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für Recht erkannt:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 2.318.715,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von neun Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 11.05.2022 zu zahlen Zug-um-Zug gegen Lieferung von 433.000 mangelfreien FFP2-Schutzmasken entsprechend der Beschreibung der Produktgruppe „FFP2 Masken“ der Anlage 1 (Leistungsbeschreibung) (vgl. Tatbestand Bl. 4 f. in diesem Urteil) des zwischen den Parteien am 10. April 2020 geschlossenen Vertrages über die Lieferung von Schutzausrüstung.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 17 Prozent und die Beklagte 83 Prozent zu tragen.
4. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
2Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Kaufpreiszahlung aus einem mit der Beklagten im Rahmen der COVID-19-Pandemie geschlossenen Vertrag über die Lieferung von Schutzmasken in Anspruch.
3Im Rahmen eines sogenannten Open-House-Verfahrens, bei dem der öffentliche Auftraggeber nicht nur mit einem oder einer von Anfang an bestimmten Anzahl von Unternehmen einen Liefer- oder Dienstleistungsvertrag abschließt, sondern zu vorher vorgegebenen Konditionen mit allen interessierten Unternehmen kontrahieren will, veröffentlichte die Beklagte am 27.03.2020 die Auftragsbekanntmachung mit der Referenznummer 000-0000-0001 im „Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union“ für das europäische öffentliche Auftragswesen sowie in dessen Online-Version „Tenders Electronic Daily“ zur Beschaffung persönlicher Schutzausrüstung. Beigefügt waren die Aufforderung zur Angebotsabgabe, das Angebotsformular, das Vertragsformular über die Lieferung von Schutzausrüstung, die Leistungsbeschreibung, die Teilnahmebedingungen sowie die Hinweise zum Datenschutz (vgl. zu den Unterlagen Anlagenkonvolute K2 zur Klageschrift und B1 zur Klageerwiderung, jeweils als Anlagenhefter überreicht).
4Gegenstand der Ausschreibung war ausweislich der Leistungsbeschreibung die Lieferung von Schutzmasken („FFP2-Masken“) zu einem Stückpreis von 4,50 EUR netto, von OP-Masken zu einem Stückpreis von 0,60 EUR netto sowie von Schutzkitteln zu einem Stückpreis von 3,25 EUR netto.
5Ziffer II.2.4) der Auftragsbekanntmachung lautete – nach erfolgter Berichtigung/Bekanntmachung über Änderungen oder zusätzliche Angaben am 08.04.2020 – wie folgt:
6„[…] Das Vertragssystem beginnt ab sofort zu laufen und endet mit Ablauf des 08.04.2020. Zu berücksichtigten ist jedoch, dass spätester Liefertermin der 30.04.2020 innerhalb der üblichen Geschäftszeiten der A Stiftung & Co. KG […] ist.“
7Auch die Aufforderung zur Angebotsabgabe und die Teilnahmebedingungen enthielten unter Ziff. 3.1 bzw. III. jeweils einen Hinweis auf den genannten Liefertermin zum 30.04.2020.
8Der „Gegenstand des Vertrages“ ist in dem Vertragsformular über die Lieferung von Schutzausrüstung (Anlage 04 der Vergabeunterlagen, Anlagenkonvolute K3 und B1) unter § 1 S. 1 zunächst wie folgt definiert:
9„Gegenstand des Vertrages ist die Lieferung von Produkten folgender Produktgruppe(n):
101. FFP2 Masken Menge in Stück: Klicken Sie hier, um Text einzugeben.
112. OP-Masken Menge in Stück: Klicken Sie hier, um Text einzugeben.
123. Schutzkittel Menge in Stück: Klicken Sie hier, um Text einzugeben.“
13Der Auftragnehmer konnte insoweit lediglich die zu liefernde Stückzahl eingeben.
14§ 2 Ziffer 2.1 lautet unter der Überschrift „Vertragsbestandteile“ wie folgt:
15„Folgende Unterlagen und Bestimmungen sind in Ergänzungen der Regelungen dieses Vertrages Bestandteile des Vertragsverhältnisses:
16a. die Leistungsbeschreibung mit den Stückpreisen für die einzelnen Produktgruppen Anlage 1“
17(einen entsprechenden Buchstaben b. weist das Vertragsdokument nicht auf)
18§ 3 Ziffer 3.1 lautet wie folgt:
19„Die von dem AN zu liefernden Produkte einer Produktgruppe i.S.d. § 1 dieses Vertrags werden durch die Leistungsbeschreibung (Anlage 1) näher bestimmt.“
20In § 3 Ziffer 3.2 heißt es zur Lieferung:
21„Die Lieferung der Produkte hat an die A Stiftung & Co. KG […] während der üblichen Geschäftszeiten zu erfolgen; […]. Die Lieferung ist der A Stiftung & Co. KG in Textform mit einer Frist von mindestens drei Kalendertagen vor dem Liefertermin anzukündigen. Spätester Liefertermin ist der 30.04.2020 innerhalb der Geschäftszeiten gemäß S.1. Bei Nichteinhaltung des spätesten Liefertermins entfallen die gegenseitigen Pflichten der Vertragspartner; eine verspätete Lieferung stellt keine Erfüllung des Vertrages durch den AN dar (absolutes Fixgeschäft).“
22§ 5 bestimmt in Bezug auf die Zahlung:
23„5.1 Der AG zahlt die vereinbarte Vergütung bargeldlos binnen einer Woche nach erfolgter Lieferung und Eingang einer den Vorschriften des Umsatzsteuerrechts entsprechenden Rechnung bei der A Stiftung & Co. KG […] auf das von dem AN angegebene Konto.
245.2 Jede Zahlung erfolgt unter dem Vorbehalt des Anspruchs auf Rückerstattung wegen nicht oder mangelhaft erbrachter Leistungen. Der AN kann sich gegenüber einer berechtigten Rückforderung des AG nicht auf den Wegfall der Bereicherung berufen. Ist der Zahlungseingang bei dem AG nicht innerhalb von 7 Kalendertagen nach Zugang eines Rückforderungsschreibens festzustellen, befindet sich der AN spätestens ab diesem Zeitpunkt mit seiner Rückzahlungsverpflichtung in Verzug und hat an den AG Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gemäß § 247 BGB zu zahlen.“
25§ 6 Ziff. 6.1 hat folgenden Inhalt:
26„Für Sach- und Rechtsmängelansprüche gelten die gesetzlichen Vorschriften, soweit nachfolgend nichts anderes bestimmt ist.“
27Ziff. 6.2 regelt dann eine Untersuchungs-/Rügeobliegenheit des Auftraggebers bei offen zutage tretenden Mängeln.
28Ferner heißt es dort unter § 7 Ziffer 7.1 des Vertrages:
29„Der Vertrag tritt mit Zuschlagserteilung des AG auf das im Open-House-Verfahren abgegebene Angebot des AN in Kraft und endet mit Ablauf des 30.04.2020. Die durch eine innerhalb der Vertragslaufzeit erfolgte Lieferung begründeten Rechte und Pflichten des AN und AG bestehen nach Vertragsschluss fort.“
30Anlage 1 zum Vertrag beinhaltete die Leistungsbeschreibung (Anlage 3 der Vergabeunterlagen, Anlagenkonvolut B1, Anlagenhefter zur Klageerwiderung sowie Anlagenkonvolut K2, Anlagenhefter zur Klage). Im Hinblick auf sogenannte FFP2-Schutzmasken wurde Folgendes festgehalten:
31„FFP2 Masken
32Beschreibung:
33Atmungsaktives Design, das nicht gegen den Mund zusammenfällt (z.B. Entenschnabel, becherförmig)
34Versehen mit einer Metallplatte an der Nasenspitze
35Kann wiederverwendbar* (aus robustem Material, das gereinigt und desinfiziert werden kann) oder Einwegartikel sein
36Normen/Standards:
37- Atemschutzgerät "N95" gemäß FDA Klasse II, unter 21 CFR 878.4040, und CDC NIOSH, oder "FFP2" gemäß EN 149
38Verordnung 2016/425 Kategorie III
39oder gleichwertige Normen, auch KN95 (CHN)“
40Die Klägerin gab am 08.04.2020 ein Angebot über die Lieferung von 700.000 „FFP2 Masken“ ab (Anlage B5, Anlagenhefter), das am 10.04.2020 den Zuschlag erhielt (Anlage B6, Anlagenhefter). Das Gesamtauftragsvolumen umfasste bei einem Preis von 4,50 EUR zuzüglich Umsatzsteuer einen Betrag in Höhe von 3.748.500,00 EUR.
41Die Anlieferungen der Masken wurden im Auftrag der Beklagten durch die A Stiftung & Co. KG (nachfolgend „A “) sowie die im fortgeschrittenen Stadium des Open-House-Verfahrens involvierte B GmbH (nachfolgend: „B“) koordiniert. Nach Ankündigung einer Anlieferung durch den Auftragnehmer wiesen die Logistiker der geplanten Anlieferung eine oder mehrere Avisierungsnummern zu und teilten die Lieferadresse mit. Der Klägerin teilte A einen Termin zur Anlieferung am 02.05.2020 zu (E-Mail vom 24.04.2020, Anlage K7, Anlagenhefter). Diese lieferte daraufhin am 02.05.2020 die 700.000 FFP2/KN95-Masken an. Ein Teil der Lieferung enthielt Masken des Herstellers Safesecure Packing und wurde mit der Teil-Avis-Nr. C00001A versehen. Dieser Teil blieb unbeanstandet und ist nicht streitgegenständlich. Unter der Teil-Avis-Nr. C00001B lieferte die Klägerin 433.000 Masken des Herstellers D. Wegen des Lieferscheins wird auf Anlage B7 (Anlagenhefter) Bezug genommen. Der Lieferung beigefügt war eine Rechnung versehen mit der Nr. 0000-0000-002 über den Kaufpreis in Höhe von 3.748.500,00 EUR brutto.
42Am 22.06.2020 ging bei der Klägerin ein Betrag in Höhe von 1.429.785 EUR für die 267.000 Schutzmasken des Herstellers E (F) Co., Ltd. (C00001A) ein. Hinsichtlich der unter Teil-Avis-Nr. C00001B gelieferten 433.000 Masken erklärte die Beklagte mit E-Mail vom 30.06.2020 (Anlage B9, Anlagenhefter) den Rücktritt vom Vertrag unter Hinweis auf die Mangelhaftigkeit dieser Masken. Sie machte geltend, diese hätten die Durchlassprüfung nicht bestanden. Daraufhin machte die Klägerin mit Schreiben ihrer jetzigen Prozessbevollmächtigten am 03.07.2020 Zahlungsansprüche geltend. Die Beklagte reagierte mit anwaltlichem Schreiben vom 29.07.2020 (Anlage B10, Anlagenhefter), in welchem sie die Rücktrittserklärung wiederholte und das Prüf- und Ergebnisprotokoll der Firma G GmbH & Co. KG (im Folgenden: G ) vom 08.05.2020 beifügte. Hieraus ergab sich ein Filterdurchlassgrad von 31,5 %. Die Beklagte forderte die Klägerin zur Abholung der zu Avis-Nr. C00001B gelieferten Masken bis zum 03.07.2020 auf.
43Sie zahlte an die Klägerin am 03.08.2020 insgesamt auf Verzugszinsen 79.487,62 EUR. Diese Zahlung beinhaltete 36.591,91 EUR für Zinsen auf den vollen nach dem streitgegenständlichen Vertrag geschuldeten Kaufpreis in Höhe von 3.748.500,00 EUR für den Zeitraum 10.05.2020 bis zum 22.06.2020 (Anlage B11). Am 27.11.2020 zahlte die Beklagte weitere Zinsen für den Zeitraum 23.06.2020 bis zum 30.06.2020.
44Mit Schreiben vom 09.05.2022 (Anlage K29, Bl. 588 d.A.) bot die Klägerin der Beklagten die Nachlieferung von Masken an, wenn diese klarstelle, ob sie Rücktritt oder Nachlieferung begehre. Sollte sie Nachlieferung begehren, werde die Klägerin dies in die Wege leiten. Voraussetzung sei aber, dass die Beklagte zunächst die für die Lieferung erforderlichen logistischen Informationen (Lieferort und –zeit) mitteile.
45Die Klägerin meint, der erklärte Rücktritt sei unwirksam. Insoweit behauptet sie, die von ihr gelieferten Masken seien vertragsgerecht gewesen. Sie ist der Ansicht, maßgeblich sei allein der Standard GB2626. Dieser werde eingehalten, was auch der Prüfbericht des Staatlichen Qualitätsüberwachungszentrums für Textil- und Kleidungsprodukte (H), vorgelegt als Anlage K4 (Anlagenhefter), bestätige. Dieser attestiere ausnahmslos Filterleistungen von mehr als 98 Prozent. Auch habe das K (K) ausweislich des Prüfberichts vom 16.04.2020 (Anlage K5, Anlagenhefter) die Erfüllung des Prüfgrundsatzes für SARS-Cov-2 Pandemie Atemschutzmasken richtigerweise festgestellt. Bei der Messung hätten sich an drei Mustern Durchlassgrade von 2,3 bis 2,8 Prozent ergeben, das bedeute Filterleistungen zwischen 97,2 und 97,7 Prozent. Ausweislich der Erklärung des Herstellers in der Anlage K6 (Anlagenhefter) hätten die gelieferten Schutzmasken abgesehen vom Aufdruck den von der K getesteten Masken entsprochen. Demgegenüber sei die von der Beklagten mit der Prüfung der Masken beauftragte G schon kein geeignetes Prüfinstitut für die Durchführung von Tests nach der Norm GB2626. Auch das angewandte Prüfverfahren sei fehlerhaft.
46Soweit die Beklagte sich erstmals mit Schriftsatz vom 06.02.2024 auf eine vorgeblich fehlerhafte CE-Kennzeichnung berufe und auch diesbezüglich eine Mängelrüge erhebt, erachtet die Klägerin den Vortrag für prozessual verspätet.
47Darüber sei auch die mit der Rücktrittserklärung vom 30.06.2020 verbundene Mängelanzeige verspätet, da das Prüfergebnis schon am 08.05.2020 vorgelegen habe. Hierdurch habe die Beklagte gegen die Prüfungs- und Rügeobliegenheit verstoßen, die durch § 6.2 des OH-Vertrages zumindest konkludent begründet worden sei und inhaltlich § 377 HGB entspreche. Jedenfalls aber habe die Beklagte nicht ohne vorherige Fristsetzung zur Nacherfüllung von dem Vertrag zurücktreten können.
