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1. Die Ausübung des Widerrufsrechts hinsichtlich eines Verbraucherkreditvertrages kann verwirkt sein.
2. Das erforderliche Zeitmoment ist bei einem Widerruf 5 Jahre und 11 Monate nach Abschluss des Vertrages gegeben.
3. Bei einer vorzeitigen Tilgung des Kredits bereits 9 Monate nach Vertragsschluss liegt auch das erforderliche Umstandsmoment vor.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden der klagenden Partei auferlegt.
Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Den Klägern bleibt nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abzuwenden, falls nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
2Die Parteien streiten über die Wirksamkeit des Widerrufs der auf den Abschluss eines Verbraucherdarlehensvertrages gerichteten Willenserklärungen der Kläger.
3Die Kläger schlossen mit der Beklagten am 08.06.2012 einen Darlehensvertrag mit einem Nettodarlehensbetrag von 11.000€ zur Kontonummer #####/####. Der Gesamtbetrag betrug 12.614,22€, wobei sich der Sollzinssatz auf 5,55 % p.a. (effektiver Jahreszins 5,70%) belief. Die Beklagte zahlte den gesamten Kredit zum 05.06.2012 aus. Die erste Rate wurde zum 01.07.2012 fällig und wies eine Höhe von monatlich 210,24€ auf. Die vereinbarte voraussichtliche Kreditlaufzeit betrug 60 Monate und sollte zum 01.06.2017 enden.
4Die Beklagte händigte den Klägern eine Widerrufsinformation als Teil des Vertrages zum Privatkredit aus und informierte die Kläger bei Abschluss des Darlehensvertrages über das ihnen zustehende Widerrufsrecht wie folgt:
5
Die Kläger erbrachten nach Auszahlung des Kredits in der Folgezeit Zins- und Tilgungsleistungen. Das streitgegenständliche Darlehen wurde am 01.03.2013 vorzeitig zurückgeführt.
7Mit Schreiben vom 02.05.2018 widerriefen die Kläger gegenüber der Beklagten ihre auf den Abschluss des o.g. Darlehensvertrages gerichteten Willenserklärungen. Die Beklagte lehnte den Widerruf mit Schreiben vom 15.05.2018 ab. Die Kläger erklärten daraufhin gegenüber der Beklagten am 22.12.2018 schriftlich die Aufrechnung bezüglich der gegenseitigen Ansprüche von Darlehensnehmer und Darlehensgeber und forderten die Beklagte auf, den nach der Aufrechnung bestehenden Restanspruch in Höhe von 1.796,39 € bis zum 07.01.2019 auf das Konto der Prozessbevollmächtigten der Kläger zu zahlen. Die Beklagte kam dieser Aufforderung nicht nach.
8Die Kläger sind der Ansicht, ein Widerruf des Darlehensvertrages sei nach wie vor möglich. Ihrer Meinung nach habe die Widerrufsbelehrung nicht den gesetzlichen Anforderungen entsprochen, weshalb die vierzehntägige Widerrufsfrist nicht zu laufen begonnen habe.
9Sie behaupten, die Widerrufsbelehrung enthielte nicht alle erforderlichen Pflichtangaben. Insbesondere fehle eine Angabe über die genaue Berechnungsmethode für eine Vorfälligkeitsentschädigung.
10Sie sind ferner der Ansicht, dass ein Verstoß gegen § 355 Abs. 3 S. 2 BGB a.F. vorläge, indem die Beklagte den Klägern eine Vertragskopie vorgelegt habe und keine Vertragsurkunde oder eine Abschrift der Vertragsurkunde.
11Überdies sei die Ausübung des Widerrufsrechts nicht aufgrund von Verwirkung ausgeschlossen.
12Die Kläger beantragen daher,
13Die Beklagte zu verurteilen, an die Klagepartei zu 1.) und die Klagepartei zu 2.) als Mitgläubiger 1.796,39€ aus dem Darlehensvertrag mit der Kontonummer #####/#### vom 08.06.2012, Nettodarlehenssumme 11.000€, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 09.05.2019 zu zahlen.
14Die Beklagte beantragt,
15die Klage abzuweisen.
