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Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.955,97 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 19.01.2022 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin zu 63 % und die Beklagte zu 37 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für die Klägerin jedoch nur gegen
Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages. Die Klägerin darf die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
T a t b e s t a n d :
2Die zu diesem Zeitpunkt 95jährige Klägerin litt am 18.11.2021 unter Atembeschwerden. Sie begab sich in Begleitung ihrer Haushaltshilfe, Frau B, zur Praxis der niedergelassenen Ärztin Dr. A in M, wo unter anderem der Blutdruck der Klägerin gemessen und ein EKG geschrieben wurde.
3Auf Veranlassung von Frau Dr. A wurde die Klägerin sodann aus der Praxis mittels Rettungswagen in das von der Beklagten betriebene Klinikum E verbracht, wo sie um 9:52 Uhr in der Notaufnahme aufgenommen wurde.
4Zu diesem Zeitpunkt war die Klägerin zumindest mit Leibwäsche, einem Wollpullover, einer Stoffhose und Lederschuhen bekleidet.
5In der Notaufnahme wurden verschiedene Untersuchungen durchgeführt, unter anderem wurde erneut ein EKG geschrieben und der Klägerin Blut abgenommen. In diesem Zusammenhang wurde auch ein Pflegeanamnesebogen ausgefüllt, wegen dessen Inhalts im Einzelnen auf die als Anlage zur Klageerwiderung eingereichte Kopie (Bl. 52 der elektronischen Akte) Bezug genommen wird.
6Im weiteren Verlauf wurde die Klägerin – jeweils liegend – zu einer Röntgenuntersuchung des Thorax, anschließend wieder zurück in die Notaufnahme und von dort aus nach Abschluss der Untersuchungen auf die Station 2C verbracht, wo sie um ca. 12:15 Uhr eintraf.
7Mehrere mit einem Namensaufkleber der Klägerin versehene Tüten für Patienteneigentum, die zu einem nicht näher aufklärbaren Zeitpunkt der Untersuchungen existierten und deren Inhalt zwischen den Parteien streitig ist, gelangten nicht mit der Klägerin auf die Station.
8Die Klägerin, die aus im Einzelnen streitigen Gründen mit einem Krankenhausnachthemd bekleidet war, erkundigte sich im Verlauf des Nachmittags mehrfach beim Pflegepersonal auf der Station nach dem Verbleib ihrer persönlichen Gegenstände. Diese waren allerdings auch in der Folge nicht mehr auffindbar.
9Am Abend des 18.11.2021 telefonierte die Klägerin aus dem Krankenhaus heraus mit ihrer Tochter und ihrem Schwiegersohn und teilte diesen mit, dass diverse persönliche Sachen abhandengekommen seien. Ferner schilderte sie dies ihrer Tochter auch in einem persönlichen Gespräch anlässlich eines Besuchs am selben Abend.
10Am 19.11.2021 schloss die Klägerin einen schriftlichen Behandlungsvertrag mit der Beklagten, welcher unter anderem einen Hinweis auf deren Hausordnung und AVB enthielt. Wegen der Einzelheiten zum Inhalt dieser Dokumente wird auf die Anlagen zur Klageerwiderung (Bl. 53ff. der elektronischen Akte) Bezug genommen.
11In der Folgezeit führten die Tochter und der Schwiegersohn der Klägerin u.a. verschiedene (telefonische) Gespräche mit Mitarbeiterinnen der Beklagten (Frau D, Frau C), von denen sie teilweise unterschiedliche Auskünfte erhielten. Mit Schreiben der Frau C vom 22.12.2021 (Anlage zur Klageschrift, Bl. 11 der elektronischen Akte) teilte die Beklagte der Klägerin mit, man habe „den Verlust Ihrer Sachen [… dem] Haftpflichtversicherer angezeigt [, welcher] zum jetzigen Zeitpunkt keine haftungsrechtliche Verantwortlichkeit des Klinikums“ sehe.
12Auf ein Schreiben des inzwischen mandatierten Klägervertreters vom 04.01.2022 – wegen dessen Inhalts auf die Anlage zur Klageschrift, Bl. 12f. der elektronischen Akte) Bezug genommen wird – antwortete die Beklagte durch Schreiben der Frau C vom 18.01.2022, man sehe weiterhin keinen Anspruch dem Grunde nach, bestreite die Höhe eines etwaigen Anspruchs und verweise ansonsten auf den Klageweg.
