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1.
Werden hinsichtlich desselben ärztlichen Rezepts mehrere Physiotherapie-Termine vereinbart, so handelt es sich um einen einheitlichen Behandlungsvertrag für alle Termine.
2.
Die Absage eines einzelnen Termins stellt regelmäßig keine Kündigung des gesamten Behandlungsvertrags dar; es sei denn, es wird deutlich, dass die Therapie insgesamt nicht mehr gewollt ist (vgl. BGH NJW 2022, 2269 Rn. 28).
3.
Bei einer Bestellpraxis mag eine Regelung, wonach Termine, die innerhalb einer Frist von weniger als 24 Stunden abgesagt werden, weiter zu vergüten sind, grundsätzlich AGB-rechtlich zulässig sein, wenn eindeutig und widerspruchsfrei erkennbar ist, dass Ausfallhonorar verlangt wird. Die Regelung greift nach § 305c Abs. 2 BGB wegen Unklarheit aber nicht, wenn die Formulierungen derart widersprüchlich sind, dass nicht erkennbar ist, ob Ausfallhonorar oder nach § 309 Nr. 5 Buchstabe b BGB unzulässiger Pauschalschadenersatz ohne Entlastungsmöglichkeit verlangt wird.
4.
Eine Regelung zu einer Verpflichtung, Termine innerhalb von 24 Stunden abzusagen, bedeutet wegen § 305c Abs. 2 BGB nicht, dass auch eine Kündigung des gesamten Behandlungsvertrags nach §§ 630b, 627 Abs. 1, 626 Abs. 1 BGB ebenfalls dieser Frist unterfällt, denn dies ist aus dem Wortlaut nicht eindeutig erkennbar.
5.
Hinweis: Die geprüfte AGB-Regelung lautet in Nummer 5 der AGB: "Der Patient ist verpflichtet, vereinbarte Termine, die er nicht wahrnehmen kann, mindestens 24 Stunden vorher abzusagen. Sagt der Patient einen Termin nicht rechtzeitig ab, ist er verpflichtet, für diesen Termin einen Schadensersatz in Höhe der mit der GKV vereinbarten Vergütung zu zahlen.“ Auf dem Terminszettel heißt es weiter: „Sollten Sie verhindert sein, sagen Sie Ihre Termine bitte mindestens 24 Stunden vorher ab. Andernfalls müssen wir Ihnen ausgefallene Termine privat in Rechnung stellen."
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Es wird angesichts der ergänzenden Ausführungen der Klägerseite im Schriftsatz vom 03.08.2023 darauf hingewiesen, dass sich die Rechtslage nach vorläufiger Bewertung wie folgt darstellt:
21)
3Die Klägerin kann aus dem Behandlungsvertrag in Verbindung mit § 630a Abs. 1 BGB nur für den Termin am 31.10.2022, den der Beklagten unangekündigt nicht wahr nahm, ein Honorar verlangen. Der Behandlungsvertrag ist, wie sich aus der Formulierung eingangs des Vertrags ergibt, einheitlich für alle Termine aufgrund der ärztlichen Verordnung geschlossen. Zwar wurde die vereinbarte Dienstleistung mangels Anwesenheit des Beklagten nicht erbracht, jedoch bleibt der Vergütungsanspruch nach § 630b BGB in Verbindung mit § 615 S.1 BGB erhalten, denn der Beklagte befand sich auch ohne Angebot in Annahmeverzug, weil für die vom Gläubiger vorzunehmende Handlung, hier das Erscheinen in der Praxis, gemäß § 296 S.1 BGB eine Leistungszeit kalendermäßig vereinbart ist. Ob bei einem Behandlungsvertrag die genannten Termine unverbindlich sind oder eine Vereinbarung nach § 296 S.1 BGB darstellen, ist vom jeweiligen Einzelfall unter Berücksichtigung des Empfängerhorizonts des Patienten abhängig (BGH NJW 2022, 2269 Rn. 28, beck-online). Bei einem individuell mit dem jeweiligen Patienten geschlossenen Physiotherapievertrag über eine Folge von Terminen ist auch aus Patientensicht erkennbar, dass es sich nicht um mehrfach vergebene Termine mit Wartezeit handelt, sondern Zeitfenster für den jeweiligen Patienten reserviert werden, sodass eine verbindliche Bestimmung gegeben ist.
