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wird der Beschluß des Amtsgerichts Dortmund vom 29.12.1989
aufgehoben.
Die Beschlagnahme des Spritzenautomaten an der
T-straße/Ecke L-straße in E wird angeordnet.
Gründe
2Der Beschuldigte X ist Leiter der Drogenberatungsstelle in
3E, deren Träger die Gesellschaft für F ist. Am 15.9.1989 ließ der Be-
4schuldigte an der T-straße/Ecke L-straße in E
5einen sogenannten Spritzenautomaten aufstellen. Dieser Auto-
6mat, den die B zur Ver-
7fügung gestellt hat, enthält fünf Warenschächte, von denen
8drei mit Einwegspritzen und zwei mit Kondomen bestückt sind.
9Eine Packung mit zwei Einwegspritzen läßt sich nach Einwerfen
10eines 1,00-DM-Stücks ziehen. Nach Mitteilung des Be-
11schuldigten X, werden durchschnittlich 20 Packungen pro Tag
12erworben. Neben dem Automaten ist ein Behälter zur Aufnahme
13gebrauchter Spritzen angebracht.
14Mit Antrag vom 19.12.1989 hat die Staatsanwaltschaft Dortmund
15die Anordnung der Beschlagnahme des Spritzenautomaten "gem.
16§ 33 BtMG" beantragt. Das Amtsgericht Dortmund hat diesen
17Antrag mit dem angefochtenen Beschluß vom 29.12.1989 ab-
18gelehnt. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Staats-
19anwaltschaft, der die Kammer stattgegeben hat.
20Die Beschwerde ist zulässig und begründet.
21Gem. § 111 b Abs. 1 und 2 StPO ist der Automat durch Be-
22schlagnahme sicherzustellen, da dringende Gründe für die
23Annahme gegeben sind, daß die Voraussetzungen für seine Ein-
24ziehung im späteren Strafverfahren vorliegen.
25Gem. § 74 Abs. 1 StGB können Gegenstände, die zur Begehung
26einer vorsätzlichen Straftat gebraucht wurden (Tatmittel),
27eingezogen werden. Nach Aktenlage ist im gegenwärtigen Stand
28des Ermittlungsverfahrens davon auszugehen, daß sich der
29Beschuldigte X des vorsätzlichen Verschaffens einer Ge-
30legenheit zum unbefugten Verbrauch von Betäubungsmitteln gem.
31§ 29 Abs. 1 Nr. 10 BtMG schuldig gemacht hat. Das Verschaffen
32einer solchen Gelegenheit setzt nicht die Überlassung von
33Rauschgift voraus, denn das unterfiele unmittelbar dem Tat-
34bestand des § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG; es genügt vielmehr die
35Herbeiführung günstiger äußerer Umstände, die das unbefugte
36Handeln fördern und ihm unmittelbar dienlich sind (vgl.
37BayObLG in MDR 1983, Seite 75; Körner, BtMG, 2. Auflage 1985,
38§ 29 Rd-Ziff. 565; Joachimski, Betäubungsmittelrecht, 4.
