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Zum Beweis, dass bei einer wetterbedingten allgemeinen Reduzierung der Flugrate eine Annullierung eines einzelnen Flugs auf einen außergewöhnlichen Umstand gemäß Art. 5 Abs. 3 der Fluggastrechte-Verordnung zurückgeht, muss das Luftfahrtunternehmen im Rahmen der ihm zumutbaren Maßnahmen zur Reduzierung der Auswirkungen beweisen, dass unter Berücksichtigung der Interessen der Gesamtheit der Fluggäste die Annullierung gerade dieses Flugs für die betroffenen Fluggäste hinnehmbar war. Ihm steht dabei zwar ein Beurteilungsspielraum zu (BGH NJW 2013, 374 Rn. 33), dabei muss aber nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme das Gericht in die Lage versetzt sein eigenständig zu prüfen, ob das Luftfahrtunternehmen angemessene Beurteilungsmaßstäbe angelegt hat. Das Luftfahrtunternehmen bleibt daher beweisfällig, wenn nach der Vernehmung seines Mitarbeiters als Zeuge es offen bleibt, welche weiteren Flüge vom selben Flughafen an dem jeweiligen Tag geplant waren und welche Kriterien im Einzelfall an die Annullierungsentscheidung angelegt worden sind, ein allgemein gehaltener Verweis auf üblicherweise angewandte Kriterien und eine softwaregestützte Auswahl genügt nicht.
In dem Rechtsstreit
hat das Amtsgericht Düsseldorf
auf die mündliche Verhandlung vom 25.03.2024
durch den Richter am Amtsgericht E.
für Recht erkannt:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 600,00 EUR (in Worten: sechshundert Euro) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 07. Juli 2023 zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.
Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagten hat das Gericht gestattet, die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Zwangsvollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand:
2Die Klägerin nimmt die Beklagte aus abgetretenem Recht des Fluggasts Q. in Anspruch. Der Fluggast buchte eine aus mehreren Flügen bestehende Flugreise bei der Beklagten, die am 28. Mai 2023 von Mexico City nach Düsseldorf mit Umstieg in Amsterdam erfolgen sollte. Der Flug von Mexico City nach Amsterdam erfolgte planmäßig mit Flug N01, der Anschlussflug N02 nach Düsseldorf wurde kurzfristig annulliert. Dem Fluggast wurde eine Ersatzbeförderung mit N03 angeboten, der Zielflughafen Düsseldorf wurde daher statt planmäßig um 17:40 Uhr erst um 22:25 Uhr erreicht.
3Mit Schreiben vom 29. Juni 2023 forderte die Klägerin die Beklagte auf, wegen der vorstehenden Annullierung Ausgleichszahlungen nach der Fluggastrechte-Verordnung zu erbringen.
4Die Klägerin beantragt:
5Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 600,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 7. Juli 2023 zu zahlen.
6Die Beklagte beantragt,
7die Klage abzuweisen.
8Die Beklagte ist der Ansicht,
9die Annullierung habe auf außergewöhnlichen Umständen nach Artikel 5 Absatz 3 der Fluggastrechte-Verordnung beruht, weswegen sie keine Ausgleichszahlung zu leisten habe. Hierzu behauptet sie, wetterbedingt sei die Abflugrate in Amsterdam reduziert worden, die Beklagte habe daher die Fluganzahl reduzieren müssen. Welchen Flug sie annuliere, liege in ihrem Ermessen. Bei der Ausübung ihres Ermessens seien die Kriterien gemäß Seite 12 und 13 der Klageerwiderung vom 4. Dezember 2023 entscheidungsleitend.
10Das Gericht hat mündlich verhandelt und Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin Z., einer Mitarbeiterin der Beklagten, zur Frage der tatsächlichen Grundlage der außergewöhnlichen Umstände.
11Entscheidungsgründe:
12Die zulässige Klage ist begründet.
13Der Anspruch folgt aus Artikel 7 Absatz 1 Satz 1 Buchstabe c in Verbindung mit Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe c und Artikel 2 Buchstabe b der Fluggastrechte-Verordnung in Höhe von 600 Euro aus abgetretenem Recht des Fluggasts in Verbindung mit § 398 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, weil der Flug N02 kurzfristig annulliert worden ist. Die Beklagte war unstreitig ausführendes Luftfahrtunternehmen.
14Die Beklagte hat nicht darlegen und beweisen können, dass die einer Annullierung gleichstehende Verspätung gemäß Artikel 5 Absatz 3 der Fluggastrechte-Verordnung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Die Sorgfalt, die von dem Luftfahrtunternehmen verlangt wird, damit es sich von seiner Verpflichtung zu Ausgleichszahlungen befreien kann, setzt voraus, dass es alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel einsetzt, um eine zumutbare, zufriedenstellende und frühestmögliche Beförderung sicherzustellen. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht nicht fest, dass die Beklagte diesen Verpflichtungen in ausreichendem Maß nachgekommen ist. Dabei schadet es nicht, dass die Zeugin Z., eine Mitarbeiterin der Beklagten, keine persönliche Wahrnehmung hat, sondern lediglich wiedergibt, was sie durch Recherche in Computersystemen der Beklagten in Erfahrung gebracht hat. Es besteht kein Grundsatz, dass ein tauglicher Zeuge unmittelbare Wahrnehmung der Ereignisse haben muss. Es kommt jede Art der Wahrnehmung in Betracht, so dass auch der Zeuge vom Hörensagen ein taugliches Beweismittel ist (MüKoZPO/Prütting, 6. Aufl. 2020, ZPO § 284 Rn. 54). Gerade in Fällen, in denen aus Datenbanken zitiert wird, die besonderen gesetzlichen Anforderungen unterliegen und gegen nachträgliche Veränderung geschützt sind, wie dies bei Aufzeichnungen im Flugverkehr der Fall ist, kann einer solchen Zeugenaussage im Einzelfall auch ohne unmittelbare Wahrnehmung ein hoher Beweiswert zukommen.
