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für Recht erkannt:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
Tatbestand
2Die Parteien streiten um Zahlungsansprüche der Klägerin aus einem mit der Beklagten im Rahmen der COVID-19-Pandemie geschlossenen Vertrag über die Lieferung von Atemschutzmasken, die letztlich nicht erfolgt ist.
3Im Rahmen eines sogenannten Open-House-Verfahrens, bei dem der öffentliche Auftraggeber nicht nur mit einem oder einer von Anfang an bestimmen Anzahl von Unternehmen einen Liefer- oder Dienstleistungsvertrag abschließt, sondern zu vorher vorgegebenen Konditionen mit allen interessierten Unternehmen kontrahieren will, veröffentlichte die Beklagte am 27.03.2020 die Auftragsbekanntmachung mit der Referenznummer N01 im „Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union“ für das europäische öffentliche Auftragswesen sowie in dessen Online-Version „Tenders Electronic Daily“ zur Beschaffung persönlicher Schutzausrüstung. Zugänglich gemacht wurden ferner die Aufforderung zur Angebotsabgabe, das Angebotsformular, das Vertragsformular über die Lieferung von Schutzausrüstung, die Leistungsbeschreibung, die Teilnahmebedingungen sowie die Hinweise zum Datenschutz (vgl. zu den Unterlagen Anlage K1, Bl. 39 ff. d.A.).
4Gegenstand der Ausschreibung war ausweislich der Leistungsbeschreibung die Lieferung von Schutzmasken („FFP2-Masken“) zu einem Stückpreis von 4,50 EUR netto, von OP-Masken zu einem Stückpreis von 0,60 EUR netto sowie Schutzkitteln zu einem Stückpreis von 3,25 EUR netto.
5Ziffer II.2.4) der Auftragsbekanntmachung lautete – nach erfolgter Berichtigung/ Bekanntmachung über Änderungen oder zusätzliche Angaben am 08.04.2020 – wie folgt:
6„[…] Das Vertragssystem beginnt ab sofort zu laufen und endet mit Ablauf des 08.04.2020. Zu berücksichtigten ist jedoch, dass spätester Liefertermin der 30.04.2020 innerhalb der üblichen Geschäftszeiten der L Stiftung & Co. KG […] ist.“
7Auch die Aufforderung zur Angebotsabgabe und die Teilnahmebedingungen enthielten unter Ziff. 3.1 bzw. III. jeweils einen Hinweis auf den genannten Liefertermin zum 30.04.2020.
8Der „Gegenstand des Vertrages“ ist in dem Vertragsformular über die Lieferung von Schutzausrüstung (Anlage 4 der Vergabeunterlagen, Bl. 15 d.A.) unter § 1 S. 1 zunächst wie folgt definiert:
9„Gegenstand des Vertrages ist die Lieferung von Produkten folgender Produktgruppe(n):
101. FFP2 Masken Menge in Stück: Klicken Sie hier, um Text einzugeben.
112. OP-Masken Menge in Stück: Klicken Sie hier, um Text einzugeben.
123. Schutzkittel Menge in Stück: Klicken Sie hier, um Text einzugeben.“
13Der Auftragnehmer konnte insoweit lediglich die zu liefernde Stückzahl eingeben.
14§ 2 Ziffer 2.1 lautet unter der Überschrift „Vertragsbestandteile“ wie folgt:
15„Folgende Unterlagen und Bestimmungen sind in Ergänzungen der Regelungen dieses Vertrages Bestandteile des Vertragsverhältnisses:
16a. die Leistungsbeschreibung mit den Stückpreisen für die einzelnen Produktgruppen Anlage 1“
17(einen entsprechenden Buchstaben b. weist das Vertragsdokument nicht auf)
18§ 3 Ziffer 3.1 lautet wie folgt:
19„Die von dem AN zu liefernden Produkte einer Produktgruppe i.S.d. § 1 dieses Vertrags werden durch die Leistungsbeschreibung (Anlage 1) näher bestimmt.“
20In § 3 Ziffer 3.2 heißt es zur Lieferung:
21„Die Lieferung der Produkte hat an die L Stiftung & Co. KG […] während der üblichen Geschäftszeiten zu erfolgen; […]. Die Lieferung ist der L Stiftung & Co. KG in Textform mit einer Frist von mindestens drei Kalendertagen vor dem Liefertermin anzukündigen. Spätester Liefertermin ist der 30.04.2020 innerhalb der Geschäftszeiten gemäß S.1. Bei Nichteinhaltung des spätesten Liefertermins entfallen die gegenseitigen Pflichten der Vertragspartner; eine verspätete Lieferung stellt keine Erfüllung des Vertrages durch den AN dar (absolutes Fixgeschäft).“
22§ 5 bestimmt in Bezug auf die Zahlung:
23„5.1 Der AG zahlt die vereinbarte Vergütung bargeldlos binnen einer Woche nach erfolgter Lieferung und Eingang einer den Vorschriften des Umsatzsteuerrechts entsprechenden Rechnung bei der L Stiftung & Co. KG […] auf das von dem AN angegebene Konto.
245.2 Jede Zahlung erfolgt unter dem Vorbehalt des Anspruchs auf Rückerstattung wegen nicht oder mangelhaft erbrachter Leistungen. Der AN kann sich gegenüber einer berechtigten Rückforderung des AG nicht auf den Wegfall der Bereicherung berufen. Ist der Zahlungseingang bei dem AG nicht innerhalb von 7 Kalendertagen nach Zugang eines Rückforderungsschreibens festzustellen, befindet sich der AN spätestens ab diesem Zeitpunkt mit seiner Rückzahlungsverpflichtung in Verzug und hat an den AG Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gemäß § 247 BGB zu zahlen.“
25§ 6 Ziff. 6.1 hat folgenden Inhalt:
26„Für Sach- und Rechtsmängelansprüche gelten die gesetzlichen Vorschriften, soweit nachfolgend nichts anderes bestimmt ist.“
27Ziff. 6.2 regelt dann eine Untersuchungs-/Rügeobliegenheit des Auftraggebers bei offen zutage tretenden Mängeln.
28Ferner heißt es dort unter § 7 Ziffer 7.1 des Vertrages:
29„Der Vertrag tritt mit Zuschlagserteilung des AG auf das im Open-House-Verfahren abgegebene Angebot des AN in Kraft und endet mit Ablauf des 30.04.2020. Die durch eine innerhalb der Vertragslaufzeit erfolgte Lieferung begründeten Rechte und Pflichten des AN und AG bestehen nach Vertragsschluss fort.“
30Anlage 1 zum Vertrag beinhaltete die Leistungsbeschreibung (Anlage 3 der Vergabeunterlagen, Bl. 18 d.A.). Im Hinblick auf sogenannte FFP2-Schutzmasken wurde folgendes festgehalten:
31„FFP2 Masken
32Beschreibung:
33Atmungsaktives Design, das nicht gegen den Mund zusammenfällt (z.B. Entenschnabel, becherförmig)
34Versehen mit einer Metallplatte an der Nasenspitze
35Kann wiederverwendbar* (aus robustem Material, das gereinigt und desinfiziert werden kann) oder Einwegartikel sein
36Normen/Standards:
37- Atemschutzgerät "N95" gemäß FDA Klasse II, unter 21 CFR 878.4040, und CDC NIOSH, oder "FFP2" gemäß EN 149
38Verordnung 2016/425 Kategorie III
39oder gleichwertige Normen, auch KN95 (CHN)“
40Die Klägerin gab am 08.04.2020 ein Angebot ab, das am 10.04.2020 den Zuschlag erhielt. Die Parteien einigten sich über die Lieferung von 10.000.000 FFP2-Masken und weitere 10.000.000 OP-Masken für einen Gesamtbetrag in Höhe von 51.000.000,- EUR netto bzw. 60.690.000,- EUR brutto (Anlagen K7 bis K13, Bl. 58 ff. d.A.).
