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1.
Der Antrag des Verteidigers Rechtsanwalt A vom 12.04.2024, eingegangen am 14.04.2024, auf Fristverlängerung bis zum 15.05.2024 wird zurückgewiesen.
2.
Die Gesamtfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Bonn vom 20.05.2021, Az. 50 KLs 220 Js 228/20 – 33/20, wird aufgelöst.
3.
Die Einzelstrafe von 90 Tagessätzen zu je 5 Euro Geldstrafe wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln wird erlassen.
4.
Die verbleibenden drei Einzelstrafen wegen Vergewaltigung in zwei Fällen sowie wegen vorsätzlicher Körperverletzung werden auf eine neue Gesamtfreiheitsstrafe von
sechs Jahren acht Monaten
zurückgeführt.
Gründe:
2I.
3Der Verurteilte wurde durch das im Tenor bezeichnete Urteil des Landgerichts Bonn vom 20.05.2021, rechtskräftig seit 18.06.2021, wegen Vergewaltigung in zwei Fällen, wegen vorsätzlicher Körperverletzung sowie wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu der Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren neun Monaten verurteilt.
4Dabei wurden folgende Einzelstrafen verhängt:
5erste Vergewaltigung fünf Jahre sechs Monate
zweite Vergewaltigung drei Jahre sechs Monate
vorsätzliche Körperverletzung neun Monate
Besitz von Betäubungsmitteln 90 Tagessätze zu je 5 Euro
Der unerlaubte Besitz von Betäubungsmitteln betrifft dabei den Besitz von 11,3 g Haschisch im damaligen Haftraum des Verurteilten in der JVA B während einer Strafhaft in anderer Sache.
11Die Staatsanwaltschaft Bonn hat nunmehr mit Verfügung vom 22.03.2024 im Hinblick auf das Inkrafttreten des Cannabisgesetzes (CanG) zum 01.04.2024 bei der Kammer beantragt,
12die verbleibenden Einzelstrafen unter Auflösung der bisherigen Gesamtfreiheitsstrafe auf eine neue Gesamtfreiheitsstrafe von wiederum sechs Jahren neun Monaten zurückzuführen.
13Dieser Antrag ist dem Verurteilten und seiner bisherigen Verteidigung am 28.03.2024 und der Nebenklagevertretung am 01.04.2024 mit der Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen jeweils förmlich zugestellt worden worden.
14Der Verurteilte hat mit Schriftsatz seiner Verteidigerin Rechtsanwältin C vom 08.04.2024 dazu beantragt,
15eine neue Gesamtfreiheitsstrafe festzusetzen, die sechs Jahre sieben Monate nicht übersteigt,
16und ist dazu der Ansicht, es sei nicht nachvollziehbar, warum es bei der ursprünglichen Gesamtfreiheitsstrafe verbleiben solle. Die Kammer habe dem unerlaubten Besitz mit der Geldstrafe von 90 Tagessätzen einen nicht unerheblichen Unrechtsgehalt beigemessen, der nunmehr entfallen sei. Dies unberücksichtigt zu lassen, würde de facto den Willen des Gesetzgebers und die nunmehr geltende Rechtslage ignorieren.
17Der Verteidiger Rechtsanwalt A hat mit Schriftsatz vom 12.04.2024, eingegangen über beA am 14.04.2024, 08.43 Uhr, beantragt, die Frist zur Stellungnahme bis zum 15.05.2024 zu verlängern, weil er vorher keine Rücksprache mit dem Verurteilten halten könne.
18Eine Stellungnahme der Nebenklage ist bis zum 15.04.2024 TE nicht zu den Akten gelangt.
19II.
201.
21Der Antrag der Staatsanwaltschaft Bonn vom 22.03.2024 ist zulässig. Insbesondere ist die Kammer als Gericht des ersten Rechtszugs für die beantragte Bildung einer neuen Gesamtstrafe originär funktionell und sachlich zuständig.
22Die Zuständigkeit der Kammer als Gericht des ersten Rechtszugs ergibt sich aus Art. 316 p EGStGB, der die entsprechende Anwendung des Art. 313 EGStGB anordnet, i.V.m. 313 Abs. 5 EGStGB, der die entsprechende Anwendung der §§ 458 und 462 StPO anordnet. Aus der entsprechenden Anwendung der §§ 462 Abs. 1 S. 1, 462 a Abs. 3 S. 1, 460 StPO ergibt sich, dass für die Bildung neuer Gesamtfreiheitsstrafen in der Abgrenzungssystematik zwischen der Strafvollstreckungskammer einerseits und dem Gericht des ersten Rechtszugs andererseits auch bei inhaftierten Verurteilten, das Gericht des ersten Rechtszugs zur Bildung der neuen Gesamtfreiheitsstrafe berufen ist. Im Hinblick auf die nur „entsprechend“ angeordnete Anwendung gilt dies auch und erst recht dann, wenn die neue Gesamtstrafe nicht aus Einzelstrafen aus verschiedenen Urteilen (so der originäre Anwendungsbereich der §§ 462 a Abs. 3 S. 1, 460 StPO), sondern aus Einzelstrafen aus nur einem einzigen Urteil zu bilden ist. Die Zuständigkeit für die weiteren Entscheidungen der Auflösung der alten Gesamtstrafe und den Erlass der Einzelstrafe(n) für aktuell straffreies und nicht-ordnungswidriges Verhalten fällt dann als Annex ebenfalls in die Zuständigkeit des Gerichts des ersten Rechtszugs und damit der Kammer.
