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Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 3.994,19 € (i.W.: dreitausendneunhundertvierundneunzig 19/100 Euro) nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 08.12.2022 zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, der Klägerin sämtliche materiellen Schäden aus dem in Rede stehenden Schadenereignis vom 12.11.2022 zu ersetzen.
Die Beklagten werden ferner als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin außergerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 418,99 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 08.12.2022 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits tragen 41 % die Klägerin und 59 % die Beklagten als Gesamtschuldner.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Für die Klägerin ist das Urteil gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung der Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
T a t b e s t a n d:
2Die Klägerin nimmt die Beklagten aus einem Verkehrsunfallgeschehen vom 12.11.2022 in der Straße Straße-01 in Ort-01 in Anspruch. Beteiligt an dem Unfallgeschehen waren der Zeuge L1, Ehemann der Klägerin, Fahrer von deren Porsche Targa, Baujahr 1971, und die Beklagte zu 2., Fahrerin des bei der Beklagten zu 1. haftpflichtversicherten Pkw.
3Die Eheleute L2 wohnen in der Straße Straße-01 gegenüber den Eheleuten
4T1. Sowohl der Zeuge L1 als auch die Beklagte zu 2. fuhren rückwärts von ihrem jeweiligen Grundstück herunter. Es kam zu einer Kollision auf der Fahrbahn, wobei die Einzelheiten dieses Vorganges zwischen den Parteien streitig sind.
5Auf das anwaltliche Forderungsschreiben vom 23.11.2022 (Anl. K3 zur Klageschrift = Bl 29 ff dA) unter Fristsetzung auf den 07.12.2022 zahlte die Beklagte zu 1. auf den Schaden der Klägerin, soweit der Höhe nach anerkannt (Fahrzeugschaden gemäß Prüfbericht, Sachverständigenkosten und Kostenpauschale) 3.227,88 € und auf die Rechtsanwaltsgebühren 381,40 €, wobei sie eine Haftungsquote von 50 % zugrunde legte.
6Die Klägerin behauptet, ihr Fahrzeug habe sich nach dem Ausparken aus der Ausfahrt bereits im Stillstand befunden. Der Zeuge L1 sei gerade damit befasst gewesen, den ersten Gang einzulegen. Plötzlich sei die Beklagte zu 2. rückwärts aus der dortigen Einfahrt ausgeparkt und gegen ihr stehendes Fahrzeug gestoßen. Für ihren Ehemann sei das Unfallgeschehen unvermeidbar gewesen.
7Demgegenüber sei die Unfallschilderung der Beklagtenseite technisch unplausibel.
8Sie selbst habe sich im Haus befunden und gemeinsam mit dem Zeugen T2 von der Fensterfront aus den Ausparkvorgang ihres Ehemannes gesehen.
9Die Beklagte zu 2. habe direkt nach dem Unfall ihre Schuld vollumfänglich eingeräumt. Auch der später hinzugerufene Ehemann der Beklagten zu 2. habe geäußert: „Wir kommen dafür auf, wir zahlen das!“
10Die Klägerin behauptet auf der Basis des vorgerichtlichen Gutachtens des Kfz-Sachverständigenbüros C1 (Anl. K1 zur Klageschrift = Bl 8ff dA ) Reparaturkosten i.H.v. 8.779,82 € netto.
11Soweit die Beklagte zu 1. sie auf eine Referenzwerkstatt verweisen wolle, sei ihr dies nicht zumutbar, da es sich bei ihrem Fahrzeug um einen Oldtimer mit einem Wiederbeschaffungswert i.H.v. 150.000,00 € handele. Sie habe im Rahmen des Integritätsinteresses ein besonderes Interesse daran, dass das Fahrzeug in einer markengebundenen Fachwerkstatt repariert werde.
12Es bestehe ein Feststellungsinteresse hinsichtlich des Klageantrages zu 2., da sie ein Interesse daran habe, dass nach durchgeführter Reparatur etwaiger Nutzungsausfall ebenfalls von den Beklagten übernommen werde.
13Die Klägerin beantragt,
141.
15die Beklagten zu verurteilen, an die sie 6.973,88 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 08.12.2022 zu zahlen,
162.
