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Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
Tatbestand:
2Die im Jahr 1994 gegründete Beklagte ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) mit Hauptsitz in C, welche über ein von ihr im Inland sowie im europäischen Ausland betriebenes Filialnetz u.a. diverse Bekleidungsartikel an Endkunden veräußert. Beginnend mit dem Jahr 2007 unterhielt die Beklagte vertragliche Beziehungen mit der Fa. B mit Sitz in L / Pakistan, von welcher sie seit diesem Zeitpunkt Teile des von ihr vertriebenen Bekleidungssortiments bezog. Grundlage der Geschäftsbeziehung zwischen der Beklagten und der Fa. B und somit auch der einzelnen zwischen der Beklagten und der Fa. B geschlossenen Lieferverträge war ein von der Beklagten im Jahr 2006 auf der Grundlage internationaler Abkommen sowie einschlägiger Regelungen der Vereinten Nationen entwickelter Verhaltenskodex (sog. „Code of Conduct“), in welchem zur Wahrung von Grundrechten und internationalen Standards Mindestvorgaben für die Produzenten der Beklagten insbesondere im Hinblick auf die von diesen in ihren Produktionsstätten zu gewährleistenden Arbeitsbedingungen, die Arbeitssicherheit sowie die an die Beschäftigten zu zahlende Vergütung festgeschrieben wurden. Wegen des genauen Inhalts dieses Verhaltenskodex wird auf die als Anlagen K14 und B1 zur Akte gereichte Fassung des „Code of Conduct“ der Beklagten vom 01.08.2009 Bezug genommen.
3Am 11.09.2012 kam es zu einem Brand auf dem Firmengelände der Fa. B, bei welchem nach offiziellen Angaben 259 Personen zu Tode kamen und mindestens 47 weitere Personen verletzt wurden. Die Brandursache und der genaue Verlauf des Brandes ist zwischen den Parteien streitig; nach einem von der Beklagten als Anlage B7 vorgelegten Bericht einer nachträglich gebildeten Untersuchungskommission (sog. „Joint Investigation Team“) soll das Feuer durch Brandstiftung im Zusammenhang mit einer Schutzgelderpressung zum Nachteil der Eigentümer der Fa. B verursacht worden sein. Bei dem Brand verstarben u.a. auch die damals bei der Fa. B angestellten Söhne der Kläger zu 1. und 2. sowie der Klägerin zu 4.; der damals ebenfalls bei der Fa. B beschäftigte Kläger zu 3. erlitt durch den Brand eine schwere Rauchvergiftung, in deren Folge er bis zum heutigen Tage unter regelmäßig auftretenden Atemschwierigkeiten und Schmerzen in der Brust sowie unter bei der Zurücklegung längerer Strecken auftretender schwerer Atemnot und Lähmungen in Händen und Füßen leidet. Wegen der von der Klägerseite im Einzelnen dargelegten persönlichen, familiären und wirtschaftlichen Verhältnisse der Kläger wird auf die diesbezüglichen Ausführungen in der Klageschrift (dort unter Punkt B. 1. bis 4.) Bezug genommen.
4Auf der Grundlage einer am 21.12.2012 mit dem Q (kurz: Q) geschlossenen Vereinbarung stellte die Beklagte für die Betroffenen des Brandereignisses zunächst eine Soforthilfe von 1 Mio. US-Dollar zur Verfügung. Wegen des genauen Inhalts und Wortlauts dieser Vereinbarung wird auf die als Anlage K20 zur Akte gereichte übersetzte Abschrift verwiesen. Ob und in welchem Umfang die Beklagte in der Folgezeit ihren weiteren Verpflichtungen aus der Vereinbarung nachgekommen ist, ist zwischen den Parteien streitig.
5In den sich anschließenden weiteren Gesprächen und Verhandlungen über die Zahlung zusätzlicher Entschädigungen wurden die Kläger sowohl durch die Organisation Q als auch durch ihre jetzigen Prozessbevollmächtigten vertreten, welche mit Schreiben vom 18.11.2014 (Anlage K21) für die Kläger zu 1., 2. und 4. ein Hinterbliebenenschmerzensgeld in Höhe von jeweils 40.000,00 Euro und für den Kläger zu 3. ein Schmerzensgeld in Höhe von 50.000,00 Euro gegenüber der Beklagten geltend machten.