15Indes muss aber die Zeugenaussage den Sachverhalt in einem Umfang schildern, dass das Gericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidungen der Beklagten hinsichtlich der Annullierung einer rechtlichen Bewertung unterziehen zu können, ob alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden sind. Das ist hier nicht der Fall, denn nach den Bekundungen der Zeugin gab es keine Regulierung der Flugsicherung, die spezifisch den streitgegenständlichen Flug betraf. Vielmehr kam es wegen starker Winde zu Beeinträchtigungen, sodass die Abflugrate reduziert werden musste, dabei oblag es der Beklagten selbst zu entscheiden, welche Flüge sie annulliert. Die Zeugenaussage lässt nicht hinreichend erkennen, weshalb im konkreten Einzelfall gerade der streitgegenständliche Flug annulliert worden ist. Die Zeugin stellt lediglich allgemein dar, welche Kriterien bei einer Auswahlentscheidung zur Annullierung eine Rolle spielen - nämlich Anzahl der Buchungen, Umbuchungsmöglichkeiten, Anzahl Kinder oder schwerbehinderter Personen unter den Fluggästen und verweist darauf, dass ein digitales Tool im Rahmen der Entscheidungsfindung eingesetzt werde. Die Zeugin hat jedoch nicht angeben können, welche weiteren Flüge der Beklagten an diesem Tag von Amsterdam aus geflogen sind und was bezogen auf die konkrete Situation an diesem Tag die Kriterien dafür waren, dass gerade der hier streitgegenständliche Flug annulliert worden ist. Damit hat das Gericht keine Möglichkeit, eigenständig nachzuvollziehen, ob die getroffene Auswahlentscheidung der Beklagten unter Berücksichtigung der Interessen der Gesamtheit der Fluggäste vertretbar ist oder nicht. Entgegen der Ansicht der Beklagten ergibt sich aus dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 21. August 2012, X ZR 138/11, nicht, dass dem Luftfahrtunternehmen ein gerichtlich nicht nachprüfbares Ermessen bei der Auswahlentscheidung zusteht. Vielmehr führt der Bundesgerichtshof lediglich aus, dass dem Luftfahrtunternehmen der erforderliche Spielraum bei der Beurteilung der zweckmäßigen Maßnahmen zuzubilligen ist (BGH NJW 2013, 374 Rn. 33). Um beurteilen zu können, ob die Entscheidung des Luftfahrtunternehmens innerhalb dieses Spielraums liegt, muss nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme aber feststehen, welche alternativen Annullierungsmöglichkeiten im konkreten Fall bestanden und auf Basis welcher tatsächlichen Grundlage im Einzelfall die Entscheidung getroffen worden ist. Bleiben diese tatsächlichen Grundlagen, im Rahmen derer dem Luftfahrtunternehmen ein Auswahlermessen zuzubilligen ist, nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme weiter unklar, geht dies zulasten des Luftfahrtunternehmens und es bleibt hinsichtlich des Vorliegens außergewöhnlicher Umstände bezüglich der Annullierung gerade des streitgegenständlichen Flugs beweisfällig.
16Die Entscheidung zu den Zinsen folgt aus § 280 Absatz 1 in Verbindung mit § 286 Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs.
17Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 der Zivilprozessordnung, die zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 708 Nr. 11, § 711 der Zivilprozessordnung.
18Die Berufung war nach § 511 Abs. 4 der Zivilprozessordnung zuzulassen, da die Frage, ob bei einer Reduzierung der Abflugrate das Luftfahrtunternehmen auf den konkreten Fall bezogen darzulegen und zu beweisen hat, welche alternativen Annullierungsmöglichkeiten bestanden und warum gerade ein bestimmter Flug annulliert worden ist, von grundsätzlicher Bedeutung ist.
19Der Streitwert wird auf 600,00 EUR festgesetzt.
20Rechtsbehelfsbelehrung:
21Gegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Berufung für jeden zulässig, der durch dieses Urteil in seinen Rechten benachteiligt ist,
221. wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600,00 EUR übersteigt oder
232. wenn die Berufung in dem Urteil durch das Amtsgericht zugelassen worden ist.
24Die Berufung muss innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung dieses Urteils bei dem Landgericht Düsseldorf, Werdener Straße 1, 40227 Düsseldorf, eingegangen sein. Die Berufungsschrift muss die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird, sowie die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde, enthalten.
25Die Berufung ist, sofern nicht bereits in der Berufungsschrift erfolgt, binnen zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils gegenüber dem Landgericht Düsseldorf zu begründen.
26Die Parteien müssen sich vor dem Landgericht Düsseldorf durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen, insbesondere müssen die Berufungs- und die Berufungsbegründungsschrift von einem solchen unterzeichnet sein.
27Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.
28E.