13Daraufhin verfolgt die Klägerin ihre Ansprüche nunmehr mit der am 06.04.2022 zugestellten Klage weiter.
14Die Klägerin behauptet, sie habe bei Einlieferung in das Klinikum eine Daunenjacke mit einem Zeitwert von 100,-- €, eine Stoffhose mit einem Zeitwert von 44,98 €, einen Wollpullover mit einem Zeitwert von 69,99 €, Leibwäsche mit einem Zeitwert von 100,-- €, eine Wollmütze mit einem Zeitwert von 20,-- €, Lederschuhe mit einem Zeitwert von 80,-- €, eine Geldbörse mit einem Zeitwert von 44,95 €, eine CityTasche mit einem Zeitwert von 129,99 € eine Brille mit einem Zeitwert von 1.400,-- €, Hörgeräte mit einem Zeitwert von 2.799,80 € getragen bzw. bei sich geführt. Ferner seien in der Geldbörse Bargeld in Höhe von 50,-- €, ein Personalausweis und eine Impfkarte vorhanden gewesen, deren Ersatzbeschaffung 37,-- € bzw. 9,90 € gekostet habe. Sämtliche dieser Gegenstände seien im Hause der Beklagten abhandengekommen. Da sie auch ihren Schlüssel mit sich geführt habe und auch dieser abhandengekommen sei, habe man das Schloss zu ihrer Wohnung sowie die Schließanlage zu dem Mehrfamilienhaus, in dem sie lebe, ausgetauscht, wodurch ihr Kosten in Höhe von insgesamt 434,27 € entstanden seien. Wegen der Einzelheiten des klägerischen Vortrags wird auf die Darstellung auf den Seiten 5ff. der Klageschrift sowie die dort in Bezug genommenen Anlagen zur Klageschrift verwiesen.
15Die Klägerin ist der Ansicht, aufgrund des geschlossenen Behandlungsvertrages habe die Beklagte auch eine Verpflichtung zur Verwahrung des Patienteneigentums übernommen, und behauptet dazu, aufgrund ihres Gesundheitszustands habe sie sich nicht selbst um diese Gegenstände kümmern können.
16Die Klägerin beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an sie 5.320,88 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18.01.2022 zu zahlen.
17Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
18Die Beklagte ist der Auffassung, es sei bereits kein Verwahrungsvertrag zustande gekommen. Jedenfalls sei ihre Haftung nach der Hausordnung bzw. den AVB, die Inhalt des Behandlungsvertrages geworden seien, ausgeschlossen.
19Für den Fall, dass ein Anspruch der Klägerin bestehe, bestreitet die Beklagte bzgl. des Wollpullovers, der Stoffhose, der Leibwäsche und der Lederschuhe, dass es erforderlich gewesen sei, diese für die in ihrem Hause durchgeführten Untersuchungen auszuziehen. Daher sei die Klägerin auch weder von den behandelnden Ärzten noch von anderen ihrer – der Beklagten – Mitarbeiter aufgefordert worden, diese Kleidungsstücke abzulegen.
20Bzgl. der weiteren Gegenstände bestreitet sie mit Nichtwissen, dass die Klägerin diese überhaupt am 18.11.2021 bei sich geführt bzw. getragen habe sowie dass dies noch bei Einlieferung in die Notaufnahme der Fall gewesen sei. Falls die Klägerin diese Gegenstände bei sich gehabt habe, hätten sie auch in der Hausarztpraxis oder im Rettungswagen abhandengekommen sein können, weil dort jeweils Untersuchungen und Behandlungen vorgenommen worden seien, zu denen Kleidungsstücke hätten abgelegt werden müssen oder bei denen im Bereich der Ohren manipuliert worden sei, so dass die Hörgeräte hätten herausfallen können.
21Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 08.11.2022 Bezug genommen.
22Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen B, F, N, G, O, H, L, P, C und K sowie durch schriftliche Vernehmung der Zeugin Dr. A. Wegen des Umfangs und des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die schriftliche Aussage der Zeugin Dr. A vom 25.10.2022 (Bl. 134 der elektronischen Akte) sowie auf das Protokoll der Sitzung vom 15.11.2022 (Bl. 165ff. der elektronischen Akte) verwiesen.