17festzustellen, dass die Beklagten verpflichtet sind, ihr sämtliche materiellen Schäden aus dem in Rede stehenden Schadenereignis vom 12.11.2022 zu ersetzen.
183.
19die Beklagten zu verurteilen, an sie außergerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 1.054,10 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 08.12.2022 zu zahlen.
20Die Beklagten beantragen,
21die Klage abzuweisen.
22Sie behaupten, die Beklagte zu 2. habe sich zunächst über den Verkehr auf der Straße vergewissert und habe sodann langsam und vorsichtig zurückgesetzt. Die Straße sei frei gewesen. Sodann habe sie angehalten und sei gerade dabei gewesen, das Automatikgetriebe in die Position „Drive“ zu schalten, als der Zeuge L1 mit dem klägerischen Pkw rückwärts von seinem Grundstück heruntergefahren und gegen den stehenden Pkw der Beklagten zu 2. gestoßen sei, welche keine Möglichkeit gehabt habe, diesen Anstoß zu verhindern. Es sei unzutreffend, dass das klägerische Fahrzeug bereits gestanden habe.
23Die Beklagten sind der Auffassung, gegen die Klägerin spreche ein Anscheinsbeweis, da sich der Unfall im engen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem Einfahren des klägerischen Pkws in den fließenden Verkehr und dem Rückwärtsfahren ereignete.
24Reparaturkosten seien allenfalls i.H.v. 5.256,86 € netto erforderlich. Einige der im Gutachten C1 ausgewiesenen Positionen seien unfallbedingt nicht erforderlich, insbesondere könne die Reparatur technisch gleichwertig in einer anderen Fachwerkstatt, der Firma S1 in Ort-02, durchgeführt werden. Zu den Kürzungen nehmen die Beklagten Bezug auf den Prüfbericht P1 vom 30.11.2022 (Anlage BLD 1).
25Das Gericht hat zunächst Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung der Zeugen L1 und T2. Wegen des Ergebnisses insoweit wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 25.10.2025 (Bl 136 ff dA) Bezug genommen. Das Gericht hat sodann Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen Dipl-Ing. C2. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme insoweit wird auf dessen Gutachten vom 29.11.2024 (Bl 194 dA) Bezug genommen.
26Entscheidungsgründe:
27Die zulässige Klage ist im erkannten Umfang begründet, im Übrigen ist sie unbegründet.
28I.
29Die Beklagten schulden der Klägerin Schadenersatz in der Hauptsache iHv noch 3.994,19 €.
30Zwar haften die Beklagten in vollem Umfang für den Schaden der Klägerin (hierzu im Folgenden: 1.). Die Reparaturkosten können jedoch nicht in der geltend gemachten Höhe zuerkannt werden (2.). Dies führt insgesamt zu dem erkannten Betrag (3.).
311.
32Da das in Betrieb befindliche Fahrzeug der Klägerin bei dem Zusammenstoß mit dem Beklagten-Pkw beschädigt wurde, hat die Klägerin dem Grunde nach einen Anspruch gegen die Beklagte zu 2. aus §§ 7 Abs. 1, 18 Abs.1 StVG und gegen die Beklagte zu 1. aus § 115 Abs.1 S. 1 Nr. 1 VVG. Die Beklagten haften hier zu 100 %.
33a)
34In tatsächlicher Hinsicht ist nach der durchgeführten Beweisaufnahme von folgendem Unfallhergang auszugehen:
35Beide Fahrzeuge parkten rückwärts von den jeweiligen Gründstücken aus, ohne dass der Zeuge L1 die Beklagte zu 2. vorher gesprochen oder wahrgenommen hätte. Die Sicht auf die Straße war für die Beklagte zu 2. in einer Richtung durch eine Hecke und einen Müllcontainer zu einem großen Teil behindert. Wegen der rekonstruierten Fahrtwege und der Lage der Sichtbehinderungen zum Zeitpunkt des Unfalles wird auf die Anl. 3 zum Gutachten des Gerichtssachverständigen (Bl. 227 dA) Bezug genommen. Das klägerische Fahrzeug stand, als das Fahrzeug der Beklagten zu 2. mit diesem kollidierte. Der Zeuge L1 hatte den 1. Gang bereits eingelegt. Er hätte das zurücksetzende Beklagtenfahrzeug ca. 2-3 Sekunden vor der Kollision wahrnehmen können, wenn er zu diesem Zeitpunkt in Richtung der Zufahrt der Beklagten geblickt hätte, was nicht der Fall war. Die bestehende Zeit hätte dann möglicherweise gerade noch ausgereicht, um aus der Halteposition weiter zurückzusetzen oder ein Hupsignal zu geben.
