 8. März 2008 waren der Angeklagte und die Nebenklägerin gemeinsam mit dem Zeugen L1 unterwegs. Tagsüber hielten sich die drei auf einem Verkehrsübungsplatz auf, anschließend machten sie mit dem Auto des Angeklagten einen Ausflug zum Nürburgring. Den Samstagabend verbrachten der Angeklagte und die Nebenklägerin gemeinsam mit dem Zeugen L1 in der Wohnung des Angeklagten. Sie sahen gemeinsam fern und veranstalteten Trinkspiele, bei denen sie Dosenbier und Tequila konsumierten. Der Angeklagte trank ca. 4 – 5 Dosen Bier à 0,5 l sowie ein Glas Tequila. Im Laufe des Abends bat der Geschädigte J1 den Angeklagten per SMS, leiser zu sein, da er beim Zahnarzt gewesen sei. Als sie müde waren, legten sich der Angeklagte, die Nebenklägerin und der Zeuge L1 gegen Mitternacht zu dritt auf das Schlafsofa des Angeklagten. Der Zeuge L1 sollte zunächst, wie es in der Vergangenheit üblich war, auf einer Luftmatratze schlafen. Da aber niemand die Luftmatratze aufblasen wollte, schliefen alle drei auf dem Sofa. Alle waren angetrunken, richtig betrunken war aber niemand. Auf dem Schlafsofa lag die Nebenklägerin in der Mitte, die beiden Männer lagen außen.
15Da die Nebenklägerin sich dem Zeugen L1 zuwandte, indem sie mit ihm eine Decke teilte, wurde der Angeklagte eifersüchtig und es kam zum Streit mit ihr. Der Angeklagte weinte, stand auf, lief in das Badezimmer und erbrach dort vor Aufregung. Er erklärte der Nebenklägerin, er habe auch Blut erbrochen und verlangte von ihr, dass sie mit ihm nun in ein Krankenhaus fahre. Das lehnte sie aber ab, worauf der Angeklagte alleine die Wohnung verließ. Bereits nach kurzer Zeit kehrte er zurück. Er begann an der Überwurfmutter der Heiztherme im Zimmer zu manipulieren. Die Gaszufuhr blieb aber verschlossen. Die Nebenklägerin ging zu dem Angeklagten und versuchte, ihn an der weiteren Manipulation der Überwurfmutter zu hindern. Als sie damit keinen Erfolg hatte und dem Angeklagten sagte, er solle sich alleine umbringen, erwiderte dieser, wenn er sie nicht haben könne, dann solle sie auch kein anderer haben. Die Nebenklägerin und der Zeuge L1 verließen daraufhin die Wohnung und fuhren in die Wohnung des Zeugen L1 nach Mönchengladbach-Odenkirchen. Ihre Sachen ließ die Nebenklägerin in der Wohnung des Angeklagten zurück.
16In der Nacht und am Sonntagvormittag rief der Angeklagte über hundertmal auf dem Festnetzanschluss des Zeugen L1 und den Mobilfunkanschlüssen der Nebenklägerin und des Zeugen L1 an. Die Nebenklägerin reagierte auf die Anrufe jedoch nicht. Lediglich die Freundin des Zeugen L1, die Zeugin E1, nahm am Sonntagvormittag einen Anruf des Angeklagten an und teilte ihm mit, die Nebenklägerin wolle nicht mit ihm reden.
17Erst am Sonntag gegen Mittag kam es zu einem Telefongespräch zwischen dem Angeklagten und der Nebenklägerin. Diese erklärte dem Angeklagten, sie wolle nur noch vorbeikommen, um ihre Sachen bei ihm abzuholen. Ob die Nebenklägerin dem Angeklagten in diesem oder einem weiteren im Anschluss geführten Telefonat mitteilte, sie mache mit ihm Schluss, ließ sich in der Hauptverhandlung nicht aufklären.
18Der Angeklagte ging aber von dem Ende der Beziehung zur Nebenklägerin aus. In seiner Verzweiflung beschloss der Angeklagte aus dem Leben zu scheiden. Er hatte vor, sich durch Gas zu vergiften. Zu diesem Zweck löste er die Überwurfmutter der zur Gastherme in seiner Wohnung führenden Gasleitung, öffnete den Haupthahn zum Heizkörper und legte sich auf das Sofa, um zu sterben. Zuvor hatte er den Käfig mit dem Chinchilla in den Flur gestellt, die Tür geschlossen und sie am Boden mit einem Tuch abgedichtet. Den Käfig setzte er in der Absicht heraus, das Tier vor einer Vergiftung zu bewahren.
19Der Angeklagte ließ das Erdgas 10 bis 15 Minuten ausströmen. Da nichts geschah und er nach wie vor lebte, verschloss er den Gashahn wieder. Er rief nun erneut die Nebenklägerin an, die mittlerweile mit dem Bus auf dem Weg zur Wohnung des Angeklagten war. Das Gespräch blieb kurz, da die Nebenklägerin nicht in Gegenwart der Businsassen mit dem Angeklagten über ihre Beziehungsprobleme sprechen wollte. Anschließend rief der Angeklagte um 14:13 Uhr seine Chatfreundin, die in Magdeburg wohnende Zeugin K1, an. Verzweifelt und mit weinerlicher Stimme berichtete er ihr von dem Ende seiner Beziehung zur Nebenklägerin. Er habe ihr (der Nebenklägerin) finanziell alles gegeben und stünde nun mit nichts da. In dem ca. 6 Minuten dauernden Gespräch beruhigte sich der Angeklagte nach Einschätzung der Zeugin K1 etwas und hörte auf zu weinen. Als die Nebenklägerin an der Tür klingelte, beendete der Angeklagte das Telefongespräch und sagte der Zeugin K1 zu, später noch einmal anzurufen.
20Der Angeklagte öffnete der Nebenklägerin die Tür und setzte sich sofort auf eine Ecke des Schlafsofas im Wohnzimmer. Die Nebenklägerin bemerkte einen seltsamen Geruch, den sie jedoch nicht als Gasgeruch identifizierte, sah den Käfig mit dem Chinchilla in der Diele und fragte den Angeklagten, was der Käfig in der Diele solle und weshalb der Chinchilla so merkwürdig aussehe. Diese Fragen beantwortete der Angeklagte, der auf dem Sofa saß, nicht. Die Nebenklägerin veränderte ihre Position ein wenig in Richtung Fenster und holte, im Blickfeld des Angeklagten verweilend, eine Packung Zigaretten aus ihrer rechten Jackentasche, um sich eine Zigarette anzuzünden. Die Nebenklägerin konsumierte ca. eine Schachtel Zigaretten täglich und hatte in der Vergangenheit auch in der Wohnung des Angeklagten geraucht. Die entsprechenden Gewohnheiten der Nebenklägerin waren dem Angeklagten bekannt. Die Nebenklägerin entnahm der Zigarettenschachtel ein Feuerzeug und eine Zigarette. Die Zigarette steckte sie in den Mund. Bevor sie die Zigarette anzündete, steckte sie die Zigarettenschachtel zurück in ihre rechte Jackentasche. Der Angeklagte saß zu diesem Zeitpunkt nach wie vor auf dem Schlafsofa und hatte die Nebenklägerin in seinem Blickfeld.
21Trotz der Kenntnis, dass sich in der Wohnung noch das ausgeströmte brennbare und explosive Gas befand, warnte er die Nebenklägerin nicht.