48Mit der am 21.08.2020 bei Gericht eingereichten und am 09.09.2020 zugestellten Klage hat die Klägerin ursprünglich beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an sie 2.318.715,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 10. Mai 2020 zu bezahlen.
49Im Hinblick auf Zinszahlungen der Beklagten vom 03.08.2020 für den Zeitraum 10.05.2020 bis zum 22.06.2020 hat die Klägerin die Klage mit Zustimmung der Beklagten zurückgenommen. Hinsichtlich weiterer am 27.11.2020 gezahlter Zinsen für den Zeitraum 23.06.2020 bis 30.06.2020 haben die Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt.
50Die Klägerin beantragt nunmehr noch
51die Beklagte zu verurteilen, an sie 2.318.715,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 01.07.2020 zu bezahlen.
52Die Beklagte beantragt,
53die Klage abzuweisen.
54Zudem erhebt die Beklagte Eventualwiderklage unter der Bedingung, dass (i) der Rücktritt aus anderen Gründen als der Mangelfreiheit der Schutzmasken unwirksam ist und zusätzlich (ii) sie bezüglich der streitgegenständlichen Schutzmasken zur Zahlung des Kaufpreises verurteilt wird, ohne dass die Klägerin Zug um Zug zur Ersatzlieferung verpflichtet wird,
55und beantragt,
56die Klägerin zu verurteilen, an sie 433.000 verkehrsfähige und mangelfreie FFP2-Schutzmasken entsprechend der Beschreibung der Produktgruppe „FFP2 Masken“ der Anlage 1 (Leistungsbeschreibung) (Anlagenkonvolut B1 zur Klageerwiderung) des zwischen den Parteien am 10. April 2020 geschlossenen Vertrages über die Lieferung von Schutzausrüstung zu liefern.
57Des Weiteren beantragt sie im Wege der Hilfswiderklage unter der Bedingung, dass das Gericht feststellt, dass die Klage jedenfalls überwiegend abzuweisen ist,
581. festzustellen, dass die Klägerin verpflichtet ist, der Beklagten die Aufwendungen zu ersetzen, die ihr im Zusammenhang mit der Lagerung der noch bei der Beklagten befindlichen, unter der Avisnummer S00001-B gelieferten, mangelhaften Schutzmasken seit dem Rücktritt der Beklagten vom Kaufvertrag bis zum Zeitpunkt der Abholung der Schutzmasken durch die Klägerin tatsächlich entstanden sind und künftig noch entstehen werden;
592. festzustellen, dass sich die Klägerin seit dem Rücktritt der Beklagten vom Kaufvertrag mit der Abholung der noch bei der Klägerin befindlichen, unter der Avisnummer S00001-B gelieferten, mangelhaften Schutzmasken in Annahmeverzug befindet;
603. die Klägerin zu verurteilen, die unter der Avisnummer S00001-B gelieferten Schutzmasken am Austauschort, der B GmbH, L-straße 00, 00000 J, abzuholen.
61Die Klägerin beantragt,
62die Widerklagen abzuweisen.
63Die Beklagte behauptet, die Masken seien mangelhaft, da sie den zulässigen Filterdurchlassgrad überschritten. Sie meint, im Hinblick darauf, dass die Masken eine Zertifizierung sowohl nach EN149 als auch nach GB2626 aufwiesen, müssten sie beiden Normen genügen. Darüber hinaus verstoße die auf den Masken aufgebrachte CE-Kennzeichnung – was die Beklagte erstmals mit Schriftsatz vom 06.02.2024 geltend macht – gegen regulatorische Vorgaben. Denn die Kennzeichnung weise mit der vierstelligen Kennnummer auf eine Prüfstelle in Italien hin, die nicht für den Bereich PSA bzw. Schutzmasken nach der PSA-Verordnung notifiziert sei.
64Eine Fristsetzung vor Rücktrittserklärung sei entbehrlich gewesen, da sich die Parteien auf ein relatives Fixgeschäft geeinigt hätten. Die diesbezügliche Regelung im OH-Vertrag halte einer AGB-rechtlichen Prüfung stand. Jedenfalls sei eine Nachfristsetzung auch gemäß § 440 Satz 1 Var. 3 BGB und nach § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB entbehrlich gewesen. Insbesondere sei der Beklagten eine Nachlieferung deshalb unzumutbar, weil die Masken mit einer CE-Kennzeichnung mit Kennnummer einer nicht für den Bereich PSA bzw. Schutzmasken nach PSA-Verordnung notifizierten Stelle versehen seien.
65Das Rücktrittsrecht sei auch nicht wegen Verletzung einer Rügeobliegenheit untergegangen. § 377 HGB sei schon mangels Kaufmannseigenschaft der Beklagten nicht anwendbar.
66Hilfsweise erhebt sie mit Schriftsatz vom 11.04.2022 (Bl. 561 d.A.) die Einrede des nicht erfüllten Vertrages gemäß § 320 BGB und erklärt, ihr Wahlrecht gemäß § 439 Abs.1 BGB im Sinne der Nachlieferung ausüben zu wollen. Sie ist der Ansicht, die Einrede führe wegen der vertraglich vereinbarten Vorleistungspflicht der Klägerin nicht zur Zug-um-Zug-Verurteilung der Klägerin, sondern zur Klageabweisung als derzeit unbegründet. Eine Verurteilung nach Empfangnahme der Gegenleistung gemäß § 322 Abs. 2 BGB komme auch nicht in Betracht da sie (die Beklagte) sich nie im Annahmeverzug befunden habe.
67Das Gericht hat Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluss vom 12.07.2021 (Bl. 352 d.A.), neugefasst durch Beschluss vom 28.10.2021 (Bl. 428 ff. d.A.), über die Mangelhaftigkeit der gelieferten Masken durch Einholung eines schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen Dr.-Ing. Dipl.-Ing. M und mündlicher Erläuterung im Termin vom 14.02.2024. Wegen des Inhalts des Gutachtens vom 02.02.2023 wird auf Bl. 775 ff. d.A., wegen der mündlichen Erläuterung auf die Sitzungsniederschrift vom 14.02.2024 (Bl. 955 ff.) d.A. verwiesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.
68Entscheidungsgründe
69A.
70Die Klage ist in dem nach Teilklagerücknahme und übereinstimmender Teil-Erledigungserklärung noch rechtshängigen Umfang überwiegend begründet.
71Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von 2.318.715,00 EUR aus § 433 Absatz 2 BGB i.V.m. dem Open-House-Vertrag vom 10.04.2020.
72I.
73Der Anspruch ist in Höhe von 2.318.715,00 EUR entstanden.
74Die Klägerin hat am 08.04.2020 ein Angebot über die Lieferung von 700.000 Stück „FFP2“-Schutzmasken abgegeben, das die Beklagte mit Zuschlagserteilung am 10.04.2020 angenommen hat. Nachdem die Lieferung am 02.05.2020 bei A unter der Avis-Nr. C00001B erfolgt ist und die Klägerin mit der Lieferung beigefügter Rechnung den vereinbarten Kaufpreis fakturiert hat, ist der Kaufpreisanspruch gemäß § 5 Ziffer 5.1 des Vertrages eine Woche später, das heißt am 09.05.2020, fällig geworden.
75II.
76Der Kaufpreisanspruch ist nicht durch die erklärten Rücktritte der Beklagten vom 30.06.2020 und vom 29.07.2020 gemäß §§ 437 Nr. 2, 434, 323 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2, 346 Abs. 1 BGB untergegangen.
77In diesem Zusammenhang kann zunächst dahinstehen, ob die streitgegenständlichen Masken tatsächlich mangelhaft waren oder nicht. Zumindest konnte die Beklagte nicht den Rücktritt vom Kaufvertrag erklären, ohne die Klägerin zuvor im Sinne von § 323 Abs. 1 BGB zur Nachbesserung aufgefordert zu haben.
781.
79Eine Nachfristsetzung war nicht gemäß § 3 Ziff. 3.2 des Open-House-Vertrages entbehrlich.
80a)
81Nach Ansicht der Kammer haben die Parteien mit dieser Klausel die Rechtsfolgen eines absoluten Fixgeschäfts für den Fall vereinbart, dass bis zum Stichtag 30.04.2020 überhaupt keine Lieferung erfolgt. Für den Fall, dass bis zu diesem Tag – oder einem anderen Tag, den die Parteien im konkreten Einzelfall einvernehmlich für eine Lieferung avisiert hatten – die Anlieferung der geschuldeten Ware zwar erfolgt, diese sich aber als mangelhaft herausstellte, sollten dagegen die gesetzlichen Mängelgewährleistungsvorschriften gelten. An der bisher vertretenen, abweichenden Rechtsauffassung in den Urteilen der Kammer vom 14.04.2021 (Az. 1 O 185/20), bestätigt durch Hinweisbeschluss des Oberlandesgerichts Köln vom 27.10.2021 (Az. 15 U 194/21) und Zurückweisung der Berufung im Beschluss vom 09.12.2021 und in den weiteren Urteilen vom 17.03.2021 (Az. 1 O 244/20), vom 28.06.2023 (Az. 1 O 221/22) und vom 04.10.2023 (1 O 348/20) hält die Kammer nach nochmaliger Beratung in der aktuellen Besetzung nicht mehr fest.
82aa)
83Die Klausel soll für den Fall der nicht rechtzeitigen Lieferung die Rechtsfolgen eines absoluten Fixgeschäfts herbeiführen und nicht etwa nur die eines relativen Fixgeschäfts.
84Zwar ist die Kammer in den vorgenannten Urteilen zunächst von der Vereinbarung eines relativen – und nicht eines absoluten – Fixgeschäfts ausgegangen und hatte in § 3 Ziff. 3.2 des Vertrages etwa im Urteil vom 28.06.2023 (1 O 221/22) eine falsa demonstratio gesehen. Das Oberlandesgericht Köln hatte seinerseits ebenfalls im Hinweisbeschluss vom 27.10.2021 (15 U 194/21) die Vereinbarung eines absoluten Fixgeschäfts abgelehnt. Auch der 21. Zivilsenat war in einem Hinweisbeschluss vom 27.04.2022 (21 U 52/21 – Rn.18, juris) nicht von der wirksamen Vereinbarung eines absoluten Fixgeschäfts ausgegangen. Die Annahme einer irrtümlichen Falschbezeichnung und damit einer übereinstimmenden Parteivereinbarung eines relativen Fixgeschäfts begegnet allerdings insoweit Bedenken, als die Beklagte in § 3 Ziff. 3.2 des Vertrags am Ende in Klammern nicht nur von einem absoluten Fixgeschäft spricht, sondern auch eine Art Legaldefinition des von ihr gewählten Begriffs einführt: „Bei Nichteinhaltung des spätesten Liefertermins entfallen die gegenseitigen Pflichten der Vertragspartner; eine verspätete Lieferung stellt keine Erfüllung des Vertrages durch den AN dar“. Dies stellt aber gerade die übliche Rechtsfolge eines (im Gesetz nicht ausdrücklich geregelten) absoluten Fixgeschäftes dar.
85Unter einem absoluten Fixgeschäft versteht man einen Vertrag, bei dem die Leistungszeit derart wichtig ist, dass die Leistung nur zu einem bestimmten Zeitpunkt, danach aber überhaupt nicht mehr erbracht werden kann, weil sie jetzt eine völlig andere wäre, mit der der Leistungszweck des Gläubigers nicht mehr verwirklicht werden kann. In diesen Fällen bedeutet eine Verzögerung der Leistung über den hier meist kurz bemessenen Erfüllungszeitraum hinaus Unmöglichkeit der Leistung im Sinne von § 275 BGB (MüKoBGB/Ernst, 9. Aufl. 2022, BGB § 275 Rn. 58).
86Vorliegend ist es zwar zutreffend, dass die Beklagte auch nach dem 30.04.2020 noch ein Interesse an der Lieferung von Schutzausrüstung gehabt haben dürfte, also tatsächlich keine Unmöglichkeit eingetreten ist und damit an sich auch kein absolutes Fixgeschäft vorlag. Die Beklagte wollte über die vorgenannte Regelung aber erkennbar die Rechtsfolgen herbeiführen, die ansonsten nach § 275 Abs. 1 BGB bei rechtlicher Unmöglichkeit wegen Nichterreichbarkeit des beabsichtigten Zwecks der geschuldeten Leistung einträten. Dieser Erklärungswillen ist auch unzweifelhaft zum Ausdruck gekommen, indem der Stichtag an den verschiedensten Stellen der Ausschreibung immer wieder herausgestellt und betont worden ist, dass mit dem Verstreichenlassen dieses Termins eine nachträgliche Erfüllung nicht mehr möglich sein solle.
87Dass mit der Klausel tatsächlich (nur) die Voraussetzungen von § 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB – mithin ein relatives Fixgeschäft – vereinbart werden sollten, ist dagegen mit deren Wortlaut nicht zu vereinbaren. Wie bereits dargestellt, passt schon die in § 3 Ziff. 3.2 des Vertrages festgelegte Rechtsfolge nicht. Insbesondere würden ihr die Vereinbarungen, dass „die gegenseitigen Pflichten der Vertragspartner“ entfallen sollen und dass „eine verspätete Lieferung […] keine Erfüllung des Vertrages durch den AN dar[stellt]“, entgegenstehen. Beim relativen Fixgeschäft kann zwar eine Rücktrittserklärung ohne Nachfristsetzung erklärt werden, dies muss aber nicht geschehen; die Vertragspflichten würden im letzten Fall unverändert fortbestehen und nicht – wie in der Klausel vorgesehen – automatisch entfallen. Selbst für den Fall, dass § 376 HGB einschlägig sein sollte, könnte der dort vorgesehene Automatismus durch eine sofortige Erklärung des Gläubigers abgewendet werden. Gerade dieser in der Klausel unmissverständlich vorgesehene und ohne Modifikation des Vertrages auch nicht abwendbare Automatismus bezüglich der Rechtsfolgen ist dem relativen Fixgeschäft fremd.