16Sie ist der Ansicht, dass das Widerrufsrecht der Kläger im Zeitpunkt seiner Ausübung am 02.05.2018 verwirkt gewesen sei. Zwischen Vertragsschluss und Widerrufserklärung lägen fünf Jahre und zehn Monate und zwischen Rückzahlung und Widerrufserklärung fünf Jahre und zwei Monate. Demnach käme es auch nicht darauf an, ob die Widerrufsinformation fehlerfrei oder fehlerhaft erfolgt sei.
17Entscheidungsgründe:
18Die Klage ist unbegründet.
19Die Kläger haben gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung der gezogenen Nutzungen sowie Erstattung der geleisteten Zahlungen gemäß §§ 357, 346 Abs. 1 BGB oder gemäß § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB.
20Es kann dahinstehen, ob die Kläger den Darlehensvertrag innerhalb der gesetzlich vorgesehenen Frist widerrufen haben und ob die erteilte Widerrufsinformation richtig war (bejahend für fast gleichlautende Information: AG Dortmund Urteil vom 2.7.2019 - 425 C 9251/18). Ein den Klägern unter Umständen zustehendes Widerrufsrecht war zum Zeitpunkt der Ausübung am 02.05.2018 auf jeden Fall bereits verwirkt.
21Ein Widerrufsrecht kann grundsätzlich verwirkt werden (BGH, Urt. v. 12.07.2016 - XI ZR 501/15, Rn. 42). Dies gilt auch für ein „ewiges“ Widerrufsrecht. Die Verwirkung als Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung wegen der illoyal verspäteten Geltendmachung von Rechten (BGH, Urteil vom 27.06.1957 – II ZR 15/56, BGHZ 25, 47, 51 f.; Palandt/Grüneberg, BGB, 78. Aufl., § 242 Rn. 87) setzt neben einem Zeitmoment, für das die maßgebliche Frist mit dem Zustandekommen des Verbrauchervertrags zu laufen beginnt und mit der Erklärung des Widerrufs endet, ein Umstandsmoment voraus.
22Ein Recht ist verwirkt, wenn sich der Schuldner wegen der Untätigkeit seines Gläubigers über einen gewissen Zeitraum hin bei objektiver Beurteilung darauf einrichten darf und eingerichtet hat, dieser werde sein Recht nicht mehr geltend machen, so dass die verspätete Geltendmachung gegen Treu und Glauben verstößt. Zu dem Zeitablauf müssen besondere, auf dem Verhalten des Berechtigten beruhende Umstände hinzutreten, die das Vertrauen des Verpflichteten rechtfertigen, der Berechtigte werde sein Recht nicht mehr geltend machen (st. Rspr., vgl. BGH vom 28.03.2006 – XI ZR 425/04, BGHZ 167, 25 Rn. 35, vom 13.07.2004 – XI ZR 12/03, WM 2004, 1680, 1682 und vom 25.11.2008 – XI ZR 426/07, juris Rn. 22; BGH, Urt. v. 23.01.2014 – VII ZR 177/13, WM 2014, 905 Rn. 13). Zu berücksichtigen sind insbesondere auch die Art und Bedeutung des Anspruchs sowie das Ausmaß der Schutzbedürftigkeit des Verpflichteten (Palandt/ Grüneberg, BGB, 78. Aufl., § 242 Rn. 93). Ob eine Verwirkung vorliegt, richtet sich letztlich nach den vom Tatrichter festzustellenden und zu würdigenden Umständen des Einzelfalles (BGH, Urteil vom 09.10.2013 – XII ZR 59/12, WM 2014, 82 Rn. 7 m.w.N).
231.
24Das erforderliche Zeitmoment ist erfüllt. Zwischen Vertragsschluss im Jahr 2012 und Widerruf im Jahr 2018 lagen fünf Jahre und elf Monate. Um dem Gläubiger die Möglichkeit zur Prüfung und Überlegung zu geben, ob er einen Anspruch rechtlich geltend macht, soll ihm die Regelverjährung grundsätzlich ungekürzt erhalten bleiben (vgl. BGH, NJW 2011, 212). Auch dieser Zeitraum der Regelverjährung von drei Jahren war hier bezogen auf den Zeitraum zwischen Vertragsabschluss und Widerruf gemäß §§ 195, 199 Abs. 1 BGB seit langem überschritten.
