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In dem Rechtsstreit
der Frau N,
Klägerin,
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte B,
gegen
die G-GmbH, vertr.d.d.GF,
Beklagte,
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte M,
hat das Amtsgericht Düsseldorf
im schriftlichen Verfahren mit einer Schriftsatzeinreichungsfrist bis zum 23.06.2021
durch die Richterin H
für Recht erkannt:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 979,00 EUR (in Worten: neunhundertneunundsiebzig Euro) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 17.09.2020 sowie einen Betrag in Höhe von 40,00 EUR sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 71,92 EUR zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.
Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagten hat das Gericht gestattet, die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der Kläger vor der Zwangsvollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand:
2Die Klägerin buchte für sich und ihre Familie am 27.07.2020 bei der Beklagten eine Pauschalreise in die Türkei für den Reisezeitraum 05.09.2020 bis 12.09.2020. Die Pauschalreise beinhaltete eine Flugreise von Frankfurt am Main nach Izmir Cesme (Türkei) (Hin- und Rückflug) sowie die Unterbringung in der Unterkunft (…) zu einem Gesamtreisepreis in Höhe von 1.152,00 Euro, welche die Klägerin auch vollständig leistete. Die Klägerin erklärte mit am 02.09.2020 ihren Rücktritt vom Reisevertrag. Sie begründete den Rücktritt im Wesentlichen mit einer im Zeitpunkt des Rücktritts bestehenden Reisewarnung für die Türkei. Für die Region Izmir bestand zum Zeitpunkt des Rücktritts und der Reise keine amtliche Reisewarnung des Auswärtigen Amts. Die Beklagte stellte der Klägerin mit Rechnung von 02.09.2020 einen Stornierungsbetrag in Höhe von 979,00 Euro in Rechnung, den sie mit dem gezahlten Reisepreis verrechnete. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Schreiben vom 02.09.2020 Bezug genommen (Bl. 10 d. A.).
3Die Klägerin forderte die Beklagte sodann mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 09.10.2020 erfolglos auf, die 979,00 Euro bis zum 30.10.2020 zu erstatten.
4Die Beklagte antwortete mit Schreiben vom 11.10.2020 und lehnte eine Rückzahlung der 979,00 Euro ab.
5Die Klägerin ist der Ansicht, die COVID-19-Pandemie stelle einen unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umstand im Sinne von § 651h Abs. 3 BGB dar, so dass sie ohne eine Entschädigung leisten zu müssen, vom Reisevertrag zurücktreten könne.
6Die Klägerin beantragt,
7die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 979,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 02.09.2020 zu zahlen, sowie
8die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 40,00 Euro und 71,92 Euro zu zahlen.
9Die Beklagte beantragt,
10die Klage abzuweisen.
11Die Beklagte behauptet, die Kosten für die Buchung hätten 979,00 Euro betragen.
12Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie auf den sonstigen Akteninhalt verwiesen.
13Die Parteien haben sich mit Schriftsätzen vom 07.05.2021 und 19.05.2021 mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt.
14Entscheidungsgründe:
15Die zulässige Klage ist im tenorierten Umfang begründet.
16I.
171.
18Die Klägerin kann von der Beklagten die Rückzahlung des gezahlten Reisepreises in Höhe von 979,00 Euro gemäß § 651 h Abs. 5, Abs. 1 BGB verlangen.
19Danach verliert der Reiseveranstalter im Falle des jederzeit möglichen Rücktritts vor Reisebeginn den Anspruch auf den vereinbarten Reisepreis und hat diesen unverzüglich, auf jeden Fall aber innerhalb von 14 Tagen nach dem Rücktritt zu leisten.
20Die Beklagte kann sich nicht mit Erfolg auf einen Entschädigungsanspruch gemäß § 651h Abs. 1 S. 3, Abs. 2 BGB berufen. Ein Anspruch aus einer in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen festgesetzten Stornierungspauschale scheitert daran, dass die Beklagte trotz gerichtlichen Hinweises ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht zur Akte gereicht hat und diese somit einer weiteren Überprüfung nicht zugänglich waren. Es ist gerichtsbekannt, dass die Beklagte Allgemeinen Geschäftsbedingungen verwendet, die gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB verstoßen, indem die Beklagte sich ein einseitiges Wahlrecht zwischen Pauschale und tatsächlich angefallenen Kosten vorbehält. Der Reiseveranstalter könnte dann nämlich stets die für ihn günstigere Möglichkeit wählen, während dem Reisenden dies verwehrt wäre, was ihn zweifelsohne unangemessen benachteiligt. Insbesondere wird dem Reisenden auch seine Rechtsausübung erschwert. Der Reisende, der seine Reise bewusst in Kenntnis des Fehlens eines außergewöhnlichen Umstandes, lediglich wegen eines Gefühls des Unbehagens storniert, und das finanzielle Risiko einer zu leistenden Entschädigungspauschale bewusst eingeht, stünde stets vor der Gefahr, dass der Reiseveranstalter gleichwohl einen höheren Betrag geltend macht, obwohl zunächst der Eindruck entsteht, mit den Pauschalsätzen habe es sein Bewenden (vgl. v. X VertrR/AGB-Klauselwerke, Allgemeine Reisebedingungen Rn. 88 Rn. 88, beck-online).
