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I. Aus gegebenem Anlass sieht sich die Kammer gehalten, ihre bereits erteilten Hinweise (siehe Hinweisbeschluss vom 21.06.23 = WuW 2023, 456 = NZKart 2023, 443) wie folgt zu ergänzen bzw. zu vertiefen:
1. Der 6. Kartellsenat des OLG Düsseldorf hat mit Urteil vom 27.07.2023 (VI-6 U 1/22 [Kart], juris; Vorinstanz LG Düsseldorf, 37 O 66/20 [Kart]) eine Haftung von Vorständen bzw. Geschäftsführern für gegenüber dem Unternehmen geltend gemachte zivilrechtliche Ansprüche bejaht; dies entspricht auch der durch die Kammer im Hinweisbeschluss mitgeteilten vorläufigen Rechtsauffassung.
2. Darüber hinaus hat der Senat jedoch eine persönliche Haftung von Leitungsorganen für gegenüber dem Unternehmen festgesetzte kartellrechtliche Bußgelder verneint. Der Senat hat dies im Wesentlichen damit begründet, dass andernfalls die jedenfalls in Deutschland geltende kartellrechtliche Wertung, nach der getrennte Bußgelder gegen das Unternehmen und gegen die handelnde Person selbst festgesetzt werden können, unterlaufen werde, weil die einschlägigen Vorschriften jeweils auch der Höhe nach getrennte Bußgelder für die handelnden Personen und das beteiligte Unternehmen vorsähen. Durch den Rückgriff auf die Leitungspersonen könne zudem der Sanktionszweck eines Unternehmensbußgeldes gefährdet werden, weil sich ansonsten Unternehmen durch den Rückgriff auf Geschäftsführer und Vorstände faktisch ihrer kartellrechtlichen Bußgeldverantwortung entziehen könnten. Dies gelte erst recht, wenn Vorstand und Geschäftsführer über eine D&O-Versicherung haftpflichtversichert seien und die Deckungssumme weit höher sei als ein gegen das Unternehmen verhängtes Bußgeld.
3. Nach nochmaliger Bewertung der Sach- und Rechtslage vermag die Kammer der Einschätzung des Senats jedenfalls im vorliegenden Fall weder im Ergebnis noch in der Argumentation beizutreten. Die Wertung des Senats beruht ausdrücklich auf einer teleologischen Reduktion der Vorstände und Geschäftsführer betreffenden gesellschaftsrechtlichen Haftungsvorschriften für den Bereich der Kartellbußen. Denn der Senat erkennt an, dass die wortlautgetreue Anwendung zivil- und gesellschaftsrechtlicher Haftungsnormen grundsätzlich eine unbeschränkte Einstandspflicht pflichtwidrig handelnder Organmitglieder hinsichtlich des ahndenden Teils der Geldbuße nahelegt und unter Anwendung der allgemeinen haftungsrechtlichen Grundsätze jedenfalls dieser ahndende Teil einer Unternehmensgeldbuße regelmäßig einen regressfähigen Schaden der Gesellschaft darstellt. Hinreichende Gründe, im Wege teleologischer Reduktion von diesem allgemeinen Grundsatz abzuweichen, sind aus Sicht der Kammer aber nicht gegeben.
a) Soweit der Senat wesentliche Aspekte der Argumentation an die Besonderheiten des deutschen Kartellrechts knüpft, vermag die Kammer dem schon deshalb nicht zu folgen, weil die Frage eines Bußgeldregresses nicht davon abhängen kann, ob ein nach deutschem oder europäischem Recht verhängtes Bußgeld streitgegenständlich ist oder ob etwa im konkreten Fall auf Grundlage deutschen Rechts ein Bußgeld nur gegen das Unternehmen oder auch gegen Vorstand bzw. Geschäftsführer verhängt worden ist (vgl. hierzu instruktiv Lohse in Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, 5. Auflage, § 50 Rn. 88 [im Erscheinen]). Dies würde letztlich nicht nur zu zufälligen Ergebnissen führen, sondern eine solche Diversifizierung erscheint für eine teleologische Reduktion der oben genannten Haftungsvorschriften ohnehin untunlich, zumal auch generell nicht erkennbar ist, warum dem – deutschen – Bußgeldrecht überhaupt ein derart bestimmender Einfluss auf gesellschaftsrechtliche Ausgleichsansprüche zugebilligt werden sollte.