41Die Anlieferungen der Masken wurden im Auftrag der Beklagten durch die L Stiftung & Co. KG (nachfolgend „L“) sowie die im fortgeschrittenen Stadium des Open-House-Verfahrens involvierte A GmbH (nachfolgend „A“) koordiniert. Nach Ankündigung einer Anlieferung durch den Auftragnehmer wiesen die Logistiker der geplanten Anlieferung eine oder mehrere Avisierungsnummern zu und teilten die Lieferadresse mit. Infos zur Anlieferung wurden den Verkäufern per Checkliste als Anlage zum Zuschlagsschreiben (Anlage K14, Bl. 71 d.A.), per FAQ vom 15.04.2020 (Anlagen K15 ff., Bl. 72 ff. d.A.) sowie per E-Mails vom 23.04.2024 (Anlage K20, Bl. 79 d.A.) und 02.05.2020 (Anlage K24, Bl. 84 d.A.) zur Verfügung gestellt.
42Die Klägerin schloss am 24.04.2020 einen Vertrag mit der B GmbH (im Folgenden „B“, heutiger Name B1 GmbH) über die Lieferung der für die Erfüllung des streitgegenständlichen Open-House-Vertrages erforderlichen 10 Millionen FFP2-Masken und 10 Millionen OP-Masken. B übernahm daraufhin die Abwicklung und Koordination der Anlieferung für die Klägerin, aber u.a. auch für die C GmbH. B teilte L mit, für welche Unternehmen sie die Abwicklung übernommen habe (Anlage K27, Bl. 93 f. d.A.).
43Die Klägerin avisierte am 27.04.2020 die Anlieferung der vereinbarten Schutzmasken (Anlage K22, Bl. 82 d.A.). Die Fa. L, Herr D, wies der Fa. B, Herrn E, unter dem 30.04.2020 um 14:07 Uhr 71 Anlieferslots am 07. und 08.05.2020 zu (Anlagen K28 & K29, Bl. 96 ff. d.A.). Mit E-Mail vom 06.05.2020 teilte L mit, dass die 71 Liefertermine in F wie telefonisch besprochen auf den 12. & 13.05.2020 in G verschoben würden (Anlagen K31 f., Bl. 99 ff. d.A.). Mit E-Mail vom 07.05.2020 bedankte sich B und bat um Übersendung der genauen Lieferadresse (Anlage K33, Bl. 102 f. d.A.).
44Am 12.05.2020 um 5:24 Uhr teilte B mit, dass die LKW für die Klägerin und für die Fa. C ab 12 Uhr bei L anrollen würden (Anlage K37, Bl. 109 f. d.A.). L teilte um 7:53 Uhr mit, irritiert zu sein, da Termine für den gesamten Tag ab 6:00 Uhr geblockt seien; es sollten nun schnellstmöglich die vereinbarten Termine wahrgenommen werden (Anlage K38, Bl. 111). Darauf antwortete B um 7:59 Uhr, dass ihre Logistiker alles dafür täten, um die beiden Aufträge bis morgen Nachmittag abgewickelt zu bekommen (Anlage K39, Bl. 112 d.A.). L erwiderte um 8:13 Uhr, das neue Slots erst ab Mitte kommender Woche verfügbar seien; wenn eine vollständige Anlieferung im Rahmen der vereinbarten Slots erfolge, müssten keine neuen vergeben werden (Anlage K40, Bl. 114 d.A.). Auf Vorschläge von B zum weiteren Vorgehen (Anlage K41, Bl. 115 f. d.A.) antwortete L um 11:30 Uhr, dass man gerne so verfahren könne, sofern die Anlieferung innerhalb der vereinbarten Slots möglich sei; sollte die Neuvergabe der Termine nötig sein, müsse man den Fall an das BMG weiterleiten (Anlage K42, Bl. 117 f. d.A.). Nachdem bis um 16.00 Uhr keine LKW angekommen waren, bat L um eine Info, ob die Termine für den Folgetag wahrgenommen würden. Mit E-Mail um 16:45 Uhr teilte L zudem mit, dass B gerne die übrig gebliebenen Termine für heute sowie die 31 Termine für die Anlieferung morgen nutzen könne (Anlage K45, Bl. 122 f. d.A.).
45Tatsächlich kam um 16:23 Uhr nur ein einziger LKW von B mit Masken für C bei L an. Weitere FFP2- und OP-Masken der Klägerin sind weder am 12. noch am 13.05.2020 angeliefert worden. Auch für die Fa. C wurden anstelle geschuldeter 25 Millionen lediglich 340.000 Stück FFP2-Masken angeliefert.
46Mit E-Mail vom 17.05.2020 bat die Klägerin die Beklagte, ihr Termine für die Anlieferung ihrer Ware zu erteilen (Anlage K46, Bl. 124 d.A.). Einen Tag später erneuerte die Klägerin ihre Bitte (Anlage K47, Bl. 125 d.A.).
47Mit E-Mail vom 28.05.2020 lehnte die Beklagte eine Lieferung der zwei Mal 10.000.000 Schutzmasken ab, da B trotz eines Lieferslots für den 12./13.05.2020 diesen nicht für die Lieferung wahrgenommen habe. Ferner erklärte sie den Rücktritt vom Vertrag (Anlage K48, Bl. 126 d.A.).
48Mit anwaltlichem Schreiben vom 18.06.2020 (Anlage K49, Bl. 128 ff. d.A.) forderte die Klägerin die Entgegennahme der Ware bzw. Bekanntgabe eines Lieferslots bis zum 01.07.2020. Dies wurde seitens der Beklagten abgelehnt (Anlage K50, Bl. 133 ff. d.A.). Für die Aufforderung entstanden der Klägerin außergerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 137.589,50 EUR (Anlage K52, Bl. 144 d.A.), von denen sie 10.000,- EUR bereits beglichen hat.
49Mit Schreiben vom 28.04.2020 (Anlage B6, Bl. 401 d.A.) hatte die Klägerin der Beklagten mitgeteilt, dass sie etwaige Forderungen ihr – der Beklagten – gegenüber aus dem Open-House-Verfahren für Schutzausrüstung an die B GmbH abtrete. Diese sei künftig ausschließlicher Zahlungsempfänger. Die Abtretung sei unwiderruflich. Dem Schreiben war eine Bestätigung von Zedentin und Zessionarin beigefügt.
50Per E-Mail vom 05.06.2020 übersandte die Klägerin der Beklagten ein Schreiben der B an die Klägerin mit dem Betreff „Rücknahme Forderungsabtretung“, wonach diese aus der Forderungsabtretung keine Rechte mehr herleite (Anlagen K60 und K61, Bl. 556 f. d.A.).
51Die Klägerin ist der Ansicht, der Rücktritt der Beklagten sei unwirksam. Die Beklagte hätte zuvor eine Nachfrist setzen müssen, da es sich bei dem Vertrag nicht um ein Fixgeschäft handele. Ein solches sei weder im Open-House-Vertrag vereinbart worden noch habe sich dies aufgrund sonstiger Umstände bei Vertragsschluss ergeben. Eine Fixabrede durch Allgemeine Geschäftsbedingungen sei nicht wirksam; einer unwirksamen Klausel könne auch nicht im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung zur Wirksamkeit verholfen werden. Die Annahme umfangreicher Maskenlieferungen durch die Beklagte nach dem 30.04.2020 sei im Rahmen der Auslegung ihres Willens zum Abschluss eines Fixgeschäfts erheblich. Die Auslegung der erkennenden Kammer zu den Rechtsfolgen eines absoluten Fixgeschäfts sei evident falsch. Zudem wäre ein etwaiges Fixgeschäft durch erstmalige Festlegung der Anliefertermine, spätestens aber durch Verschiebung der Anliefertermine beseitigt worden. Aufgrund dieser individualvertraglich zustande gekommenen Änderung des Open-House-Vertrages hätten die Parteien einen etwaigen Fixcharakter (gleich ob relativ oder absolut) beseitigt. Hilfsweise sei der Rücktritt wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG unwirksam. Sie – die Klägerin – treffe auch keine Vorleistungspflicht, da diese wegen des unberechtigten Rücktritts entfallen sei.
