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Für Recht erkannt:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vorab Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Klägerin macht gegenüber der Beklagten Schadensersatz und Schmerzensgeld aufgrund eines Sturzes am 06.02.2023 gegen 10:00 Uhr auf dem Friedhof in A geltend. Der gegenständliche Weg ist ein vom Hauptweg abgehender, zu einzelnen Grabstellen führender Nebenweg von ca. 80 cm Breite.
2Die Klägerin behauptet, sie sei dort zu Fall gekommen, als sie eine Pflanzschale zum Grab ihres verstorbenen Ehemannes getragen habe. Sie sei mit ihrem Fuß in einen Spalt zwischen den Gehwegplatten, der einen Höhenunterschied von mindestens 5 cm aufgewiesen habe und mehrere Zentimeter lang und breit gewesen sei (siehe Lichtbilder Anlagen K1a bis K1d, Bl. 14-17), geraten. Der Tritt auf die Kante der Gehwegplatte habe dazu geführt, dass sie in den Spalt abgerutscht, umgeknickt und gestürzt sei. Der streitgegenständliche Gehweg sei ihr vorher nicht bekannt gewesen. Die Gefahrenquelle sei weder vorhersehbar noch erkennbar gewesen; der Spalt zwischen den Gehwegplatten sei mit Unkraut bewachsen gewesen, sodass die genaue Tiefe des Spalts für die Klägerin nicht ohne weiteres erkennbar war.
3Hierbei habe sie sich eine Fraktur des linken Mittelfußknochens zugezogen. Am 09.02.2023 sei der Fuß mittels einer Gipsschiene ruhiggestellt und seien ihr Unterarmgehstützen verordnet worden. Sie sei bis heute auf Schmerzmedikamente angewiesen und habe für zwei Monate Thromboseprophylaxe durch Heparin-Spritzen betreiben müssen. Zu weiteren Einzelheiten siehe die Arztberichte Bl. 24 ff. d.A.
4Bei dem Sturz und der Untersuchung im Krankenhaus seien Kleidungsstücke im Zeitwert von 350,- EUR beschädigt worden. Als Haushaltsführungsschaden für Einkäufe, Gassi gehen mit dem Hund sowie Haus- und Gartenpflege einschließlich Koi-Teich pflegen macht sie 28 Stunden pro Woche x 7 Wochen x 10,- EUR pro Stunde = 1.960,- EUR geltend. Sie habe sieben Wochen lang weder selbständig laufen noch Autofahren können. Daher sei auch ein Schmerzensgeld nicht unter 2.500,- EUR angemessen.
5Die Klägerin beantragt,
61. die Beklagte zu verurteilen, an sie 2.310,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;
72. die Beklagte zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, den Betrag von 2.500,00 EUR aber nicht unterschreiten sollte, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;
83. die Beklagte zu verurteilen, sie von vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 540,50 EUR freizustellen;
94. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr den infolge des Unfallereignisses vom 06.02.2023 zukünftig noch entstehenden materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht aufgrund sachlicher oder zeitlicher Kongruenz auf den Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind bzw. übergehen werden.
10Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
11Sie bestreitet den gesamten Unfallhergang mit Nichtwissen. Der Spalt zwischen den Bodenplatten sei ohne weiteres erkennbar gewesen. Zudem habe die Klägerin Kenntnis vom allgemeinen Zustand des Weges gehabt. Ihrer – der Beklagten – Ansicht nach müsse ein Fußgänger auf einem Friedhof auf einem Nebenweg mit Unebenheiten rechnen.
12Das geltend gemachte Schmerzensgeld sei übersetzt. Zum Haushaltsführungsschaden sei nicht schlüssig dargelegt, welche Haushaltstätigkeiten sie vor dem Schadenereignis in welchem Umfang durchgeführt habe und welche Haushaltstätigkeiten ihr nunmehr nicht mehr möglich sein sollen. Auch fehle Vortrag zum Alter und zum Neupreis der Kleidungsstücke.
13Es fehle ein Feststellungsinteresse; möglicherweise drohende und derzeit noch nicht absehbare zukünftige Schäden seien nicht dargelegt.
A.
15Die Klage hat keinen Erfolg.
16Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Schadensersatz oder Schmerzensgeld. Dementsprechend scheiden auch Ansprüche auf die Nebenforderungen und die begehrte Feststellung aus.
