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beschlossen:
Die Beschwerde der Beschwerdeführerin vom 18.10.2023 wird, soweit sie sich gegen den Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Bonn vom 27.12.2021 – Az. 51 Gs 2456/21 – richtet, als unbegründet verworfen.
Die Beschwerdeführerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe
2I.
3Gegenstand dieses Beschwerdeverfahrens ist der Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Bonn vom 27.12.2021, der im Rahmen eines kartellrechtlichen Ordnungswidrigkeitenverfahrens gegen die Beschwerdeführerin erlassen wurde.
4Bei der Beschwerdeführerin handelt es sich um die Muttergesellschaft der A-Unternehmensgruppe, einer Herstellerin von Kabeln. Die Unternehmensgruppe generiert einen Gesamtumsatz von mehreren Milliarden Euro. Die Beschwerdeführerin hält 100% der Anteile an der A-B GmbH, die wiederum 100% der Anteile an der A-C GmbH hält.
5Das Bundeskartellamt ermittelt gegen mehrere Kabelhersteller, u.a. die Beschwerdeführerin, sowie Verbände und Vereine wegen des Verdachts kartellrechtswidriger horizontaler Preisabsprachen. Den Kabelherstellern wird vorgeworfen, bei der Berechnung von Metallzuschlägen für Kabel und Leitungen aus Kupfer, Aluminium und Blei großflächig koordiniert vorgegangen zu sein. Der Metallzuschlag ist branchenüblicher Bestandteil des Verkaufspreises für Kabel und Leitungen. Durch diesen – auf der Grundlage der aktuellen börsennotierten Metallpreise zu ermittelnden – Zuschlag sollen Änderungen der Rohstoffpreise automatisch und ohne jeweils neue Verhandlungen in den Abgabepreis einfließen. Die sogenannte Metallzahl stellt nach den Recherchen des Bundeskartellamts einen Faktor in der Formel zur Berechnung des Metallzuschlags dar, der letztlich als Preisbestandteil in den Verkaufspreis der Kabel einfließt.
6Das Bundeskartellamt wirft den herstellenden Unternehmen vor, die Metallzahlen brancheneinheitlich abgesprochen zu haben. Diese drücke nur vorgeblich das Gewicht des in einer bestimmten Länge eines Kabels enthaltene Metall aus. In Wirklichkeit weise die Metallzahl allerdings einen über dem tatsächlichen Gewicht liegenden, kalkulatorischen Wert auf, was zu einem – deutlich – höheren Preis als bei der Zugrundelegung des „wahren“ Gewichts führe. Dieser kalkulatorische und nicht tatsächlich fundierte Wert sei brancheneinheitlich gleich. Er liege beispielsweise bei Kupfer brancheneinheitlich bei 9,6. Dies entspreche einem – einheitlichen – Aufschlag auf das tatsächliche Kupfergewicht von 7,89%.
7Die Verwendung einer einheitlichen Grundformel zur Berechnung des Metallzuschlags sowie eines übereinstimmenden Wertes ergebe sich aus Folgendem:
8Die Annahme, dass sämtliche Kabelhersteller dieselbe Grundformel verwendeten, folge insbesondere daraus, dass sämtliche Kabelhersteller – mit einer Ausnahme – an dem Preismeldesystem der DEL-Notiz (Deutsche Elektrolyt-Kupfer-Notiz für Leitmaterial) teilnähmen; dieses Preismeldesystem sei maßgeblicher Bestandteil der Grundformel. Die Grundformel werde zudem in öffentlich zugänglichen Quellen mehrerer großer Kabelhersteller erwähnt (etwa der Beschwerdeführerin, der B-Gruppe und der C-Gruppe).
9Die weitere Annahme, dass ein- und dieselbe Metallzahl als kalkulatorischer Wert in die Grundformel Eingang finde, beruhe u.a. darauf, dass die Kupferzahl von 9,6 kg/km bzw. die Aluminiumzahl von 2,9 kg/km in einer öffentlich zugänglichen Quelle der D-Gruppe, einem Kabelhersteller mit einem Jahresumsatz von über einer Milliarde Euro, als branchentypischer Wert dargestellt werde.
10Es lägen darüber hinaus gehend auch Anhaltspunkte vor, dass die Berechnung der Metallzuschläge auf einem koordinierten Vorgehen der Hersteller beruhe. Es habe mutmaßlich eine Angestellte der B-A GmbH & Co. KG, einem Kabelhersteller, unter dem Benutzernamen „E“ im Jahre 2019 die Löschung eines Wikipedia-Eintrags zur Kupferzahl u.a. mit der Begründung vornehmen wollen, dass die Kupferzahl nicht eindeutig definiert sei und eine Diskussion zu diesem Thema unter den Kabelherstellern stattfinde.
