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Der Antrag vom 29.03.2022 auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wird zurückgewiesen.
Die Verfügungsklägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Verfügungsklägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Verfügungsbeklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
T a t b e s t a n d :
2Die Verfügungsklägerin und die Verfügungsbeklagte betreiben jeweils Unternehmen, die sich mit der Versorgung von Letztverbrauchern mit Strom befassen. Mit diesem Verfügungsantrag nimmt die Verfügungsklägerin die Verfügungsbeklagte wegen angeblicher wettbewerbs- und kartellrechtswidriger Spaltung ihrer Preise für die Grund- und Ersatzversorgung in Niederspannung in Anspruch.
3Die Verfügungsklägerin ist ein Energieversorgungsunternehmen mit Sitz in 01-Ort, das auf den bundesweiten Vertrieb von Ökostrom und Ökogas spezialisiert ist und mehr als eine Million Kunden mit Strom versorgt. Die Verfügungsbeklagte ist ein kommunales Energieversorgungsunternehmen und ebenfalls im Bereich der Strom- und Gasversorgung tätig. Sie ist in dem Netzgebiet der Stadt 02-Ort Grundversorger gemäß § 36 EnWG und damit auch für die Ersatzversorgung nach § 38 EnWG zuständig. Sie versorgt in der Grundversorgung etwa 27.000 Kunden mit Strom.
4Im Dezember 2021 gestaltete die Verfügungsbeklagte ihre im Internet abrufbaren Grund- und Ersatzversorgungspreise so, dass sie für Bestandskunden einerseits und für Neukunden mit Lieferbeginn ab dem 21.12.2021 andererseits unterschiedliche Arbeitspreise bei jeweils gleichen Grundpreisen festlegten. Bestandskunden haben danach ab dem 01.01.2022 einen Arbeitspreis von 29,46 ct/kWh; Neukunden mit Lieferbeginn ab 21.12.2021 hatten zunächst 91,97 ct/kWh zu zahlen. Ab dem 01.02.2022 senkte die Verfügungsbeklagte den Arbeitspreis für Neukunden auf 53,09 ct/kWh.
5Mit Anwaltsschreiben vom 27.01.2022 mahnte die Verfügungsklägerin die Verfügungsbeklagte wegen dieser Preisgestaltung ab und forderte sie zur Abgabe einer Unterlassungsverpflichtungserklärung bis zum 02.02.2022 auf. Wegen der Einzelheiten der Abmahnung wird auf die Anlage ASt15 zur Antragsschrift verwiesen.
6Mit Anwaltsschreiben vom 02.02.2022 lehnte die Verfügungsbeklagte die Abgabe einer Unterlassungsverpflichtungserklärung ab. Wegen der Einzelheiten des Schreibens wird auf die Anlage ASt16 verwiesen.
7Derzeit bietet die Verfügungsklägerin keine Stromlieferverträge gegenüber Letztverbrauchern an. Auf ihrer Internetseite www.X01.de informiert sie hierüber potentielle Kunden mit dem Text: „Aktuell können Neukund*innen leider keine Öko- oder WärmeStrom-Tarife abschließen“.
8Die Verfügungsklägerin behauptet, sie habe ihr Neukundengeschäft für Haushaltskunden kurzfristig und nur vorübergehend eingestellt. Hintergrund sei eine unerwartete Profilumstellung durch einen großen Verteilnetzbetreiber, welche sie gezwungen habe, die eigentliche für die Haushaltskunden bestimmten Mengen für das Neukundengeschäft an die von der Profilumstellung betroffenen Kunden, also das Bestandskundengeschäft, zu liefern. Nach derzeitigem Stand werde sie das Neukundengeschäft aber in Kürze wieder starten. Sie gehe im Moment davon aus, ab dem 5. April 2022 wieder Stromlieferverträge für Haushaltskunden anzubieten.
9Die Verfügungsklägerin behauptet des Weiteren, die Grundversorger hätten wegen hoher Gewinnmargen ein großes Interesse daran, dass die Kunden nicht zu Wettbewerbern wechseln würden. Jede Preiserhöhung führe aber erfahrungsgemäß bei einer Vielzahl von Kunden zu einem Lieferantenwechsel. Um genau das zu vermeiden habe sich die Verfügungsbeklagte entschlossen, die aktuell hohen Beschaffungspreise für Strom nicht an ihre bestehenden Kunden in der Grund- und Ersatzversorgung weiterzugeben und die Grundversorgungspreise gemäß § 5 Abs. 2 StromGVV für alle Kunden zu erhöhen, sondern stattdessen ab einem bestimmten Stichtag nur von Neukunden sehr viel höhere Preise zu verlangen, die nicht nur höhere Beschaffungspreise berücksichtigen, sondern zudem auch noch eine extrem hohe Marge enthalten würden. Die Verfügungsbeklagte würde also eine Preisspaltung vornehmen, um die derzeit gemessen an den Beschaffungskosten extrem niedrigen Preise für Bestandskunden von den Neukunden querfinanzieren zu lassen.
10Die Verfügungsklägerin behauptet ferner, der Arbeitspreis von 29,46 ct/kWh für Bestandskunden sei angesichts der aktuellen Beschaffungspreise nicht mehr kostendeckend. Hingegen seien die für Neukunden berechneten Preise überhöht. Nach ihren, der Klägerin, Berechnungen habe die Verfügungsbeklagte für einen Haushaltskunden in der 52. Kalenderwoche 2021 an der Strombörse EEX einen durchschnittlichen Preis von 23,47 ct/kWh zahlen müssen. Im Januar habe der Beschaffungspreis 39,86 ct/kWh betragen. Im Durchschnitt hätten die Strombeschaffungskosten für den Zeitraum 21.12.2021 bis 31.01.2022 38,37 ct/kWh betragen. Zuzüglich Strukturierung, Vertrieb und Marge ergebe sich somit ein Preis von 44,37 ct/kWh. Diese Kosten lägen deutlich unter den Kosten von 60 ct/kWh, welche von der Verfügungsbeklagten ausgewiesen würden.
11Für den Zeitraum von Februar bis April 2022 seien Kosten von durchschnittlich 23,80 ct/kWh einschließlich Beschaffung, Vertrieb und Marge zu errechnen. Der ab Februar 2022 den Neukunden berechnete Preis von 53,09 ct/kWh sei daher nicht gerechtfertigt. Einschließlich der sonstigen Kostenbelastungen und der Umsatzsteuer sei lediglich ein Preis von 45,7 ct/kWh gerechtfertigt. Wegen der Einzelheiten der von der Verfügungsklägerin angestellten Berechnungen wird auf die Ausführungen auf Seite 12ff. der Antragsschrift verwiesen.
12Es gehe der Verfügungsbeklagten daher nicht darum, den Neukunden einen fairen Preis anzubieten. Der von den Neukunden erhobene höhere Preis ermögliche es der Verfügungsbeklagten vielmehr, ihren Bestandskunden im Wege einer Quersubvention einen günstigeren Preis zu bieten, der unterhalb der Preise außerhalb der Grund- und Ersatzversorgung liege. Für grund- und ersatzversorgte Bestandskunden der Verfügungsbeklagten bestehe daher kein Anreiz zu einem Wechsel des Stromlieferanten.
13Gleichzeitig würden Kunden, die neu in die Grundversorgung fallen, mit extrem hohen Kosten belastet, mit denen sie bei der Wahrnehmung ihrer Möglichkeiten des Wechsels zu einem Wettbewerber der Verfügungsbeklagten bisher nicht hätten rechnen müssen, was Kunden zukünftig abschrecken könne, zu einem günstigen Stromanbieter zu wechseln.
14Die Preisspaltung sei durch die Entwicklung des Strommarktes nicht gerechtfertigt. Schon seit Mitte 2021 seien die Großhandelspreise für Strom gestiegen, so dass mindestens 30 Energieversorger die Stromlieferung eingestellt hätten. Es sei vor allem nicht verständlich, warum die extrem hohen Preise nur für Neukunden mit Lieferbeginn ab dem 21.12.2021 gelten sollten, aber nicht für Neukunden mit Lieferbeginn zwischen September und dem 20.12.2021, obwohl die Kosten der Verfügungsbeklagten für beide Kundengruppen ungefähr gleich seien. Bereits im September 2021 seien die Beschaffungskosten für Strom hoch gewesen. Es bestehe auch keine Rechtfertigung für eine Benachteiligung der ehemaligen Kunden des Stromanbieters A01, die erst am 22.12.2022 in die Ersatzversorgung gefallen seien, gegenüber Kunden, die bereits zwischen dem 04.10. und dem 20.12.2021 erstmals ersatzversorgt worden seien. Der Ersatzbeschaffungsbedarf, den die Verfügungsbeklagte geltend mache, sei auch für diese früheren Kunden in der Ersatzversorgung angefallen.
15Die Verfügungsklägerin vertritt die Ansicht, ihr stünden gegen die Verfügungsbeklagte wettbewerbsrechtliche und kartellrechtliche Unterlassungsansprüche zu.
16Zum einen ergebe sich ein Unterlassungsanspruch aus §§ 8 Abs. 1 und 3, 3, 3a UWG in Verbindung mit §§ 36 Abs. 1 S. 1, § 38 Abs. 1 EnWG.