22Er war sich bewusst, dass sich das Luft-Gas-Gemisch durch die Zündflamme des Feuerzeugs entzünden und das Haus durch die Explosion in Mitleidenschaft gezogen werden könnte. Obwohl er die mit dem Vorgang des Anzündens der Zigarette verbundene Gefahr für sein Leben, für das Leben der Nebenklägerin, für den Geschädigten J1 – von dessen Anwesenheit der Angeklagte ausging – und eine Vielzahl weiterer Personen erkannte, ließ er dem Geschehen – einem spätestens zu diesem Zeitpunkt gefassten Entschluss folgend – seinen Lauf, wobei er den Tod der Nebenklägerin, des Geschädigten J1 und weiterer unbestimmter Personen billigend in Kauf nahm. Die Nebenklägerin betätigte das Feuerzeug, um die Zigarette zu entzünden. Die Flamme des Feuerzeugs entzündete das im Raum befindliche Gas-Luft-Gemisch und es kam zu einer Explosion, die den Anbau des Hauses T1 zum Einsturz brachte.
23Durch die Explosion wurde der Anbau des Hauses völlig zerstört. Herr J1, der im ersten Obergeschoss des Anbaus verweilte, wurde aus seiner Wohnung geschleudert und von Trümmern erschlagen. Er erlitt durch herabfallende Gebäudeteile ein Schädel-Hirn-Trauma. Der gesamte Schädel und das Kleinhirn wurden erheblich zerstört. Sein Großhirn wurde vom Rückenmark abgetrennt, was zum sofortigen Todeseintritt führte.
24Nach der Explosion befreite der Angeklagte sich aus den Trümmern und ging zu der von Trümmern teilweise verschütteten Nebenklägerin. Er fragte sie, ob sie ihn noch liebe und bat sie, ihn nicht zu verraten. Er rief nach dem Geschädigten J1 und versuchte, die Spuren seiner Manipulation an der Gastherme zu beseitigen, was ihm aber nicht vollständig gelang, da er die gelöste Mutter nicht wieder befestigen konnte. Anschließend leistete er der Nebenklägerin Erste Hilfe.
25Die Nebenklägerin erlitt Verbrennungen des Grades II a – b an Gesicht, Hals, Händen und Armen. Sie wurde unmittelbar in die Uniklinik Aachen verbracht, wo sie in ein künstliches Koma versetzt und beatmet wurde. Einige Tage nach der Tat verschlechterte sich ihr Zustand rapide, in ihre Lungen trat Wasser ein, diese drohten zu versagen. Wegen akuter Lebensgefahr wurde sie in eine Klinik für Anästhesiologie verlegt, wo sich ihr Zustand stabilisierte. Nach einer Woche konnte sie wieder auf die Brand-Station der Uniklinik verlegt werden, wo sie nach und nach aus dem künstlichen Koma erwachte. Im Rahmen der Behandlung wurde die Nebenklägerin mehrfach operiert, bei ihr mussten ein Luftröhrenschnitt durchgeführt und wegen der Brandverletzungen ein Handgelenk zunächst aufgeschnitten und anschließend operativ durch eine Naht wieder verschlossen werden. Während des Aufenthalts in der Uniklinik Aachen kam es bei der Nebenklägerin zu einer Thrombose im Bein und zu einer Lungenembolie. Die Brandverletzungen haben bei der Nebenklägerin bleibende Narben an der Hand hinterlassen sowie zu Texturverschiebungen beziehungsweise Verfärbungen an der Hand und im Gesicht geführt. Nach wie vor leidet die Nebenklägerin unter Gefühlsstörungen an der Hand, ihre Lunge funktioniert mittlerweile wieder fast vollständig. Psychisch leidet sie nach wie vor unter dem Vorfall. Sie hat sich zurückgezogen, träumt von den Geschehnissen, hat ihre Ausbildung abgebrochen und bekommt nach eigenen Angaben „nichts mehr auf die Reihe“. Psychologische Betreuung nimmt sie nicht in Anspruch.
26Der Angeklagte erlitt Brandverletzungen an der Körpervorderseite, insbesondere an den Händen, am Gesicht und am Rumpf, jedoch keine Knochenbrüche oder sonstigen Verletzungen. Seine Verletzungen machten einen längeren stationären Krankenhausaufenthalt, zunächst im Krankenhaus, anschließend im Justizvollzugskrankenhaus in Fröndenberg, erforderlich.
27Das Haus T1 musste vollständig abgerissen werden. Die Kosten für den Abriss des Hauses, dessen Wiederaufbau, den Einsatz der Feuerwehr sowie die Schäden durch Mietausfälle belaufen sich insgesamt auf ca. 1.300.000,00 €.
28Nach der Tat kam es über einen Zeitraum von ca. einem Jahr zu schriftlichen und telefonischen Kontakten zwischen dem Angeklagten und der Nebenklägerin und im Rahmen dessen zu einem zeitweisen Wiederaufleben der Beziehung zwischen beiden.
29Weder die Einsichts- noch die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten war bei der festgestellten Tat erheblich beeinträchtigt.
30III.
311.
32Die Feststellungen zu I. beruhen auf den Angaben des Angeklagten, dem in der Hauptverhandlung verlesenen Auszug aus dem Bundeszentralregister und ergänzend auf dem in der Hauptverhandlung erstatteten Gutachten des Sachverständigen Dr. med. L2.
332.
34Die unter II. getroffenen Feststellungen zum Tatgeschehen beruhen auf dem Ergebnis der Beweisaufnahme, deren Umfang sich aus der Sitzungsniederschrift ergibt. Der Angeklagte ist zur sicheren Überzeugung der Kammer aufgrund des Ergebnisses der Hauptverhandlung im Sinne der getroffenen Feststellungen überführt. Diese Überzeugung beruht vornehmlich auf der Einlassung des Angeklagten, soweit die Kammer ihr zu folgen vermochte, sowie den Aussagen der Zeugen H1, L1, K1 und dem Gutachten des Sachverständigen Dipl. Ing. O1.
35a.
36Der Angeklagte hat den Sachverhalt im Wesentlichen wie unter II. festgestellt gestanden. Abweichend zu den unter II. getroffenen Feststellungen hat er sich im Einzelnen wie folgt eingelassen:
37Zwar habe er auf die Ankündigungen der Nebenklägerin, sich von ihm zu trennen, zwei Mal (davon einmal per SMS) mit Selbstmord gedroht, er habe aber nie geäußert, dass wenn er die Nebenklägerin nicht haben könne, sie auch kein anderer haben solle. Nachdem die Nebenklägerin mit dem Zeugen L1 in der Nacht vom 8. auf den 9. März 2009 die Wohnung verlassen habe, habe sie ihm irgendwann per SMS oder auch telefonisch mitgeteilt, dass sie Schluss mache und ihre Sachen abholen wolle. Er habe dann – so wie festgestellt – versucht, sich durch Gas zu vergiften. Nachdem ihm dies nicht gelungen sei, habe er den Gashahn wieder zugedreht und sei mit einem LAN-Kabel in das Badezimmer gegangen. Mit dem Kabel habe er sich aufhängen wollen. Das Kabel habe er an einem Balken über der Dusche befestigt, sich das Kabel um den Hals gelegt und auf einen blauen Hocker gestellt, der dann umgefallen sei. Er habe sich noch mit den Zehenspitzen auf der Duschkante abstützen können. In dieser Stellung habe er – da er sein Mobiltelefon noch in der Hosentasche gehabt habe – die Nebenklägerin angerufen und sie gefragt, wie lange sie noch brauche. Sie habe ihm mitgeteilt, sie sei unterwegs. Er habe sie gebeten, sich zu beeilen, da er am Kabel hänge und keine Luft mehr bekomme. Da es sehr schmerzhaft gewesen sei und er kaum noch Luft bekommen habe, habe er sich wieder losgemacht. So schmerzhaft habe er nicht sterben wollen.
