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Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 22.893,75 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 24.10.2020 Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs Audi A6 Avant mit der Fahrzeugidentifikationsnummer W zu zahlen.
Die Beklagte wird weiter verurteilt, den Kläger von der Zahlung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.242,84 EUR gegenüber seinen Prozessbevollmächtigten freizustellen.
Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme des Fahrzeugs Audi A6 Avant mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer W in Verzug befindet.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger 9 % und der Beklagten zu 91 % auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar; für den Kläger jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrages. Dem Kläger wird weiter nachgelassen, die Vollstreckung durch die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
2Der Kläger begehrt von der Beklagten die Rückabwicklung eines Kaufvertrages über den Erwerb eines gebrauchten Kraftfahrzeugs wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung.
3Der Kläger erwarb von der S GmbH in D am 28.12.2017 das gebrauchte Fahrzeug Audi A6 Avant mit einer Leistung von 230 kW (313 PS) zum Kaufpreis von 27.750,00 EUR (brutto). Die Laufleistung des Ende Oktober 2014 erstzugelassenen Fahrzeugs betrug im Kaufzeitpunkt ca. 80.000 km. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die zur Akte gereichte Kopie der Rechnung vom 28.12.2017 (Anlage K1, Bl. 33 d.A.) Bezug genommen.
4Das von dem Kläger erworbene und von der Beklagten hergestellte Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor vom Typ V-TDI der EURO-6-Abgasnorm mit der internen Bezeichnung EA896 ausgestattet. Das Fahrzeug verfügt zur innermotorischen Abgasreinigung über ein Abgasrückführungssystem, durch das zur Verringerung der Emissionen ein Teil des Abgases zurück in das Ansaugsystem des Motors geführt wird und erneut an der Verbrennung teilnimmt. Hierbei kam im Kaufzeitpunkt eine sog. Aufwärmstrategie zum Einsatz, die auf dem Rollenprüfstand (NEFZ) aktiv ist, hingegen im realen Verkehr überwiegend nicht aktiviert wird. Aufgrund dessen ordnete das Kraftfahrtbundesamt (KBA) gegenüber der Beklagten mit Bescheid Nr. 400 vom 11.10.2019 den Rückruf 23X6 unter anderem des streitgegenständlichen Fahrzeugs an, wobei das KBA ausdrücklich die Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung monierte. Das daraufhin von der Beklagten entwickelte Software-Update wurde vom KBA mit Bescheid vom 15.01.2020 (Anl. B3, Bl. 121f. d.A.) freigegeben. Mit Schreiben aus März 2020 (Anl. K2, Bl. 35f. d.A.) informierte die Beklagte den Kläger über den Rückruf des streitgegenständlichen Fahrzeugs sowie zugleich über die Verfügbarkeit des Software-Updates. Letzteres wurde im Anschluss auf das streitgegenständliche Fahrzeug aufgespielt.
5Mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 04.09.2020 (Anl. K3, Bl. 38ff. d.A.) forderte der Kläger die Beklagte zur Zahlung des Kaufpreises abzüglich eines nicht näher bezifferten Nutzungsersatzes zuzüglich Zinsen in Höhe von 4 % hieraus ab Kauf Zug-um-Zug gegen Übergabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs sowie zugleich zur Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten über 2.368,10 EUR unter Fristsetzung auf. Dies wurde von der Beklagten mit Schreiben vom 06.09.2020 (Anl. K4, Bl. 60f. d.A.) unter Verweis auf das durchgeführte Software-Update abgelehnt.
6Die Laufleistung des klägerischen Fahrzeugs lag am 22.09.2020 bei 113.405 km sowie am 18.03.2021 bei 118.438 km.