17Die angegriffene Preisspaltung verstoße gegen § 3a UWG in Verbindung mit §§ 36, 38 EnWG, denn die Verfügungsbeklagte dürfe, so meint die Verfügungsklägerin, nur einheitliche Grundversorgungspreise verlangen, die unabhängig vom Zeitpunkt des Lieferbeginns seien. Dies folge daraus, dass Grundversorger gemäß § 36 Abs. 1 S. 1 EnWG „Allgemeine Bedingungen und Allgemeine Preise für die Versorgung in Niederspannung oder Niederdruck öffentlich bekannt zu geben, im Internet zu veröffentlichen und zu diesen Bedingungen und Preisen jeden Haushaltskunden zu versorgen“ hätten. Die Preise für die Ersatzversorgung dürften diese Preise gemäß § 38 Abs. 1 Satz 3 EnWG nicht überschreiten. Die Versorgung zu allgemeinen Preisen enthielten, so meint die Verfügungsklägerin, ein Diskriminierungsverbot, das heiße ein Verbot zur Ungleichbehandlung sachlich gleich gelagerter Sachverhalte ohne sachlichen Grund. Ein späterer Lieferbeginn sei kein zulässiges Differenzierungsmerkmal, vielmehr würden hierdurch Kunden für einen früheren Wechsel zu einem früheren Wettbewerber bestraft. Auch höhere Beschaffungskosten seien kein zulässiges Differenzierungsmerkmal, da die Großhandelspreise für Strom nicht erst zum Ende des Jahres 2021, sondern bereits seit Mitte des Jahres 2021 stark angestiegen seien. Auch seien zu diesem Zeitpunkt bereits Einstellungen der Belieferung und das Zurückfallen in die Ersatzversorgung erfolgt, wie sich aus der Anlage ASt6 zur Antragsschrift ergebe. Schließlich folge eine sachliche Rechtfertigung auch nicht aus der in § 5 Abs. 2 StromGVV vorgesehenen 6wöchigen Vorankündigungsfrist für Änderungen der allgemeinen Preise, denn diese Frist gelte, so meint die Verfügungsklägerin, auch für die Einführung eines Neukundentarifs.
18Die Vorschriften der §§ 36, 38 EnWG seien auch, so meint die Verfügungsklägerin, Marktverhaltensregeln im Sinne von § 3a UWG. Sie dienten dem Schutz der Verbraucher, denen eine Auffangenergieversorgung zur Verfügung gestellt werden solle. Hierdurch solle auch ein Lieferantenwechsel erleichtert werden, um den Wettbewerb zu fördern. Der Verbraucher solle nicht durch die Gefahr, dass er bei einer Kündigung oder Liefereinstellung durch den neuen Lieferanten nicht mehr mit Strom beliefert werde, von einem Wechsel abgehalten werden. Er solle vielmehr die Sicherheit haben, auch in einem solchen Fall zu fairen Bedingungen durch den Grundversorger versorgt zu werden. Sollten die Verbraucher aber die Sorge haben müssen, aufgrund einer Preisspaltung von besonders hohen Preisen der Ersatzversorgung bedroht zu sein, seien sie, so behauptet die Verfügungsklägerin, weniger geneigt, von der Grundversorgung zu einem Vertrag außerhalb der Grundversorgung zu wechseln. Der Charakter als Marktverhaltensvorschrift folge darüber hinaus aus dem allgemeinen Ziel des EnWG, einen wirksamen und unverfälschten Wettbewerb zu ermöglichen.
19Außerdem stehe ihr, so meint die Verfügungsklägerin, ein Unterlassungsanspruch aus §§ 33 Abs. 1 und 3, 19 Abs. 2 Nr. 1 und 3 GWB zu. Mit der Preisspaltung missbrauche die Verfügungsbeklagte ihre marktbeherrschende Stellung und verletze damit § 19 GWB. Sie, die Verfügungsklägerin, werde als Mitbewerberin im Sinne des § 33 Abs. 3 GWB durch die Preisspaltung in ihren wettbewerblichen Möglichkeiten beeinträchtigt, da potenzielle Kunden auf diese Weise von einem Wechsel zu ihr abgehalten würden. Die Verfügungsbeklagte sei auf dem Grundversorgungsmarkt im Netzgebiet 02-Ort Monopolist und habe dort örtlich auch auf dem Markt für die Belieferung von Sondervertragskunden eine sehr starke Stellung, weil ein Großteil der vom Grundversorger belieferten Sondervertragskunden in ähnlicher Weise wenig wechselbereit sei wie die grundversorgten Kunden.
20Die Verfügungsklägerin meint, die Preisspaltung sei ein Strukturmissbrauch im Sinne des § 19 Abs. 2 Nr. 3 GWB. Die Ungleichbehandlung gleichartiger Abnehmer durch ein marktbeherrschendes Unternehmen im beherrschten Markt stelle prima facie eine unzulässige Diskriminierung dar. Die Verfügungsbeklagte würde ohne sachliche Rechtfertigung gegen das Gebot verstoßen, dass marktbeherrschende Unternehmen allen ihren Kunden gleich günstige Preise einräumen müssten. Insbesondere sei es willkürlich, mit Eintritt eines bestimmten Datums für einzelne Kunden einen höheren Preis festzusetzen. Die Preisspaltung der Verfügungsbeklagten sei mit der auf die Freiheit des Wettbewerbs gerichteten Zielsetzung des GWB offensichtlich unvereinbar. Höhere Beschaffungskosten könnten einen sachlichen Grund für eine einheitliche Erhöhung der Grundversorgungspreise darstellen, nicht aber für eine Spaltung der Preise. Mit der Preisspaltung würde die Verfügungsbeklagte das Ziel verfolgen, ihre Bestandskunden im monopolistischen Grundversorgungsmarkt von einem Wechsel in den wettbewerblichen Sondervertragsmarkt und zu günstigeren Wettbewerbern wie der Verfügungsklägerin abzuhalten. Dies stelle eine sogenannte echte Drittmarktbehinderung dar. Hierdurch werde sie, die Verfügungsklägerin, in zweierlei Hinsicht behindert. Zum einen würden die Bestandskunden in der Grundversorgung dem Wettbewerb um die Belieferung auf der Basis von Sonderverträgen vorenthalten. Zum anderen zementiere die Verfügungsbeklagte zugleich ihre Stellung als Monopolist auf dem Grund- und Ersatzversorgungsmarkt und beeinträchtige die Möglichkeiten von Wettbewerbern wie der Verfügungsklägerin, durch Zugewinn neuer Kunden selbst die Voraussetzungen für die lukrative Stellung als Grundversorger nach § 36 Abs. 2 EnWG zu erfüllen. Die Preisspaltung stelle damit auch eine unbillige Behinderung im Sinne des § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB dar.
21Schließlich ergebe sich, so meint die Verfügungsklägerin, ein Unterlassungsanspruch auch aus §§ 33 Abs. 1 und 3, 19 Abs. 2 Nr. 2, 29 Satz 1 Nr. 1 GWB. § 29 Satz 1 Nr. 1 GWB verbiete es marktbeherrschenden Energieversorgungsunternehmen, Entgelte oder sonstige Geschäftsbedingungen zu fordern, die ungünstiger seien als diejenigen anderer Versorgungsunternehmen oder von Unternehmen auf vergleichbaren Märkten, es sei denn, das Versorgungsunternehmen weise nach, dass die Abweichung sachlich gerechtfertigt sei. Die Mehrzahl der Grundversorger in Deutschland, so behauptet die Verfügungsklägerin, verzichte auf höhere Preise zu Lasten von Neukunden. Für eine Abweichung der Verfügungsbeklagten von den Preiskonditionen dieser anderen Grundversorger bestehe keine sachliche Rechtfertigung.
22Der Verfügungsgrund folge, so meint die Verfügungsklägerin, zum einen aus der Vermutung des § 12 Abs. 1 UWG. Zum anderen würde ihr, so behauptet die Verfügungsklägerin, ein Schaden entstehen, wenn die Verfügungsbeklagte ihr Verhalten fortsetzen würde. Insbesondere würden zahlreiche Bestandskunden von einem Wechsel zu Wettbewerbern wie ihr, der Verfügungsklägerin, absehen.
23Die Verfügungsklägerin beantragt,
24es der Verfügungsbeklagten bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 EUR und für den Fall, dass dies nicht beigetrieben werden kann, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu untersagen, für das Netzgebiet, in dem die Verfügungsbeklagte die Grundversorgung von Haushaltskunden durchführt,
25a) Allgemeine Preise für die Versorgung in Niederspannung öffentlich bekannt zu machen und/oder anzubieten, deren Höhe je nach Beginn der Grund- oder Ersatzversorgung unterschiedlich ist, wie aus den in Anlagen ASt 3 bis ASt 7 aufgeführten Grundversorgungstarifen ersichtlich und/oder
26b) für Kunden in der Grund- oder Ersatzversorgung in Niederspannung Arbeitspreise abzurechnen und/oder zu verlangen, die je nach Beginn der Grund- oder Ersatzversorgung abweichen von den Arbeitspreisen anderer Kunden in der Grund- oder Ersatzversorgung wie aus Anlagen ASt 3 bis ASt 7 ersichtlich.