52Sie beantragt daher,
531. die Beklagte zu verurteilen, an sie € 60.690.000,00 nebst Zinsen in Höhe von 9 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 29.05.2020 zu zahlen;
542. festzustellen, dass sich die Beklagte seit dem 28.05.2020 in Verzug befindet mit der Annahme von 10.000.000 FFP2 Masken und 10.000.000 OP-Masken, die gemäß § 2 Ziffer 2.1, § 3 Ziffer 3.1. des Vertrags über die Lieferung von Schutzausrüstung der Parteien vom 08./10.04.2020 der folgenden Leistungsbeschreibung zu entsprechen haben:
55Produktgruppe Preis pro Stück (€) netto
56_____________________________________________________________
57FFP2 Masken 4,50
58Beschreibung:
59• Atmungsaktives Design, das nicht gegen den Mund zusammenfällt (z.B. Entenschnabel, becherförmig)
60• Versehen mit einer Metallplatte an der Nasenspitze
61• Kann wiederverwendbar* (aus robustem Material, das gereinigt und desinfiziert werden kann) oder Einwegartikel sein
62Normen/Standards:
63- Atemschutzgerät "N95" gemäß FDA Klasse II, unter 21 CFR 878.4040, und CDC NIOSH, oder "FFP2" gemäß EN 149 Verordnung 2016/425 Kategorie III oder gleichwertige Normen, auch KN95 (CHN)
64_____________________________________________________________
65OP-Masken 0,60
66Beschreibung:
67• Hohe Flüssigkeitsresistenz
68• Gute Atmungsaktivität
69• Innen- und Außenflächen sind eindeutig gekennzeichnet
70• Design, das nicht gegen den Mund zusammenfällt (z.B. Entenschnabel, becherförmig)
71Normen/Standards:
72- EN 14683 Typ IIR Leistung
73- ASTM F2100 Stufe 2 oder Stufe 3 oder gleichwertig
74- Flüssigkeitswiderstand bei einem Druck von mindestens 120 mmHg basierend auf ASTM F1862-07, ISO 22609 oder gleichwertig
75- Atmungsaktivität: MIL-M-36945C, EN 14683 Anhang C, oder gleichwertig
763. die Beklagte zu verurteilen, an sie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von € 10.000,00 nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;
774. die Beklagte zu verurteilen, sie von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von € 127.589,50 freizustellen.
78Die Beklagte beantragt,
79die Klage abzuweisen.
80Sie ist der Ansicht, die Klägerin sei aufgrund der Abtretung an B schon nicht aktivlegitimiert. Das Schreiben vom 30.04.2020 stelle gerade keine Rückabtretung der etwaig bestehenden Kaufpreisforderung, sondern lediglich einen Verzicht auf die Geltendmachung von Rechten aus dem Abtretungsvertrag dar. In der Sache habe man sich einvernehmlich auf den 12. und 13.05.2020 für die Lieferung festgelegt; die Klägerin habe dann ihre vertragliche Lieferverpflichtung nicht erfüllt. Nach ihrer Auffassung seien die beteiligten Logistikunternehmen nicht bevollmächtigt gewesen, für sie – die Beklagte – zu handeln. Bei dem Vertrag handele es sich um ein relatives Fixgeschäft; es sei bereits vor und auch bei Vertragsschluss ohne Weiteres ersichtlich gewesen, dass die vertraglich vereinbarte Lieferfrist von erheblicher Bedeutung sein würde. Die Fixabrede verstoße auch nicht gegen AGB-Recht. Hilfsweise ergäbe sich aus § 306 Abs. 2 BGB die Vereinbarung eines relativen Fixgeschäfts. Dieses sei auch weder durch ein Verhalten bei der Abwicklung der Open-House-Verträge abbedungen worden noch seien die nach Vertragsschluss abgewickelten Einzelfälle bei der Auslegung der Fixabrede zu berücksichtigen. Hilfsweise stünde ihr ein Anspruch auf Vertragsanpassung aus dem Vertrag, äußerst hilfsweise aus § 313 BGB zu, da sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrages geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert hätten. Die Klägerin wäre zudem selbst für den Fall eines unwirksamen Rücktritts zur Vorleistung verpflichtet.
81Entscheidungsgründe
82A.
83Die zulässige Klage ist unbegründet.
84I.
85Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung von 60.690.000,- EUR aus § 433 Abs. 2 BGB i.V.m. dem Open-House-Vertrag vom 08./10.04.2020. Die geltend gemachten Verzugszinsen sind damit ebenfalls nicht zuzusprechen.
861.
87Die Klägerin ist zwar aktivlegitimiert bezüglich der Ansprüche aus dem Vertrag.
88Unstreitig hat die Klägerin ihre Ansprüche an B abgetreten und dies der Beklagten unter dem 28.04.2020 angezeigt.
89Durch die sogenannte „Rücknahme Forderungsabtretung“ hat B die entsprechenden Ansprüche jedoch wieder an die Klägerin zurück abgetreten. Eine Auslegung des Schreibens vom 30.04.2020 ergibt, dass B damit nicht nur auf die Geltendmachung entsprechender Rechte gegenüber der Klägerin verzichten wollte, sondern die Parteien der Zession erkennbar die Forderungsinhaberschaft wieder bei der ursprünglichen Inhaberin, also der Klägerin verorten wollten. Hierfür spricht zunächst der Begriff „Rücknahme Forderungsabtretung“, der suggeriert, dass hier die wenige Tage zuvor vorgenommene Zession rückabgewickelt werden sollte. Des Weiteren ist kein Anhaltspunkt dafür erkennbar, weshalb es dem Interesse der Vertragsparteien des Abtretungsvertrages entsprochen hätte, die ursprünglich bei der Klägerin entstandenen Forderungen im Vermögen von B zu belassen, dieser aber zugleich die Möglichkeit zu nehmen, hieraus Rechte herzuleiten.
902.
91Der ursprünglich einmal in geltend gemachter Höhe entstandene Anspruch ist jedoch gemäß § 3 Ziff. 3.2 S. 4 des OH-Vertrages mit Nichtanlieferung der 2 x 10.000.000 Masken am 12./13.05.2020 untergegangen.
92a)
93Nach Ansicht der Kammer haben die Parteien mit dieser Klausel wirksam die Rechtsfolgen eines absoluten Fixgeschäfts für den Fall vereinbart, dass bis zum Stichtag 30.04.2020 überhaupt keine Lieferung erfolgt. An der ursprünglich einmal vertretenen, abweichenden Rechtsauffassung betreffend ein relatives Fixgeschäft hält die Kammer bereits seit einiger Zeit nicht mehr fest.
94aa)
95Die Klausel sollte für den Fall der nicht rechtzeitigen Lieferung die Rechtsfolgen herbeiführen, wie sie sonst bei einem absoluten Fixgeschäft im Falle eines Fristablaufs eingetreten wären, und nicht etwa nur ein relatives Fixgeschäft begründen.
96Die Annahme einer irrtümlichen Falschbezeichnung und damit einer übereinstimmenden Parteivereinbarung eines relativen Fixgeschäfts, wie von der Beklagten vertreten, begegnet insoweit Bedenken, als diese in § 3 Ziff. 3.2 des Vertrags a.E. in Klammern nicht nur von einem absoluten Fixgeschäft gesprochen, sondern auch eine Art Legaldefinition des von ihr gewählten Begriffs aufgestellt hat: „Bei Nichteinhaltung des spätesten Liefertermins entfallen die gegenseitigen Pflichten der Vertragspartner; eine verspätete Lieferung stellt keine Erfüllung des Vertrages durch den AN dar“. Dies stellt gerade die übliche Rechtsfolge eines (im Gesetz gar nicht ausdrücklich geregelten) absoluten Fixgeschäftes dar.
97Unter einem absoluten Fixgeschäft versteht man einen Vertrag, bei dem die Leistungszeit derart wichtig ist, dass die Leistung nur zu einem bestimmten Zeitpunkt, danach aber überhaupt nicht mehr erbracht werden kann, weil sie jetzt eine völlig andere wäre, mit der der Leistungszweck des Gläubigers nicht mehr verwirklicht werden kann. In diesen Fällen bedeutet eine Verzögerung der Leistung über den hier meist kurz bemessenen Erfüllungszeitraum hinaus Unmöglichkeit der Leistung im Sinne von § 275 BGB (MüKoBGB/Ernst, 9. Aufl. 2022, BGB § 275 Rn. 58).