7Der Kläger ist der Ansicht, dass er von der Beklagten die Rückabwicklung des Kaufs wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gem. § 826 BGB sowie zugleich gem. § 831 BGB und § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB verlangen könne. In der Verwendung der Aufwärmfunktion als unzulässige Abschalteinrichtung habe eine Täuschung gegenüber der Fahrzeugzulassungsbehörden durch die Beklagte gelegen. Diese sei als sittenwidrig zu bewerten, da die Beklagte hierbei das Gewicht der wirtschaftlichen Entscheidung des Käufers zum Erwerb eines Kraftfahrzeugs völlig ignoriert habe und sich hierzu nur aufgrund von eigener Kosteneinsparung und Wettbewerbsvorteilen entschieden habe.
8Dieses Verhalten sei der Beklagten auch zuzurechnen, da bei lebensnaher Betrachtung davon ausgegangen werden müsse, dass strategische Entscheidungen derartiger Tragweite grundsätzlich nicht ohne Kenntnis des Vorstands getroffen würden. Jedenfalls treffe die Beklagte insoweit eine sekundäre Darlegungslast zu ihren internen Vorgängen, in welche der Kläger als Außenstehender keinen Einblick habe. Wegen des Vortrags hierzu im Einzelnen wird auf die Ausführungen auf Seite 9-13 der Klageschrift (Bl. 10ff. d.A.) Bezug genommen.
9Weiter behauptet der Kläger im Rahmen der am selben Tag bei Gericht eingegangenen Replik vom 22.03.2021, bei dem Fahrzeug lägen weitere unzulässige Abschalteinrichtungen in Gestalt einer Rollenprüfstandserkennung sowie eines Thermofensters vor.
10Der Kläger behauptet, dass er das Fahrzeug – wie jeder vernünftige Käufer – nicht erworben hätte, wenn er von der Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung Kenntnis gehabt hätte. Denn er habe auf die Einhaltung der gesetzlichen Emissionsgrenzwerte vertraut. Ihm sei ein durch die Täuschung kausal verursachter Schaden in Gestalt des Abschlusses eines wirtschaftlichen nachteiligen Vertrages über das streitgegenständliche Fahrzeug aufgrund der nicht gesetzeskonformen Motorsteuerungssoftware entstanden. Wegen der Einzelheiten hierzu wird auf die Ausführungen in der Klageschrift auf Seite 12-17 (Bl. 13ff. d.A.) Bezug genommen.
11Der Kläger ist der Ansicht, dass er sich einen Gebrauchsvorteil auf Basis einer zu erwartenden Gesamtlaufleistung seines Fahrzeugs von 350.000 km nach der linearen Formel anrechnen lassen müsse.
12Er meint weiter, die Abrechnung einer 2,5-Geschäftsgebühr für die außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten sei aufgrund des erforderlichen Spezialwissens und umfangreicher Einarbeitung und Recherche sowie der wirtschaftlichen Bedeutung für den Kläger angemessen (vgl. S. 25 der Klageschrift, Bl. 26 d.A.)
13Der Kläger hat ursprünglich mit der geltend gemachten Kaufpreiszahlung abzüglich Nutzungsersatz die Zahlung von Zinsen aus dem begehrten Zahlbetrag in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 28.12.2017 begehrt.
14Mit Schriftsatz vom 22.03.2021 hat der Kläger den Hauptantrag im Hinblick auf den Zinsanspruch umgestellt und beantragt nunmehr nur noch sinngemäß,
151. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 24.316,71 EUR zzgl. Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs Audi A6 Avant mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer W;
162. festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Entgegennahme des Fahrzeugs Audi A6 Avant mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer W in Annahmeverzug befindet;
173. die Beklagte zu verurteilen, ihn von vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 2.308,40 EUR freizustellen.
18Die Beklagte beantragt,
19die Klage abzuweisen.