23E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
24Die zulässige Klage ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet und im Übrigen unbegründet.
25I. Die Klägerin hat gegen die Beklagte in der Hauptsache einen Anspruch auf Zahlung von 1.955,97 € aus den §§ 630a, 688, 280 BGB.
261. Unstreitig ist zwischen den Parteien ein Behandlungsvertrag im Sinne des § 630a BGB abgeschlossen worden. Da ein solcher Vertrag grundsätzlich keiner besonderen Form bedarf (z.B. Wagner in Münchener Kommentar, BGB, 8. Aufl. 2020, § 630a Rn. 44), kam er durch schlüssiges Verhalten der Klägerin und der für die Beklagten handelnden Personen bereits bei der Einlieferung der Klägerin in die Notaufnahme resp. der anschließenden Aufnahme der Untersuchungen am Vormittag des 18.11.2021 zustande. Dass die Parteien am Folgetag noch den als Anlage zur Klageerwiderung vorgelegten schriftlichen Behandlungsvertrag unterzeichnet haben, steht dem nicht entgegen. Insbesondere handelt es sich bei einem Behandlungsvertrag nicht um einen Vertragstypus, der notwendigerweise der Ausgestaltung z.B. durch AVB bedürfte, weil er ohne eine derartige Konkretisierung als bloßer Torso anzusehen wäre.
272. Durch die unzureichende Verwahrung verschiedener von der Klägerin mitgeführter Gegenstände, die diese im Zuge der Untersuchungen oder auf anderweitige Veranlassung für die Beklagte handelnder Personen im Verlauf des 18.11.2021 abgelegt hat, hat die Beklagte eine sich aus dem Behandlungsvertrag ergebende Nebenpflicht verletzt.
28a) Grundsätzlich hat ein Krankenhausträger aus dem Krankenhausvertrag die Nebenpflicht, für in das Krankenhaus mitgebrachte Wertgegenstände der Patienten geeignete Verwahrungsmöglichkeiten zu schaffen. Welche Art der Verwahrung im Einzelfall in Betracht kommt, unterliegt dabei der pflichtgemäßen Bestimmung des Krankenhausträgers unter Abwägung des Sicherungsbedürfnisses gegenüber den vorrangigen Belangen der ärztlichen und pflegerischen Versorgung der Patienten (z.B. OLG Karlsruhe, Urt. v. 06.11.1974 - 1 U 97/74, NJW 1975, S. 597ff.).
29b) Diese Verpflichtung ist nicht durch Regelungen des schriftlichen Behandlungsvertrages vom 19.11.2021 eingeschränkt worden. Soweit dieser auf die AVB der Beklagten und deren Hausordnung verweist, welche in den §§ 17, 18 AVB bzw. unter der lit. c) der „Besondere[n] Bestimmungen für eingebrachte Sachen und Fundsachen“ der Hausordnung Haftungsbeschränkungen und -ausschlüsse regeln, finden diese Regelungen im vorliegenden Fall aus mehreren Gründen keine Anwendung:
30So war der Behandlungsvertrag – wie zuvor ausgeführt – bereits am 18.11.2021 abgeschlossen worden, ohne dass zu diesem Zeitpunkt bereits die AVB oder die Hausordnung der Beklagten in diesen Vertrag einbezogen worden wären. Jedenfalls ist zu den Voraussetzungen einer Einbeziehung zu diesem Zeitpunkt nichts vorgetragen. Der hier streitgegenständliche Schaden trat aber bereits durch das Abhandenkommen der nachstehend aufgeführten Gegenstände am 18.11.2021 und damit vor Unterzeichnung des schriftlichen Vertrages ein. Dass die vorstehend genannten Regelungen der AVB und der Hausordnung so zu verstehen wären, dass sie auch eine Freizeichnung für bereits eingetretene Schäden enthalten, lässt sich dem Regelungstext nicht entnehmen. Zudem wären die Klauseln, wollte man sie in diesem Sinne verstehen, gemäß § 305c Abs. 1 BGB nicht Vertragsbestandteil geworden, weil sie so ungewöhnlich wären, dass ein Vertragspartner des Verwenders mit ihnen nicht zu rechnen brauchte.
