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Frau M. D., geb. 00.00.0000, wohnhaft U.-straße N01, xxxxx E.wird gemäß § 52 I GVG von der Hauptschöffenliste gestrichen.
An ihre Stelle tritt aus der Hilfsschöffenliste die ausgeloste Ersatzschöffin Frau H. P., geb. 00.00.0000 in E., wohnhaft O.-straße N02, 00000 E..
Gründe:
2Die Schöffin Frau M. D. wurde in der Sitzung vom 26.09.2023 des Wahlausschusses für die Wahl der Schöffen für die Geschäftsjahre 2024 – 2028 zur Haupt-Jugend-Schöffin bei dem Amtsgericht E. gewählt.
3Sie wurde sodann in der Sitzung vom 15.12.2023 für die folgenden Sitzungstage zugelost: Montag 08.02.2024, Dienstag 05.03.2024, Donnerstag 02.05.2024, Dienstag 02.07.2024, Dienstag 27.08.2024, Donnerstag 24.10.2024 und Freitag 20.12.2024.
4Am Morgen des 08.02.2024 rief die Schöffin Frau D. auf der Geschäftsstelle der Abt. N03 und teilte mit, dass sie aufgrund einer schweren Erkältung nicht in der Lage sei, die Hauptverhandlung wahrzunehmen. Sie wies ferner darauf hin, dass sie aus Bekenntnisgründen ein Kopftuch trage und fragte an, ob dieses in der gerichtlichen Verhandlung problematisch sei. Frau D. wurde von der Geschäftsstellenbeamtin gebeten, zur Problematik des Kopftuches noch etwas schriftlich, am besten per Email, vorzutragen. Für den Hauptverhandlungstermin wurde die nächstbereite Ersatzschöffin geladen.
5In einem am selben Tage geführten Telefongespräch wurde mit Frau D. die Regelung des § 2 JNeutG NRW erörtert, wonach es auch ehrenamtlichen Richterrinnen nicht erlaubt ist, in der gerichtlichen Verhandlung solche Kleidungsstücke zu tragen, die bei objektiver Betrachtung eine bestimmte religiöse, weltanschauliche oder politische Auffassung zum Ausdruck bringen. Frau D. sah sich auch nach Erörterung der gesetzlichen Regelung nicht in der Lage, auf das Kopftuch zu verzichten. Sie entschied sich auch dazu, nicht zum Termin zur Schöffenunterweisung am 19.01.2024 zu erscheinen.
6Mit Schreiben vom 09.02.2024 wurde sodann bei dem Oberlandesgericht Hamm gemäß § 51 I GVG die Amtsenthebung der Schöffin beantragt. Dieser Antrag wurde vom Oberlandesgericht Hamm mit Beschluss vom 11.04.20024 (III – 5 Ws 64/24) abgelehnt.
7Zur Begründung hat das Oberlandesgericht Hamm in dem Beschluss vom 11.04.2024 ausgeführt:
8Der Antrag auf Amtsenthebung der Schöffin war abzulehnen, da ihre Weigerung, das Kopftuch während der Gerichtsverhandlung abzunehmen, keine gröbliche Amtspflichtverletzung im Sinne von § 51 Abs. 1 GVG darstellt.
91)
10Im Ansatz zutreffend ist der Vorsitzende des Jugendschöffenausschusses davon ausgegangen, dass die Weigerung der Schöffin, während der Gerichtsverhandlung auf das Tragen des Kopftuches zu verzichten, gegen § 2 Abs. 1 JNeutG NRW verstößt, wonach ehrenamtliche Richter in der gerichtlichen Verhandlung keine wahrnehmbaren Symbole oder Kleidungsstücke tragen dürfen, die bei objektiver Betrachtung eine bestimmte religiöse Auffassung zum Ausdruck bringen.