98Vorliegend ist es zwar zutreffend, dass die Beklagte auch nach dem 30.04.2020 noch ein Interesse an der Lieferung von Schutzausrüstung gehabt haben dürfte, also tatsächlich keine Unmöglichkeit eingetreten ist und damit an sich auch kein absolutes Fixgeschäft vorlag. Würde man aber darauf abstellen, ob die Voraussetzungen eines absoluten Fixgeschäftes Ende April 2020 tatsächlich vorlagen, käme es auf die Regelung in § 3 Ziff. 3.2 des Vertrags überhaupt nicht an, sondern würden die entsprechenden Rechtsfolgen ggf. kraft Gesetzes eintreten.
99Maßgeblich für die Auslegung des Vertragsinhalts ist jedoch nicht die tatsächliche Interessenlage der Vertragsparteien zum Zeitpunkt der Vertragserfüllung, sondern vielmehr der – ggf. durch Auslegung zu ermittelnde – Inhalt der entsprechenden Vertragsklausel, wobei im Ausgangspunkt auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses abzustellen ist. Es ist also zu ermitteln, welchen Inhalt die Beklagte, welche den Vertrag hat gestalten lassen und in den Verkehr gegeben hat, den einzelnen Regelungen beimessen wollte und wie die Klagepartei als objektiver Erklärungsempfänger diese Regelungen damals verstehen durfte. Die Beklagte wollte über in § 3 Ziff. 3.2 des Vertrages für den Fall der Nichteinhaltung des spätesten Liefertermins aber erkennbar die Rechtsfolgen herbeiführen, die für den Fall, dass diese Nichteinhaltung der Frist eine Nichterreichbarkeit des beabsichtigten Zwecks der geschuldeten Leistung und damit eine rechtliche Unmöglichkeit zur Folge gehabt hätte, ansonsten nach § 275 Abs. 1 BGB eingetreten wären. Es sollte also gewissermaßen fingiert werden, dass nach dem vereinbarten Termin der Vertragszweck nicht mehr erreicht werden könne, auch wenn dies tatsächlich noch der Fall gewesen wäre. Nur so ergibt auch der in Klammern gesetzte Zusatz „absolutes Fixgeschäft“ inhaltlich einen Sinn. Dieser Erklärungswille ist bei Vertragsschluss auch unzweifelhaft zum Ausdruck gekommen, indem nicht nur der Stichtag an den verschiedensten Stellen der Ausschreibung immer wieder herausgestellt, sondern auch zusätzlich in § 3 Ziff. 3.2 des Vertrages betont worden ist, dass die gegenseitigen Pflichten der Vertragspartner entfallen und eine verspätete Lieferung keine Vertragserfüllung darstellen solle. Es war damit unmissverständlich klargemacht worden, dass mit dem Verstreichenlassen der vertraglich vereinbarten Frist keine nachträgliche Erfüllung mehr möglich sein sollte. Die Klausel war auch für den jeweiligen Vertragspartner eindeutig dahingehend zu verstehen, dass die Einhaltung der genannten Frist für die Beklagte nicht nur wichtig, sondern darüber hinaus sogar essentiell für den Fortbestand des Vertrages war. Daran, dass keine Möglichkeit der nachträglichen Lieferung möglich sein sollte, konnte nach dem gewählten Wortlaut kein Zweifel bestehen.
100Dass mit der Klausel tatsächlich (nur) die Voraussetzungen von § 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB vereinbart werden sollten, ist dagegen mit dem Wortlaut nicht zu vereinbaren. Wie bereits dargestellt, passt schon die in § 3 Ziff. 3.2 des Vertrages festgelegte Rechtsfolge nicht. Insbesondere würden ihr die Vereinbarungen, dass „die gegenseitigen Pflichten der Vertragspartner“ entfallen sollen und dass „eine verspätete Lieferung […] keine Erfüllung des Vertrages durch den AN dar[stellt]“, entgegenstehen. Beim relativen Fixgeschäft kann zwar eine Rücktrittserklärung ohne Nachfristsetzung erklärt werden, dies muss aber nicht geschehen; die Vertragspflichten würden im letzten Fall unverändert fortbestehen und nicht – wie in der Klausel vorgesehen – automatisch entfallen. Selbst für den Fall, dass § 376 HGB einschlägig sein sollte, könnte der dort vorgesehene Automatismus durch eine sofortige Erklärung des Gläubigers abgewendet werden. Gerade dieser in der Klausel unmissverständlich vorgesehene und ohne Modifikation des Vertrages auch nicht abwendbare Automatismus bezüglich der Rechtsfolgen ist dem relativen Fixgeschäft fremd.
101Ob sich diese Regelung ex post für die Beklagte als notwendig oder wenigstens sinnvoll herausgestellt hat, ist bei der Frage der Auslegung des Vertragsinhalts nicht maßgeblich.
102Klarzustellen ist, dass etwaige Tatsachen im Nachgang zu dem Vertragsschluss, insbesondere der Umstand, dass die Beklagte aus verschiedensten Gründen Schutzausrüstung auch nach dem 30.04.2020 angenommen hat, zwar im Falle von Auslegungszweifeln herangezogen werden, sich aber nicht rückwirkend auf den Inhalt der Erklärungen zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses auswirken können.
103bb)
104§ 3 Ziff. 3.2 des Open-House-Vertrages ist nicht etwa deswegen nicht wirksam in den Vertrag einbezogen worden, weil er überraschend im Sinne von § 305c BGB wäre.
105(1)
106Einer Klausel muss, soll sie durch die negative Einbeziehungskontrolle ausgeschieden werden, neben der objektiven Ungewöhnlichkeit ein subjektives Element, konkret ein „Überrumpelungs- oder Übertölpelungseffekt“ innewohnen. Der Vertragspartner muss auf Grund der erheblichen Diskrepanz zwischen der beachtlichen Kundenerwartung und dem tatsächlichen Regelungsgehalt der Klausel im Zeitpunkt des Vertragsschlusses überrascht werden, weil er mit der durch sie eingeführten Regelung vernünftigerweise nicht habe rechnen müssen (BeckOK BGB/H. Schmidt, 68. Ed. 1.11.2023, BGB § 305c Rn. 18 m.w.N.).
107(2)
108Eine Überrumpelung der jeweiligen Vertragspartner des Open-House-Vertrages nach § 305c BGB kann angesichts der eindeutigen, mehrfachen und hinsichtlich der optischen Vertragsgestaltung nicht im Ansatz verborgenen Regelung nicht erkannt werden.
109Dabei sind auch die Besonderheiten des hier streitgegenständlichen Vertragsschlusses im Open-House-Verfahren zu berücksichtigen. Es liegt in der Natur dieses Verfahrens, dass dabei gerade keine individuellen Vertragsverhandlungen geführt werden. Die potentiellen Vertragspartner werden ausschließlich über die Bekanntmachungen des öffentlichen Auftraggebers über den Inhalt des beabsichtigten Liefervertrages informiert. Alleine aufgrund eines dann abgegebenen Angebots war die Beklagte – die Erfüllung der Teilnahmebedingungen unterstellt – verpflichtet, den Zuschlag zu erteilen. Für individuelle Zusatzverhandlungen mit den einzelnen Lieferanten bestand damit überhaupt keine Möglichkeit. Mangels vergleichbarer Ereignisse vor der COVID-19-Pandemie konnten die Lieferanten auch nicht auf Grundlage früherer Lieferverhältnisse von „üblichen“ Bedingungen ausgehen; dem gesamten Ausschreibungs- und Lieferprozess lag vielmehr die Einzigartigkeit der damaligen Ausnahmesituation zugrunde. Jegliche Erwartung der interessierten Lieferanten konnte damit ausschließlich durch die in den Bekanntmachungsunterlagen enthaltenen Beschreibungen geweckt werden. Es wird aber bereits in der Rubrik „Kurze Beschreibung“ zum Umfang der Beschaffung mitgeteilt, dass spätester Liefertermin der 30.04.2020 sei. Die Angabe wird unter „Beschreibung der Beschaffung“ wiederholt. Auch in den Teilnahmebedingungen erfolgt zum Ablauf des Zulassungsverfahrens ein entsprechender unmissverständlicher Hinweis. Sämtliche Lieferanten waren also bereits durch die entsprechenden deutlichen Hinweise in den vorvertraglichen Dokumenten auf den spätesten Liefertermin und auch auf dessen Relevanz hingewiesen worden. Das gesamte Open-House-Verfahren war erkennbar durch einen im Einzelnen vorgegebenen zeitlichen Ablaufplan gekennzeichnet.