88bb)
89Die Klausel ist im Hinblick auf das Zusammenspiel mit den weiteren Regelungen im Vertrag allerdings nicht dahingehend auszulegen, dass sie auch für den Fall der fristgerechten, aber mangelhaften Lieferung eingreifen sollte.
90Zwar ist zu berücksichtigen, dass es für eine Partei, aus deren Sicht der Vertrag mit einer Lieferung zu einem fixen Termin stehen und fallen soll, in der Praxis oftmals keinen gravierenden Unterschied macht, ob ihr am Stichtag gar keine oder eine mangelhafte Ware zur Verfügung steht. In beiden Fällen wäre der von ihr bis zu diesem Strichtag benötigte Leistungserfolg nicht eingetreten und würde eine Nachlieferung oder Nachbesserung keinen Sinn mehr ergeben. Nach der gesetzlichen Regelung in § 323 Abs. 1 BGB besteht ein Rücktrittsgrund unabhängig von der Frage, ob der Schuldner die Leistung nicht oder nicht vertragsgemäß erbracht hat. Dementsprechend kann davon ausgegangen werden, dass für den Käufer in der Regel die fristgerecht mangelfreie Lieferung wesentlich ist (vgl. dazu BeckOK BGB/Faust, 67. Ed. 1.8.2023, BGB § 440 Rn. 24, auch mit einem Beispiel für eine Ausnahme). Soweit § 323 Abs. 5 S. 2 BGB für den Fall, dass die Leistung (bewirkt, aber) nicht vertragsgemäß bewirkt wird, die zusätzliche Rücktrittsschwelle der Erheblichkeit vorsieht (MüKoBGB/Ernst, 9. Aufl. 2022, BGB § 323 Rn. 3), wäre letztere wegen der oftmals fehlenden Verkehrsfähigkeit der Masken bei Mängeln regelmäßig zu bejahen.
91Gegen ein solches Verständnis im vorliegenden Fall spricht allerdings zunächst der Wortlaut des § 3 Ziff. 3.2. Dort wird der 30.04.2020 wiederholt als spätester Liefertermin benannt. Dagegen wird an keiner Stelle ausgeführt, dass er auch der späteste Termin für eine mangelfreie Lieferung sein soll. Dies hätte nahegelegen, wenn es der Beklagten als Klauselverwenderin darum gegangen wäre, gerade auch sämtliche Fälle der Schlechterfüllung der nicht fristgerechten Lieferung gleichzustellen.
92Stattdessen hat sie im Vertrag unter § 6 Ziff. 6.1 für Sach- und Rechtsmängel ausdrücklich auf die gesetzlichen Vorschriften verwiesen. Diese sehen über die Verweisung in § 437 BGB grundsätzlich das Recht des Verkäufers zur zweiten Andienung vor. Hätte nun § 3 Ziff. 3.2 tatsächlich zur Folge haben sollen, dass nicht nur eine ausbleibende, sondern auch eine mangelhafte Lieferung zum Ablauf des 30.04.2020 die gegenseitigen Pflichten der Vertragspartner zum Untergang bringt, wäre der Anwendungsbereich von § 6 Ziff. 6.1 auf mangelhafte Lieferungen beschränkt gewesen, die so zeitig vor dem 30.04.2020 erbracht worden wären, dass auch die Nacherfüllung noch bis zu diesem Stichtag hätte vollzogen werden können. Gleichzeitig wäre aber die Beklagte – außer bei offen zutage tretenden Mängeln i.S.v. Ziff. 6.2 – nicht einmal verpflichtet gewesen, den Mangel derart schnell zu ermitteln und anzuzeigen, dass dem Verkäufer eine Nachbesserung bis zum 30.04.2020 überhaupt noch möglich gewesen wäre. Der praktische Anwendungsbereich von § 6 Ziff. 6.1 wäre damit so gut wie auf Null begrenzt worden.
93Ebenfalls gegen eine solche Auslegung spricht § 7 Ziff. 7.1 S. 2 des Vertrages. Danach sollen die durch eine innerhalb der Vertragslaufzeit erfolgte Lieferung begründeten Rechte und Pflichten der Vertragsparteien auch nach dem Ablauf der Vertragslaufzeit fortbestehen. Dies ergibt hinsichtlich der Pflicht der Beklagten auf Kaufpreiszahlung zwar ohne weiteres Sinn, da diese frühestens eine Woche nach Lieferung und damit oftmals erst nach dem 30.04.2020 fällig werden sollte; die entsprechende Rechtsfolge wird über § 5 Ziff. 5.1 aber bereits unmissverständlich geregelt. Hinsichtlich der Pflicht der Klägerseite hätte eine Auslegung dahingehend, dass nur eine mangelfreie Lieferung eine „innerhalb der Vertragslaufzeit erfolgte Lieferung“ darstellt, dagegen zur Folge, dass die Klausel sich allenfalls auf vertragliche Nebenpflichten beziehen könnte. Denn die Hauptleistungspflicht erlischt im Fall einer mangelfreien fristgemäßen Lieferung durch Erfüllung. Dafür, dass für einen derart kleinen zusätzlichen Anwendungsbereich eigens eine Regelung aufgenommen werden sollte, gibt es jedoch keine Anhaltspunkte.
94Im Zusammenspiel mit der Regelung in § 6 Ziff. 6.1 wird vielmehr deutlich, dass die Beklagte bei der Vertragsgestaltung von einer Zweiteilung der Folgen einer Leistungsstörung ausging: Bei Nichtlieferung bis zum 30.04.2020 sollten die vertraglichen Pflichten vollständig entfallen; der Vertrag sollte gewissermaßen nicht mehr existent sein. Bei Schlechterfüllung, konkret bei Lieferung mangelhafter Gegenstände, dies jedoch innerhalb der Frist, sollte dagegen das kaufrechtliche Gewährleistungsrecht zur Anwendung kommen. Hiermit deckt sich auch die öffentlich aufrufbare und der Kammer bekannte Antwort der Bundesregierung vom 01.10.2020 auf eine Kleine Anfrage von Bundestagsabgeordneten und der FDP-Fraktion (BT-Drucks. 19/23045), dort auf Frage 17: „Bei Nichteinhaltung des spätesten Liefertermins im OHV entfielen die gegenseitigen Pflichten der Vertragspartner (Fixgeschäft). Lieferten Anbieter mangelhafte Ware, findet gemäß des Open-House-Vertrages grundsätzlich das allgemeine Gewährleistungsrecht Anwendung.“
95Die Beklagte kann auch nicht mit dem Einwand gehört werden, dass bei einer derartigen Auslegung derjenige Lieferant, der eine offensichtlich mangelhafte Ware oder sogar ein Aliud liefert, möglicherweise bessergestellt wird als derjenige, der eine mangelfreie Sache verspätet anliefert, weil nur der erste Lieferant eine zweite Chance zur Erfüllung erhalte. Mag diese Rechtsfolge auch unbillig erscheinen und von dem Rechtsgedanken des Leistungsstörungsrechts des BGB abweichen, so ist sie doch auf die gerade von der Beklagten als Klauselverwenderin gewählte Formulierung zurückzuführen. Es hätte ihr bei der Gestaltung des OH-Vertrages freigestanden, auf die Formulierung zum absoluten Fixgeschäft einerseits und den ausdrücklichen Verweis auf das Gewährleistungsrecht andererseits zu verzichten. Stattdessen ist allen Formulierungen der Erklärungswille zu entnehmen, dass bei fristgerechten Lieferungen doch das Gewährleistungsrecht zum Tragen kommen soll. Hieran muss sich die Beklagte, die ihren Vertragspartnern diese Klausel selbst gestellt hat, festhalten lassen.
96b)
97§ 3 Ziff. 3.2 des Open-House-Vertrages ist in dieser Auslegung wirksam in den Vertrag einbezogen worden. Er ist insbesondere nicht überraschend im Sinne von § 305c BGB.
98aa)
99Einer Klausel muss, soll sie durch die negative Einbeziehungskontrolle ausgeschieden werden, neben der objektiven Ungewöhnlichkeit ein subjektives Element, konkret ein „Überrumpelungs- oder Übertölpelungseffekt“ innewohnen. Der Vertragspartner muss auf Grund der erheblichen Diskrepanz zwischen der beachtlichen Kundenerwartung und dem tatsächlichen Regelungsgehalt der Klausel im Zeitpunkt des Vertragsschlusses überrascht werden, weil er mit der durch sie eingeführten Regelung vernünftigerweise nicht habe rechnen müssen (BeckOK BGB/H. Schmidt, 68. Ed. 1.11.2023, BGB § 305c Rn. 18 m.w.N.).
100bb)
101Eine Überrumpelung der jeweiligen Vertragspartner des Open-House-Vertrages nach § 305c BGB lässt sich angesichts der eindeutigen, mehrfachen und hinsichtlich der optischen Vertragsgestaltung nicht im Ansatz verborgenen Regelung nicht erkennen.
102Dabei sind auch die Besonderheiten des hier streitgegenständlichen Vertragsschlusses im Open-House-Verfahren zu berücksichtigen. Es liegt in der Natur der Sache, dass dabei gerade keine individuellen Vertragsverhandlungen geführt werden. Die potentiellen Vertragspartner werden ausschließlich über die Bekanntmachungen des öffentlichen Auftraggebers über den Inhalt des beabsichtigten Liefervertrages informiert. Allein aufgrund eines dann abgegebenen Angebots war die Beklagte – die Erfüllung der Teilnahmebedingungen unterstellt – verpflichtet, den Zuschlag zu erteilen. Für individuelle Zusatzverhandlungen mit den einzelnen Lieferanten bestand damit überhaupt keine Möglichkeit. Mangels vergleichbarer Ereignisse vor der Covid19-Pandemie konnten die Lieferanten auch nicht auf Grundlage früherer Lieferverhältnisse von „üblichen“ Bedingungen ausgehen; dem gesamten Ausschreibungs- und Lieferprozess lag vielmehr die Einzigartigkeit der damaligen Ausnahmesituation zugrunde. Jegliche Erwartung der interessierten Lieferanten konnte damit ausschließlich durch die in den Bekanntmachungsunterlagen enthaltenen Beschreibungen geweckt werden. Es wird aber bereits in der Rubrik „Kurze Beschreibung“ zum Umfang der Beschaffung mitgeteilt, dass spätester Liefertermin der 30.04.2020 sei. Die Angabe wird unter „Beschreibung der Beschaffung“ wiederholt. Auch in den Teilnahmebedingungen erfolgt zum Ablauf des Zulassungsverfahrens ein entsprechender unmissverständlicher Hinweis. Sämtliche Lieferanten waren also bereits durch die entsprechenden deutlichen Hinweise in den vorvertraglichen Dokumenten auf den spätesten Liefertermin und auch auf dessen Relevanz hingewiesen worden. Das gesamte Open-House-Verfahren war erkennbar durch einen im Einzelnen vorgegebenen zeitlichen Ablaufplan gekennzeichnet.
103Ebenfalls nicht unberücksichtigt bleiben darf, dass im Vertrag selbst die Information zur besonderen Wichtigkeit der Frist in unmittelbarer Nähe zum spätesten Liefertermin enthalten ist. Bei letzterem handelt es sich um einen essentiellen Bestandteil der Pflichten des Lieferanten, sodass unterstellt werden kann, dass ein Interessent die entsprechende Regelung gerade nicht AGB-typisch überlesen, sondern vielmehr für seine Entscheidung, ob er ein Angebot abgibt, beachten und ggf. sogar aktiv suchen wird.
104Der Fall ist daher auch nicht vergleichbar mit dem Aluminiumkapsel-Fall des BGH (Urteil vom 17.01.1990 – VIII ZR 292/88 = NJW 1990, 2065). Dort ergab sich die Fixabrede aus den rückseitig auf die Auftragsbestätigung aufgedruckten AGB des Käufers, ohne dass der Vertrag oder die ihn begleitenden Umstände überhaupt einen Anhaltspunkt für eine irgendwie geartete zeitliche Begrenzung gegeben hätten. Insbesondere waren die entsprechenden Lieferfristen, denen nur aufgrund der AGB eine abweichende Bedeutung zukommen sollte, gerade nicht in unmittelbarer Nähe zur Klausel festgehalten worden. Anders als in der zuvor beschriebenen Ausnahmesituation der kurzfristigen Notwendigkeit einer Beschaffung von Schutzausrüstung in exorbitanten Mengen im April 2020 konnten die Vertragspartner im Aluminiumkapsel-Fall zudem von einem üblichen Handelskauf ausgehen und damit redlicher Weise eine konkrete Erwartung betreffend eine als üblich zu bezeichnende Vertragsabwicklung haben.
105c)
106Die Klausel hält auch der Inhaltskontrolle stand. Sie benachteiligt mit ihrem vorstehend ausgeführten konkreten Regelungsgehalt den jeweiligen Lieferanten als Vertragspartner der Beklagten als Verwenderin nicht unangemessen und entgegen den Geboten von Treu und Glauben, § 307 Abs. 1 BGB.