20Die Beklagte ist der Ansicht, eine Täuschung des Klägers durch sie komme bereits aufgrund ihrer fehlenden Beteiligung am Kaufvertragsabschluss nicht in Betracht. Darüber hinaus habe der Kläger einen kausalen Schaden nicht hinreichend dargelegt. Sie meint, dass die bloße allgemein gehaltene Erwartung, dass die erforderlichen Genehmigungen eingehalten werden, hierfür nicht ausreichend sei. Wegen der Ausführungen hierzu im Einzelnen wird auf Seite 6-8 und Seite 11-16 der Klageerwiderung (Bl. 92ff. u. Bl. 97ff. d.A.) Bezug genommen. Auch einen Vorsatz der Beklagten habe der Kläger nicht hinreichend dargelegt.
21Weiter meint sie, dass eine etwaige vom Kläger zu entrichtende Nutzungsentschädigung im Wege degressiver Berechnung nach der sog. Ingolstädter Formel zu errechnen sei, da deren Anwendung zu einer höheren Einzelfallgerechtigkeit führe. Sofern eine Berechnung nach der linearen Methode erfolge, sei zudem keine Gesamtlaufleistung von mehr als 250.000 km für das streitgegenständliche Fahrzeug anzunehmen. Wegen des diesbezüglichen Vorbringens wird auf die Ausführungen auf Seite 16-19 der Klageerwiderung (Bl. 102ff. d.A.) Bezug genommen.
22Die Klageschrift ist der Beklagten am 23.10.2020 zugestellt worden.
23Beide Parteien haben einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren gem. § 128 Abs. 2 ZPO zugestimmt.
24Entscheidungsgründe
25Die Reduzierung des mit dem Zahlungsanspruch einhergehenden Zinsantrages stellte eine gem. § 269 Abs. 1 ZPO ohne Zustimmung der Beklagten zulässige Teil-Klagerücknahme dar. Sie ist vor Schluss der mündlichen Verhandlung erfolgt. Im schriftlichen Verfahren entspricht der Zeitpunkt der Ablauf der gesetzten Schriftsatzfrist demjenigen Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung. Die Schriftsatzfrist wurde hier bis zum 22.03.2021 gewährt und lief danach mit Ablauf dieses Tages ab. Der die Teil-Klagerücknahme enthaltende Schriftsatz des Klägers vom 22.03.2021 ist auch an diesem Tag beim Gericht eingegangen.
26Die danach mit den zuletzt noch gestellten Anträgen zulässige Klage ist in Höhe von 22.893,75 EUR in der Hauptsache zuzüglich Rechtshängigkeitszinsen sowie vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.242,84 EUR und mit dem Feststellungsantrag begründet sowie im Übrigen unbegründet.
27I.
28Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises für das streitgegenständliche Fahrzeug abzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von insgesamt 22.893,75 EUR Zug-um-Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung des Fahrzeugs gem. § 826 BGB i.V.m. § 31 BGB zu.
291.
30Ein Verhalten, durch welches im Rahmen einer strategischen Entscheidung allein zur Steigerung des Gewinns bzw. Senkung der Produktionskosten eine Vielzahl von Fahrzeugen mit einer gesetzeswidrigen Software zur Abgassteuerung ausgestattet werden und diese Fahrzeuge anschließend in Verkehr gebracht werden, ist nach der Rechtsprechung des VI. Zivilsenats des Bundesgerichtshofes als sittenwidrig i.S.d. § 826 BGB anzusehen (vgl. BGH, Urt. v. 25.05.2020, Az. VI ZR 252/19, juris Rn. 16ff. m.w.N. = WM 2020, 1078; OLG Hamm, Urt. v. 23.11.2020, Az. 8 U 43/20, juris Rn. 68; OLG Hamm, Urt. v. 10.09.2019, Az. 13 U 149/18, juris Rn. 63ff. m.w.N. = NJW-RR 2019, 1428). Diese Bewertung rechtfertigt sich umso mehr deshalb, weil der Käufer eines neuen ebenso wie eines – wie hier – gebrauchten Fahrzeugs die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben durch den Fahrzeughersteller – hier die Beklagte – grundsätzlich als selbstverständlich voraussetzt, wodurch