110Ebenfalls nicht unberücksichtigt bleiben darf, dass im Vertrag selbst die Information zur besonderen Wichtigkeit der Frist in unmittelbarer Nähe zum spätesten Liefertermin enthalten ist (vgl. Ebenroth/Boujong/Achilles, 5. Aufl. 2024, HGB § 376 Rn. 15). Bei letzterem handelt es sich um einen essentiellen Bestandteil der Pflichten des Lieferanten, sodass unterstellt werden kann, dass ein Interessent die entsprechende Regelung gerade nicht AGB-typisch überlesen, sondern vielmehr für seine Entscheidung, ob er ein Angebot abgibt, beachten und ggf. sogar aktiv suchen wird. Den Formulierungen im Vertrag war zudem zu entnehmen, dass die genannte Frist nicht nur besonders wichtig, sondern sogar der Fortbestand des Vertrages daran geknüpft sein sollte.
111Die hier zu beurteilende Situation ist daher auch nicht vergleichbar mit dem Aluminiumkapsel-Fall des BGH (Urteil vom 17.01.1990 – VIII ZR 292/88 = NJW 1990, 2065). Dort ergab sich die Fixabrede aus den rückseitig auf die Auftragsbestätigung aufgedruckten AGB des Käufers, ohne dass der Vertrag oder die ihn begleitenden Umstände überhaupt einen Anhaltspunkt für eine irgendwie geartete zeitliche Begrenzung gegeben hätten. Insbesondere waren die entsprechenden Lieferfristen, denen nur aufgrund der AGB eine abweichende Bedeutung zukommen sollte, gerade nicht in unmittelbarer Nähe zur Klausel festgehalten worden. Anders als in der zuvor beschriebenen Ausnahmesituation der kurzfristigen Notwendigkeit einer Beschaffung von Schutzausrüstung in exorbitanten Mengen im April 2020 konnten die Vertragspartner im Aluminiumkapsel-Fall zudem von einem normalen und vielfach vergleichbar getätigten Geschäft ausgehen und damit redlicher Weise eine konkrete Erwartung betreffend eine als branchenüblich zu bezeichnende Vertragsabwicklung haben.
112cc)
113Die Klausel benachteiligt mit ihrem vorstehend ausgeführten konkreten Regelungsgehalt den jeweiligen Lieferanten als Vertragspartner der Beklagten als Verwenderin auch nicht unangemessen und entgegen den Geboten von Treu und Glauben, § 307 Abs. 1 BGB. Die Kammer schließt sich insoweit der Ansicht des 6. Zivilsenats des OLG Köln im Urteil vom 19.07.2024 – 6 U 101/23, dort Rn. 85 ff., nicht an.
114Der Senat stellt dabei im Ausgangspunkt auf den Aluminiumkapsel-Fall des BGH (Urteil vom 17.01.1990, Az. VIII ZR 292/88) ab. Hinzu komme unter anderem, dass dem berechtigten Interesse der Beklagten, kurzfristig einwandfrei, sofort verwendbare Schutzmasken zu beschaffen, auch mit kurzer Nachfristsetzung Rechnung getragen werden konnte. Logistische Schwierigkeiten hätten ausschließlich in der Verantwortungssphäre der Beklagten gelegen. Die unangemessene Benachteiligung der Lieferanten werde auch nicht durch den angeblich vergleichsweise hohen Kaufpreis aufgewogen.
115Auch unter nochmaliger Abwägung unter Berücksichtigung dieser Argumente kommt die Kammer zu dem Ergebnis, dass zumindest für den hier vorliegenden außergewöhnlichen Sonderfall eines Open-House-Verfahrens zur Beschaffung von Schutzausrüstung im Zusammenhang mit der grassierenden COVID-19-Pandemie die Lieferanten durch das absolute Fixgeschäft zumindest nicht derart benachteiligt worden sind, dass dies als unangemessen bezeichnet werden könnte.
116(1)
117So ist im Rahmen der durchzuführenden Interessenabwägung – auch aus dem damaligen Blickwinkel der sich auftürmenden Pandemie und daraus resultierender besonderer Eilbedürftigkeit bei der Beschaffung – durchaus ein schutzwürdiges Interesse der Beklagten an dieser Rechtsfolge zu erkennen.
118Die durch den COVID-19-Erreger hervorgerufene Lage stellte eine bis dahin noch nie dagewesene Ausnahmesituation dar und führte zu Beschaffungsmaßnahmen, verbunden mit Liefer- und Herstellungsprozessen, die es in dieser Größenordnung in derart kurzer Zeit zuvor noch nie gegeben hat. Die Beklagte versuchte, soviel Schutzausrüstung wie irgendwie möglich in möglichst kurzer Zeit zu erlangen und hat hierfür – auch um den ansonsten bestehenden erheblichen Restriktionen durch das Vergaberecht und den damit zwangsläufig verbundenen zeitlichen Verzögerungen aus dem Weg gehen zu können – mit dem Open-House-Verfahren ein Vorgehen gewählt, bei dem sie – abgesehen von der Vorgabe abstrakter Zulassungsvoraussetzungen zum Verfahren im Rahmen der Teilnahmebedingungen – keinerlei Entscheidungsmöglichkeiten mehr hinsichtlich der Wahl ihrer Vertragspartner hatte. Jedem Anbieter, der die abstrakten Teilnahmebedingungen erfüllte, die entsprechenden Vertragsbedingungen akzeptierte und ein Angebot abgab, musste automatisch der Zuschlag erteilt werden. Jegliche Prüfung auf Zuverlässigkeit und Vertrauenswürdigkeit war der Beklagten damit von Beginn an verwehrt. Es liegt auf der Hand, dass damit das Risiko einherging, auch Verträge mit solchen Anbietern abschließen zu müssen, die die versprochene Lieferung dann doch nicht erbringen konnten. Zugleich hatte die Beklagte einen gigantischen Logistikapparat vorzuhalten, um sämtliche Lieferungen, deren Anzahl und Volumina bis drei Tage vor Fristablauf nicht sicher feststanden, abarbeiten zu können. Auch hatte die Beklagte ein Bedürfnis nach schneller Abwicklung der Anlieferungen und Weitergabe an die bedürftigen Stellen. Hierauf gründet ein schützenswertes Interesse an einer Regelung, nach der solche Vertragspartner, die es nicht einmal schaffen, innerhalb der Vertragslaufzeit überhaupt eine Bereitschaft und/oder Tauglichkeit zur Vertragserfüllung nachzuweisen, automatisch von dem weiteren Verfahren ausgeschlossen werden. Anderenfalls hätte die Beklagte jeden säumigen Vertragspartner mahnen und zur Nacherfüllung auffordern bzw. sicherstellen müssen, auch bei einer verspäteten Lieferung die erforderliche Logistik zumindest bis Ablauf einer angemessenen Nachlieferungsfrist bereitzuhalten. Selbst bei Annahme eines relativen Fixgeschäfts hätte die Beklagte jedem säumigen Vertragspartner gegenüber den Rücktritt erklären müssen. Auf Seiten der Beklagten lag zudem ein Bedürfnis dafür vor, die Fixgeschäftsabrede durch AGB formelhaft zu regeln. Ihr blieb im Open-House-Verfahren auch gar nichts anderes übrig, da Individualabreden schon nach dem gesamten Ablauf weder vorgesehen noch vergaberechtlich möglich waren.