b) Hinzu kommt, dass die Ablehnung des Bußgeldregresses in der Konsequenz dazu führen würde, dass die Leitungspersonen unter dem Gesichtspunkt europäischen Rechts weder ein persönliches Bußgeld noch den Bußgeldregress zu fürchten hätten, was Geschäftsleitungen nachgerade sogar zu kartellrechtswidrigen Entscheidungen verleiten könnte (so ausdrücklich in der einschlägigen österreichischen Literatur Madari, GesZR 2021, 14, 17 m.w.N; ähnlich im Zusammenhang zu Fehlanreizen Kersting, ZIP 2016, 1266, 1268 m.w.N.). Da auch der Senat selbst das Präventionserfordernis anerkennt (OLG Düsseldorf, Urteil vom 27. Juli 2023 – VI-6 U 1/22 (Kart) –, Rn. 207, juris), ist die Regressmöglichkeit in diesen Fällen im Grunde also sogar zwingend erforderlich. Dies ist ein eindeutig gegen die Differenzierung zwischen deutschen bzw. gemeinschaftsrechtlicher Bußgeldtatbeständen sprechender Aspekt, denn ansonsten wäre das vorhandene Präventionspotential für Fälle mit größerer, nämlich grenzüberschreitender Auswirkung der Kartellrechtsverletzung ein geringeres als bei national begrenzten Verstößen.
c) Damit greifen aber sämtliche auf die Besonderheiten des deutschen Kartellrechts bauenden Argumente aus Sicht der Kammer bereits vor diesem Hintergrund nicht durch.
4.
Allerdings vermag sich die Kammer auch den auf das deutsche Bußgeldrecht an sich bezogenen, auf den Telos der Bußgeldvorschriften zielenden Argumenten nicht anzuschließen. Denn auch nach Sinn und Zweck ist eine einschränkende Auslegung der gesellschaftsrechtlichen Regressvorschriften nicht angezeigt (vgl. zum Folgenden instruktiv Lohse in Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, 5. Auflage, § 50 Rn. 87 f. [im Erscheinen]). Die Argumentation der einen Regressausschluss befürwortenden Meinungsgruppe (vgl. ausführliche Nachweise OLG Düsseldorf, Urteil vom 27. Juli 2023 – VI-6 U 1/22 (Kart) –, Rn. 179, juris), welcher sich der Senat in seiner Entscheidung in der Sache anzuschließen scheint, geht im Wesentlichen dahin, dass im Falle eines Bußgeldregresses der Sanktionszweck der Verbandsgeldbuße (§ 30 OWiG) verfehlt und der durch § 81c GWB ausdifferenzierte Bußgeldrahmen unterlaufen werde.
a) Sofern die Annahme im Hinblick auf das Erreichen des Sanktionszwecks der Verbandsgeldbuße (§ 30 OWiG) dabei vor allem auf die Annahmen gestützt wird, die bebußte Gesellschaft sei als eine die Ordnungsstrafe verwirkende Täterin anzusehen und könne eine Strafe „verwirken“ sowie dass die Unternehmensgeldbuße auf dem Schuldprinzip beruhe und sich die Gesellschaft nicht darin enthaltenen Vorwurf des Organisationsverschuldens entziehen dürfe (so zusammenfassend Lohse a.a.O. mit Verweis auf LAG Düsseldorf, NJOZ 2015, 782 ff.) bzw. dass § 30 OWiG eine Sanktionsregelung darstelle, die speziell auf diesen besonderen Fall der „Verantwortlichkeit Mehrerer zugeschnitten“ sei (so ausdrücklich OLG Düsseldorf, Urteil vom 27. Juli 2023 – VI-6 U 1/22 (Kart) –, Rn. 179, juris), stimmt dies nicht mit dem Wesen der Verbandsgeldbuße nach § 30 OWiG überein (hierzu sowie zum Folgenden bereits Lohse a.a.O., Rn. 88.). Denn § 30 OWiG enthält eine bußgeldrechtliche Sanktion eigener Art. Die Vorschrift beruht dabei gerade nicht auf der Verantwortung des Unternehmens für eigenes Fehlverhalten, sondern will vielmehr juristische Personen und Personenvereinigungen mit Einzelunternehmern im Hinblick auf die Bußgeldbemessung (vgl. § 17 Abs. 3 OWiG: Wirtschaftliche Verhältnisse des Täters) gleichstellen, die ihnen aus dem Handeln der Leitungspersonen zufließenden Vermögensvorteile (Verfall nach § 29a OWiG) nach § 30 Abs. 3 i.V.m. § 17 Abs. 4 OWiG entziehen und darüber hinaus „im Sinne eines Pflichtenappells unlauteres, gesetzliche Ver- und Gebote missachtendes Gewinnstreben“ verhindern (vgl. hierzu BeckOKOWiG/Meyberg, § 30 OWiG, Rn. 8 ff.). Sie soll überdies die juristischen Personen und Personenvereinigungen dazu anhalten, „Leitungspersonen nach ihrer Rechtstreue auszuwählen und auf deren Rechtschaffenheit zu achten“, und die Leitungspersonen dazu, „einem Gesetzesverstoß nicht um der möglichen wirtschaftlichen Vorteile wegen den Vorzug zu geben“ (vgl. dazu BeckO-KOWiG/Meyberg, § 30 OWiG, Rn. 14 ff.). Diese Sichtweise wird insbesondere durch die Rechtsprechung des BVerfG gestützt, das wie folgt dazu ausführt: „Juristische Personen als bloße Zweckgebilde der Rechtsordnung (...) bilden ihren Willen nur durch Organe und unterliegen im Hinblick auf Straftaten und Ordnungswidrigkeiten nur einer eingeschränkten Verantwortlichkeit. Begeht