17I.
18Ansprüche aus § 839 Abs. 1 S. 1 BGB i.V.m. Art. 34 S. 1 GG scheiden bereits deshalb aus, weil im Zusammenhang mit dem Zustand der Wege auf einem Friedhof keine öffentlich-rechtliche bzw. Amtspflicht verletzt worden sein kann.
19Die Wahrnehmung der Verkehrssicherungspflicht für Straßen, Wege, Plätze und sonstige öffentliche Verkehrsflächen, einschließlich der Wasserstraßen, Häfen und Schleusen, ist nach gefestigter Rechtsprechung dem privatrechtlichen Bereich des öffentlichen Sachherrn zuzurechnen, soweit nicht der Gesetzgeber diese ausdrücklich als Amtspflicht statuiert. Die Verletzung der privatrechtlichen Verkehrssicherungspflicht führt zur Haftung nach Deliktsrecht (§ 823 Abs. 1 i.V.m.
20§ 831 oder §§ 31, 89 BGB) (BeckOK BGB/Reinert, 67. Ed. 1.8.2023, BGB § 839 Rn.
2130).
22§ 9a Abs. 1 S. 1 & 2 StrWG NRW bestimmt zwar, dass die mit dem Bau und der Unterhaltung der öffentlichen Straßen einschließlich der Bundesstraßen zusammenhängenden Aufgaben den Bediensteten der damit befassten Körperschaften als Amtspflichten in Ausübung hoheitlicher Tätigkeit obliegen; das gleiche gilt für die Erhaltung der Verkehrssicherheit. Öffentliche Straßen im Sinne dieses Gesetzes sind nach § 2 Abs. 1 StrWG NRW nur diejenigen Straßen, Wege und Plätze, die dem öffentlichen Verkehr gewidmet sind. Die Widmung ist gemäß § 6 Abs. 1 StrWG NRW eine Allgemeinverfügung, die mit Rechtsbehelfsbelehrung öffentlich bekanntzumachen ist und frühestens im Zeitpunkt der öffentlichen Bekanntmachung wirksam wird; gemäß Abs. 2 wird die Widmung von der Straßenbaubehörde verfügt.
23Vorliegend ist jedoch ein Friedhofsgelände, welches im Eigentum der Beklagten steht, betroffen. Dass die dort befindlichen Wege jemals per Widmung zu öffentlichen gemacht worden sind, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Dementsprechend ist hier der privatrechtliche Bereich einschlägig.
24II.
25Doch auch aus § 823 Abs. 1 BGB ergibt sich kein Anspruch.
26Dem Vortrag der Klägerin ist bereits nicht zu entnehmen, dass ihr Sturz auf eine Verkehrssicherungspflichtverletzung der Beklagten zurückzuführen wäre.
271.
28Der Umfang der Verkehrssicherungspflichten bestimmt sich generell danach, was ein vernünftiger Mensch an Sicherheit erwarten darf. Dies bedeutet, dass er die gegebenen Verhältnisse grundsätzlich so hinzunehmen hat, wie sie sich ihm erkennbar darbieten und er sich ihnen anpassen muss (OLG Hamm NJW-RR 2013, 1362 (1363); vgl. BGH BeckRS 1979, 30398103; OLG Oldenburg NJW 1989, 305 (306)). Anders gewendet obliegt es zunächst dem Gefährdeten, sich selbst zu schützen und auf erkennbare Gefahrquellen vor allem durch eigene Sorgfaltsanstrengungen zu reagieren (BGH NZV 2014, 167 Rn. 17; vgl. OLG Köln NJW-RR 1990, 1361). Der Verkehrssicherungspflichtige darf davon ausgehen, dass sich der Betreffende verkehrsrichtig verhält, sodass bei ohne Weiteres erkennbaren Gefahren, „die vor sich selbst warnen“, die Sicherungserwartungen zumindest herabgesetzt sind und zusätzliche Verkehrssicherungsmaßnahmen ausscheiden, weil bei verständiger Beurteilung anzunehmen ist, dass der zu Schützende diesen Gefahren ausweichen bzw. sich effektiv vor ihnen schützen kann und wird (BGH NJW 1985, 1076 f.; BayObLG NJW-RR 2002, 1249 (1250); OLG Stuttgart BeckRS 2003, 05834; BeckOGK/Spindler Rn. 403; BeckOK BGB/Förster, 68. Ed. 1.11.2023, BGB § 823 Rn. 313). Der Verkehrssicherungspflichtige ist vielmehr erst dann zum Eingreifen berufen, wenn mit dem Betreten bzw. Befahren einer Verkehrsfläche, mit dem Besuch einer Einrichtung oder dem Verwenden eines Gegenstands konkrete Gefahren verbunden sind, die über das übliche Maß hinausgehen oder vom berechtigterweise Erwarteten abweichen. Dann wären sie selbst für einen sorgfältigen Benutzer nicht oder nicht rechtzeitig erkennbar und er vermag auf sie nicht adäquat zu reagieren. Eine Absicherung von „jedermann gegenüber jedem Risiko“ ist dagegen weder möglich noch sinnvoll (BeckOK BGB/Förster, a.a.O. Rn. 318, 320).