119(2)
120Bei einer Gesamtschau aller Umstände ist zudem festzustellen, dass die Nachteile der Fixabrede durch Vorteile auf Seiten der Verwendungsgegner, welche über die vom 6. Zivilsenat des OLG Köln (a.a.O.) in die Abwägung einbezogenen Aspekte hinausgingen, angemessen kompensiert werden: Einerseits bot das Vorgehen im Open-House-Verfahren den Verkäufern die Möglichkeit eines schnellen und reibungslosen Abschlusses großvolumiger Kaufverträge, bei denen der einzelne Verkäufer weitestgehend selbst über die Menge und Zusammensetzung des Kaufgegenstandes (Stückzahl, Art der Schutzausrüstung – also Schutz-, OP-Maske und/oder Schutzkittel) entscheiden und sichergehen konnte, dass der Vertrag zu diesen Konditionen zustande kommen würde. Eine Überprüfung der Verkäufer auf ihre Zuverlässigkeit oder besondere Erfahrung war dem Vertragsschluss – wie erörtert – nicht vorgeschaltet. Jedem potentiellen Verkäufer, der den damaligen Kaufpreis z.B. für eine FFP2-/KN95-Maske von immerhin 4,50 EUR pro Stück für lukrativ erachtete, eröffnete sich also bis zum Ablauf der Angebotsfrist die Möglichkeit, theoretisch unbegrenzt viele Masken auf dem Weltmarkt zu beschaffen, sofern er es aus seiner Sicht schaffen sollte, diese bis Monatsende auch zu liefern. Bereits hierdurch liegt eine gravierende Abweichung von Vertragsschlüssen im üblichen Handelsverkehr vor, wo es Sache beider Vertragsparteien gemeinsam ist, sich über die essentialia negotii, also auch über die konkret zu liefernde Menge der vertragsgegenständlichen Ware, zu einigen. Durch die Vereinbarung einer fixen und sehr kurz bemessenen Zahlungsfrist von nur einer Woche ab Lieferung stand den Lieferanten nach dem Inhalt des Vertrages zudem – jedenfalls bei mangelfreier Lieferung – ein gegenüber sonst üblichen Vereinbarungen (eine tatsächliche Zahlung Zug-um-Zug gegen Übergabe der Ware wie vom Gesetz vorgesehen dürfte in der Praxis kaum vorkommen) schnell fällig werdender Zahlungsanspruch bzw. – sollte die Zahlung nicht fristgemäß erfolgen – ein Anspruch auf Verzugszinsen und Ersatz des Verzögerungsschadens zu. Folgt man der Auffassung des 6. Zivilsenats zur gestaffelten Vorleistungspflicht (Urt. v. 19.07.2024 – 6 U 101/23, Rn. 97), würde diese Fälligkeit und Durchsetzbarkeit des Anspruchs auf den Kaufpreis selbst bei Lieferung von sich als mangelhaft herausstellender Ware eintreten, da gemäß § 5 Ziff. 5.1 des Vertrages nach dortiger Auffassung auch Zahlung und Mangelbeseitigung/Nacherfüllung nicht nach dem gesetzlichen Leitbild Zug-um-Zug erfolgen sollten.
121(3)
122Trotz der automatisch eintretenden und gravierenden Rechtsfolge der Klausel bei verspäteter Lieferung ist in der Praxis auch keine erhebliche Benachteiligung des Auftragnehmers gegenüber der Situation zu sehen, wie sie bei einem (nur) relativen Fixgeschäft bestanden hätte. Letzteres ist im Gesetz in § 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB ausdrücklich geregelt und damit gerade nicht per se als Abweichung von der Rechtsordnung und deswegen benachteiligend einzuordnen. Es hat zur Folge, dass ein Rücktritt ohne vorherige Fristsetzung zulässig ist, ohne dass es sich dabei um eine vollkommen vom gesetzlichen Leitbild abweichende Vereinbarung handeln würde. Zwar ist die vorherige Nachfristsetzung und das daraus resultierende Recht des Verkäufers zur zweiten Andienung der gesetzliche Regelfall (§§ 434, 437 Nr. 1, 439, 323 BGB). Allerdings sieht das Gesetz seit der Schuldrechtsreform Abweichungen von diesem Grundsatz vor, lässt diese also ausdrücklich zu. Das war unter der früheren Rechtslage (zur Zeit der Aluminiumkapsel-Entscheidung des BGH) gerade nicht der Fall (so auch OLG Bamberg vom 05.03.2021 – 3 U 68/20 –, Rn. 107). Rechtsfolge eines absoluten Fixgeschäfts ist nun, dass der Erfüllungsanspruch automatisch untergeht und unter Umständen ein Schadensersatzanspruch an dessen Stelle tritt. Zumindest aber hat der säumige Vertragspartner ab dem Moment des Fristablaufs die Sicherheit, dass er von der Gegenseite nicht mehr auf Erfüllung in Anspruch genommen werden kann. Wäre stattdessen bloß die Entbehrlichkeit einer Fristsetzung nach § 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB fingiert worden, hätte es die Beklagte – für sie aus damaliger Sicht möglicherweise sogar günstiger – in der Hand gehabt, bei nicht fristgerechter ordnungsgemäßer Lieferung entweder tatsächlich zurückzutreten oder – bei fortbestehendem Ausrüstungsbedarf und/oder Interesse an der Beibehaltung des vereinbarten Kaufpreises über den 30.04.2020 hinaus – auf einer (zeitnahen) Nacherfüllung zu bestehen. Der Auftragnehmer wäre dadurch zumindest vorübergehend in eine Art Schwebezustand versetzt worden und gezwungen gewesen, die Lieferbemühungen fortzuführen und zu hoffen, dass ihm die Lieferung vor Zugang der Rücktrittserklärung gelingt. Dies verdeutlicht, dass die Rechtsfolge des absoluten Fixgeschäfts nicht zwingend benachteiligender sein muss als die eines – vom Gesetzgeber ausdrücklich geregelten – relativen Fixgeschäfts. Die Kammer sieht in einem relativen Fixgeschäft dementsprechend auch kein bloßes Weniger gegenüber einem absoluten Fixgeschäft, so dass die Unwirksamkeit eines absoluten Fixgeschäfts nicht automatisch anhand eines Erst-Recht-Schlusses mit der Unwirksamkeit (bereits) eines relativen Fixgeschäfts begründet werden kann.
123(4)
124Die hier streitgegenständliche Vertragsgestaltung unterscheidet sich von der Sachlage, wie sie der Entscheidung des BGH im Aluminiumkapsel-Fall (Urteil vom 17.01.1990, Az. VIII ZR 292/88) zugrunde lag, auch dadurch, dass die Wirkung der Fixabrede lediglich die Lieferung der angebotenen Ware an sich, nicht aber die Lieferung mangelfreier Ware umfassen sollte. Die Klausel ist im Hinblick auf das Zusammenspiel mit den weiteren Regelungen im Vertrag nicht dahingehend auszulegen, dass sie auch für den Fall der fristgerechten, aber mangelhaften Lieferung eingreifen sollte.
125(a)
126Zwar ist bei der Auslegung der auf den Vertragsschluss gerichteten Willenserklärung der Beklagten aus Sicht eines objektiven Erklärungsempfängers zu berücksichtigen, dass es für eine Partei, aus deren Sicht der Vertrag mit einer Lieferung zu einem fixen Termin stehen und fallen soll, in der Praxis oftmals keinen gravierenden Unterschied macht, ob ihr am Stichtag gar keine oder eine mangelhafte Ware zur Verfügung steht. In beiden Fällen wäre der von ihr bis zu diesem Strichtag benötigte Leistungserfolg nicht eingetreten und würde eine Nachlieferung oder Nachbesserung keinen Sinn mehr ergeben. Auch nach der gesetzlichen Regelung in § 323 Abs. 1 BGB besteht ein Rücktrittsgrund unabhängig von der Frage, ob der Schuldner die Leistung nicht oder nicht vertragsgemäß erbracht hat. Dementsprechend kann davon ausgegangen werden, dass für den Käufer in der Regel die fristgerecht mangelfreie Lieferung wesentlich ist (vgl. dazu BeckOK BGB/Faust, 67. Ed. 1.8.2023, BGB § 440 Rn. 24, auch mit einem Beispiel für eine Ausnahme) und er dieses Verständnis auch seiner auf den Vertragsabschluss gerichteten Willenserklärung beimessen möchte.