das Verhalten der Beklagten einer bewussten arglisten Täuschung gleichsteht (BGH, a.a.O, Rn. 25; OLG Hamm, Urt. v. 23.11.2020, Az. 8 U 43/20, juris Rn. 57). Aus dem von der Beklagten nicht bestrittenen Vorbringen des Klägers ergab sich namentlich, dass nicht nur das Fahrzeug des Klägers, sondern eine Vielzahl weiterer Fahrzeuge der Beklagten von einem oder mehreren Rückrufen durch das KBA infolge der Verwendung der sog. Aufwärmstrategie betroffen gewesen sind. Dass diese Bescheide von der Beklagten angegriffen worden wären, ist nicht ersichtlich oder vorgetragen. Vielmehr hat jene aufgrund dessen ihrerseits ein Update entwickelt, um die Funktionsweise der Aufwärmstrategie nach den vom KBA verlangten Maßgaben anzupassen. Dass eine unzulässige Abschalteinrichtung i.S.d. Art. 5 VO 715/2007/EG vorgelegen hat, ist von der Beklagten danach auch im Rahmen des hiesigen Rechtsstreits nicht ernstlich in Zweifel gezogen worden. Hiervon war in der Folge gem. § 138 Abs. 3 ZPO auszugehen (s. auch OLG Hamm, Urt. v. 23.11.2020, Az. 8 U 43/20, juris Rn. 58ff.). Ob darüber hinaus die weiteren vom Kläger erstmals im Rahmen der Replik behaupteten Abschalteinrichtungen in Gestalt einer Rollenprüfstandserkennung sowie eines Thermofensters vorgelegen haben und ob diese als unzulässig i.S.d. Art. 5 VO 715/2007/EG zu bewerten waren, bedurfte deshalb hier keiner Entscheidung.
31Der ihr nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zukommenden sekundären Darlegungslast bezüglich ihrer internen Abläufe und einer gegebenenfalls fehlenden Kenntnis ihrer verfassungsmäßig berufenen Vertreter i.S.d. § 31 BGB hinsichtlich der Verwendung der streitgegenständlichen Aufwärmstrategie (vgl. BGH, Urt. v. 25.05.2020, Az. VI ZR 252/19, juris Rn. 34ff. m.w.N. = WM 2020, 1078; OLG Hamm, Urt. v. 23.11.2020, Az. 8 U 43/20, juris Rn. 64; OLG Hamm, Urt. v. 10.09.2019, Az. 13 U 149/18, juris Rn. 74ff. m.w.N. = NJW-RR 2019, 1428) ist die Beklagte nicht nachgekommen. Zwar hat der Kläger im hiesigen Fall im Rahmen der Klageschrift – das Vorbringen in der Replik war aufgrund des Eingangs am Tag des Ablaufs der Schriftsatzfrist im schriftlichen Verfahren nicht ohne Gewährung rechtlichen Gehörs für die Beklagte, was eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung bedingt hätte, zu berücksichtigen – nicht konkret zu einer möglichen Kenntnis etwaiger Vorstandsmitglieder der Beklagten von der Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung vorgetragen. Bereits im Rahmen der Klageschrift hat sich der Kläger jedoch auf § 31 BGB berufen und ausgeführt, dass er von einer solchen Kenntnis aufgrund der vielfachen Verwendung der streitgegenständlichen Abschalteinrichtung ausgehe. Darüber hinaus eine Benennung konkreter Personen zu verlangen, deren Kenntnis der Beklagten zuzurechnen ist, wäre, da der Kläger – was auch die Beklagte nicht in Abrede stellt – in die internen Abläufe der Beklagten keinerlei Einblicke hat, eine bloße Förmelei. Denn letztlich bliebe dem Kläger insoweit nichts anderes übrig, als entsprechende Personen mehr oder weniger ins Blaue hinein zu benennen. Wie ausgeführt war zudem unstreitig, dass die Beklagte die streitgegenständliche Software in einer Vielzahl ihrer Fahrzeuge verwendet hat. Schon aufgrund der danach vorliegenden strategischen Entscheidung der Beklagten zur Verwendung der Software in einer Vielzahl ihrer Fahrzeuge hat der Kläger nach Auffassung des Gerichts hinreichende Anhaltspunkte für das Auslösen einer entsprechenden sekundären Darlegungslast der Beklagten