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Im Anschluss an den seit dem letzten Hinweis- und Auflagenbeschluss unterbreiteten Sachvortrag sowie die überreichten Anlagen und nicht zuletzt die seither ergangene Rechtsprechung des EuGH weist die Kammer auf folgende Aspekte hin:
1. Aktivlegitimation
Aus Sicht der Kammer ist die Aktivlegitimation der Streitgenossen auf der Klägerseite nunmehr schlüssig vorgetragen. Gleichwohl erhalten sowohl die Beklagte als auch die Streithelferinnen Gelegenheit, zu diesen Aspekten weiter substantiiert Stellung zu nehmen.
2. Erwerbsvorgänge
a)
Zwischen den Parteien ist streitig, welche Produkte tatsächlich unter den Begriff der kartellierten Pflanzenschutzmittel fallen, insbesondere, ob sämtliche in der aktuellen Version der Anlage K12 genannten Produkte zu dieser Kategorie zu zählen sind.
Die Kammer hält insoweit die Argumentation der Klägerseite aus der Replik vom 7.2.24, dort Rn. 87 ff. für nachvollziehbar.
Gleichwohl erwägt die Kammer, eine Stellungnahme des Bundeskartellamtes in jedenfalls entsprechender Anwendung des § 90 Abs. 5 GWB einzuholen, zumal die Erwerbsvorgänge Anknüpfungstatsachen für die Schadensfeststellung und somit Bestandteil der nach § 90 Abs. 5 GWB einholbaren Stellungnahme zur Schadenshöhe sind.
b)
Im Übrigen werden – schon zur Vermeidung von unnötigem Zeitverlust – die Beklagte und ihre Streithelferinnen zum Inhalt der Anlage K 12.3 sowie der Anlage K 33 nunmehr substantiiert unter Berücksichtigung der Anforderungen des § 138 ZPO Stellung zu nehmen haben (vgl. zu Einzelheiten auch Klumpe, WuW 2022, 596, 599).
In entsprechender Weise Stellung zu nehmen haben Beklagte und Streithelferinnen auch zum Vortrag der Klägerseite unter der Überschrift „Kategorisierung der Erwerbsvorgänge“ (Rn. 180 ff.) sowie zur Frage der Gutschriften (Rn. 241 ff.).
c)
Im Hinblick auf die Rückfrage der Klägerseite aus der Replik, Rn. 183, weist die Kammer darauf hin, dass in der Tat die Erwerbe von einem Händler in der dort bezeichneten Weise als mittelbare Erwerbe gewertet werden. Ob dies einen mittelbaren Erwerb vom Kartellanten oder von einem Kartellaußenseiter darstellt, hängt erkennbar davon ab, von wem der Händler seinerseits auf der vorangegangenen Marktstufe erworben hat.
3. Zahlungen
Soweit von Seiten der Beklagten bzw. der Nebenintervenienten Zahlungen der Kläger bestritten werden bzw. sich mit Nichtwissen im Hinblick auf Zahlungen im Rahmen von bei anderen Kartellanten getätigter Transaktionen erklärt wird, dürfte dies nach ständiger Rechtsprechung der Kammer fehl gehen, da insbesondere die Voraussetzungen des § 138 IV ZPO bei Geschäften der Geschädigten mit Mitkartellanten nicht vorliegen (grundlegend LG Dortmund 21.12.2016, 8 O 90/14 [Kart], Rn. 127, juris – Schienenkartell und zuletzt LG Dortmund, Beschluss vom 30. August 2023 – 8 O 16/23 (Kart) –, Rn. 56, juris – Pflanzenschutzmittelkartell).
4. Offenlegung
Die Kammer geht nicht davon aus, dass sie durch den Inhalt der Entscheidung des EuGH (Urteil vom 16.02.2023, C-312/21, ECLI:EU:C:2023:99 – Tráficos Manuel Ferrer) an einer Schätzung des Schadens ohne vorherige Offenlegung gehindert wäre.
Ob im konkreten Fall hier eine Offenlegung erforderlich wird, und sei es, um weitere Daten für ein eventuell einzuholendes Sachverständigengutachten generieren zu können, braucht erst entschieden zu werden, wenn der Umfang der Erwerbsvorgänge und die kartellierten Produkte endgültig geklärt sind.