107So ist im Rahmen der durchzuführenden Interessenabwägung – auch aus dem damaligen Blickwinkel der sich rasch ausweitenden Pandemie und der daraus resultierenden besonderen Eilbedürftigkeit bei der Beschaffung – durchaus ein schutzwürdiges Interesse der Beklagten an dieser Rechtsfolge zu erkennen. Die Beklagte versuchte, soviel Schutzausrüstung wie irgendwie möglich in möglichst kurzer Zeit zu beschaffen und hat hierfür mit dem Open House-Verfahren ein Vorgehen gewählt, bei dem sie – abgesehen von der Vorgabe abstrakter Zulassungsvoraussetzungen zum Verfahren im Rahmen der Teilnahmebedingungen – keinerlei Entscheidungsmöglichkeiten mehr hinsichtlich der Wahl ihrer Vertragspartner hatte. Jedem Anbieter, der die abstrakten Teilnahmebedingungen erfüllte, die entsprechenden Vertragsbedingungen akzeptierte und ein Angebot abgab, musste automatisch der Zuschlag erteilt werden. Jegliche Prüfung auf Zuverlässigkeit und Vertrauenswürdigkeit war der Beklagten damit von Beginn an verwehrt. Es liegt auf der Hand, dass damit das Risiko einherging, auch Verträge mit solchen Anbietern abschließen zu müssen, die die versprochene Lieferung dann doch nicht erbringen konnten. Zugleich hatte die Beklagte einen gigantischen Logistikapparat vorzuhalten, um sämtliche Lieferungen, deren Anzahl und Volumina bis drei Tage vor Fristablauf nicht sicher feststanden, abarbeiten zu können. Auch hatte die Beklagte ein Bedürfnis nach schneller Abwicklung der Anlieferungen und Weitergabe an die bedürftigen Stellen. Hierauf gründet sich ein schützenswertes Interesse an einer Regelung, nach der solche Vertragspartner, die es nicht einmal geschafft haben, innerhalb der Vertragslaufzeit überhaupt eine Bereitschaft und/oder Tauglichkeit zur Vertragserfüllung nachzuweisen, automatisch von dem weiteren Verfahren ausgeschlossen werden. Anderenfalls hätte die Beklagte jeden säumigen Vertragspartner mahnen und zur Nacherfüllung auffordern bzw. sicherstellen müssen, auch bei einer verspäteten Lieferung die erforderliche Logistik bereitzuhalten. Selbst bei Annahme eines relativen Fixgeschäfts hätte die Beklagte jedem säumigen Vertragspartner gegenüber den Rücktritt erklären müssen. Auf Seiten der Beklagten lag zudem ein Bedürfnis dafür vor, die Fixgeschäftsabrede durch AGB formelhaft zu regeln. Ihr blieb im Open-House-Verfahren auch gar nichts anderes übrig, da Individualabreden schon nach dem gesamten Ablauf weder vorgesehen noch möglich waren.
108Bei einer Gesamtschau aller Umstände ist zudem festzustellen, dass die Nachteile der Fixabrede durch Vorteile auf Seiten der Verwendungsgegner angemessen kompensiert werden: Einerseits bot das Vorgehen im Open-House-Verfahren die Möglichkeit eines schnellen und reibungslosen Abschlusses großvolumiger Kaufverträge, bei denen der Lieferant selbst über die Menge und Zusammensetzung des Kaufgegenstandes (Stückzahl, Art der Schutzausrüstung – also Schutz-, OP-Maske und/oder Schutzkittel) entscheiden und sichergehen konnte, dass der Vertrag zu diesen Konditionen zustande kommen würde. Eine Überprüfung der Lieferanten auf ihre Zuverlässigkeit oder besondere Erfahrung war dem Vertragsschluss – wie erörtert – nicht vorgeschaltet. Durch die Vereinbarung einer fixen und sehr kurz bemessenen Zahlungsfrist von nur einer Woche ab Lieferung stand den Lieferanten zudem – jedenfalls bei mangelfreier Lieferung – bereits ab Fälligkeit der Zahlung ein Anspruch auf Verzugszinsen zu, sollte die Zahlung nicht fristgemäß erfolgen.
109Trotz der automatisch eintretenden und gravierenden Rechtsfolge der Klausel bei verspäteter Lieferung ist in der Praxis auch keine erhebliche Benachteiligung des Auftragnehmers gegenüber der Situation zu sehen, wie sie bei einem (nur) relativen Fixgeschäft bestanden hätte. Letzteres ist im Gesetz in § 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB ausdrücklich geregelt und damit gerade nicht per se als benachteiligend einzuordnen. Es hat zur Folge, dass ein Rücktritt ohne vorherige Fristsetzung zulässig ist, ohne dass es sich dabei um eine vollkommen vom gesetzlichen Leitbild abweichende Vereinbarung handeln würde. Zwar ist die vorherige Nachfristsetzung und das daraus resultierende Recht des Verkäufers zur zweiten Andienung der gesetzliche Regelfall (§§ 434, 437 Nr. 1, 439, 323 BGB). Allerdings sieht das Gesetz seit der Schuldrechtsreform Abweichungen von diesem Grundsatz vor, lässt diese also ausdrücklich zu. Das war unter der früheren Rechtslage (zur Zeit der Aluminiumkapsel-Entscheidung des BGH) gerade nicht der Fall (so auch OLG Bamberg vom 05.03.2021 – 3 U 68/20 –, Rn. 107). Rechtsfolge eines absoluten Fixgeschäfts ist nun, dass der Erfüllungsanspruch automatisch untergeht und unter Umständen ein Schadensersatzanspruch an dessen Stelle tritt. Zumindest aber hat der säumige Vertragspartner ab dem Moment des Fristablaufs die Sicherheit, dass er von der Gegenseite nicht mehr auf Erfüllung in Anspruch genommen werden kann. Wäre stattdessen bloß die Entbehrlichkeit einer Fristsetzung nach § 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB fingiert worden, hätte es die Beklagte – für sie aus damaliger Sicht möglicherweise sogar günstiger – in der Hand gehabt, bei nicht fristgerechter ordnungsgemäßer Lieferung entweder tatsächlich zurückzutreten oder – bei fortbestehendem Ausrüstungsbedarf und/oder Interesse an der Beibehaltung des vereinbarten Kaufvertrages über den 30.04.2020 hinaus – auf einer (zeitnahen) Nacherfüllung zu bestehen. Der Auftragnehmer wäre dadurch zumindest vorübergehend in eine Art Schwebezustand versetzt worden und gezwungen gewesen, die Lieferbemühungen fortzuführen und zu hoffen, dass ihm die Lieferung vor Zugang der Rücktrittserklärung gelingt. Dies verdeutlicht, dass die Rechtsfolge des absoluten Fixgeschäfts nicht zwingend benachteiligender sein muss als die eines – vom Gesetzgeber ausdrücklich geregelten – relativen Fixgeschäfts.
110Die hier streitgegenständliche Vertragsgestaltung unterscheidet sich von der Sachlage, wie sie der Entscheidung des BGH im Aluminiumkapsel-Fall (Urteil vom 17.01.1991, Az. VIII ZR 292/88) zugrunde lag, auch dadurch, dass die Wirkung der Fixabrede aus den bereits dargestellten Gründen lediglich die Lieferung der angebotenen Ware an sich, nicht aber die Lieferung mangelfreier Ware umfassen sollte. Ein Verkäufer, der die Frist einhalten kann und bei dem sich später herausstellt, dass die Ware nicht ordnungsgemäß ist, kann sich damit durchaus auf das Recht der zweiten Andienung berufen und damit seinen Kaufpreisanspruch durch ordnungsgemäße Nachbesserung erhalten. Er behält die Möglichkeit, seinen Zulieferer zur Nachlieferung mangelfreier Masken anzuhalten. Anderenfalls hätte er – zumindest für den Fall, dass er seinerseits seinem Zulieferer eine zweite Lieferchance hätte einräumen müssen – das hohe Risiko getragen, die bestellten Masken letztlich bezahlen zu müssen, ohne sie seinerseits an die Beklagte weiterveräußern zu können.
111Durch diese Reduzierung des Verkäuferrisikos einerseits und die vorbeschriebenen Vorteile andererseits ist – anders als bei „normalen“ Fixabreden – keine unangemessene Benachteiligung gegeben.
112d)
113Die demzufolge wirksame Regelung in § 3 Ziff. 3. 2 des Open-House-Vertrages greift allerdings im vorliegenden Fall nicht ein.
114Eine Schlechtleistung, konkret die Mangelhaftigkeit der Kaufsache, unterfällt aus den vorstehenden Erwägungen unter a) bb) schon nicht dem Anwendungsbereich der Klausel.
1152.
116Die Nachfristsetzung war auch nicht gemäß § 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB entbehrlich.
117a)
118Die Vorschrift ist einschlägig, wenn der Schuldner die Leistung bis zu einem im Vertrag bestimmten Termin oder innerhalb einer im Vertrag bestimmten Frist nicht bewirkt, obwohl die termin- oder fristgerechte Leistung nach einer Mitteilung des Gläubigers an den Schuldner vor Vertragsschluss oder auf Grund anderer den Vertragsabschluss begleitenden Umstände für den Gläubiger wesentlich ist. Erforderlich sind (1.) eine vertragliche Frist- oder Terminvereinbarung und (2.) dass die termin- oder fristgerechte Leistung (1. Alt.) nach einer Mitteilung des Gläubigers an den Schuldner vor Vertragsschluss oder (2. Alt.) auf Grund anderer den Vertragsschluss begleitenden Umstände für den Gläubiger wesentlich ist, also, dass das Geschäft mit der Einhaltung oder Nichteinhaltung der Lieferzeit stehen oder fallen soll (vgl. MüKoBGB/Ernst, 9. Aufl. 2022, BGB § 323 Rn. 121).
119b)
120Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.
121Eine vertragliche Terminvereinbarung ist mit dem 30.04.2020 zwar unstreitig getroffen worden. Es fehlt allerdings an der zweiten Voraussetzung, wonach die termin- oder fristgerechte Leistung entweder nach einer Mitteilung des Gläubigers an den Schuldner vor Vertragsschluss oder auf Grund anderer den Vertragsschluss begleitenden Umstände – und damit für den Schuldner erkennbar – für den Gläubiger wesentlich gewesen sein muss.
122So ist bereits dargestellt worden, dass die hierfür in Frage kommende entsprechende Regelung in § 3 Ziff. 3.2 des Vertragswerks nebst den entsprechenden Hinweisen während der Ausschreibung die Rechtsfolgen eines absoluten Fixgeschäfts bei Nichteinhaltung des 30.04.2020 anordnet, allerdings nur im Zusammenhang mit einer Nichtleistung. Dass sie auch bei einer Schlechtleistung gelten soll, ist ihr bereits nicht eindeutig zu entnehmen; aufgrund der weiteren Regelungen in § 6 Ziff. 6.1 und § 7 Ziff. 7.1 sowie der Begleitumstände musste der Vertragspartner aus den erwähnten Gründen vielmehr davon ausgehen, dass dann das allgemeine Gewährleistungsrecht einschließlich des Rechts zur zweiten Andienung gelten sollte.
123§ 3 Ziff. 3.2 sowie die weiteren Hinweise auf den spätesten Liefertermin im Zusammenhang mit der Ausschreibung und dem Vertragsschluss müssen demnach auch bei der Prüfung von § 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB so verstanden werden. Es würde einen unvereinbaren Widerspruch darstellen, wenn die Regelung einerseits nur die Nichtleistung betreffen und damit eine Zweiteilung der Rechtsfolgen bei nicht vertragsgemäßer Lieferung zwischen Nicht- und Schlechtleistung bewirken, aber andererseits für den Schuldner erkennbar machen soll, dass für den Gläubiger die Fristeinhaltung derart wichtig ist, dass er auch bei fristgerechter, aber mangelhafter Leistung ohne weiteres vom Vertrag zurücktreten kann.
1243.
125Die vorherige Fristsetzung zur Nacherfüllung ist auch nicht gemäß § 440 Satz 1 Var. 3 BGB oder gemäß § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB entbehrlich gewesen.
126a)
127Gemäß § 440 Satz 1 Var. 3 BGB ist ein Rücktritt auch ohne Nachfristsetzung möglich, wenn dem Käufer die ihm zustehende Art der Nacherfüllung unzumutbar ist. Dies ist – anders als im Rahmen von § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB – allein aus der Perspektive des Käufers zu bestimmen. Dabei kann sich die Unzumutbarkeit der Nacherfüllung aus der Person des Verkäufers, aus der Art des Mangels oder aus den mit der Nacherfüllung verbundenen Begleitumständen ergeben (vgl. hierzu BeckOK BGB/Faust, 68. Ed. 1.11.2023, BGB § 440 Rn. 42). Die bloße Tatsache, dass die Nacherfüllung Zeit benötigt, während der der Käufer die Sache nicht nutzen kann, führt jedoch nicht zur Unzumutbarkeit. Denn aus dem Erfordernis der Nachfrist folgt gerade, dass der Käufer diese Zeit prinzipiell in Kauf nehmen muss (BeckOK BGB/Faust, 68. Ed. 1.11.2023, BGB § 440 Rn. 46 m.w.N.). Derartige Umstände hat die Beklagte nicht dargelegt. Soweit sie insbesondere mit Schriftsatz vom 06.02.2024 hierzu ausführt, deckt sich die Argumentation in weiten Teilen mit der Begründung, die für die Annahme eines relativen Fixgeschäfts angeführt werden. Insbesondere vermögen weder die vorgebrachten Gesundheitsgefahren noch die Störung des Betriebsablaufs durch Nachlieferungen und auch nicht die „Gesamtschau der Umstände“ eine Unzumutbarkeit der Nachfristsetzung zu begründen. Denn jedenfalls eine kurze Fristsetzung wäre der Beklagten auch unter den besonderen Umständen der pandemiebedingten Beschaffung großer Mengen an Schutzausrüstung zumutbar gewesen. Dass sie nicht über die zur Abwicklung von Nachlieferungen erforderlichen logistischen Kapazitäten verfügt hätte, wird bereits dadurch widerlegt, dass sie bis dato noch Masken einlagert, die Gegenstand von vor der Kammer geführten Verfahren sind. Dass sie nicht über die haushalterischen Mittel verfügt hätte, ein Prüfinstitut wie den TÜV Nord „über einen unbestimmten Zeitraum“ mit der Prüfung von Nachlieferungen zu beauftragen, vermag ebenso wenig zu überzeugen. Denn die Beklagte hat sämtliche angelieferten Masken binnen kurzer Zeit einer stichprobenartigen Überprüfung durch den TÜV unterzogen. Dass die Institute nicht auch noch für etwaige – nach kurzer Nachfristsetzung – gelieferte Masken hätten beauftragt werden können, erschließt sich nicht. Auch das Argument, man hätte mit der Zulassung von Nachlieferungen, „Gesundheitsgefahren für Personen im Gefahrenkreis“ geschaffen, teilt die Kammer nicht. Es erschließt sich schon nicht, weshalb eine Nachlieferung zu einer notwendigen „weitergehenden Untersuchung“ von PSA geführt hätte.