11Dass es sich bei der Metallzahl um einen kalkulatorischen (und nicht physikalischen) Wert handele, folge aus dem Internet zu entnehmenden Fachveröffentlichungen.
12Auf Antrag des Bundeskartellamtes vom 21.12.2021 erließ das Amtsgericht Bonn am 27.12.2021 den hier verfahrensgegenständlichen Durchsuchungsbeschluss, mit welchem die Durchsuchung der Geschäftsräume der Beschwerdeführerin in F angeordnet wurde. Der Beschluss wurde am 18. und 19.01.2022 vollstreckt. Es wurden Papier- und IT-Asservate sichergestellt.
13Mit Beschluss vom 14.03.2022 bestätigte das Amtsgericht Bonn nach Widerspruch der Beschwerdeführerin die vorläufige Sicherstellung (Az. 51 Gs 2456/21). Mit weiterem Beschluss vom 20.09.2023 ordnete das Amtsgericht antragsgemäß die Beschlagnahme bestimmter sichergestellter Unterlagen an (Az. 50 Gs 4014/23).
14Mit Schriftsatz vom 19.10.2023 hat die Beschwerdeführerin Beschwerde gegen den Durchsuchungsbeschluss, die Bestätigung der vorläufigen Sicherstellung sowie den Beschlagnahmebeschluss eingelegt. Sie hat zunächst beantragt, vorbezeichnete Beschlüsse aufzuheben und die auf der Grundlage der Beschlüsse sichergestellten Unterlagen herauszugeben bzw. zu löschen.
15Zur Begründung der Beschwerde gegen den Durchsuchungsbeschluss führt die Beschwerdeführerin folgendes aus:
16Der Antrag sei zulässig, insbesondere statthaft, da die Durchsicht der sichergestellten Asservate noch nicht abgeschlossen sei.
17Die Beschwerde sei auch begründet, da die Erlassvoraussetzungen nicht vorgelegen hätten. Es habe bereits an einem Anfangsverdacht gefehlt. Die insoweit zu stellenden Anforderungen seien mit Blick auf die Richtlinie 2019/01 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.12.2018 zu bestimmen.
18Es lägen keine konkreten Anhaltspunkte für eine Beteiligung der Beschwerdeführerin an einer Vereinbarung oder abgestimmten Verhaltensweise vor. Insbesondere gehe aus dem Durchsuchungsbeschluss nicht hervor, welche Verantwortlichen der A-Gruppe sich mit welchen weiteren Kabelherstellern abgesprochen haben sollten. Auch der Zeitraum bzw. Zeitpunkt solcher Abstimmungen und Kontakte bleibe vage. Insbesondere lasse sich aus einer Diskussion zu einem Wikipedia-Eintrag kein Anfangsverdacht gerade gegenüber der Beschwerdeführerin konstruieren. Die Beschwerdeführerin sei an dieser Diskussion nicht beteiligt gewesen.
19Ferner genüge der Durchsuchungsbeschluss nicht dem Bestimmtheitserfordernis. Die Durchsuchungsanordnung müsse die aufzuklärende Straftat so genau umschreiben, dass sie eine Unterscheidbarkeit von anderen Lebenssachverhalten ermögliche. Zudem fehle es an einer Angabe der Tatzeit.
20Mit Beschluss vom 13.11.2023 hat das Amtsgericht Bonn den Beschwerden nicht abgeholfen und die Akte dem Landgericht Bonn zur Entscheidung vorgelegt.
21Mit Schreiben vom 09.11.2023 verteidigt das Bundeskartellamt die angegriffenen Beschlüsse. In Bezug auf den Durchsuchungsbeschluss führt das Bundeskartellamt insbesondere folgendes aus:
22Es hätten bereits zum Zeitpunkt des Durchsuchungsantrags Anhaltspunkte dafür bestanden, dass es sich bei den branchenweit verwendeten Metallzahlen um einen kalkulatorischen Wert handele, der einen Preisaufschlag beinhalte. Es habe brancheneinheitlich bei Kupfer ein Wert von 9,6 sowie bei Aluminium ein Wert von 2,9 in die Berechnung Eingang gefunden. So sei der Faktor 9,6 etwa auf Wikipedia feststellbar sowie einem Fachartikel der Solarzeitschrift „Photon“ aus dem Jahre 2010 zu entnehmen. Der einem großen Kabelhersteller zuzuordnende Nutzer „E“ habe seinen Antrag auf Löschung eines Wikipedia-Beitrags u.a. damit begründet, dass eine Diskussion der Kupferzahl unter den Kabelherstellern stattfinde.