vorgetragen. Hinzukommt, dass die Beklagte nicht nur das streitgegenständliche Fahrzeug hergestellt und in Verkehr gebracht hat, sondern auch den darin verbauten, mit der unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Motor entwickelt und hergestellt hat. Dies lässt bei lebensnaher Betrachtung – ohne das Vorbringen entgegenstehender Anhaltspunkte – den Schluss zu, dass auch Organe der Beklagten von der Verwendung der sog. Aufwärmstrategie Kenntnis hatten. Dass die Entscheidung zur Verwendung einer solchen Funktion hingegen auf untergeordneten Hierarchiebenen getroffen worden wäre, erscheint danach nicht ohne weiteres nachvollziehbar. Der Kläger hat als Außenstehender – was die Beklagte wie ausgeführt nicht in Zweifel gezogen hat – ersichtlich keine tiefergehenden Einblicke in die Organisations- und Verantwortungsstruktur der Beklagten im Hinblick auf die Motorenentwicklung. Demgegenüber sind der Beklagten entsprechende Angaben über ihre diesbezüglichen internen Abläufe ohne weiteres möglich und – insbesondere in Anbetracht des Täuschungsvorwurfs – auch zumutbar. Dennoch hat die Beklagte entsprechende Angaben nicht getätigt. Dabei hat auch die Beklagte gerade nicht behauptet, dass die Aufwärmstrategie, die nach den von der Beklagten nicht bestrittenen Feststellungen des KBA nahezu ausschließlich auf dem Prüfstand aktiv ist, ausnahmsweise als zulässige Abschalteinrichtung zu bewerten sein könnte. Vor diesem Hintergrund lag aufgrund der danach unterstellten Kenntnis der Vorstandsmitglieder mangels Nachkommen der sekundären Darlegungslast durch die Beklagte zugleich auch ein vorsätzliches Verhalten vor.
32Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes stellt die auf einem sittenwidrigen Verhalten beruhende Belastung des Geschädigten mit einer ungewollten Verpflichtung einen Schaden i.S.d. § 826 BGB dar, von welcher sich der Geschädigte im Rahmen des ihm zukommenden Schadensersatzanspruchs wieder befreien kann (BGH, Urt. v. 25.05.2020, Az. VI ZR 252/19, juris Rn. 47ff. m.w.N. = WM 2020, 1078; OLG Hamm, Urt. v. 23.11.2020, Az. 8 U 43/20, juris Rn. 81; OLG Hamm, Urt. v. 10.09.2019, Az. 13 U 149/18, juris Rn. 49ff. m.w.N. = NJW-RR 2019, 1428). Auch für den hiesigen Kläger ist der danach aus der allgemeinen Lebenserfahrung zu schließende Erfahrungssatz anzunehmen, wonach auszuschließen ist, dass ein Käufer ein Fahrzeug erwirbt, dem eine Betriebsbeschränkung oder –untersagung droht (BGH, a.a.O, Rn. 49ff; OLG Hamm, Urt. v. 23.11.2020, Az. 8 U 43/20, juris Rn. 78; OLG Koblenz, Urt. v. 12.06.2019, Az. 5 U 1318/18, juris Rn. 83ff. = NJW 2019, 2237). Genau das war jedoch bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug aufgrund der verbauten gesetzeswidrigen sog. Aufwärmstrategie der Fall. Dass dies bei Kläger anders gewesen wäre, ist nicht ersichtlich. Dies folgt schon aus der im Rahmen der etwas mehr als dreijährigen Besitzzeit des Fahrzeugs durch den Kläger zurückgelegten Fahrstrecke von rund 38.000 km. Denn daraus, dass der Kläger danach mehr als 12.000 km pro Jahr mit dem Fahrzeug gefahren ist ergab sich ohne weiteres, dass er auf ein funktionstüchtiges Fahrzeug, dessen Betrieb gerade nicht untersagt ist, für seine Lebensführung angewiesen ist. Das später am streitgegenständlichen Fahrzeug durchgeführte Software-Update ändert an dem eingetretenen Schaden in Gestalt des (ursprünglich) ungewollten Vertragsschlusses im Nachhinein nichts mehr (BGH, Urt. v. 25.05.2020, Az. VI ZR 252/19, juris Rn. 56ff. m.w.N. = WM 2020, 1078; OLG Hamm, Urt. v. 23.11.2020, Az. 8 U 43/20, juris Rn. 83).
