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1.Die Klage wird abgewiesen.
2.Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger auferlegt.
3.Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags.
Tatbestand:
2Der Kläger verlangt mit seiner Klage die Rückzahlung von Geldeinsätzen, die er bei Online-Glücksspielen verloren haben will.
3Die Beklagte, die ihren Gesellschaftssitz auf Z (Ausland) hat, bietet offen zugängliche Online-Glücksspiele, u.a. auf der Internetplattform F. an. Diese Internetseite wird in deutscher Sprache betrieben, es besteht Zugriff auf Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) und Nutzerinformationen (FAQ) in deutscher Sprache und es wird ein deutschsprachiger Kundenservice angeboten. In ihrem Sitzland Z (Ausland) ist die Beklagte für das Angebot von Online-Glücksspielen lizensiert. Hierauf weist sie in ihren AGB auch hin.
4Der Kläger hatte unter seinem Namen auf der o.g. Website der Beklagten ein Spielerkonto eingerichtet und nutzte deren Angebot ab Januar 2021.
5Die damals gültigen AGB der Beklagten enthielten unter dem Abschnitt „Wer kann spielen“ folgende Angaben (Anlage K1 zur Replik, Bl. 844 ff. d.A.)
6Indem Sie auf diese Website zugreifen, ein Konto eröffnen und diese Website nutzen, bestätigen und garantieren Sie, dass Online-Glücksspiele in der Gerichtsbarkeit, in der Sie sich befinden, legal und erlaubt sind, und dass Sie die Website nicht nutzen werden, während Sie sich in einer Gerichtsbarkeit aufhalten, die die Nutzung der Website verbietet, oder sich vorübergehend dort befinden.
7(…)
8Die Verfügbarkeit der Dienstleistung ist nicht so auszulegen, als ein Angebot oder eine Aufforderung unsererseits, die Dienstleistungen in einem Land zu nutzen, wo solche Nutzung illegal ist.
9Das Unternehmen übernimmt keine Verantwortung als Folge von Verstößen gegen gesetzliche Rechtsvorschriften, die möglicherweise auf den Spieler zutreffen. Der Spieler ist verpflichtet die örtlichen, nationalen oder staatlichen Gesetze zu beachten, die sich auf Online-Glücksspiele beziehen.
10Benutzer aus den folgenden Ländern und ihren Gebieten ("Restricted Countries") dürfen kein Echtgeld einzahlen und spielen (…)
11In der Auflistung der „Restricted Countries“ sind zahlreiche Länder aufgeführt, Deutschland ist dort jedoch nicht erwähnt. Vielmehr enthalten die AGB die Rubrik „zusätzliche Bedingungen für deutsche Spieler“, die Regelungen zu Anmeldedaten, Ein- und Auszahlungen, Einzahlungslimits etc. vorsehen.
12In Deutschland sah § 4 Abs. 4 des deutschen Glücksspielstaatsvertrags (GlüStV) in der bis zum 30.06.2021 gültigen Fassung (aus dem Jahre 2012) vor, dass das Veranstalten und das Vermitteln öffentlicher Glücksspiele im Internet generell verboten sind. Das Bundesland Schleswig-Holstein hatte davon abweichend aber Online-Glückspiel gesetzlich erlaubt. In der Folgezeit gab es Änderungen des Glückspielstaatsvertrages, (u.a. zu Internet-Sportwetten). Mit Wirkung zum 01.07.2021 trat ein neuer Glückspielstaatsvertrag in Kraft, den alle Bundesländer ratifizierten. Das Verbot von Online-Glückspiel wurde darin aufgehoben. Jetzt ist gem. § 4 Abs. 1 GlüStV 2021 eine Erlaubnis nötig, und die §§ 4a ff. GlüStV regeln die Voraussetzungen und das Verfahren der Erlaubniserteilung. Die Beklagte hat eine solche Erlaubnis nach Einführung der gesetzlichen Änderungen beantragt, diese wurde bislang aber noch nicht erteilt. Das für die Erteilung zuständige Landesverwaltungsamt Halle bescheinigte der Beklagten eine rechtzeitige Antragstellung, und dass die Verzögerung der Bescheidung nicht von der Beklagten zu vertreten sei (Anlage B1, Bl. 214 ff. d.A.). Die Beklagte hat Anfang April 2022 Klage beim Landgericht Halle erhoben und verfolgt dort Staatshaftungsansprüche wegen Pflichtverletzungen beim Erlaubnis-Erteilungsverfahren u.a. (Anlage B9, Bl. 667 d.A.).