23Das Bundeskartellamt ist der Auffassung, dass die Beschwerde sowohl unzulässig als auch unbegründet sei. Die Unzulässigkeit folge aus der prozessualen Überholung der Durchsuchung durch die darauffolgende gerichtliche Bestätigung der Sicherstellung sowie die Beschlagnahme. Der Antrag der Beschwerdeführerin sei dementsprechend dahingehend auszulegen, dass die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Durchsuchungsanordnung begehrt werde.
24Auch habe zum Zeitpunkt des Durchsuchungsbeschlusses der erforderliche Anfangsverdacht vorgelegen. Der Anfangsverdacht habe sich auf folgende Umstände gegründet: Aus den bereits dem Amtsgericht vorgelegten Unterlagen lasse sich der Schluss ziehen, dass die Kabelhersteller ihre Metallzahlen nach einer einheitlichen Formel berechneten, nach welcher sich übereinstimmende Preisaufschläge ergäben. Es habe zudem eine Diskussion zwischen den Kabelherstellern über die Kupferzahl stattgefunden (dies lasse sich der Diskussion über den Wikipedia-Eintrag entnehmen). Auch die Gruppe der Beschwerdeführerin benutze die Metallzuschlagsberechnung. Sie sei „Lieferantin“ der DEL-Notiz, deren Angaben wiederum der Berechnung zugrunde lägen. Zudem sei eine Beteiligung der Beschwerdeführerin bereits aufgrund ihres Marktanteils aus kriminalistischer Erfahrung anzunehmen, es handele sich um den drittgrößten Hersteller von Kabeln und Leitungen. Zudem seien Vertreter der A-Gruppe in verschiedenen Gremien präsent, die mutmaßlich einer Koordinierung dienten.
25Für einen Anfangsverdacht sei auch nicht erforderlich, dass Tatzeit und Tatort bereits bekannt seien. Für den Anfangsverdacht reiche vielmehr aus, dass eine Straftat möglich erscheine, unabhängig wo und wann diese begangen worden sei. Gerade mit Blick auf die spezifisch kartellrechtliche Bewertungseinheit, durch die eine Vielzahl von Tatbestandverwirklichungen zu einer einzigen Tat zusammengefasst werden könne mit der Folge, dass Verjährung für den gesamten Tatzeitraum erst mit Beendigung der einheitlichen Tat beginne, sei es möglich, auch lange zurückliegende Handlungen noch zu verfolgen.
26Der dem Anfangsverdacht zugrundeliegende Vorwurf sei auch hinreichend bestimmt und konkretisiert. So sei selbst für eine Verurteilung nicht erforderlich, jede einzelne Kartellabsprache näher zu konkretisieren, wenn diese im Rahmen einer Bewertungseinheit mit anderen Absprachen zu einer einheitlichen Tat verbunden sei. Ob eine solche Grundabsprache vorliege, wie lange diese angedauert habe sowie die sich hieraus ergebenden Folgen seien gerade im Ermittlungsverfahren zu erforschen. Eine weitere Konkretisierung sei nicht erforderlich gewesen, da keinerlei Verwechslungsgefahr mit etwaig gleichartigen Taten bestanden habe.
27Mit Blick auf die Richtlinie 2019/01 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.12.2018 ist das Bundeskartellamt der Auffassung, dass diese jedenfalls keine höheren Anforderungen an das Vorliegen eines Anfangsverdachts stelle. Vorbezeichnete Richtlinie solle die wirksame Durchsetzung der Art. 101 und 102 AEUV durch die nationalen Wettbewerbsbehörden stärken und nicht schwächen.
28Mit Schriftsatz vom 21.12.2023 beantragt die Beschwerdeführerin nunmehr in Bezug auf die hier verfahrensgegenständliche Durchsuchungsanordnung festzustellen, dass die Anordnung der Durchsuchung vom 27.12.2021 rechtswidrig war. Hierzu führt sie weiter aus, dass nach wie vor zum maßgeblichen Zeitpunkt der Anordnung der Durchsuchung keine hinreichenden Indizien zur Begründung eines Anfangsverdachts vorgelegen hätten. Auch hält sie daran fest, dass die Durchsuchungsanordnung gegen das Bestimmtheitserfordernis verstoßen habe.
29Hinsichtlich eines aus ihrer Sicht fehlenden Anfangsverdachts hebt die Beschwerdeführerin nochmals hervor, dass sie in keiner Weise an den Geschehnissen im Zusammenhang mit einem Wikipedia-Eintrag mit dem Titel „Kupferzahl“ beteiligt gewesen sei. Das gleiche gelte hinsichtlich eines Wikipedia-Artikels „Aluminium in Kabel-Notierungen“.