127Gegen ein solches Verständnis der Erklärung der Beklagten spricht im vorliegenden Fall allerdings zunächst der konkrete Wortlaut des § 3 Ziff. 3.2. Dort wird der 30.04.2020 wiederholt als spätester Liefertermin benannt. Orientiert man sich auch hier im Ausgangspunkt einmal nur an dem konkreten Wortlaut, so versteht man unter „Lieferung“ allgemein die Übergabe der Kaufsache durch den Verkäufer (oder einen damit betrauten Dritten) an den Käufer (oder einen hierfür eingesetzten Dritten). Umgekehrt würde man im allgemeinen Sprachgebrauch für den Fall, dass man eine mangelhafte Sache übergeben bekommen hat, kaum davon sprechen, dass einem die Sache gar nicht geliefert worden ist, sondern allenfalls, dass sie nicht ordnungsgemäß geliefert worden ist. Auch im OH-Vertrag wird an keiner Stelle ausgeführt, dass der 30.04.2020 der späteste Termin gerade für eine mangelfreie Lieferung sein soll. Dies hätte nahegelegen, wenn es der Beklagten als Klauselverwenderin darum gegangen wäre, gerade auch sämtliche Schlechterfüllungen der nicht fristgerechten Lieferung gleichzustellen. Zumindest gehen etwaige Zweifel zu ihren Lasten.
128Stattdessen hat die Beklagte im Vertrag unter § 6 Ziff. 6.1 für Sach- und Rechtsmängel ausdrücklich auf die gesetzlichen Vorschriften verwiesen. Diese sehen über die Verweisung in § 437 BGB grundsätzlich die Obliegenheit des Verkäufers zur Nacherfüllung vor, was wegen der Einschränkungen im Hinblick auf die weiteren Gewährleistungsrechte des Käufers faktisch ein Recht des Verkäufers zur zweiten Andienung zur Folge hat. Hätte nun § 3 Ziff. 3.2 tatsächlich zur Folge haben sollen, dass nicht nur eine ausbleibende, sondern auch eine mangelhafte Lieferung zum Ablauf des 30.04.2020 die gegenseitigen Pflichten der Vertragspartner zum Untergang bringt, wäre der Anwendungsbereich von § 6 Ziff. 6.1 auf mangelhafte Lieferungen beschränkt gewesen, die so zeitig vor dem 30.04.2020 erbracht worden wären, dass auch die Nacherfüllung noch bis zu diesem Stichtag hätte vollzogen werden können. Gleichzeitig wäre aber die Beklagte – außer bei offen zutage tretenden Mängeln i.S.v. Ziff. 6.2 – nicht einmal verpflichtet gewesen, den Mangel derart schnell zu ermitteln und anzuzeigen, dass dem Verkäufer eine Nachbesserung bis zum 30.04.2020 überhaupt noch möglich gewesen wäre. Der praktische Anwendungsbereich von § 6 Ziff. 6.1 wäre damit so gut wie auf null begrenzt worden.
129Ebenfalls gegen eine solche Auslegung spricht § 7 Ziff. 7.1 S. 2 des Vertrages. Danach sollten die durch eine innerhalb der Vertragslaufzeit erfolgte Lieferung begründeten Rechte und Pflichten der Vertragsparteien auch nach dem Ablauf der Vertragslaufzeit fortbestehen. Dies ergibt hinsichtlich der Pflicht der Beklagten zur Kaufpreiszahlung zwar ohne weiteres Sinn, da diese frühestens eine Woche nach Lieferung und damit oftmals erst nach dem 30.04.2020 fällig werden sollte; die entsprechende Rechtsfolge wird über § 5 Ziff. 5.1 aber bereits unmissverständlich geregelt. Hinsichtlich der Pflicht der Klägerseite hätte eine Auslegung dahingehend, dass nur eine mangelfreie Lieferung eine „innerhalb der Vertragslaufzeit erfolgte Lieferung“ darstellt, dagegen zur Folge, dass in den dann von § 3 Ziff. 3.2 erfassten Fällen die Hauptleistungspflicht der jeweiligen Verkäufer auf Lieferung mangelfreier Ware stets durch Erfüllung untergegangen wäre. § 7 Ziff. 7.1 S. 2 könnte sich damit allenfalls auf vertragliche Nebenpflichten beziehen. Dafür, dass für einen derart kleinen zusätzlichen Anwendungsbereich extra eine eigene Regelung aufgenommen werden sollte, gibt es keine Anhaltspunkte.
130Im Zusammenspiel mit der Regelung in § 6 Ziff. 6.1 wird vielmehr auch für den Vertragspartner deutlich, dass die Beklagte bei der Vertragsgestaltung von einer Zweiteilung der Folgen einer Leistungsstörung ausging: Bei Nichtlieferung bis zum 30.04.2020, also wenn es die Verkäufer nicht einmal schafften, die Ware fristgerecht bei L abzuliefern, sollten die vertraglichen Pflichten komplett entfallen; der Vertrag sollte gewissermaßen nicht mehr existent sein. Dies mag als Sanktion für den Fall verstanden werden, dass der Lieferant es nicht schafft, den Liefertermin einzuhalten, obwohl die Bestimmung der zu liefernden Menge alleine in seiner Hand lag und die Beklagte hierauf keinerlei Einfluss hatte. Bei Schlechterfüllung, konkret bei Lieferung mangelhafter Gegenstände, dies jedoch innerhalb der Frist, sollte dagegen das kaufrechtliche Gewährleistungsrecht zur Geltung kommen. Dies erscheint auch praxisgerecht, da der Umstand, dass die Ware mangelhaft ist, nicht nur für den Käufer, sondern auch für den Verkäufer – anders als die Einhaltung der Lieferfrist – nicht ohne Weiteres zu erkennen sein musste. Hiermit deckt sich auch die öffentlich aufrufbare und der Kammer bekannte Antwort der Bundesregierung vom 01.10.2020 auf eine Kleine Anfrage von Bundestagsabgeordneten und der FDP-Fraktion (BT-Drucks. 19/23045), dort auf Frage 17: „Bei Nichteinhaltung des spätesten Liefertermins im OHV entfielen die gegenseitigen Pflichten der Vertragspartner (Fixgeschäft). Lieferten Anbieter mangelhafte Ware, findet gemäß des Open-House-Vertrages grundsätzlich das allgemeine Gewährleistungsrecht Anwendung.“ Damit wird das Vorbringen der Beklagten, die vorgenannte Auslegung des Vertragsinhalts durch die Kammer entspreche insbesondere nicht ihrem Willen, erheblich in Zweifel gezogen.
131Die Beklagte kann auch nicht mit dem Einwand gehört werden, dass bei einer derartigen Auslegung derjenige Lieferant, der eine offensichtlich mangelhafte Ware oder sogar ein Aliud liefert, möglicherweise bessergestellt wird als derjenige, der eine mangelfreie Sache verspätet anliefert, weil nur der erste Lieferant eine zweite Chance zur Erfüllung erhalte. Mag diese Rechtsfolge auch unbillig erscheinen und von dem Rechtsgedanken des Leistungsstörungsrechts des BGB abweichen, so ist sie doch auf die gerade von der Beklagten als Klauselverwenderin gewählte Formulierung zurückzuführen. Es hätte ihr bei der Gestaltung des OH-Vertrages freigestanden, auf die Formulierung zum „absoluten Fixgeschäft“ einerseits und den ausdrücklichen Verweis auf das Gewährleistungsrecht andererseits zu verzichten. Stattdessen ist allen Formulierungen der Erklärungswille zu entnehmen, dass bei fristgerechten Lieferungen doch das Gewährleistungsrecht zum Tragen kommen soll. Hieran muss sich die Beklagte, die diese Klausel selbst den Vertragspartnern gestellt hat, festhalten lassen.