128Soweit die Beklagte mit Schriftsatz vom 06.02.2024 erstmals behauptet, die gelieferten Masken seien auch deshalb mangelhaft, weil sie gegen regulatorische Vorgaben verstießen, nämlich unzulässigerweise eine CE-Kennzeichnung trügen, folgt daraus nichts anders. Insbesondere führt der Umstand einer unzulässigen CE-Kennzeichnung der Erstlieferung nicht dazu, dass der Beklagten die Annahme einer Nachlieferung durch die Klägerin unzumutbar wäre. Da die Beklagte selbst offenlässt, ob die unzulässige Verwendung einer CE-Kennzeichnung von einem Vorsatz der Klägerin als Lieferantin gedeckt war oder ob es sich hier um eine (alleinige) Täuschung durch den Hersteller handelte, kann die Unzumutbarkeit der Nachlieferung nicht auf ein doloses Handeln der Klägerin gestützt werden. Abseits von Fällen bewusster Täuschung lässt sich aber die Unzumutbarkeit einer Nachlieferung im vorliegenden Fall nicht begründen. Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass die Klägerin der Beklagten unstreitig weitere 267.000 Schutzmasken anderer Hersteller geliefert hat, die sämtlich unbeanstandet geblieben sind. Der Umstand der fehlerhaften Kennzeichnung der hier streitgegenständlichen Lieferung musste hiernach bei der Beklagten nicht zu dem Anschein einer generell fehlenden Zuverlässigkeit der Klägerin führen.
129b)
130Die vorherige Fristsetzung zur Nacherfüllung war auch nicht gemäß § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB entbehrlich. Aus den bereits dargelegten Gründen fehlt es an „besonderen Umständen“, die unter Abwägung der beiderseitigen Interessen den sofortigen Rücktritt rechtfertigen. Vielmehr gebietet die Abwägung der Interessen jedenfalls die Setzung einer kurzen Nachfrist zur Nachlieferung.
131III.
132Der Kaufpreisanspruch ist auch nicht gemäß § 376 HGB erloschen.
133Diese Vorschrift ist für das vorliegende Vertragsverhältnis zwar grundsätzlich einschlägig, da sie lediglich ein einseitiges Handelsgeschäft voraussetzt und die Klägerin den Vertrag als Handelsgesellschaft geschlossen hat.
134Inhaltlich ist § 376 HGB allerdings darauf ausgerichtet, ein relatives Fixgeschäft abweichend zu § 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB zu regeln (vgl. BeckOK HGB/Schwartze, 40. Ed. 1.7.2023, HGB § 376 Rn. 1; EBJS/Achilles, 4. Aufl. 2020, HGB § 376 Rn. 1, 3; MüKoHGB/Grunewald, 5. Aufl. 2021, HGB § 376 Rn. 1). Ein solches liegt aus den obenstehenden Gründen jedoch gar nicht vor. Vielmehr ist den Klauseln in § 6 Ziff. 6.1 und § 7 Ziff. 7.1 S. 2 unmissverständlich zu entnehmen, dass für den Fall der rechtzeitigen, aber mangelhaften Lieferung das Vertragsverhältnis gerade unverändert fortbestehen und über Gewährleistungsansprüche abgewickelt werden sollte. Für die in § 376 HGB vorgesehenen Rechtsfolgen, die gerade nach dem Ablauf der Frist, hier also des 30.04.2020, greifen würden, insbesondere die Beschränkung auf Rücktritt und Schadenersatz, ist damit kein Raum.
135IV.
136Der Zahlungsanspruch der Klägerin ist auch fällig. Insbesondere ist die Klägerin nicht im Hinblick auf einen etwaigen Nacherfüllungsanspruch der Beklagten zur Vorleistung verpflichtet. Denn eine Vorleistungspflicht sah der Vertrag in Ziffer 5.1 nur für den primären Anspruch auf „Lieferung“ vor. Diesen hat die Klägerin mit Lieferung der Masken erfüllt. Dass diese Vorleistungspflicht darüber hinaus auch auf etwaige Sekundäransprüche, insbesondere den an die Stelle des Erfüllungsanspruchs tretenden Nachlieferungsanspruch, durchschlagen sollte, lässt sich dem Vertrag nicht entnehmen. Vielmehr verweist Ziffer 6.1 für die Behandlung von Sach- und Rechtsmängelansprüchen auf die „gesetzlichen Vorschriften“, sofern nichts Anderes bestimmt ist. Die gesetzlichen Regelungen kennen aber keine Vorleistungspflicht des nacherfüllungspflichtigen Verkäufers.
137V.
138Der Anspruch der Klägerin auf Zahlung des Kaufpreises ist jedoch gemäß §§ 322, 320 Abs.1 BGB nur Zug-um-Zug gegen Nachlieferung neuer, der Leistungsbeschreibung des Vertrages entsprechenden Masken durchsetzbar.
139Denn die Beklagte hat sich in Ansehung der Klageforderung zulässigerweise auf die Einrede des nicht erfüllten Vertrages gemäß § 320 Abs. 1 BGB berufen.
1401.
141Die von der Beklagten mit Schriftsatz vom 11.04.2022 (Bl. 561 ff. d.A.) aufgestellte Bedingung für die Geltendmachung des „Zurückbehaltungsrechts“ ist gegeben. Die Beklagte wäre nämlich ansonsten – unabhängig von der Frage der Mangelhaftigkeit der ausgelieferten Masken – uneingeschränkt zur Kaufpreiszahlung zu verurteilen, weil der Rücktritt bereits aus Rechtsgründen unwirksam ist.
1422.
143Die Geltendmachung eines Zurückbehaltungsrechts nach § 320 Abs. 1 BGB unter Berufung auf einen Anspruch auf Nacherfüllung ist möglich, da die geforderte und die zurückbehaltene Leistung in einem Gegenseitigkeitsverhältnis stehen. An der sich aus § 433 BGB ergebenden synallagmatischen Verknüpfung von Leistung und Gegenleistung nehmen auch jene Sekundäransprüche teil, die an die Stelle synallagmatischer Primärpflichten treten, so auch der Nacherfüllungsanspruch aus § 439 BGB (vgl. bereits BGHZ 61, 42 (45) = NJW 1973, 1792; OLG Nürnberg BeckRS 2021, 7538 Rn. 177; Erman/Ulber Rn. 15 f. BeckOK BGB/H. Schmidt, 67. Ed. 1.8.2023, BGB § 320 Rn. 12), auf den die Beklagte sich hier beruft.
1443.
145Sie ist hinsichtlich der von ihr zurückgehaltenen Leistung – dem Kaufpreisanspruch – auch nicht vorleistungspflichtig, was zum Ausschluss der Einrede des nicht erfüllten Vertrages führen würde. Denn auf diese kann sich nur der nicht vorleistungspflichtige Schuldner berufen, § 320 Abs. 1 BGB.
146Der Vertrag sieht in §§ 3 und 5 lediglich eine Vorleistungspflicht des Verkäufers bezüglich seiner primären Vertragspflicht vor: Er hat die vertraglich vereinbarte Menge an Schutzausrüstung zunächst zu liefern; erst an diese Lieferung knüpft der Vertrag die Fälligkeit der Zahlungspflicht der Beklagten, die erst sieben Tage nach Lieferung und Rechnungstellung zu erfüllen ist. Damit statuiert der Vertrag eine sogenannte beständige Vorleistungspflicht des Lieferanten.
147Indes kann den Regelungen der §§ 3 und 5 des Vertrages, insbesondere nicht den Ziffern 5.1 und 5.2 eine weitere – gestaffelte – Vorleistungspflicht der Beklagten nach Erfüllung der primären Leistungspflicht durch den Lieferanten entnommen werden (a.A. LG Bonn, 20. Zivilkammer, Urteil vom 12. Juli 2023 – 20 O 49/22 –, Rn. 101, juris). Insbesondere ergibt sich aus der Regelung zur Fälligkeit des Kaufpreises in Ziffer 5.1 des Vertrages nicht, dass die Beklagte unabhängig von einer etwaigen Mangelhaftigkeit zur Kaufpreiszahlung verpflichtet wäre. Das würde gleichzeitig bedeuten, dass sie Mängelansprüche erst dann geltend machen könnte, nachdem sie den Kaufpreis bezahlt hätte. Letztlich wäre sie dann auch zur Bezahlung offensichtlich mangelhafter Masken verpflichtet, ohne dass sie den dann auch offensichtlich bestehenden Nacherfüllungsanspruch einredeweise geltend machen könnte. Ein derartiges Verhältnis von Nacherfüllungs- und Zahlungsanspruch kann auch nicht dem Wortlaut oder Sinn und Zweck des § 5.2 entnommen werden. Darin ist zwar bestimmt, dass die Zahlung des Kaufpreises unter Vorbehalt einer Rückforderung wegen „nicht oder mangelhaft erbrachter Leistung“ steht. Dies steht aber in erkennbarem Zusammenhang mit der Absicht, mögliche Einwände gegen einen Rückforderungsanspruch nach § 814 BGB auszuschließen. Dies steht auch nicht im Widerspruch zu der Auffassung des Oberlandesgerichts Köln in dessen Beschluss vom 24.05.2022 (Az. 15 U 116/21), wonach (…) § 5.1 dahingehend auszulegen (ist), dass die Fälligkeit der Vergütung nur von der Lieferung als solcher, aber nicht von der Lieferung mangelfreier Ware abhängig ist (…).“. Denn damit bezieht sich das Oberlandesgericht nur auf die Fälligkeit der Vergütung, nicht jedoch auf die davon zu unterscheidende Durchsetzbarkeit des Anspruchs.
1484.
149Der Beklagten steht der einredeweise geltend gemachte Anspruch auf Nachlieferung von Masken aus §§ 437 Nr. 1, 439 BGB zu.
150a)
151Unschädlich ist in diesem Zusammenhang, dass die Beklagte ihren Zahlungsanspruch nicht von der Ersatzlieferung mangelfreier, sondern ausdrücklich „verkehrsfähiger“ Schutzmasken abhängig macht.
152Zwar ist nicht ersichtlich, weshalb ihr ein solchen Anspruch zustehen sollte. Denn es ist weder vorgetragen noch erkennbar, dass die Klägerin die Lieferung (dauerhaft) verkehrsfähiger Masken schuldete. Das Kriterium der Verkehrsfähigkeit wurde in der Auftragsbekanntmachung, dem Vertrag und der Leistungsbeschreibung nicht erwähnt. Es kann auch nicht als selbstverständlich unterstellt werden, dass sämtliche nach der Leistungsbeschreibung zulässige Normen/Standards Masken zum Gegenstand hatten, die auch heutzutage noch als verkehrsfähig anzusehen wären. Dies gilt insbesondere unter Berücksichtigung des Umstands, dass von der Politik zu Beginn der Pandemie mehrere Ausnahmen betreffend die Verkehrsfähigkeit von Schutzmasken geschaffen worden waren, um dem sprunghaft angestiegenen Bedarf bei gleichzeitiger Knappheit an bisher zulässigem Material zu begegnen; von diesen Ausnahmen sind viele nach gewisser Zeit wieder entfallen. Wenn die Beklagte nunmehr die Verkehrsfähigkeit der nachzuliefernden Masken verlangt, verlangt sie mehr als ihr nach dem Vertrag, insbesondere der Leistungsbeschreibung in Anlage 3 der Vergabeunterlagen, zustünde.
153Ausreichend für ein Zurückbehaltungsrecht ist jedoch, dass der Beklagten überhaupt ein Anspruch auf Nacherfüllung gemäß § 439 BGB zusteht. Wie die Klägerin einem etwaigen Anspruch nachkommt, insbesondere welchen nach der Leistungsbeschreibung zulässigen Standard nach welcher Norm die neuen Masken aufweisen, unterliegt zunächst einmal ihrer Entscheidung. Erst wenn diese Nachlieferung aus Sicht der Beklagten nicht verkehrsfähig sein und sie sie aus diesem Grund zurückweisen sollte, wäre diese Rechtsfrage näher zu prüfen. Bis dahin ist die Beklagte gemäß § 320 BGB berechtigt, die Zahlung des noch offenen Teils des Kaufpreises ohne nähere Konkretisierung allein unter Hinweis auf den ihr vermeintlich zustehenden Nacherfüllungsanspruch zu verweigern.
154b)
155Aufgrund des gesamten Inhalts der Verhandlung und des Ergebnisses der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass die von der Klägerin gelieferten Masken im Sinne von § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB a.F. mangelhaft sind, da der nicht auszuräumende Verdacht einer Mangelhaftigkeit besteht.
156aa)
157Bereits der auf konkreten Tatsachen beruhende, nicht auszuräumende Verdacht eines Mangels kann nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs als Sachmangel im Sinne des § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB a.F. anzusehen sein. Dies hat der Bundesgerichtshof für den Kauf von Lebensmitteln, die zur Weiterveräußerung bestimmt sind, angenommen (etwa zum Verdacht auf Dioxinbelastung von Tierfutter ausführlich: BGH, Urteil vom 22. Oktober 2014 – VIII ZR 195/13 –, BGHZ 203, 98-115, Rn. 42 ff., juris). Maßgeblich ist, dass sich der Verdacht eines Mangels – in der zitierten Entscheidung der Verdacht der toxischen Belastung von Tierfutter – durch dem Käufer zumutbare Maßnahmen nicht beseitigen lässt und daher die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verkäuflichkeit der Ware entfallen ist (vgl. auch die weiteren Urteile des Bundesgerichtshofs vom 16. April 1969 - VIII ZR 176/66, BGHZ 52, 51; vom 14. Juni 1972 - VIII ZR 75/71, WM 1972, 1314; vom 23. November 1988 - VIII ZR 247/87, NJW 1989, 218; jeweils zu § 459 Abs. 1 BGB a.F.). Der Bundesgerichtshof hat in diesem Zusammenhang klargestellt, dass auch ein Verdacht, der erst nach Gefahrübergang entsteht, einen Sachmangel im Sinne von § 434 BGB darstellt, wenn er auf Tatsachen beruht, die vor Gefahrübergang gegeben waren, jedoch nicht erkannt worden sind (BGH, Urteil vom 14. Juni 1972 - VIII ZR 75/71, WM 1972, 1314). Dies hat er für das neue Schuldrecht bestätigt (BGH, Urteil vom 22. Oktober 2014 – VIII ZR 195/13 –, BGHZ 203, 98-115, Rn. 44).