33Aufgrund der strategischen Unternehmensentscheidung der Beklagten zum Einsatz der gesetzeswidrigen Aufwärmfunktion (s.o.) und der jahrelangen Durchführung war auch der erforderliche Schädigungsvorsatz auf Seiten der Beklagten bzw. der für diese handelnden Personen i.S.d. § 31 BGB anzunehmen (BGH, Urt. v. 25.05.2020, Az. VI ZR 252/19, juris Rn. 63 = WM 2020, 1078; OLG Hamm, Urt. v. 23.11.2020, Az. 8 U 43/20, juris Rn. 76).
34Ein Schadensersatzanspruch gem. § 826 BGB scheitert auch nicht unter dem Gesichtspunkt des Schutzwecks der Norm. Denn jene soll gerade vor sittenwidrigen Schädigungshandlungen und den dadurch entstehenden Vermögensschäden schützen. Dass die Regelungen, gegen welche die Beklagte in zulassungsrechtlicher Hinsicht verstoßen hat, nicht dem Schutz des hiesigen Klägers dienen, ist insoweit unbeachtlich.
352.
36Der Höhe nach muss sich der Kläger nach den Grundsätzen des Vorteilsausgleichs auf seinen Schaden die von ihm gezogenen Nutzungen anrechnen lassen (vgl. BGH, Urt. v. 25.05.2020, Az. VI ZR 252/19, juris Rn. 64ff = WM 2020, 1078). Die Höhe des Nutzungsersatzanspruchs hat das Gericht gem. § 287 ZPO entsprechend dem Vorgehen beim Rücktritt vom Fahrzeugkaufvertrag unter Zugrundelegung der Methode der linearen Wertminderung anhand der Formel
37ermittelt (vgl. BGH, Urt. v. 25.05.2020, Az. VI ZR 252/19, juris Rn. 80 = WM 2020, 1078; OLG Hamm, Urt. v. 23.11.2020, Az. 8 U 43/20, juris Rn. 91ff; Reinking/Eggert, Der Autokauf, 14. Aufl. 2020, Rn. 3561ff. m.w.N.). Entgegen der Ansicht der Beklagten hat das Gericht die Anwendung dieser seit langem in Rechtsprechung und Literatur angewandten Formel für die Berechnung der Nutzungsentschädigung für vorzugswürdig erachtet. Demgegenüber führt die vom Landgericht Ingolstadt vertretene Methode der degressiven Berechnung nach Auffassung des Gerichts lediglich zu einer unnötigen Verkomplizierung der Berechnung des Gebrauchsvorteils. Dass die dort (ohne sachverständige Beurteilung) der Berechnung zugrunde gelegten Annahmen gesichert wären, ist nicht ohne weiteres ersichtlich und nachvollziehbar. Zudem liegt nach Auffassung des hiesigen Gerichts die Einschätzung nahe, dass sich die vom Landgericht Ingolstadt angenommenen unterschiedlichen Faktoren im Laufe der Gesamtlaufleistung/Gesamtlebenszeit eines Fahrzeugs, zumal bei Gebrauchtfahrzeugen – wie hier – letztlich wieder ausgleichen.
