Seite drucken
Entscheidung als PDF runterladen
Ansprüche wegen Flugverspätung, die auch auf die Fluggastrechte-Verordnung gestützt werden können, sind gegenüber solchen, die sich nur verschuldensabhängig aus nationalem Recht ergeben, derart materiell-rechtlich verselbstständigt, dass bei Anrechnung von Teilzahlungen mit Tilgungsbestimmung § 366 Abs. 1 BGB analog anzuwenden ist.
In dem Rechtsstreit
hat das Amtsgericht Düsseldorf
im vereinfachten Verfahren gemäß § 495a ZPO ohne mündliche Verhandlung am 04.05.2023
durch den Richter am Amtsgericht Q.
für Recht erkannt:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerinnen über das Teil-Anerkenntnisurteil vom 02.02.2023 hinausgehend je 41,64 EUR (in Worten: einundvierzig Euro und vierundsechzig Cent) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 15.07.2022 zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass der Rechtsstreit im Übrigen erledigt ist.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerinnen zu je 3% und die Beklagte zu 94%.
Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand (abgekürzt):
2Die Klägerinnen haben die Beklagte mit Klageschrift vom 30.09.2022 in Höhe von je 514,74 Euro zuzüglich Zinsen in Anspruch genommen wegen Annullierung des Flugs N01 am 18.06.2022 von Volos nach Düsseldorf. Die Klägerin hat den Anspruch in Höhe von 400 Euro je Klägerin (Ausgleichszahlung nach Art. 7 der Fluggastrechte-Verordnung) mit Schriftsatz vom 02.02.2023 anerkannt. Am selben Tag ist entsprechendes Teil-Anerkenntnisurteil ergangen und hinsichtlich der verbleibenden Klageforderung in das vereinfachte Verfahren nach § 495a ZPO übergegangen worden.
3Die verbleibende Forderung in Höhe von zunächst noch 114,74 Euro pro Fluggast ergibt sich aus folgendem Sachverhalt:
4Die Klägerinnen organisierten ihre ersatzweise Rückreise selbst und konnten lediglich einen Flug zwei Tage früher am 16.06.2022 ab Thessaloniki finden, sodass sie ihre Reise vorzeitig abbrachen. Für die zwei nicht genutzten Übernachtungen sind Hotelkosten in Höhe von 87,65 Euro angefallen, für die Umbuchung der Fähre fielen 24 Euro an und für Bus- und Taxikosten nach Thessaloniki 59,29 Euro. Weiter haben die Klägerinnen Verpflegungskosten in Höhe von 58,54 Euro geltend gemacht. Sämtliche angefallene Kosten haben sie hälftig auf die beiden Klägerinnen aufgeteilt.
5Die Beklagte hat während des laufenden Prozesses am 31.10.2022 87,65 Euro an die Klägerinnen gezahlt und diesen Betrag als Erstattung der Kosten des nicht in Anspruch genommenen Hotels bezeichnet. Mit Schriftsatz vom 06.03.2023 hat die Beklagte nunmehr erklärt, sie sei davon ausgegangen, dass es sich um wegen der Annullierung des Flugs zusätzlich angefallene Hotelkosten handele. Da ein Anspruch für frustrierte Aufwendungen nicht genutzter Übernachtungen nicht bestehe, ändere sie ihre Tilgungsbestimmung dahingehend, dass die geleisteten 87,65 Euro als Zahlung auf die Bus- und Taxikosten zu verstehen seien.
6Die Klägerinnen erachten diese Änderung der Tilgungsbestimmung für nicht zulässig und erklären den Rechtsstreit in Höhe von 87,65 Euro für erledigt und beantragen im Übrigen, die Beklagte zur Zahlung von Fährkosten in Höhe von 24 Euro und Bus- und Taxikosten in Höhe von 59,29 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz per anno seit dem 15.07.2022 zu verurteilen. Hinsichtlich von 58,54 Euro Verpflegungskosten haben die Klägerinnen die Klagerücknahme erklärt.
7Die Beklagte hat sich der Teilerledigungserklärung nicht angeschlossen und beantragt, die verbleibende Klage abzuweisen.
8Entscheidungsgründe:
9Die zulässige Klage ist begründet.