6Mit E-Mail ihrer damaligen Prozessbevollmächtigten vom 25.11.2014 (Anlage K24) bot die Beklagte an, den noch bestehenden Bedarf an Entschädigungszahlungen durch ein Verfahren ermitteln zu lassen, welches bereits nach einem Unglücksfall in einer Textilfabrik in Bangladesch zur Anwendung gekommen war. Ferner hieß es in der E-Mail wörtlich:
7„[…]
83. Schließlich verzichtet meine Mandantin, ohne Anerkennung einer Rechtspflicht oder einer Haftung dem Grunde nach, aber mit rechtlicher Verbindlichkeit, Ihnen gegenüber auf die Einrede der Verjährung zunächst bis Ende September 2016.
9[…]“
10Die Betroffenen einschließlich der Kläger lehnten das Angebot der Beklagten u.a. deshalb ab, weil nach ihrer Ansicht die Beklagte durch ihr Verhalten klar zu verstehen gegeben habe, kein Schmerzensgeld zahlen wollen. Dies teilten die Prozessbevollmächtigten der Kläger den damaligen Prozessbevollmächtigten der Beklagten mit E-Mail vom 10.02.2015 (Anlage K22) mit und reduzierten zugleich die für die Kläger geltend gemachten Zahlungsansprüche auf jeweils 30.000,00 Euro.
11Da die Beklagte eine Regulierung der von den Klägern geltend gemachten Zahlungsansprüche ablehnte, verfolgen die Kläger ihr Begehren mit der hiesigen, am 13.03.2015 bei Gericht eingegangenen Klage weiter. Sie stützen ihre Zahlungsansprüche nunmehr zusätzlich auf die ihren Familien durch den Tod der Söhne der Kläger zu 1., 2. und 4. bzw. durch die Verletzung des Klägers zu 3. entstandenen Einkommensausfälle. Wegen der diesbezüglichen Einzelheiten einschließlich der konkreten Berechnungen wird auf die Ausführungen der Klägerseite im Schriftsatz vom 14.12.2015 (dort unter Punkt C. VI. 10. b.)) verwiesen.
12Die Kläger sind der Auffassung, die Beklagte sei ihnen gegenüber insbesondere auf der Grundlage des hier anzuwendenden pakistanischen Rechts zum Ausgleich der geltend gemachten Zahlungsansprüche verpflichtet. Hierzu behaupten sie, dass die Fa. B ausschließlich – zumindest aber mit einer Auslastungsquote von 75 % - Waren für die Beklagte produziert habe, so dass die Beklagte entweder Alleinauftraggeber oder aber jedenfalls der mit Abstand bedeutendste Auftraggeber der Fa. B gewesen sei. Nach Ansicht der Kläger sei nach pakistanischem Recht die Beklagte bereits aufgrund ihrer wirtschaftlich beherrschenden Stellung gegenüber der Fa. B, im Übrigen aber auch aufgrund des der Vertragsbeziehung zu Grunde liegenden „Code of Conduct“, verpflichtet gewesen, gegenüber der Fa. B auf die Einhaltung der einschlägigen arbeits- und sicherheitsrechtlichen Standards hinzuwirken bzw. die Einhaltung dieser Standards zu überwachen. Dieser Verpflichtung, so behaupten die Kläger, sei die Beklagte nicht bzw. nicht in hinreichendem Maße nachgekommen, da das Fabrikgebäude der Fa. B im Zeitpunkt der Brandkatastrophe nicht den einschlägigen bau- und brandschutzrechtlichen Vorgaben genügt habe, was im Ergebnis zumindest mitursächlich für den Tod der Söhne der Kläger zu 1., 2., und 4. sowie für die Verletzung des Klägers zu 3. geworden sei. Wegen der von den Klägern im Einzelnen behaupteten bau- und brandschutzrechtlichen Mißstände im Fabrikgebäude der Fa. B im Zeitpunkt des streitgegenständlichen Brandes sowie des von den Klägern behaupteten Ablaufs der Brandkatastrophe wird auf die Ausführungen in der Klageschrift (dort unter Punkt B.5.) sowie im Schriftsatz der Klägerseite vom 14.12.2015 Bezug genommen.