36b)
37Dieser Hergang steht fest aufgrund des Gutachtens des Sachverständigen C2 und den Angaben der Zeugen L1/T2 und der Klägerin, soweit ihnen gefolgt werden konnte. Das Gericht folgt dem überzeugenden und von den Parteien nicht angegriffenen Gutachten des Sachverständigen C2 zum Unfallhergang. Danach steht insbesondere fest, dass das Fahrzeug der Klägerin sich nicht mehr in Bewegung befand, als es zur Kollision kam. Der Sachverständige hat die noch überprüfbaren Kollisionsspuren und die Einbindung in die Örtlichkeit berücksichtigt. Er hat ferner die zum Unfallzeitpunkt bestehende Sichtbehinderung in die Betrachtung mit einbezogen.
38Diese Feststellungen stehen im Einklang mit dem Kern der Bekundungen der Zeugen L1/T2 und den Erklärungen der Klägerin. Allerdings vermochte das Gericht durch deren Erklärungen und Bekundungen nicht die Überzeugung gewinnen, dass das klägerische Fahrzeug bereits 10-15 oder 5-12 Sekunden vorkollisionär gestanden hatte. Diese Angaben mögen damit erklärlich sein, dass Zeitschätzungen generell schwierig sind und auch von einer unbewussten Entlastungstendenz getragen sein mögen. Es ist aber kein Grund ersichtlich, warum der Zeuge L1 nach Beendigung der Rückwärtsfahrt auf der Straße stehend noch viele Sekunden zuwarten sollte, bis er die Fahrt nach vorne durch die Einlegung des ersten Ganges einleitete. Der Zeuge hat insoweit nicht erklärt, noch mit anderen Dingen beschäftigt gewesen zu sein. Auch Besonderheiten der Schaltung könnten die geschilderte lange Verweildauer von mehr als 5 Sekunden nicht erklären. Nach den überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen führt die gegenüber der üblichen Anordnung hier vorliegende Lage des ersten Ganges nur zu minimal längeren Schaltzeiten.
39c)
40Unter Zugrundelegung der überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen C2 zum Unfallhergang und den verbleibenden Reaktionsmöglichkeiten des Zeugen L1 bei Berücksichtigung einer Schrecksekunde kommt für diesen die Annahme eines unabwendbaren Ereignisses im Sinne des § 17 Abs. 3 StVG durchaus in Betracht. Selbst aber dann, wenn man ein solches nicht annehmen wollte und grundsätzlich die Anrechnung der Betriebsgefahr in Betracht kommt, ergibt sich nichts Anderes. Denn auch die dann gemäß § 17 Abs. 1, Abs. 2 StVG gebotene Abwägung der beiderseitigen Mitverursachungs- und Verschuldensanteile führt zur vollständigen Haftung der Beklagtenseite:
41aa)
42Das Fahrverhalten der Beklagten zu 2. muss sich an dem Sorgfaltsmaßstab der §§ 9 Abs. 5, 10 Abs. 1 StVO messen lassen. Danach hat sich ein Verkehrsteilnehmer sowohl beim Rückwärtsfahren gem. § 9 Abs. 5 StVO als auch beim Einfahren auf die Fahrbahn gem. § 10 Abs. 1 StVO so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist (BGH NJW 2018, 3095 = VersR 2018, 957). Dabei ist nicht nur der auf der Fahrbahn befindliche fließende Verkehr, sondern jeder „andere Verkehrsteilnehmer“ in den Schutzbereich dieser Vorschriften einbezogen, mithin jede Person, die sich selbst verkehrserheblich verhält, das heißt körperlich und unmittelbar auf den Ablauf eines Verkehrsvorgangs einwirkt. Hierzu gehört auch derjenige, der – wie hier der Zeuge L1 – auf der anderen Straßenseite selbst ein Fahrmanöver durchführt, um in die Fahrbahn einzufahren (BGH NJW 2018, 3095 = VersR 2018, 957; LG Saarbrücken NJW-RR 2021, 30).