39Die zu erwartende Gesamtlaufleistung für das streitgegenständliche Fahrzeug hat das Gericht auch aufgrund gerichtlicher Entscheidungen zu anderen Fahrzeugen der Beklagten aus der jüngeren Vergangenheit (vgl. dazu die Übersicht bei Reinking/Eggert, a.a.O. Rn. 3574) auf 300.000 km geschätzt (gleiche Gesamtlaufleistung auch angenommen von OLG Hamm, Urt. v. 23.11.2020, Az. 8 U 43/20, juris Rn. 93 zu im Oktober 2015 erstzugelassenen Audi SQ5 competition, s. Vorinstanz LG Detmold, Urt. v. 13.12.2019, Az. 02 O 117/19, unveröffentlicht sowie OLG Hamm, Urt. v. 10.12.2020, Az. 24 U 184/19, juris Rn. 58 zu im Jahr 2009 neuzugelassenen Audi Avant Ambition 2.0l TDI). Für die Annahme einer noch höheren voraussichtlichen Gesamtlaufleistung bestand demgegenüber zum gegenwärtigen Zeitpunkt aus Sicht des Gerichts kein Anlass.
40Die Laufleistung im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung am 22.03.2021 hat das Gericht anhand der unstreitigen Angaben des Klägers zur Laufleistung im Kaufzeitpunkt sowie am 22.09.2020 (113.405 km) und 18.03.2021 (118.438 km) auf 118.500 km geschätzt.
41Danach ergab sich ein auf den Schadensersatzanspruch des Klägers anzurechnender Vorteilsausgleich in Höhe von
42Dieser Betrag war von dem durch den Kläger gezahlten Kaufpreis in Höhe von 27.750,00 EUR in Abzug zu bringen, woraus sich der in der Hauptsache insoweit zugesprochene Teil-Betrag in Höhe von 22.893,75 EUR errechnet hat.
443.
45Gem. §§ 826, 249ff. BGB i.V.m. § 273 Abs. 1, 274 Abs. 1 BGB hatte die Verurteilung der Beklagten nur Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs zu erfolgen.
464.
47Ein darüber hinaus gehender Anspruch des Klägers aufgrund anderer Anspruchsgrundlagen besteht nicht. Auch die sonstigen vom Kläger angeführten Anspruchsgrundlagen sind letztlich – wie § 826 BGB – auf die Zahlung von Schadensersatz gerichtet, dessen Höhe sich wiederum nach den §§ 249ff. BGB bestimmt. Auch hierbei wäre ein Vorteilsausgleich in der o.a. Größenordnung (s.o. Ziff. 2.) vorzunehmen gewesen.
48II.
49Der dem Kläger im Zusammenhang mit der Hauptforderung zugesprochene Zinsanspruch rechtfertigt sich aus den §§ 288 Abs. 1, 291 BGB i.V.m. § 187 Abs. 1 BGB analog.
50III.
51Da die Voraussetzungen des Annahmeverzugs der Beklagten gem. §§ 293ff. BGB mit der Rücknahme des streitgegenständlichen Fahrzeugs vorgelegen haben, war auch die vom Kläger diesbezüglich begehrte Feststellung auszusprechen. Bereits im Rahmen des vorgerichtlichen Aufforderungsschreibens seines Prozessbevollmächtigten vom 04.09.2020 hat der Kläger der Beklagten ausdrücklich die Rückgabe des Fahrzeugs Zug-um-Zug gegen Rückzahlung des Kaufpreises für das Fahrzeug abzüglich Nutzungsentschädigung angeboten. Dieses wörtliche Angebot war insoweit gem. § 295 S. 1 Alt. 2 BGB auch ausreichend. Sowohl durch das vorgerichtlichen Schreiben vom 06.09.2020 als auch durch die Stellung des Klageabweisungsantrages sowie den damit einhergehenden Prozessvortrag hat die Beklagte eindeutig ihre Ablehnung des Angebots zum Ausdruck gebracht.