13Entgegen der Ansicht der Beklagtenseite seien die Ansprüche der Kläger auch nicht wegen Verjährung ausgeschlossen. So stelle insbesondere die zwischen der Beklagten und der Organisation Q im Dezember 2012 geschlossene Vereinbarung eine Haftungsanerkennung nach pakistanischem Recht (sog. „acknowledgement of liability“) dar; durch dieses Haftungsanerkenntnis sowie seine späteren mehrfachen Bestätigungen durch die Beklagte habe entsprechend Abschnitt 19 des pakistanischen „Limitation Act 1908“ die Verjährung jeweils erneut zu laufen begonnen, weshalb die Forderungen der Kläger im Zeitpunkt der Klageerhebung noch nicht verjährt gewesen seien. Letztlich komme es hierauf jedoch auch nicht an, da sich die Prozessparteien im Rahmen ihrer außergerichtlichen Verhandlungen gemäß Art. 14 Abs. 1a) Rom II-VO zumindest konkludent auf die Anwendung des deutschen Verjährungsrechtes verständigt hätten. Hierfür spreche insbesondere der Umstand, dass vorliegend die deutschen Anwälte der Parteien, die jeweils über keine Ausbildung im pakistanischem Recht verfügt hätten, in Deutschland und in deutscher Sprache unter Anwendung der im deutschen Rechtsverkehr üblichen Formulierungen über einen zeitlich bedingten Verjährungsverzicht kommuniziert und sich auf einen solchen verständigt hätten. Selbst wenn man nicht von einer solchen konkludenten Teilrechtswahl der Parteien ausgehen wolle, folge die Anwendbarkeit deutschen Rechts für die Frage der Verjährung jedenfalls aus der Ausweichklausel des Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO, da die nachträgliche Verjährungsvereinbarung materiell-rechtlich eine engere Verbindung mit der deutschen als mit der pakistanischen oder irgendeiner anderen Rechtsordnung aufweise. Schließlich seien die Verjährungsvorschriften nach pakistanischem Recht, soweit sie auf den vorliegenden Sachverhalt Anwendung fänden, nicht mit der öffentlichen Ordnung der deutschen und europäischen Rechtsordnung („ordre public“) vereinbar und könnten deswegen nicht zur Anwendung kommen. Unabhängig davon nämlich, dass sich die Beklagte in prozessualer Hinsicht bereits grob treuwidrig verhalten habe, da sie offensichtlich die Verjährungsverzichtserklärung nur zum Schein und mit dem Ziel abgegeben habe, eine Verjährung der streitgegenständlichen Ansprüche nach pakistanischem Recht herbeizuführen, führe die Annahme einer Verjährungsfrist von lediglich 1 Jahr, wie sie von der Beklagten für das pakistanische Recht behauptet wird, ohne Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles zu einer Verletzung der Kläger in ihrem nationalen und europäischen Grundrecht auf ein faires Verfahren und effektiven Rechtsschutz, da es den Klägern weder möglich noch zumutbar gewesen sei, ihre Ansprüche innerhalb nur eines Jahres nach der Brandkatastrophe vor einem deutschen Gericht geltend zu machen.
14Die Kläger beantragen,
15die Beklagte zu verurteilen, an sie jeweils 30.000,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 22.04.2015 zu zahlen.
16Die Beklagte beantragt,
17die Klage abzuweisen.
