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Für Recht erkannt
1.
Die Beklagte zu 1) wird verurteilt, an die Klägerin 993.356,25 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 12. September 2020 zu zahlen.
2.
Es wird festgestellt, dass sich der Klageantrag zu 2) in Höhe von 165,06 € erledigt hat.
3.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
4.
Die Kosten des Rechtsstreits werden den Parteien wie folgt auferlegt: Die Gerichtskosten und die Kosten der Klägerin tragen die Klägerin zu 89% und die Beklagte zu 1) zu 11%. Die Kosten der Beklagten zu 1) tragen die Klägerin zu 84% und die Beklagte zu 1) zu 16%. Die Kosten der Beklagten zu 2) trägt die Klägerin zu 100%, exklusive der durch die Nebenintervention entstandenen (Mehr-)Kosten; diese trägt die Klägerin zu 84% und im Übrigen findet eine Kostenerstattung nicht statt.
5.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
Tatbestand:
2Die Parteien sind durch einen sog. Open-House-Vertrag über die Lieferung von Atemschutzmasken miteinander verbunden.
3Ein Open-House-Verfahren ist dadurch geprägt, dass ein öffentlicher Auftraggeber zum Zwecke der Güterbeschaffung Rahmenvertragsvereinbarungen veröffentlicht, zu deren Bedingungen jeder interessierte Lieferant ein vorformuliertes Angebot abgeben kann, das dann per Zuschlag angenommen wird, ohne dass eine Auswahlentscheidung getroffen wird. Da in der Konsequenz sämtliche Angebote angenommen werden, findet kein Wettbewerb zwischen den Teilnehmern statt. Das Verfahren unterfällt daher keinen vergaberechtlichen Vorschriften. Weitere Konsequenz ist, dass das Auftragsvolumen nicht immer klar vorhersehbar ist.
4Anlass für das hier streitgegenständliche Open-House-Verfahren war der Beginn der Corona-Pandemie und der damit verbundene große Bedarf an medizinischer Schutzausrüstung für Personen (PSA), insbesondere in Form von Atemschutzmasken.
5Unter dem 27.03.2020 erfolgte durch die Klägerin eine Auftragsbekanntmachung über einen Lieferauftrag für Schutz- und Sicherheitskleidung, und zwar „FFP2 Masken, OP-Masken und Schutzkittel“ (Anlage K4, Bl. 58 ff. d.A.). Darin ist u.a. folgendes festgehalten:
6Das Vertragssystem beginnt ab sofort zu laufen und endet mit Ablauf des 30.4.2020. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass spätester Liefertermin der 30.4.2020 innerhalb der üblichen Geschäftszeiten der B & Co.KG, A-Str. 00 in 00000 C, ist.
7Nachträglich verkürzte die Klägerin das Ende der Ablaufzeit zur Einreichung von Angeboten auf den 08.04.2020 (Bl. 64 d.A.).
8Die Beklagte zu 1) reichte unter dem 08.04.2020 ein Angebot über die Lieferung von 1.800.000 „FFP2-Masken“ mittels des klägerseits vorgefertigten Vertragstextes ein (Anlage K3, Bl. 52 ff. d.A.), welches die Klägerin annahm. Wegen der Einzelheiten wird auf den Vertragstext Bezug genommen. Dieser enthält u.a. folgende Regelungen:
9§ 2 Vertragsbestandteile
102.1. Folgende Unterlagen und Bestimmungen sind in Ergänzungen der Regelungen dieses Vertrages Bestandteile des Vertragsverhältnisses:
11a. die Leistungsbeschreibung mit den Stückpreisen für die einzelnen Produktgruppen (….)
12§ 3 Leistung/Lieferung (…)
133.2 Die Lieferung der Produkte hat an die B & Co.KG, A-Str. 00 in 00000 C, während der üblichen Geschäftszeiten zu erfolgen; die üblichen Geschäftszeiten sind von dem AN bei der B & Co.KG zu erfragen. Die Lieferung ist der B & Co.KG in Textform mit einer Frist von mindestens drei Kalendertagen vor dem Liefertermin anzukündigen. Spätester Liefertermin ist der 30.04.2020 innerhalb der Geschäftszeiten gemäß S. 1. Bei Nichteinhaltung des spätesten Liefertermins entfallen die gegenseitigen Pflichten der Vertragspartner; eine verspätete Lieferung stellt keine Erfüllung des Vertrages durch den AN dar (absolutes Fixgeschäft).
14§ 5 Zahlung
155.1 Der AG zahlt die vereinbarte Vergütung bargeldlos binnen einer Woche nach erfolgter Lieferung und Eingang einer den Vorschriften des Umsatzsteuerrechts entsprechenden Rechnung bei der B & Co.KG, A-Str. 00 in 00000 C, auf das von dem AN angegebene Konto.
165.2 Jede Zahlung erfolgt unter dem Vorbehalt des Anspruchs auf Rückerstattung wegen nicht oder mangelhaft erbrachter Leistungen (…)
17§ 6 Mängelansprüche
186.1 Für Sach- und Rechtsmängelansprüche gelten die gesetzlichen Vorschriften, soweit nachfolgend nichts anderes bestimmt ist.
196.2 Eine Untersuchungs-/Rügeobliegenheit des AG beschränkt sich auf Mängel, die nach der Ablieferung unter äußerlicher Begutachtung offen zutage treten (z. B. Transportbeschädigungen, Falsch- und Minderlieferungen). Eine Rüge/Mängelanzeige gilt als unverzüglich und rechtzeitig, wenn sie innerhalb von sieben Kalendertagen beim AN eingeht.
20§ 7 Laufzeit des Vertrages/sonstige Vereinbarungen
217.1 Der Vertrag tritt mit Zuschlagserteilung des AG auf das im Open-House-Verfahren abgegebene Angebot des AN in Kraft und endet mit Ablauf des 30.04.2020. Die durch eine innerhalb der Vertragslaufzeit erfolgte Lieferung begründeten Rechte und Pflichten des AG und des AN bestehen auch nach dem Ablauf der Vertragslaufzeit fort.
22Die vertragliche Leistungsbeschreibung (Anlage 1 zum Vertrag, Bl. 67 d.A.) enthält folgende Vorgaben:
23FFP2 Masken: Preis pro Stück (€) netto 4,50
24Beschreibung:
251. Atmungsaktives Design, das nicht gegen den Mund zusammenfällt (z.B. Entenschnabel, becherförmig)
262. Versehen mit einer Metallplatte an der Nasenspitze ·
273. Kann wiederverwendbar* (aus robustem Material, das gereinigt und desinfiziert werden kann) oder Einwegartikel sein
28Normen/Standards:
29Atemschutzgerät "N95" gemäß FDA Klasse II, unter 21 CFR 878.4040, und CDC NIOSH, oder "FFP2" gemäß EN 149 Verordnung 2016/425 Kategorie III
30oder gleichwertige Normen, auch KN95 (CHN)
31Unter dem 20.04.2020 trat die Beklagte zu 1) ihre Kaufpreisforderung teilweise, in Höhe von 7.175.700 €, an ihre Vorlieferantin, die Beklagte zu 2), ab (Anlage K6, Bl. 143 d.A.) und informierte die Klägerin hierüber.
32Ende April 2020 stellte die Klägerin fest, dass aufgrund der Vielzahl von Teilnehmern eine Annahme aller Lieferungen zum 30.04.2020 nicht möglich war. Sofern Lieferungen für den 30.04.2020 avisiert und möglich waren, erhielten die Auftragnehmer, u.a. auch die Beklagte zu 1), spätere Lieferslots.
33Die Beklagte zu 1) lieferte an die Klägerin auf deren Weisung am 04.05.2020 die vertraglich vereinbarte Menge an Masken aus (wobei sie nicht nur die vereinbarten 1,8 Mio. sondern tatsächlich 1.801.400 Masken lieferte, vgl. Lieferübersicht der Klägerin Bl. 12 d.A.). Die Masken stammten von drei verschiedenen chinesischen Herstellern. Hierüber wurden insgesamt 14 Lieferscheine erstellt und vom Logistiker abgezeichnet (Anlagenkonvolut K9, Bl. 150 ff. d.A.). Soweit auf einzelnen Lieferscheinen die Lieferartikel beschrieben wurden, trugen sie die Bezeichnung „Mundschutz KN 95“. Die gelieferten Masken trugen auf der Verpackung alle die Aufschrift „KN95“ (vgl. Bilder der Prüfberichte Anlagen K11-K16, Bl. 222 ff. d.A.). Teilweise verwiesen die Verpackungen zusätzlich auf den Herstellungsstandard GB2626 – 2006 (Anlage K16) und teilweise auf den Standard EN 149 2001+A1:2009 (Anlagen K11, K12, K14).