158Diese Grundsätze sind auf den vorliegenden Fall übertragbar. Denn einerseits sind die hier im Streit stehenden Kaufsachen – Schutzmasken zum Schutz vor Covid 19 – von besonderer Bedeutung für die Gesundheit des Endverbrauchers, zu deren Schutz sie gerade bestimmt sind. Andererseits sind etwaige Mängel des Produktes, die etwa die Filterleistung betreffen, für den Anwender nicht erkennbar. Liegen unter diesen Umständen nun Tatsachen vor, die den Verdacht begründen, dass sich die gekauften Masken nicht zu der vertraglich vorausgesetzten Verwendung eignen bzw. nicht den Anforderungen des Vertrages entsprechen, so begründet dies einen Mangel der gesamten Lieferung. Denn dem Käufer ist es nicht zumutbar, die Gesamtmenge auf Mängel zu prüfen, um etwaige mangelfreie Exemplare von mangelhaften zu trennen. Dies ist schon deshalb nicht möglich, da die Mangelhaftigkeit der Masken hinsichtlich ihrer Filterleistung – wie bereits erörtert – äußerlich nicht erkennbar ist und etwaige Tests – selbst wenn die Maske sie bestehen sollte – zu deren Unbrauchbarkeit führen. Vor diesem Hintergrund machen Zweifel an der Wirksamkeit der Masken diese im Endeffekt unverkäuflich. Dies stellt bei einem auf Weitergabe der Masken an Dritte gerichteten Vertrag einen Mangel dar.
159Im Unterschied zu dem vom Bundesgerichtshof im Urteil vom 22. Oktober 2014 (Az. VIII ZR 195/13) entschiedenen Fall, in welchem der Bundesgerichtshof die Annahme eines Mangelverdachts in Gestalt einer Dioxinbelastung von Tierfutter bereits bestätigt hat, ohne dass eine Beprobung der tatsächlich gelieferten Chargen noch möglich gewesen wäre, haben sich im vorliegenden Fall nach Beweisaufnahme gerade Teile der streitgegenständlichen Lieferung als mangelhaft erwiesen. Vermögen aber nach dem BGH bereits an nicht gelieferten Gegenständen festgestellte Mängel den Verdacht eines Mangels der Kaufsache zu begründen, so muss dies gleichermaßen oder viel mehr erst recht dann gelten, wenn sich – wie hier – mangelhafte Einzelstücke innerhalb der Liefermenge befinden. Deren Mangelhaftigkeit strahlt dann als Verdacht auch auf die nicht beprobten und mit vernünftigem Aufwand auch nicht beprobbaren restlichen Einzelstücke der Lieferung ab.
160Dies vorausgeschickt, ist der Beklagten der ihr obliegende Beweis gelungen, dass im vorliegenden Fall Tatsachen vorliegen, die einen Mangelverdacht hinsichtlich der gelieferten Gesamtmenge begründen.
161bb)
162Der entsprechenden Prüfung ist zugrunde zu legen, dass sich die Masken sowohl an den Vorgaben der GB2626 für den Standard KN95 als auch an den Vorgaben der EN149 für den Standard FFP2 messen lassen müssen. Dies stellt eine geschuldete Eigenschaft der Kaufsache dar.
163Denn die von der Klägerin gelieferten Masken waren nicht nur durch entsprechenden beidseitigen Aufdruck auf dem Filterelement als „KN95“-Masken gekennzeichnet (vgl. die Lichtbilder Abb. 2d und 2e im Gutachten des Sachverständigen M Seiten 17-18 = Bl. 791 und 792 d.A.). Die Masken waren überdies mit der Bezeichnung „FFP 2“ und „EN 149“ versehen, wie sich aus dem Lichtbild Abb. 2d im schriftlichen Gutachten des Sachverständigen ergibt (Seite 17 des Gutachtens = Bl. 791 d.A.) und der Sachverständige im Rahmen seiner mündlichen Anhörung bestätigt hat. Darüber hinaus war den in 12er-Packs gelieferten Masken jeweils ein mit „Product Quality Certificate“ betitelter „Beilagenzettel“ beigefügt, der als „Executive Standard“ sowohl „FFP2 NR EN 149/2001“ als auch GB 2626-2006 auswies (Lichtbild Abb. 2c im Gutachten, Seite 16 = Bl. 790 d.A.).
164Die Leistungsbeschreibung in den Open-House-Vergabeunterlagen ist so zu verstehen, dass der Verkäufer Masken liefern muss, die zumindest einem der dort genannten Standards (also beispielsweise FFP2 nach EN149 oder KN95 nach GB2626) entsprechen. Dagegen sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass mit der Wahl der Überschrift „FFP2“ eine Art Legaldefinition dergestalt beabsichtigt war, dass eine Maske mit der Bezeichnung „FFP2“ auch dann vertragsgerecht sein soll, wenn sie nur dem Standard KN95 (oder einem anderen zitierten bzw. gleichwertigen Standard) entspricht. Die Ausschreibung hat es vielmehr dem Verkäufer überlassen, welche Art von Maske er liefern möchte, solange sie eine der genannten Standards nach den zitierten oder gleichwertigen Normen erfüllt.
165Wenn sich der Verkäufer dann aber dazu entschließt, eine Maske mit dem Aufdruck „KN95“ zu liefern, muss er dafür einstehen, dass gerade dieser Standard nach der hierfür maßgeblichen Norm – GB2626 – eingehalten wird. Weist die Maske Bezeichnungen nach mehreren Normen auf, müssen diese Standards demnach auch kumulativ eingehalten werden. Dies gilt auch dann, wenn sich der Hinweis auf einen weiteren Standard – wie hier EN149 – nicht auf dem Filterelement der Einzelmaske befindet, sondern aus einem den Schutzmasken beigefügten „Zertifikat“ bzw. „Beipackzettel“ oder der Beschriftung des Umkartons. Denn es muss davon ausgegangen werden, dass die Masken zumindest in diesen Gebinden in den Verkehr gebracht werden.
166Dies kann zwar nicht § 434 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 b) BGB entnommen werden, weil der Aufdruck auf dem Etikett bzw. Umkarton die Kaufentscheidung nicht rückwirkend beeinflussen konnte und damit die Ausnahme nach Satz 3 eingreift. Es handelt sich aber um eine objektive Anforderung im Sinne einer Beschaffenheit, die bei Sachen derselben Art üblich ist und die der Käufer erwarten kann. Mit der Lieferung eines Produkts, welches den entsprechenden Aufdruck enthält, hat der Verkäufer für einen objektiven Dritten an der Stelle des Warenempfängers nicht den Eindruck erweckt, dass die Masken (nur) irgendeinen der vertraglich zulässigen Standards einhalten, sondern vielmehr, dass sie (zumindest auch) den bzw. die genannten Standard(s) erfüllen. Es war für den jeweiligen Verkäufer auch erkennbar, dass die Masken in den allgemeinen Verkehr, konkret in verschiedene Einrichtungen des Gesundheitswesens und anderer Bereiche gelangen sollten. Ein Verwender, der über die näheren Hintergründe der ursprünglichen Beschaffung des Produkts nicht informiert wäre, würde aber anhand des Aufdrucks mit Recht darauf vertrauen, dass die Vorgaben des aufgedruckten Standards nach der konkret benannten Norm auch eingehalten werden. Wenn die Masken einmal in den Verkehr gebracht sind, weiß niemand mehr, was ursprünglich Vertragsinhalt des Open-House-Vertrages war. Stattdessen geht jeder davon aus, dass der Aufdruck auf den Masken und/oder auf den Kartons bzw. den beigefügten Zertifikaten bzw. „Beipackzetteln“ maßgeblich ist. Nach allgemeiner Lebenserfahrung kann auch davon ausgegangen werden, dass das Vertrauen in eine Maske nach der europäischen Norm EN149 höher ist als in eine nach chinesischen Maßstäben. Dementsprechend kann nicht davon ausgegangen werden, es werde den betroffenen Verkehrskreisen, die später in den Besitz der Maske gelangen, gleichgültig sein, welchem Standard sie genügt, solange nur irgendeine der genannten Normen aus der – den Endnutzern nicht bekannten – Leistungsbeschreibung eingehalten wird.
167Dies bedeutet hier, dass sich die Masken an den Vorgaben der EN149 für den Standard FFP2 und auch an den Vorgaben der GB2626 für den Standard KN95 messen lassen müssen.
168cc)
169Aufgrund des gesamten Inhalts der Verhandlung und des Ergebnisses der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass konkrete Tatsachen vorliegen, die den Verdacht begründen, dass die von der Klägerin gelieferten Masken jedenfalls die vertraglich vereinbarten Grenzwerte zum Filterdurchlass nach der Norm EN 149 nicht einhalten. Dies steht aufgrund der in sich schlüssigen, widerspruchsfreien und in der Sache überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen in seinen schriftlichen Gutachten sowie in der mündlichen Verhandlung vom 14.02.2024 fest, denen die Kammer uneingeschränkt folgt. Der Sachverständige hat im vorliegenden Fall neun Testexemplare einer Prüfung des Filterdurchlasses nach EN 149 unterzogen. Hierbei ergab sich, dass alle Masken den zulässigen Filterdurchlasswert von sechs Prozent bei der Prüfung mit Paraffinöl nicht einhalten, sondern bei weitem übersteigen. Die Messergebnisse ergaben Werte zwischen 10,06 und 24,45 Prozent (Seite 3 der Anlage zum Gutachten = Bl. 800 d.A.). Selbst die Masken mit den geringsten Durchlasswerten verfehlten damit den Grenzwert um fast das Doppelte.
170Der Sachverständige hat bei der Filterdurchlassprüfung auch die korrekten Vorgaben der Norm EN 149 zum Volumenstrom angewandt. Die Norm sieht im Unterschied zur GB2626 die Messung mit einem Luftstrom von 95 l/min vor. Dies entspricht dem gewählten Prüfungsparameter, wie sich aus dem als Anlage dem Gutachten beigefügten Test-Report (Bl. 799 d.A.) ergibt und der Sachverständige im Rahmen seiner Anhörung bestätigt hat. Überdies war es ebenfalls zutreffend, dass die Durchlassprüfungen sowohl mit dem Medium Natriumchlorid als auch mit Paraffinöl erfolgten. Denn nach den Vorgaben der EN 149 muss eine Schutzmaske die Prüfung mit beiden Testmedien erfolgreich bestehen, um nach EN 149 zugelassen werden zu können. Vor diesem Hintergrund ist auch unerheblich, dass drei von neun weiteren geprüften Masken die Grenzwerte bei der Prüfung mit Natriumchlorid einhielten. Ebenso unerheblich ist, ob die Masken bei einer an den Vorgaben von GB2626 orientierten Prüfung die Grenzwerte einhalten würden. Da die Masken auch den Aufdruck FFP2 und EN 149 tragen, müssen sie sowohl die Grenzwerte nach der einen wie auch nach der anderen Norm erfüllen. Fallen sie nach einer Norm durch, bedarf es nicht mehr der Ermittlung der Grenzwerte nach der anderen Norm. Es geht insoweit nicht um ein Alternativ-, sondern um ein Kumulativverhältnis der dargestellten Grenzwerte. Insoweit wird auf die Ausführungen unter bb) Bezug genommen.
171Die unzureichende Filterleistung stellt einen Mangel der geprüften Exemplare dar. Denn die Beklagte durfte – schon aufgrund des Aufdrucks auf dem Filterelement – erwarten, dass die Masken die Vorgaben der EN 149 gerade auch zum Filterdurchlass einhalten.
172Die Ergebnisse legen auch den Verdacht nahe, dass die gesamte Lieferung der Klägerin unter diesem Mangel leidet. Es bedarf vor diesem Hintergrund keiner Auseinandersetzung mit der Frage, ob die an neun Exemplaren gefundenen Ergebnisse statistisch betrachtet eine hinreichende Grundlage darstellen, um mit Sicherheit auf den Zustand der Gesamtmenge schließen zu können. Denn der Beklagten oblag im vorliegenden Verfahren nicht der Beweis dafür, dass sämtliche gelieferte Masken mangelhaft sind. Wie bereits dargestellt, ist ausreichend, dass der nicht ausräumbare Verdacht besteht, dass auch die weiteren, von dem Sachverständigen nicht geprüften Masken, unter diesem Mangel leiden. Dieser Verdacht besteht hier, da sich schon bei der Prüfung einer relativ kleinen Menge durchgängig eine erhebliche Überschreitung der zulässigen Filterdurchlasswerte ergeben hat und die Werte in sich ausgesprochen einheitlich sind, da sie sich in einer geringen Marge von 10,06-24,45 Prozent bewegen.
173Dieser Mangelverdacht lässt sich nicht durch zumutbare Maßnahmen beseitigen. Denn es ist der Beklagten weder möglich noch zumutbar, sämtliche Einzelstücke der gelieferten Gesamtmenge auf ihren Filterdurchlass hin zu überprüfen. Ferner ist es auch nicht möglich, den Mangelverdacht auf bestimmte, abgrenzbare Teilmengen der gelieferten Gesamtmenge zu beschränken. Hinzukommt, dass die Masken, was die Klägerin wusste, zum Einsatz in einem besonders sensiblen Bereich, nämlich dem Gesundheitsschutz, bestimmt waren. Auch vor diesem Hintergrund berechtigt bereits der bloße, sachverständig bestätigte Verdacht, zur Annahme eines Mangels der Gesamtlieferung.
174Unabhängig davon lässt das vorgefundene Ergebnis, dass von neun willkürlich aus der Gesamtlieferung gezogenen Prüflingen alle mit einem vergleichbaren Wert beim Filterdurchlassgrad durchfallen, den Schluss zu, dass zumindest ein nicht unerheblicher Teil der gelieferten Masken mangelhaft und dieses Ergebnis auf die Gesamtlieferung projizierbar ist.
175dd)
176Die Kammer ist aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme zudem davon überzeugt, dass die von der Klägerin gelieferten Masken auch zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs mangelhaft im Sinne des § 434 BGB in der bis zum 31.12.2021 geltenden Fassung waren. Denn das Ergebnis der gutachterlichen Prüfung lässt hinreichend valide Rückschlüsse darauf zu, dass der Mangelverdacht bereits zu diesem Zeitpunkt begründet war.
177(1)
178Gemäß § 434 Abs. 1 BGB kommt es für die Frage der Mangelhaftigkeit auf den Zeitpunkt des Gefahrübergangs an. Der Verkäufer trägt das Risiko einer Verschlechterung der Kaufsache zwischen Vertragsschluss und Gefahrübergang und kann bei Vertragsschluss vorhandene Mängel noch bis zum Gefahrübergang beseitigen. Mängel, die nach Gefahrübergang eintreten, liegen dagegen nicht im Anwendungsbereich des Gewährleistungsrechts. Entscheidend ist, dass der Mangel bei Gefahrübergang vorliegt, unabhängig davon, ob er schon zu diesem Zeitpunkt erkennbar ist (BeckOK BGB/Faust, 66. Ed. 1.5.2023, BGB § 434 Rn. 23, 26).