18Die Beklagte ist der Auffassung, zu einem Ausgleich der von den Klägern geltend gemachten Zahlungsansprüche nicht verpflichtet zu sein. Eine Zahlungsverpflichtung der Beklagten ergebe sich weder aus dem pakistanischem noch aus dem deutschen Recht. Soweit die Beklagte, wovon sie selbst jedoch nicht ausgehe, rechtlich überhaupt zur Sicherstellung und Überwachung der Einhaltung arbeits- und sicherheitsrechtlicher Vorgaben bei der Fa. B gehalten gewesen sei, sei sie dieser Verpflichtung unter anderem durch die Durchführung von Auditierungsverfahren regelmäßig und in hinreichendem Maße nachgekommen. Im Übrigen sei die Beklagte vertraglich weder berechtigt noch in der Lage gewesen, unmittelbar auf die bei der Fa. B bestehenden arbeits- und sicherheitsrechtlichen Gegebenheiten einzuwirken. Anders als von den Klägern angenommen, stelle der von der Beklagten verwendete „Code of Conduct“ gerade keinen Vertrag zu Gunsten Dritter oder mit Schutzwirkungen zu Gunsten Dritter dar. Er sei vielmehr ein ethisches Steuerungsinstrument, durch welches Lieferanten aus Entwicklungsländern dazu bewegt werden könnten, die Standards der Unternehmens- und Mitarbeiterführung zu erhöhen, und welches es der Beklagten ggf. ermögliche, die Geschäftsbeziehung zu Lieferanten, welche diese Vorgaben nicht einhielten, (vorzeitig) zu beenden.
19Letztlich komme es auf die vorgenannten Aspekte jedoch nicht an, da die von den Klägern auf der Grundlage des pakistanischen Rechts geltend gemachten Ansprüche allesamt bereits verjährt seien. Insoweit sei zu berücksichtigen, dass nach pakistanischem Recht im vorliegenden Fall eine eingetretene Verjährung durch das Gericht von Amts wegen zu berücksichtigen sei und die Verjährung kein disponibles Rechtsgut darstelle, so dass ein Verjährungsverzicht nicht möglich sei. Entgegen der Ansicht der Kläger existiere auch kein Haftungsanerkenntnis („acknowledgement of liability“) der Beklagten, durch welches nach pakistanischem Recht die Verjährung ggf. ausgeschlossen wäre oder neu zu laufen begonnen hätte. Ein solches könne insbesondere nicht in der zwischen der Beklagten und der Organisation Q im Dezember 2012 geschlossenen Vereinbarung gesehen werden, da die Beklagte den Betroffenen der Brandkatastrophe hierdurch lediglich auf freiwilliger Basis eine schnelle und unbürokratische Hilfe habe zu Teil werden lassen wollen. Keinesfalls könne diese Vereinbarung jedoch als rechtsverbindliches Anerkenntnis irgendeiner wie auch immer gearteten Haftung verstanden werden, zumal im Zeitpunkt ihres Zustandekommens die genauen Umstände des Brandes sowie die genauen Schäden nicht bekannt und auch nicht absehbar gewesen seien.
20Entgegen der Auffassung der Klägerseite richte sich die Frage der Verjährung vorliegend auch nicht nach den Vorschriften des deutschen Rechts. Die von den Klägern in diesem Zusammenhang angeführte konkludente Teilrechtswahl nach Art. 14 Abs. 1a) Rom II-VO habe nicht stattgefunden. Sofern die Kläger insoweit auf die Regulierungsgespräche zwischen den Prozessbevollmächtigten der Parteien insbesondere in Gestalt des E-Mail- und Schriftverkehrs im Jahr 2014 abstellten, habe es den Beteiligten – unabhängig vom Erklärungswert ihrer damaligen Ausführungen – seinerzeit jedenfalls an dem erforderlichen Erklärungsbewusstsein sowie dem einschlägigen Rechtsbindungswillen gefehlt. Auch komme eine Anwendbarkeit der deutschen Verjährungsvorschriften über die Ausweichklausel des Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO vorliegend nicht in Betracht. Zum einen erlaube die vorgenannte Vorschrift keine isolierte Teilrechtswahl bezogen auf den Verjährungsaspekt. Zum anderen bestehe darüber hinaus keine die Anwendbarkeit der Ausweichklausel rechtfertigende engere Beziehung des Vorfalles zum deutschen Recht als zum pakistanischen Recht. Schließlich verstoße die Anwendung des pakistanischen Verjährungsrechts auch nicht gegen den „ordre public“-Grundsatz. Weder habe die Beklagte die vorgerichtlichen Vergleichsgespräche einschließlich der in diesem Zusammenhang abgegebenen Verjährungsverzichtserklärung nur zu dem Zweck geführt, um eine Verjährung der streitgegenständlichen Ansprüche herbeizuführen, noch verletze die Anwendung des pakistanischen Verjährungsrechtes die Kläger in ihrem Recht auf effektiven Rechtsschutz sowie ein faires Verfahren.