27Die Verfügungsbeklagte beantragt,
28den Antrag und den Hilfsantrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.
29Die Verfügungsbeklagte macht geltend, sie habe sich zu der Einführung eines gesonderten Tarifs für Neukunden veranlasst gesehen, weil gleich mehrere Strom- und Gaslieferanten die Versorgung ihrer Kunden eingestellt hätten mit der Folge, dass ihr als Ersatz-bzw. Grundversorgerin kurzfristig innerhalb von Stunden eine massive Anzahl zusätzlicher Haushaltskunden zugeordnet worden sei. Für die Versorgung dieser Kunden habe sie nicht im Rahmen ihrer üblichen langfristigen Beschaffungsvorgänge die notwendige Energie beschaffen können, sondern habe sich kurzfristig am Markt zu um ein Vielfaches angestiegenen Preisen eindecken müssen. Um die erheblich höheren Beschaffungskosten für die neue Kundengruppe aufzufangen, habe sie mit Wirkung ab dem 22.12.2021 neue, von ihren Bestandstarifen getrennte Grund- und Ersatzversorgungstarife gebildet.
30Die Verfügungsbeklagte behauptet, sie kaufe für ihre Kunden, die gemäß § 12 Strom-NZV nach Standardlastprofilen (SLP) beliefert würden, nach den Vorgaben eines Risikohandbuchs für die Beschaffung jeweils in 12 gleichen Tranchen Energiemengen 3 Jahre im Voraus ein. Diese Vorgehensweise habe sie auch für das Jahr 2022 gewählt. Allerdings habe sich das Jahr 2021 durch einen erheblichen Anstieg von Energiepreisen ausgezeichnet, was ab August deutlich geworden sei. Bis Oktober seien die Preise von 82,70 €/MWh auf 139,49 €/MWh weiter angestiegen. Da wegen der in § 5 Abs. 2 StromGVV vorgeschriebenen sechswöchigen Vorankündigungsfrist die Anpassung der Preise bis Ende Oktober/Anfang November 2021 habe fertig berechnet sein müssen, habe sie bereits Anfang November 2021 die Energiemengen für die 2022 zu erwartenden Kunden vollständig beschafft, die Preisanpassung berechnet und diese durch ihren Aufsichtsrat beschlossen. Nach dieser Festsetzung der Preise sei es auf dem Energiemarkt zu weiteren ganz erheblichen Anstiegen bei den Energiepreisen gekommen. Im Dezember 2021 habe der Beschaffungspreis sogar 221,06 €/MWh betragen. Ferner seien die Börsenpreise sehr volatil gewesen. In der Folge seien zahlreiche Versorger insolvent geworden oder hätten in rechtlich fragwürdiger Weise die Lieferverträge massenhaft gekündigt. Daraufhin habe sie allein im Dezember 2021 einen Zuwachs von 935 A01-Kunden verzeichnen müssen. Ein solcher Zuwachs sei nicht vorhersehbar gewesen. Ferner sei es im Dezember 2021 neben steigenden Energiekosten auch zu einer Verknappung der Energiemengen gekommen. Sie habe größtenteils bei Ausschreibungen keine Angebote für Fahrplangeschäfte für das Lieferjahr 2022 mehr bekommen. Selbst Standardhandelsprodukte seien nicht mehr von allen Vorlieferanten angeboten worden, da Vorlieferanten wie z. B. B01 den Vertrieb komplett eingestellt hätten.
31In dieser dramatischen Lage habe nicht nur sie, sondern auch eine erhebliche Anzahl anderer Grund- und Ersatzversorger entschieden, neue Tarife für die Grund- bzw. Ersatzversorgung ab einem bestimmten Zeitpunkt einzuführen.
32Für die Entscheidung der Verfügungsbeklagten sei auch die Erwägung maßgeblich gewesen, dass Unsicherheit bestanden habe, ob eine Preiserhöhung gegenüber allen grundversorgten Kunden überhaupt gemäß §§ 5, 5a StromGVV in Verbindung mit § 315 BGB möglich gewesen wäre. Die Bestandskunden hätten nämlich, so meint die Verfügungsbeklagte, unter Umständen einwenden können, dass die für ihre Versorgung erforderlichen Strommengen bereits beschafft worden seien.
33Ferner habe der energiewirtschaftliche Grundsatz der Verursachungsgerechtigkeit für die Anhebung der Preise nur für die Neukunden gesprochen. Zu beachten seien insoweit auch die formalen Hürden, die bei der Änderung der Preise in der Grundversorgung zu beachten seien. Wegen § 5 Abs. 2 Satz 1 StromGVV habe eine Preisanpassung frühestens zum 01.03.2022 erfolgen können, mithin zu einem Zeitpunkt, in welchem die wechselaffinen Kunden im Falle eines wieder beruhigten Marktumfeldes die Ersatzversorgung längst wieder verlassen hätten. Ein Großteil der Bestandskunden, der dauerhaft in der Grundversorgung verbleibe, wäre dann mit den Mehrbelastungen der höheren Kosten für die Zusatzbeschaffung zurückgeblieben, obwohl die ihrer Versorgung dienenden Mengen zuvor bereits zu deutlich günstigeren Kosten beschafft worden seien.
34Eine Quersubventionierung der Preise für Bestandskunden, welche die Verfügungsklägerin behaupte, finde nicht statt. Wegen der bereits im Voraus beschafften Energiemengen für die Bestandskunden bestehe überhaupt keine Veranlassung für eine Quersubventionierung. Die drastischen Preissteigerungen ab Spätherbst 2021 sowie zum Jahreswechsel 2021/22 hätten die Kalkulation für die Belieferung der Bestandskunden der Grundversorgung nicht mehr berührt, weil sie, die Verfügungsbeklagte, insoweit bereits eingedeckt gewesen sei.
35Die Berechnungen, die die Verfügungsklägerin zu den Tarifen für die Neukunden angestellt habe, seien falsch und hätten mit der Realität nichts zu tun. Das Problem der vergangenen Wochen und Monate habe darin bestanden, dass die Großhandelsmärkte nicht liquide gewesen seien. Teilweise hätten Anbieter auf Nachfrage überhaupt keine Angebote erteilt. Sofern ein Angebot erteilt worden sei, sei dies nicht zu den Konditionen geschehen, die die Verfügungsklägerin in ihrer Berechnung nenne. Die Probleme seien auch daran ablesbar, dass sich mit der B01 GmbH temporär sogar der größte und marktstärkste Anbieter aus dem Sondervertragsmarkt zurückgezogen habe. Anders als die Anbieter von Sonderverträgen habe sie, die Verfügungsbeklagte, als Grundversorger den Vorteil der Prognostizierbarkeit des Verbrauchs der Kunden jedoch nicht, da Grundversorgungsverträge kundenseitig jederzeit kurzfristig gekündigt werden könnten. Sie habe somit neben dem Preisrisiko auch noch das Mengenrisiko zu tragen. Angesichts der geschilderten Problematik sei die Preisfestsetzung für Neukunden per 21.12.2021 angemessen gewesen.
36Ein Anspruch aus §§ 8, 3, 3a UWG in Verbindung mit § 36 EnWG stehe der Verfügungsklägerin, so meint die Verfügungsbeklagte, nicht zu. Es fehle zwischen den Parteien bereits an einem Wettbewerbsverhältnis im Sinne von § 8 Abs. 3 Nr. 1, § 2 Abs. 1 Nr. 3 UWG, da nur sie, die Verfügungsbeklagte, als Grund- und Ersatzversorgerin im Bereich 02-Ort tätig sei. Es sei ausgeschlossen, dass einer ihrer Kunden in der Grund- und Ersatzversorgung von der Verfügungsklägerin beliefert werden könne.
37Ein Anspruch scheide auch deshalb aus, weil §§ 36, 38 EnWG keine Marktverhaltensvorschrift im Sinne von § 3a UWG seien. § 36 EnWG entfalte keine Schutzwirkung zugunsten der Verfügungsklägerin. Die Vorschrift diene allein der öffentlichen Daseinsvorsorge und damit der Sicherung einer menschenwürdigen Existenz. Ein Schutz anderer Marktteilnehmer wie etwa konkurrierender Energielieferanten auf dem Markt der Versorgung von Sondervertragskunden werde gerade nicht bezweckt. Die Verfügungsklägerin argumentiere daher auch einzig mit Erwägungen zum Verbraucherschutz, Beeinträchtigungen ihrer Wettbewerbschancen würden hingegen nicht deutlich. Ein wettbewerblicher Bezug eines vermeintlichen Verstoßes gegen §36 EnWG durch eine Preisspaltung sei auch nicht ersichtlich. Gerade auf den Wettbewerbsmärkten, nämlich der Versorgung von Sondervertragskunden, sei es gängige Praxis, dass die Anbieter abhängig von ihren Beschaffungskosten ihren jeweiligen Endkunden unterschiedliche Preisangebote unterbreiten würden.