179(2)
180Im Ergebnis kann dahinstehen, ob der Strengbeweis erbracht worden ist, dass der Verdacht besteht, dass die gelieferten Masken zum Zeitpunkt der Lieferung den vorgegebenen Wert von sechs Prozent Filterdurchlassgrad nicht eingehalten haben.
181(a)
182Die Prüfungen des Sachverständigen konnten naturgemäß nur zu einem Zeitpunkt erfolgen, der deutlich nach dem maßgeblichen liegt. Ausweislich der dem Gutachten beigefügten Anlagen fanden die Tests zur Filterleistung zwischen dem 03.01.2023 und dem 06.01.2023 statt.
183Es ist zwar zweifelhaft, ob eine Maske, die bei Lieferung höchsten sechs Prozent der Paraffinöl-Aerosole durchgelassen hat, nur zweidreiviertel Jahre später plötzlich einen Durchlass jenseits der 10 Prozent aufweisen würde. Der Sachverständige hat ausgeführt, eine „Rückrechnung“ der ermittelten Durchlasswerte auf den Zeitpunkt der Lieferung sei ihm mangels genauerer Kenntnis der verarbeiteten Werkstoffe nicht möglich. Einer derartigen „Rückrechnung“ bedarf es aber auch nicht.
184(b)
185Aufgrund des gesamten Inhalts der Verhandlung und des Ergebnisses der Beweisaufnahme steht jedoch fest, dass die durch den Sachverständigen geprüften Masken zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs nicht die ausreichende Qualität aufwiesen, um zumindest bis zum Ende der vereinbarten Mindesthaltbarkeit die vorgeschriebenen Grenzwerte einzuhalten.
186(aa)
187Kann ein Käufer beweisen oder wird zu seinen Gunsten vermutet, dass der eingetretene Funktionsverlust seine Ursache in der Qualität der Kaufsache hat, so begründet dies dann einen Mangel, wenn eine bessere Qualität, sprich eine längere Haltbarkeit vertraglich geschuldet war. So können die Parteien eine bestimmte Haltbarkeit vereinbaren. In der Praxis kommen derartige Vereinbarungen allerdings kaum vor. Anzunehmen haben wird man sie allerdings in denjenigen Fällen, in denen der Hersteller eines Produkts (regelmäßig aufgrund einer gesetzlichen Vorgabe) ein Mindesthaltbarkeitsdatum angibt; dann wird diese Mindesthaltbarkeit entlang der Handelskette jeweils im Verhältnis Verkäufer-Käufer regelmäßig konkludent mitvereinbart sein (Bach/Wöbbeking, NJW 2020, 2672 Rn. 12, 13).
188Diese Überlegungen sind auch bei Lieferungen wie im vorliegenden Fall heranzuziehen. So ist in den einschlägigen Normen festgelegt, dass Schutzmasken der vorliegenden Art ein Mindesthaltbarkeitsdatum (z.B. „Ende der Lagerzeit“, „storage life cycle“) ausweisen müssen.
189Bestehen die vom Sachverständigen geprüften Masken die Prüfungen, so kann in der Regel davon ausgegangen werden, dass sie auch zum Zeitpunkt der Lieferung (= Gefahrübergang) die geschuldeten Eigenschaften hatten. Fallen sie durch, obwohl das Mindesthaltbarkeitsdatum noch nicht abgelaufen ist, wird der Rückschluss zulässig sein, dass die Masken bei Gefahrübergang nicht die nötige Qualität aufwiesen, um zumindest das Mindesthaltbarkeitsdatum zu erreichen. Fallen sie erst nach Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums durch, ist im Einzelfall eine Gesamtabwägung durchzuführen, ob dennoch eine hinreichende Überzeugung der Kammer gewonnen werden kann, dass die Werte auch schon bei Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums die entsprechende Grenze überschritten haben. Belastbare wissenschaftliche Erkenntnisse darüber, wie schnell eine Verschlechterung im ungünstigsten Fall ggf. fortschreiten dürfte, fehlen zwar; insbesondere ist nicht erkennbar, dass eine konkrete Rückrechnung von Werten auf einen bestimmten Zeitpunkt möglich wäre. Heranzuziehende Kriterien sind dagegen der Zeitraum, der seit Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums vergangen ist, wie groß die Überschreitung der zulässigen Werte ausfällt und wie homogen die Messergebnisse ausfallen. Ebenfalls relevant können erkennbar unsachgemäße Lagerbedingungen oder ein ungeeigneter sonstiger Umgang mit den Prüfexemplaren sein.
190(bb)
191Die Kammer ist bei einer Gesamtbetrachtung der Testergebnisse und aller Rahmenbedingungen im Sinne von § 286 ZPO davon überzeugt, dass die getesteten Masken auch schon bei Gefahrübergang keine ausreichende Qualität aufwiesen, um wenigstens das Mindesthaltbarkeitsdatum nur neun Monate vor der Prüfung unbeschadet zu erreichen.
192Die streitgegenständlichen Masken wiesen ausweislich der Abbildung 2c des schriftlichen Gutachtens (Seite 16 des Gutachtens = Bl. 790 d.A.) eine „Guarantee Period“ von zwei Jahren auf. Produktionsdatum war der 02.04.2020, die Testung erfolgte in der ersten Januarwoche 2023 und damit knapp neun Monate nach Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums. Der seit dem Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums vergangene Zeitraum betrug damit gerade einmal gut 37 Prozent des Zeitraums, für den eine Einhaltung der Grenzwerte sichergestellt sein musste.
193Darüber hinaus ist nicht ersichtlich, dass sich Alter oder Lagerung im vorliegenden Fall negativ auf die Filtereigenschaft der Masken ausgewirkt hätten. Die Beklagte hat durch Vorlage des Privatgutachtens Schlichter/Beek (Anlage B45, Bl. 843 ff. d.A.) substantiiert dargelegt, dass der Einfluss der Lagerung sowie der Alterung der Masken auf den Filterdurchlassgrad äußerst gering ist. Allein eine unsachgemäße Verpackung könne den Filterdurchlass negativ beeinflussen. Die Klägerseite ist diesem Vortrag nicht entgegengetreten, sodass er als unstreitig zu behandeln ist. Der Sachverständige wiederum hat weder im schriftlichen Gutachten noch im Rahmen seiner mündlichen Anhörung Ausführungen dazu gemacht, dass es Hinweise auf eine unsachgemäße Lagerung oder Verpackung der Masken gegeben hätte. Er hat dargelegt, dass er die Masken in belüfteten, aber verschweißten Beuteln vorgefunden habe, die sich in Kartons befanden, welche auf einer Palette durch Mehrlagenfoliierung noch einmal gesondert gesichert gewesen seien. Zudem konnte weder der Sachverständige eine Aussage dazu machen, ob die Masken mit speziellen Hinweisen zu einzuhaltenden Lagerbedingungen versehen waren, noch hat die Klägerin solche speziellen Anforderungen vorgetragen. Fehlt es aber an speziellen Hinweisen, dann muss – jedenfalls die nicht aus anderen Gründen erkennbar verderbliche oder sonst sensible – Ware jedoch zumindest solche Eigenschaften aufweisen, dass sie auch ungünstigere Umgebungsbedingungen (z.B. höhere Temperaturen, wie sie beim Zurücklassen in einem PKW auftreten können oder höhere Feuchtigkeit, wie sie bei der Lagerung im Keller vorzufinden sein kann) unbeschadet überstehen. Dies gilt umso mehr, als die Masken im vorliegenden Fall, zu Einheiten von je 12 Stück in einem einzigen (belüfteten) Folienbeutel zusammengefasst waren. In einem solchen Fall müssen die Masken so beschaffen sein, dass auch eine einzelne Entnahme von Masken aus dem Beutel nicht zu einem „Verderb“ der übrigen Masken führt, sondern diese – ohne Qualitätseinbuße – zur späteren Verwendung in dem Beutel weiter verwahrt werden können.
194Die Klägerseite hat auch nicht dargelegt, dass die von ihr gelieferten Masken überhaupt so hochsensibel sind, dass sie – trotz Verpackung in „belüfteten“ Folienbeuteln – den für die Filterleistung bedeutenden Elektreteffekt allein durch Zeitablauf bzw. Temperatur- und Luftfeuchteeinflüsse einbüßen.
195Auffällig ist, dass die von dem Sachverständigen geprüften Exemplare den nach EN 149 zulässigen Filterdurchlassgrad von sechs Prozent nur ein Dreivierteiljahr nach Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums und 2 ¾ Jahre nach Produktion so massiv überschreiten. Zwar kann nicht per se ausgeschlossen werden, dass die elektrostatische Ladung eines Maskenvlieses, welche für den Partikelrückhalt verantwortlich sein soll, irgendwann eine kritische Grenze unterschreitet und dann ein verhältnismäßig abrupter Abfall der Filterleistung zu verzeichnen ist. Hier ist jedoch das relativ homogene Ergebnis zu berücksichtigen, welches die neun nach EN149 getesteten Masken aufwiesen. Alle Werte bewegen sich beim Test mit Paraffinöl in einem Bereich zwischen 10,06 und 24,45 Prozent. Selbst wenn die Masken bei Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums noch Werte oberhalb der 94 Prozent aufgewiesen haben sollten und innerhalb der folgenden neun Monate tatsächlich eine Art Kipppunkt bei der Filterleistung erreicht worden sein sollte, ist auszuschließen, dass dies in der kurzen Zeit bei allen Masken in der ähnlichen Intensität eingetreten ist. Es wäre vielmehr zu erwarten gewesen, dass nur einige der Masken diesen Leistungsabfall erlitten hätten und/oder die Masken auf deutlich unterschiedlichere Leistungsstufen abgesackt wären. Dagegen kann ein Abfall von regulären Werten im April 2022 innerhalb von nur neun Monaten gleichmäßig auf Werte zwischen 10-24 Prozent Durchlassgrad nicht plausibel nachvollzogen werden. Vielmehr ist dies nach der allgemeinen Lebenserfahrung nur damit zu erklären, dass die Masken – aus welchen Gründen auch immer – produktionsbedingt nur eine Filterleistung von etwa 76-90 Prozent aufwiesen. Dies begründet den Verdacht, dass auch die weiteren Masken der Lieferung in gleicher Weise mangelhaft sind, das bedeutet, bereits bei Gefahrübergang nicht so beschaffen waren, dass sie bis zum Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums die Grenzwerte zur Filtereffizienz einhalten.
196c)
197Der Nacherfüllungsanspruch der Beklagten ist auch fällig. Insbesondere ist sie – wie bereits ausgeführt – insoweit nicht vorleistungspflichtig.
198Zwar ist die Frage, wann der Anspruch aus § 439 BGB fällig wird, umstritten, da er nach Wahl des Käufers auf Nachlieferung oder Nacherfüllung gerichtet ist: So wird vertreten, dass es sich um einen verhaltenen Anspruch handele und dieser erst mit der Wahl-Erklärung des Käufers fällig werde (BeckOK BGB/Faust, 69. Ed. 1.2.2024, BGB § 439 sowie MüKoBGB/Westermann, 8. Aufl. 2019, § 439 Rn. 8). Nach anderer Auffassung wird der Anspruch demgegenüber bereits mit seiner Entstehung und nicht erst mit der Ausübung des Wahlrechts fällig und erfüllbar, was sich aus der Rückwirkungsfiktion des § 263 Abs. 2 BGB i.V.m. § 271 Abs. 1 BGB ergebe (Bach, in: Staudinger, 2023, § 439 Rn. 102). Die Frage bedarf im vorliegenden Fall keiner Entscheidung. Denn der Nacherfüllungsanspruch der Beklagten ist von vornherein auf eine Nachlieferung beschränkt, da eine Nachbesserung wegen der Art des Mangels ausscheidet. Die Erfüllbarkeit wie auch die Fälligkeit hängen nicht von der ausdrücklichen Entscheidung der Beklagten ab.
199d)
200Der Nacherfüllungsanspruch ist auch nicht wegen Verletzung einer Untersuchungs- und Rügeobliegenheit ausgeschlossen.
201Der Beklagten oblag eine solche Pflicht weder nach § 6.2 des OH-Vertrages noch nach § 377 HGB. § 6.2 des Vertrages setzt erkennbar eine bestehende Untersuchungs- und Rügeobliegenheit des Auftraggebers voraus und begründet eine solche nicht eigenständig. Für etwaige – aufgrund anderer Vorschriften bestehende – Rüge- und Untersuchungsobliegenheiten – nimmt § 6.2 des OH-Vertrages eine Beschränkung auf offen zutage tretende Mängel wie etwa Transportbeschädigungen vor, was auch im Hinblick auf § 307 BGB zulässig ist (BGH NJW 1981, 222 unter I. 2. B. aa; vgl. auch BGH NJW 1991, 2633 unter II. 2.a; BeckOK HGB/Schwartze HGB § 377 Rn. 95; und Achilles, in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, 4. Aufl. 2020, § 377 Rn. 246). Vor diesem Hintergrund kommt es nicht darauf an, ob die Beklagte gemäß § 377 HGB zur unverzüglichen Mängelrüge bzw. –anzeige gehalten war. Denn bei dem streitgegenständlichen Mangel – dem Überschreiten des zulässigen Filterdurchlassgrades – handelt es sich ersichtlich nicht um einen offen zutage tretenden Mangel.
202e)
203Der Beklagten ist es auch nicht verwehrt, die Einrede des nichterfüllten Vertrages zu erheben.
204aa)
205Dies gilt zunächst im Hinblick auf den Einwand fehlender eigener Vertragstreue.