4Eine vorherige Kündigung des Behandlungsvertrags nach § 627 Abs. 1 BGB ist nicht erfolgt. Eine Absage eines einzelnen Termins, wie hier des vorherigen Termins am 27.10.2022, bedeutet nicht, dass damit der gesamte Behandlungsvertrag gekündigt ist. Dies wäre nur dann der Fall, wenn aus dem Inhalt der Kündigung über die Absage im Einzelfall hinaus erkennbar ist, dass die Behandlung insgesamt nicht mehr gewünscht ist (vgl. BGH aaO Rn. 30). Dazu ist aber nichts ersichtlich.
5Eine Anrechnung nach § 615 S.2 BGB ist nicht vorzunehmen, da die Klägerin unwidersprochen vorgetragen hat, weder in der Lage gewesen zu sein, die Termine kurzfristig anders zu vergeben noch Aufwendungen erspart zu haben.
62)
7Hinsichtlich des kurzfristig abgesagten Termins am 27.10.2022 steht der Klägerin ein Vergütungsanspruch nicht zu. Wie dargestellt, stellt eine kurzfristige Absage eines einzelnen Termins keine Teilkündigung des Behandlungsverhältnisses dar, denn dem Patient geht es nicht darum, die Behandlung um einen Termin kürzen zu wollen, zudem ist eine Teilkündigung eines Behandlungsvertrags gesetzlich nicht vorgesehen (BGH aaO Rn. 30). Hieraus folgt ein fortbestehender Vergütungsanspruch aus §§ 630b, 615 S.1 BGB in Verbindung mit § 296 S.1 BGB; es sei denn, der Patient hat durch seine einseitige Erklärung, einen bestimmten Termin nicht wahrnehmen zu wollen, die Verbindlichkeit des Termins beseitigen können. Grundsätzlich erfordern Vertragsänderungen Angebot und Annahme gemäß §§ 145, 147 BGB, sodass der Patient sich nicht einseitig von einer Zeitbestimmung lösen kann, es sei denn, entsprechendes wäre im Vertrag vereinbart. Hier verhält es sich jedoch so, dass dem Patienten vertraglich ein Recht auf jederzeitige Änderung der Terminbestimmung eingeräumt ist. Dies folgt aus § 305c Abs. 2 BGB, wonach Zweifel bei der Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen zu Lasten des Verwenders gehen. Die Formulierung im zweiten Satz der Nummer 5 der AGB der Klägerin, wonach der Patient verpflichtet ist, für den Termin einen Schadenersatz in Höhe der GKV-Vergütung zu zahlen, wenn er ihn nicht mindestens 24 Stunden vorher absagt, bedeutet im Umkehrschluss, dass das Recht auf kurzfristige Absage eingeräumt ist, da ein Verlangen von Schadenersatz begrifflich voraussetzt, dass der Honoraranspruch nicht mehr besteht.