31Zudem sind diese Klauseln nach ihrer – gemäß § 305c Abs. 2 BGB vorzunehmenden – kundenfreundlichsten Auslegung nach § 309 Nr. 7. b) BGB unwirksam, weil sie eine Freizeichnung auch für vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten der Beklagten und der für sie handelnden Personen beinhalten.
32c) Die Nebenpflicht, im Zuge der Behandlungen und Untersuchungen abgelegte Gegenstände zu verwahren, bestand auch im Einzelfall gegenüber der Klägerin. Soweit die Beklagte dem entgegenhält, die Klägerin sei während der gesamten
33Untersuchung wach und ansprechbar gewesen und habe sich selbst um ihr Eigentum kümmern können, greift dies im Ergebnis nicht durch. Zwar ist der Beklagten zuzugeben, dass beispielsweise gegenüber bewusstlosen oder dementen Patienten oder gegenüber solchen Personen, die aus anderen Gründen in ihrer Kommunikation eingeschränkt sind, gesteigerte Obhutspflichten bestehen. Dies führt im Umkehrschluss aber nicht dazu, dass von einer geistig nicht eingeschränkten 95jährigen Patientin, für die die notfallmäßige Einlieferung ins Krankenhaus mit den damit verbundenen Untersuchungen und Behandlungen zweifelsfrei eine nicht alltägliche und in besonderem Maße aufregende Situation darstellt, erwartet werden kann, sie werde sich selbst um ihr Eigentum kümmern. Dies gilt im vorliegenden Fall umso mehr, als die Beweisaufnahme ergeben hat, dass sich die Klägerin vor dem Eintreffen auf der Station 2C nicht selbstbestimmt im Klinikum bewegte, sondern bereits auf einer Trage liegend aus dem Rettungswagen eingeliefert und auch während der Untersuchungen in der Notaufnahme, der Röntgenuntersuchung und auf den zwischen diesen Untersuchungen zurückgelegten Wegstrecken durchgängig lag und von Mitarbeitern der Beklagten oder ihres Subunternehmers geschoben wurde.
34d) Die Beweisaufnahme hat weiterhin ergeben, dass die Beklagte für die vorliegende Fallkonstellation keine Dienstanweisung oder anderweitige interne Regelung getroffen hatte, wie mit mitgebrachten Wertgegenständen der Patienten unter Abwägung des Sicherungsbedürfnisses gegenüber den vorrangigen Belangen der ärztlichen und pflegerischen Versorgung der Patienten zu verfahren sei. Insbesondere die Zeugin C hat deutlich gemacht, dass sie unter dem Begriff der „Verwahrung“ lediglich den Fall verstehe, dass Patienten bei Aufnahme handlungsunfähig seien. Nur insofern gebe es eine Dienstanweisung. Hinsichtlich des Umgangs mit Patienteneigentum in anderen Fällen haben die Zeuginnen C, N und G zwar in nachvollziehbarer Weise die Nutzung und Kennzeichnung von Patienteneigentumstüten geschildert. Der Zeuge K, der nach dem Vortrag der Beklagten den Transport der Klägerin aus der Notaufnahme auf die Station durchführte, hat aber auch beschrieben, dass es gerade in hektischen Situationen in der Notaufnahme auch dazu gekommen sei, dass Tüten unbeschriftet gewesen seien oder sich sonst nicht eindeutig hätten zuordnen lassen. Anders als im von der Zeugin C hervorgehobenen Fall einer Handlungsunfähigkeit von Patienten war für die vorliegende Fallkonstellation demnach kein geregeltes Prozedere feststellbar.