21Aus vorgenannten Gründen habe die Klage daher der Abweisung zu unterliegen.
22Wegen der weiteren Einzelheiten des beiderseitigen Parteivorbringens einschließlich der umfangreichen Rechtsausführungen der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlangen sowie auf das Sitzungsprotokoll vom 29.11.2018 (Bl. 575 ff. d.A.) verwiesen.
23Die Kammer hat Beweis erhoben durch die Einholung eines Gutachtens zum pakistanischen Recht. Wegen des Inhalts und des Ergebnisses der durchgeführten Beweisaufnahme wird auf die Beschlüsse der Kammer vom 29.08.2006 (Bl. 321 ff. d.A.) und 18.09.2017 (Bl. 422 f. d.A.) sowie auf die gutachterliche Stellungnahme des Sachverständigen Prof. P vom 22.05.2018 Bezug genommen.
24Entscheidungsgründe:
25Die Klage hat keinen Erfolg.
26I.
27Zwar ist die Klage zulässig. Die internationale Zuständigkeit des angerufenen Gerichts ergibt sich vorliegend sowohl aus Art. 4 Abs. 1 i.V.m. Art. 63 Abs. 1 der Brüssel Ia – VO als auch – subsidiär – aus den §§ 12, 17 ZPO (vgl. BGH, Urteil vom 05.05.2011, Az.: IX ZR 176/10).
28II.
29Allerdings ist die Klage unbegründet.
30Die Kläger können von der Beklagten weder die Zahlung von Schmerzensgeld noch den Ersatz eines etwaigen Einkommensausfalls aufgrund des Brandes auf dem Fabrikgelände der Firma B im September 2012 verlangen. Ein solcher Anspruch der Kläger ergibt sich weder auf der Grundlage des pakistanischen Rechts (hierzu unter 1.) noch aus Normen der deutschen Rechtsordnung (hierzu unter 2.).
311.
32Die Kammer musste letztlich nicht entscheiden, ob nach den Grundsätzen der pakistanischen Rechtsordnung, welche gemäß Art. 4 Abs. 1 der Rom II-VO auf den streitgegenständlichen Sachverhalt anzuwenden sind, überhaupt eine rechtliche Grundlage für die von den Klägern geltend gemachten Zahlungsansprüche existiert bzw. ob die rechtlichen Voraussetzungen einer solche Anspruchsgrundlage vorliegend erfüllt sind, da im Ergebnis sämtliche Ansprüche der Kläger bereits verjährt sind.
33So kommt der von der Kammer beauftragte Sachverständige und Rechtsgelehrte Prof. P in seiner gutachterlichen Stellungnahme vom 22.05.2018 zu dem Ergebnis, dass nach den in Pakistan geltenden Rechtsgrundsätzen die Verjährungsfrist für sämtliche in Betracht kommenden Ersatzansprüche der Kläger spätestens am Tag des Brandes zu laufen begonnen habe und für Klagen aufgrund von Todesfällen 1 Jahr – höchstens aber 2 Jahre – und für Klagen aufgrund von Personenschäden höchstens 2 Jahre betragen habe. Die einmal eingetretene Verjährung sei durch das Gericht dabei von Amts wegen zu berücksichtigen und eine Klage im Verjährungsfall zwingend als unbegründet abzuweisen. Es sei unzulässig und somit nicht möglich, nach pakistanischem Recht auf den Eintritt der Verjährung zu verzichten oder aber diese zu verlängern bzw. zu hemmen. Anders als in den meisten anderen Rechtsordnungen hätten bloße Verhandlungen über den Anspruch weder verjährungshemmende noch sonst die Verjährung berührende Wirkung.