34Die Beklagte zu 1) erstellte für die Lieferung der geschuldeten 1.800.000 Masken eine Rechnung über insgesamt 9.639.000,00 € (Anlage K7, Bl. 144 f. d.A.), wobei sie nochmals auf die Teilabtretung hinwies. Deswegen bat sie darum, dass von dem Rechnungsbetrag 2.463.300,00 € an die Beklagte zu 1) und 7.175.700,00 € an die Beklagte zu 2) gezahlt werden.
35Die Klägerin ließ die Masken sodann von der TÜV NORD GmbH bzw. deren Tochtergesellschaft E überprüfen. Die Details hierzu sind umstritten. Die technische Prüfung des TÜVs erfolgte jedenfalls unstreitig nicht nach der chinesischen Norm GB2626 für KN95-Masken, sondern „in Anlehnung“ an die EU-Norm für FFP2-Masken, EN 149:2001+A1:2009 (im Folgenden: EN 149) unter Modifikation von bestimmten Parametern. Der TÜV erstellte über die Prüfungen vom 06.05.-13.05.2020 Prüfberichte (Anlagen K11-, K16, Bl. 222 ff. d.A). Das Ergebnis der Prüfungen von 6 Teillieferungen lautete „nicht bestanden“.
36Unter dem 27.05.2020 mahnten beide Beklagten – jeweils anwaltlich vertreten – die ausstehende Kaufpreiszahlung an (Anlage K8, Bl. 146 d.A. und Anlage K23, Bl. 252 f. d.A.)
37Am 11.06.20 leistete die Klägerin Teilzahlungen von 1.041.868,80 € an die Beklagte zu 1) und 3.027.931,20 € an die Beklagte zu 2) (Anlage K17, Bl. 228 ff. d.A.).
38Mit E-Mail vom 22.06.2020 teilte die Klägerin der Beklagten zu 1) mit, dass die gelieferten Masken die Laborprüfung teilweise nicht bestanden hätten. Sie erklärte hinsichtlich sechs bestimmter Teil-Lieferungen unter Bezugnahme auf die Prüfberichte den (teilweisen) Rücktritt von dem geschlossenen Vertrag (Anlage K18, Bl. 232 ff. d.A.). Das betrifft die Avis-Nummern D 01, D 02, D 03, D 04, D 05 und D 06.
39Am 23.06.2020 leistete die Klägerin weitere Zahlungen von 2.463.300,00 € an die Beklagte zu 1) und 7.175.700,00 € an die Beklagte zu 2) (Anlage K17, Bl. 228 ff. d.A.). Dabei handelte es sich um die von der Beklagten zu 1) in ihrer Rechnung ausgewiesenen Zahlungs-Summen, wobei eine Anrechnung der zuvor erfolgten Teilzahlungen versehentlich unterblieben war. Ebenso wenig nahm die Klägerin dabei einen Abzug aufgrund des erklärten Teil-Rücktritts vor. Insgesamt hatten die Beklagten daher nunmehr folgende Zahlungssummen erhalten: die Beklagte zu 1) einen Betrag in Höhe von 3.505.168.80 € (mithin 1.041.868,80 € mehr als vertraglich unter Berücksichtigung der Teilabtretung geschuldet war) und die Beklagte zu 2) einen Betrag in Höhe von 10.203.631,20 € (mithin 3.027.931,20 € mehr als vertraglich unter Berücksichtigung der Teilabtretung geschuldet war). Insgesamt hatte die Klägerin einen Betrag von 13.708.800,00 € ausgezahlt.
40Mit anwaltlichem Schreiben vom 04.09.2020 forderte die Klägerin von der Beklagten zu 1) die Überzahlungen aufgrund des erklärten Rücktritts sowie der versehentlichen Überzahlung vom 23.06.2020 zurück (Anlage K19, Bl. 234 ff. d.A.). Dabei bezifferte sie den Wert des Teilrücktritts mit brutto 4.814.145,00 €. Die Beklagte zu 1) trat dem Begehren anwaltlich vertreten entgegen und verwies darauf, dass die Masken aufgrund eines unzulässigen Prüfverfahrens des TÜV weder mangelhaft seien noch ein Rücktrittsgrund vorläge. Zudem bestehe ein Nachbesserungsrecht, weswegen sie die Masken selbst überprüfen wolle und für den Fall eines Mangels eine Nachbesserung anbiete. Soweit die am 24.06.2020 eingegangene Zahlung von 2.463.300,00 € wegen der übersehenen Teilzahlung zu einer Überzahlung der Klägerin geführt habe, werde der überzahlte Betrag nun erstattet, allerdings unter „Verrechnung“ mit einem Zinsanspruch der Beklagten zu 1), der sich ausweislich einer Anlage zu diesem Schreiben auf 20.560,79 € belief (Anlage K20, Bl. 242 d.A.). Die Klägerin lehnte hingegen eine Überprüfung und Nachbesserung der Beklagten zu 1) ab (Anlage K21, Bl. 245 ff. d.A.).
41Mit weiteren Schreiben vom 04.09.2020 forderte die Klägerin von der Beklagten zu 2) die Überzahlungen aufgrund des erklärten Rücktritts sowie der versehentlichen Überzahlung vom 23.06.2020 zurück (Anlage K26, Bl. 263 ff. d.A.). Die Beklagte zu 2) trat dem entgegen und erklärte gegenüber der Rückforderung der versehentlichen Überzahlung die „Aufrechnung“ mit Gegenforderungen (Zinsen, vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten, abgetretener Anspruch der Fa. F). Sie kündigte an, den dann noch verbleibenden überzahlten Teil zurück zu zahlen (Anlage K 27 Bl. 267 ff. d.A. und Anlagen B215 bis B2-17, Bl. 410 ff. d.A.), was dann auch geschah. Der Anwalt der Klägerin bestätigte unter dem 19.10.2020 den Eingang einer Rückzahlung von 764.066,00 € und trat den Aufrechnungen entgegen (Anlage K28, Bl. 272 d.A.).
42Die Klägerin behauptet, die gelieferten Masken mit den Avis-Endnummern D01, D02, D03, D04, D05 und D06 seien insgesamt mangelhaft. Sie hält die Prüfungsmaßnahmen des TÜV aus zahlreichen sachlichen Gründen für zutreffend und geeignet, letztlich diene dieses Prüfergebnis aber nur zur Substantiierung ihrer Mängelrüge. Die Mangelhaftigkeit folge daraus, dass die Masken nicht der Norm GB2626 für KN95-Masken entsprächen. Weil die von der Beklagten gelieferten Masken – an sich unstreitig – als KN95-Masken gekennzeichnet seien, müssten die Masken auch diese Norm erfüllen. Die TÜV-Überprüfung habe jedoch ergeben, dass die Masken eine unzulässig hohe Durchlässigkeit für Partikel aufwiesen und deswegen weder der Norm GB2626 noch der Norm EN 149 entsprächen, noch für den Vertragszweck zum Schutze gegen das Coronavirus geeignet seien oder eine übliche Beschaffenheit für medizinische Schutzausrüstung aufwiesen. Obgleich der TÜV nach Parametern der EU-Norm EN 149 geprüft habe, könne daraus geschlussfolgert werden, dass die Masken auch nicht der Norm GB2626 entsprächen, weil in die Prüfung genügend Toleranzbereiche implementiert worden seien, und die Klägerin abweichend von den deutlich strengeren Normvorgaben (6% nach EN 149 bzw. 5% nach GB2626) sogar jede Durchlässigkeit bis zu 15% akzeptiert habe. Überdies ist die Klägerin der Ansicht, dass es zur Feststellung einer mangelhaften Gesamt-Leistung genüge, wenn nur eine einzige Maske aus einer Lieferung mangelhaft sei, denn angesichts der Bedeutsamkeit einerseits und der Vorgaben der technischen Normen andererseits gelte für solche Produkte ein sog. Null-Toleranz-Prinzip.
43Die Klägerin ist weiterhin der Ansicht, ein Rücktrittsrecht sei nicht wegen eines Verstoßes gegen eine etwaige Rügeobliegenheit gem. § 377 HGB ausgeschlossen, weil die Voraussetzungen für einen Handelskauf schon nicht einschlägig seien. Zudem sei eine etwaige Rügeobliegenheit nach dem Vertragsinhalt ohnehin auf offensichtliche Mängel beschränkt worden.
44Die Klägerin ist darüber hinaus der Meinung, sie habe von dem Vertrag umgehend zurücktreten dürfen, ohne eine Nachfrist zur Nachbesserung der Mängel setzen zu müssen. Dies folge schon aus den Vertragsunterlagen und Ausschreibungstexten, woraus sich zumindest ein relatives Fixgeschäft ergebe. Soweit es vereinzelt aus zwingenden logistischen Gründen dazu gekommen sei, dass Lieferungen doch noch nach dem 30.04.2020 angenommen worden seien, stehe das der Annahme eines Fixgeschäftes nicht entgegen. Die Klägerin habe die Bedeutung der zeitnahen Lieferung stets betont und im Umgang mit allen Lieferanten hierauf bestanden. Nachbesserungen seien keinem anderen Lieferanten gestattet worden. Auch ergebe sich aus den besonderen Umständen im Zeitpunkt der Ausschreibung des Open House Verfahrens, dass eine Nachlieferungsmöglichkeit nicht bestehen sollte.
