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beschlossen:
Auf die sofortige Beschwerde wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts Bonn vom 20.04.2022 (113 C 39/21) in der Fassung des Nichtabhilfebeschlusses vom 17.08.2022 teilweise abgeändert.
Aufgrund des Urteils des Amtsgerichts Bonn vom 11.01.2022 sind von der Beklagten 814,10 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit dem 30.06.2021 an die Klägerin zu erstatten.
Das Verfahren über die Beschwerde ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.
Gründe:
2I. Die Parteien stritten um Rückzahlung des Reisepreises und außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Zusammenhang mit der Stornierung eines Pauschalreisevertrages vom 27.11.2019.
3Die in A-Stadt ansässige Klägerin beauftragte eine Rechtsanwaltskanzlei mit Sitz in B-Stadt und C-Stadt mit der Prozessvertretung vor dem Amtsgericht Bonn. In der mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht am 15.06.2021, trat für die Klagepartei mit Untervollmacht Rechtsanwalt D aus E-Stadt auf, den die Hauptbevollmächtigten zuvor in eigenem Namen mit der Vertretung im Termin für ein Pauschalhonorar von 250,00 EUR zzgl. Umsatzsteuer beauftragt hatten. Die Klägerin persönlich war bei den Terminen nicht anwesend.
4Mit Versäumnisurteil vom 15.06.2021 wurden der Beklagten die Kosten des Rechtsstreits auferlegt. Nach Durchführung des Einspruchsverfahrens wurden auf die mündliche Verhandlung vom 10.01.2022 mit Urteil des Amtsgerichts Bonn vom gleichen Tag die Kostenentscheidung aus dem Versäumnisurteil aufrechterhalten und die weiteren Kosten des Rechtsstreits ebenfalls der Beklagten auferlegt – „bis auf die Mehrkosten, die sich aus dem Streitwert von 2.148, EUR für den Termin vom 27.7.2021 im Vergleich zu einem Streitwert bis zu 500 EUR für diesen Termin ergeben, § 92 Abs. 1 ZPO“.
5Bereits mit Kostenfestsetzungsantrag vom 30.06.2021 hat die Klägerin Rechtsanwaltskosten von 920,37 € (brutto) geltend gemacht. In Ansatz gebracht wurden u.a. Kosten des Terminvertreters als Auslagen in Höhe von 250,00 € (netto, zzgl. Umsatzsteuer). In der Kostenausgleichung hat die zuständige Rechtspflegerin des Amtsgerichts Bonn die Kosten der Terminvertretung nicht berücksichtigt, die erstattungsfähigen Kosten der Klägerin mit 622,87 € (brutto) beziffert und entsprechend festgesetzt. Gegen den an ihre Hauptbevollmächtigten am 03.05.2022 abverfügten, formlos übersandten Beschluss hat die Klägerin mit anwaltlichem Schreiben vom 25.05.2022, eingegangen am selben Tag, sofortige Beschwerde eingelegt. Mit Schriftsatz vom 31.05.2022 wurden die Kosten ergänzend beziffert und beantragt, die Kosten im Wege der Nachfestsetzung auf 814,10 EUR festzusetzen. Die Rechtspflegerin hat der Beschwerde mit Beschluss vom 17.08.2022 nicht abgeholfen und die Sache der Kammer zur Entscheidung vorgelegt.
6II. Die sofortige Beschwerde hat Erfolg.
71. Die sofortige Beschwerde ist zulässig, insbesondere fristgerecht erhoben. Eine die Beschwerdefrist auslösende Zustellung gem. § 569 Abs. 1 S. 1 und 2 ZPO ist nicht aktenkundig, weshalb die Beschwerdeschrift vom 25.05.2022 nicht als verspätet eingegangen behandelt werden kann.
82. In der Sache ist die Beschwerde begründet. Der Beschwerdeführer hat gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1 RVG einen Anspruch auf Festsetzung der aus der Staatskasse zu gewährenden Vergütung in Höhe von insgesamt 814,10 EUR. Er kann die Festsetzung der Kosten für die Beauftragung des Terminvertreters – begrenzt auf die fiktiven Reisekosten einschließlich Abwesenheitsgelder – verlangen, soweit diese bei Terminwahrnehmung durch ihn selbst angefallen und erstattungsfähig gewesen wären.
9Erstattungsfähig sind gemäß § 46 Abs. 1 RVG die Auslagen, insbesondere Reisekosten, soweit sie zur sachgemäßen Durchführung der Angelegenheit erforderlich waren. Dazu gehören auch die Kosten für die Beauftragung des Terminvertreters, jedoch begrenzt auf die fiktiven Reisekosten des Beschwerdeführers, die entstanden wären, wenn er den Gütetermin bei dem Amtsgericht Bonn selbst wahrgenommen hätte. Es ist insoweit eine Vergleichsberechnung mit den durch die Beauftragung des Terminvertreters nach § 5 RVG entstandenen Kosten vorzunehmen.