34Die Kammer folgt den plausiblen und nachvollziehbaren Ausführungen und Schlussfolgerungen des Sachverständigen Prof. P. Dieser hat sich im Rahmen seiner schriftlichen Stellungnahme vom 22.05.2018 intensiv sowohl mit den relvenaten pakistanischen Rechtsnormen als auch mit der einschlägigen pakistanischen Rechtsprechung auseinandergesetzt. Die Kammer hat im Ergebnis keinen Anlass, an der inhaltlichen Richtigkeit sowie Vollständigkeit der Ausführungen des Sachverständigen zu zweifeln.
35Ausgehend von den Feststellungen des Sachverständigen Prof. P ist daher spätestens mit Ablauf des 11.09.2014 und somit vor Eingang der hiesigen Klage bei Gericht für sämtliche vorliegend geltend gemachten Ansprüche der Kläger nach pakistanischem Recht Verjährung eingetreten.
36Nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Prof. P kann sich die nach pakistanischem Recht geltend Verjährungsfrist ausnahmsweise verlängern, wenn
37 eine schriftliche Haftungsanerkennung („written acknowledgement of liability“) des Haftenden vorliegt oder
38 der Anspruchsgegner den Anspruchsteller durch arglistiges Verhalten – insbesondere durch arglistiges Verschweigen von Tatsachen, welche dem Anspruchssteller eine Geltendmachung seines Anspruches ermöglichen – an der Geltendmachung des Anspruches hindert oder aber
39 innerhalb der Verjährungsfrist bereits ein anderes („gutgläubiges“) Zivilverfahren über den gleichen Sachverhalt geführt wird, welches beispielsweis wegen der Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts nicht weiterverfolgt werden konnte bzw. verwiesen wurde.
40Zu den beiden letztgenannten Punkten fehlt es bereits an einem schlüssigen bzw. hinreichend substantiierten Sachvortrag der Klägerseite. Insbesondere lässt sich dem Klägervorbringen nicht entnehmen, dass die Beklagtenseite im Rahmen der außergerichtlichen Einigungsbemühen der Parteien im Hinblick auf den nunmehr streitgegenständlichen Verjährungsaspekt tatsächlich arglistig gehandelt hat. Soweit von den Klägern lediglich pauschal behauptet wird, die Prozessbevollmächtigten der Beklagten hätten vorgerichtlich nur deshalb auf die Erhebung der Einrede der Verjährung verzichtet, weil sie hierdurch die Vergleichsverhandlungen der Parteien hätten in die Länge ziehen und auf diese Weise eine Verjährung der Ansprüche hätten herbeiführen wollen, finden sich hierfür aus Sicht der Kammer keinerlei objektive Anhaltspunkte. Sowohl der Sachvortrag als auch das Prozessverhalten der Parteien legen vielmehr den Schluss nahe, dass beide Parteien erst im Zuge des hiesigen Verfahrens durch die von ihnen jeweils eingeholten Privatgutachten bzw. privatgutachterlichen Stellungnahmen umfassend von der nach pakistanischem Recht bestehenden Verjährungsproblematik Kenntnis erlangt haben. Hierfür spricht im Übrigen auch der eigene Sachvortrag der Kläger, die ausdrücklich darauf hinweisen, dass die seinerzeitigen außergerichtlichen Vergleichsverhandlungen von den deutschen Anwälten der Parteien, die jeweils über keine Ausbildung im pakistanischem Recht verfügt hätten, in Deutschland und in deutscher Sprache unter Anwendung der im deutschen Rechtsverkehr üblichen Formulierungen geführt worden seien.