45Die Klägerin ist der Ansicht, nach dem erfolgten Rücktritt sei nur noch ein Kaufpreisanspruch von 4.824.855,00 € gerechtfertigt gewesen (zur Berechnung vgl. Bl. 31 d.A.). Insgesamt stünde ihr ein Rückzahlungsanspruch von 8.891.442,00 € zu, davon schulde die Beklagte zu 1) infolge des Teil-Rücktritts einen Betrag von 4.821.642 € (Antrag zu Ziffer 1) und aus ungerechtfertigter Bereicherung in Höhe von 1.041.868,80 € (Antrag zu Ziffer 2). Die Beklagte zu 2) schulde der Klägerin aus ungerechtfertigter Bereicherung einen Betrag in Höhe von 3.027.931,20 € (Antrag zu Ziffer 6).
46Die Klägerin beruft sich darauf, dass beide Beklagten wirksame und hinreichend bestimmte (Teil-)Aufrechnungserklärungen erst nach Klageerhebung vorgenommen hätten und daher ein Fall einer echten (Teil-)Erledigung des Rechtsstreits vorliege. Soweit die Beklagte zu 2) eine weitere Teilaufrechnung mit einem abgetretenen Anspruch der Fa. F erklärt hatte, vertritt die Klägerin die Ansicht, dass diese Aufrechnung unwirksam sei. Sie habe auch gegenüber der Fa. F wegen teilweisen Mängeln der dort gelieferten Masken einen wirksamen Teil-Rücktritt vom Vertrag erklärt. Sofern dieser Rücktritt unwirksam sein sollte, mache sie gegen die Kaufpreisforderung ein Zurückbehaltungsrecht wegen eines Anspruchs auf Nachlieferung geltend.
47Ursprünglich hat die Klägerin mit dem Antrag zu 2) die Zahlung eines Betrages von 1.041.868,80 € von der Beklagten zu 1) und mit dem Antrag zu 6) die Zahlung eines Betrages von 3.027.931,20 € von der Beklagten zu 2) verfolgt. Mit Schriftsatz vom 05.12.2022 hat die Klägerin den Antrag zu 2) wegen der Aufrechnung der Beklagten zu 1) in Höhe von 20.725,85 € für teilerledigt erklärt. Zudem hat sie hinsichtlich des Antrags zu 6) wegen der Teilzahlung und Aufrechnung der Beklagten zu 2) eine Teilklagerücknahme in Höhe von 764.066 € und eine Teilerledigung in Höhe von 90.933,17 € erklärt. Mit weiterem Schriftsatz vom 17.04.2023 hat sie die Klage um einen Feststellungsantrag zur Teilerledigung des Antrags zu 2) erweitert. Die Beklagten haben den Teilerledigungserklärungen widersprochen. In der mündlichen Verhandlung vom 17.05.2023 hat die Klägerin die Teilerledigungserklärung gegenüber der Beklagten zu 2) in Höhe von 90.933,17 € in eine Teilklagerücknahme in gleicher Höhe abgeändert.
48Die Klägerin beantragt nunmehr,
491. die Beklagte zu 1) zu verurteilen, an die Klägerin EUR 4.821.642,00 nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 12. September 2020 zu zahlen, und zwar Zug um Zug gegen Rückgabe der noch bei der Klägerin befindlichen unter den Avisnummern D 01, D 02, D 03, D 04, D 05 und D 06 gelieferten mangelhaften KN95 Schutzmasken,
502. die Beklagte zu 1) durch Teilurteil zu verurteilen, an die Klägerin EUR 1.021.142,95 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 12. September 2020 aus EUR 1.041.868,80 und ab dem 9. August 2022 aus EUR 1.021.142,95 zu zahlen, und
51festzustellen, dass sich der Klageantrag zu 2) in Höhe von EUR 20.725,85 erledigt hat,
523. festzustellen, dass die Beklagte zu 1) verpflichtet ist, der Klägerin die Aufwendungen zu ersetzen, die ihr im Zusammenhang mit der Lagerung der noch bei der Klägerin befindlichen unter den Avisnummern D 01, D 02, D 03, D 04, D 05 und D 06 gelieferten mangelhaften KN95 Schutzmasken seit dem 26. Juni 2020 bis zum Zeitpunkt der Abholung der KN95 Schutzmasken durch die Beklagte zu 1) tatsächlich entstanden sind und künftig noch entstehen werden,
534. festzustellen, dass sich die Beklagte zu 1) seit dem 26. Juni 2020 mit der Abholung der noch bei der Klägerin befindlichen unter den Avis-Nrn. D 01, D 02, D 03, D 04, D 05 und D 06 gelieferten mangelhaften KN95 Schutzmasken in Annahmeverzug befindet,
545. die Beklagte zu 1) zu verurteilen, die unter den Avis-Nrn. D 01, D 02, D 03, D 04, D 05 und D 06 gelieferten KN95 Schutzmasken am Austauschort G GmbH Niederlassung H, I-Straße 00, 00000 J abzuholen,
556. die Beklagte zu 2) zu verurteilen, an die Klägerin EUR 2.172.932,03 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 12. September 2020 aus EUR 3.027.931,20, ab dem 17. September 2020 aus EUR 2.263.865,20 sowie ab dem 2. August 2022 aus 2.172.932,03 zu zahlen.
56Hilfsweise, und zwar unter der Bedingung, dass und soweit der Rücktritt der Klägerin aus anderen Gründen als der Mangelfreiheit der Schutzmasken unwirksam ist, beantragt die Klägerin,
57die Beklagte zu 1) zu verurteilen, an die Klägerin bis zu 900.400 verkehrsfähige und mangelfreie FFP2-Schutzmasken entsprechend der Beschreibung der Produktgruppe „FFP2-Masken“ der Anlage 1 (03_Leistungsbeschreibung) (Seite 10 des Anlagenkonvoluts K 4 der Klageschrift) des zwischen den Parteien am 10. April 2020 geschlossenen Vertrages über die Lieferung von Schutzausrüstung zu liefern.
58Die Beklagte zu 1) beantragt,
59die Klage abzuweisen.
60Die Beklagte zu 2) beantragt,
61die Klage abzuweisen
62und schließt sich den Klageabweisungsanträgen der Beklagten zu 1) mit Ausnahme des Klageantrags zu 2) an.
63Beide Beklagten behaupten, die Masken seien mangelfrei und erfüllten die Voraussetzungen der Norm GB2626 für KN95-Masken. Die TÜV-Prüfung sei nicht geeignet, Rückschlüsse auf die Einhaltung der Norm GB2626 zuzulassen, denn diese sei nach unzulässigen Prüfparametern vorgenommen worden. Mit der gewählten Prüfmethode könne die Einhaltung der Norm GB2626 nicht zuverlässig beurteilt werden. Zudem sei nicht einmal eine sichere Zuordnung der Prüfprotokolle zu den beklagtenseits gelieferten Masken möglich.
64Die Beklagten sind zudem der Ansicht, die Klägerin hätte nicht vom Vertrag zurücktreten dürfen, ohne den Beklagten vorher unter Fristsetzung Gelegenheit zu geben, etwaige Mängel nachzubessern. Von einem Fixgeschäft könne nicht ausgegangen werden, da die Klägerin durch ihren Umgang mit diversen anderen Lieferanten deutlich zum Ausdruck gebracht habe, dass es ihr nicht auf die Einhaltung des Lieferdatums ankomme. Aus der Dokumentation diverser Auskünfte im Bundestag ergebe sich, dass die Klägerin in den Monaten nach April und Mai 2020 bei anderen Lieferanten kontinuierlich weitere Lieferungen von Masken zugelassen und entgegengenommen habe. Zudem habe die Klägerin anderen Lieferanten auch das Recht zur Nacherfüllung eingeräumt. Da in Open-House-Verträgen von öffentlichen Auftraggebern der Gleichheitsgrundsatz gelte, hätte sie den Beklagten daher erst recht die Möglichkeit zur Nachbesserung einräumen müssen.
65Die Beklagte zu 1) vertritt weiterhin die Ansicht, ein Rücktritt sei schon gemäß § 377 HGB ausgeschlossen, weil die Klägerin die Mängel nicht unverzüglich gerügt habe. Die Vorschrift sei auch anzuwenden, weil die Klägerin ausweislich diverser Dokumente des Bundesrechnungshofes mit Gewinnerzielungsabsicht, jedenfalls aber entgeltlich gehandelt habe, was unter Berücksichtigung des Auftragsvolumens für die Annahme eines Handelsgeschäfts genüge. Soweit der Vertrag eine Begrenzung der Rügepflicht auf offensichtliche Mängel vorsehe, sei diese Vereinbarung unwirksam.