38Ihre Tarifgestaltung verstoße auch nicht gegen § 36 EnWG. Soweit es zu den in § 36 EnWG erwähnten Tarifen „für alle geltend“ heiße, seien damit einheitliche Preise für alle Verbraucher, auf die bestimmte Tarifierungsmerkmale zutreffen würden, gemeint. Die Vorschrift sei aber nicht so zu verstehen, dass es nur einen allgemeinen Tarif geben könne, der unterschiedslos auf alle Haushaltskunden zur Anwendung käme. Dies zeige sich schon daran, dass der EnWG-Gesetzgeber von allgemeinen Preisen spreche, also den Plural verwende. Das dem Kartellrecht entnommene Diskriminierungsverbot verlange im Übrigen gerade keine kategorische Gleichbehandlung aller geschützten Kunden, sondern verbiete lediglich die Ungleichbehandlung ohne sachlichen Grund.
39Auch die historische Auslegung von § 36 EnWG ergebe, dass die Bestimmung unterschiedlicher Preise zulässig sei. Vor Inkrafttreten von § 36 EnWG habe die seinerzeit geltende Vorschrift des § 3 BTOElt die Festsetzung unterschiedlicher Preise vorgesehen, wenn das unterschiedliche Abnahmeverhalten unterschiedliche Kosten verursache. Mit der Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts mit Wirkung zum 01.07.2007 habe der Gesetzgeber die Handlungsspielräume des Grundversorgers jedenfalls nicht einengen wollen.
40Ferner ergebe die systematische Auslegung der Vorschriften, dass eine unterschiedliche Preisgestaltung für Altkunden einerseits und Neukunden andererseits zulässig sei. Der Gesetzgeber habe von der Verordnungsermächtigung des § 39 Abs. 1 EnWG, die Gestaltung der allgemeinen Preise zu regeln, keinen Gebrauch gemacht. Damit unterliege die Bestimmung der Grundversorgungspreise lediglich einer allgemeinen kartellrechtlichen Preisaufsicht, in Ermangelung spezialgesetzlicher Regelungen sei die Gestaltung der Preise im Übrigen den Grundversorgern überlassen. Der Grundversorger sei somit berechtigt, im Rahmen der Tarifgestaltung unterschiedliche Beschaffungskosten zu berücksichtigen.
41Auch aus § 5 StromGVV könne die Verfügungsklägerin keinen Unterlassungsanspruch herleiten, denn diese Vorschrift gelte allein im Verhältnis zu ihren Bestandskunden.
42Die Schaffung des neuen Tarifs für Neukunden mit Lieferbeginn ab dem 21.12.2021 führe, so behauptet die Verfügungsbeklagte, auch nicht zu einer Marktabschottung. Wären die Preise für Neukunden, wie die Verfügungsklägerin behaupte, tatsächlich zu hoch, würde dies dazu führen, dass diese Kunden bestrebt seien, rasch in einen Sondervertrag zu wechseln. Würde sie, die Verfügungsbeklagte, hingegen dazu gezwungen, die Preisspaltung aufzugeben, würde dies bei der derzeitigen Marktsituation eher zu einer größeren Kundenbindung und damit einer Marktabschottung führen. Zwar müsse sie dann unter Beachtung der Vorgaben aus § 5 StromGVV die Preise in absehbarer Zeit anpassen, die Preisanpassung würde aus heutiger Sicht aber nicht so hoch ausfallen, dass der neue Grundversorgungstarif über den Preisen liege, die derzeit für die Belieferung von Haushaltskunden im Rahmen von Sonderverträgen verlangt würden.
43Auch aus § 33 in Verbindung mit §§ 19, 29 GWB ergebe sich kein Unterlassungsanspruch. Die Verfügungsklägerin sei schon nicht im Sinne von § 33 Abs. 3 GWB betroffen. Sie sei nicht Mitbewerber, weil sie auf dem räumlich relevanten Markt nicht als Grundversorger tätig sein könne. Sie sei auch nicht sonstige Marktbeteiligte im Sinne von § 33 GWB, weil sie weder Letztverbraucher noch Haushaltskunde sei.
44Die Verfügungsbeklagte meint, die Vorschrift des § 19 Abs. 2 Nr. 3 GWB sei schon nicht einschlägig, weil sie voraussetze, dass das marktbeherrschende Unternehmen ungünstigere Entgelte oder sonstige Geschäftsbedingungen fordere, als es selbst auf vergleichbaren Märkten von gleichartigen Abnehmern fordere. Die Vorschrift finde auf die Ungleichbehandlung verschiedener Abnehmer auf demselben sachlich und räumlich relevanten Markt keine Anwendung.
45Auch § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB sei nicht einschlägig. Es treffe auch nicht zu, dass die Preisspaltung der Quersubventionierung von zu niedrigen, nicht marktgerechten Preisen für die Bestandskunden mit dem Ziel, einen Wechsel der Bestandskunden zu günstigeren Wettbewerbern zu verhindern, diene. Aufgrund der von ihr betriebenen nachhaltigen Beschaffungsstrategie hätten sich die Preissteigerungen seit dem Sommer 2021 nur eingeschränkt auf die Bestandskundenpreise ausgewirkt. Dass die Preise für die Bestandskunden hinreichend seien, zeige sich auch daran, dass andere Grundversorger, die von einer Tarifspaltung abgesehen hätten, die Versorgung zu vergleichbaren Preisen anbieten könnten. Die Einführung des neuen Tarifs für Neukunden sei erforderlich gewesen, weil ihr in großem Umfang Neukunden für die Ersatzversorgung zugewiesen worden und zugleich die Beschaffungspreise explodiert seien.
46Im Gegensatz zu der Verfügungsklägerin sei sie auf dem Markt zur Belieferung von nicht leistungsgemessenen Stromkunden auch nicht marktbeherrschend oder auch nur marktstark.
47Schließlich liege auch kein Verstoß gegen § 29 Satz 1 Nr. 1 GWB vor. Die Behauptung, sie verlange höhere Entgelte als andere Unternehmen auf vergleichbaren Märkten, sei unrichtig. Es treffe auch nicht zu, dass alle großen Grundversorger trotz erheblicher Preissteigerungen weiterhin einheitliche Preise verlangen würden, vielmehr habe sich umgekehrt eine Vielzahl von Grund- und Ersatzversorgern zur Einführung neuer Preise für die Grund- und Ersatzversorgung ab einem bestimmten Datum entschlossen. Falls sie tatsächlich ungünstigere Preiskonditionen bieten würde, wäre dies jedenfalls sachlich gerechtfertigt. Eine fehlende sachliche Rechtfertigung habe die Verfügungsklägerin nicht dargelegt.
48Die Verfügungsbeklagte vertritt die Ansicht, es bestehe kein Anordnungsgrund. Dem Erlass einer einstweiligen Verfügung stehe auch das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache entgegen. Würde dem Antrag stattgegeben, müsste sie auch die Neukunden auf der Grundlage des aktuellen Preises der Bestandskunden versorgen. Die sofortige Einführung eines höheren Mischpreises wäre ihr gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 StromGVV untersagt. Zugleich könne sie auch dann nicht mehr rückwirkend zu der von ihr als richtig erachteten Preisspaltung zurückkehren, wenn sie später in der Hauptsache obsiegen würde. Es würden also Fakten geschaffen, die irreversibel seien. Dies sei nur unter den Voraussetzungen des § 940 ZPO zulässig, die vorliegend nicht dargetan seien.
49Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftätze und die zu den Akten gereichten Unterlagen verwiesen. Insbesondere wird auf die Ausführungen der Verfügungsklägerin in der Antragsschrift vom 14.02.2022 und dem Schriftsatz vom 29.03.2022 sowie auf die Ausführungen der Verfügungsbeklagten in der Schutzschrift vom 01.02.2022 und den Schriftsätzen vom 17.03.2022 und vom 29.03.2022 verwiesen.
50E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
51Die Anträge haben in der Sache keinen Erfolg. Der Verfügungsklägerin steht weder ein Verfügungsanspruch zu, noch liegt ein Verfügungsgrund vor.
52I. Der Verfügungsklägerin steht kein Anspruch aus §§ 8 Abs. 1 und 3, 3, 3a UWG in Verbindung mit §§ 36 Abs. 1 Satz 1, § 38 EnWG gegen die Verfügungsbeklagte zu.
531. Zwar dürfte es sich bei den Parteien um Mitbewerber im Sinne von § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG handeln. Der Begriff des Mitbewerbers ist im UWG weit auszulegen, so dass eine Mitbewerbereigenschaft auch in Betracht kommt, obwohl die Verfügungsklägerin nicht als Grundversorger im Versorgungsgebiet der Verfügungsbeklagten tätig ist und aus rechtlichen Gründen derzeit auch nicht tätig sein kann, weil es in jedem Versorgungsgebiet nur einen Grund- und Ersatzversorger geben kann.