ein Organwalter unter Verletzung von Pflichten der juristischen Person eine solche Tat, so ist er allein Täter. Gegen die juristische Person kann lediglich gemäß § 30 OWiG eine Geldbuße festgesetzt werden, die aber weder einen Schuldvorwurf noch eine ethische Missbilligung enthält, sondern einen Ausgleich für die aus der Tat gezogenen Vorteile schaffen soll“ (BVerfG 26.2.1997 – 1 BvR 2172/96 –, BVerfGE 95, 220, Rn. 84). Dieses Verständnis liegt auch den Unternehmensgeldbußen im europäischen Kartellrecht zugrunde; dort ist ebenfalls anerkannt, dass Unternehmen, die selbst nicht schuldfähig sind, das schuldhafte Verhalten der für sie handelnden natürlichen Unternehmen zugerechnet wird (vgl. statt aller Bunte/Sura, Art. 23 VO 1/2003, Rn. 23 sowie Lohse a.a.O.) Damit kann auf Grundlage der Ausführungen des BVerfG ein auf Täterschaft, Verschulden oder eine wie auch immer gearteter Verantwortlichkeit zielender Normzweck bereits deshalb nicht zum Tragen kommen, weil die Vorschrift schon nicht an die Verantwortlichkeit des Unternehmens anknüpft.
b) Gleichzeitig zeigt sich, dass der Präventionszweck nicht primär auf das Unternehmen bzw. die Gesellschaft als juristische Person oder Personenmehrheit, sondern auf die Gesellschafter und die Leitungspersonen zielt (so instruktiv zuletzt Lohse a.a.O.). Dann wird dieser Präventionszweck aber erst recht erreicht, wenn es zum Bußgeldregress kommt und die Leitungspersonen getroffen werden (vgl. zur Relevanz des persönlichen Schadensersatzrisikos unter dem Präventionsgesichtspunkt auch schon Kersting, ZIP 2016, 2066, 2068 m.w.N.). Hiergegen kann aus Sicht der Kammer auch kaum eingewendet werden, dass die Leitungsperson praktisch keinerlei Einfluss auf die Höhe der gegen das Unternehmen verhängenden Buße habe, da der tatbezogene Umsatz im Wesentlichen von der Größe des Unternehmens und seiner Stellung am Markt abhänge, während sich die gegen das Organ unmittelbar zu verhängende Buße vor allem an individuelle Kriterien wie der Dauer der Tat und der eigenen Leistungsfähigkeit richte. Denn tatsächlich hat gerade der Vorstand bzw. Geschäftsführer eines Unternehmens es in der Hand, etwa durch Einrichtung eines Compliancesystems (§ 81d Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 und Nr. 5 GWB) oder Stellung eines Kronzeugenantrags (§§ 81k, 81l GWB) Erlass oder Ermäßigung der Geldbuße zu erreichen und/oder mittels eines Settlement-Verfahrens eine (weitere) Ermäßigung der Geldbuße zu erreichen (darauf weist schon Lohse a.a.O. hin) und somit das eigene Regressrisiko nachhaltig zu verringern. Aufgrund dieser Besonderheiten des Kartellordnungswidrigkeitenrechts sind mögliche wirtschaftlichen Konsequenzen für den Vorstand bzw. Geschäftsführer im Falle eines Bußgeldregresses womöglich sogar deutlich weniger einschneidend als beim – zulässigen – Regress im Rahmen des private enforcements. c) Schließlich kann aus Sicht der Kammer auch die im Rahmen der Ahndungskomponente vom BVerfG als Zweck goutierte, also unabhängig von den eigentlichen Abschöpfungsvorschriften vorgenommene Abschöpfung von Vorteilen aus der Tat trotz eines Regresses ohne weiteres erreicht und so der entsprechende Zweck erfüllt werden. Denn die Verbandsgeldbuße trifft in jedem Falle zunächst die Gesellschaft, weshalb das Ziel einer sachgerechten Bußgeldbemessung und ggf. einer Abschöpfung erzielter Vorteile nach § 81d Abs. 3 unabhängig davon erreicht wird, ob die Gesellschaft die Verbandsgeldbuße ganz oder – regelmäßig wahrscheinlicher – nur teilweise auf einen Vorstand bzw. Geschäftsführer im weiteren Verlaufe abwälzen kann (so zutreffend bereits Lohse a.a.O.).