66Die Beklagte zu 1) beruft sich weiterhin darauf, dass die Teilrücktrittserklärung wegen der – an sich unstreitigen – Zuviellieferung von Masken zu weit gehe und daher allenfalls wegen einer geringeren Maskenmenge in Betracht käme.
67Die Beklagte zu 1) erklärt die Aufrechnung mit Zinsansprüchen aufgrund der verspäteten Kaufpreiszahlung. Den – mittlerweile unstreitigen – Zinsanspruch beziffert sie mit von 20.725,85 €; hierauf beruht die Teilerledigungserklärung der Klägerin. Ferner erklärt die Beklagte zu 1) die Aufrechnung mit vorgerichtlichen Anwaltskosten von 27.786,70 €, die wegen des unberechtigten Rücktritts angefallen seien.
68Die Beklagte zu 2) wendet ein, die Forderung der Klägerin gegen sie sei erloschen, und zwar einerseits durch Aufrechnungen mit Gegenforderungen und andererseits durch die mittlerweile unstreitige Rückzahlung von 764.066 € vor Klageerhebung (die nunmehr zur Teilklagerücknahme geführt hat). Zu den Aufrechnungspositionen beruft sie sich zunächst auf – mittlerweile unstreitige – Gegenansprüche wegen Anwaltskosten und Zinsen gem. Anlage B2-16 (Bl. 413 f. d.A.) in Höhe von 90.933,17 €, auf denen die weitere Teilerledigungserklärung (bzw. nun Teilklagerücknahme) der Klägerin beruht. Zudem dürfe die Beklagte zu 2) gegenüber der Klägerin mit einem abgetretenen Anspruch der Fa. F auf Kaufpreiszahlung gegen die verbleibende Restforderung in Höhe von 2.172.932,03 € aufrechnen. Die Fa. F habe – an sich unstreitig – gegen die Klägerin aus einem gleichlautenden Openhouse-Vertrag einen Anspruch auf Kaufpreiszahlung gehabt, der wiederum an die Beklagte zu 2) als Lieferantin der dort geschuldeten Masken abgetreten worden war. Die Beklagte zu 2) ist der Ansicht, der von der Klägerin gegenüber der Fa. F erklärte Teilrücktritt vom Vertrag wegen Mängeln sei ebenfalls unwirksam.
69Wegen den genaueren Details von Klage- und Verteidigungsvorbringen sowie weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und wird auf die eingereichten Schriftsätze sowie den Akteninhalt Bezug genommen.
70Entscheidungsgründe:
71Die überwiegend zulässige Klage ist lediglich in dem erkannten Umfang begründet.
721. Klageantrag zu 1)
73Der Klageantrag zu 1) ist unbegründet. Der Klägerin steht gegen die Beklagte zu 1) kein Anspruch auf (Teil-)Rückabwicklung des Kaufvertrages und (Teil-)Rückzahlung des Kaufpreises gemäß §§ 346, 323, 434 ff. BGB zu.
74Es kann dahinstehen, ob die gelieferten Masken mangelhaft waren, und ob es sich um ein beiderseitiges Handelsgeschäft handelte und die Klägerin rechtzeitig im Sinne etwaiger Rügeobliegenheiten handelte. Ein Anspruch auf Rückabwicklung scheitert jedenfalls daran, dass ein Rücktritt vorliegend nicht ohne vorherige Fristsetzung erfolgen durfte.
75Ein Rücktritt von einem Kaufvertrag wegen mangelhafter Leistungen setzt gemäß §§ 323 Abs. 1, 437, 440 BGB grundsätzlich voraus, dass eine Frist zur Nacherfüllung gesetzt wurde und erfolglos verstrichen ist. Hiervon gibt es gesetzlich geregelte Ausnahmen, von denen jedoch keine einschlägig ist. Die Fristsetzung war hier insbesondere nicht gemäß § 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB (oder § 376 HGB) aufgrund eines sog. Fixgeschäfts entbehrlich.
76Ein sog. „absolutes“ Fixgeschäft liegt vor, wenn bei der Nichteinhaltung der Leistungszeit bei wertender Betrachtung Unmöglichkeit eintritt, weil die Leistungszeit so wesentlich ist, dass eine verspätete Leistung keine Erfüllung mehr sein kann (vgl. Palandt, BGB 82. Aufl. § 271 Rz. 17 m.w.N.; z.B. Bestellungen für bestimmte Veranstaltungen, die danach nie mehr benötigt werden). Bei einem absoluten Fixgeschäft greifen daher die Regelungen über die Unmöglichkeit ein (§§ 275, 283 BGB). Bei einem „relativen“ Fixgeschäft muss die Einhaltung der Leistungszeit aber auch so wesentlich sein, dass mit der zeitgerechten Leistung das Geschäft „stehen und fallen“ soll (vgl. Palandt, BGB 82. Aufl. § 323 Rz. 19 ff m.w.N.). Ob ein Fixgeschäft vorliegt, ist grundsätzlich durch Auslegung zu ermitteln.
77Soweit die Klägerin in die von ihr einseitig vorgegebenen Vertragsklauseln, die damit der Klauselkontrolle nach §§ 305 ff. BGB unterfallen, eine Vereinbarung aufgenommen hat, wonach ein „absolutes Fixgeschäft“ vorliege, ist diese Vereinbarung nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam (so für die gleiche Klausel in einem weiteren Vertrag desselben Open-House-Verfahrens auch: OLG Köln, Beschluss v. 24.05.2022 – 15 U 116/21). Denn der Fixcharakter einer Lieferfrist im Kaufrecht kann nach ständiger Rechtsprechung nicht wirksam in allgemeinen Geschäftsbedingungen vereinbart werden (vgl. u.a. BGH, Urteil vom 17. Januar 1990 – VIII ZR 292/88 - NJW 1990, 2065). Dadurch würde der Klauselverwender/Käufer von der Verpflichtung zur Fristsetzung gemäß § 323 Abs. 1 BGB (§ 326 BGB a.F.) entbunden, was eine unangemessene Benachteiligung des Verkäufers i.S.v. § 307 BGB (§ 9 AGBG a.F.) bewirken würde (BGH a.a.O.). Denn dieser hat nach den gesetzlichen Vorschriften regelmäßig das Recht, nachliefern bzw. nacherfüllen zu dürfen, um seinen Kaufpreisanspruch zu erhalten. Dieses Recht wird ihm durch die Fixgeschäftsklausel genommen.
78Entgegen der Ansicht der Klägerin rechtfertigt der vorliegende Fall auch keine Abweichung vom gesetzlichen Leitbild, und zwar unabhängig davon, ob man dem ausdrücklichen Wortlaut zufolge von einem absoluten Fixgeschäft ausgeht oder eine Umdeutung der Klausel in ein relatives Fixgeschäft in Erwägung zieht. Denn beide Varianten bewirken gleichermaßen eine unangemessene Benachteiligung des Verkäufers, indem dieser sein Recht auf Nachbesserungen bzw. Nachlieferungen verliert. Der Bundesgerichtshof hat in seiner oben zitierten Rechtsprechung zwar ausdrücklich offengelassen, ob es anders zu bewerten wäre, wenn eine fixe Lieferfrist durch allgemeine Geschäftsbedingungen dort vereinbart wird, wo Fixgeschäfte branchenüblich sind. Medizinische Schutzartikel sind aber Waren, die üblicherweise wie jede andere Ware gehandelt werden, ohne dass es einer Fixabrede bedürfte. Denn diese Waren werden üblicherweise fortlaufend, und gerade nicht nur für einen ganz bestimmten Termin oder Zeitraum benötigt, nach welchem sie wertlos würden – anders als z.B. spezielle Saisonartikel oder Artikel für singuläre Ereignisse (wie Jubiläumsfeiern, Volksfeste, Sportfestspiele etc.). Auch ein Open-House-Verfahren oder der Sonderfall einer Notfallbeschaffung von Schutzartikeln durch den Staat aufgrund einer Pandemie rechtfertigen kein Abweichen vom gesetzlichen Leitbild. Denn beides verdeutlicht zwar die Dringlichkeit einer schnellen Vertragsabwicklung, erfordert aber nicht per se ein fixes Lieferdatum; und zwar schon deswegen nicht, weil bereits zum Zeitpunkt der Auftragsbekanntmachung Ende März 2020 offensichtlich war, dass die Pandemie nicht etwa am 30.04.2020 beendet wäre, sondern noch weit über diesen Zeitpunkt hinaus andauern würde. Eine bloße Dringlichkeit alleine macht es aber noch lange nicht angemessen, einem Verkäufer von Waren sein Nachbesserungsrecht gänzlich zu verwehren, zumal dem Käufer auch ohne Fixabrede genügend Druckmittel zur Verfügung gestanden hätten, um über die gesetzlichen Verzugsvorschriften mit entsprechend kurzen Fristsetzungen auf eine schnelle Lieferung hinzuwirken. Zudem wird der Verlust des Rechts auf Fristsetzungen und Nachbesserungen durch das gewählte Vertragskonstrukt auch nicht angemessen kompensiert. Denn der Beklagten als Verkäuferin werden hierin gerade keine besonderen Vorteile gewährt, welche einen solch gravierenden Nachteil ausgleichen könnten. Entgegen der Ansicht der Klägerin enthält ihr Vertrag in § 5 gerade keine anfängliche Vorleistungspflicht ihrerseits, vielmehr zahlt sie nach dem Vertragswerk nicht einmal Zug-um-Zug gegen Leistungserhalt, wie es das gesetzliche Leitbild vorsieht, sondern sogar noch später. Zwar regelt § 5 Ziff. 5.2. des Vertrages bei wertender Betrachtung sodann einen Vorrang der Zahlungspflicht gegenüber Mängelansprüchen. Das genügt jedoch nicht, um eine ausreichende Kompensation des vorgegebenen Fixgeschäfts annehmen zu können. Der gewählte Ankaufspreis von 4,50 € kann auch nicht als „vergleichsweise hoch“ eingestuft werden. Denn nach dem unbestrittenen und urkundlich belegten Beklagtenvorbringen hatte die Klägerin für die Weitergabe der Masken bereits Verträge mit Gewinnerzielungsabsicht (mithin: mit höheren Weiterverkaufspreisen) abgeschlossen, was per se gegen die Annahme spricht, dass die von ihr gezahlten 4,50 € schon ein vergleichsweise hoher Preis sein könnten.