30Ferner folge aus einer Verlinkung eines Dokuments der Beschwerdeführerin „Definitionen der von A im Zusammenhang mit dem Kupfergeschäft verwendeten Begriffe“ auf Wikipedia kein Ansatz für einen Anfangsverdacht. Der Link sei ohne die Mitwirkung oder das Einverständnis der Beschwerdeführerin erstellt worden. Das Dokument enthalte keinerlei Hinweise auf Wettbewerberkontakte oder kartellrechtswidrige Abstimmungen. Das Dokument sei von einem externen rechtlichen Berater erstellt worden, um gegenüber den eigenen Kunden Transparenz mit Blick auf die praktizierte Metallabrechnung zu gewährleisten. Diese Veröffentlichung spreche sogar aufgrund der hiermit verbundenen Transparenz gegen eine heimliche Kartellabsprache.
31Die Beschwerdeführerin hält ferner die Annahme des Bundeskartellamtes, dass der Fachverband Kabel ein mutmaßliches Forum für kartellrechtswidrige Absprachen gewesen sein könne, für eine reine Mutmaßung.
32Ein Anfangsverdacht könne sich auch nicht daraus ergeben, dass die Beschwerdeführerin bzw. ihre Tochterunternehmen die DEL-Notiz zur Preisberechnung verwendeten und an deren Meldesystem beteiligt seien. Die DEL-Notiz sei dem Bundeskartellamt seit Jahrzehnten bekannt, von diesem geprüft und nicht beanstandet worden. Dasselbe gelte für die branchenübliche Verwendung einer Kupferzahl. Die Verwendung solcher seit Jahrzehnten etablierter Faktoren für die Berechnung des Kupferzuschlags durch einzelne Unternehmen könne kein Indiz für eine etwaige kartellrechtswidrige Abstimmung dieser Unternehmen über die Berechnung des Kupferzuschlags begründen. Aus branchenüblichem Parallelverhalten folge kein Anfangsverdacht für eine kartellrechtswidrige Abstimmung.
33Darüber hinaus gehend habe es an konkreten Anhaltspunkten zur Tatzeit, dem Ort des Geschehens und der für die Beschwerdeführerin handelnden Personen gefehlt.
34Der vorliegende Sachverhalt sei letztlich nicht anders zu bewerten als derjenige betreffend die Nebenbeteiligte G, bezüglich derer das Landgericht Bonn die erfolgte Durchsuchung mangels Anfangsverdachts für rechtswidrig erklärt habe.
35Schließlich verstoße die Durchsuchungsanordnung auch gegen das Bestimmtheitserfordernis. Die wesentlichen angeblichen Verdachtsgründe seien in der angegriffenen Durchsuchungsanordnung weder benannt noch konkretisiert worden. Die Durchsuchungsanordnung erschöpfe sich, ebenso wie der zugrunde liegende Antrag, in unspezifischen und allgemein gehaltenen Aussagen, die keinerlei hinreichende Eingrenzung der mutmaßlichen Täter ermöglichten.
36Mit Schreiben vom 17.01.2024 verteidigt das Bundeskartellamt nochmals den angegriffenen Beschluss.
37Mit Schriftsatz vom 07.03.2024 führt die Beschwerdeführerin hinsichtlich der Durchsuchungsanordnung erneut aus, dass der erforderliche Anfangsverdacht nicht vorgelegen habe.
38Der Beschwerdeführerin wurde seitens des Bundeskartellamtes Akteneinsicht mit dem Stand zum 20.01.2022 gewährt.
39II.
40Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet.
411.
42Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist gemäß §§ 46 Abs. 1 OWiG, 304 Abs. 1 StPO statthaft und auch im Übrigen zulässig.
43Insbesondere ist der Beschwerde das Rechtsschutzbedürfnis nicht mit Blick darauf abzusprechen, dass der angegriffene Durchsuchungsbeschluss bereits vollstreckt ist. Ein Rechtsschutzbedürfnis ist in Fällen tiefgreifender Grundrechtseingriffe, bei welchen der Betroffene die gerichtliche Entscheidung in der von der Prozessordnung gegebenen Instanz (zeitlich) kaum erlangen kann, nicht nur in Ausnahmefällen, sondern generell zu bejahen (BVerfG, Beschl v. 19.06.1997, Az. 2 BvR 941/91). Die Beschwerdeführerin kann daher, wie geschehen, die Feststellung der Rechtswidrigkeit der angegriffenen Maßnahme begehren.