Insoweit kann zur Frage der oft nicht möglichen Überwälzung der Bußgelder auf die Leitungspersonen auf den vorangegangenen Hinweisbeschluss der Kammer Bezug genommen werden (vgl. LG Dortmund, Beschluss vom 21. Juni 2023 – 8 O 5/22 (Kart) –, Rn. 7, juris). Die Kammer vermag insoweit auch den Hinweisen des Senats auf die D&O-Versicherung (OLG Düsseldorf, Urteil vom 27. Juli 2023 – VI-6 U 1/22 (Kart) –, Rn. 204, juris.) nicht zu folgen, da der Senat selber an anderer Stelle seines Urteils davon ausgeht, dass Bußen „regelmäßig“ im dreistelligen Millionenbereich zu verorten sein werden (OLG Düsseldorf a.a.O. Rn. 198, juris.). Insoweit ist zu berücksichtigen, dass nicht nur Schäden in dieser Höhe kaum versicherbar sind, sondern dass hier auch regelmäßig bei den handelnden Personen Vorsatzformen vorliegen dürften, die nicht von den gängigen Policen abgedeckt sein werden (so auch Franck/Seyer, Antitrust Fines and Managerial Liability, https://ssrn.com/abstract=4458185, S. 26 f.).
Zudem dürfen auch die anderen Folgen der Verhängung einer Verbandsgeldbuße für die betroffene Gesellschaft nicht unberücksichtigt bleiben (vgl. zum Folgenden auch Lohse a.a.O.). Denn die hohen kartellrechtlichen Geldbußen sind nicht nur womöglich im Einzelfall für das Unternehmen existenzgefährdend, sondern der Kartellverstoß kann nach § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB zum Ausschluss von öffentlichen Aufträgen führen und nicht zuletzt erleichtert der rechtskräftige Bußgeldbescheid wegen seiner Bindungswirkung nach § 33b GWB Schadensersatzklagen gegen das Unternehmen nach § 33a GWB.
In der Gesamtschau kann mithin von einem Verfehlen des Normzwecks durch einen Bußgeldregress kaum die Rede sein.
Raum für eine einschränkende Auslegung der gesellschaftsrechtlichen Haftungsvorschriften und somit auf einen Ausschluss des Bußgeldregresses besteht aus Sicht der Kammer nach all dem nicht (vgl. so aus jüngster Zeit auch Lohse a.a.O., ferner jetzt ausführlich Franck/Seyer, Antitrust Fines and Managerial Liability, https://ssrn.com/abstract=4458185, S. 40 f.).
Im Übrigen geltend die im Ausgangsbeschluss erteilten Hinweise fort.
II. Die Kammer erwägt vor diesem Hintergrund, den Teil des Rechtsstreits, dessen Streitgegenstand der Regress privatrechtlicher Forderungen ist, nach § 145 ZPO abzutrennen und einer Entscheidung zuzuführen. Im Übrigen beabsichtigt die Kammer, den verbleibenden, den Bußgeldregress betreffenden Teil des Rechtsstreits aus Gründen der Prozessökonomie und der Kostenersparnis für die Parteien auszusetzen, bis der Bundesgerichtshof im das Urteil des OLG Düsseldorf betreffenden Verfahren die hier interessierende Rechtsfrage beantwortet hat; der Senat hat insoweit die Revision zugelassen.
III. Die Parteien erhalten Gelegenheit, zu diesen Aspekten binnen 3 Wochen ab Zugang dieses Beschlusses abschließend Stellung zu nehmen.
Der Termin zur Verkündung einer Entscheidung wird vor diesem Hintergrund verlegt auf
Mittwoch, 25.10.2023, 10 Uhr, Saal 140.
Diese Entscheidung hat neben dem Tenor keinen Entscheidungstext.