79Mangels wirksamer schriftlicher Vereinbarung eines Fixgeschäftes kann eine Fixabrede nur im Wege einer Auslegung der sonstigen Umstände ermittelt werden. Eine vertragliche Festlegung der Leistungszeit alleine genügt jedoch dafür nicht, sie kann nur ein Indiz sein. Vielmehr ist nach dem Sinn und Zweck des Vertrages auszulegen, wie wesentlich die Leistungszeit nach dem Willen der Parteien sein soll; bei Zweifeln ist ein Fixgeschäft zu verneinen (vgl. statt vieler BGH, Urteil vom 18. April 1989 – X ZR 85/88). Gemessen an diesen Voraussetzungen spricht nichts für ein Fixgeschäft, nicht einmal der Wortlaut der Vertragsunterlagen. Denn der Wortlaut ist missverständlich und irreführend, weil er ein „absolutes“ Fixgeschäft vorsieht, obwohl die Klägerin die Masken evident nicht für ein einmaliges singuläres Ereignis bis zum 30.04.2020 benötigte, und sie danach bei wertender Betrachtung objektiv unbrauchbar geworden wären. Folglich käme allenfalls ein relatives Fixgeschäft in Betracht, für welches sich im Vertragswortlaut aber keine zwingenden Anhaltspunkte finden lassen. Vielmehr sieht der Vertrag in § 7 Ziff. 7.1 vor, dass die durch eine fristgerechte Lieferung begründeten Rechte und Pflichten des Auftraggebers und des Auftragnehmers auch nach dem Ablauf der Vertragslaufzeit fortbestehen sollten. Diese Regelung kann nur dahingehend gedeutet werden, dass zwar die Lieferfrist zwingend eingehalten werden musste, Rechte und Pflichten nach der Lieferung, so z.B. auch Rechte infolge von Mängeln der Lieferung, namentlich das Recht auf Nacherfüllung, aber gerade nicht ausgeschlossen werden sollten. Damit legt der Vertragswortlaut nahe, dass jedenfalls eine Fixabrede i.S.v. § 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB mit der Folge eines Rücktrittsrechts ohne Nachbesserungsfrist gerade nicht gewünscht war.
80Auch der Vertragszweck und die bekannten Umstände des Vertragsschlusses lassen nicht die Annahme zu, dass ein (relatives) Fixgeschäft vereinbart werden sollte (so auch OLG Köln, Beschluss v. 24.05.2022 – 15 U 116/21). Denn mit ihrem Open-House Verfahren bezweckte die Klägerin, schnellstmöglich eine große Menge Schutzausrüstung zu beschaffen für eine gerade erst begonnene weltweite Pandemie. Die Dringlichkeit der gewünschten Lieferung wurde von ihr deutlich kommuniziert, durch die gewählte Verfahrensart, den Ausschreibungstext und die sehr kurzen Fristen für Angebotsabgabe und Lieferung. Zudem war die Dringlichkeit auch offensichtlich, da sich weltweit dasselbe Problem auftat: Plötzlich benötigte man überall Schutzausrüstung in großen Mengen für nahezu jeden Lebensbereich, worauf bis dahin niemand vorbereitet war. Allerdings war ebenso offensichtlich, dass die Pandemie nicht binnen weniger Tage, Wochen oder Monate vorbei sein würde, sondern die Schutzausrüstung am 01.05.2020 oder 30.05.2020 objektiv natürlich noch genauso dringlich benötigt werden würde, wie am 30.04.2020. Warum das Geschäft dennoch mit der Einhaltung der klägerseits geforderten Lieferfrist „stehen oder fallen“ sollte, und etwaige kurze Nachfristsetzungen gänzlich ausgeschlossen sein sollten, erschließt sich daher nicht. Die Klägerin hat zwar deutlich gemacht, dass sie eine exakte Einhaltung der Lieferfrist wünsche, sie hat aber weder durch individuelle Kommunikation mit der Beklagten, noch im Rahmen der Ausschreibung oder in den Vertragsunterlagen deutlich gemacht, warum der exakte Liefertermin (30.04.2020) so wichtig wäre und warum die Leistung ab dem 01.05.2020 für sie uninteressant sein sollte. Dies alleine genügt aber nicht, weil § 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB erfordert, dass die Wesentlichkeit des Fixcharakters für den Vertragspartner erkennbar sein muss. Wenn aber ausschließlich die Wesentlichkeit eines Liefertermins kommuniziert wird, ohne dass dieser Zeitpunkt einen erkennbaren Sinn ergibt, während gleichzeitig der Vertrag bei fristgerechter Lieferung das Fortbestehen aller weiteren Rechte und Pflichten vorsieht, wird damit gerade nicht kommuniziert, dass die Lieferfrist so wesentlich sein soll, dass damit auch bei Mängeln der Lieferung das Nachbesserungsrecht entfallen und ein sofortiges Rücktrittsrecht bestehen sollte.
81Entgegen der Ansicht der Klägerin ergab sich die Notwendigkeit eines Fixgeschäfts und des Ausschlusses von Nachbesserungsrechten auch nicht aus den bekannten Umständen des Vertragsschlusses. Insoweit wird auf die Ausführungen zur Klauselkontrolle Bezug genommen. Weder die Pandemie noch die konkrete Verfahrensart erforderten demnach ein Fixgeschäft (so auch OLG Köln, Beschluss v. 24.05.2022 – 15 U 116/21). Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus einer etwaigen nur temporären Zulassung von Schutzausrüstung durch die EU. Vielmehr war Schutzausrüstung, die – wie hier – nicht die Norm EN 149 erfüllt, bereits mit EU-Verordnung 2016/425 vom 09.03.2016 (Anlage K4) – und damit vor Beginn der Pandemie – zugelassen worden, und zwar keineswegs temporär oder mit zeitlicher Begrenzung, und erst recht nicht befristet bis zum 30.04.2020.
82Obgleich sich die Frage eines Fixgeschäftes nur nach dem Zeitpunkt des Vertragsschlusses bestimmt, untermauert das spätere Verhalten der Klägerin als Indiz ebenfalls die Annahme, dass das Geschäft keineswegs mit einer Lieferung am 30.04.2020 stehen oder fallen sollte. Denn die Vorgabe an alle Liefernden, in Absprache mit den Logistikern wegen Engpässen auf spätere Anlieferungszeitpunkte auszuweichen, steht im Widerspruch zu dem behaupteten Wegfall des Lieferinteresses nach dem 30.04.2020. Und obgleich die Darstellungen der Beklagtenseite zu den zahlreichen anderen Vertragsverhältnissen in vielen Details und ihrer Vergleichbarkeit umstritten sind, ist jedoch bei einigen Lieferanten dem Grunde nach unstreitig, dass es klägerseits jedenfalls in den Wochen und Monaten nach dem 30.04.2020 noch diverse weitere Annahmen von Maskenlieferungen aus dem streitgegenständlichen Open-House-Verfahren gab (z.B. Fa. K GmbH, Lieferungen 19./25.5.; Fa. L GmbH, Lieferungen 19./21./23.05.2020; Fa. M GmbH & Co. KG, Lieferung 13./15./20.05.2020; Fa. N e.K.. Lieferung 26.05.2020; Fa. O GmbH, Lieferung August bis November 2020; Fa. P GmbH, Lieferung 18.05.2020). Zudem schloss die Klägerin unstreitig weitere Direktbeschaffungsverträge über Atemschutzmasken mit späteren Lieferzeitpunkten ab (z.B. Fa. Q, vertragliche Lieferfrist 22.5., tatsächliche Lieferung gestattet am 30.06.2020; Fa. Q AG, Lieferung 22.12.2020). Dies belegt eindeutig, dass auch nach dem 30.04.2020 – und insbesondere in einem Zeitraum von ca. 3 Wochen danach, in welchem eine Fristsetzung zur Nachbesserung durch die Beklagte ohne weiteres möglich gewesen wäre – entsprechende Schutzmasken für die Klägerin weiterhin von Interesse waren.
