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Es stellt einen außergewöhnlichen Umstand nach Artikel 5 Absatz 3 der Fluggastrechte-Verordnung dar, wenn ein Inlandsflug annulliert wird, um einen späteren Auslandsflug mit schlechteren Umbuchungsmöglichkeiten für die Fluggäste desselben Flugzeugs am selben Betriebstag noch durchführen zu können. Es liegt eine rechtliche Zwangslage für die Annullierung vor, weil das Luftfahrtunternehmen im Prozess auf Ausgleichszahlungen wegen des andernfalls zu annulliernden späteren Auslandsflugs sich nicht im Rahmen von Artikel 5 Absatz 3 der Fluggastrechte-Verordnung entlasten könnte, weil dort die Annullierung des vorherigen Inlandsflugs desselben Flugzeugs eine zumutbare Maßnahme darstellen würde.
In dem Rechtsstreit
hat das Amtsgericht Düsseldorf
auf die mündliche Verhandlung vom 24.09.2024
durch den Richter am Amtsgericht T.
für Recht erkannt:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden der klagenden Partei auferlegt.
Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Klägerin hat das Gericht gestattet, die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Zwangsvollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand:
2Die Fluggäste N. und B. buchten bei der Beklagten den Flug N01 am 12.06.2023 von Stuttgart nach Hamburg. Der Flug wurde von der Beklagten kurzfristig annullierte. Unter Verweis auf eine Abtretung forderte die Klägerin die Beklagte auf, Ausgleichszahlungen nach der Fluggastrechte-Verordnung bis zum 03.10.2023 zu zahlen.
3Die Klägerin behauptet,
4die Fluggäste hätten ihr ihre Ansprüche nach der Fluggastrechte-Verordnung wegen der Annullierung des vorgenannten Flugs mit schriftlichen Erklärungen vom 13.08.2023 bzw. vom 29.08.2023 (Anlagen zur Klageschrift) abgetreten.
5Die Klägerin beantragt:
6Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 500,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 04.10.2023 zu zahlen.
7Die Beklagte beantragt,
8die Klage abzuweisen.
9Die Beklagte ist der Ansicht,
10die Annullierung gehe auf außergewöhnliche Umstände gemäß Art. 5 Abs. 3 der Fluggastrechte-Verordnung zurück, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn die Beklagte alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen hätte. Hierzu behauptet sie, zur Flugzeit sei der Luftraum wegen des Militärmanövers "Air Defender" Einschränkungen unterworfen gewesen, zudem habe es Personaleinschränkungen bei der Flugsicherung gegeben. Der Vor-Vorflug von Mailand nach Hamburg habe sich dadurch erheblich verspätet. Man habe den Umlauf Hamburg - Stuttgart und zurück annullieren müssen, um nachfolgend den mit derselben Maschine vorgesehenen Flug nach Kos und zurück noch vor Eintritt des Nachtflugverbots durchführen zu können. Es habe im Gesamtinteresse der Passagiere gelegen, den leichter umbuchbaren und durch andere Verkehrsmittel ersetzbaren Inlandsflug anstelle den Auslandsflug zu annullieren.
11Das Gericht hat im Rahmen der mündlichen Verhandlung den Zeugen X., einen senior flight manager der Beklagten, zu den tatsächlichen Grundlagen der außergewöhnlichen Umstände vernommen.
12Entscheidungsgründe:
13Die zulässige Klage ist unbegründet.
14Der Klägerin steht ein Anspruch aus Art. 7 Abs. 1 S.1 Buchstabe a in Verbindung mit Art. 5 Abs. 1 Buchstabe c und Art. 2 Buchstabe b der Fluggastrechte-Verordnung aus abgetretenem Recht in Verbindung mit § 398 BGB wegen der unstreitigen Annullierung des Flugs dem Grunde nach zu. Nachdem die Klägerin persönliche Erklärungen der Fluggäste nebst Ausweiskopie mit Schriftsatz vom 14.03.2024 vorgelegt hat, genügt das einfache Bestreiten der Abtretung durch die Beklagte nicht mehr.