54Im Ergebnis dürfte eine Mitbewerbereigenschaft auch nicht daran scheitern, dass die Verfügungsklägerin im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung unstreitig nicht werbend auf dem Markt tätig ist. Im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung, auf den vorliegend abzustellen ist, bot die Verfügungsklägerin zwar keine Vertragsabschlüsse zur Versorgung von Endverbrauchern und Haushaltskunden mit Strom an. Auch ist die eidesstattliche Versicherung des Prokuristen der Verfügungsklägerin vom 30.03.2022, diese werde „nach derzeitigem Stand“ das Neukundengeschäft „in Kürze“ wieder starten, und sie „gehe im Moment davon aus“, ab dem 05.04.2022 wieder Stromlieferverträge für Haushaltskunden anzubieten, aus Sicht der Kammer erstaunlich vage gehalten, so dass in der derzeitigen Lage durchaus Zweifel an einer alsbaldigen Wiederaufnahme des Neukundengeschäfts durch die Verfügungsklägerin gerechtfertigt sind. Es kann andererseits aber nicht festgestellt werden, dass die Verfügungsklägerin das Neukundengeschäft aufgegeben hat, also endgültig aus dem Markt ausgeschieden ist, was Voraussetzung für eine Verneinung der Mitbewerbereigenschaft wäre (vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler, UWG, 40. Aufl. 2022, § 2, Rdnrn. 30, 104).
552. Ob die §§ 36, 38 UWG eine Marktverhaltensregel im Sinne von § 3a UWG darstellen, die auch dem Schutz von Mitbewerbern dienen soll, erscheint unter dem Gesichtspunkt, dass diese Vorschriften dem Zweck der Daseinsvorsorge dienen und die Grundversorgung der Haushaltskunden mit Energie sicherstellen sollen (vgl. Britz/Hellermann/Hermes, Energiewirtschaftsgesetz, 3. Aufl. 2015, § 36, Rdnr. 1ff.) zweifelhaft (vgl. LG Berlin, Urteil vom 25.01.2022, Az.: 92 O 1/22 Kart), kann vorliegend aber letztlich dahinstehen.
563. Die Preisgestaltung der Klägerin verstößt in ihrer konkreten Ausgestaltung nicht gegen §§ 36, 38 EnWG.
57a) Entgegen der Ansicht der Verfügungsklägerin verlangt § 36 UWG nicht für alle Verbraucher in der Grundversorgung einen gleichen einheitlichen Preis.
58Gegen das Erfordernis eines einzigen einheitlichen Preises für alle in der Grund- und Ersatzversorgung belieferten Kunden spricht schon der Wortlaut von § 36 Abs. 1 Satz 1 EnWG. Dort verpflichtet der Gesetzgeber die Grundversorger „Allgemeine Preise“ öffentlich bekannt zu geben und zu diesen „Preisen“ jeden Haushaltskunden zu versorgen. Aus der Verwendung des Plurals folgt, dass die Festsetzung unterschiedlicher Preise für unterschiedliche Kundengruppen grundsätzlich zulässig ist.
59Zu beachten ist auch, dass der Verordnungsgeber nicht von der in § 39 Abs. 1 EnWG vorgesehenen Verordnungsermächtigung Gebrauch gemacht und einen einzelnen einheitlichen Preis vorgeschrieben hat. Dies zeigt, dass der Grund- und Ersatzversorger im Rahmen der sonstigen gesetzlichen Regelungen in der Preisgestaltung grundsätzlich frei ist, also auch verschiedene Preise festlegen darf.
60Schließlich ist auch kein plausibler sachlicher Grund ersichtlich, warum einem Grundversorger eine Preisgestaltung, die für unterschiedliche Kundengruppen verschiedene Preise zulässt, untersagt sein sollte. Auch im sonstigen Energiegeschäft ist es zulässig und wird auch von niemandem in Frage gestellt, dass unterschiedliche Preise für unterschiedliche Verbrauchsprofile, für eine unterschiedliche Vertragsdauer oder für verschiedene Zeitpunkte des Vertragsbeginns zulässig sind. Warum dies bei der Grundversorgung anders sein soll, erschließt sich nicht. Die Grund- und Ersatzversorgung dient in erster Linie der Versorgungssicherheit. Für jeden Verbraucher soll eine Versorgung mit Energie sichergestellt sein. Daher begründet § 36 Abs. 1 EnWG für den Grundversorger einen Kontrahierungszwang. Dieser Kontrahierungszwang rechtfertigt es aber nicht, dem Grundversorger das grundsätzliche Recht einer freien Tarifgestaltung abzusprechen. Die Grundversorgung ist nämlich nicht vollständig von wirtschaftlichen Erwägungen entkoppelt. Dies zeigt § 36 Abs. 1 Satz 3 EnWG, welcher es dem Grundversorger erlaubt, unter bestimmten Bedingungen eine aus wirtschaftlichen Gründen unzumutbare Grundversorgung abzulehnen.
61Dementsprechend ist es auch in der Rechtsprechung anerkannt, dass es dem Energieversorgungsunternehmen auch in der Grundversorgung freisteht, verschiedene Tarife anzubieten (BGH, Beschluss vom 13.04.2021, Az.: VIII ZR 277/19, BeckRS 2021, 15924, Rdnr. 7; BGH NZKart 2017, 245, 247, Rdnr. 25; BGH NJW 2016, 1718, Rdnr. 18 m. w. N.; vgl. auch Britz/Hellermann/Hermes/Hellermann, Energiewirtschaftsgesetz, 3. Aufl. 2015, § 36, Rdnr. 26a; Kment/Rasbach, Energiewirtschaftsgesetz, 2. Aufl. 2019, § 36 Rdnr. 15). Dabei ist eine Unterscheidung der Tarife nicht auf verbrauchsabhängige Differenzierungen beschränkt. Die Tarife können auch an andere Unterscheidungskriterien anknüpfen (LG Dortmund, Beschluss vom 02.03.2022, Aktenzeichen 10 O 11/22 [EnW]).
62b) Eine Preisspaltung ist nicht geeignet, einen Verstoß gegen § 36 EnWG zu begründen, denn § 36 EnWG beinhaltet grundsätzlich nur einen Kontrahierungszwang, regelt aber nicht die Einzelheiten der Ausgestaltung des Individualvertrages über die Energielieferung und die Höhe des hierfür zu zahlenden Betrages. § 36 betrifft mithin nur das „Ob“, nicht aber das „Wie“ der Belieferung (LG Dortmund, Beschluss vom 02.03.2022, Aktenzeichen 10 O 11/22 [EnW], unter II. 3. a) bb; Kment/Rasbach aaO, Rdnr. 13). Da die Erfüllung des Kontrahierungszwangs vorliegend nicht im Streit steht, sondern nur das „Wie“ der Preisgestaltung, führt der Vorwurf der Verfügungsklägerin, die Preisspaltung sei nicht gerechtfertigt, von vornherein nicht zu einem Verstoß gegen § 36 EnWG und damit auch nicht zu einem Anspruch der Verfügungsklägerin.
63c) Selbst wenn man der Verfügungsklägerin darin folgen würde, die in § 36 EnWG vorgeschriebene Versorgung zu allgemeinen Preisen enthielte ein Diskriminierungsverbot, also ein Verbot zur Ungleichbehandlung sachlich gleich gelagerter Sachverhalte ohne sachlichen Grund, ist ein Verstoß gegen § 36 EnWG und damit ein Anspruch der Verfügungsklägerin aus §§ 8 Abs. 1 und 3, 3, 3a UWG in Verbindung mit §§ 36 Abs. 1 Satz 1, § 38 EnWG zu verneinen. Die von der Verfügungsbeklagten vorgenommene Preisspaltung ist sachlich gerechtfertigt.
64Die Verfügungsbeklagte hat plausibel, nachvollziehbar und mithin glaubhaft dargelegt, dass die Preisspaltung ihren Grund in der besonderen Marktsituation hat, die Ende 2021 durch die ungewöhnlichen Preissteigerungen und der Vielzahl neuer Kunden in der Ersatzversorgung, ausgelöst durch eine Insolvenz- und Kündigungswelle vieler Stromlieferanten insbesondere aus dem Billigtarifbereich, entstanden ist:
65aa) Es erscheint glaubhaft, dass die Verfügungsbeklagte bereits im November 2021 die Preiskalkulation für die grundversorgten Bestandskunden abgeschlossen und sich mit den voraussichtlich im Jahr 2022 für die Grundversorgung benötigten Energiemengen eingedeckt hatte. Dies entspricht auch einer vorausschauenden kaufmännischen Handlungsweise, wie sie bei einem seriösen Energieversorgungsunternehmen vorausgesetzt werden kann. Da es bereits – verglichen mit der späteren Entwicklung moderaten – Preisanstiegen gekommen war, hatte der Aufsichtsrat der Verfügungsbeklagten bereits eine Preisanpassung zum 01.01.2022 vorgesehen.
66Nachvollziehbar ist auch, dass die im November 2021 praktisch abgeschlossene Planung für das Jahr 2022 durch die weiteren Entwicklungen gefährdet wurde, die in ihrem Ausmaß erst im Dezember absehbar waren. So geht bereits aus der von der Verfügungsklägerin vorgelegten Anlage Ast6 hervor, dass es erst im Dezember 2021 zu Liefereinstellungen im großen Umfang kam. Von 30 dort aufgeführten Unternehmen stellten 16 ihre Lieferung erst im Dezember 2012 ein, weitere neun nach Mitte Oktober, drei im Oktober und lediglich jeweils eins im Juni und August 2021. Die große Anzahl neuer Kunden in der Ersatzversorgung wurde daher erst im Dezember 2021 offensichtlich. Dem in der Antragsschrift auf Seite 12 enthaltenen Diagramm ist ferner zu entnehmen, dass der größte Anstieg der Börsenstrompreise erst gegen Jahresende erfolgte.