21Das Gericht verkennt dabei nicht, dass es durchaus anerkannte Literaturstimmen gibt, die das Wahlrecht als zulässig erachten (vgl. z.B. Führich Rn. 520). Dieser Auffassung kann aber nicht gefolgt werden, da sie bereits nicht mit dem Wortlaut des § 651h Abs. 2 S. 2 BGB zu vereinbaren ist. Danach ist eine individuell berechnete Entschädigung nämlich ausdrücklich nur dann vorgesehen, wenn „im Vertrag keine Entschädigungspauschalen festgelegt“ werden.
22Soweit diese Ansicht sich darüber hinaus auf § 309 Nr. 5b BGB beruft und meint, der Reisende sei deshalb nicht unzumutbar belastet, da er in jedem Fall das Recht habe, einen tatsächlich geringeren Schaden nachzuweisen (vgl. Führich Rn. 520), überzeugt auch dies nicht. Eine unzumutbare und auch nicht zu rechtfertigende Belastung folgt bereits daraus, dass der von dem Reisenden zu führende Nachweis eine Umkehr der Beweislast zur Folge hat, der auch nicht mit einer großzügigen Handhabung der Grundsätze der sekundären Darlegungslast begegnet werden kann. Denn anders als vom Gesetz vorgesehen, müsste nicht der Reiseveranstalter die Höhe seines Entschädigungsanspruchs darlegen und beweisen, was ihm durch die Vereinbarung einer Pauschale erheblich erleichtert wird. Vielmehr müsste dann der Reisende beweisen, dass ein niedrigerer Schaden entstanden sei, während der Reiseveranstalter sich stets auf die leichter durchsetzbare Pauschale berufen könnte und lediglich in den Fällen, in denen ihm der Nachweis einer höheren Entschädigung gelingt, diese beanspruchen könnte.
23Schließlich beruft sich diese Ansicht auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes (vgl. BGH, Urt. v. 26.10.1989 – VII ZR 332/88 – NJW-RR 1990, 114), die die hier in Rede stehende Frage aber gerade nicht ausdrücklich behandelt hat, vielmehr sogar die Auffassung des angerufenen Gerichts unterstützen dürfte. So führt der Bundesgerichtshof in dieser Entscheidung aus:
24„Das gilt hier um so mehr, als sich die Bekl. in ihren Reisebedingungen ausdrücklich selbst vorbehalten hat, den ihr durch einen Rücktritt entstehenden Schaden “konkret zu berechnen”. Das ist für sie natürlich nur von Vorteil, wenn der konkrete Schaden höher als die Pauschale ist (vgl. BGH, NJW 1982, 2316 (2317) = LM § 11 Ziff. 5 AGBG Nr. 2). Soll sie einen solchen Schaden ohne Rücksicht auf die Pauschalierung geltend machen können, dann darf sie redlicherweise auch nur den konkreten Schaden berechnen, wenn er so weit unter der Pauschale bleibt, wie das hier der Fall ist, was im einzelnen ohnehin nur sie selbst wissen kann.“
25(BGH, Urt. v. 26.10.1989 – VII ZR 332/88 – NJW-RR 1990, 114)
26Sollte sich ein Reiseveranstalter aber gerade vorbehalten, einen über die Pauschale hinausgehenden Entschädigungsanspruch geltend zu machen, verhält er sich demzufolge treuwidrig.