29Hieraus folgt, dass sich grundsätzlich der Benutzer wie stets den gegebenen Verhältnissen anpassen und die Verkehrsflächen so hinnehmen muss, wie sie sich ihm erkennbar darbieten. Der Verkehrssicherungspflichtige muss in geeigneter und objektiv zumutbarer Weise alle, aber auch nur diejenigen Gefahren ausräumen oder zumindest vor ihnen warnen, die für den sorgfältigen Benutzer nicht erkennbar sind und auf die er sich nicht einzurichten vermag. Der Vorrang der Selbstschutzpflicht gilt zumindest dann, wenn er einer auf einem Gehweg vorhandenen und gut
30erkennbaren Gefahrenstelle unproblematisch auszuweichen vermag (BeckOK BGB/Förster, a.a.O. Rn. 629).
31Bei sturzverursachenden Unebenheiten des Gehwegs besteht weiterhin Einigkeit, dass nicht jeder Niveauunterschied oder jegliches Hindernis sogleich eine anspruchsauslösende Stolperfalle darstellt. Vielmehr kommt es auf den Gesamteindruck im Einzelfall an. Für dessen Beurteilung ist vor allem auf Art, Ausmaß und Höhe der Vertiefung oder Erhöhung abzustellen (BeckOK BGB/Förster, a.a.O. Rn. 632). Insbesondere die Verwendung von Natursteinpflaster (Basaltplatten und Basaltpflaster) stellt trotz seiner Unebenheiten und unterschiedlichen Fugenbreiten keine Verletzung der Verkehrssicherungspflichten dar, wenn diese Gegebenheiten deutlich zu erkennen sind. Denn auf erkennbar unebenen und holprigen Flächen kann eine erhöhte Aufmerksamkeit des Fußgängers erwartet werden (BeckOK BGB/Förster, a.a.O. Rn. 632.1).
322.
33Im vorliegenden Fall ist bereits das Vorliegen einer nicht nur unerheblichen und damit nicht zu erwartenden Stolperfalle zu verneinen. Nach dem – von der Beklagten mit Nichtwissen bestrittenen – Vortrag der Klägerin wird der Unfallort auf den Lichtbildern Anlagen K1a ff. (Bl. 14-17 d.A.) gezeigt. Auf diesen Fotos ist zunächst keine Vertiefung zu erkennen, die einen Höhenunterschied von 5 cm oder mehr aufweisen würde. Genaue Angaben sind naturgemäß nicht möglich; jedoch lässt sich anhand des Verhältnisses zu der Gesamtdicke der Platten und auch zu der Profildicke der abgelichteten Schuhe gut erkennen, dass zumindest eine Differenz von 1 bis 2 cm nicht überschritten worden ist. Zudem darf nicht außer Acht bleiben, dass sich eine etwas ausgeprägtere Kante lediglich zwischen der linken und der rechten Plattenreihe, nicht aber zwischen den in Gehrichtung in Reihe liegenden Einzelplatten feststellen lässt. In diesem Zusammenhang muss betont werden, dass die ebenfalls zur Akte gereichten Lichtbilder der Anlagen K3a ff. (Bl. 21 ff. d.A.) schon nach dem Klägervortrag nicht den Unfallort zeigen.