52Eine andere Beurteilung ergibt sich hier auch nicht aus dem Umstand, dass der Kläger die Nutzungsentschädigung auf Grundlage einer Gesamtlaufleistung des streitgegenständlichen Fahrzeugs von 350.000 km berechnet hat. Die insoweit vom Gericht auf Grundlage einer Schätzung gem. § 287 ZPO angenommene geringere Gesamtlaufleistung führt nach der Auffassung des Gerichts in diesem Fall nicht dazu, dass das Angebot des Klägers als unter unzulässigen Bedingungen gemacht anzusehen wäre (vgl. dazu BGH, Urt. v. 25.05.2020, Az. VI ZR 252/19, juris Rn. 85 m.w.N. = WM 2020, 1078). Denn der Kläger hat deutlich zum Ausdruck gebracht, dass er bereit ist, sich eine Nutzungsentschädigung anrechnen zu lassen. Er hat auch nicht erklärt, dass er eine Nutzungsentschädigung auf Basis einer geringeren Gesamtlaufleistung nicht akzeptieren würde.
53IV.
54Dem Kläger steht gegen die Beklagte auch ein Anspruch auf Freistellung von dem ihn durch die Einschaltung seines Prozessbevollmächtigten entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten gem. §§ 826, 31 BGB i.V.m. §§ 249ff. BGB als Kosten für eine zweckentsprechende Rechtsverfolgung zu, allerdings nur in Höhe von 1.242,84 EUR.
55Nach Auffassung des Gerichts lagen die Voraussetzungen für den Ansatz einer höheren Geschäftsgebühr als der Schwellengebühr gem. Nr. 2300 VV-RVG im hiesigen Fall nicht vor. Eine besondere Schwierigkeit ist nicht ersichtlich. Der große Umfang der Schriftsätze führt aus Sicht des Gerichts noch nicht für sich genommen zu der Annahme einer umfangreichen oder schwierigen Sache, zumal sowohl das Gericht als auch die Prozessbevollmächtigten des Klägers – gerichtsbekannt – mit einer Vielzahl gleichgelagerter Verfahren befasst sind und zudem auch die Schriftsätze in den jeweiligen Parallelverfahren größtenteils identisch/wortgleich sind (so auch OLG Koblenz, Urt. v. 12.06.2019, Az. 5 U 1318/18, juris Rn. 119f. = NJW 2019, 2237).
56V.
57Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 92 Abs. 1 S. 1, 269 Abs. 3 S. 2 ZPO.
58Die Quote des Obsiegens und Unterliegens war unter Berücksichtigung des Gebührenstreitwertes von 26.625,11 EUR (Hauptforderung 24.316,71 EUR + vorgerichtliche Anwaltskosten 2.308,40 EUR) zu ermitteln. Anders als bei einer streitigen Entscheidung hierüber waren hingegen die zunächst begehrten Deliktszinsen nicht im Rahmen des sog. fiktiven Gesamtstreitwertes (vgl. OLG Oldenburg, Urt. v. 16.01.2020, Az. 14 U 166/19, juris Rn. 74 m.w.N; Schulz, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Aufl. 2020, § 92 Rn. 4 m.w.N.) zu berücksichtigen. Da deren Geltendmachung nach Auffassung des Gerichts als bloße Nebenforderung nicht zu einer Erhöhung des Streitwerts geführt hat, haben sich die Gebühren infolge der letztlich insoweit erklärten Teil-Rücknahme auch nicht verringert. Diese war danach für die Kostenhöhe ohne jegliche Relevanz.
59Eine Anwendung von § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO kam schon deshalb nicht in Betracht, weil aufgrund der Zuvielforderung des Klägers ein Gebührensprung eingetreten ist.
60V.
61Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich für den Kläger aus § 709 S. 1 u. 2 ZPO und für die Beklagte aus den §§ 708 Nr. 11 Alt. 2, 711 ZPO i.V.m. § 709 S. 2 ZPO.