38Nachdem er sich von dem Kabel befreit habe, habe er die Zeugin K1 angerufen. Das Telefonat habe er beendet, als die Nebenklägerin an der Türe geklingelt habe. Er habe die Tür geöffnet und auf die Frage der Nebenklägerin, was hier so rieche und warum der Chinchilla auf dem Flur stehe, geantwortet „Gas“. Darauf habe sie erwidert, so sehe der Chinchilla auch aus. Weiter habe sie nicht reagiert, vielleicht habe sie seine Antwort nicht ernst genommen. Den Käfig mit dem Chinchilla habe er in die Küche gestellt und sich dann mit dem Rücken zu ihr und zum Fenster auf die Eck-Couch gesetzt. Die Nebenklägerin sei in dem Moment, als er sich gesetzt habe, zum Fenster gegangen und habe es geöffnet. Als er sich gesetzt habe, habe sie schon eine Zigarette angemacht. Er habe die Nebenklägerin nicht angesehen. Als er sich umgedreht habe, habe er nur noch einen Feuerball gesehen. Dann sei ihm klar gewesen, dass er das verursacht habe und er habe sich ausgebuddelt.
39Nachdem er sich selbst aus den Trümmern befreit habe, habe er auch die Nebenklägerin ausgegraben. Er habe sie gefragt, ob sie ihn liebe und sie gebeten nichts zu sagen oder ihn nicht zu verraten. Sie habe nicht sagen sollen, dass er das Gas aufgemacht habe, um keinen Ärger zu bekommen. Er sei auch noch einmal zur Gastherme gegangen und habe versucht, die Mutter wieder anzuschrauben, jedoch sei ihm dies mit seinen verbrannten Händen nicht gelungen. Schließlich habe er mehrmals vergeblich nach Herrn J1 gerufen, der sein bester Freund gewesen sei.
40Er habe nicht gewusst, ob Herr J1 in der Wohnung sei, schließlich habe er (der Angeklagte) seine Wohnung den ganzen Tag nicht verlassen und Herr J1 habe schon mal am Wochenende arbeiten müssen oder seine Kinder am Wochenende weggebracht. Er sei aber davon ausgegangen, dass Herr J1 zu Hause gewesen sei.
41Er habe nicht gewollt, dass das Haus explodiert, er habe sich lediglich vergiften wollen. Zwar wisse er, das Gas gefährlich und explosiv ist und sich ein Gemisch aus Gas und Sauerstoff durch einen Funken entzünden kann. Üblicherweise habe er daher, wenn er nicht geheizt habe, den Gashahn zugedreht, weil es ihm zu gefährlich gewesen sei und er die Explosionsgefahr von Gas kenne. Jedoch sei er von keiner Gefahr mehr ausgegangen und habe deshalb auch das Fenster nicht geöffnet. Er habe sich keine Gedanken gemacht, wo das Gas ist – mit dem Zudrehen des Gashahnes sei die Sache für ihn erledigt beziehungsweise „gegessen“ gewesen.
42b.
43Diese Einlassung ist – soweit sie den Feststellungen unter II. widerspricht – zur sicheren Überzeugung der Kammer widerlegt. Aufgrund der Aussage der Nebenklägerin sowie der Zeugen L1 und K1 steht fest, dass sich die Tat so ereignet hat, wie unter II. festgestellt. Die Nebenklägerin und die Zeugen haben den Geschehensablauf im Kern übereinstimmend und so wie unter II. festgestellt geschildert, ohne dass der Inhalt oder die Art und Weise ihrer Aussagen Anlass gegeben hat, anzunehmen, dass die Aussagen abgesprochen gewesen wären. Sie schilderten die Ereignisse sachlich und ohne Belastungstendenz gegenüber dem Angeklagten. So beschränkte sich die Nebenklägerin auf die Wiedergabe dessen, was ihrer Wahrnehmung unterlag und sie noch sicher in Erinnerung hatte. Auch hat Sie ihr Verhalten nicht beschönigt, sondern offen die sie diskreditierende intime Beziehung zum Zeugen Dominik L1 und den Auslöser des Streits eingeräumt.
44Die Kammer folgt den Bekundungen der Nebenklägerin zunächst insoweit, als diese ausgesagt hat, der Angeklagte habe anlässlich des Streits in der Nacht vom 8. auf den 9. März 2008 im Zusammenhang mit der Manipulation an der Gastherme geäußert, wenn er sie nicht haben könne, solle sie auch kein anderer haben. Zwar hat die Nebenklägerin dies in der ersten Hauptverhandlung vor dem Landgericht Mönchengladbach nicht ausgesagt. Allerdings hat sie diesen Umstand bereits in der ersten sowie in der nachfolgenden polizeilichen Vernehmung erwähnt und auch in der zweiten Hauptverhandlung vor dem Landgericht Mönchengladbach klargestellt, dass diese Äußerung des Angeklagten gefallen ist. Dass sie diese Aussage in der ersten Hauptverhandlung vor dem Landgericht Mönchengladbach nicht wiederholt hat, ist damit zu erklären, dass sie hiernach nicht gefragt wurde. In der jetzigen Hauptverhandlung bestätigte die Zeugin, die sich im Übrigen auf die Wiedergabe dessen beschränkte, was ihrer Wahrnehmung unterlag und Erinnerungslücken einräumte, erneut, dass dieser Satz gefallen ist. Der Zeuge L1 hat sich nicht daran erinnert, dass dieser Satz gefallen ist, hat aber bekundet, er habe auf das Gejammer und den Streit keine Lust gehabt und Kopfhörer aufgesetzt, um Musik zu hören. Er hat die Auseinandersetzung zwischen der Nebenklägerin und dem Angeklagten daher auch nicht in vollem Umfang mitbekommen.
45Entgegen der Einlassung des Angeklagten ist die Kammer davon überzeugt, dass es nicht zu einem Suizidversuch seinerseits im Badezimmer durch Erhängen gekommen ist. Das behauptete Telefonat hat die Nebenklägerin nicht bestätigt. Im Gegenteil hat sie ausgesagt, von Erhängen und Strangulationsversuchen sei nie die Rede gewesen. Die entgegenstehende Einlassung des Angeklagten ist im Übrigen lebensfremd. Unabhängig davon, dass ein (insbesondere längeres) Telefongespräch nur schwierig zu führen ist, wenn die Strangulation so weit geht, dass sie schmerzhaft ist und nur noch das Stehen auf den Zehenspitzen zulässt, ist es fernliegend, in einer solchen lebensbedrohenden Situation freie Hände für ein Telefongespräch zu nutzen und nicht zu der (von dem Angeklagten nach seiner Einlassung letztlich ja auch mit Erfolg durchgeführten) Befreiung von dem Kabel. Die Einlassung des Angeklagten setzt im Übrigen voraus, dass der Sinneswandel von ernsthaften Selbstmordabsichten zum Überlebenswillen in dem Moment eintrat, als er mit den Zehenspitzen auf der Duschtasse stand. Ursprünglich hätte ein Suizidversuch als Hilferuf in der Hoffnung, von der Nebenklägerin gerettet zu werden, keinen Sinn gemacht. Die Nebenklägerin besaß keinen Schlüssel zur Wohnung des Angeklagten. Alleine hätte sie gar nicht in die Wohnung gelangen können, um ihm zu helfen und ihn zu retten, was dem Angeklagten auch bekannt war. Ernsthafte Selbstmordabsichten (jedenfalls durch Erhängen) behauptet der Angeklagte aber nicht mehr, soweit er sich dahingehend einlässt, er habe die Nebenklägerin angerufen und sie gebeten, sich zu beeilen, da er am Kabel hänge und keine Luft mehr bekomme. Dass und warum der Sinneswandel genau zu dem Zeitpunkt eintrat, als er mit den Zehenspitzen auf der Duschtasse stand, hat der Angeklagte aber nicht nachvollziehbar erklärt. Zu seinen Absichten hat er lediglich bekundet, er habe nicht so schmerzhaft sterben wollen.