5. Verjährung
Die Kammer geht auf Grundlage der Entscheidung des EuGH (Urteil vom 18.04.2024, C-605/21, ECLI:EU:C:2024:324 – Heureka) davon aus, dass die streitgegenständlichen Erwerbsvorgänge hier insgesamt nicht verjährt sind.
Dabei wird nicht verkannt, dass das zitierte Urteil des EuGH sich mit der kenntnisabhängigen Verjährung beschäftigt, während vorliegend angesichts des Kartellzeitraums von 1998 bis März 2015, den Erwerbsvorgängen seit 2004, der Pressemitteilung des BKartA zum PSM-Kartell vom 13.1.2020 sowie der Erhebung der Klage im Jahre 2022 im Wesentlichen Fragen der kenntnisunabhängigen Verjährung in Rede stehen.
Die Ausführungen des EuGH sind aber auf die hier interessierenden Fragen ohne weiteres übertragbar. Dies beruht auf folgenden Erwägungen:
a) Grundsätzliche Berechnung der Verjährungsfrist
Unabhängig davon, ob angesichts des Kartellzeitraums von 1998 bis März 2015 Erwerbsvorgänge vor oder nach dem Jahre 2001 in Rede stehen, fände jedenfalls gemäß Art. 229 § 6 Abs. 1 Satz 1 EGBGB die Verjährungsbestimmungen in der seit dem 01.01.2002 geltenden Fassung Anwendung, da sämtliche Beschaffungsvorgänge erkennbar am 01.01.2002 noch nicht verjährt waren. Damit ist für sie die kenntnisunabhängige Verjährungsfrist von zehn Jahren nach § 199 Abs. 3 Nr. 1 BGB n.F. einschlägig, die kürzer ist als die kenntnisunabhängige Höchstfrist von 30 Jahren nach § 852 Abs. 1 BGB a.F. Erstere begann gem. Art. 229 § 6 Abs. 4 Satz 1 EGBGB am 01.01.2002 zu laufen und wäre mit Ablauf des 31.12.2011 vollendet gewesen (zum Ganzen BGH, Urt. v. 23.9.2020 – KZR 35/19, Rn. 74 ff., juris – LKW I).
Somit wäre für sämtliche theoretisch in den Kartellzeitraum fallenden Erwerbsvorgänge dieselbe kenntnisunabhängige Verjährungsfrist von zehn Jahren nach § 199 Abs. 3 Nr. 1 BGB n.F. einschlägig, die – mangels Eingreifen der kenntnisabhängigen Verjährungsfrist nach § 199 Abs. 1 BGB n.F. von drei Jahren zu dem Zeitpunkt – jedenfalls nicht vor Ablauf des 31.12.2011 vollendet gewesen wäre.
Nach ständiger Rechtsprechung des BGH stellt jeder einzelne Erwerbsakt einen eigenen Schaden dar, weshalb in einer Art atomisierter Betrachtung für jeden Akt die Frage der Verjährung gesondert zu beurteilen ist, wobei die Ansprüche jeweils mit dem Vollzug des Kaufvertrages, also letztlich der Kaufpreiszahlung entstehen (vgl. BGH KZR 35/19, Rn. 73, juris – LKW I; so auch die herrschende Auffassung, vgl. die Nachweise bei Wagner, NZKart 2022, 628 Fn. 9). Vorliegend können angesichts der frühesten geltend gemachten Erwerbsakte aus dem Jahr 2004 daher aber gemäß den Regeln kenntnisunabhängiger Verjährung nach dem Rechtszustand vor der 9. GWB-Novelle und somit vor Eingreifen von § 33h GWB Erwerbsakte mit Ablauf des Jahres 2014 verjährt sein, noch bevor im Zuge der Aufdeckung des Kartells verjährungshemmende Aspekte eingreifen könnten.
Eine Verfahrenseinleitung als verjährungshemmende Maßnahme nach § 33 Abs. 5 GWB 2005 setzt insoweit zwar keine Einleitung eines förmlichen Verfahrens voraus, sondern lediglich die Durchführung von behördlichen Maßnahmen gegen ein Unternehmen, die erkennbar darauf abzielen, wegen einer Beschränkung des Wettbewerbs gegen das Unternehmen zu ermitteln (vgl. insoweit BGH KZR 35/19, Rn. 79, juris – LKW I), doch fallen auch diese erst in den März 2015, so dass für eine Reihe von Erwerbsvorgängen die Verjährungsfrist nach dem oben Gesagten zu diesem Zeitpunkt bereits abgelaufen wäre.
b) Keine Vorverlagerung der Anwendbarkeit von § 33h GWB.