67bb) Damit ist nachvollziehbar, dass die Verfügungsbeklagte in kurzer Zeit und im Wesentlichen unvorhersehbar vor der Situation stand, entscheiden zu müssen, entweder nach den Vorgaben von § 5 StromGVV alle Preise anzuheben oder den Preisanstieg auf den Bereich der neuen Ersatz- und Grundversorgungskunden zu begrenzen. Dass sich die Verfügungsbeklagte für den zweiten Weg entschieden hat, ist aus Sicht der Kammer sachlich gerechtfertigt.
68Zum einen wäre eine allgemeine Preisanhebung wegen §5 StromGVV kurzfristig nicht möglich gewesen, da eine sechswöchige Ankündigungsfrist vorauszugehen hat. Es bestand somit die Gefahr, dass die Verfügungsbeklagte mit Kosten in unvorhersehbarer Höhe belastet werden könnte, die sie, zumindest nicht kurzfristig, in angemessener Weise kompensieren könnte. Anders als die Verfügungsklägerin, die sich derzeit dazu entschlossen hat, keine Neukunden in die Versorgung aufzunehmen, musste die Verfügungsbeklagte bis zur Grenze des wirtschaftlich Zumutbaren alle in die Ersatzversorgung fallenden Kunden mit Strom versorgen, auch wenn dies zu erheblichen Mehrkosten führte. Zu beachten ist insoweit auch, dass es sich bei der Verfügungsbeklagten um einen eher kleinen und daher kostenempfindlichen Stromanbieter handelt.
69Darüber hinaus hätte sich die Verfügungsbeklagte möglicherweise tatsächlich dem Einwand aus den Reihen der Altkunden ausgesetzt gesehen, dass ihr Strom bereits zu günstigeren Konditionen beschafft worden sei und eine Anhebung der Preise aufgrund der Aufnahme der ersatzversorgten Neukunden nicht gerechtfertigt sei.
70Ferner ist zu berücksichtigen, dass aus der damaligen Sicht nicht absehbar war, wie lange die ersatzversorgten Kunden in der Versorgung durch die Verfügungsbeklagte verbleiben würden. Es handelte sich offenbar um Kunden, die bereit waren, ihren Stromanbieter zu wechseln, also wechselaffin waren. Dies zeigt die Tatsache, dass sie zuvor nicht von einem örtlichen Grundversorger, sondern zumindest überwiegend von einem Billiganbieter versorgt worden waren. Es handelte sich somit zumindest zu einem großen Teil um Kunden, die auf dem Markt nach günstigen Anbietern suchen und eher wechselbereit sind. Daher musste die Verfügungsbeklagte damit rechnen, dass die neuen Kunden die Ersatzversorgung schnell wieder verlassen würden. Es erscheint daher nachvollziehbar und in der konkreten Situation angemessen, für diese Kunden einen eigenen Tarif zu bilden, der möglicherweise nur für kurze Dauer, nämlich bis zu einem Wechsel der Neukunden in einen anderen Sondervertrag, von Relevanz sein würde, als sämtliche Kunden mit einem teureren Tarif zu belasten. Hinzu kommt hierbei die Erwägung, dass aufgrund der in § 5 Abs. 2StromGVV vorgeschriebenen Vorankündigungsfrist die höheren Preise möglicherweise erst in Kraft getreten wären, nachdem ein großer Teil der Neukunden die Ersatzversorgung bereits wieder verlassen hat. Dies hätte zur Folge, dass die durch die Ersatzversorgung ausgelösten Kosten letztlich allein oder überwiegend von den Bestandskunden zu tragen gewesen wären, während die wechselaffinen Neukunden hiervon nicht berührt worden wären. Die Kammer hält daher die Erwägung der Verfügungsbeklagten, vorliegend den von ihr so bezeichneten energiewirtschaftlichen Grundsatz der Verursachungsgerechtigkeit anzuwenden, nicht nur für sachgerecht, sondern als gegenüber einer Preisanhebung auf breiter Front milderes Mittel in der damaligen und noch andauernden Situation für geboten, zumal den in die Ersatzversorgung fallenden Kunden die Möglichkeit offensteht, innerhalb von zwei Wochen in einen günstigeren Sondervertrag zu wechseln. Die Kammer schließt sich insoweit der Wertung des Präsidenten des Bundeskartellamts, wie sie in dem Bericht der C01 Zeitung vom 00.00.2022 (Anlage AG9 zur Schutzschrift vom 01.02.2022) widergegeben ist, und den rechtlichen Erwägungen der Landeskartellbehörde NRW, welche in der Anlage AG10 zur Schutzschrift vom 01.02.2022 niedergelegt sind, ausdrücklich an.
71cc) Die Erwägungen, aus denen die Verfügungsklägerin aus der Preisspaltung eine Diskriminierung der Neukunden herleiten will, greifen nicht durch.
72(1) Eine Diskriminierung folgt nicht daraus, dass die Verfügungsbeklagte die Geltung des neuen Preises an ein bestimmtes Datum des Versorgungsbeginns, nämlich den 21.12.2021, geknüpft hat und Ersatzversorgungskunden, die beispielsweise am 20.12.2021 in die Ersatzversorgung gefallen sind, in den Genuss eines günstigeren Arbeitspreises kommen als die Neukunden. Es liegt in der Natur der Sache, dass jedes Merkmal, das zur Differenzierung eines Tarifs herangezogen wird, zu einer trennscharfen Abgrenzung führt, welche einzelne Kunden von Vergünstigungen ausschließt oder andere Kunden zusätzlich belastet. Beispielsweise führen auch Preise, die an unterschiedliche Abnahmemengen anknüpfen, dazu, dass Kunden, die geringfügig unter einer bestimmten Abnahmemenge liegen einen anderen Einheitspreis zahlen müssen als solche, die geringfügig darüber liegen. Auch Preisänderungen für Waren im Allgemeinen oder Tarifänderungen für Sonderkunden im Energiebereich knüpfen häufig an bestimmte Daten an. Dies kann dazu führen, dass ein Kunde, der beispielsweise ein Auto einen Tag später kauft oder einen Energieliefervertrag einen Tag später abschließt, einen anderen Preis zahlt als der frühere Kunde am Vortag. Solche Abgrenzungen lassen sich nicht vermeiden, daher ist es der Verfügungsbeklagten auch nicht vorzuwerfen, Preisanpassungen nicht schon zu einem früheren Datum vorgenommen zu haben, denn auch dann wäre es zu solchen Abgrenzungen gekommen.
73(2) Eine willkürliche Diskriminierung der Neukunden lässt sich auch nicht daraus herleiten, dass die Verfügungsbeklagte die Strommengen für die Bestandskunden im Jahr 2022 bereits zu einem Zeitpunkt beschafft hat, als sie noch nicht wusste, welche konkreten Personen im Jahr 2022 zu ihren Bestandskunden zählen würden. Eine solche Kenntnis war für die Mengen- und Preisplanung, welche die Verfügungsbeklagte im November 2021 für das Jahr 2022 abgeschlossen hatte, nicht erforderlich.
74Die Verfügungsbeklagte hat hierzu vorgetragen, sie hätten die benötigten Strommengen auf der Grundlage der für 2022 zu erwartenden Kunden beschafft. Eine solche Herangehensweise erscheint plausibel und sachgerecht. Es ist auch anzunehmen, dass die Verfügungsbeklagte aufgrund ihrer Erfahrungswerte aus der Vergangenheit mit hinreichender Genauigkeit die Anzahl der voraussichtlich grundversorgten Kunden und den Umfang des zu erwartenden Energiebedarfs abschätzen konnten, um die Planung abzuschließen. Einer Kenntnis, welche konkreten Personen im Jahr 2022 in der Grund- und Ersatzversorgung zu versorgen sein würden, bedurfte es dazu nicht.
75(3) Sofern die Verfügungsklägerin behauptet, die Verfügungsbeklagte habe den Tarif für die Neukunden falsch berechnet, rechtfertigt dies die Untersagung der Preisspaltung nicht. Selbst wenn, was vorliegend auch anhand der Behauptungen der Verfügungsklägerin nicht feststellbar ist, die Verfügungsbeklagte den Preis für die Belieferung der Neukunden falsch berechnet haben sollte, würde dies nicht dazu führen, dass die Verfügungsbeklagte die Preisspaltung aufzugeben und die Stromlieferungen nach einem für alle grund- und ersatzversorgten Kunden geltenden einheitlichen Preis zu berechnen hätte. Allenfalls müsste die Verfügungsbeklagte den für die Belieferung der Neukunden berechneten Preis korrigieren, was von der Verfügungsklägerin nicht begehrt wird und worauf sie erkennbar auch keinen eigenen Anspruch hat.