46Widerlegt ist ferner die Einlassung des Angeklagten, er habe die Nebenklägerin bei ihrem Eintreffen auf das vorhandene Gas hingewiesen. Sie hat die von ihm geschilderte Unterhaltung nicht bestätigt. Vielmehr hat Sie ausgesagt, der Angeklagte habe nichts gesagt und lediglich schweigend auf dem Sofa gesessen. Sie hat glaubhaft bekundet, sie hätte sich bei Kenntnis des ausgeströmten Gases niemals eine Zigarette angezündet. Für die Annahme, dass sie selbst aus dem Leben scheiden wollte, haben sich in der Hauptverhandlung keinerlei Anhaltspunkte ergeben. Vielmehr hat der Angeklagte selbst die Versuche der Nebenklägerin bestätigt, ihn am Vorabend der Tat von seinen Versuchen abzuhalten, an der Gastherme zu manipulieren. Auch das anschließende fluchtartige Verlassen der Wohnung, als ihre Versuche erfolglos blieben, haben der Angeklagte und der Zeuge L1 glaubhaft bestätigt.
47Ebenso ist die Kammer überzeugt, dass sich die Nebenklägerin, entsprechend ihren Bekundungen, bis zur Explosion die gesamte Zeit im Blickfeld des Angeklagten befand. Alles andere ist lebensfremd und stünde in Widerspruch zu dem gesamten Verhalten des Angeklagten. Der Angeklagte ging von dem Ende seiner Beziehung mit der Nebenklägerin, die ihm alles bedeutete, aus. Nachdem sie in der Nacht zuvor mit dem Zeugen L1 seine Wohnung verlassen hatte, hat der Angeklagte etwa hundert Mal versucht, die Nebenklägerin telefonisch oder über SMS zu erreichen. Er unternahm sogar einen Suizidversuch und nach seiner eigenen Einlassung, der die Kammer insoweit nicht folgt, war sie diejenige, die er kontaktierte, als er im Badezimmer auf den Zehenspitzen stehend um sein Leben rang. Nun erschien die Nebenklägerin und der Angeklagte musste davon ausgehen, dass sie nun möglicherweise zum letzten Mal in seine Wohnung kam. Wie die Nebenklägerin reagieren würde, ob er gegebenenfalls aus einer Äußerung oder einer Geste ihrerseits Anlass zur Hoffnung hatte, war für ihn von erheblicher Bedeutung. Unterstellt man die Einlassung des Angeklagten, er habe die Nebenklägerin mit der Bemerkung „Gas“ vor dem in der Wohnung befindlichen Gas gewarnt, die Nebenklägerin habe diese Warnung vielleicht nicht ernst genommen, als richtig, hatte er darüber hinaus in Anbetracht dieses Bewusstseins um die Gefahr, Anlass, die Nebenklägerin im Blickfeld zu behalten. Nach seiner eigenen Einlassung rauchte die Nebenklägerin über 1 Schachtel Zigaretten am Tag und sie rauchte auch in seiner Wohnung, ohne ihn zu fragen. Der Angeklagte, der nach eigener Einlassung um die Explosivität von Gas wusste und aus diesem Grund den Gashahn zur Sicherheit regelmäßig zudrehte, hätte daher spätestens in dem Moment, als er sich nach seiner eigenen Einlassung setzte und die Nebenklägerin zum Fenster gegangen sein soll, um dies zu öffnen, Anlass gehabt, die Nebenklägerin zu beobachten und gegebenenfalls zu warnen.
48Die Kammer ist unter Würdigung des gesamten Inhalts der Hauptverhandlung ferner davon überzeugt, dass der Angeklagte die Gefahrenlage für die Hausbewohner und seine Verantwortlichkeit hierfür erkannte und die Explosion und den Tod des Herrn J1 und der Nebenklägerin billigend in Kauf nahm.
49Der Angeklagte wusste nach eigener Einlassung um die Explosionsgefahr von Gas und dass sich ein Gemisch aus Gas und Sauerstoff durch einen Funken entzünden kann. Soweit er sich weiter dahingehend eingelassen hat, er habe sich keine Gedanken gemacht, wo das Gas sei – mit dem Zudrehen des Gashahnes sei die Sache für ihn erledigt beziehungsweise „gegessen“ gewesen – ist diese Einlassung widerlegt durch die Aussage der Nebenklägerin. Diese hat glaubhaft bekundet, den Angeklagten bei Betreten der Wohnung auf das merkwürdige Aussehen des Chinchillas im Flur angesprochen, von dem Angeklagten jedoch keine Antwort erhalten zu haben. Dem Angeklagten war nicht nur klar und wurde durch die Nachfrage der Nebenklägerin erneut vor Augen geführt, dass Gas im Raum war, er wusste vielmehr auch, dass er dieses über einen erheblichen Zeitraum – nämlich 10 bis 15 Minuten – hat ausströmen lassen. Er wusste auch, dass dieses noch nahezu vollständig mangels nennenswerter Ableitungsmöglichkeiten im Raum vorhanden war. Der Angeklagte öffnete weder Fenster noch Tür, diese hatte er vielmehr mit einem Handtuch abgedichtet.
50Seine Einlassung, er habe sich keine Gedanken gemacht, wo das Gas sei – mit dem Zudrehen des Gashahnes sei die Sache für ihn erledigt beziehungsweise „gegessen“ gewesen – steht im Übrigen auch im Widerspruch zu seiner eigenen weitergehenden Einlassung. Unterstellt man – wovon die Kammer nicht ausgeht – seine Einlassung, er habe die Nebenklägerin bei Betreten der Wohnung auf ihre Frage vor dem Gas gewarnt, vielleicht habe sie seine Antwort „Gas“ nicht ernst genommen, als wahr, so wäre ihm ebenfalls spätestens aufgrund der Nachfrage der Nebenklägerin vor Augen geführt worden, das noch – für Dritte merklich – Gas im Raum war und die Sache noch nicht „gegessen“ war.
51Der Angeklagte beantwortete die Fragen der Nebenklägerin aber nicht, weil ihm die Gefahr, hiervon ist die Kammer überzeugt, bekannt war. Er rechnete damit, die Nebenklägerin werde, wie bereits am Vorabend geschehen, die Wohnung bei wahrheitsgemäßer Beantwortung ihrer Fragen sofort wieder verlassen. Dieses wollte er nicht.
52Aufgrund seiner nachgewiesenen durchschnittlichen bis überdurchschnittlichen Intelligenz rechnete er mit der Explosivität des Gases. Er kannte alle Umstände, die ihn verpflichteten, die Entzündung des Feuers zu verhindern. Dieser Pflicht kam der Angeklagte nicht nach. Nicht, weil er dachte, es werde schon gut gehen, sondern weil er in seiner Verzweiflung – die Nebenklägerin hatte kein positives Signal ausgesandt – das Geschehen laufen lassen wollte, und er – wenn es denn so sein sollte – eine Explosion und damit das Schicksal der Tötung von Menschen billigend in Kauf nahm. Dieses Geschehenlassen fügt sich auch in den Charakter des Angeklagten ein, der nicht zu aktivem aggressiven Verhalten anderen gegenüber neigt, wie der Sachverständige Dr. med. L2 im einzelnen unter Mitteilung der hierzu im Einzelnen durchgeführten Testverfahren ausgeführt hat.
53Insoweit hatte auch das Telefonat mit der Zeugin K1 nicht zu einem Sinneswandel bei dem Angeklagten geführt. Über seinen Selbsttötungsversuch hat der Angeklagte mit der Zeugin K1 nicht gesprochen. Um den Angeklagten von seinem Selbsttötungsvorsatz abzubringen, war das Gespräch auch zu kurz. Die Zusage des Angeklagten, die Zeugin K1 später noch einmal anzurufen, ist vor dem Hintergrund des Klingelns der Nebenklägerin zu bewerten, deren Eintreffen der Angeklagte so sehnlich erwartet hatte. Sie diente vor diesem Hintergrund dazu, das Gespräch mit der Zeugin K1 komplikationslos zu beenden, um der Nebenklägerin die Tür öffnen zu können. Der Schluss, er habe seinen (Selbst-)tötungsvorsatz aufgegeben, kann nach Auffassung der Kammer aus dieser Zusage nicht gezogen werden.