442.
45In der Sache hat die Beschwerde jedoch keinen Erfolg. Das Amtsgericht hat die Durchsuchung auf der Grundlage der §§ 46 Abs. 1 OWiG, 102 StPO zu Recht angeordnet.
46a.
47Voraussetzung der Durchsuchung ist nach § 102 StPO ein Anfangsverdacht. Dieser liegt hinsichtlich der Begehung einer Kartellordnungswidrigkeit durch die Beschwerdeführerin nach § 81 Abs. 1 Nr. 1 GWB i.V.m. Art. 101 Abs. 1 AEUV bzw. § 81 Abs. 2 Nr. 1 GWB i.V.m. § 1 GWB, jeweils i.V.m. § 30 Abs. 1 OWiG vor.
48aa.
49Aufgrund des mit der Durchsuchung verbundenen schwerwiegenden Eingriffs in den besonderen grundrechtlichen Schutz (Art. 13 Abs. 1 GG) ist es erforderlich, dass dieser Verdacht auf konkreten Tatsachen beruht; vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen reichen nicht aus; eine Durchsuchung darf nicht der Ermittlung von Tatsachen dienen, die zur Begründung eines Verdachts erforderlich sind; notwendig ist, dass ein auf konkrete Tatsachen gestütztes Verhalten geschildert wird, das den Tatbestand eines Strafgesetzes erfüllt (BVerfG, Beschl v. 13.03.2014, Az. 2 BvR 974/12 mwN).
50bb.
51Ein hiervon abweichender strengerer Maßstab folgt weder aus der Richtlinie 2019/01 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.12.2018 noch aus der Rechtsprechung des EuG. Unabhängig von der Frage, ob die insoweit zunächst für das (europäische) Kartellverwaltungsverfahren geltenden Grundsätze auf das innerstaatliche Ordnungswidrigkeitenverfahren, welches sich gemäß § 46 Abs. 1 OWiG zuvörderst nach den Vorschriften der StPO richtet, zu übertragen sind, sind nach diesen keine strengeren Anforderungen an eine Durchsuchung zu stellen.
52Nach der Rechtsprechung des EuG (Urt. v. 05.10.2020, Az. T-255/17) müssen für eine Durchsuchung hinreichend ernsthafte Indizien vorliegen, die eine Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln durch das betreffende Unternehmen vermuten lassen. Vorgenannter Entscheidung ist zu entnehmen, dass im Interesse einer effektiven Verfolgung von Wettbewerbsverstößen keine besonderen Anforderungen an das Vorliegen solcher Indizien zu stellen sind; selbst informelle nicht aufgezeichnete Gespräche können genügen (vgl. auch Witz in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 7. Aufl. 2024, § 59b GWB Rdnr. 3). Ein Verdachtsgrad, der über den dargelegten Maßstab des Bundesverfassungsgerichts hinausginge, folgt hieraus nicht.
53Ein solcher lässt sich auch nicht der Richtlinie 2019/01 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.12.2018 entnehmen. Eine ausdrückliche Einflussnahme auf den hier zugrunde gelegten Verdachtsgrad ist der Richtlinie nicht zu entnehmen. Auch eine Heranziehung des „Geistes“ der Richtlinie auf dem Wege der Auslegung des § 102 StPO führt nicht zu dem Erfordernis eines höheren Anfangsverdachtsgrades. Die Richtlinie bezweckt bereits ihrem Titel nach die Stärkung der Wettbewerbsbehörden im Hinblick auf eine wirksamere Durchsetzung der Wettbewerbsvorschriften. Dementsprechend sollen etwa nach Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie die Mitgliedstaaten Mindestbefugnisse ihrer Bediensteten bei Anwendung des europäischen Kartellrechts sicherstellen. Aus dem seitens der Beschwerdeführerin zitierten Erwägungsgrund 31 folgt nichts Gegenteiliges: Kernpunkt dieses Erwägungsgrundes ist das Bestreben, dass die nationalen Verwaltungsbehörden das europäische Kartellrecht effektiv umsetzen können, selbstverständlich unter Beachtung der seitens der Rechtsprechung des Gerichtshofs (hierzu s.o.) entwickelten Rechtsgrundsätze.
54cc.