112)
12Ferner bestehen keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit von § 2 Abs. 1 JNeutG NRW. Der Senat nimmt insofern Bezug auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Arnsberg (Beschluss vom 9. Mai 2022 – 2 L 102/22 -, Rn. 27 – N02, juris, ebenso: Beaucamp/Thrun, ZJS 2020, 373 ff.) und teilt insbesondere dessen Auffassung, dass das Verbot des Tragens religiöser Symbole während der Gerichtsverhandlung sich im Hinblick auf den hohen Rang des staatlichen Neutralitätsgebots und die geringe Eingriffsintensität als verhältnismäßig darstellt.
133)
14Nach Auffassung des Senats stellt die Weigerung der Schöffin, das Kopftuch während der Gerichtsverhandlung abzunehmen, indes keine gröbliche Amtspflichtverletzung im Sinne von § 51 Abs. 1 GVG, sondern eine (sonstige) Unfähigkeit zur Ausübung des Schöffenamtes im Sinne von § 52 Nr. 1 GVG dar.
15a)
16Amtsenthebungsverfahren nach § 51 Abs. 1 GVG und Streichung von der Schöffenliste nach § 52 Abs. 1 GVG stehen in einem Ausschließlichkeitsverhältnis zueinander, so dass die Entscheidung, ob ein Amtsenthebungsverfahren einzuleiten oder eine Streichung von der Schöffenliste vorzunehmen ist, nur entweder in die eine oder in die andere Richtung getroffen werden kann (OLG Celle, Beschluss vom 23. September 2014 – 2 ARs 13/14 -, Rn. 3, juris)
17b)
18Ob die Nichtausübbarkeit des Schöffenamtes wegen des Tragens religiöser Kleidung unter § 51 GVG oder § 52 GVG zu fassen ist, wird uneinheitlich beantwortet und ist seit Einführung von § 2 JNeutG NRW – soweit ersichtlich – bislang nicht entschieden.
19aa)
20Teilweise wird eine Unfähigkeit zur Ausübung des Schöffenamtes verneint (AG Fürth (Bayern), Beschluss vom 7. Dezember 2018 – 441 AR 31/18 -, juris; KG Berlin, Urteil vom 9. Oktober 2012 – (3) 121 Ss 166/12 (120/12) -, juris). Begründet wird dies damit, dass § 52 GVG Bezug auf die §§ N02 bis N01 GVG nehme, in welchem das Tragen eines Kopftuchs nicht genannt werde. Wegen des hohen Grades an demokratischer Legitimation sei eine enge Auslegung von § 52 GVG geboten. Zudem bestehe für die Schöffin jeweils die Möglichkeit, gem. § 54 Abs. 1 S. 1 GVG ihre Entbindung von Dienstleistungen an bestimmten Sitzungstagen zu beantragen, solange sie sich aus religiösen Gründen nicht in der Lage sehe, in der Öffentlichkeit ihr Kopftuch abzulegen (AG Fürth (Bayern), Beschluss vom 7. Dezember 2018 – 441 AR 31/18 -, juris).
21bb)
22Die Gegenauffassung geht hingegen davon aus, dass eine Streichung nach § 52 Abs. 1 GVG von der Schöffenliste geboten sei (Goers, in: Beck’scherOK, Stand: 15.02.2024, § 51 GVG Rn. 17a; Schmidt/Schiemann in: Gercke/Temming/Zöller, 7. Auflage 2023, § 51 GVG, Rn. 3; AG Hamburg-St. Georg, Beschluss vom 28. Dezember 20018 – ID 847 -, juris; in diese Richtung wohl auch: Gittermann in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Auflage, § 31 GVG, Rn. 19c), da die Erklärung, während der Hauptverhandlung ein Kopftuch tragen zu wollen, keine gröbliche Amtspflichtverletzung darstelle.
23c)
24Der Senat folgt der letztgenannten Auffassung.