35e) Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist das Gericht auch davon überzeugt, dass der Klägerin im Verantwortungsbereich der Beklagten folgende Gegenstände abhandengekommen sind:
36- Daunenjacke
37- Stoffhose
38- Wollpullover
39- Wollmütze
40- Lederschuhe
41- Geldbörse mit 50,-- € Bargeld, Personalausweis und Corona-Impfnachweis
42- Citytasche bzw. Handtasche
43- Brille
44- Haus- und Wohnungsschlüssel
45Insofern setzt § 286 ZPO eine von allen Zweifeln freie Überzeugung nicht voraus. Der Richter darf und muss sich vielmehr in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, der vernünftigen Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (z.B. Prütting in Münchener Kommentar, ZPO, 6. Aufl. 2020, § 286 Rn. 32 m.w.N.). Daran gemessen ist es der Klägerin im Hinblick auf die vorgenannten Gegenstände gelungen, eine geschlossene Kette von Indizien zu beweisen, aus denen sich ergibt, dass diese Gegenstände nur im Klinikum E abhandengekommen sein können:
46Die Zeugin B hat gut nachvollziehbar berichtet, dass sie die Klägerin zur Praxis der Hausärztin Dr. A begleitet habe und diese – die Klägerin – dabei unter anderem mit einer Jacke und einer Mütze bekleidet gewesen sei und ihre Brille getragen habe. Auch habe sie eine Handtasche dabei gehabt, in die sie nach dem Abschließen der Haustür ihre Schlüssel gesteckt habe. In dieser Tasche habe sich auch das Portemonnaie der Klägerin befunden, da diese eigentlich bei der Hausärztin nur ein Rezept habe abholen und sodann in der Apotheke einlösen wollen. Zum weiteren Inhalt des Portemonnaies, den die Zeugin B nicht kannte, hat die Zeugin F gut nachvollziehbar berichtet, dass die Klägerin darin regelmäßig ihren Personalausweis und Bargeld in einer Größenordnung von ca. 50,- € mitführe, da sie darüber hinausgehende Beträge mit der EC-Karte bezahle. Auch ihren Corona-Impfnachweis habe die Klägerin zu dieser Zeit immer im Portemonnaie bei sich geführt, weil ihr ohne einen entsprechenden Nachweis der Zutritt zu diversen Geschäften verwehrt geblieben wäre.
47Die Zeugin B wiederum hat glaubhaft bekundet, dass die Klägerin alle Gegenstände, die diese mit in die Hausarztpraxis genommen habe, auch in den Rettungswagen mitgenommen habe. Dabei hat sie insbesondere offen eingeräumt, wenn sie einzelne Aspekte nicht selbst wahrgenommen hat. So hat sie angegeben, während der Untersuchung der Klägerin im Wartezimmer gewartet zu haben und daher nicht sagen zu können, ob die Klägerin zu diesen Untersuchungen einzelne Gegenstände abgelegt oder Kleidungsstücke ausgezogen habe. Sie habe die Klägerin aber nach der Untersuchung wieder getroffen, mit ihr auf den Rettungswagen gewartet und dabei gesehen, dass diese sämtliche Gegenstände bei sich bzw. angezogen gehabt habe, die sie auch beim Aufsuchen der Praxis mit sich geführt habe. Die Aussage der Zeugin wird gestützt von derjenigen der Zeugin Dr. A, wonach die Klägerin zwar den Oberkörper zur Erstellung eines EKGs habe freimachen müssen, nach der Untersuchung aber keine Kleidungsstücke oder sonstige mitgebrachte Gegenstände in der Praxis zurückgelassen habe.
48Dass in der Folge auch keiner der mitgeführten Gegenstände und kein Kleidungsstück im Rettungswagen zurückgeblieben ist, ergibt sich aus der Aussage des Zeugen O, der nachvollziehbar dargelegt hat, wie – insbesondere zu Zeiten der Covid19-Pandemie – der Innenraum eines Rettungswagens sorgfältig nach jedem Einsatz gereinigt werde. Dieser hat auch bekundet, dass zwar die Klägerin im Rettungswagen mit Sauerstoff versorgt worden sei, dies aber keinerlei Manipulation im Bereich der Brille oder der Ohren erfordert habe. Denn bei einem Notfalleinsatz wie dem vorliegenden befinde sich regelmäßig auch ein Notarzt oder Notfallsanitäter bei dem Patienten im Rettungswagen, der den Schlauch für die Sauerstoffversorgung in Position halte. Zwar konnte der Zeuge O, der selbst an dem am Einsatz am 18.11.2021 nicht beteiligt war, sondern in der Verwaltung des Rettungsdienstes tätig ist, insofern im Wesentlichen nur allgemeinübliche Abläufe schildern. Dies spricht aber nicht grundsätzlich gegen die Glaubhaftigkeit der Aussage, sondern ist letztlich – wie auch bei sämtlichen Zeugen, die in die Behandlung der Klägerin in der Notaufnahme involviert waren – dem Umstand geschuldet, dass derartige Einsätze für solche Zeugen täglich mehrfach anfallen.