27Auch in der vereinzelt herangezogenen ebenfalls noch zu § 651i Abs. 2 BGB ergangenen Entscheidung des Bundesgerichtshofes (Urt. d. BGH v. 09.12.2014 – X ZR 85/12 – NJW 2015, 1444) hat sich der Bundesgerichtshof nicht ausdrücklich mit der hier in Rede stehenden Frage beschäftigt. Zwar findet sich in dem Urteil der Satz, dass der Reiseveranstalter sich im Einzelfall eine die Pauschale übersteigende angemessene Entschädigung vorbehalten kann (offen bleibt, ob er dies auch darf). Im gleichen Satz liefert der Bundesgerichtshof aber selbst die Begründung, dass die vorliegende Konstellation des „entweder Pauschale oder wenn es sich denn lohnt, individuell abzurechnen“, eine unangemessene Benachteiligung darstellt:
28„Da zwar der Reiseveranstalter sich vorbehalten kann, im Einzelfall eine die Pauschale übersteigende angemessene Entschädigung nach § 651 i II BGB geltend zu machen, dem Reisenden aber der Einwand nicht eröffnet ist, im Einzelfall seien mehr als die gewöhnlich zu ersparenden Aufwendungen erspart oder ein gewöhnlich nicht möglicher anderweitiger Erwerb erzielt worden, benachteiligen zu hohe Pauschalen den Reisenden in besonders gravierender Weise und sind gegebenenfalls geeignet, sein gesetzliches Rücktrittsrecht nach § 651 i I BGB auszuhöhlen“
29(BGH, Urt. v. 09.12.2014 – X ZR 85/12 - NJW 2015, 1444 Rn. 41, beck-online)
30Da dem Reisenden mithin der Einwand nicht eröffnet ist (bzw. nur in den Grenzen des § 309 Nr. 5 b BGB mit den bereits dargelegten nachteiligen Folgen), im Einzelfall seien mehr als die gewöhnlich zu ersparenden Aufwendungen erspart oder ein gewöhnlich nicht möglicher anderweitiger Erwerb erzielt worden, wird der Reisende unangemessen benachteiligt, indem der Reiseveranstalter stets die für ihn größte Entschädigung erzielen könnte.
31Ferner hat die Beklagte trotz gerichtlichen Hinweises auch nicht die konkrete Höhe der Entschädigung gem. § 651h Abs. 2 S. 2 BGB dargelegt. Soweit die Beklagte vorträgt, ihr seien Kosten angefallen, hat sie nicht hinreichend dargelegt, welche Kosten in welcher Höhe und wie sich diese gem. § 651h Abs. 2 S. 2 BGB berechnen. Pauschalen dienen gerade dazu, unter Umständen im Rahmen einer Mischkalkulation einen Mittelwert in Ansatz zu bringen und nicht in jedem Einzelfall die Kosten des Reiseveranstalters exakt abzubilden.
323.
33Der Zinsanspruch folgt aus den §§ 280 Abs. 1 und 2, 286 Abs. 1 und 2 Nr. 1, 288 Abs. 1, 651h Abs. 5 BGB. Jedenfalls mit Ablauf der 14-tägigen Frist nach ihrem Rücktritt am 02.09.2020 befand sich die Beklagte seit dem 17.09.2020 in Verzug. Verzugszinsen kann die Klägerin demzufolge auch erst ab dem 17.09.2020 beanspruchen. Aus § 286 Abs. 5 BGB ergibt sich darüber hinaus der Anspruch auf 40,00 Euro als Pauschale.
344.
35Der Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten folgt aus §§ 280 Abs. 1 und 2, 286 Abs. 1 und 2 Nr. 1 BGB.
36II.
37Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 92 Abs. 2 Nr. 1, 708 Nr. 11, 711, 709 S. 2 ZPO.
38III.
39Der Streitwert wird auf bis 1.000,00 EUR festgesetzt.
40Rechtsbehelfsbelehrung:
41A) Gegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Berufung für jeden zulässig, der durch dieses Urteil in seinen Rechten benachteiligt ist,
421. wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600,00 EUR übersteigt oder
432. wenn die Berufung in dem Urteil durch das Amtsgericht zugelassen worden ist.
44Die Berufung muss innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung dieses Urteils schriftlich bei dem Landgericht Düsseldorf, Werdener Straße 1, 40227 Düsseldorf, eingegangen sein. Die Berufungsschrift muss die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird, sowie die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde, enthalten.
45Die Berufung ist, sofern nicht bereits in der Berufungsschrift erfolgt, binnen zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils schriftlich gegenüber dem Landgericht Düsseldorf zu begründen.
46Die Parteien müssen sich vor dem Landgericht Düsseldorf durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen, insbesondere müssen die Berufungs- und die Berufungsbegründungsschrift von einem solchen unterzeichnet sein.
47Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.
48B) Gegen die Streitwertfestsetzung ist die Beschwerde an das Amtsgericht Düsseldorf statthaft, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,00 EUR übersteigt oder das Amtsgericht die Beschwerde zugelassen hat. Die Beschwerde ist spätestens innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, bei dem Amtsgericht Düsseldorf, Werdener Straße 1, 40227 Düsseldorf, schriftlich in deutscher Sprache oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Die Beschwerde kann auch zur Niederschrift der Geschäftsstelle eines jeden Amtsgerichtes abgegeben werden.
49Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann die Beschwerde noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
50H