54Die Äußerung des Angeklagten in der Nacht, wenn er die Nebenklägerin nicht haben könne, dann solle sie auch kein anderer haben, zeigt, dass er sich gedanklich bereits damit befasst hatte, diese eher zu töten als eine Trennung und eine Zuwendung zu einem anderen Mann zuzulassen.
55Auch das Nachtatverhalten beweist das Bewusstsein des Angeklagten von der Gefahrenlage. Unterstellt man – ausgehend von der Einlassung des Angeklagten – er habe nicht mit der Explosion gerechnet, muss die Detonation für ihn völlig unerwartet eine noch nie erlebte chaotische lebensgefährliche Situation ausgelöst haben. Dennoch war er in der Lage überlegt und berechnend zu handeln, genau wie jemand, der mit einer Explosion rechnete. Er bat die Nebenklägerin sofort, ihn nicht zu verraten und begab sich in dieser chaotischen Situation nochmals in den eingestürzten Anbau, um zu versuchen, die Überwurfmutter wieder zu befestigen und so die Spuren seiner Manipulation an der Gastherme zu beseitigen.
56Der Angeklagte kannte die Arg- und Wehrlosigkeit der Nebenklägerin und wollte diese ausnutzen. Er rechnete damit, dass die Nebenklägerin von der Gefahrenlage nichts ahnte, sich eine Zigarette anzünden und von der Entzündung des Luft-Gas-Gemisches überrumpelt sein würde und sich nicht werde wehren können. Ihm war bekannt, dass die Nebenklägerin – die gewöhnlich auch in seiner Wohnung rauchte - täglich etwa eine Packung Zigaretten rauchte.
57Der Angeklagte erkannte auch die Arg- und Wehrlosigkeit des Geschädigten J1, von dessen Anwesenheit im Haus er ausging. Zwar hat er insoweit in der Hauptverhandlung nicht eindeutig Stellung bezogen, sondern sich einerseits dahingehend eingelassen, er habe nicht gewusst, ob Herr J1 in der Wohnung sei, schließlich habe er (der Angeklagte) seine Wohnung den ganzen Tag nicht verlassen und Herr J1 habe schon mal am Wochenende arbeiten müssen oder seine Kinder am Wochenende weggebracht und sich andererseits dahingehend eingelassen, er sei davon ausgegangen, dass Herr J1 zu Hause gewesen sei. Entgegen dieser unklaren Einlassung in der jetzigen Hauptverhandlung hat er sich aber in der zweiten Hauptverhandlung vor dem Landgericht Mönchengladbach eindeutig dahingehend eingelassen, er sei davon ausgegangen, dass der Geschädigte J1 zu Hause gewesen sei, da dieser arbeitslos und eigentlich immer zu Hause sei. Dies steht fest aufgrund der glaubhaften Aussagen der Zeugen F1 und I1. Beide Zeugen haben übereinstimmend bekundet, dass der Angeklagte sich entsprechend eingelassen habe. Hieran könnten sie sich unter anderem auch deshalb gut erinnern, weil sie über diese Einlassung verwundert gewesen seien, da der Angeklagte sich auch für ihn günstiger hätte einlassen können. Dass der Angeklagte sich der Anwesenheit des Geschädigten J1 bewusst gewesen ist wird im Übrigen dadurch belegt, dass er diesen unmittelbar nach der Tat gesucht und nach ihm gerufen hat. Des Weiteren spricht auch der Umstand, dass der Geschädigte J1 den Angeklagten am Abend zuvor unter Hinweis auf seinen Zahnarztbesuch darum bat, leiser zu sein, dafür, dass der Angeklagte von seiner Anwesenheit ausging. Die Nebenklägerin hat insoweit glaubhaft bekundet, der Angeklagte habe ihr an dem Abend von dem Inhalt der SMS des Geschädigten J1 berichtet. Auch der Geschädigte J1 ahnte, dessen war sich der Angeklagte bewusst, von der Gefahrenlage nichts.
58Der Zeuge L1 hat den von dem Angeklagten und der Nebenklägerin geschilderten Geschehenshergang am Abend und in der Nacht vor der Tat bestätigt. Wie auch der Angeklagte und die Nebenklägerin hat der Zeuge L1 bekundet, sie alle drei seien gut angeheitert, nicht aber betrunken gewesen.
59Aufgrund des Gutachtens des Sachverständigen Dipl. Ing. O1, dem sich die Kammer nach eigener Würdigung anschließt, steht fest, dass durch das Öffnen der Gaszufuhr in der Wohnung des Angeklagten über einen Zeitraum von 4 bis 12 Minuten ein explosives Gas-Luftgemisch entstanden ist und jeder Zündfunke reichte, um eine Gasexplosion wie geschehen auszulösen. Der Sachverständige hat den Tatort und das durch die ausgebreitete Druckwelle entstandene Schadensbild am 11.03.2008 in Augenschein genommen. Die für die Rekonstruktion der Gasexplosion benötigten Befundtatsachen und –daten hat er in der Hauptverhandlung im Einzelnen dargelegt und erläutert. Ein Entzünden des Gas-Luft-Gemisches sei möglich, wenn ein Verhältnis zwischen Gas und Luft zwischen 5 zu 95% bis 15 zu 85% vorläge. Zur Herstellung einer Gaskonzentration in der Wohnung des Angeklagten wie sie für eine Explosion mit einem solchen Druck und einem solchen Schadensausmaß erforderlich war, müsse bei dem konkreten Gasanschluss eine Gasausströmzeit von mindestens 4 Minuten zugrunde gelegt werden. Durch Türöffnungen einströmende Luft habe das Gemisch nur gefährlicher gemacht. Jeder noch so kleine Funke habe ausgereicht, um die Gasexplosion auszulösen.
60Die Tatfolgen für die Nebenklägerin stehen fest aufgrund der glaubhaften Aussage der sie in der Uniklinik Aachen behandelnden Ärzte Dr. G2 und Dr. N1, ihrer Mutter, der Zeugin M1, sowie ihren eigenen Angaben. Die Gebäudeschäden und deren Ausmaß haben die Hauseigentümer, die Zeugen K2 und C1, detailliert und glaubhaft geschildert. Die Feststellungen zu den Verletzungen des Geschädigten J1 und zu deren Todesursächlichkeit beruhen auf dem in der Hauptverhandlung erstatteten Gutachten der rechtsmedizinischen Sachverständigen Dr. H2.
61Die Feststellungen zur Schuldfähigkeit des Angeklagten beruhen auf dem in der Hauptverhandlung erstatteten Gutachten des Sachverständigen Dr. L2 und der Einlassung des Angeklagten.
62Der Sachverständige hat den Angeklagten im Justizvollzugskrankenhaus NRW in Fröndenberg an zwei Tagen körperlich, klinisch-neurologisch, testpsychologisch und psychiatrisch untersucht. Anzeichen einer krankhaften seelischen Störung hat er nicht festgestellt. Der Angeklagte hat bislang nicht an einer schizophrenen Psychose oder einer affektiven Störung gelitten. Weder die durchgeführte Computertomographie des Schädels, das EEG oder die aktuelle Leistungsdiagnostik noch der psychopathologische Befund ergaben Hinweise auf eine hirnorganische Störung. Die Hauptverhandlung hat keine Anhaltspunkte für einen schädlichen Gebrauch oder eine Abhängigkeit des Angeklagten von Alkohol oder illegalen Drogen ergeben. Ebenso wenig kann von einer erheblichen Alkoholintoxikation im Tatzeitraum oder einer Entzugssymptomatik ausgegangen werden. Die Hauptverhandlung hat ergeben, dass der Angeklagte gemeinsam mit der Nebenklägerin und dem Zeugen L1 Trinkspiele gespielt und Alkohol konsumiert hat. Die konsumierten Mengen konnten im Einzelnen nicht aufgeklärt werden. Weder der Angeklagte selbst beschrieb Anzeichen einer schweren Alkoholintoxikation mit schweren motorischen Störungen, noch haben die Nebenklägerin oder der Zeuge L1 alkoholbedingte Ausfallerscheinungen angegeben. Der Angeklagte selbst bezeichnete sich als angetrunken, wesentliche körperliche oder psychische Beeinträchtigungen durch den Alkoholkonsum habe er aber nicht gehabt. Der Angeklagte vermochte den Geschehensablauf vom Vorabend an bis zur Explosion detailliert und vollständig wiederzugeben und seine Erlebnisse, Bewertungen und Reflexionen zu schildern.