49Dementsprechend hatten auch die Zeuginnen G und N, die die
50Klägerin in der Notaufnahme aufgenommen und untersucht haben, keine konkreten
51Erinnerungen mehr an das Geschehen, gingen aber davon aus, dass ihnen etwaige Besonderheiten – beispielsweise eine Einlieferung der Klägerin in einer anderen als normaler Straßenkleidung – durchaus in Erinnerung geblieben wären. Da zudem unstreitig ist, dass zum einen die Klägerin zumindest mit Pullover, Hose, Leibwäsche und Schuhen bekleidet im Hause der Beklagten ankam und zum anderen Patiententüten existierten, in denen sich weitere – wenn auch umstritten ist, welche – Gegenstände der Klägerin befanden, kann in einer Gesamtbetrachtung dieser Umstände und der Aussagen der zuvor genannten Zeugen hinreichend sicher davon ausgegangen werden, dass die Klägerin die vorgenannten Gegenstände in das Klinikum E mitbrachte.
52Nicht hinreichend sicher feststellbar ist dies dagegen im Hinblick auf die Hörgeräte der Klägerin. Zwar kann dabei dem Umstand, dass in dem bei Aufnahme ausgefüllten Pflegeanamnesebogen neben den beiden angekreuzten Kästchen für Hörgeräte links und rechts das Kästchen in der Spalte „Bei Aufnahme vorhanden“ nicht angekreuzt ist, keine allzu große Bedeutung beigemessen werden. Denn z.B. findet sich zu dem Punkt „Brille“ weder ein Kreuzchen bei „ja“ noch bei „nein“ oder bei „Bei Aufnahme vorhanden“ und die Zeugin N hat auf einen entsprechenden Vorhalt hin eingeräumt, möglicherweise vergessen zu haben, hier etwas einzutragen. Da sich entsprechende Auslassungen auch zu anderen Punkten des Pflegeanamnesebogens finden, schmälert dies die Aussagekraft der vorhandenen Eintragungen deutlich. Letztlich kommt es hierauf aber nicht entscheidend an, weil bereits die Klägerin das Mitführen der Hörgeräte nicht beweisen kann. Anders als bei den übrigen Gegenständen konnten die hierzu vernommenen Zeugen das Vorhandensein von Hörgeräten am Morgen des 18.11.2021 nicht aus eigener Anschauung bekunden. Vielmehr haben sowohl die Zeugin B als auch die Zeugen F und L lediglich den Rückschluss gezogen, die Klägerin werde Hörgeräte angelegt haben, weil sie sie in den letzten Jahren nie ohne Hörgeräte angetroffen hätten und diese auch erforderlich seien, um sich mit ihr verständigen zu können. Dass Letzteres zumindest kein so zwingender Rückschluss ist, wie die Zeugen meinen, ergibt sich daraus, dass die Zeugen F und L übereinstimmend von einem Telefonat mit der Klägerin am Abend des 18.11.2021 berichtet haben, in dem diese ihnen berichtet habe, dass ihre Sachen – einschließlich der Hörgeräte – verschwunden seien. Wenn aber die Klägerin dieses Telefonat ohne Hörgeräte führen und sich verständigen konnte, lässt dies die Möglichkeit zu, dass sie bereits am Morgen des Tages – von der Zeugin B unbemerkt – keine Hörgeräte trug, sondern dass diese anderweitig abhandengekommen sind. Zwar steht diese Möglichkeit einem Abhandenkommen der Hörgeräte im Hause der Beklagten – z.B. zu einem späteren Zeitpunkt – nicht grundsätzlich entgegen, es verbleiben aber Zweifel, die zu Lasten der beweisbelasteten Klägerin gehen.
53Von den übrigen vorgenannten Gegenständen, die die Klägerin beim Eintreffen im Klinikum mit sich führte oder am Körper trug, ist die Leibwäsche entgegen dem expliziten Vortrag des Klägervertreters nicht abhandengekommen. Vielmehr hat die insofern benannte Zeugin F bestätigt, dass die Klägerin diese noch unter ihrem Krankenhausnachthemd trug, als sie sie am Abend des 18.11.2021 besuchte.