83Es spricht vieles dafür, kann aber letztlich dahinstehen, ob der Umgang mit den weiteren Vertragspartnern über §§ 242 BGB, Art. 3 GG (i.V.m. der Rechtsprechung EuGH, Urt. v. 02.06.2016 - C-410/14) ebenfalls dazu führen würde, dass ein Rücktritt ohne vorherige Fristsetzung unwirksam wäre.
84Es spricht ebenfalls vieles dafür, dass die Anweisung an die Beklagte, tatsächlich doch erst nach dem 30.04.2020 zu liefern, als Verzicht der Klägerin auf eine etwaige Fixabrede zu deuten wäre, mit der Konsequenz, dass sich der Vertrag damit in einen normalen Kaufvertrag ohne Fixabrede umgewandelt hätte.
85Sofern man das Vorliegen eines Handelsgeschäfts annähme, wäre durch die Anweisung an die Beklagte, erst am 04.05.2020 zu liefern, der Charakter eines Fixhandelsgeschäfts ohnehin gänzlich entfallen, denn der Vertrag hätte sich durch das Erfüllungsverlangen nach Fristablauf gem. § 376 Abs. 1 S. 2 HGB in einen normalen Handelskauf umgewandelt (vgl. BGH, Urteil vom 27. Oktober 1982 – VIII ZR 190/81).
86Eine Nachfristsetzung war vorliegend auch nicht wegen einer ernsthaften Verweigerung der Leistung bzw. Nacherfüllung entbehrlich (§ 323 Abs. 2 Nr. 1 BGB). Die Beklagte hat im vorliegenden Prozess zwar das Vorliegen von Mängeln sehr nachdrücklich bestritten. Ein solches Bestreiten alleine genügt jedoch nicht für die Annahme, dass ein Schuldner sich von einer Nacherfüllungsaufforderung nicht umstimmen lassen und die Erfüllung seiner Vertragspflichten zur mangelfreien Lieferung ablehnen werde (vgl. BGH, Urteil vom 01. Juli 2015 – VIII ZR 226/14; Urteil vom 18. Januar 2017 – VIII ZR 234/17). Gerade dann, wenn jemand – wie hier – über das Bestreiten der Mängel hinaus auch die fehlende Nachfristsetzung rügt, darf keine ernsthafte Erfüllungsverweigerung unterstellt werden (vgl. BGH, Urteil vom 21. Dezember 2005 – VIII ZR 49/05). Dies gilt hier umso mehr, weil die Beklagte zu 1) sogar umgehend nach der ersten Kenntniserlangung von dem Mangelvorwurf eine Überprüfung nebst eventueller Nachbesserung angeboten hatte.
872. Klageanträge zu 3), 4), 5)
88Die Klageanträge zu 3), 4) und 5) der Klägerin waren ebenfalls als unbegründet abzuweisen, weil sie ihrem Inhalt nach ein Recht auf Rückabwicklung und ein Rückgewährschuldverhältnis voraussetzen, welches nach den obigen Darstellungen jedoch nicht besteht.
893. Klageantrag zu 2)
90Der Klageantrag zu 2) ist überwiegend begründet. Der Klägerin steht gegen die Beklagte zu 1) aufgrund der versehentlichen Überzahlung des Kaufpreises ein Anspruch auf Rückgewähr gem. § 812 BGB zu. Die Beklagte zu 1) hat die erhaltenen Zahlungen, soweit diese den nach der Teilabtretung verbleibenden Kaufpreisanspruch überstiegen (hier: eine Überzahlung von 1.041.868,80 €), von der Klägerin ohne Rechtsgrund erlangt. Rechtserhebliche Einwendungen der Beklagten zu 1) gegen das Entstehen des Anspruchs aus § 812 BGB wurden nicht vorgebracht.
91Der Anspruch der Klägerin ist aber teilweise durch Aufrechnungen der Beklagten zu 1) gem. § 389 BGB erloschen. Denn der Beklagten zu 1) standen gegen die Klägerin ebenfalls Zahlungsansprüche zu, welche sie im Wege der Aufrechnung geltend machen durfte.
92Unstreitig ist zunächst eine wirksame Aufrechnung mit einem Zinsanspruch in Höhe von 20.725,85 €. Der Gegenanspruch der Beklagten zu 1) auf Zinszahlung folgt aus §§ 280, 286 BGB, weil die Klägerin mit der Kaufpreiszahlung in Verzug geraten war. Denn gem. § 5 Ziff. 5.1. des streitgegenständlichen Vertrages war die Klägerin verpflichtet, den Kaufpreis binnen einer Woche nach Lieferung auszuzahlen, was sie jedoch zunächst nicht tat. Da der Leistungszeitpunkt vertraglich hinreichend bestimmt bzw. bestimmbar war, trat Verzug gem. § 286 Abs. 2 Nr. 2 BGB automatisch mit Ablauf einer Woche nach Lieferung ein, ohne dass es einer Mahnung bedurft hätte.
93Darüber hinaus steht der Beklagten zu 1) gegen die Klägerin auch ein Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 433 BGB zu. Denn die Klägerin hat gegenüber der Beklagten zu 1) unberechtigterweise den Rücktritt vom Kaufvertrag erklärt (s.o.). Unberechtigte Vertragsauflösungen oder die ungerechtfertigte Ausübung von Gestaltungsrechten (z.B. Kündigungen oder Rücktrittserklärungen) stellen einen Verstoß gegen vertragliche Nebenpflichten dar, denn das Gebot der Vertragstreue gebietet es, an den vertraglichen Pflichten festzuhalten und nicht rechtsgrundlos davon Abstand zu nehmen (MüKo, Kommentar zum BGB, 9. Aufl. § 241 Rz. 130 m.w.N. zit. n. beck-online; BGH, Urteil vom 16. Januar 2009 – V ZR 133/08 zit. n. juris). Vorliegend hat die Klägerin dagegen schuldhaft verstoßen, denn sie hätte bei der ihr gebotenen Sorgfalt erkennen können, dass sie die Rücktrittserklärung vom abgeschlossenen Vertrag nicht hätte erklären dürfen, bevor sie der Beklagten zu 1) nicht die Möglichkeit einer Nacherfüllung eingeräumt hat. Die ungerechtfertigte Rücktrittserklärung hat bei der Beklagten zu 1) einen Schaden in Form von vorgerichtlichen Anwaltskosten versursacht, die sie aufwenden musste, um der ungerechtfertigten Vertragsauflösung entgegen zu treten. Richtigerweise war der Gegenstandswert dafür mit dem Gesamtwert des Rücktritts anzusetzen, den die Klägerin vorgerichtlich mit 4.814.145,00 € beziffert hatte. Zudem erhöhte sich der Wert um den Wert des Zahlungsverzugs, der ebenfalls anwaltlich verfolgt wurde und einen Haftungsgrund für vorgerichtliche Anwaltskosten begründet. Soweit die Beklagte zu 1) diese Gegenstandswerte auf lediglich 5.863.510,00 € summiert hat und ihren Anspruch danach berechnet, ist das nicht ganz nachvollziehbar aber letztlich irrelevant, weil es keinen Bedenken begegnet, mindestens in dieser Höhe von einer zurechenbar verursachten Rechtsverfolgung auszugehen. Zudem wurde die Anspruchshöhe Klägerseits ohnehin nicht wirksam bestritten.
94Nach Abzug der Gegenforderungen von 20.725,85 € und 27.786,70 € von der Ursprungsforderung in Höhe von 1.041.868,80 € verbleibt ein Restforderungsbetrag der Klägerin in Höhe von 993.356,25 €.