39Auflage 1985, § 29 Anm. 20 a); Endriß/MaIek, Betäubungs-
40mittelstrafrecht, 1986, Seite 109, 110; Hügel/Junge,
41Deutsches Betäubungsmittelrecht, Kommentar, 6. Auflage, Stand
42Oktober 1989, BtMG § 29 Rd-Ziff. 20.4; Eberth/Müller, Be-
43täubungsmittelrecht, Kommentar und Anleitung für die Praxis,
44München 1982, BtMG § 29 Rd-Ziff. 64 mit überwiegend gleich-
45lautenden Definitionen). Daß die Überlassung von sterilen
46Spritzen zur Injektion von Heroin dem damit vorgenommenen
47Rauschgiftgenuß unmittelbar dienlich ist, kann nicht be-
48zweifelt werden. Die in dem angefochtenen Beschluß dargelegte
49Ansicht, es handele sich lediglich um eine unwesentliche
50Förderung, da die Abnehmer -ggf. unter Benutzung gebrauchter
51Spritzen- bereits zum Drogenkonsum entschlossen seien, muß
52schon deshalb Bedenken begegnen, weil es auf die Ermöglichung
53des konkreten Verhaltens ankommt. Auch im Rahmen der Beihilfe
54gem. § 27 StGB -und hier handelt es sich um zur Täterschaft
55aufgewertete Beihilfehandlungen- ist schließlich nicht er-
56heblich, ob der Tatbeitrag des Gehilfen von einem anderen
57oder vom Täter selbst hätte geleistet werden können. Unab-
58hängig davon läßt sich die der amtsgerichtlichen Würdigung
59unausgesprochen zugrundeliegende Beschränkung auf einen be-
60stimmten Benutzertypus sachlich nicht rechtfertigen. Es ist
61nicht anzunehmen, daß sich allein Drogenkonsumenten des
62Automatens bedienen, die über die Möglichkeit verfügen, ohne
63weiteres von anderen eine benutzte Spritze zu erhalten. Es
64werden vielmehr, wie auch den für die Aufstellung verant-
65wortlichen Personen klar sein muß, auch Konsumenten davon
66Gebrauch machen, die über eine solche Möglichkeit nicht ver-
67fügen. Jedenfalls in solchen nicht fernliegenden Fällen
68stellt die Überlassung der Spritze, deren Gebrauch den
69Rauschgiftgenuß für die daran gewöhnten Konsumenten
70effektiver als im Falle anderer Konsumformen sein läßt, eine
71wesentliche Verbesserung der äußeren Umstände für den Rausch-
72giftgenuß dar.
73Angesichts des klaren Wortsinnes erscheint der Kammer der in
74der Literatur (vgl. Kreuzer, Strafrecht als Hindernis sinn-
75voller AIDS-Prophylaxe ? in NStZ 1987, Seite 268 f) unter-
76nommene Versuch, den Anwendungsbereich der Vorschrift im Wege
77der Auslegung nach Entstehungsgeschichte und Gesetzessinn auf
78die Fälle einer Kontaktvermittlung zwischen Drogenkonsument
79und Bezugsquelle zu beschränken, nicht statthaft.
80Daß ihr Handeln gerechtfertigt war, können die für die Auf-
81stellung des Automaten verantwortlichen Personen nicht für
82sich in Anspruch nehmen. Die Voraussetzungen eines recht-
83fertigenden Notstandes gem. § 34 StGB liegen -jedenfalls bei
84vorläufiger Bewertung in diesem Verfahrensstadium- nicht vor.
85Die Überlassung der Spritzen soll die bei Benutzung einer
86gebrauchten Spritze gegebene Gefahr einer HIV-Infektion mit
87der Wahrscheinlichkeit eines hierdurch verursachten späteren
88Todes abwenden. Das Mittel, mit dem diese Gefahr abgewendet
89werden soll, ist dem Rauschgiftkonsum dienlich. Es trägt also
90seinerseits zur Aufrechterhaltung einer Abhängigkeit, die als
91Gesundheitsbeschädigung einzustufen ist, bei. Dieses Mittel
92kann sogar mitursächlich für den Tod des Konsumenten sein,
93falls dieser mit Hilfe der überlassenen Spritze versehentlich
94oder absichtlich eine Überdosis Heroin einnimmt oder sich die
95Wirkung der gewohnten Menge etwa wegen schlechten körper-
96lichen Allgemeinzustandes oder aufgrund der Auswirkungen oft
97zusätzlich genommener Medikamente als tödlich erweist.