54Dass die weiteren Gegenstände der Klägerin unstreitig nicht mit auf die Station gelangt oder in der Folge wieder aufgetaucht sind, lässt bzgl. dieser übrigen Sachen nur den Schluss zu, dass diese zu einem Zeitpunkt abhandengekommen sind, in dem die Beklagte – wie zuvor ausgeführt – für deren Verwahrung verantwortlich war. Dies betrifft insbesondere auch die unstreitig von der Klägerin bei Einlieferung getragene Oberbekleidung und Schuhe, bzgl. derer die Beklagte den Standpunkt vertritt, ein Ablegen sei zur Durchführung der Untersuchungen in der Notaufnahme nicht erforderlich gewesen. Zwar konnte sich auch die Klägerin in ihrer persönlichen Anhörung nicht mehr daran erinnern, unter welchen Umständen und aus welchen Gründen sie letztlich ein Krankenhausnachthemd getragen habe. Dies mag aber der Aufregung am Tag des Vorfalls geschuldet sein. Jedenfalls ist ausgeschlossen, dass sich die Klägerin auf eigene Veranlassung hin umgezogen hat. Die Zeugin N hat nämlich angegeben, Patienten könnten nicht von sich aus an ein Krankenhausnachthemd, wie es die Klägerin am Abend des 18.11.2021 trug, herankommen. Sie hat dies plastisch dergestalt beschrieben – was versehentlich verkürzt protokolliert wurde –, dass sie – die Zeugin – selbst manchmal nur an den betreffenden Schrank herankomme, wenn sie auf einen Tisch steige. Dass die damals 95jährige Klägerin in ihrem damaligen Gesundheitszustand derartiges vollbracht hätte, ohne dass dies von Mitarbeiterinnen oder Mitarbeitern der Beklagten bemerkt worden wäre, erscheint unmöglich.
553. Umstände, die die Vermutung des Vertretenmüssens aus § 280 Abs. 1 S. 2 BGB widerlegen könnten, sind seitens der Beklagten nicht dargetan, so dass auch offen bleiben kann, ob insofern der Maßstab des § 276 BGB greift oder, weil für die Verwahrung als Nebenpflicht keine gesonderte Vergütung vereinbart wurde, nur die Anwendung der eigenüblichen Sorgfalt (§§ 690, 277 BGB) geschuldet war.
564. Aufgrund der Pflichtverletzung ist der Klägerin ein Schaden in Höhe von
571.955,97 € entstanden:
58a) Jacke 100,00 €
59b) Stoffhose 44,98 €
60c) Wollpullover 69,99 €
61d) Mütze 20,00 €
62e) Schuhe 80,00 €
63Den Zeitwert der von der Klägerin getragenen Kleidungsstücke vermag das Gericht anhand der von dieser gemachten Angaben gemäß § 287 Abs. 1 ZPO zu schätzen. Die Klägerin hat hierzu in der Klageschrift bereits näher vorgetragen und zu einigen der Kleidungsstücke Belege über die Ersatzbeschaffung vorgelegt. Auf das Bestreiten der Beklagten hin hat sie überdies mit der Replik vom 25.06.2022 ihr Einkaufsverhalten näher dargelegt und vorgetragen, dass sie ihre Kleidung regelmäßig nach einigen Jahren austausche und ältere Kleidung spende, so dass sie regelmäßig nicht allzu alte Kleidung trage, die sie in Fachgeschäften in der Region erwerbe. Dem ist die Beklagte in der Folge nicht mehr substantiiert entgegengetreten. Die vorgetragenen Umstände korrespondieren auch mit der Aussage der Zeugin F, ihre Mutter kaufe Kleidung in Einzelhandelsgeschäften in der Lemgoer Innenstadt ein, da sie diese fußläufig erreichen könne, und bieten zusammen mit dem gepflegten Erscheinungsbild der Klägerin in den beiden Verhandlungsterminen eine hinreichende Schätzungsgrundlage.
64f) Geldbörse |
40,00 € |
g) Handtasche |
100,00 € |
Hier gelten die vorstehenden Erwägungen entsprechend, wobei der Klägervertreter zu diesen Positionen in der Klageschrift widersprüchlich vorgetragen hat. Er hat nämlich jeweils einen Beleg über die Anschaffung eines neuwertigen Ersatzes vorgelegt und dazu behauptet, der sich daraus ergebende Betrag sei zugleich der Zeitwert der abhandengekommenen – im Zeitpunkt des Abhandenkommens bereits gebrauchten – Sache. Dies wäre nur zutreffend, wenn sich die Ersatzsachen ihrer Art oder Beschaffenheit nach von den abhandengekommenen unterschieden hätten, was jedoch nicht ersichtlich ist. Den danach noch vorzunehmenden Abzug „neu für alt“ hat das Gericht im Rahmen der Schadensschätzung gemäß § 287 Abs. 1 ZPO durch Vornahme eines Abschlags berücksichtigt.