43Gegen diese Sorgfaltsanforderungen hat die Beklagte zu 2. verstoßen. Dies kann bereits nach dem Ergebnis des Gutachtens festgestellt werden. Die Kollision war nur dadurch möglich, dass die Beklagte zu 2. den rückwärtigen Verkehrsraum beim Einfahren in die Straße nicht hinreichend beachtete und so das bereits stehende klägerische Fahrzeug anfuhr.
44Darüber hinaus streitet der Anscheinsbeweis gegen die Beklagte zu 2.
45Kommt es zu einem Unfall mit dem bevorrechtigten fließenden Verkehr, spricht ein Anscheinsbeweis für den Verstoß des in die Fahrbahn Einfahrenden gegen § 10 Abs. 1 StVO. In diesen Fällen reicht zur Begründung des Anscheinsbeweises die Feststellung aus, dass es in einem engen zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit dem Einfahren zu einem Zusammenstoß gekommen ist ( jurisPK-StraßenverkehrsR/Scholten, § 10 StVO Rn. 60; König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl., § 10 StVO Rn. 11, jew. mwN). Gleiches gilt für den Rückwärtsfahrenden. Auch insoweit wird ein Verschulden indiziert, wenn es im unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit dem Rückwärtsfahren zu einer Kollision mit einem anderen Fahrzeug des fließenden Verkehrs kommt (BGH NJW 2016, 1098; jurisPK-StraßenverkehrsR/Scholten, § 9 StVO Rn. 64, König in Hentschel/König/Dauer, § 9 StVO Rn. 55, jew. mwN). Dass dies gleichermaßen für einen Unfall mit einem Verkehrsteilnehmer gilt, der nicht Teil des fließenden Verkehrs ist, kann angesichts der auch diesem gegenüber zu beachtenden, äußersten Sorgfaltspflichten nicht zweifelhaft sein (vgl. auch BGH NJW 2018, 3095; LG Saarbrücken a.a.O.). Diesen Anscheinsbeweis haben die Beklagten nicht zu erschüttern vermocht.
46bb)
47Demgegenüber kann ein Verschulden des Zeugen L1 nicht festgestellt werden. Ein Verstoß gegen §§ 9 Abs. 5, 10 Abs. 1 StVO kann hier nicht über die Grundsätze des Anscheinsbeweises festgestellt werden.
48(1)
49Nach der neueren Rechtsprechung des OLG Hamm (Hinweisbeschluss vom 24.09.2021, Az. 9 U 73/21 = NJOZ 2022, 466 = ZfSch 2022, 250) ist der oben dargestellte Anscheinsbeweis schon dann erschüttert, wenn der andere rückwärtsfahrende Fahrer in das stehende Fahrzeug hineingefahren ist, auch wenn ein enger zeitlicher und räumlicher Zusammenhang mit dem Zurücksetzen vorliegt.
50(2)
51Aber auch dann, wenn man die vorstehende Rechtsprechung für unzutreffend hält (so deutlich: Scholten Anm zu OLG Hamm a.a.O, ZfSch 2022, 252; LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 25.08.2022, Az. 2 O 5678/21, zitiert nach juris, Tz 25), folgt daraus im Ergebnis nichts Anderes. Denn die Besonderheiten des Falles rechtfertigen schon die Anwendung des Anscheinsbeweises zu Lasten der Klägerin nicht. Denn gegen das Vorliegen einer entsprechenden Typizität spricht hier die besonders prominente Sichtbehinderung (Hecke und Müllcontainer) für die Beklagte zu 2., auf die diese sich erwiesenermaßen nicht hinreichend einstellte und die es zugleich dem Zeugen L1 verunmöglichte, jedenfalls das Anfahren des Fahrzeuges der Beklagten zu 2. zu bemerken.
52cc)
53Die danach die Klägerin allenfalls treffende einfache Betriebsgefahr tritt hinter den Verkehrsverstoß der Beklagten zu 2. zurück.