15Die Beklagte hat jedoch beweisen können, dass die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände gemäß Art. 5 Abs. 3 der Fluggastrechte-Verordnung zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn die Beklagte alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen hätte. Das Gericht ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme durch die Bekundungen des Zeugen X. davon überzeugt, dass bei Durchführung des Umlaufs Hamburg - Stuttgart und zurück der Umlauf Hamburg - Kos und zurück nicht mehr hätte durchgeführt werden können. Die Verspätung der Vorleistung Mailand - Hamburg (Ankunft 9:48 Uhr UTC [alle folgenden Angaben in UTC] anstatt geplant 8:10 Uhr) beruhte gemäß der Sloteinträge von Eurocontrol auf Personaleinschränkungen bei der Flugsicherung und damit einem von außen auf die Beklagte einwirkenden außergewöhnlichen Umstand. Aus den Angaben des Zeugen X. über voraussichtliche Flugzeiten und Bodenzeiten ergibt sich, dass bei Durchführung des Umlaufs Hamburg - Stuttgart und zurück die Rückkehr von Kos bei idealem Verlauf ohne weitere Verzögerungen in Hamburg um 21:55 Uhr erfolgt wäre, das Nachtflugverbot beginnt um 22:00 Uhr. Der Zeuge X. hat überzeugend dargelegt, dass wegen der an diesem Tag bestehenden Personaleinschränkungen bei der Flugsicherung, der beschränkten Kapazitäten durch die Militärübung und ferner einer wegen Bauarbeiten gesperrten Landebahn in Hamburg mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit dieser Idealverlauf nicht erreicht werden konnte, sodass bei Durchführung des streitgegenständlichen Flugs der Rückflug Kos - Hamburg nicht mehr möglich gewesen wäre. Er hat weiter nachvollziehbar bekundet, dass wegen der zu erwartenden Einschränkungen durch die Militärübung Reserven besonders belastet waren und es für die Gesamtheit der Fluggäste daher wesentlich war, dass die Flugzeuge zu Beginn des Betriebstags sich am umlauftechnisch geplanten Standort befinden. Das für den streitgegenständlichen Flug eingesetzte Flugzeug war bereits am nächsten Morgen erneut verplant für einen Flug nach London und zurück, startend um 5:20 Uhr, um sodann unmittelbar im Anschluss nach Rom und zurück zu fliegen, somit Auslandsflüge, die durch bodengebundene Verkehrsmittel nicht vergleichbar ersetzbar sind, durchzuführen.
16Aus den Ausführungen des Zeugen folgt insgesamt, dass es sich um eine an den Interessen der Gesamtheit der Fluggäste ausgerichtete Entscheidung handelt, den Umlauf Hamburg - Stuttgart und zurück ausfallen zu lassen. Eine Umbuchung auf den nächsten Direktflug N02 um 14:15 Uhr hat stattgefunden, zudem wurde den Fluggästen die Möglichkeit angeboten, ersatzweise einen Bahnvoucher für eine Bahnreise einzusetzen. Dass das Angebot alternativer Beförderungen bei einem in den Abendstunden um 16:45 Uhr geplanten Rückflug Kos - Hamburg wesentlich komplizierter umzusetzen ist, ergibt sich schon daraus, dass keine bodengebundenen alternativen Verkehrsmittel bestehen und das Nachtflugverbot "im Nacken sitzt".