63Der Sachverständige hat den Angeklagten umfassend testpsychologisch untersucht. So absolvierte der Angeklagte den Raven-Standard-Progressive-Matritzen-Test (SPM), den Mehrfach-Wortwahl-Intelligenz-Test (MWT-B) sowie den Persönlichkeitsfragebogen FPI. Die Tests ergaben eine durchschnittliche bis überdurchschnittliche intellektuelle Leistungsfähigkeit des Angeklagten, soweit die Leistungsfähigkeit relativ unabhängig von schulischen Fertigkeiten getestet wurde. Seine allgemeine bildungsabhängige Intelligenz ist als durchschnittlich einzustufen. Aufgrund der Testergebnisse kann auch das Eingangskriterium des Schwachsinns ausgeschlossen werden.
64Ebenso wenig kann eine tiefgreifende Bewusstseinsstörung als Eingangskriterium bejaht werden. Aus psychiatrischer Sicht ist, wie der Sachverständige in der Hauptverhandlung im Einzelnen ausgeführt hat, eine Affekttat auszuschließen. Nach seinen Ausführungen ist für ein Affektdelikt im Rahmen einer Beziehungstat charakteristisch, dass der Täter im Sinne eines Impulsdurchbruches seinem aggressiven Impuls situativ nachgibt und in der Absicht handelt, sein Opfer zu schädigen.
65Das unmittelbar vor dem Eintreffen der Nebenklägerin mit der Zeugin K1 geführte Telefonat zeigt jedoch, dass der Angeklagte auch in der konkreten Belastungssituation noch in der Lage war, sich zur Entlastung der eigenen Affekte an Dritte zu wenden, um sein Herz auszuschütten und sich Zuspruch zu holen. Die Zeugin K1 hat glaubhaft bekundet, der Angeklagte habe an dem Tag völlig aufgelöst bei ihr angerufen und geweint. Er habe ihr berichtet, die Nebenklägerin habe Schluss gemacht, ohne weitere Einzelheiten zu nennen. Er habe verzweifelt gewirkt. Sie habe auf ihn eingeredet, er solle aufhören zu weinen, es werde schon wieder. Sie habe den Eindruck gehabt, er habe sich während des Gespräches beruhigt. Als es bei ihm an der Tür klingelte, habe der Angeklagte das Gespräch beendet und zugesagt, sich abends wieder bei ihr zu melden. Wie der Sachverständige weiter ausgeführt hat, zeigt auch der Gesprächskontakt zur Nebenklägerin kurz vor der Tat, dass der suizidale Impuls zu diesem Zeitpunkt nicht stärker war, als der Wunsch zu leben. Im vorliegenden Fall verhielt sich der Angeklagte passiv, er wartete zu, bis die Nebenklägerin sich im Wohnzimmer eine Zigarette herausholte und anzündete und unterließ es sie zu warnen oder daran zu hindern. Diese Fähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit – abwarten zu können – lässt sich mit einer Affektentladung nicht in Einklang bringen. Auch das festgestellte Nachtatverhalten spricht gegen eine affektive Ausnahmesituation. Trotz des massiven traumatischen Ereignisses der Explosion war der Angeklagte in der Lage sofort in Reflexion seines vorangegangenen Verhaltens die Nebenklägerin zu bitten, ihn nicht zu verraten, und Spuren an der Gastherme zu beseitigen. Ein solches gesteuertes Verhalten ist nach Einschätzung des Sachverständigen bei einer Beeinträchtigung der psychischen Funktion nicht denkbar. Erinnerungsstörungen wies der Angeklagte ebenfalls nicht auf. Vielmehr war er in der Lage, geordnet über die Ereignisse zu berichten, was ebenfalls gegen das Vorliegen eines hochgradigen Affektes im Sinne einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung spricht.
66Bei dem Angeklagten fehlen psychopathologische Symptome oder Defizite im sozialen Funktionsniveau, die für das Vorliegen des Eingangskriteriums einer schweren anderen seelischen Abartigkeit erforderlich sind. Das soziale Funktionsniveau des Angeklagten bezüglich Erwerbstätigkeit, beruflicher Leistungsfähigkeit und sozialer Anpassung am Arbeitsplatz im Tatzeitraum ist hoch. Psychische Störungen, die eine Beratung oder Behandlung erforderlich gemacht hätten, werden nicht beschrieben. Das Testprofil des Angeklagten spreche nach den Darstellungen des Sachverständigen für eine akzentuierte Persönlichkeit des Angeklagten. Der aktuelle Persönlichkeitsquerschnitt zeige einen in sich gekehrten, extrem nachgiebigen, sozial nicht durchsetzungsfähigen und extrem gehemmten Menschen. Hieraus könne nicht auf eine schwere andere seelische Abartigkeit geschlossen werden, diese Persönlichkeitszüge lägen unterhalb einer krankhaften Schwelle. Zu berücksichtigen sei insbesondere auch, dass die Testsituation nicht der Vortatsituation entspreche und die Befindlichkeit sich durch psychische Reaktionen auf die Tat stark verändern können.
67Die Kammer schließt sich dem Gutachten des Sachverständigen Dr. med. L2 in eigener Wertung an. Der Sachverständige verfügt als Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie über die erforderliche Sachkunde. Er hat den Angeklagten an mehreren Tagen untersucht und ihn umfassend exploriert. Er ist bei seiner Beurteilung von zutreffenden Anknüpfungspunkten ausgegangen. Er hat die Untersuchung des Angeklagten und die daraus geschlossenen Folgerungen nachvollziehbar und ohne innere Widersprüche oder Verstöße gegen Denkgesetze dargestellt. Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Unterbringung des Angeklagten gem. §§ 63, 64 StGB sind nach dem Gutachten des Sachverständigen unzweifelhaft nicht gegeben.
68IV.
69Nach den getroffenen Feststellungen hat sich der Angeklagte wie folgt strafbar gemacht:
701.
71Der Angeklagte ist des Mordes durch Unterlassen an dem Geschädigten J1 schuldig (§§ 211 Abs. 1 und 2 5. Var., 13 StGB).
72Der Angeklagte hat – zunächst in der Absicht, lediglich sich selbst zu töten – über einen Zeitraum von 10 bis 15 Minuten Erdgas in seine Wohnung ausströmen lassen. Hierdurch entstand ein explosives Gas-Luft-Gemisch. Jeder noch so kleine Zündfunke reichte aus, um die Gasexplosion auszulösen. Der Angeklagte erkannte die hieraus resultierende Gefahr auch für die Hausbewohner und den Geschädigten J1 – von dessen Anwesenheit er ausging – und nahm sie billigend in Kauf. Nachdem die Nebenklägerin eingetroffen war ließ der Angeklagte dem Geschehen seinen Lauf und die Nebenklägerin, ohne sie vor der fortbestehenden Gefahrenlage zu warnen, eine Zigarette entzünden.