55Maßgeblicher Zeitpunkt zur Beurteilung der Frage, ob ein Anfangsverdacht vorliegt, ist derjenige des Erlasses des Durchsuchungsbeschlusses. Diese Einschränkung der Prüfungskompetenz des Beschwerdegerichts folgt aus der Funktion des Richtervorbehalts (Art. 13 Abs. 2 GG); um der Funktion einer vorbeugenden Kontrolle der Durchsuchung durch eine unabhängige und neutrale Instanz gerecht zu werden, darf das Beschwerdegericht seine Entscheidung nicht auf Gründe stützen, die dem Ermittlungsrichter nicht bekannt waren; Prüfungsmaßstab bleibt im Beschwerdeverfahren daher die Sach- und Rechtslage zur Zeit des Erlasses des Durchsuchungsbeschlusses; das Beschwerdegericht darf zur Begründung seiner Entscheidung daher keine Erkenntnisse heranziehen, die erst durch die Durchsuchung gewonnen wurden (BVerfG, Beschl. v. 09.02.2005, Az. 2 BvR 1108/03).
56dd.
57Gemessen an diesen Maßstäben lagen sachlich zureichende Gründe für die Anordnung der Durchsuchung vor.
58Es bestand zum Zeitpunkt der Durchsuchungsanordnung die anhand von Tatsachen begründete Vermutung, dass die am deutschen Markt tätigen Kabelhersteller eine branchenweit einheitliche Berechnung der Metallzuschläge vornahmen, die nicht nur auf einer physikalischen Größe, sondern auch einem kalkulatorischen Wert beruhte, der letztlich einen Preisaufschlag darstellte.
59So findet sich beispielsweise die seitens des Bundeskartellamtes als einheitlich bezeichnete Berechnung in einem Dokument der D-Gruppe - einem Kabelhersteller mit einem Jahresumsatz über einer Milliarde Euro – wieder. Die Kupferzahl wird dort als kalkulatorisches Kupfergewicht beschrieben. Die D-Gruppe bezeichnet in dem Dokument die Kupferzahl als branchentypischen Wert und verweist in diesem Zusammenhang auf ihre Mitgliedschaft im Fachverband H.
60Allein diese öffentliche Äußerung eines am Markt mit einigem Gewicht tätigen Unternehmens vermag die Annahme zu begründen, dass in der gesamten Branche der Kabelhersteller dieselbe Grundformel Anwendung findet. Diese Annahme wird durch die weiteren Belege betreffend andere große Kabelherstellers bekräftigt. Auch ein Dokument der A-Gruppe (Definitionen der von A im Zusammenhang mit dem Kupfergeschäft verwendeten Begriffe) weist die Grundformel aus und bezeichnet die Kupferzahl als rein kaufmännische Berechnungsgröße. Dass die Beschwerdeführerin versucht, sich von dem Inhalt dieses Schreibens zu distanzieren, führt jedenfalls hinsichtlich der Frage des Vorliegens eines Anfangsverdachts zu keinem abweichenden Ergebnis. Das Dokument ist von der Beschwerdeführerin bzw. einem Tochterunternehmen veranlasst worden. Es spricht ein starker Anhalt dafür, dass die dortigen Ausführungen auch tatsächlich Gegenstand der Abrechnungspraxis der Beschwerdeführerin bzw. ihrer Tochterunternehmen waren.
61Schließlich spricht auch für die Annahme der Verwendung einer einheitlichen Grundformel, dass alle gewichtigen Kabelhersteller - mit einer Ausnahme - an dem Preismeldesystem der DEL-Notiz (Deutsche Elektrolyt-Kupfer-Notiz für Leitmaterial) teilnehmen und dieses Preismeldesystem maßgeblicher Bestandteil der Grundformel ist.
62Darüber hinaus gehend ergaben sich auch starke Anhaltspunkte dafür, dass neben der brancheneinheitlichen Grundformel ein einheitlicher kalkulatorischer Wert unterhalb des tatsächlichen Metallgewichts gebraucht und damit ein – erheblicher – Preisaufschlag einheitlich vorgenommen wurde. So wird in vorbezeichnetem Dokument der D-Gruppe der Wert von 9,6 kg/km (Kupferzahl) ebenfalls als branchenüblich bezeichnet. Gleiches gilt für die Aluminiumzahl von 2,9 kg/km.
63Das Bundeskartellamt hat daneben weitere konkrete Anhaltspunkte für die Branchenüblichkeit dieser konkreten Werte angeführt. So enthält beispielsweise der dem Durchsuchungsantrag beigefügte Fachartikel aus dem Jahr 2010 zur Thematik der Solarkabel die auf eigenen Berechnungen basierende Aussage, dass sich durch die Kupferzahl auf dem Papier das Gewicht um 7,89% erhöhe. Dieser Wert leitet sich durch eine Verwendung des Faktors 9,6 her.
64Im Ergebnis bestanden somit erhebliche Anhaltspunkte zumindest für ein paralleles Marktverhalten sämtlicher Kabelhersteller bei der Preisgestaltung.