25aa)
26Die gröbliche Verletzung der Amtspflichten im Sinne von § 51 GVG wird nach dessen Sinn und Zweck allgemein als Verhalten definiert, welches den Schöffen aus objektiver Sicht eines verständigen Verfahrensbeteiligten ungeeignet für die Schöffenamtsausübung macht, weil er nicht mehr die Gewähr bietet, unparteiisch und nur nach Recht und Gesetz zu entscheiden. (Goers, in: Beck’scherOK, a.a.O., § 51 GVG Rn. 9). Vorliegend geht es indes nicht um ein Fehlverhalten der Schöffin – diese praktiziert vielmehr lediglich ihre durch Art. 4 Abs. 1 GG geschützte Religionsausübungsfreiheit – sondern um eine Kollision der grundrechtlich geschützten Religionsausübung mit den staatlichen Neutralitätsvorgaben bei Ausübung des Schöffenamtes.
27bb)
28Ferner ist ersichtlich gesetzgeberisch nicht intendiert, dass Personen als Schöffen berufen werden, die nicht nur vorübergehend, sondern dauerhaft an der Ausübung des Schöffenamtes gehindert sind. Dies wäre indes die Folge, wenn man das religiöse Kopftuchtragen nicht als fehlende Eignung zur Ausübung des Schöffenamtes, sondern als gröbliche Amtspflichtverletzung verstehen würde. Bei dem letztgenannten Verständnis wäre eine Schöffin auch in Kenntnis des vorgenannten Umstandes zunächst zu berufen.
29Soweit das Amtsgericht Fürth in diesem Zusammenhang die Auffassung vertritt, dass Schöffinnen nach ihrer Berufung jeweils ihre Entbindung gem. § 54 Abs. 1 GVG von der Dienstleistung an bestimmten Sitzungstagen beantragen müssten, wenn sie sich aus religiösen Gründen zum Ablegen des Kopftuches in der Öffentlichkeit nicht in der Lage sehen würden, und die unterlassene Stellung des Entbindungsantrags eine gröbliche Amtspflichtverletzung darstellen kann (AG Fürth (Bayern), Beschluss vom 7. Dezember 2018 – 441 AR 31/18 -, juris Rn. 14, 16), vermag dies nicht zu überzeugen. Denn die ständige Beantragung der Entbindung nach § 54 GVG stellt nicht nur einen mit erheblichem bürokratischen Aufwand verbundenen Formalismus dar, sondern führt bei einer gefestigten religiösen Überzeugung der Schöffin – wie hier – auch zum gleichen Ergebnis wie deren Streichung von der Schöffenliste.
30Anerkannt ist zudem, dass über den Wortlaut von § 52 GVG hinaus auch sonstige Gründe die Unfähigkeit zur Ausübung des Schöffenamtes begründen können (Schmitt, in: Meyer-Goßner, 66. Aufl. 2023, § 52 GVG Rn. 1; Barthe, in: Karlsruher Kommentar, 9. Aufl. 2023, § 52 GVG Rn. 4; Duttge/Kangarani, in: HK-GS, 5. Aufl. 2022, § 52 Rn. 2 GVG).
31d)
32Der Senat ist aus den vorgenannten Gründen gehindert, die Schöffin nach § 51 Abs. 1 GVG ihres Amtes zu entheben. Der Senat vermag zudem die Schöffin nicht aus der Schöffenliste zu streichen. Denn zuständig für die Streichung aus der Schöffenliste ist nach § 52 GVG ist nicht der Senat, sondern der geschäftsplanmäßig für die Schöffenangelegenheiten im Sinn der §§ 31 ff. GVG i.V.m. § N01 Abs. 1 JGG bestimmte Jugendrichter (Schuster, in: MünchKomm, 1. Aufl. 2018, § 52 GVG Rn. 11), vorliegend somit der Vorsitzende des Jugendschöffenausschusses. Dessen Entscheidung ist gem. § 52 Abs. 4 GVG unanfechtbar.
33Die Streichung der Schöffin Frau M. D. ist bei der jetzigen Sach- und Rechtslage die einzige Möglichkeit, die Einhaltung der gesetzlichen Regelungen des JNeutG NRW zu gewährleisten.