132Klarzustellen ist, dass sich etwaige Tatsachen im Nachgang zu dem Vertragsschluss, insbesondere der Umstand, dass die Beklagte aus verschiedensten Gründen Schutzausrüstung auch nach dem 30.04.2020 angenommen hat, nicht rückwirkend auf den Inhalt der Erklärungen zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses auswirken.
133(b)
134Ein Verkäufer, der die Frist einhalten kann und bei dem sich erst später herausstellt, dass die Ware nicht ordnungsgemäß war, kann sich damit durchaus auf die Möglichkeit einer zweiten Andienung berufen und damit seinen Kaufpreisanspruch durch ordnungsgemäße Nachbesserung erhalten. Er behält die Möglichkeit, seinen Zulieferer zur Nachlieferung mangelfreier Masken anzuhalten. Anderenfalls hätte er – zumindest für den Fall, dass er seinerseits seinem Zulieferer eine zweite Lieferchance hätte einräumen müssen – das hohe Risiko getragen, die beim Zulieferer bestellten Masken letztlich bezahlen zu müssen, ohne sie seinerseits an die Beklagte weiterveräußern zu können.
135(5)
136Zuletzt darf nicht außer Acht gelassen werden, dass sich alle Beteiligten dieses und aller vergleichbaren Geschäfte über Schutzausrüstung im Zeitraum April/Mai 2020 aus den bereits dargestellten Gründen in einer Ausnahmesituation befunden haben. Dies war nicht nur der Beklagten, sondern den Lieferanten unzweifelhaft bewusst. Aus Sicht der Kammer bestand damit mehr als ausreichend Anlass, die entsprechenden Geschäfte jeweils als außergewöhnliche Sonderfälle gegenüber dem sonstigen allgemeinen Wirtschaftsleben anzusehen. Damit sind aber auch die althergebrachten Grundsätze, die seitens der Rechtsprechung insbesondere im Zusammenhang mit der Zumutbarkeit von Geschäftsbedingungen aufgestellt worden sind, hierauf nicht ohne weiteres zu übertragen. Für beide Vertragspartner bot der Open-House-Vertrag besondere Möglichkeiten, aber eben auch besondere Risiken. Diese allgemein gehaltene Betrachtung der Gesamtsituation bestärkt diesseits die Überzeugung, dass eine einseitige und zugleich unangemessene Benachteiligung der Lieferanten durch die Beklagte nicht vorliegt.
137b)
138Der Charakter des Vertrages als Fixgeschäft ist nicht durch die Festlegung der Anliefertermine für den 07. und 08.05.2020 und auch nicht durch die nochmalige Verschiebung auf den 12. und 13.05.2020 beseitigt worden.
139aa)
140Zutreffend ist, dass die Beklagte die aus der ursprünglichen Vereinbarung entstammende Verpflichtung, nämlich die bis spätestens zum 30.04.2020 anzuliefernden Gegenstände auch anzunehmen, gegenüber der Klägerin erkennbar nicht erfüllen konnte. So hat die von ihr eingesetzte Fa. L von Beginn an keinen Anlieferslot im April angeboten, sondern ist direkt auf Termine nach diesem Stichtag ausgewichen. Selbst diese zunächst angebotenen Termine konnten dann nicht gehalten werden, sondern es musste nochmals eine Verschiebung, nunmehr auf 12 bis 13 Tage nach dem eigentlich vereinbarten spätesten Stichtag, erfolgen.
141Diese Verschiebung erfolgte im Ergebnis allerdings einvernehmlich. Mit Zustimmung des von der Klägerin eingesetzten Abwicklers B zu den zugeteilten Slots ist letztlich der 12./13.05.2020 als neuer Stichtag im Sinne von § 3 Ziff. 3.2 des Vertrages vereinbart worden.
142bb)
143Dass nach dem Willen der Vertragsparteien die übrigen Vereinbarungen, welche sie bei Vertragsschluss getroffen hatten, teilweise keine Geltung mehr entfalten sollten, ist dagegen nicht ersichtlich. Aus der Korrespondenz nach Vertragsschluss war auch für die Klägerin erkennbar, dass die Beklagte immer noch am Fixcharakter des Vertrags festhielt. Dies folgt aus dem Umstand, dass die Verfasser durchgehend über den Liefertermin, nicht aber über andere Punkte des geschlossenen Vertrages konferiert haben. Wird ein Vertrag einvernehmlich in einzelnen Punkten geändert, verbleibt es bezüglich der anderen Punkte im Zweifel bei der Geltung mit dem bisherigen Inhalt. Alleine eine nachträgliche Verschiebung hebt den Charakter als Fixgeschäft daher nicht auf, da sich die Parteien vorliegend einvernehmlich auf den neuen Liefertermin, aber auch nur darauf, geeinigt haben.
144cc)
145Auch § 376 HGB führt in diesem Zusammenhang zu keinem anderen Ergebnis.
146Diese Vorschrift ist für das vorliegende Vertragsverhältnis zwar grundsätzlich einschlägig, da sie lediglich ein einseitiges Handelsgeschäft voraussetzt und die Klägerin – eine GmbH – als Formkaufmann den Vertrag im Rahmen ihres Geschäfts geschlossen hat. Zudem ist anerkannt, dass aufgrund eines rechtzeitigen Erfüllungsverlangens des Gläubigers die Fixgeschäftsabrede einschließlich der damit verbundenen Rechte aus Abs. 1 S. 1, sodass ein normaler Kaufvertrag bestehen bleibt (BGH NJW 1998, 1489 (1490); BGH ZIP 1982, 1444 (1446); EBJS/Achilles Rn. 23; BeckOK HGB/Schwartze, 42. Ed. 1.4.2024, HGB § 376 Rn. 10).
147Inhaltlich ist § 376 HGB allerdings darauf ausgerichtet, ein relatives Fixgeschäft abweichend zu § 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB zu regeln (vgl. BeckOK HGB/Schwartze, 40. Ed. 1.7.2023, HGB § 376 Rn. 1; EBJS/Achilles, 4. Aufl. 2020, HGB § 376 Rn. 1, 3; MüKoHGB/Grunewald, 5. Aufl. 2021, HGB § 376 Rn. 1). Insbesondere werden die Optionen des Käufers für den Fall, dass die maßgebliche Lieferfrist nicht eingehalten wird, dahingehend eingeschränkt, dass eine Erfüllung nur noch unter engen Voraussetzungen möglich sein soll. Ein solches relatives Fixgeschäft liegt aus den obenstehenden Gründen jedoch gar nicht vor. Des Weiteren fehlt es auch an den gesetzlich vorgesehenen Voraussetzungen. Die Beklagte hat gerade nicht nach Ablauf der vereinbarten Frist ausnahmsweise doch die Erfüllung der Lieferverpflichtung durch die Klägerin verlangt. Vielmehr haben sich die Parteien vor Fristablauf auf einen abweichenden Liefertermin geeinigt. Als dieser dann abgelaufen war, hat die Beklagte zu keinem Zeitpunkt mehr zu erkennen gegeben, dass sie dennoch die Erfüllung wünsche. Für die in § 376 Abs. 1 HGB vorgesehenen Rechtsfolgen, die nach dem Ablauf der Frist, hier also nach entsprechender Vereinbarung der 13.05.2020, greifen würden, insbesondere die Beschränkung auf Rücktritt und Schadenersatz, ist kein Raum, nachdem der Anspruch nach dem unmissverständlichen Wortlaut bereits zuvor untergegangen ist.
148II.
149Der Feststellungsantrag zu 2. sowie die Anträge auf Zahlung der außergerichtlichen Anwaltskosten (zu 3.) bzw. Freistellung von ihnen (zu 4.) teilen das Schicksal der Hauptforderung.
150B.
151Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91, 709 S. 1, 2 ZPO.
152C.
153Der Streitwert wird auf 30.000.000,- EUR festgesetzt (§ 39 Abs. 2 GKG).