54Bei einem schwerwiegenden Verkehrsverstoß ist es regelmäßig gerechtfertigt, die einfache Betriebsgefahr ganz zurücktreten zu lassen (BGH NZV 2007, 451; 1996, 272; OLG Hamm NJW-RR 2022, 1041; Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 28. Auflage, § 17, Rn. 20). So liegt es hier. Der Verkehrsverstoß der Beklagten zu 2. wiegt schwer. Im Hinblick auf die Gefährlichkeit der entsprechenden Fahrvorgänge stellen §§ 9 Abs. 5, 10 Abs. 1 StVO weitgehende Sorgfaltspflichten auf, bis hin zu der Verpflichtung, sich notfalls einweisen zu lassen. Dabei ist die Beklagte zu 2. zudem auch dem durch die Sichtbehinderung nochmals erhöhten Gefährdungspotenzial nicht gerecht geworden, während der Zeuge L1 seine Rückwärtsfahrt beendet hatte.
55d)
56Nach alledem kann für die Haftungsfrage dahinstehen, ob die Beklagte zu 2. am Unfallort sagte, dass es ihr leid tue oder sie es „schuld sei“, oder ob deren Ehemann erklärte „wir zahlen das“ oder „wir kommen dafür auf“, wie dies der Zeuge L1 bekundete. Nur ergänzend weist die Kammer darauf hin, dass solchen Erklärungen regelmäßig der erforderliche Rechtsbindungswille fehlt. Derartige Äußerungen zur Verursachung oder zum Verschulden des Verkehrsunfalles sind regelmäßig durch die Aufregung nach dem Unfall veranlasst und nicht Ausdruck des Willens, eine – zudem versicherungsvertraglich bedenkliche – rechtsverbindliche Erklärung zum Haftpflichtfall abzugeben (OLG Hamm NJW-RR 2023,736 m.w.N.).
572.
58Reparaturkosten kann die Klägerin nur i.H.v. 5.800,13 € netto beanspruchen. Dies entspricht dem von dem Sachverständigen C2 unter Berücksichtigung der zutreffenden Grundlagen ermittelten Betrag und den rechtlichen Rahmenbedingungen:
59a)
60Die Beklagte zu 1. konnte die Klägerin vorliegend mit Erfolg auf eine nicht markengebundene Werkstatt verweisen.
61Grundsätzlich darf der Geschädigte seiner Abrechnung die in einer markengebundenen Werkstatt entstehenden Kosten zugrunde legen (BGH NJW 2010, 2941). Der Schädiger kann den Geschädigten aber unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht gemäß § 254 Abs. 2 BGB auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit in einer mühelos und ohne Weiteres zugänglichen "freien Fachwerkstatt" verweisen, wenn er darlegt und gegebenenfalls beweist, dass eine Reparatur in dieser Werkstatt vom Qualitätsstandart her der Reparatur in einer markengebundenen Fachwerkstatt entspricht, und wenn er gegebenenfalls vom Geschädigten aufgezeigte Umstände widerlegt, die diesem eine Reparatur außerhalb der markengebundenen Fachwerkstatt unzumutbar macht. Unzumutbar ist eine Reparatur in einer "freien Fachwerkstatt" für den Geschädigten im Allgemeinen dann, wenn das beschädigte Fahrzeug im Unfallzeitpunkt nicht älter als drei Jahre war. Aber auch bei Kraftfahrzeugen, die älter als drei Jahre sind, kann es den Geschädigten zumutbar sein, sich auf eine technisch gleichwertige Reparaturmöglichkeit außerhalb der markengebundenen Fachwerkstatt verweisen zu lassen. Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn der Geschädigte sein Fahrzeug bisher stets in einer markengebundenen Fachwerkstatt hat warten und reparieren lassen (BGH a.a.O.).
62Vorstehendes zugrunde gelegt konnte die Beklagte zu 1. die Klägerin auf eine Reparatur bei der Firma S1 verweisen, deren Werkstattbetrieb weniger als 10 km von dem Wohnort der Klägerin entfernt liegt. Der Sachverständige C2 hat in seinem Gutachten ausgeführt, dass er diesen Betrieb bereits mehrfach besichtigt hat und die hier anstehende Reparatur aufgrund der dort vorhandenen Werkstattausstattung sowie der Qualifikation der Mitarbeiter vollständig fachgerecht durchgeführt werden kann.