232.
24a)
25Der Antrag auf Fristverlängerung von Rechtsanwalt A vom 12.04.2024 war abzulehnen. Denn zum einen war die dem Verurteilten gesetzte Frist von zwei Wochen nach Zustellung des Schreibens an den Verurteilten in der JVA D am 28.03.2024 (Bl. 1036) gem. § 43 Abs. 1 StPO bereits am Donnerstag, 11.04.2024 TE, abgelaufen, also noch vor dem Datum, unter dem der Schriftsatz von Rechtsanwalt A gefertigt worden war (12.04.2024) und erst recht vor dem Eingang dieses Schriftsatzes beim Landgericht Bonn am 14.04.2024 (Bl. 1037). Zum anderen hatte der Verurteilte inzwischen durch Rechtsanwältin C innerhalb der ihm gesetzten Frist eine Stellungnahme bereits abgegeben (Bl. 1033).
26b)
27Die aus dem Tenor ersichtlichen Entscheidungen beruhen zu Ziff. 2 und 3. des Tenors auf Artt. 316 p, 313 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 EGStGB.
28Denn mit dem Inkrafttreten des Cannabisgesetzes (CanG) zum 01.04.2024 (vgl. BGBl. I 2024 Nr. 109 vom 27.03.2024) ist der Besitz vom 11,3 g Haschisch zum Eigenkonsum innerhalb des Haftraums, der jedenfalls bei Strafgefangenen der Wohnung gleichsteht, nicht mehr strafbar und ist auch nicht – als Ordnungswidrigkeit – mit einer Geldbuße belegt, sondern gem. § 3 Abs. 2 Nr. 1 Konsumcannabisgesetz (KCanG) für Personen über 18 Jahre ausdrücklich erlaubt, weil die Menge 50 g nicht übersteigt. Dies führt dazu, dass dem Verurteilten – unter Auflösung der bisherigen Gesamtstrafe – die Einzelstrafe von 90 Tagessätzen zu je 5 Euro nunmehr zu erlassen war.
29c)
30Die Festsetzung der neuen Gesamtfreiheitsstrafe in Ziff. 4 des Tenors war gem. Artt. 316 p, 313 Abs. 4 S. 1 EGStGB, i.V.m. § 54 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 1 StGB durch Erhöhung der höchsten Einzelstrafe zu bilden, ohne die Summe aller einzubeziehenden Einzelstrafen zu erreichen. Daher stand der Kammer zunächst ein Gesamtstrafenrahmen von fünf Jahren sieben Monaten bis zu neun Jahren acht Monaten zur Verfügung, wobei die neue Gesamtstrafe wegen des Verböserungsverbotes allerdings sechs Jahre neun Monate nicht wird übersteigen durfte.
31Die Kammer hat sodann sämtliche für und gegen den Verurteilten im Urteil der Kammer vom 20.05.2021, Az. 50 KLs 33/20, zu den einzelnen Strafen aufgeführten strafmildernden und straferschwerenden Gründe (Abschn. E. II. S. 41 – 44 des Urteils; Bl. 233 – 236 Prot.-u.-Urt.-Band), auf die hier ausdrücklich Bezug genommen wird, nochmals umfänglich gegeneinander abgewogen, dabei auch gem. § 46 Abs. 1 S. 2 StGB die Auswirkungen bedacht, die von der Gesamtstrafe für das künftige Leben des Verurteilten ausgehen werden, und hält danach eine Gesamtfreiheitsstrafe von
32sechs Jahren acht Monaten
33für erforderlich, aber auch ausreichend, um dem Unrechtsgehalt der verbleibenden Taten und der Schuld des Verurteilten gerecht zu werden.
Gegen diesen Beschluss kann sofortige Beschwerde eingelegt werden. Diese ist zur Wahrung der Frist
35binnen einer Woche
36schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle der Strafkammer des Landgerichts Bonn einzulegen, und zwar so rechtzeitig, dass sie innerhalb der Frist bei Gericht eingegangen ist. Die Einlegung der sofortigen Beschwerde kann auch innerhalb der genannten Frist zu Protokoll der Geschäftsstelle des Amtsgerichts erfolgen, in dessen Bezirk die Anstalt oder Einrichtung liegt, in der der Beschwerdeführer einsitzt. Die Wochenfrist endet mit dem Tag, der in seiner Bezeichnung dem Tag entspricht, an dem die Zustellung dieses Beschlusses erfolgt ist (Beispiel: Zustellung Mittwoch; Fristende: Mittwoch der folgenden Woche).