73Der Angeklagte hat die Tat nicht durch ein aktives Tun sondern durch Unterlassen begangen. Gemäß § 13 Abs.1 StGB ist auch derjenige strafbar, der es unterlässt, einen Erfolg abzuwenden, der zum Tatbestand eines Strafgesetzes gehört, wenn er rechtlich dafür einzustehen hat, dass der Erfolg nicht eintritt, und das Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun entspricht. Das ist vorliegend der Fall. Wegen seines gefährdenden Vorverhaltens war der Angeklagte als Garant verpflichtet, die Tötung des Geschädigten J1 sowie die Verwirklichung der Gefahr für Leben und Gesundheit der Nebenklägerin und der übrigen Hausbewohner zu verhindern. Der Angeklagte hat die Gaszufuhr in seiner Wohnung geöffnet und Gas über einen erheblichen Zeitraum ausströmen lassen, um sich zu vergiften. Hierdurch hat er – was ihm auch bewusst war – eine konkrete Gefahrenlage jedenfalls für das Gebäude T1 und die sich im Gebäude befindlichen Personen geschaffen. Es entstand ein explosives Luft-Gas-Gemisch. Diese Gefahr verwirklichte sich in der durch die Entzündung der Zigarette verursachten Explosion des Hauses. Bereits durch einen Hinweis an die Nebenklägerin auf das ausgeströmte Gas wäre es dem Angeklagten möglich gewesen, die Explosion zu verhindern. Wie unter II. festgestellt hätte sich die Nebenklägerin in diesem Fall keine Zigarette angezündet.
74Der Angeklagte handelte nicht in mittelbarer Täterschaft. Als der Angeklagte das Gas ausströmen ließ handelte er zunächst lediglich in der Absicht sich selbst zu töten. Das Anzünden der Zigarette durch die Nebenklägerin war zu diesem Zeitpunkt nicht von seinem Tatplan umfasst und er forderte die Nebenklägerin hierzu auch nicht auf. Erst später, als die Gefahrenlage bereits bestand, unterließ er es, der Nebenklägerin das Rauchen zu untersagen und nahm das Anzünden der Zigarette durch die Nebenklägerin billigend in Kauf.
75Der Angeklagte handelte mit dem erforderlichen Vorsatz, er handelte zumindest mit bedingtem Tötungsvorsatz. Bedingter Tötungsvorsatz setzt voraus, dass der Täter es als möglich und nicht ganz fern liegend erkennt, sein Tun oder Unterlassen werde zum Tode eines anderen führen. Diese Folge muss er darüber hinaus zumindest in einer Weise billigend in Kauf nehmen, dass er sich zum Erreichen des mit seinem Handeln verbundenen Endziels mit dem Tod des anderen abfindet, ihn hinnimmt, mag er ihm auch unerwünscht sein (BGH 26.07.2007 Aktenzeichen 3 StR 221/07). Der Angeklagte erkannte, dass die durch das Entzünden des Feuerzeugs entstehende Gasexplosion durch herabstürzende Gebäudeteile zum Tod anderer Menschen – insbesondere Hausbewohner – führen konnte. Dennoch hat er von seinem Vorhaben nicht Abstand genommen und die Nebenklägerin das Feuerzeug entzünden lassen. In einem solchen Fall kann es an einem bedingten Tötungsvorsatz nur dann fehlen, wenn der Angeklagte aufgrund besonderer, außergewöhnlicher Umstände darauf vertraute, der von ihm für möglich gehaltene Tod von Menschen werde nicht eintreten (so BGH 26.07.2007 Aktenzeichen 3 StR 221/07). Im Hinblick auf die von ihm erkannte Gefährlichkeit des Geschehens sind keine Umstände erkennbar, die geeignet hätten sein können, ein solches Vertrauen zu begründen. Der Vorsatz des Angeklagten bezog sich insbesondere auch auf die Person des Getöteten J1, von dessen Anwesenheit der Angeklagte ausging.
76In diesem Zusammenhang ist es unerheblich, mit welchem Vorsatz der Angeklagte handelte, als er das Gas ausströmen ließ. Es mag sein, dass er zu diesem Zeitpunkt das Risiko nur raumbezogen gesehen und gedacht hat, nur er sei gefährdet, das Tier sei durch Hinausstellen des Käfigs sicher. Entscheidend ist aber die Vorstellung des Angeklagten unmittelbar vor der Explosion. Für den Fall seines Untätigbleibens rechnete er mit einer Explosion. Er kannte als Verursacher der Gefahrenquelle seine Verpflichtung zum Handeln, entsprechend seines Naturells ließ er das Geschehen einfach laufen.
77Zum Nachteil des Geschädigten J1 ist weiter das Mordmerkmal der Heimtücke gemäß § 211 Abs. 2 5. Var. StGB erfüllt.
78Heimtückisch handelt, wer die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tat ausnutzt. Arglos ist, wer sich im Zeitpunkt des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs keines Angriffs versieht. Das Opfer muss aufgrund seiner Arglosigkeit wehrlos sein, das heißt keine oder nur eingeschränkte Möglichkeiten zur Verteidigung haben. Wesentlich ist, dass der Täter sein Opfer in einer hilflosen Lage überrascht und dadurch daran hindert, dem Anschlag auf sein Leben zu begegnen oder zumindest zu erschweren.
79Der Geschädigte J1 war in seiner Wohnung, in der er von dem ausströmenden Gas nichts bemerkte, arg- und infolgedessen auch wehrlos. Diese Arg- und die daraus folgende Wehrlosigkeit hat der Angeklagte bewusst zur Tötung ausgenutzt. Insoweit genügt es, dass der Täter die Arg- und Wehrlosigkeit in ihrer Bedeutung für die hilflose Lage des Angegriffenen und die Ausführung der Tat in dem Sinne erfasst, dass er sich bewusst ist, einen durch seine Arglosigkeit gegenüber einem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen (BGH NStZ 2009, 569 f). Dieses Bewusstsein hatte der Angeklagte. Er ging nach seiner eigenen Einlassung davon aus, dass der Geschädigte J1 zu Hause war und war sich bewusst, dass er (der Geschädigte J1) aufgrund seiner Arglosigkeit der Explosion schutzlos ausgeliefert war. Die entsprechende Erkenntnis war dem Angeklagten auch nicht durch affektive Erregung versperrt. Zwar ging dem Tatentschluss des Angeklagten kein längeres Überlegen oder planvolles Vorgehen voraus, sondern der Angeklagte machte sich – einer raschen Eingebung folgend – die für ihn günstige Situation zunutze. Gleichwohl geschah die Tat (wie oben unter III. 2. bereits ausgeführt) nicht aus einem Impulsdurchbruch heraus, sondern der Angeklagte verhielt sich passiv und wartete, bis die Nebenklägerin sich im Wohnzimmer eine Zigarette herausholte und anzündete. Auch das gesteuerte Nachtatverhalten spricht gegen eine affektive Ausnahmesituation des Ausmaßes, dass dem Angeklagten das Bewusstsein, den Geschädigten J1 schutzlos zu überraschen, fehlte. Vielmehr bat der Angeklagte nach der Explosion nicht nur die Nebenklägerin, ihn nicht zu verraten und versuchte die Spuren seiner Manipulation zu verwischen, sondern er rief auch unmittelbar nach der Explosion nach dem Geschädigten J1. Eine Instrumentalisierung der Arg- und Wehrlosigkeit des Geschädigten J1 zur Begehung der Tat liegt nicht vor, ist aber auch nicht erforderlich (BGH, a.a.O.).
802.
81Indem der Angeklagte es unter bewusster Ausnutzung der Arg- und Wehrlosigkeit und in billigender Inkaufnahme der Tötung der Nebenklägerin, geschehen ließ, dass diese sich in dem mit Gas gefüllten Wohnzimmer eine Zigarette anzündete und hierdurch eine Explosion auslöste, hat er sich weiter wegen versuchten Mordes durch Unterlassen in Form heimtückischer Begehungsweise zum Nachteil der Nebenklägerin gemäß §§ 211 Abs.2 5. Variante, 13, 22, 23 StGB schuldig gemacht.