63War danach eine Verweisung grundsätzlich möglich, so stehen einer solchen auch nicht die bislang von der Rechtsprechung anerkannten Ausnahmen entgegen. Die Klägerin macht nicht geltend, das Fahrzeug bislang nur in einer markengebundenen Werkstatt gewartet und repariert zu haben.
64Aber auch, soweit die Klägerin ein besonderes Integritätsinteresse hinsichtlich des hochwertigen „Oldtimers“ geltend macht, kann die Unzumutbarkeit einer Reparatur in der Verweisungs-Werkstatt nicht festgestellt werden. Dies folgt wiederum daraus, dass der Sachverständige C2 ausgeführt hat, dass die Reparatur auch für das hier streitgegenständliche Fahrzeug, welches man nach allgemeinem Sprachgebrauch als „Oldtimer“ bezeichnen mag (in formeller Hinsicht siehe § 23 StVZO) vollständig fachgerecht ausgeführt werden kann. Inwieweit bei einer ordnungsgemäßen Reparatur dann noch das „Integritätsinteresse“ verletzt sein soll, erschließt sich nicht. Denkbar wäre die Notwendigkeit der Reparatur in einer Markenwerkstatt, soweit nur dort bestimmte Originalersatzteile/-lacke erhältlich wären bzw. das erforderliche Know-how für deren Verarbeitung nur dort vorhanden wäre. Solches ist aber hier weder ersichtlich noch geltend gemacht. Dabei ist es ohnehin so, dass Markenwerkstätten bei der Reparatur von Oldtimern in der Regel keine besondere Rolle spielen. Es gibt dort regelmäßig keine besonderen Kenntnisse und Erfahrungen mit der Reparatur von Oldtimern (Eckert in Haus/Krumm/Quarch, Gesamtes Verkehrsrecht, 3. Auflage, Anhang zu § 23 StVZO: Oldtimerrecht, Rn. 120). Die Frage, ob im Einzelfall die Inanspruchnahme einer spezialisierten Oldtimerwerkstatt gerechtfertigt sein kann (dazu Eckert a.a.O., Rn. 121), braucht hier nicht entschieden zu werden, da solches von der Klägerin nicht beansprucht wird.
65b)
66Verbringungskosten und Reinigungsarbeiten fallen bei dem Verweisungsbetrieb nicht an.
67c)
68Die Anfertigung eines Farbmusters ist nicht zwingend erforderlich, sodass eine solche nicht in Ansatz gebracht werden kann. Desinfektionsarbeiten fallen jedenfalls zwischenzeitlich nicht mehr an.
693.
70Nach alledem ermittelt sich der zuzusprechende Schadenersatzbetrag mit 3.994,19 €. Der Klägerin stand insgesamt ein Anspruch i.H.v. 7.222,07 € zu (5.800,13 € wie vor, 1.396,94 € Gutachterkosten und 25,00 € Kostenpauschale). Hierauf hat die Beklagte zu 1. vorgerichtlich 3.227,88 € gezahlt, sodass noch 3.994,19 € offen sind.
71II.
72Der zulässige Feststellungsantrag ist begründet. Denn nach durchgeführter Reparatur bleibt die Geltendmachung von Nutzungsausfall möglich.
73III.
74Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten stehen der Klägerin aus Delikt noch i.H.v. 418,99 € zu. Ausgehend von einer ursprünglich berechtigten Forderung i.H.v. 7.222,07 € ergibt sich bei einem entsprechenden Gegenstandswert eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2300, 1008 VV RVG nebst Auslagen und Umsatzsteuer i.H.v. 800,39 €. Auf die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten hat die Beklagte zu 1. unstreitig bereits 381,40 € gezahlt, sodass ein Betrag von 418,99 € verbleibt.
75IV.
76Zinsen aus der Hauptforderung sowie hinsichtlich der außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten stehen der Klägerin aus Delikt und Verzug zu.
77Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 92, 709, 708 Nr. 11, 711 ZPO.
78Streitwert: 7.273,88 € (6.973,88 € und 300,00 € für den Feststellungsantrag)