41Soweit die Klägerseite meint, in der im Dezember 2012 zwischen der Beklagten und der Organisation Q geschlossenen Vereinbarung, welche die Grundlage für die seinerzeit von der Beklagten geleistete Soforthilfe in Höhe von 1 Mio. US-Dollar bildete, sei zugleich ein Haftungsanerkenntnis nach pakistanischem Recht zu sehen, spricht hiergegen bereits der Umstand, dass diese Vereinbarung zu einem Zeitpunkt getroffen wurde, zu welchem weder die konkrete Ursache des Schadensfalles noch deren konkrete Folgen aufgeklärt oder absehbar waren. Die Entscheidung über die Zahlung weiterer Entschädigungen sollte dementsprechend dem Ergebnis der nachfolgenden Ermittlungen und weiteren Verhandlungen vorbehalten bleiben. Sowohl die getroffene Vereinbarung selbst als auch die Umstände ihres Zustandekommens legen daher nahe, dass Zahlungen der Beklagten zunächst ausschließlich auf freiwilliger Basis erfolgten und gerade kein wie auch immer geartetes Schuldeingeständnis oder Haftungsanerkenntnis der Beklagten darstellen sollten. Auch der Sachverständige Prof. P kommt im Rahmen seiner Begutachtung zu dem Ergebnis, dass die getroffene Vereinbarung als sog. „agreement to compensate on an ex gratia basis“ zu bewerten sei, welches gerade kein Haftungsanerkenntnis nach pakistanischem Recht darstelle.
42Entgegen der Ansicht der Kläger ist eine Verjährung ihrer Ansprüche auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil auf den vorliegenden Sachverhalt ausnahmsweise deutsche Verjährungsvorschriften Anwendung finden. Insbesondere haben die Parteien durch ihre vorgerichtlichen Regulierungs- und Vergleichsbemühungen keine konkludente Teilrechtswahl nach Art. 14 Abs. 1a) Rom II-VO in der Weise getroffen, dass sich die Verjährung der streitgegenständlichen Ansprüche nach deutschem Recht richten solle. Unabhängig von der Frage nämlich, ob – was nach Auffassung der Kammer bereits zweifelhaft erscheint – allein durch die Korrespondenz über eine mögliche außergerichtliche Einigung sowie durch eine in diesem Zusammenhang abgegebene einseitige Verjährungsverzichtserklärung der Beklagtenseite überhaupt eine wirksame (konkludente) Einigung im Sinne des Art. 14 Abs. 1a) Rom II-VO zustande gekommen sein kann, fehlte es den Parteien vorliegend jedenfalls sowohl an dem erforderlichen Erklärungsbewusstsein als auch an dem einschlägigen Rechtsbindungswillen zum Abschluss einer solchen Vereinbarung. Zu Recht hat die Beklagtenseite in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass offensichtlich weder den Parteien noch ihren Bevollmächtigten die im pakistanischen Recht geltenden Verjährungsgrundsätze einschließlich der sich hieraus konkret ergebenden Probleme zum damaligen Zeitpunkt überhaupt bekannt waren. Wie zuvor bereits ausgeführt, lässt sich dem Akteninhalt vielmehr entnehmen, dass die Parteien von diesem Problemkreis offenkundig erst durch die im hiesigen Verfahren eingeholten Rechtsgutachten umfassend Kenntnis erlangt haben. Ohne ein entsprechendes Erklärungsbewusstsein bzw. einen entsprechenden Rechtsbindungswillen kann allerdings nicht davon ausgegangen werden, dass die Parteien anlässlich ihrer außergerichtlichen Vergleichsverhandlungen eine wie auch immer geartete Vereinbarung über die Anwendung eines bestimmten Rechtes in Bezug auf die Verjährungsfrage getroffen haben.
43Auch die Ausweichklausel des Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO ist vorliegend nicht anwendbar. Nach der vorgenannten Klausel ist auf Ansprüche aus unerlaubter Handlung das Recht eines bestimmten (anderen) Staates anzuwenden, wenn die Ansprüche offensichtlich eine engere Verbindung zum Recht dieses Staates aufweisen. Dass diese Voraussetzung hier erfüllt ist, ist - unabhängig von der Frage, ob eine Aufspaltung eines materiell-rechtlichen Anspruches in verschiedene Rechtskreise im Rahmen von § 4 Abs. 3 Rom II-VO überhaupt zulässig ist - bereits nicht ersichtlich. Vielmehr besteht sowohl aufgrund des Ortes der unerlaubten Handlung (L / Pakistan) als auch aufgrund des gewöhnlichen Aufenthaltsortes der Kläger nach Auffassung der Kammer eine deutlich engere Verbindung des Falles zum pakistanischen als zum deutschen Recht.