10Der Auslagenerstattungsanspruch ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil der Beschwerdeführer die nach dem Anwaltsvertrag zu erbringenden Dienste in eigener Person (§ 613 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch) schuldet. § 5 RVG sieht eine Vergütung auch für den Fall vor, dass der Rechtsanwalt, der eine Tätigkeit nicht persönlich erbringt, sich durch einen anderen Rechtsanwalt vertreten lässt. Es sind auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Beschwerdeführer im Innenverhältnis zum Kläger nicht berechtigt gewesen ist, sich durch einen Terminvertreter vertreten zu lassen. In gleicher Weise wie die Partei muss daher auch die Staatskasse die vertragsgemäße Erfüllung der Anwaltspflichten durch einen Vertreter im Sinne von § 5 RVG gegen sich gelten lassen, da die Beiordnung auf eine Anwaltstätigkeit im Rahmen eines privatrechtlichen Anwaltsvertrages abstellt (Bayerisches LSG 18. März 2015 - L 15 SF 241/14 E, Rn. 24 mwN).
11Soweit in der Rechtsprechung vertreten wird, dass im Falle einer Terminvertretung nach § 5 RVG eine Erstattung fiktiver Reisekosten nicht möglich sei, da anders als im Fall der Unterbevollmächtigung gesetzliche Kosten nicht entstünden, weil die Delegation der Terminwahrnehmung (§ 5 RVG) ohne Vereinbarung mit dem Auftraggeber allein der Erfüllung der den Anwalt persönlich treffenden Pflichten diene (OLG Hamm, Beschluss vom 15.10.2019 – 25 W 242/19, juris; OLG München Beschluss vom 12.08.2022 – 11 W 467/22, juris; OLG Köln, Beschluss vom 05.08.2021 (I-17 W 201/19 –, Rn. 7, juris), folgt die Kammer dieser Auffassung nicht.
12Die Kammer schließt sich vielmehr der gegenteiligen Rechtsauffassung des Landesarbeitsgerichts Sachsen-Anhalt an (LAG Sachsen-Anhalt Beschl. v. 7.4.2022 – 3 Ta 72/21, BeckRS 2022, 10420 Rn. 30, beck-online):
13Die Erstattungsfähigkeit der Kosten für die Beauftragung des Terminvertreters, begrenzt auf die fiktiven Reisekosten wie sie bei einem persönlichen Auftreten des auswärtigen Prozessbevollmächtigten vor dem Prozessgericht entstanden wären, folgt aus § 46 Abs. 1 RVG in Verbindung mit den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung (BVerwG 16. März 1994 - 11 C 19/93, Rn. 37; OLG Schleswig 30. August 1984 - 9 W 79/84 JurBüro 1985, 247 zu § 126 BRAGO; Brandenburgisches OLG 05. März 2007 - 10 WF 45/07, Rn. 3 zur Terminsgebühr; Brandenburgisches OLG 18. Mai 2007 - 6 W 151/06; OLG Hamm 18. Oktober 2013 - II 6 WF 166/13, 6 WF 166/13, Rn. 5; Müller-Rabe in: Gerold/Schmidt, RVG, 25. Aufl. RVG VV 3401 Rn. 138; sehr weitgehend: LAG Niedersachsen 12. Juli 2006 - 10 Ta 351/06, Rn. 2 in einem obiter dictum; Schultzky in: Zöller, ZPO, 34. Aufl. Rn. 31; Schneider, NZFam 2016, 1094, 1095 f, zu IV.). Nur ein solches Verständnis der §§ 45 ff RVG (vgl. OLG Hamm 18. Oktober 2013 - II 6 WF 166/13, 6 WF 166/13, Rn. 6) gewährleistet die verfassungsrechtlich gemäß Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG gebotene weitgehende Gleichstellung Unbemittelter mit Bemittelten (vgl. dazu: BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 11. August 2020 - 2 BvR 437/20, Rn. 4). Im Rahmen der Kostenerstattung nach § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist anerkannt, dass die Kosten eines Unterbevollmächtigten als notwendige Kosten der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung zu erstatten sind, wenn durch die Tätigkeit des Unterbevollmächtigten erstattungsfähigen Reisekosten des Hauptbevollmächtigten in vergleichbarer Höhe erspart werden, die ansonsten durch die Wahrnehmung des Termins durch den Hauptbevollmächtigten entstanden wären (BGH 26. Februar 2014 - XII ZB 499/11, Rn. 8 und BGH 10. Juli 2012 - VIII ZB 106/11, Rn. 7 mwN).
14Im Übrigen dürfte der Einwand des Beschwerdeführers, dass von einer mit dem Antrag auf Festsetzung auch der Kosten der Unterbevollmächtigung jedenfalls konkludent erklärten Zustimmung des Auftraggebers zur Delegation der Terminwahrnehmung auszugehen sei, nicht von der Hand zu weisen sein.
15Was die Höhe der Festsetzung auf insgesamt 814,10 EUR betrifft, ist dem Ergänzungsantrag vom 31.05.2022 zu folgen.
16III. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß §§ 574 Abs. 3 S. 1, Abs. 2 ZPO zuzulassen. Angesichts der divergierenden obergerichtlichen Rechtsprechung bedarf es zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung einer Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts.
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