Diese hier dargestellte Rechtslage bleibt auch auf Grundlage der bereits im Hinweisbeschluss vom 27.09.2023 angesprochenen Entscheidungen des EuGH (vom 22.6.2022 − C-267/20 – Volvo sowie vom 18.04.2024, C-605/21 – Heureka) für den Fall hier maßgeblich. Denn zwar hat der EuGH in der erstgenannten Entscheidung herausgestellt, dass Art. 10 der Richtlinie 2014/104 dahin auszulegen sei, dass er eine materiell-rechtliche Vorschrift i.S.v. Art. 22 Abs. 1 dieser Richtlinie darstelle und dass eine Schadensersatzklage in seinen zeitlichen Geltungsbereich falle, die zwar eine vor dem Inkrafttreten dieser Richtlinie beendete Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht betreffe, welche aber nach dem Inkrafttreten der Vorschriften zur Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht erhoben worden, soweit die für diese Klage nach den alten Vorschriften geltende Verjährungsfrist nicht vor dem Ablauf der Umsetzungsfrist der Richtlinie abgelaufen sei.
Genau dies ist – auf Grundlage der oben skizzierten Rechtsprechung des BGH zum Verjährungsbeginn unter § 199 Abs. 3 BGB – indes der Fall, da nach EuGH zu prüfen ist, ob zum Zeitpunkt des Ablaufs der Frist für die Umsetzung der Richtlinie 2014/104 am 27.12.2016 die bis dahin nach nationalem Recht geltende Verjährungsfrist abgelaufen gewesen wäre. Auf den insoweit bestehenden Streit, ob hier vor dem Hintergrund des § 187 Abs. 3 S. 2 GWB und der verspäteten Richtlinienumsetzung auf den Zeitpunkt des 08.06.2017 oder auf den durch die Richtlinie angeordneten Zeitpunkt abzustellen ist, kommt es vorliegend deshalb schon nicht an, denn in jedem Falle wären die hier interessierenden Erwerbsakte zu jedem der genannten Zeitpunkte schon verjährt.
c) Vor dem Hintergrund der Entscheidungsgründe Heureka erforderliche Auslegung des § 199 Abs. 3 BGB
Allerdings sind vorliegend die vom EuGH aufgestellten Anforderungen an das nationale Recht zu berücksichtigen, die das Gericht in der Entscheidung Heureka aus Art. 102 AEUV i.V.m. dem Effektivitätsgrundsatz abgeleitet hat, die aber gleichermaßen auch für hier relevante Verstöße gegen Art. 101 AEUV gelten müssen und unabhängig von der zeitlichen Anwendbarkeit der Richtlinie 2014/104 sind (vgl. hierzu Kersting, WUW1463242, dort unter III., mwN.).
Zu nennen ist hier insbesondere der Verweis des EuGH auf die Bedeutung der Rechtsdurchsetzung allgemein, die erschwert sei, wenn die Verjährung – wie letztlich im vorliegenden Fall – bereits vor einem Beschluss der Kommission oder einer nationalen Behörde eintreten könne. Hinzu kommt der Verweis auf die abschreckende Wirkung sowie die Notwendigkeit der Vermeidung von Fehlanreizen, die es erfordert, die Verjährung erst mit Beendigung des Verstoßes einsetzen zu lassen.
Diese Ausführungen lassen nicht nur keine Differenzierung zwischen Art. 102 und Art. 101 AEUV sondern insbesondere auch nicht zwischen kenntnisabhängiger und kenntnisunabhängiger Verjährung zu (so zu Recht schon Kersting, WUW1463242, dort unter III. sowie III. 1.). Im Gegenteil, gleichsam in Form eines „Erst-recht-Schlusses“ schlagen diese Aspekte im Hinblick auf die kenntnisunabhängige Verjährung noch viel stärker zu Buche, weshalb jeweils die Verjährungsfrist erst mit Beendigung der Zuwiderhandlungen zu laufen beginnen darf.
Diese Wertung steht insbesondere Erwägungsgrund 36 der Richtlinie 2014/104 nicht entgegen, da in Satz 5 zwar kenntnisunabhängige Fristen unter Beachtung von Effektivitäts- und Äquivalenzgrundsatz für zulässig gehalten werden, ihnen aber in Satz 4 allgemein die Voraussetzung der Beendigung der Zuwiderhandlung voranstellt wird (zutreffend Kersting, WUW1463242, dort unter III. 2. d)).