65Die Frage, ob bereits dieses gleichförmige Verhalten, bei welchem nicht nur eine identische Grundformel, sondern auch einheitlich ein bestimmter Faktor verwendet wird, ausreicht, um einen Anfangsverdacht zu begründen (unter kriminalistischem Ausschluss eines zulässigen, aber lebensfernen marktkonformen Parallelverhalten), bedarf vorliegend keiner Beantwortung. Denn es lagen zum Zeitpunkt des Durchsuchungsbeschlusses bereits konkrete Anhaltspunkte für die weitere Annahme vor, dass die einheitliche Preisgestaltung auf einem koordinierten Verhalten der Marktteilnehmer beruhte.
66Ein dahingehender konkreter Anhalt folgt daraus, dass der Wikipedia-Benutzer „E“ hinsichtlich eines Wikipedia-Eintrags zur Kupferzahl im Rahmen eines seinerseits initiierten Löschungsversuchs mitteilte, dass eine Diskussion zum Thema der Kupferzahl unter den Kabelherstellern stattfinde. Es bestand zunächst eine an konkreten Tatsachen festzumachende Wahrscheinlichkeit, dass diese Aussage dem Kreis der Kabelhersteller zuzuordnen war. Dies folgt bereits aus dem Benutzernamen. Bei der B-B GmbH &Co. KG handelt es sich um einen Kabelhersteller mit einem Gesamtumsatz von rund 400 Millionen Euro. Das Bundeskartellamt hat ferner weitere Ermittlungen hinsichtlich der Urheberschaft des Beitrags angestellt und diese auch belegt. Nach der Internetrecherche des Bundeskartellamtes, insbesondere einem Facebook-Eintrag, spricht eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Beitrag durch eine (ehemalige) Mitarbeiterin des vorbezeichneten Kabelherstellers erfolgte. Wenn aber eine – offensichtlich mit der Materie betraute – Mitarbeiterin eines Kabelherstellers bekundet, dass die Branche der Kabelhersteller über die Kupferzahl spricht, so ist die Annahme nicht fernliegend, dass dies der Wahrheit entspricht. Auch der weitere Schluss, dass Gegenstand solcher Gespräche eine erfolgreiche Koordinierung der Preisgestaltung ist, ist – mit Blick auf die nach damaligem Ermittlungsstand tatsächlich vorgenommene einheitliche Preisgestaltung – alles andere als „ins Blaue hinein“ getätigt, auch wenn insoweit bei erster Betrachtung ein Widerspruch zu der Aussage des Nutzers besteht, dass hinsichtlich der Kupferzahl unter den Kabelherstellern eine Diskussion stattfinde.
67Die mutmaßliche Beteiligung der Beschwerdeführerin an dahingehenden Koordinierungen ergab sich bereits nach damaligem Ermittlungsstand aus Folgendem: Die Beschwerdeführerin ist, gemessen am Gesamtumsatz, einer der führenden Kabelhersteller und bedeutsamer Markteilnehmer. Der Gesamtumsatz betrug im Jahre 2020 über x Milliarden Euro. Die Kammer folgt insoweit der über besondere dahingehende Erfahrung verfügenden Ermittlungsbehörde in der – nachvollziehbaren – Einschätzung, dass eine Kartellabsprache nur funktioniert, wenn sich die wesentlichen Marktteilnehmer daran beteiligen. Ferner waren bereits zum Zeitpunkt des Durchsuchungsbeschlusses, wie dargelegt, konkrete Anhaltspunkte für die Annahme vorhanden, dass es sich um ein die gesamte Branche umfassendes einheitliches Vorgehen handelte. Dieser anhand von Tatsachen begründete Ansatz schließt die Beteiligung der Beschwerdeführerin als einer der wichtigsten Marktteilnehmer notwendigerweise mit ein. Darüber hinaus gehend hat das Bundeskartellamt auch weitere konkrete Ermittlungsergebnisse vorgelegt, die den Rückschluss auf eine Beteiligung der Beschwerdeführerin zulassen. So verwendet auch die Beschwerdeführerin nach den in ihrem Namen veröffentlichte Unterlagen die Grundformel zur Berechnung der Metallzuschläge und weist diese als kalkulatorische bzw. kaufmännische Größe aus. Die Beschwerdeführerin ist auch an dem Preismeldesystem der DEL-Notiz beteiligt; dieses Preismeldesystem findet in die Grundformel Eingang.