95Die einseitige Teilerledigungserklärung der Klägerin hinsichtlich des Klageantrags zu 2) und der aufgerechneten Zinsforderung wäre – auch ohne ausdrückliche Antragsänderung – in einen Antrag auf Feststellung eines erledigenden Ereignisses umzudeuten gewesen (vgl. MüKo, Kommentar zur ZPO, 6. Aufl. § 91a Rz. 80 m.w.N.). Mittlerweile hat die Klägerin diesen Antrag auch ausdrücklich so formuliert. Der Antrag ist jedoch überwiegend unbegründet. Denn eine sog. Erledigung eines Rechtsstreites tritt nur dann ein, wenn eine Klage ursprünglich zulässig und begründet war und nach Eintritt der Rechtshängigkeit aufgrund eines hinzutretenden Ereignisses unzulässig oder unbegründet wurde (MüKo a.a.O.). Dies war hier jedoch nur in dem erkannten Umfang der Fall. Darüberhinausgehend muss eine Erledigung verneint werden. Denn eine Aufrechnung mit einem Zinsanspruch auf die Kaufpreisforderung wurde seitens der Beklagten zu 1) schon vorgerichtlich im September 2020 erklärt, mit der Folge, dass die im Mai 2022 erhobene Klage in diesem Umfang bereits von Anfang an unbegründet war (und es nicht erst nach Rechtshängigkeit wurde). Die beklagtenseits im September 2020 erklärte „Verrechnung“ (Bl. 242 d.A.) kann bei verständiger Auslegung nur als Aufrechnungserklärung i.S.v. § 388 BGB verstanden werden, weil die Beklagte zu 1) – mit der gewählten Formulierung einerseits und der Berechnung der verbleibenden Forderung der Klägerin andererseits – hinreichend deutlich machte, dass sie diese Gegenforderung von der Hauptforderung in Abzug bringen wollte. Gegenstand und Höhe der Aufrechnungsforderung ergaben sich auch hinreichend bestimmbar aus der vorprozessualen Erklärung und deren Anlagen (Bl. 242, 244 d.A.). Allerdings wurde vorprozessual noch mit einem etwas geringeren Betrag von 20.560,79 € aufgerechnet. Der Zinsanspruch der Beklagten zu 1) liegt aber unstreitig etwas höher (20.725,85 €), und über diesen höheren Betrag wurde eine Aufrechnung erst mit der Klageerwiderung erklärt. Daher liegt im Umfang des Differenzbetrages von 165,06 € tatsächlich eine echte Erledigung des Rechtsstreits vor.
964. Klageantrag zu 6)
97Der Klageantrag zu 6) ist unbegründet. Der Klägerin stand gegen die Beklagte zu 2) zwar ursprünglich ein Anspruch auf Rückzahlung der versehentlichen Überzahlung des Kaufpreises gemäß § 812 BGB zu, der aber durch Erfüllung und Aufrechnungen erloschen ist.
98Ursprünglich bestand ein Rückforderungsanspruch der Klägerin gegen die Beklagte zu 2) aus § 812 BGB, weil die Beklagte von der Klägerin ohne Rechtsgrund eine Überzahlung erlangt hat. Im Rahmen des § 812 BGB gilt bei Abtretungsfällen zwar der Grundsatz der Rückgewähr entlang der Leistungsbeziehungen, weil der Zahlende/Schuldner mit der Zahlung regelmäßig seinen eigenen Vertragspartner, den Zedenten, und nicht den Abtretungsempfänger, bereichern möchte, und nach dem Empfängerhorizont daher keine „Leistung“ an den Abtretungsempfänger vorliegt. In Rechtsprechung und Literatur ist aber anerkannt, dass eine Direktkondiktion gegen den Abtretungsempfänger ausnahmsweise dann möglich ist, wenn der Schuldner Mehrleistungen erbringt, die vertraglich nicht geschuldet waren und deren Erbringung vom Zedenten folglich nicht angewiesen bzw. veranlasst worden war (MüKo, Kommentar zum BGB, 8. Aufl. § 812 Rz. 253 und 103 ff. m.w.N.). Dies gilt insbesondere für Zuvielüberweisungen, wenn der Empfänger wusste, dass der überschießende Betrag nicht von der Anweisung des Zedenten gedeckt war (s.o. m.w.N.). Eine solche Fallgestaltung liegt hier vor. Denn allen Beteiligten war gleichermaßen bewusst, dass die Klägerin unter Berufung auf die Abtretung lediglich veranlasst worden war, einen Kaufpreisanteil von 7.175.700,00 € an die Beklagte zu 2) zu leisten. Allen Beteiligten war ebenso bewusst, dass höhere Zahlungen nicht geschuldet waren. Daher war auch für alle erkennbar, dass es sich bei der Auszahlung weiterer 3.027.931,20 € an die Beklagte zu 2) um ein Versehen handelte und die Klägerin damit keiner Anweisung der Beklagten zu 1) als Zedentin Folge geleistet hatte. Folglich durfte sie die Rückforderung direkt gegenüber der Beklagten zu 2) geltend machen.
99Der Rückzahlungsanspruch der Klägerin ist jedoch teilweise durch Erfüllung und darüberhinausgehend durch Aufrechnungserklärungen der Beklagten zu 2) gem. § 389 BGB erloschen.
100Die Beklagte hat den Anspruch der Klägerin bereits vorprozessual in Höhe eines Teilbetrages von 764.066 € erfüllt, weswegen die Klägerin die Klage in dieser Höhe zurückgenommen hat. Darüber hinaus ist der Anspruch durch eine Aufrechnung mit einem unstreitigen Gegenanspruch der Beklagten zu 2) auf Zinsen und Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 90.933,17 € erloschen. Dieser Anspruch folgt aus §§ 280, 286 BGB. Auch insoweit liegt mittlerweile eine Teilklagerücknahme vor.
101Die verbleibende Restforderung der Klägerin in Höhe von 2.172.932,03 € ist durch eine weitere Aufrechnung der Beklagten zu 2) erloschen. Denn der Beklagten zu 2) stand gegen die Klägerin aus abgetretenem Recht der Fa. F aus einem gleichlautenden Kaufvertrag aus dem gleichen Open-House-Verfahren ein Anspruch auf Kaufpreiszahlung in Höhe von netto 4.950.000 € zu (1,1 Mio. Masken je 4,50 €, Abtretung in voller Höhe Bl. 434, 435 d.A.). Soweit die Klägerin gegen diesen abgetretenen Anspruch einwendet, der Anspruch sei durch einen Rücktritt vom Kaufvertrag aufgrund von Mängeln der gelieferten Masken erloschen, gelten dieselben rechtlichen Ausführungen wie zum Klageanspruch zu 1). Auch im Verhältnis zur Fa. F war aus den gleichen rechtlichen Gründen ein Rücktritt vom Kaufvertrag unwirksam, weil es auch dort unstreitig an einer Fristsetzung und Gelegenheit zur Nachbesserung fehlte.
102Die Klägerin kann gegen die zur Aufrechnung gestellte Kaufpreisforderung auch nicht mit Erfolg einwenden, dass eine Aufrechnung ausgeschlossen sei, weil ihr gegen diese Forderung ein Zurückbehaltungsrecht wegen Mangelbeseitigungsansprüchen zustehe. Es ist zwar grundsätzlich rechtlich zutreffend, dass eine Aufrechnung nur dann möglich ist, wenn die Voraussetzungen einer Aufrechnungslage gem. §§ 387, 390 BGB vorliegen. Danach ist eine Aufrechnung ausgeschlossen, wenn der Aufrechnungsforderung eine Einrede entgegensteht. Und ein Zurückbehaltungsrecht wäre eine aufrechnungshindernde Einrede i.S.v. § 390 BGB, wobei nicht einmal erforderlich ist, dass die Einrede überhaupt schon aktiv erhoben wurde (vgl. MüKo, a.a.O. § 390 BGB Rz. 1 m.w.N.).
103Vorliegend steht der Klägerin gegen die abgetretene Kaufpreisforderung der Fa. F jedoch keine Einrede und insbesondere kein Zurückbehaltungsrecht zu. Dabei kann es offenbleiben, ob überhaupt Mangelbeseitigungsansprüche bzw. Nacherfüllungsansprüche infolge von Mängeln bestehen. Bei Kaufverträgen können Mängelbeseitigungsansprüche zwar regelmäßig Zurückbehaltungsrechte nach § 320 BGB begründen. Jedes Zurückbehaltungsrecht setzt aber gem. § 320 Abs. 1 S. 1 BGB voraus, dass beide Seiten Ansprüche auf Vertragserfüllung haben und keine Seite eine Vorleistungspflicht trifft; denn im Falle von Vorleistungspflichten sind gegenseitige Pflichten nicht mehr Zug-um-Zug zu erbringen. Letzteres ist hier jedoch der Fall. Denn nach Ziffer 5.1 und 5.2 des Kaufvertrages war zunächst die Auftragnehmerin vorleistungspflichtig und musste liefern, bevor die Klägerin zu zahlen hatte. Sodann war die Klägerin wiederum verpflichtet, den Kaufpreis innerhalb kurzer Frist unter dem Vorbehalt der späteren Rückforderung wegen Nichtleistung oder mangelhafter Leistungen zu begleichen. Diese Regelung kann bei verständiger Würdigung nur dahingehend ausgelegt werden, dass weder Lieferung und Zahlung einerseits, noch Zahlung und Mangelbeseitigung bzw. Nacherfüllung andererseits nach dem gesetzlichen Leitbild Zug-um-Zug erfolgen sollten, sondern vielmehr gestaffelte Vorleistungspflichten gelten sollten. Die vertragliche Regelung schließt es daher aus, dass die Klägerin den Kaufpreis wegen denkbaren Zurückbehaltungsgründen i.S.v. § 320 BGB wie einer Nichtleistung oder Mängeln zurückhalten darf. Vielmehr sollte sie unbedingt leisten und bei etwaigen Mängeln auf die Möglichkeit einer späteren Rückforderung verwiesen werden. Bedenken gegen die Wirksamkeit dieser vertraglichen Regelung bestehen nicht, da das Klauselverbot in § 309 Nr. 2a BGB, welches Einschränkungen des § 320 BGB verbietet, gem. § 310 Abs. 1 BGB dann nicht gilt, wenn eine Klausel von ihrem Verwender (hier: der Klägerin, welche die Vertrags-Klauseln im Open-House Verfahren verbindlich vorgab) gegenüber einem Unternehmen eingesetzt wird; die Auftragnehmerin ist indes Unternehmerin. Eben so wenig kann die Klausel nach § 307 BGB unwirksam sein, weil diese Norm nur unangemessene Benachteiligungen des Vertragspartners des Verwenders untersagt; der Verwender selbst hingegen ist frei darin, sich selbst mit Klauseln zu benachteiligen.
