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In der Ermittlungssache
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C, geboren am ##.##.####
Der Antrag der Staatsanwaltschaft auf Durchsuchung bei der Beschuldigten vom 06.08.2020 wird zurückgewiesen.
Gründe:
21. Es gibt sich kein ausreichender Anfangsverdacht für den Besitz kinderpornographischer Schriften gemäß § 184b StGB. Vor dem Hintergrund der Bedeutung des Grundrechts auf Wohnung aus Art. 13 GG genügen vage Anhaltspunkte für ein strafbares Verhalten nicht, sondern es bedarf konkreter Verdachtsmomente. Insbesondere begründet legales Verhalten nur bei zusätzlichen weiteren Anhaltspunkten für strafbares Verhalten Anlass für eine Durchsuchung (BVerfG NJW 2014, 3085). Der Anfangsverdacht muss sich dabei auf die Verwirklichung des gesamten Tatbestands, also nicht nur auf die Verwirklichung des objektiven Tatbestands, beziehen. Hier steht im Raum, dass gesondert verfolgte Personen in einer Whatsapp-Gruppe mit mehr als 700 häufig wechselnden Teilnehmern, die dem Austausch von Musikdateien dient, am 16.08.2019 um 15:05 Uhr und um 15:10 Uhr sowie am 17.08.2019 um 14:13 Uhr Videos mit kinderpornografischem Inhalt verbreitet haben. Die Beschuldigte war Teilnehmerin dieser Whatsapp-Gruppe und hat die Nachrichten mit den entsprechenden Videos empfangen, eine ablehnende Äußerung sei nicht erfolgt.
3Dieser Sachverhalt begründet zwar den Anfangsverdacht hinsichtlich des objektiven Tatbestands des § 184b Abs. 2 StGB in der Variante des Besitzes einer kinderpornographischen Schrift, nicht hingegen hinsichtlich der subjektiven Seite, nämlich des erforderlichen Besitzwillens (MüKo -Hörnle, StGB 3. Auflage, § 184b Rn. 42). Um diesbezüglich den Anfangsverdacht zu begründen, bedarf es Anhaltspunkte dafür, dass der Teilnehmer des Gruppenchats tatsächlich von der Nachricht Kenntnis genommen hat, also sich aus den beim Sender feststellbaren Lesebestätigungen ergibt, dass die jeweiligen Nachrichten in dem Gruppenchat regelmäßig zeitnah gelesen worden sind. Zahlreiche Menschen sind heute Mitglieder vieler Whatsapp-Gruppen, die sie erfahrungsgemäß kaum nutzen. So existieren neben Klassenchats Whatsapp-Gruppen von Sportvereinen oder zur Organisation von GPS-gestützten Spielen. Es entspricht dem typischen Kommunikationsverhalten in diesen Gruppen, die Benachrichtigung des Eingangs neuer Nachrichten stumm zu schalten und auch für längere Zeit die eingehenden Nachrichten nicht zu lesen, sondern erst dann aktiv den Gruppeninhalt zu betrachten, wenn ein Kommunikationsanlass besteht. Demnach würde sich auch aus einer Lesebestätigung allein noch nicht der Anfangsverdacht eines Besitzwillens ergeben, wenn diese nicht zeitnah und regelmäßig erfolgen. Denn auch wenn jemand nach mehreren Monaten erstmals wieder auf einen Gruppenchat zugreift, erfolgt eine automatische Lesebestätigung aller in der Zwischenzeit eingegangenen Nachrichten, obwohl es der Lebenserfahrung entspricht, dass diese Nachrichten tatsächlich nicht zur Kenntnis genommen worden sind.
42. Darüber hinaus muss eine Durchsuchung selbst bei Vorliegen eines Anfangsverdachts verhältnismäßig sein. Hierzu gehört insbesondere, dass sie mit Blick auf den bei der Anordnung verfolgten Zweck erfolgversprechend ist (KK-Bruns, StPO 8. Auflage, § 102 Rn. 12). Insbesondere bedarf es dabei einer Abwägung der Erfolgsaussichten mit der Schwere des Grundrechtseingriffs. Die Erfolgsaussichten des Auffindens von Beweismitteln sind hier als gering einzuschätzen, der Vorgang liegt ein Jahr zurück, es spricht also schon einiges dafür, dass der Chatinhalt inzwischen gelöscht ist. Darüber hinaus liegt es auch nicht nahe, mittels einer Durchsuchung des Inhalts des Smartphones der Beschuldigten zu Erkenntnissen zu gelangen, dass ein Besitzwille gegeben war. Dies könnte insbesondere nur der Fall sein, wenn die Beschuldigte beispielsweise die Videos bewusst weitergeleitet hätte oder eine Vielzahl tatbestandsmäßiger Schriften festgestellt werden könnte. Hierfür ergeben sich aber keinerlei Anhaltspunkte, da der Whatsapp-Chat anderen Zwecken diente und keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Beschuldigte Interesse an kinderpornographischem Material hat. Demnach sind die Erfolgsaussichten der Durchsuchung für die erfolgreiche Aufklärung eines strafbaren Verhaltens der Beschuldigten gering. Hingegen wiegt der Grundrechtseingriff sehr schwer, da die Durchsuchung die Durchsicht des Medieninhalts des gesamten Smartphones der Beschuldigten erfordern würde. Hierdurch wird nicht nur in das Grundrecht auf Wohnung aus Art. 12 GG eingegriffen, sondern es handelt sich darüber hinaus auch noch um einen schweren Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Beschuldigten aus Artt. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG, da sich auf dem privaten Smartphone typischerweise Medien befinden, die das Privatleben des Besitzers umfassend dokumentieren.
53. Abschließend sei nochmals betont, dass die Mitgliedschaft in stumm geschalteten Whatsapp-Gruppen, die nur anlassbezogen genutzt werden und deren Inhalte im Übrigen nicht zur Kenntnis genommen werden, heute allgemein gesellschaftlich üblich sind. Weite Teile der Bevölkerung sind Mitglieder von Chatgruppen von Vereinen, Hobbygemeinschaften, Selbsthilfegruppen oder ähnlichen und bleiben hier auch Mitglied, wenn die Gruppe aktuell kaum genutzt wird. Wenn man es für eine Durchsuchung bei anderen Teilnehmern des Gruppenchats ausreichen ließe, dass ein anderer Nutzer kinderporngraphisches Bildmaterial in die Gruppe hochgeladen hat und sich hierauf nicht ablehnend geäußert hat, ergäbe sich bei einer Vielzahl von Personen, die keinerlei Interesse an Kinderporngraphie gezeigt haben, die Möglichkeit von Wohnungsdurchsuchungen und Durchsicht des Inhalts von Smartphones. Es handelt sich hierbei offensichtlich um eine Durchsuchung, die nicht auf dem Anfangsverdacht einer Straftat nach § 184b Abs. 2 StGB beruht, sondern dem Zweck dient, zu prüfen, ob ein Anfangsverdacht vorliegt oder nicht. Derartig weitreichende Durchsuchungsanordnungen sind aber mit Art. 13 GG und Artt. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG unvereinbar.
6Düsseldorf, den 11.08.2020
7T
8Richter am Amtsgericht