252.
26Eine Gesamtabwägung aller relevanten Umstände im vorliegenden Fall ergibt, dass das Umstandsmoment ebenfalls erfüllt ist.
27Der Vertrauenstatbestand der Kläger weist im Vergleich zu dem der Beklagten eine deutlich geringere Intensität auf. Das Vertrauen der Beklagten ist auch schutzwürdig.
28Ein Vertrauen darauf, dass die Kläger ihr Widerrufsrecht nicht mehr ausüben würden, konnte die Beklagte zwar nicht bereits aus dem Umstand herleiten, dass diese sich während der gesamten Laufzeit der Darlehensverträge vertragstreu verhielten, indem sie ihrer Verpflichtung nachgekommen sind, die vereinbarten Zins- und Tilgungsraten zu erbringen. Denn allein aufgrund eines laufend vertragstreuen Verhaltens des Verbrauchers kann der Unternehmer kein schutzwürdiges Vertrauen darauf, der Verbraucher werde seine auf Abschluss des Verbraucherdarlehensvertrags gerichtete Willenserklärung nicht widerrufen, bilden (vgl. BGH, Urteil vom 12.07.2016, XI ZR 564/15). Es schließt den Einwand der Verwirkung aber nicht aus. Gerade bei beendeten Verbraucherdarlehensverträgen – wie hier – kann das Vertrauen des Unternehmers auf ein Unterbleiben des Widerrufs schutzwürdig sein.
29Dies ergibt sich hier aus dem Umstand, dass die Kläger das Darlehen vorzeitig an die Beklagte zurückgeführt haben. Aufgrund dieser vorzeitigen Vertragsabwicklung kann die Bank in besonderem Maße davon ausgehen, dass auch der Darlehensnehmer das Vertragsverhältnis als endgültig abgeschlossenen Vorgang betrachtet und nicht später seinen Bestand als solchen rückwirkend in Frage stellen will (OLG Hamm, Urt. v. 14.11.2017, I-19 U 21/17). Dieses Vertrauen wirkt umso stärker, je mehr Zeit die Kläger nach der Abwicklung der Verträge vergehen ließen. Denn je länger die Gläubiger untätig bleiben, obwohl eine Geltendmachung ihrer Rechte zu erwarten wäre, desto mehr wird der Schuldner in seinem Vertrauen schutzwürdig, die Gläubiger werden ihn nicht mehr in Anspruch nehmen (vgl. BGH, Urteil vom 19.12.2000, X ZR 150/98).
30Das Mitte 2012 aufgenommene Darlehen wurde durch die Kläger gerade einmal neun Monaten nach Vertragsschluss abgelöst und war mithin über fünf Jahre und zwei Monate vor der Widerrufsbelehrung vollständig abgewickelt.
31Die Schutzbedürftigkeit der Beklagten bezüglich ihres Vertrauens dahingehend, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden, ergibt sich zudem aus einem wirtschaftlichen Gesichtspunkt. Nach der allgemeinen Lebenserfahrung und dem regulären Geschäftsablauf bei Kreditinstituten hatte die Beklagte die an sie zurück gezahlten Darlehensvaluta lange vor dem Widerruf verwandt, um damit zu wirtschaften (OLG Hamm, Urt. v. 14.11.2017, I-19 U 21/17). Sie wäre - würde der Widerruf auch noch Jahre nach Beendigung des Vertrages zugelassen - erheblichen Nutzungsersatzansprüchen ausgesetzt; mit einer solchen Belastung konnte und musste die Beklagte angesichts des Aufhebungsvertrages und der Zahlung der Vorfälligkeitsentschädigung bei objektiver Betrachtung nicht mehr rechnen (OLG Hamm, Urt. vom 15.03.2017, 31 U 288/16). Insoweit kann es dahinstehen, ob die seitens der Beklagten erteilte Widerrufsbelehrung fehlerfrei oder fehlerhaft erfolgt ist. Jedenfalls würde eine nunmehrige Ausübung des Widerrufsrechts gegen Treu und Glauben (§242 BGB) verstoßen (OLG Hamm, Urt. v. 14.11.2017, I-19 U 21/17). Zwar haben sich die Kläger wie bereits oben angeführt vertragstreu verhalten. Ihnen war aber bei Ausübung des ihn zustehenden Rechts bewusst, dass sie im Falle der Inanspruchnahme ihres Rechts eine Vorfälligkeitsentschädigung zahlen mussten. Die Beklagte hatte ihre Vertragsverpflichtung durch die sofortige Darlehensgewährung und vollständige Auszahlung der