8Der Klägerin steht aber aus dem Behandlungsvertrag auch kein Recht auf Ausfall-Schadenersatz zu, weil die Klausel insoweit sie den Schadenersatz regelt, unwirksam ist. Nach § 309 Nr. 5 Buchstabe b BGB sind Klauseln unwirksam, die - wie hier - einen Pauschalschadenersatz regeln, ohne dem Schuldner zu ermöglichen, darzulegen und zu bewiesen, dass ein niedrigerer Schaden entstanden ist. Die Unwirksamkeit der Regelung zum Ausfall-Schadenersatz führt nicht dazu, dass die zugleich eingeräumte Regelung zur kurzfristigen Terminänderung ebenfalls entfällt, denn das Verbot geltungserhaltender Reduktion von Allgemeinen Geschäftsbedingungen dient dem Zweck, im Interesse der Verbraucher den Rechtsverkehr von unwirksamen Allgemeinen Geschäftsbedingungen frei zu halten (BGH NJW 1982, 2309, beck-online). Das Verbot kann daher nicht dazu führen, dass eine zugleich vereinbarte Regelung zugunsten des Verbrauchers, hier diejenige der kurzfristigen Terminabsage, ebenfalls unwirksam wird. Dies wäre auch mit § 305c Abs. 2 BGB unvereinbar.
9Auch die Ausführungen auf dem Terminzettel, wonach binnen 24 Stunden abgesagte Termine privat in Rechnung gestellt werden, führt zu keiner anderen Bewertung. Zwar mag zur Sicherung der Abläufe in einer Terminpraxis eine solche Regelung grundsätzlich zulässig sein, jedoch findet sie hier wegen § 305c Abs. 2 BGB keine Anwendung, da sie in der vertraglichen Gesamtschau unklar ist. Es ist widersprüchlich, einerseits die kurzfristige Absage gegen Zahlung eines (unwirksamen) Schadenersatzes zu ermöglichen, andererseits aber darauf hinzuweisen, dass das Terminshonorar privat in Rechnung gestellt werde. Ausfall-Schadenersatz und Ausfallhonorar schließen sich begrifflich aus, da ersterer voraussetzt, dass der Honoraranspruch entfällt und letzteres gerade die Fortdauer des Honoraranspruchs unabhängig von der Behandlung anordnet. Auch diese begriffliche Unklarheit muss zu Lasten der Klägerin gehen.
103)
11Auch für den Termin am 03.11.2022 besteht kein Zahlungsanspruch der Klägerin. Ein Anspruch aus § 615 S.1 BGB in Verbindung mit § 296 S.1 BGB scheitert daran, dass der Beklagte den Behandlungsvertrag zuvor nach §§ 630b, 627 Abs. 1 in Verbindung mit § 626 Abs. 1 BGB kündigte. Der Beklagte hat diesen Termin nämlich nicht ohne nähere Begründung abgesagt, sondern angeführt, "es" würde ihm nichts bringen. Eine solche Erklärung ist nach dem Empfängerhorizont der Klägerin gemäß §§ 133, 157 BGB so zu verstehen, dass der Beklagte nicht nur für den konkreten Termin kurzfristige Verhinderung mitteilen wollte, sondern die Behandlung insgesamt nicht mehr fortsetzen möchte. Die Kündigung ist auch wirksam, obwohl sie nicht 24 Stunden vorher erklärt worden ist. Die gesetzliche Regelung sieht bei Diensten, die auf Grund besonderen Vertrauens übertragen werden, wozu auch Behandlungsverträge zählen, keine Kündigungsfrist vor. Eine abweichende Regelung durch AGB ist wegen der Unklarheit der Bestimmungen gemäß § 305c Abs. 2 BGB nicht getroffen. Wie dargestellt, ist bereits die Regelung zu den Terminabsagen unklar. Eine Regelung zur Kündigungsmöglichkeit ist in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen gar nicht getroffen, da sowohl Nummer 5 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen als auch die Regelung auf dem Terminzettel sich auf die Absage einzelner Termine bzw. Verhinderung an diesen Terminen beziehen. Eine Auslegung über den Wortlaut hinaus dahingehend, dass auch die Kündigung des gesamten Vertrags einer zeitlichen Schranke unterworfen werden soll, ist wegen § 305c Abs. 2 BGB nicht möglich.
12Düsseldorf, 04.08.2023
13Amtsgericht
14D.
15Richter am Amtsgericht