66h) Brille 1.120,00 €
67Die Klägerin hat die Umstände des Erwerbs einer neuen Brille nachvollziehbar dargelegt und insbesondere erläutert, dass die Wertdifferenz zwischen der am
6830.11.2021 erworbenen neuen Brille und der abhandengekommenen Brille, die sie im Dezember 2020 für einen geringeren Preis erworben hatte, daraus resultierte, dass bei dem Erwerb 2020 bereits ein Gestell vorhanden war, das weiter genutzt werden konnte. Diese Umstände sind auch durch die Aussage der Zeugin F bewiesen. Da der Klägervertreter jedoch auch zu dieser Position in der Klage mit 1.400,-- € betragsmäßig nicht den Zeit-, sondern den Neuwert angesetzt hat, war von dem geltend gemachten Betrag ein Abschlag vorzunehmen. Das Gericht geht im Wege der Schätzung von einer durchschnittlichen Nutzungsdauer einer Brille von fünf Jahren aus, so dass sich, da die im Dezember 2020 erworbene Brill in Zeitpunkt ihres Abhandenkommens ca. ein Jahr alt war, ein Abzug von 1/5 (= 280,-- €) ergibt.
69i) Personalausweis |
37,00 € |
j) Impfbescheinigung |
9,90 € |
k) Bargeld |
50,00 € |
Die Kosten für die Beschaffung eines neuen Personalausweises ergeben sich aus dem mit der Klage vorgelegten Zahlungsbeleg, diejenigen für die Erstellung einer Impfbescheinigung liegen in einem Bereich, der nach der eigenen Erfahrung des Gerichts (z.B. aufgrund der Werbung in Apotheken) üblich und angemessen ist. Da diese Gegenstände keiner nennenswerten Abnutzung unterliegen, war hier kein Abzug „neu für alt“ vorzunehmen.
71l) Austausch der Schließanlage 284,10 €
72Die Kosten für den – durch die Vermieterin der Klägerin veranlassten – Austausch der Schließanlage stellen auch im Verhältnis zwischen den hiesigen Parteien einen Betrag dar, der zur Schadensbeseitigung im Sinne von § 249 BGB erforderlich war, denn die Klägerin wurde zu Recht von ihrer Vermieterin wegen dieser Kosten in Anspruch genommen. Dass der Austausch der Schließanlage keine überzogene
73Maßnahme darstellte, sondern vielmehr sinnvoll war, ergibt sich aus dem durch den Zeugen L hervorgehobenen Umstand, dass zugleich mit dem Haustürschlüssel der Personalausweis der Klägerin abhandengekommen war, so dass die Gefahr bestand, dass ein Finder diesen Schlüssel jederzeit einer Anschrift hätte zuordnen können. Der Zeuge L hat auch nachvollziehbar dargelegt, wie sich der Betrag von 284,10 € ergab, der der Klägerin in Rechnung gestellt wurde. Soweit der Klägervertreter insofern einen höheren Betrag geltend gemacht hat, hat sich dies in der Beweisaufnahme nicht bestätigt.
74II. Soweit die Klage in der Hauptsache begründet ist, steht der Klägerin ein Anspruch auf Verzugszinsen, welche sich der Höhe nach aus § 288 Abs. 1 BGB ergeben, in entsprechender Anwendung von § 187 Abs. 1 BGB ab dem 19.01.2022 zu, da die Beklagte eine Leistung mit Schreiben vom 18.01.2022 ernsthaft und endgültig verweigert hat, indem sie die Klägerin „auf den Klageweg“ verwiesen hat (§§ 280 Abs. 1, Abs. 2, 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB).
75III. Die Kostenentscheidung und die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgen aus den §§ 92 Abs. 1, 709 ZPO.
76IV. Der Streitwert wird auf 5.320,88 € festgesetzt.