Vor diesem Hintergrund müsste das nationale Recht erkennbar gewährleisten, dass die Verjährung von Erwerbsvorgängen nicht eintreten kann, ohne dass der Geschädigte überhaupt die Möglichkeit zur Rechtsverfolgung hatte, was aber droht, wenn die Verjährung kenntnisunabhängig eintreten kann, obwohl die Rechtsverletzung noch andauert.
Anders als die neue Rechtslage in § 33h Abs. 2 Nr. 3, Abs. 3 Nr. 2 berücksichtigt § 199 Abs. 3 BGB diese Anforderungen des europäischen Rechts nicht, sondern stellt allein auf die Anspruchsentstehung ab, während § 33h Abs. 3 GWB hier zusätzlich die Beendigung des Rechtsverstoßes für den Verjährungsbeginn anordnet.
Wenn auch nun bei der Prüfung, ob Ansprüche am 27.12.2016 bereits verjährt waren, zwar das alte Recht in Form des § 199 Abs. 3 BGB zur Anwendung gelangt, so gebietet die Rechtsprechung des EuGH in Sachen Volvo und insbesondere Heureka aber nicht nur die mit dem EU-Primärrecht unvereinbaren Elemente unberücksichtigt zu lassen (vgl. Urteil vom 18.04.2024, C-605/21, ECLI:EU:C:2024:324, Rn. 82 – Heureka), sondern sogar erforderliche Regelungen wie eben den Beginn der Verjährungsfrist erst mit der Beendigung des Rechtsverstoßes im Falle ihres Fehlens gleichsam zu ergänzen (vgl. EuGH, Urteil vom 18.04.2024, C-605/21, ECLI:EU:C:2024:324, Rn. 94 – Heureka und instruktiv Kersting, WUW1463242, dort unter III. 1.).
Diese Sichtweise harmonisiert nicht nur alte und neue Rechtslage, sondern entspricht auch der durch den EuGH anderweitig angenommenen primärrechtlichen Vorwirkung der Richtlinie (vgl. EuGH, Urteil vom 16.02.2023, C-312/21, ECLI:EU:C:2023:99, Rn. 33, 35, 61 – Tráficos Manuel Ferrer und hierzu Roth, Frankfurter Kommentar, 107. Lieferung, 1/2024, Zivilrechtsfolgen des Art. 101 AEUV Rn. 72 sowie Kersting, WuW 2023, 189, 192 und ders. WUW1463242, dort unter III. 1.) und setzt zudem auf der oben skizzierten ständigen Rechtsprechung des BGH zum Beginn der Verjährung nach altem Recht auf, indem sie ihr nicht widerspricht, sondern sie vielmehr fortführt und nur in bestimmten Fällen ergänzt.
Eine in der mündlichen Verhandlung als Vorgehensoption angedeutete Vorlage an den EuGH bezüglich dieser Frage ist aus Sicht der Kammer vor dem Hintergrund des hier ausgeführten nicht mehr erforderlich.
d) Fazit
Damit kommt auf Grundlage der Rechtsprechung hier eine kenntnisunabhängige Verjährung von Erwerbsvorgängen nicht in Betracht.
6. Fristen
a) Im Hinblick auf die Frage der Einholung einer Stellungnahme des Bundeskartellamtes nach § 90 GWB erhalten die Parteien Gelegenheit zur Stellungnahme binnen 4 Wochen ab Zugang dieses Beschlusses.
b) Im Hinblick auf den nunmehr erfolgten ergänzenden Vortrag der Klägerseite zur Aktivlegitimation erhalten Beklagte und Streithelferinnen Gelegenheit zur Stellungnahme binnen 3 Monaten ab Zugang dieses Beschlusses.
c) Im Hinblick auf die Fragen zu den Erwerbsvorgängen (oben Ziffer 2) sowie den übrigen rechtlichen Aspekten erhalten Beklagte und Streithelferinnen Gelegenheit zur Stellungnahme binnen 5 Monaten ab Zugang dieses Beschlusses.
7. Sonstiges
Eine weitere Beschlussfassung sowie das Setzen weiterer Fristen ohne vorherige mündliche Verhandlung bleibt vorbehalten.
Diese Entscheidung hat neben dem Tenor keinen Entscheidungstext.