44Eine abweichende Beurteilung der Sach- und Rechtslage ergibt sich schließlich auch nicht wegen eines etwaigen Verstoßes des pakistanischen Verjährungsrechtes gegen die Grundsätze der deutschen und der europäischen Rechtsordnung („ordre public“). Insbesondere teilt die Kammer nicht die Auffassung der Klägerseite, dass die Kläger durch die im pakistanischen Recht geltende vergleichsweise kurze Verjährungsfrist von 1 bzw. 2 Jahren in ihrem (Grund-)Recht auf effektiven Rechtschutz sowie ein faires Verfahren verletzt werden. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass auch die deutsche Rechtsordnung für bestimmte Ansprüche ähnlich kurze bzw. sogar kürzere Verjährungsfristen (vgl. z.B. 438 Abs. 1 Nr. 3 BGB, 548 BGB) kennt, der Gesetzgeber es also augenscheinlich bewusst in Kauf genommen hat, dem Anspruchsteller zu Gunsten der Rechtssicherheit die Geltendmachung seiner Ansprüche in einer vergleichsweisen kurzen Zeitspanne zuzumuten. Allein aus einer solchen gesetzgeberischen Wertung folgt noch nicht eine unzulässige Einschränkung des Rechts auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes sowie eines fairen Verfahrens. Im Übrigen lässt sich dem Vorbringen der Klägerseite auch nicht nachvollziehbar entnehmen, warum den Klägern innerhalb der nach pakistanischem Recht geltenden Verjährungsfrist eine Klageerhebung in Deutschland per se nicht möglich gewesen sein soll, zumal den Klägern die nach ihrer Auffassung eine Haftung der Beklagten begründenden tatsächlichen Umstände insbesondere in Gestalt der angeblich nicht eingehaltenen brandschutz- und sicherheitsrechtlichen Vorgaben bereits frühzeitig bekannt waren. Soweit die Kläger der Beklagten ein arglistiges Verhalten in der Weise vorwerfen, dass diese die Vergleichsverhandlungen absichtlich in die Länge gezogen habe um auf diese Weise eine Verjährung der klägerischen Ansprüche herbeizuführen, findet dieser Vorwurf – wie zuvor bereits mehrfach ausgeführt – weder in der vorgerichtlichen Korrespondenz der Parteien noch im übrigen Prozessstoff eine hinreichende Stütze.
452.
46Eine Haftung der Beklagten nach Vorschriften des deutschen Rechtes ist ebenfalls nicht gegeben. Es fehlt insoweit bereits an einer tauglichen Anspruchsgrundlage.
47Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass die Beklagte in keinerlei direkter vertraglicher Beziehung zu den Mitarbeitern der Fa. B stand. Eine Haftung der Beklagten könnte sich daher allenfalls unter dem Gesichtspunkt eines Vertrages zu Gunsten Dritter bzw. mit Schutzrechten zu Gunsten Dritter aus dem vormals zwischen der Beklagten und der Fa. B bestehenden Liefervertrag unter besonderer Berücksichtigung des von der Beklagten verwendeten Verhaltenskodex („Code of Conduct“) ergeben.
48Insoweit ist allerdings zu berücksichtigen, dass sich der „Code of Conduct“ ausschließlich an den Vertragspartner der Beklagten - hier also die Fa. B - richtete und diesen zur Einhaltung bestimmter ethischer, sozialer und arbeitsrechtlicher Mindeststandards anhielt. Dass den Mitarbeitern der Beklagten hieraus Ansprüche unmittelbar gegen die Beklagte erwachsen sollten, ist dem Dokument indes nicht zu entnehmen. Für die Annahme eines Vertrages mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter fehlt es bereits an den insoweit einschlägigen von der Rechtsprechung entwickelten Voraussetzungen insbesondere in Gestalt der erforderlichen Leistungsnähe des Dritten.
493.
50In Ermangelung einer bestehenden Hauptforderung haben die Kläger auch keinen Anspruch auf die als Nebenforderung geltend gemachten Verzugs- bzw. Rechtshängigkeitszinsen.
51III.
52Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91 Abs. 1, 709 ZPO.
53Der Streitwert beträgt 120.000,00 €.