82Die Nebenklägerin versah sich ebenfalls keines Angriffs auf ihr Leben. Sie betrat die Wohnung des Angeklagten in Unkenntnis dessen, dass dieser zuvor über 10 bis 15 Minuten lang hat Gas ausströmen lassen. Den Geruch, den sie bei ihrem Eintreffen wahrgenommen hat, hat sie nicht als Gasgeruch identifiziert. Der Angeklagte hat sie nicht hierauf hingewiesen oder sie gewarnt. In Unkenntnis der Gefahrensituation hat sie sich eine Zigarette angezündet, was unmittelbar die Explosion herbeiführte, ohne dass sie noch relevante Abwehrmaßnahmen hätte ergreifen können.
83Die Arg- und Wehrlosigkeit der Nebenklägerin hat der Angeklagte nach seinem Tatplan auch ausnutzen wollen. Dieses setzt nicht ein längeres Überlegen oder ein planvolles Vorgehen voraus. Vielmehr genügt es, wenn der Täter einer raschen Eingebung folgend, die für ihn günstige Situation erfasst und sich zunutze macht. Wie im Rahmen der Beweiswürdigung ausgeführt, handelte der Angeklagte zur Überzeugung der Kammer bewusst und in Kenntnis der äußeren Tatumstände. Die Arglosigkeit der Nebenklägerin war ihm nach dem Vorhergesagten spätestens auf ihre Nachfrage hinreichend bewusst. Ihm war klar, dass durch die fehlende Verteidigungsmöglichkeit der Nebenklägerin sein Plan erleichtert werden würde. Wie unter II. festgestellt war sich der Angeklagte bewusst, dass sein Handeln zu tödlichen Verletzungen der Nebenklägerin führen konnte und nahm diese Möglichkeit billigend in Kauf.
84Indem der Angeklagte es geschehen ließ, dass die Nebenklägerin sich eine Zigarette anzündete, hat er zur Tatbestandsverwirklichung unmittelbar angesetzt. Der persönliche Strafaufhebungsgrund des § 24 Abs.1 StGB kommt dem Angeklagten nicht zugute. Mit der Explosion, die nicht zur Tötung der Nebenklägerin führte, war der Versuch fehlgeschlagen, ein strafbefreiender Rücktritt vom Versuch war nicht mehr möglich. Dem Angeklagten war es nach der Explosion unmöglich, in unmittelbarem Fortgang des Geschehens den Erfolg auf die vorgesehene Weise noch herbeizuführen.
853.
86Der Angeklagte hat sich ferner einer gefährlichen Körperverletzung durch Unterlassen zum Nachteil der Nebenklägerin mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung gemäß §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 5, 13 StGB schuldig gemacht.
874.
88Der Angeklagte hat sich weiter des Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion durch Unterlassen schuldig gemacht, wobei er durch die Tat eine schwere Gesundheitsschädigung und den Tod eines anderen Menschen mindestens leichtfertig verursacht hat (§§ 308 Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 3, 13 StGB). Die Nebenklägerin erlitt durch die Gasexplosion schwere Gesundheitsschädigungen. Sie erlitt Verbrennungen größeren Ausmaßes und durch ein Inhalationstrauma eine lebensgefährliche Lungenschädigung. Was den Tod seines Mitbewohners J1 betrifft, verursachte der Angeklagte diesen nicht lediglich leichtfertig, sondern vorsätzlich.
895.
90Der Angeklagte handelte rechtswidrig und schuldhaft. Wie die Feststellungen zu II. ergeben haben, war weder die Einsichts- noch die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei der Tat aufgehoben oder erheblich beeinträchtigt.
91Die Taten stehen zueinander in Tateinheit (§ 52 StGB).
92V.
93Hinsichtlich der Strafzumessung hat die Kammer sich von folgenden Erwägungen leiten lassen:
94Nach § 52 Abs.2 StGB war die Strafe nach dem Gesetz zu bestimmen, das die schwerste Strafe androht. Dementsprechend ist der Strafrahmen des Mordes zugrunde zu legen, der eine
95lebenslange Freiheitsstrafe
96vorsieht.
97Von einer Strafmilderung gemäß §§ 13 Abs.2, 49 Abs.1 StGB hat die Kammer abgesehen. Für das unechte Unterlassungsdelikt eröffnet § 13 Abs.2 StGB die Möglichkeit der Strafmilderung, da das Unterlassen der Erfolgsabwendung oft weniger schwer wiegt als die aktive Tatbestandsverwirklichung. Bei der Entscheidung über die Strafrahmenverschiebung kommt es auf eine wertende Gesamtwürdigung aller wesentlichen Gesichtspunkte an. Dabei sind vor allem diejenigen Momente zu berücksichtigen, die etwas darüber sagen, ob das Unterlassen im Verhältnis zur entsprechenden Begehungstat weniger schwer wiegt oder nicht. Dabei kommt besondere Bedeutung der Frage zu, ob die gebotene Handlung von dem Unterlassungstäter mehr verlangt als den normalen Einsatz rechtstreuen Willens (BGH 16.10.1997 NStZ 1998, 245; 01.04.1987 StV 1987, 527). Die Prüfung ist jedoch nicht auf unterlassungsbezogene Kriterien beschränkt. Es bedarf einer umfassenden Abwägung auch sonstiger strafzumessungserheblicher Umstände, die nicht den jeweiligen Milderungsgrund selbst betreffen (BGH 29.07.1998 in NJW 1998, 3068f.).
98Bei einer Gesamtbetrachtung weicht die vorliegende Tat nicht entscheidend von der ab, für die der Regelstrafrahmen gedacht ist. Das Unterlassen des Angeklagten im konkreten Fall, die Nebenklägerin zu warnen und sie am Anzünden der Zigarette zu hindern, wiegt nach Auffassung der Kammer allenfalls geringfügig leichter als das aktive Tun. Die gebotene Handlung forderte nicht mehr als den normalen Einsatz rechtstreuen Willens.
99Bei der Gesamtwürdigung hat die Kammer nicht verkannt, dass der Angeklagte sich in einer sehr verzweifelten Verfassung befand. Die Beziehung zur Nebenklägerin – seine erste große Liebe – drohte endgültig zu zerbrechen. Zu berücksichtigen war auch, dass der Angeklagte nicht vorbestraft ist. Er hat die Tat in weiten Teilen gestanden und sich bei den Opfern und Hinterbliebenen entschuldigt. Der Angeklagte wurde auch selbst durch die Explosion erheblich verletzt. Die Hauptverhandlung hat gezeigt, dass der Angeklagte sein Handeln bereut und auch selbst unter den Folgen seines Handelns leidet.
100Maßgebliches Gewicht bei der Gesamtwürdigung ist aber dem erheblichen Ausmaß der Folgen der Tat beizumessen. Die Nebenklägerin leidet trotz des zwischenzeitlichen Wiederauflebens ihrer Beziehung zu dem Angeklagten auch noch heute unter körperlichen und auch psychischen Beeinträchtigungen. Das Haus T1 musste vollständig abgerissen werden. Alleine der Gebäudeschaden beläuft sich auf 1,3 Million Euro. Der Angeklagte hat sich durch sein Unterlassen tateinheitlich mehrerer Verbrechen zum Nachteil mehrerer Geschädigter schuldig gemacht.
101Bei den vorgenannten Umständen handelt es sich um solch gravierende straferhöhende Umstände, dass sie die sich aus den Milderungsgründen ergebende Schuldminderung ausgleichen.
102Es liegen vor diesem Hintergrund auch keine außergewöhnlichen Umstände vor, die trotz Vorliegens von Heimtücke zur Abweichung in der Rechtsfolge Anlass geben könnten.
103VI.
104Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 465 Abs. 1, 472 Abs. 1, 473 Abs. 1 StPO.