Summe erfüllt. Daraus ergibt sich, dass den Klägern bekannt war, dass die Bank bei Vertragsabschluss grundsätzlich mit der Einhaltung der Vertragslaufzeit und den damit vereinbarten Soll- und Tilgungszinszahlungen gerechnet hat und diese Zinszahlungen den Kostenaufwand und den Verlust möglicher Gewinne und Investitionen, die die Bank ansonsten getätigt hätte, für diese ausgleichen sollten. Die Kläger haben diesen Wirtschaftlichkeitsfaktor auch dadurch anerkannt, dass sie hinsichtlich ihrer Aufrechnungserklärung einen Nutzungsersatz der Beklagten (in Höhe von 5 Prozentpunkten) auf die von ihr erhaltenden Beträge geltend machen. Die Nutzungen konnte die Beklagte nur erzielen, wenn sie mit den von den Klägern erhaltenen Zahlungen gewirtschaftet hat und Vermögenspositionen getroffen hat (zur Nutzungsobliegenheit von Banken, BGH, Urt. v. 25.04.2017-XI ZR 573/15). Aufgrund des oben genannten Umstandes durfte sich die Beklagte auch darauf einrichten, dass es zu keinem Widerruf mehr kommen würde.
32Unstreitig wird eine Bank aufgrund des Umfanges ihres Geschäftsvolumens durch die Ansprüche aus einem einzelnen Widerrufsfall, auf den hier abzustellen ist, nicht in ernsthafte wirtschaftliche Schwierigkeiten gebracht. Dies ändert aber nichts daran, dass es auch gerade Kreditinstituten möglich sein muss, objektiv Vertrauen bilden zu dürfen. Ansonsten wären sie nicht in der Lage richtig zu wirtschaften, da ihre Risiken nicht mehr einzukalkulieren wären. Zu berücksichtigen ist insoweit, dass sich das Zeit- und das Umstandsmoment wechselseitig bedingen, was sich bereits daraus ergibt, dass beide Momente kumulativ vorliegen müssen (OLG Hamm, Urt. v. 14.11.2017, I-19 U 21/17). Dabei dürfen an das Umstandsmoment geringere Anforderungen gestellt werden, je länger der abgelaufene Zeitraum ist (vgl. BGH, Urteil vom 19.10.2005, XII ZR 224/03). Dies ist hier aufgrund der oben genannten Zeitspanne der Fall.
33Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
34Rechtsbehelfsbelehrung:
35Gegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Berufung für jeden zulässig, der durch dieses Urteil in seinen Rechten benachteiligt ist,
361. wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600,00 EUR übersteigt oder
372. wenn die Berufung in dem Urteil durch das Amtsgericht zugelassen worden ist.
38Die Berufung muss innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung dieses Urteils schriftlich bei dem Landgericht Dortmund, Kaiserstr. 34, 44135 Dortmund, eingegangen sein. Die Berufungsschrift muss die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird, sowie die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde, enthalten.
39Die Berufung ist, sofern nicht bereits in der Berufungsschrift erfolgt, binnen zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils schriftlich gegenüber dem Landgericht Dortmund zu begründen.
40Die Parteien müssen sich vor dem Landgericht Dortmund durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen, insbesondere müssen die Berufungs- und die Berufungsbegründungsschrift von einem solchen unterzeichnet sein.
41Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.
42Hinweis zum elektronischen Rechtsverkehr:
43Die Einlegung ist auch durch Übertragung eines elektronischen Dokuments an die elektronische Poststelle des Gerichts möglich. Das elektronische Dokument muss für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet und mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg gemäß § 130a ZPO nach näherer Maßgabe der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (BGBl. 2017 I, S. 3803) eingereicht werden. Weitere Informationen erhalten Sie auf der Internetseite www.justiz.de.