206Zwar kann die Einrede nur erfolgreich erheben, wer selbst am Vertrag festhält und erfüllungsbereit ist („Vertragstreue des Schuldners“). An der Vertragstreue fehlt es, wenn der Schuldner es schlechthin ablehnt, die eigene Leistung zu erbringen. Erforderlich ist eine unmissverständliche, endgültige und ernstliche Weigerung, den Vertrag durchzuführen (BeckOK BGB/H. Schmidt, 66. Ed. 1.5.2023, BGB § 320 Rn. 14; MüKoBGB/Emmerich, 9. Aufl. 2022, BGB § 320 Rn. 42). Ein solcher Ausschluss ist aber nur in Ausnahmefällen anzunehmen. Er kommt in Betracht, wenn ein Fall der Erfüllungsverweigerung des Schuldners, der die Einrede geltend macht, vorliegt oder der Schuldner ohnehin jedes Interesse an der konkreten Vertragsdurchführung verloren hat (BeckOGK/Rüfner, 1.10.2022, BGB § 320 Rn. 76). Denn der Sinn und Zweck des § 320 BGB liegt darin, die Erfüllung der gegenseitigen Ansprüche der Vertragspartner sicherzustellen. Daher dient der § 320 BGB in erster Linie der Erzwingung der geschuldeten Gegenleistung des Vertragspartners. Es soll sich auch derjenige endgültig von dem Vertrag lossagen und die Annahme der Gegenleistung schlechthin ablehnen, der (unberechtigt) Rechte geltend macht, die auf die Beendigung des Vertrages zielen, so neben Kündigung oder Geltendmachung von Schadensersatz statt der Leistung auch ein Rücktritt (Staudinger/Schwarze (2020) BGB § 320, Rn. 38).
207So liegt der Fall hier allerdings nicht. Die Beklagte verteidigt sich gegen das Zahlungsbegehren der Klägerin zwar in erster Linie mit dem erklärten Rücktritt. Hilfsweise macht sie das Zurückbehaltungsrecht geltend, soweit die Kammer die Rechtsansicht der Beklagten hinsichtlich des Vorliegens eines relativen Fixgeschäftes und der Möglichkeit, ohne Fristsetzung zurückzutreten, nicht teilen sollte. Bei der gleichzeitigen Berufung auf den Rücktritt und das Zurückbehaltungsrecht im Prozess und der eindeutigen Festlegung, welcher Einwand hauptsächlich und welcher hilfsweise geltend gemacht werden soll, ist dies weder treuwidrig noch widersprüchlich, wenn dadurch die Gegenleistung nicht schlechthin abgelehnt wird (vgl. BGH, Urteil vom 10. April 1995 – VIII ZR 346/93 –, Rn. 32, juris; Staudinger/Schwarze (2020) BGB § 320, Rn. 38; BeckOGK/Rüfner, 1.4.2023, BGB § 320 Rn. 78). Ohnehin führt die Erfüllungsverweigerung nicht zu einem endgültigen Verlust der Einrede. Wenn der Schuldner seine Leistung (Zug-um-Zug gegen Erbringung der Gegenleistung) doch noch anbietet und damit von der Erfüllungsverweigerung Abstand nimmt, steht ihm die Einrede wieder zu (BeckOGK/Rüfner, 1.4.2023, BGB § 320 Rn. 62).
208Dem steht auch die höchstrichterliche Rechtsprechung (BGH, Urteil vom 04.07.2002 – I ZR 313/99 = NJW 2002, 3541 (3542); Urteil vom 17.07.2013 – VIII ZR 163/12 = NJW-RR 2013, 1458) nicht entgegen. Den vorgenannten Entscheidungen lag revisionsrechtlich jeweils der Sachverhalt zugrunde, dass seitens des Gläubigers deutlich gemacht worden ist, er wolle nicht am Vertrag festhalten. Im vorliegenden Fall hat die Beklagte jedoch durch das Konstrukt des hilfsweise geltend gemachten Zurückbehaltungsrechts deutlich zu erkennen gegeben, dass sie zwar von der Berechtigung ihres Rücktritts ausgehe, für den Fall jedoch, dass die Kammer dies anders sehen sollte, zur Erfüllung des Kaufpreisanspruchs grundsätzlich bereit sei, wenn auch nur Zug-um-Zug gegen Erhalt einer mangelfreien Gegenleistung. Dies kann anders als in den vorgenannten Entscheidungen zumindest nicht als endgültige Erfüllungsverweigerung und damit nicht als eigene Vertragsuntreue angesehen werden.
209bb)
210Unerheblich ist auch, ob die Beklagte sich ihrerseits in Verzug mit der Annahme einer angebotenen Nacherfüllung befindet. Denn dies hat nicht den Verlust der Einrede nach § 320 BGB zur Folge (vgl. BGH NJW 1984, 1679 (1680); BeckOK BGB/H. Schmidt, 66. Ed. 1.5.2023, BGB § 320 Rn. 14; Staudinger/Schwarze (2020) BGB § 320, Rn. 39).
211cc)
212Der Beklagten ist es auch nicht verwehrt, die Einrede nach § 320 BGB geltend zu machen, weil sie sich zugleich mit der Kaufpreiszahlung in Verzug befunden hätte.
213Ist eine Partei in Verzug geraten, kann sie nicht mehr die Einrede des nicht erfüllten Vertrages nach § 320 erheben (MüKoBGB/Emmerich, 9. Aufl. 2022, BGB § 320 Rn. 44). Indes ist die Beklagte hier zunächst nicht in Verzug mit der Zahlung des Kaufpreises geraten, als der Anspruch auf Nachlieferung und damit die Einrede des § 320 BGB entstanden. Soweit sie vertraglich zur Zahlung des Kaufpreises binnen Wochenfrist nach Lieferung verpflichtet war, hinderte die mit der Lieferung mangelhafter Masken entstandene Einrede des § 320 BGB den Schuldnerverzug. Hierfür genügte der bloße Bestand der Einrede aus § 320 BGB, ohne dass es auf deren ausdrückliche Erhebung ankäme (MüKoBGB/Emmerich, 9. Aufl. 2022, BGB § 320 Rn. 55). Dass die Beklagte hinsichtlich der Zahlungspflicht gegenüber einem Nachlieferungsanspruch der Klägerseite nicht vorleistungspflichtig war, ist bereits dargelegt worden.
214Soweit die Beklagte später durch das mit Schreiben vom 09.05.2022 unterbreitete Angebot einer Nachlieferung in Verzug mit dessen Annahme geraten ist (hierzu s.u.), hat dies zwar den Verlust der (schuldner-)verzugsausschließenden Wirkungen des § 320 BGB zur Folge (Staudinger/Schwarze (2020) BGB § 320, Rn. 39). Der Bestand der Einrede an sich bleibt hiervon aber unberührt.
215dd)
216Unerheblich ist schließlich, ob der Nacherfüllungsanspruch der Beklagten verjährt ist. Gemäß § 215 BGB kann noch nach Eintritt der Verjährung die Einrede des nicht erfüllten Vertrags erhoben werden, wenn sie in unverjährter Zeit bestand und hätte geltend gemacht werden können (BeckOK BGB/H. Schmidt, 68. Ed. 1.11.2023, BGB § 320 Rn. 13). So liegt es hier, da der Nacherfüllungsanspruch mit Lieferung der mangelhaften Masken entstanden ist.
217VI.
218Die Klage ist hinsichtlich der geltend gemachten Nebenforderungen nur teilweise begründet. Denn die Beklagte schuldet Zinsen aus dem streitigen Teil des Kaufpreises erst ab dem 11.05.2022. Soweit die Klägerin Zahlung von Zinsen bereits ab dem 01.07.2020 begehrt hat, war die Klage abzuweisen.
2191.
220Ein Anspruch auf Verzugszinsen aus §§ 288, 286 BGB steht der Klägerin ab dem 11.05.2022 zu.
221Der Anspruch setzt Verzug des Schuldners, mithin der Beklagten, im Sinne von § 286 BGB voraus. Dieser trat erst nach Zugang des Schreibens vom 09.05.2022 ein, mit dem die Klägerin die Nachlieferung der Masken anbot. Vor diesem Zeitpunkt war der Schuldnerverzug infolge der Einrede nach § 320 BGB gehemmt. Insoweit wird auf die obigen Ausführungen Bezug genommen. Die den Schuldnerverzug hindernde Wirkung von § 320 BGB ist jedoch dadurch entfallen, dass die Klägerin der Beklagten mit Schreiben vom 09.05.2022 (Anlage K29, Bl. 588 d.A.) die eigene Leistung, nämlich die Nachlieferung, in Annahmeverzug begründender Weise angeboten hat (vgl. Staudinger/Schwarze (2020) BGB § 320, Rn. 39). Hierdurch ist die Beklagte gemäß § 293 BGB in Annahmeverzug geraten. Hierfür reichte auch gemäß § 295 BGB ein wörtliches Angebot, da zur Erfüllung der Nachlieferungsverpflichtung die Mitwirkung der Beklagten, insbesondere die Bestimmung eines Anlieferorts und die Zuteilung von Anlieferslots erforderlich waren. Die Klägerin hatte im Schreiben vom 09.05.2022 auch ausdrücklich um Erteilung dieser logistischen Informationen gebeten.
2222.
223Es besteht auch kein darüberhinausgehender Anspruch auf Zahlung von Prozesszinsen gemäß §§ 291, 288 BGB, da dieser neben der Fälligkeit auch die Durchsetzbarkeit des Anspruchs voraussetzt. Steht der Forderung eine Einrede – z.B. nach § 273 oder § 320 BGB – entgegen, beginnt die Zinspflicht erst mit dem Wegfall der Einrede, weil der Anspruch bis dahin nicht durchsetzbar ist (BGH NJW-RR 2013, 825 Rn. 9; BGHZ 55, 198 (200) = NJW 1971, 615; OLG Düsseldorf NJW 1971, 2310; BeckOK BGB/Lorenz, 68. Ed. 1.11.2023, BGB § 291 Rn. 6).
224B.
225Über die von der Beklagten erhobene Hilfswiderklage vom 29.12.2023 war nicht zu entscheiden, da die entsprechende Bedingung, nämlich die „überwiegende“ Abweisung der Klage, nicht eingetreten ist.
226C.
227Ebenso hatte eine Entscheidung über die Eventualklage vom 11.04.2022 zu unterbleiben, weil auch die hiermit verknüpfte Bedingung nicht eingetreten ist. Gemäß dem Schriftsatz vom 11.04.2022 sollte über die Eventualwiderklage nur dann entschieden werden, wenn die Beklagte zur Zahlung des Kaufpreises verurteilt wird, ohne dass die Klägerin Zug-um-Zug zur Ersatzlieferung verpflichtet wird.
228D.
229I.
230Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91a ZPO, 269 Abs. 3 Satz 2 und § 92 Abs. 1 ZPO.
2311.
232Soweit streitig entschieden worden ist, unterliegt die Klägerin insoweit, als ihrem Hauptantrag nur Zug-um-Zug gegen Nacherfüllung und ihrem Zinsbegehren nur teilweise entsprochen worden ist. Deshalb waren die Kosten gemäß § 92 Abs. 1 ZPO nach einem fiktiven Gebührenstreitwert zu verteilen, der sich einerseits zusammensetzt aus dem Gebührenstreitwert der Klageforderung und dem zu schätzenden wirtschaftlichen Wert des Zurückbehaltungsrechts. Die Kammer setzt als Wert für das Zurückbehaltungsrecht 216.500,00 EUR an, da FFP2-Masken derzeit für unter 1,00 EUR pro Stück zu erwerben sind und weder eine rechtskraftfähige noch eine vollstreckbare Entscheidung über das Zurückbehaltungsrecht ergeht (vgl. BeckOK ZPO/Jaspersen, 51. Ed. 1.12.2023, ZPO § 92 Rn. 29).
233Darüber hinaus war auch das Teilunterliegen mit der Zinsforderung bei der Bildung der Kostenquote auf Grundlage eines fiktiven Gesamtstreitwerts zu berücksichtigen. Dies ist immer dann geboten, wenn die Summe der Nebenforderungen jedenfalls mehr als 10 Prozent des fiktiven Streitwerts beträgt (vgl. OLG Köln, Urt. v. 02.09.2020, I-20 U 266/2, juris, Rn. 67; Thomas/Putzo/Hüßtege, § 92 Rn. 2). So liegt es hier, da die geltend gemachten Zinsen vom 01.07.2020 bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung am 14.02.2024 insgesamt 770.972,49 EUR betragen und damit 23 Prozent des fiktiven Streitwerts in Höhe von 3.306.187,49 EUR (Hauptforderung 2.318.715 EUR zuzüglich Wert des Zurückbehaltungsrechts 216.500,00 EUR zuzüglich Zinsforderung 770.972,49 EUR)
2342.
235Soweit die Klägerin die Klage teilweise zurückgenommen hat, beruht die Kostenentscheidung auf § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO in Verbindung mit § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Der zurückgenommene Teil der Klage betraf die für den Zeitraum 10.05.2020 bis 22.06.2020 geltend gemachten Zinsen. Das entspricht einem Betrag in Höhe von 22.634,71 EUR. Im Verhältnis zum Gesamtstreitwert handelt es sich dabei auch unter Berücksichtigung der unter 1.) dargelegten Grundsätze um einen verhältnismäßig geringfügigen Betrag. Bei der diesbezügliche Zuvielforderung handelt es sich um nicht streitwertrelevante Nebenforderungen, die weder höhere Kosten verursacht haben noch bezogen auf einen fiktiven Gesamtstreitwert mehr als 10 Prozent desselben ausmachen würden.
2363.
237Soweit die Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt haben, beruht die Kostenfolge auf § 91a ZPO i.V.m. § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Zwar wäre die Klägerin bei streitiger Entscheidung über diesen Teil der Klageforderung unterlegen gewesen. Denn ein Anspruch auf Verzugszinsen stand ihr während des Zinszeitraums, auf den sich die Erledigungserklärung bezieht (23.06.2020 bis 30.06.2020), nicht zu. Wie bereits dargelegt, hinderte die der Beklagten zustehende Einrede des nicht erfüllten Vertrages den Eintritt des Schuldnerverzugs. Da es sich mit 4.115,40 EUR allerdings um einen verhältnismäßig geringfügigen Teil der zudem nicht streitwertrelevanten Nebenforderungen handelte, hat sich dieses Teilunterliegen in der Kostenentscheidung nicht zu Lasten der Klägerin ausgewirkt. Insoweit wird auf den Rechtsgedanken des § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO sowie die Ausführungen unter 2.) Bezug genommen.
238II.
239Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Grundlage in § 709 S. 1, 2 ZPO.
240E.
241Der Streitwert wird auf 2.318.715,00 EUR festgesetzt.