98Diese Überlegung zeigt, daß es hier nicht um den Eingriff in
99ein Rechtsgut zum Schutze eines höherwertigen anderen Rechts-
100gutes geht. Vielmehr sind das beeinträchtigte und das Rechts-
101gut, dessen Schutz erstrebt wird, identisch. Zwar findet § 34
102StGB auch Anwendung, wenn ein Rechtsgut aus einer akuten
103Gefahr nur dadurch gerettet werden kann, daß es einer anderen
104Gefahr ausgesetzt wird (vgl. Schönke-Schröder-Lenckner, StGB,
105Kommentar, 23. Auflage, § 34 Rd-Ziff. 8) .Infolge der Abgabe
106über einen Automaten an einen anonymen Abnehmerkreis ist aber
107im Einzelfall völlig offen, ob dem Erwerber die akute Gefahr
108droht, anderenfalls eine HIV-Infektion zu erleiden, oder ob
109ihm in Wahrheit erst das Mittel überlassen wird, mit dem er
110sich Rauschgift auf besonders effiziente Weise -bis zum töd-
111lichen Ausgang- verabreichen kann. Allein auf den Einzelfall
112ist aber abzustellen. § 34 StGB rechtfertigt nicht, unbe-
113stimmt viele Personen anderen Gefahren für Leib und Leben
114auszusetzen oder sogar vorhandene Schäden (Abhängigkeit) zu
115intensivieren, um für einen Teil dieses Personenkreises die
116Gefahr einer HIV-Infektion zu verringern. Im übrigen ist
117weder festzustellen, wie hoch das Risiko einer HIV-Infektion
118für Betäubungsmittelabhängige ist, noch ist abzuschätzen,
119wieviele Infektionen im Falle einer Abgabe der Spritzen ver-
120mieden würden.
121Nach dem gegenwärtigen Ermittlungsstand bestehen auch
122dringende Gründe für die Annahme schuldhaften Verhaltens der
123für die Automatenaufstellung Verantwortlichen. Ein unver-
124meidbarer Verbotsirrtum dürfte nicht gegeben sein. Zwar hatte
125sich das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des
126Landes Nordrhein-Westfalen, das die Aufstellung initiiert
127hat, auf die Zustimmung des Justizministeriums berufen; je-
128doch hat die Staatsanwaltschaft Dortmund, bei der gerade zur
129Klärung eines eventuellen Gesetzesverstoßes noch einmal an-
130gefragt worden war, von Anfang an auf ihre Bedenken hin-
131sichtlich der Gesetzmäßigkeit -zumindest an dem hier in Rede
132stehenden Aufstellungsort- hingewiesen, so daß die Be-
133teiligten nicht geltend machen können, sie hätten ihr Tun für
134erlaubt gehalten. Dementsprechend hat der Beschuldigte X
135in seiner verantwortlichen Vernehmung auch sinngemäß ange-
136geben, er sei wegen der von der Staatsanwaltschaft erhobenen
137Bedenken völlig überrascht gewesen, sie hätten jedoch die
138Ansicht vertreten, daß dieser Konflikt ausgetragen werden
139müßte. Schließlich ist auch nicht ersichtlich, daß einer der
140Beteiligten -was einem Tatbestandsirrtum gleichzustellen
141wäre- über die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 34 StGB
142als eines in Betracht kommenden Rechtfertigungsgrundes irrte.
143Bei ihrer vorläufigen Würdigung hat die Kammer nicht ver-
144kannt, daß die Beteiligten aus sozialer Verantwortung und in
145der Absicht handelten, der Ausbreitung des auf Dauer wohl
146tödlichen HIV-Virus unter den Betäubungsmittelabhängigen
147entgegenzuwirken. Dieses anerkennenswerte Ziel kann aber den
148Verstoß gegen bestehende Strafvorschriften weder recht-
149fertigen noch entschuldigen.
150Der Einziehung steht schließlich nicht entgegen, daß der
151Automat im Eigentum der B
152steht. Das Ermittlungsverfahren richtet sich gegen alle für
153die Aufstellung und Betreibung des Automaten verantwortlichen
154Personen und beschränkt sich nicht auf den Beschuldigten
155X. Von daher wird die Einziehung im späteren Strafver-
156fahren gem. § 74 Abs. 2 Nr. 1 StGB zulässig sein, auch wenn
157zur Zeit das als Tatteilnehmer in Betracht kommende Organ der
158B namentlich noch nicht feststeht.