17Nach hier vertretener Auffassung überzeugt es nicht, die Anwendung von Art. 5 Abs. 3 der Fluggastrechte-Verordnung mit der Begründung abzulehnen, es fehle bei der Annullierung am Zwangselement, weil es sich um eine freie Entscheidung der Beklagten gehandelt habe (so LG Düsseldorf, Beschl. v. 02.05.2022, 22 S 514/21 lt. Zitat der Klägerseite). Hätte die Beklagten den hiesigen Flug durchgeführt und im Gegenzug den Flug Kos - Hamburg wegen Eintritt des Nachtverbots ausfallen lassen und würde dann wegen dieser Annullierung ein Anspruch auf Ausgleichszahlung geltend gemacht, wäre im Rahmen der Voraussetzungen von Art. 5 Abs. 3 der Fluggastrechte-Verordnung bei den zumutbaren Maßnahmen zu prüfen gewesen, auf welche Art und Weise die Beklagte die Annullierung durch zumutbare Umorganisation hätte vermeiden können. Die Beklagte hätte sich im Ergebnis nicht entlasten können, weil es ihr zumutbar gewesen wäre, den Umlauf Hamburg - Stuttgart und zurück zu annullieren und dafür den Umlauf Hamburg - Kos und zurück durchzuführen, weil sich aufdrängt, dass die Auswirkungen auf die Fluggäste bei Annullierung des um die Mittagszeit stattfindenden Inlandsflugs weit geringer sind als bei der Annullierung eines abendlichen Rückflugs aus dem Ausland. Folge dieser Überlegung muss dann aber sein, dass für die Annullierung des Inlandsflugs die Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 3 der Fluggastrechte-Verordnung vorgelegen haben. Zwar war die Beklagte nicht technisch gezwungen, den hiesigen Flug zu annullieren und handelte insoweit aus freien Stücken, rechtlich gilt dies aber nicht. Unter Berücksichtigung der Wertungen der Fluggastrechte-Verordnung, insbesondere der erforderlichen zumutbaren Maßnahmen nach Art. 5 Abs. 3 der Fluggastrechte-Verordnung, war die Beklagte rechtlich gehalten, den hiesigen Flug zu annullieren, um den Flug nach Kos und zurück durchführen zu können. Insoweit lag eine rechtliche Zwangslage vor, die die Annullierung auch unter Berücksichtigung aller zumutbaren Maßnahmen unausweichlich machte.
18Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, die zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.
19Die Berufung ist nach § 511 Abs. 4 ZPO wegen Divergenz und wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zuzulassen.
20Der Streitwert wird auf 500,00 EUR festgesetzt.
21Rechtsbehelfsbelehrung:
22Gegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Berufung für jeden zulässig, der durch dieses Urteil in seinen Rechten benachteiligt ist,
231. wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600,00 EUR übersteigt oder
242. wenn die Berufung in dem Urteil durch das Amtsgericht zugelassen worden ist.
25Die Berufung muss innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung dieses Urteils bei dem Landgericht Düsseldorf, Werdener Straße 1, 40227 Düsseldorf, eingegangen sein. Die Berufungsschrift muss die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird, sowie die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde, enthalten.
26Die Berufung ist, sofern nicht bereits in der Berufungsschrift erfolgt, binnen zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils gegenüber dem Landgericht Düsseldorf zu begründen.
27Die Parteien müssen sich vor dem Landgericht Düsseldorf durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen, insbesondere müssen die Berufungs- und die Berufungsbegründungsschrift von einem solchen unterzeichnet sein.
28Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.
29Hinweis zum elektronischen Rechtsverkehr:
30Die Einlegung ist auch durch Übertragung eines elektronischen Dokuments an die elektronische Poststelle des Gerichts möglich. Das elektronische Dokument muss für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet und mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg gemäß § 130a ZPO nach näherer Maßgabe der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (BGBl. 2017 I, S. 3803) eingereicht werden. Auf die Pflicht zur elektronischen Einreichung durch professionelle Einreicher/innen ab dem 01.01.2022 durch das Gesetz zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten vom 10. Oktober 2013, das Gesetz zur Einführung der elektronischen Akte in der Justiz und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs vom 5. Juli 2017 und das Gesetz zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 05.10.2021 wird hingewiesen.
31Weitere Informationen erhalten Sie auf der Internetseite www.justiz.de.
32T.