10Die Ansprüche auf Erstattung der Fähr-, Bus- und Taxikosten zum Flughafen stehen den Klägerinnen sowohl aus Art. 8 Abs. 1 Buchstabe b der Fluggastrechte-Verordnung wegen fehlender Bereitstellung einer anderweitigen Beförderung durch die Beklagte als auch wegen Schlechtleistung des Luftbeförderungsvertrags §§ 631, 634 Nr. 2, 637 Abs. 1, Abs. 2 S.2 BGB in geltend gemachter Höhe von 41,64 Euro pro Fluggast zu. Erbringt das Luftfahrtunternehmen die in den Artikeln 8 und 9 der Fluggastrechte-Verordnung genannten Leistungen nicht, so folgt unmittelbar aus diesen Normen ein Schadenersatzanspruch auf Erstattung hieraus resultierender eigener Aufwendungen (EuGH NJW 2011, 3776 Rn. 44). Dies gilt auch für die Fährkosten, denn die Klägerinnen machen die Mehrkosten der Umbuchung auf einen anderen Tag geltend, nicht die ohnehin angefallenen Fährkosten. Dass der Anspruch hälftig auf die beiden Fluggäste aufgeteilt werden soll, ist im letzten Klageantrag vom 21.03.2023 nicht ausdrücklich erklärt, ergibt sich aber aus Auslegung im Zusammenhang mit den früheren Anträgen, da keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass nunmehr - unzutreffend - eine Gesamtgläubigerschaft angenommen würde.
11Der Anspruch ist nicht durch die Zahlung von 87,65 Euro gemäß § 362 Abs. 1 BGB erfüllt, denn die Beklagte muss sich an ihrer Tilgungsbestimmung, dass durch diesen Betrag die frustrierten Aufwendungen für die Hotelübernachtungen erstattet werden sollen, analog § 366 Abs. 1 BGB festhalten lassen. Direkt ist die Norm nicht anwendbar, weil der Wortlaut verlangt, dass der Gläubiger aus mehreren Schuldverhältnissen zu gleichartigen Leistungen verpflichtet ist. Es liegen jedoch die Voraussetzungen der analogen Anwendung wegen vergleichbarer Interessenlage bei bestehender planwidriger Regelungslücke vor. Eine vergleichbare Interessenlage ist gegeben, wenn eine einheitliche Forderung prozessual durch Teilklage oder materiell-rechtlich verselbstständigt ist. Eine materiell-rechtliche Verselbstständigung liegt vor, wenn ein Forderungsteil weitestgehende rechtliche Eigenständigkeiten aufweist, andernfalls handelt es sich um unselbstständige Rechnungspositionen (BGH NZM 2018, 444 Rn. 41, beck-online). Zwar lassen sich sämtliche Forderungspositionen auch aus dem Recht der werkvertraglichen Gewährleistung herleiten, jedoch ergibt sich die rechtliche Selbstständigkeit der Ansprüche auf Erstattung der Fahrtkosten daraus, dass nur diese auch aus Art. 8 Abs. 1 Buchstabe b der Fluggastrechte-Verordnung begründet sind. Der Anspruch auf Erstattung der frustrierten Hotelaufwendungen ist hingegen nur aus nationalem Recht gemäß §§ 631, 634 Nr. 4, § 284 BGB begründet, nicht hingegen aus der Fluggastrechte-Verordnung. Art. 9 Abs. 1 Buchstabe b der Fluggastrechte-Verordnung betrifft nur Kosten von Hotelübernachtungen, die wegen der Annullierung des Flugs notwendig werden, auch aus anderen Vorschriften der Fluggastrechte-Verordnung ergibt sich kein Anspruch auf frustrierte Aufwendungen bei vorzeitiger Abreise. Die materiell-rechtliche Verselbstständigung folgt daraus, dass der allein aus nationalem Recht bestehende Anspruch verschuldensabhängig ist, weil Aufwendungsersatz aus § 284 BGB nur anstelle des Schadenersatzes statt der Leistung verlangt werden kann, sodass der Schuldner weiter einwenden kann, die Pflichtverletzung nicht nach § 280 Abs. 1 S.2 BGB zu vertreten zu haben, während der Anspruchsteil, der auch auf Art. 9 Abs. 1 Buchstabe b der Fluggastrechte-Verordnung beruht, verschuldensunabhängig besteht und auch außergewöhnliche Umstände nach Art. 5 Abs. 3 der Fluggastrechte-Verordnung dem Anspruch nicht entgegen stehen, weil Art. 5 Abs. 3 der Fluggastrechte-Verordnung sich nur auf Ausgleichszahlungen nach deren Artikel 7 bezieht. Weiter folgt die rechtliche Verselbstständigung daraus, dass die Ausgleichszahlung nach Art. 7 der Fluggastrechte-Verordnung nach Art. 12 Abs. 1 S.2 der Fluggastrechte-Verordnung auf Ansprüche nach nationalem Recht anzurechnen ist, nicht hingegen auf andere Ansprüche aus der Verordnung selbst. Diese rechtlichen Besonderheiten führen zu einer vergleichbaren Interessenlage wie im von § 366 Abs. 1 BGB geregelten Fall mehrerer Schuldverhältnisse, weil der Gläubiger ein Interesse daran hat, sich auf die Angaben des Schuldners, auf welchen Teil er beabsichtigt zu leisten, bindend verlassen zu können.