76(4) Eine Diskriminierung der Neukunden folgt auch nicht daraus, dass die Verfügungsbeklagte auch bisher keinen neuen einheitlichen Preis eingeführt hat, obwohl dies unter Beachtung der Frist aus § 5 Abs. 2 StromGVV mittlerweile möglich gewesen wäre. Entgegen der Behauptung der Verfügungsklägerin sind die Gründe, die die Verfügungsbeklagte zur Einführung der Preisspaltung bewogen hat, bisher erkennbar nicht entfallen. Zum einen ist die Einkaufsperiode des Jahres 2022, deren Planung die Verfügungsbeklagte im November 2021 abgeschlossen hatte, noch nicht abgelaufen, zum anderen dauern die Turbulenzen auf den Energiemärkten insbesondere aufgrund des Krieges in der Ukraine, wie gerichtsbekannt ist, weiter an. Die Energiepreise befinden sich allgemein weiter auf einem sehr hohen Niveau. Auch die Tatsache, dass sich die Verfügungsklägerin gegenwärtig entschieden hat, dass Neukundengeschäft einzustellen, weil ihr hierfür derzeit keine zusätzlichen Energiemengen zur Verfügung stehen, deutet auf das Fortbestehen der Schwierigkeiten auf dem Strommarkt hin. Damit ist auch nicht auszuschließen, dass zukünftig weitere Stromlieferanten wegfallen und zusätzliche Kunden in die Ersatzversorgung der Verfügungsbeklagten fallen könnten. Jedenfalls hat die Verfügungsklägerin nicht dargelegt, dass die Gründe, die die Verfügungsbeklagte zur Einführung der Preisspaltung bewogen hat, nicht mehr bestehen.
77d) Auch wenn man der Verfügungsklägerin darin folgen wollte, dass § 36 EnWG nicht lediglich einen Kontrahierungszwang begründe, sondern auch dazu dienen sollte, einen Lieferantenwechsel zu erleichtern und den Wettbewerb im Sinne von § 1 Abs. 2 EnWG zu fördern, würde sich hieraus kein Anspruch aus §§ 8 Abs. 1 und 3, 3, 3a UWG in Verbindung mit §§ 36 Abs. 1 Satz 1, § 38 EnWG ergeben. Es ist nicht ersichtlich, dass die von der Verfügungsbeklagten eingeführte Preisspaltung marktabschottend wirkt, Stromkunden also davon abhalten könnte, ihren Anbieter zu wechseln.
78aa) Sofern die Neukunden in der Ersatzversorgung der Verfügungsbeklagten einen höheren Arbeitspreis zu zahlen haben als die Bestandskunden, wird dies eher zu einer höheren Wechselbereitschaft der Neukunden führen, begründet also keine Marktabschottung.
79bb) Hinsichtlich der Bestandskunden käme der Vorwurf einer Marktabschottung in Betracht, wenn die Verfügungsbeklagte aufgrund der von der Verfügungsklägerin behaupteten Querfinanzierung Arbeitspreise anbieten würden, die nicht kostendeckend wären und damit von anderen Anbietern nicht geboten werden könnten.
80Eine Quersubventionierung hat die Verfügungsklägerin aber nicht glaubhaft gemacht, sie ist auch nicht ersichtlich. Im Gegenteil hat die Verfügungsbeklagte glaubhaft dargelegt, dass die Bestandskunden aufgrund einer bereits im November 2021 abgeschlossenen und durch Deckungskäufe abgesicherten Kalkulation beliefert werden. Dies erscheint auch plausibel, da ein derartiges Vorgehen, insbesondere bei drohenden steigenden Preisen, kaufmännisch geboten erscheint. Damit ist davon auszugehen, dass auch die für die Bestandskunden von der Verfügungsbeklagten erhobenen Preise marktgerecht sind und nicht durch Zahlungen der Neukunden gestützt werden. Diese Annahme wird dadurch bestätigt, dass auch Ersatzversorger, die auf eine Preisspaltung verzichtet haben, die Ersatz- und Grundversorgung, wie den von der Verfügungsklägerin als Anlagen ASt19 bis ASt25 vorgelegten Preisblättern zu entnehmen ist, zu vergleichbaren Arbeitspreisen anbieten wie die Verfügungsbeklagte.
81Eine Verpflichtung der Verfügungsbeklagten, die durch die besondere Situation des starken Zuwachses an Ersatzversorgungskunden bei gleichzeitiger Steigerung der Strompreise insbesondere auf dem Spotmarkt entstehenden Mengen- und Preisrisiken auch an die Bestandskunden weiterzugeben, um deren Preise zu erhöhen, obwohl deren Versorgung zu niedrigeren Preisen sichergestellt ist, ist nicht ersichtlich. Die Verfügungsklägerin hat keinen Anspruch darauf, dass die Verfügungsbeklagte in der Breite die Preise anheben muss, damit ihr möglicherweise mehr Kunden zugeführt werden.
82Darüber hinaus ist die Behauptung der Verfügungsbeklagten, eine Aufhebung der Preisspaltung würde derzeit eher zu einer Marktabschottung führen, weil dadurch die Grund- und Ersatzversorgungspreise nicht derart steigen würden, dass sie über die derzeitigen Preisen für Sondervertragskunden hinausgehen würden, von der Verfügungsklägerin bisher nicht widerlegt worden.
83cc) Es ist schließlich nichts dafür ersichtlich, dass Grundversorgungskunden allein deshalb von dem Abschluss von Sonderverträgen Abstand nehmen würden, weil sie fürchten müssten, wegen der Preisspaltung mit übermäßig hohen Preisen belastet zu werden, falls sie nach einem Anbieterwechsel in die Ersatzversorgung zurückfallen sollten.
84Zum einen erscheint die Preisdifferenz zwischen den Tarifen für Alt- und Neukunden nicht so hoch, dass dies eine ernsthafte Hürde für einen Wechsel darstellen würde. Darüber hinaus wird ein wechselwilliger Kunde nicht davon ausgehen, bald in eine Ersatzversorgung zurückzufallen, vielmehr ist anzunehmen, dass er sich einen Lieferanten suchen wird, der ihn für die vertragsgemäß vorgesehene Zeit zuverlässig mit Energie versorgen wird. Sollte der Versorger wegfallen, wird der Kunde auch eher nicht darauf spekulieren, in eine günstige Ersatzversorgung zu fallen, sondern davon ausgehen, einen anderen Stromanbieter zu finden, mit dem er einen günstigen Sondervertrag abschließen kann. Des Weiteren ist zu beachten, dass aufgrund der derzeitigen Turbulenzen auf dem Energiemarkt ein Vertragswechsel ohnehin eine höhere Risikobereitschaft voraussetzt, so dass viele Kunden schon aus diesem Grund vorsichtiger agieren dürften, nicht aber gerade wegen der Preisgestaltung der Verfügungsbeklagten. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass die Preisgestaltung der Verfügungsbeklagten ihre Rechtfertigung in den derzeitigen Turbulenzen findet und davon auszugehen ist, dass die Preisspaltung bei einer Beruhigung der Märkte entfallen bzw. obsolet werden wird. Durch die von der Verfügungsbeklagten ab dem 01.02.2022 durchgeführte Preissenkung für Neukunden wird bereits jetzt eine Angleichung der beiden Tarife der Verfügungsbeklagten für grund- und ersatzversorgte Kunden ersichtlich. Selbst wenn das Preisniveau auf den Energiemärkten hoch bleiben sollte, ist mittelfristig mit einer Angleichung der Tarife und einem Wegfall der Gründe für eine Preisspaltung zu rechnen, weil die relativ günstigen Einkaufskonditionen der Verfügungsbeklagten für die Bestandskunden zeitlich befristet sind und nach und nach auslaufen. Die Behauptung der Verfügungsklägerin, die Verfügungsbeklagte wolle dauerhaft eine Preisspaltung aufrechterhalten, ist durch nichts belegt, für deren Richtigkeit ergeben sich weder aus dem Vortrag der Verfügungsklägerin, noch aus dem der Verfügungsbeklagten Anhaltspunkte. Auch wegen des Übergangscharakters der Preisspaltung ist daher nicht davon auszugehen, dass sie Kunden von einem Anbieterwechsel abhalten könnte. Da die Preisspaltung ihren Grund in der besonderen derzeitigen Marktsituation hat, stellt sie sich entgegen der Ansicht der Verfügungsklägerin auch nicht als Bestrafung der wechselwilligen Kunden dar (vgl. LG Berlin, Urteil vom 25.01.2022, Az.: 92 O 1/22 Kart, unter A. 3. f).
85II. Der Verfügungsklägerin steht auch kein Anspruch aus §§ 8 Abs. 1 und 3, 3, 3a UWG in Verbindung mit § 5 Abs. 2 StromGVV unter dem Gesichtspunkt zu, dass die Verfügungsbeklagte bei der Einführung des Neukundentarifs keine Ankündigungsfrist eingehalten hat. Ein Verstoß gegen § 5 Abs. 2 StromGVV liegt schon deshalb nicht vor, weil diese Vorschrift nur gegenüber Bestandskunden, nicht aber gegenüber den Neukunden gilt. Dies wird zum einen daran deutlich, dass der Stromanbieter die in § 5 Abs. 2 StromGVV vorgesehene briefliche Mitteilung nicht an Personen verschicken kann, die er im Zeitpunkt der Tariferhöhung noch nicht kennt, weil sie noch nicht seine Kunden sind. Darüber hinaus soll die Vorankündigungsfrist dazu dienen, den Kunden einen Lieferantenwechsel vor Wirksamwerden der neuen Preise zu ermöglichen (Theobald/Kühling/Hartmann, Energierecht, 113. EL August 2021, § 5 StromGVV, Rdnr. 11). Dieser Regelungszweck greift bei Neukunden nicht ein.