68Der Anfangsverdacht ist auch nicht etwa dadurch ausgeräumt, dass die Verwendung der Grundformel sowie der einheitliche Gebrauch von Metallzahlen nach dem Ermittlungsergebnis zum Teil öffentlich seitens der Kabelhersteller bekannt gegeben wurde. Diese Vorgehensweise schließt die Annahme einer Kartellordnungswidrigkeit nicht aus. Insbesondere kann eine solche nicht nur „heimlich“ begangen werden.
69Der Annahme eines Anfangsverdachts steht auch nicht entgegen, dass das Bundeskartellamt in seinem Antrag keine weitergehenden Angaben zu Tatzeit, Tatort und den mutmaßlich auf Seiten der Beschwerdeführerin handelnden Personen getätigt hat. Die Nennung mutmaßlich handelnder Personen war nicht erforderlich. Tatverdächtig war und ist die Beschwerdeführerin, die durch ihre Organe oder durch die von diesen Beauftragten handelt. Aus der eigenständigen Ahndungsmöglichkeit nach § 30 OWiG ergibt sich zugleich, dass die juristische Person wie ein Täter zu behandeln ist und damit auch Träger eines Tatverdachts sein kann (BGH, Beschl v. 23.01.2014, Az. KRB 48/13). Die Feststellung, dass noch nicht einmal für die Verhängung einer Geldbuße gegen ein Unternehmen geklärt sein muss, welche konkrete Person den Verstoß auf den Weg gebracht hat (vgl. BGH, Beschl v. 08.02.1994, Az. KRB 25/93), impliziert, dass erst Recht der Anfangsverdacht kein solches Erfordernis beinhaltet. Hieraus folgt ferner, dass auch keine weitergehenden Angaben zu Tatzeit und Tatort für die Annahme eines Anfangsverdachts formuliert werden müssen. Aus den Umständen, die den Anfangsverdacht begründen, muss sich eine genaue Tatkonkretisierung nicht ergeben (BVerfG, Beschl v. 28.09.2008, Az. 2 BvR 1800/07).
70b.
71Der angegriffene Beschluss ist auch hinreichend bestimmt. Der gerichtliche Durchsuchungsbeschluss dient auch dazu, die Durchführung der Eingriffsmaßnahme messbar und kontrollierbar zu gestalten; dazu muss der Beschluss insbesondere den Tatvorwurf und die zu suchenden Beweismittel so beschreiben, dass der äußere Rahmen abgesteckt wird, innerhalb dessen die Zwangsmaßnahme durchzuführen ist (BVerfG, Beschl v. 24.05.2006, Az. 2 BvR 1872/05). Um die Durchsuchung rechtsstaatlich zu begrenzen, muss der Richter die aufzuklärende Straftat, wenn auch kurz, doch so genau umschreiben, wie es nach den Umständen des Einzelfalls möglich ist (BVerfG aaO).
72Diesen Anforderungen wird der angegriffene Beschluss gerecht. Aus dessen Begründung geht hervor, dass Anlass der Durchsuchung eine mutmaßliche Absprache der Kabelhersteller bei der Berechnung der Metallzuschläge ist. Weiterhin ist dieser zu entnehmen, dass davon ausgegangen wird, dass das Kartell aktuell noch weiter „gelebt“ werde in Gestalt fortwährender Preisanpassungen. Daneben sind auch die aus Sicht der Ermittlungsbehörde aufzufindenden Beweismittel näher beschrieben. Hiermit wurde der äußere Rahmen des u.a. der Beschwerdeführerin zu Last gelegten Vorwurfs hinreichend abgesteckt, um dieser die gebotene Rechtsverteidigung zu ermöglichen und eine „ausufernde“ Durchsuchung zu verhindern.
73c.
74Schließlich ist durch die angegriffene Maßnahme auch der Verhältnismäßikeitsgrundsatz gewahrt, dies insbesondere mit Blick auf die Schwere des der Beschwerdeführerin zur Last gelegten Vorwurfs. Dieser betrifft eine im Rahmen möglicher Kartellordnungswidrigkeiten als besonders schwer einzustufende Preisabsprache.
753.
76Eine für die Beschwerdeführerin nachteilige Entscheidung konnte ergehen, nachdem dieser Akteneinsicht zum Stand der Vollstreckung des verfahrensgegenständlichen Durchsuchungsbeschlusses gewährt wurde. Eine gerichtliche Entscheidung darf nur auf Tatsachen und Beweismittel gestützt werden, die dem Betroffenen durch Akteneinsicht der Verteidigung bekannt sind (BVerfG, Beschl v. 09.09.2013, Az. 2 BvR 533/13). Mit Blick auf den hier maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des angegriffenen Beschlusses zur Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist dies der Fall.
774.
78Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 46 Abs. 1 OWiG, 473 Abs. 1 StPO.