104Ungeachtet der vorstehenden Ausführungen wäre der Klägerin eine Berufung auf ein Zurückbehaltungsrecht auch mangels eigener Vertragstreue untersagt. Denn in der Rechtsprechung ist anerkannt, dass sich ein Vertragspartner dann nicht auf ein Zurückbehaltungsrecht berufen darf, wenn er selbst mit der ihm obliegenden Pflicht schon in Verzug geraten ist (vgl. MüKo a.a.O. § 320 BGB Rz. 44 m.w.N.). Dies ist hier der Fall. Die Klägerin hat den Kaufpreisanspruch der Fa. F bis heute nicht beglichen (oder nicht vollständig, jedenfalls unstreitig nicht in Höhe der erklärten Aufrechnung). Sie ist daher auch gegenüber der Fa. F gem. § 286 Abs. 2 Nr. 2 BGB eine Woche nach der dortigen Lieferung (vom 05.05.2021, vgl. Bl. 435 d.A.) in Verzug geraten, was ihr Zurückbehaltungsrecht nach den o.g. Grundsätzen ausschließt.
1055. Hilfsantrag
106Der Hilfsantrag der Klägerin ist bereits unzulässig.
107Hilfsanträge dürfen grundsätzlich unter der prozessualen Bedingung der Ablehnung eines Hauptantrags gestellt werden (vgl. MüKo, Kommentar zur ZPO, 6. Aufl. § 253 Rz. 19). Vorliegend begegnet es auch keinen Bedenken, dass die Ablehnung des Hauptantrags beschränkt wurde auf alle denkbaren Ablehnungsgründe exklusive eines Grundes, weil letzterer dem Hilfsanspruch entgegenstünde. Der Hilfsantrag ist jedoch schon deswegen unzulässig, weil er nicht hinreichend bestimmt ist.
108Nach ständiger Rechtsprechung ist ein Klageantrag im Allgemeinen dann hinreichend bestimmt, wenn er den erhobenen Antrag konkret bezeichnet, dadurch den Rahmen der gerichtlichen Entscheidungsbefugnis (§ 308) absteckt, Inhalt und Umfang der begehrten Entscheidung (§ 322) erkennen lässt, das Risiko eines Unterliegens des Klägers nicht durch vermeidbare Ungenauigkeiten auf den Beklagten abwälzt und schließlich eine Zwangsvollstreckung aus dem Urteil ohne eine Fortsetzung des Streits im Vollstreckungsverfahren erwarten lässt (vgl. MüKo, Kommentar zur ZPO, 6. Aufl., § 253 Rz. 88 m.w.N.). Diesem Erfordernis genügt der hier erhobene Hilfsantrag aber nicht. Denn was mit „verkehrsfähigen“ Masken gemeint ist, erschließt sich aus dem Antrag nicht und kann auch nicht durch Auslegung ermittelt werden, weil es sich dabei nicht um einen juristischen Fachbegriff handelt, dessen konkreter Inhalt klar ermittelt werden kann. Im allgemeinen Sprachgebrauch (vgl. Definition unter www.wikipedia.de) beschreibt „verkehrsfähig“ die Eignung einer Sache für den Handels- oder Rechtsverkehr. Was konkret an Eigenschaften dazu gehören soll, gerade für die hier streitgegenständlichen Masken, bleibt jedoch offen. Auch der im Antrag aufgeführte Verweis auf „FFP2-Schutzmasken“ gemäß einer vertraglichen Anlage lässt nicht hinreichend deutlich genug erkennen, welcher konkrete Gegenstand mit welcher genauen Beschaffenheit überhaupt Gegenstand der Verurteilung sein soll. Die Bezugnahme auf Anlagen ist in einem Klageantrag auch nur dann zulässig, wenn eine Beschreibung des Vollstreckungsziels anders nicht möglich ist (z.B. bei Abbildungen, Fotografien o.ä.) und zugleich beantragt wird, dass der Inhalt dieser Anlagen in den Tenor des Urteils eingefügt oder die Anlagen dem Urteil beigefügt werden (vgl. statt vieler BeckOK ZPO, 48. Ed § 253 Rz. 39a, 56 m.w.N.). Vorliegend wurde das jedoch nicht mitbeantragt, und eine bestimmte Formulierung des Klageziels wäre auch ohne weiteres mit konkreterer Bezeichnung des Liefergegenstandes möglich gewesen; ein Verweis auf eine Anlage war insoweit nicht erforderlich. Der Bestimmtheit des Klageantrags steht ferner die Formulierung „bis zu 900.400“ Masken entgegen, weil die Liefermenge damit nicht hinreichend bestimmbar ist und unklar bleibt, welche Liefermenge denn mindestens erbracht werden soll, um dem Antrag zu entsprechen.
109Ungeachtet dessen wäre der Antrag auch unbegründet, da auf „verkehrsfähige“ Masken kein vertraglicher Anspruch besteht. Zudem besteht ebenso wenig ein Anspruch auf Masken die dem „FFP2“-Standard (EN 149) entsprechen, denn nach dem vertraglich vereinbarten Leistungssoll hatte die Beklagte ein Wahlrecht hinsichtlich des zu liefernden Standards und durfte statt dem „N95“-Standard oder dem „FFP2“-Standard auch Masken vergleichbarer Normen (u.a. der chinesischen Norm „KN 95“) zu liefern. Mit diesem Wahlrecht ist die begriffliche Beschränkung des Klageantrags auf „FFP2-Schutzmasken“ aber nicht vereinbar.
110Die Entscheidungen über die Kosten und vorläufige Vollstreckbarkeit beruhen auf §§ 91, 92, 100, 101, 269, 709 ZPO. Die Kammer hat bei der Kostenentscheidung die Anteile von Obsiegen und Unterliegen nach der sog. Baumbach‘schen Formel bemessen. Hinsichtlich des Streitbeitritts war ein anteiliges Unterliegen anzunehmen, da der Streitbeitritt unbeschränkt erklärt wurde.
111Der Streitwert wird wie folgt festgesetzt:
112Ursprünglich 9.141.442,00 €, zusammengesetzt aus folgenden Einzelstreitwerten:
113Klageantrag 1: 4.821.642,00 €
Klageantrag 2: 1.041.868,80 €
Klageantrag 3: geschätzt 50.000 €
Klageantrag 4: ohne Wertansatz
Klageantrag 5: geschätzt 20.000 €
Klageantrag 6: 3.027.931,20 €
Hilfsantrag: 180.000 € (geschätzt 0,1 € pro Maske)
Ab dem 05.12.2022: insgesamt 8.321.546,60 € (Klageantrag 2 nunmehr 1.031.505,90 € und Klageantrag 6 nunmehr 2.218.398,70 €; Feststellungsantrag zu 2 ohne Wertansatz). Die Kammer setzt den Wert für beide Teilerledigungen mit jeweils 50% der erledigten Summe an.
122Ab dem 17.05.2023: insgesamt 8.276.080,00 € (Klageantrag 6 nunmehr 2.172.932,03 €)
123Streitwerte nach Beteiligungen am Rechtsstreit:
124Im Verhältnis zur Beklagten zu 1) ursprünglich 6.113.510,80), ab dem 05.12.2022: 6.103.147,90 €.
125Im Verhältnis zur Beklagten zu 2) ursprünglich 3.027.931,20 €, ab dem 05.12.2022: 2.218.398,70 €, ab dem 17.05.2023: 2.172.932,03 €; zzgl. (Mehr-)Wert der Nebenintervention: 6.103.147,90 €.
126Die erklärten Aufrechnungen erhöhen den Streitwert gem. § 45 Abs. 3 GKG nicht, da sie bei wertender Betrachtung gegenüber den klägerischen Forderungen aus § 812 BGB als Hauptaufrechnung und nicht als Hilfsaufrechnung erhoben wurden.