34Bei dem streitgegenständlichen Wegabschnitt handelt es sich zudem um einen untergeordneten Nebenweg, der von einem der Hauptwege weg zu einzelnen Grabstätten führt. Auf solchen Wegen ist mit deutlich weniger Publikumsverkehr zu rechnen als auf den Hauptwegen, so dass auch der Umfang der Verkehrssicherungspflicht dort wesentlich geringer ist. Zudem darf auf einem solchen Nebenweg, der auf einem naturnah gestalteten Gelände wie einem Friedhof verläuft und aus Einzelplatten besteht, gerade nicht davon ausgegangen werden, dass die einzelnen Gehwegplatten keinerlei Höhenunterschied aufweisen. Vielmehr muss an solchen Orten jederzeit mit Niveauverschiebungen durch Wurzeln, absackendes Erdreich usw. gerechnet werden.
35Unabhängig davon ist die behauptete Gefahrenstelle problemlos zu erkennen, so dass sich die Klägerin auf die vermeintlichen Unebenheiten hätte einstellen können und auch müssen. Der Vorfall soll sich nach dem Vortrag der Klägerin gegen 10:00 Uhr, also bei Tageslicht ereignet haben. Entgegen der klägerischen Ansicht wird die Gefahrenstelle durch den vorhandenen Moosbewuchs auch nicht etwa verschleiert, sondern vielmehr erst deutlich sichtbar gemacht. Durch den komplett anderen Farbton und den unschwer zu erkennenden Umstand, dass dort Pflanzen wachsen, wird dem Nutzer des Weges deutlich vor Augen geführt, dass die Betonplatten unterbrochen bzw. zueinander verschoben sind und daher erst Recht mit Unebenheiten zu rechnen ist. In diesem Zusammenhang kann sich die Klägerin auch nicht darauf berufen, dass ein Friedhof als Ort der Trauer, Besinnung und des Totengedenkens geeignet sei, die Aufmerksamkeit des Besuchers gegenüber Gefahren abzuschwächen. Sie behauptet selbst nicht, sich in einem solchen Zustand befunden zu haben, als sie sich dort aufgehalten hat. Vielmehr hat sie im Rahmen der persönlichen Anhörung bestätigt, eine Pflanzschale mit beiden Händen zu einer Grabstätte getragen zu haben. Es kann zumindest nicht ausgeschlossen werden, dass bei dieser Aktion ihre Aufmerksamkeit vom Weg abgelenkt und gerade hierdurch das Sturzereignis verursacht worden ist.
36Der Klägerin wäre es auch ohne weiteres möglich gewesen, der gesteigerten Gefährdung – ihr Vorhandensein unterstellt – mit zumutbaren Mitteln zu begegnen. Vor allem die Anlagen K1c und K1d (Bl. 16 f. d.A.) verdeutlichen, dass der Weg an der vermeintlichen Unfallstelle zwei parallel verlaufende, jeweils ununterbrochene Plattenreihen ohne erhebliche Höhendifferenzen aufweist. Die dazwischen gelegene, mit Moos bewachsene Spalte hätte demnach komplett gemieden werden können, indem man beim Gehen jeweils eine Reihe für den linken und für den rechten Fuß verwendet hätte. Etwas Anderes mag gelten, wenn der Gehweg in einem insgesamt desolaten Zustand gewesen wäre und deswegen in seiner Gesamtheit eine Stolper- und Sturzgefahr dargestellt hätte, die bei der von einem Fußgänger zu erwartenden Sorgfalt zwar erkennbar, jedoch bei der Benutzung nicht mehr sicher zu beherrschen gewesen sei. Dann wäre es lediglich eine Frage der Zeit gewesen, bis ein Fußgänger auch bei noch so großer Vorsicht zu Schaden kommt, weil ein Ausweichen auf einen schadlosen Bereich unmöglich gewesen wäre (vgl. BGH NVwZ-RR 2012, 831 Rn. 5, beck-online). Wie bereits dargestellt und den Lichtbildern Bl. 14 ff. d.A. zu entnehmen, kann hiervon im vorliegenden Fall jedoch keine Rede sein.
37B.
38Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Grundlage in § 708 Nr. 11, 711 ZPO.
39C.
40Der Streitwert wird auf bis zu 6.000,- EUR (2.310,- EUR Schadensersatz, 2.500,- EUR Schmerzensgeld, 1.000,- EUR Feststellung) festgesetzt.