86III. Ein Anspruch der Verfügungsklägerin folgt auch nicht aus §§ 33 Abs. 1 und 3, 19 Abs. 2 Nr. 1 und 3 GWB. Dabei kann dahinstehen, ob die Verfügungsbeklagte aufgrund ihrer Eigenschaft als Grund- und Ersatzversorger im Bereich 02-Ort trotz ihres geringen Anteils am gesamtdeutschen Strommarkt als marktbeherrschend anzusehen ist, wobei allerdings aus Sicht der Kammer vieles dafür spricht, dass es im Verhältnis der Parteien zueinander ausschließlich auf den gesamten Marktanteil der Verfügungsbeklagten an der Belieferung von Haushaltskunden mit Strom ankommt (vgl. LG Berlin, Urteil vom 25.01.2022, Aktenzeichen 92 O 1/22 Kart, unter A. 2. c a.E.), so dass eine marktbeherrschende Stellung vorliegend zu verneinen wäre. Dahinstehen kann auch, ob die Verfügungsklägerin überhaupt „betroffen“ im Sinne von § 33 Abs. 3 GWB ist.
871. Ein Verstoß gegen § 19 Abs. 2 Nr. 3 GWB liegt schon deshalb nicht vor, weil die Preisspaltung in der vorliegenden, konkreten Situation wie oben unter I. 3. c) ausführlich dargelegt, sachlich gerechtfertigt ist. Die Entscheidung des BGH vom 07.12.2010, Aktenzeichen KZR 5/10, steht dem nicht entgegen, denn auch nach dieser Entscheidung kann eine Ungleichbehandlung gleichartiger Abnehmer im beherrschten Markt sachlich gerechtfertigt und damit zulässig sein (BGH NRW-RR 2011, 774, 779, Rdnr. 57).
88Eine von der Verfügungsklägerin im Zusammenhang mit § 19 Abs. 2 Nr. 3 GWB behauptete Quersubventionierung angeblich nicht marktgerechter Preise für die Bestandskunden der Verfügungsbeklagten ist, wie unter I. 3. d) bb) dargelegt, nicht ersichtlich. Die Verfügungsbeklagte hat nachvollziehbar und glaubhaft dargelegt, dass die Preise für die Bestandskunden marktgerecht kalkuliert und durch rechtzeitige Stromeinkäufe gedeckt sind und sie im Übrigen auch den Preisen vergleichbarer Anbieter, die auf eine Preisspaltung verzichtet haben, entsprechen. Es bestehen daher keine Anhaltspunkte dafür, dass die Verfügungsbeklagte Einnahmen aus der Stromlieferung an Neukunden benutzt, um Verluste aus der Belieferung von Bestandskunden auszugleichen. Zugleich bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Verfügungsbeklagte aus der Belieferung der Neukunden in der derzeitigen Krisensituation Übergewinne erwirtschaftet. Einen Anspruch darauf, dass die Verfügungsbeklagte die Preise für Bestandskunden erhöht, hat die Verfügungsklägerin nicht.
892. Auch die Voraussetzungen des § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB liegen nicht vor. Die Verfügungsbeklagte behindert die Verfügungsklägerin nicht unbillig, weil die Preisspaltung in der gegenwärtigen Situation gerechtfertigt ist. Im Übrigen ist nicht ersichtlich, dass sich die Preisspaltung spürbar auf die Wettbewerbschancen der Verfügungsklägerin auswirkt. Dabei ist nicht einmal entscheidend, dass die Verfügungsbeklagte ohnehin nur etwa 0,5 Promille aller Kunden auf dem relevanten Markt versorgt. Soweit die Verfügungsbeklagte von den Neukunden höhere Arbeitspreise verlangt, dürfte die Verfügungsklägerin sogar höhere Chancen haben, aus diesem Kreis der Verbraucher neue Kunden zu gewinnen. Es ist aber auch nicht ersichtlich, dass die Preisspaltung spürbar dazu führt, dass Bestandskunden weniger häufig in einen Sondervertrag wechseln. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Preise für Bestandskunden bei einer Aufhebung der Preisspaltung so stark steigen würden, dass dies zu einer merklich höheren Wechselbereitschaft dieser unstreitig ohnehin weniger wechselbereiten Verbrauchergruppe führen würde.
90IV. Die Verfügungsklägerin hat gegen die Verfügungsbeklagte auch keinen Anspruch aus §§ 33 Abs. 1 und 3, 19 Abs. 2 Nr. 2, 29 Satz 1 Nr. 1 GWB. Es ist nicht ersichtlich, dass die Verfügungsbeklagte Entgelte fordert, die ungünstiger sind als diejenigen anderer Versorgungsunternehmen auf vergleichbaren Märkten. Die Verfügungsbeklagte hat vielmehr durch die Vorlage des Anlagenkonvoluts AG5 zur Schutzschrift vom 01.02.2022 glaubhaft gemacht, dass eine Vielzahl von Grund- und Ersatzversorgern entsprechende Tarifgestaltungen wie die Verfügungsbeklagte vorgenommen hat. Darüber hinaus ist die Preisgestaltung der Verfügungsbeklagten – wie bereits dargelegt – sachlich gerechtfertigt.
91V. Schließlich besteht für den Erlass einer einstweiligen Verfügung auch kein Verfügungsgrund. Die Sache ist objektiv nicht dringlich.
92Zwar wird gemäß § 12 Abs. 1 UWG die Dringlichkeit „zur Sicherung der in diesem Gesetz bezeichneten Ansprüche auf Unterlassung“ vermutet. Zu beachten ist aber einerseits, dass die Anträge der Verfügungsklägerin zwar dem Wortlaut nach auf eine Unterlassung gerichtet sind, in der Sache die Verfügungsklägerin von der Verfügungsbeklagten aber ein Tun begehrt, nämlich die Schaffung eines einheitlichen Abrechnungstarifs für Grund- und Ersatzversorgungskunden. Der Schwerpunkt des Begehrens der Verfügungsklägerin liegt somit nicht auf einer Unterlassung im Sinne von § 12 Abs. 1 UWG. Des Weiteren enthält § 12 Abs. 1 UWG lediglich eine widerlegliche tatsächliche Vermutung der Dringlichkeit (Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler/Feddersen, UWG, 40. Aufl. 2022, § 12 Rdnr. 2.13), was im Wortlaut des § 12 Abs. 1 UWG darin zum Ausdruck kommt, dass einstweilige Verfügungen auch ohne Glaubhaftmachung des Anordnungsgrundes erlassen werden „können“. § 12 Abs. 1 UWG macht eine Abwägung der Dringlichkeit somit nicht entbehrlich. Vorliegend ist hierbei zu berücksichtigen, dass der Erlass der begehrten einstweiligen Verfügung die Hauptsache vorwegnehmen würde. Eine rückwirkende Wiedereinführung des Neukundentarifs wäre der Verfügungsbeklagten ebenso wenig möglich wie – wegen § 5 Abs. 2 StromGVV – eine rückwirkende Anhebung eines einheitlichen Mischpreises für alle Kunden in der Grund- und Ersatzversorgung. Der der Verfügungsbeklagten entstehende Schaden wäre, sollte sie in einem späteren Hauptverfahren obsiegen, auch über § 945 ZPO schon wegen der Schwierigkeiten einer Bezifferung und eines Nachweises kaum zu kompensieren. Daher sind an das Bestehen eines Verfügungsgrundes vorliegend strenge Anforderungen zu stellen. Bei der erforderlichen Abwägung ist auf der einen Seite zu beachten, dass der Verfügungsbeklagten bei Erlass der einstweiligen Verfügung ein erheblicher Schadens droht, andererseits der wirtschaftliche Vorteil der Verfügungsklägerin im Falle des Erlasses der einstweiligen Verfügung bzw. der ihr entstehende Nachteil bei der Zurückweisung des Antrags gering ist. Angesichts des geringen Marktanteils der Verfügungsbeklagten am bundesweiten Markt im Haushaltskundenbereich und der oben unter III. 2 dargelegten geringen Auswirkungen auf die Wettbewerbschancen der Verfügungsklägerin ist davon auszugehen, dass ein zusätzlicher Zuwachs an Kunden der Klägerin im Falle des Erlasses der einstweiligen Verfügung sehr gering wäre. Diese Erwägung ergibt sich ohne Berücksichtigung des Umstandes, dass die Verfügungsklägerin im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung sich – wenn, wie sie behauptet, auch nur vorübergehend – aus dem Neukundengeschäft zurückgezogen hat.
93Soweit sich die Verfügungsklägerin auf kartellrechtliche Ansprüche beruft, findet § 12 UWG von vornherein keine Anwendung (Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler/Feddersen, UWG, 40. Aufl. 2022, § 12 Rdnr. 2.14). Auch für diese Ansprüche fehlt ein Verfügungsgrund.
94VI. Die prozessualen Nebenansprüche beruhen auf §§ 91, 708 Nr. 6, § 711Satz 1 und 2 ZPO.