12Eine Anfechtung der Tilgungsbestimmung gemäß § 143 Abs. 1 BGB ist nicht erfolgt, den allgemeinen Ausführungen zur Rechtslage im anwaltlichen Schriftsatz vom 06.03.2023 kann eine solche Erklärung nicht entnommen werden. Im Übrigen liegt kein Anfechtungsgrund, insbesondere kein Erklärungsirrtum nach § 119 Abs. 1 BGB vor, denn die Beklagte hat nicht geirrt. Die Beklagte gibt in ihrer Email vom 25.10.2022 an, dass sie die Kosten des nicht in Anspruch genommenen Hotels übernehmen werde. Sie ging demnach nicht irrtümlich davon aus, sie werde wegen einer aufgrund der Annullierung zusätzlich erfolgten Übernachtung in Anspruch genommen.
13Die einseitig gebliebene Erledigungserklärung der Klägerinnen ist als Klageänderung auf einen Feststellungsantrag auszulegen, dass die ursprünglich zulässige und begründete Klage nachträglich unzulässig oder unbegründet geworden ist. Dieser ist begründet, weil der Anspruch auf Erstattung der frustrierten Hotelaufwendungen aus §§ 631, 634 Nr. 4, § 284, §§ 280, 281 BGB zunächst bestand, insbesondere ist nichts zu einem fehlenden Vertretenmüssen nach § 280 Abs. 1 S.2 BGB vorgetragen. Der Anspruch war im Zeitpunkt der Zahlung der Beklagten noch nicht durch Anrechnung nach Art. 12 Abs. 1 S.2 der Fluggastrechte-Verordnung erloschen, weil eine Ausgleichszahlung nach deren Art. 7 noch nicht gezahlt war. Der Anspruch ist daher durch seine Erfüllung gemäß § 362 Abs. 1 in Verbindung mit § 366 Abs. 1 BGB nachträglich unbegründet geworden.
14Der Zinsanspruch folgt aus § 286 Abs. 1 in Verbindung mit § 288 Abs. 1 BGB, denn das Schreiben der Prozessbevollmächtigten vom 29.06.2022 stellt eine Mahnung dar, durch die die Beklagte nach Ablauf der Zahlungsfrist zum 14.07.2022 in Schuldnerverzug geraten ist.
15Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91, 92 ZPO in Verbindung mit § 269 Abs. 3 S.2 ZPO. Bei einer Teil-Klagerücknahme findet grundsätzlich die Mehrkostenmethode Anwendung, die Beklagte ist so zustellen als wenn die Klägerinnen die Zuvielforderung nicht erhoben hätten. Die Klägerinnen sind nicht pauschal mit einer Kostenquote wie bei einer Teilabweisung zu behandeln, weil hinsichtlich des zurückgenommenen Teils keine gemäß § 322 Abs. 1 ZPO materiell-rechtskräftige Entscheidung zulasten der Klägerinnen ergeht. Hier sind Mehrkosten angefallen, da ursprünglich 1029,48 Euro eingeklagt sind und ohne die Zuvielforderung in Höhe von 58,54 Euro die Streitwertgrenze von 1000 Euro unterschritten worden wäre. Die Mehrkostenmethode stellt aber eine Begünstigung der Klagerücknahme dar, sodass die Klägerinnen nicht schlechter gestellt werden dürfen als im Fall der Teilklagerücknahme. Angesichts der Geringfügigkeit der Zuvielforderung ist die Quotierung gegenüber der Mehrkostenmethode günstiger, sodass sich eine Kostenquote von je 3% zu 94% ergibt.
16Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 11, §§ 711, 713 ZPO.
17Der Streitwert wird auf zunächst bis 1500 EUR und ab dem 02.02.2023 auf bis 500 EUR festgesetzt.
18Rechtsbehelfsbelehrung:
19Gegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Berufung für jeden zulässig, der durch dieses Urteil in seinen Rechten benachteiligt ist,
201. wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600,00 EUR übersteigt oder
212. wenn die Berufung in dem Urteil durch das Amtsgericht zugelassen worden ist.
22Die Berufung muss innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung dieses Urteils bei dem Landgericht Düsseldorf, Werdener Straße 1, 40227 Düsseldorf, eingegangen sein. Die Berufungsschrift muss die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird, sowie die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde, enthalten.
23Die Berufung ist, sofern nicht bereits in der Berufungsschrift erfolgt, binnen zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils gegenüber dem Landgericht Düsseldorf zu begründen.
24Die Parteien müssen sich vor dem Landgericht Düsseldorf durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen, insbesondere müssen die Berufungs- und die Berufungsbegründungsschrift von einem solchen unterzeichnet sein.
25Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.
26Q.