13Mit Schreiben vom 08.01.2022 forderte der Kläger die Beklagte unter Fristsetzung zur Auskunftserteilung über die seinerseits getätigten Spieleinsätze auf. Diese Auskunft erteilte die Beklagte mit Schreiben vom 10.01.2022. Ausweislich dieser Auskunft (Anlage K2 zur Klage, Bl. 19 d.A.) bzw. einer genaueren Spielerkonten-Übersicht (Anlage K2 zur Replik, Bl. 847 ff. d.A.) wurden auf dem Spielerkonto des Klägers im Zeitraum vom 06.02.2021 bis 07.01.2022 Einzahlungen in Höhe von insgesamt 13.829 € getätigt und Ausschüttungen in Höhe von 6.250 € ausgezahlt. Die Differenz von 7.579,00 € ist Gegenstand der Klageforderung.
14Der Kläger behauptet, er habe alle Einzahlungen für Spieleinsätze verwendet. Er habe die Spieleinsätze persönlich an seinem Wohnsitz in Y./Deutschland getätigt. Er sei davon ausgegangen, an einem legalen Glückspiel teilzunehmen.
15Der Kläger ist der Ansicht, die Beklagte habe die Einzahlungen über sein Spielerkonto ohne Rechtsgrund erhalten, und sei daher gem. § 812 BGB zur Rückzahlung verpflichtet. Ein bestehender Vertrag mit der Beklagten sei nach § 134 BGB i.V.m dem Glückspiel-Staatsvertrag nichtig, weil die Beklagte mit dem Spiel-Angebot gegen die dortigen Vorschriften verstoßen habe. Diese seien als Schutzgesetze i.S.v. § 134 BGB und § 823 Abs. 2 BGB einzustufen. Deswegen stehe ihm auch ein Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 2 BGB zu.
16Der Kläger beantragt,
171. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerschaft 7.579 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 17.09.2022 zu zahlen.
182. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerschaft vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 800,39 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 17.09.2022 zu zahlen.
19Die Beklagte beantragt,
20die Klage abzuweisen.
21Die Beklagte erhebt eine Vielzahl von Einwendungen gegen den Klageanspruch, wegen der Einzelheiten wird auf ihre Schriftsätze verwiesen.
22Die Beklagte rügt u.a. die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts und die mangelnde Bestimmtheit des Klageantrags.
23Sie beruft sich darauf, der Kläger betreibe gewerblich das Geschäftsmodell „Spielen ohne Risiko“. Er habe gewusst, dass das Glückspiel illegal gewesen sei, zumal es darüber jahrelang – an sich unstreitige –Medien-Berichterstattungen und Werbungen deutscher Rechtsanwälte gegeben habe, welche jedem Bürger, auch dem Kläger, bekannt gewesen seien.
24Die Beklagte hält die Regelungen des Glückspielstaatsvertrages für unanwendbar, weil damit die EU-Dienstleistungsfreiheit unzulässig eingeschränkt werde. Das zunächst geltende Totalverbot für Online-Glücksspiel sei nicht erforderlich und geeignet gewesen sei, um die Ziele des Glücksspielstaatsvertrags zu erfüllen. Dies ergebe sich schon daraus, dass dieses 2021 durch ein Erlaubnissystem ersetzt wurde. Die fehlende Eignung ergebe sich aus dem Wechsel der Spieler in ausländische nichtüberwachte Angebote. Die Neuregelung sei ebenfalls nicht mit EU-Recht vereinbar, da sie eine Bevorzugung deutscher Anbieter fördere. Auch die Behördenpraxis bei der Vergabe belege eine unzulässige Diskriminierung von Marktteilnehmern aus dem EU-Ausland.
25Die Beklagte ist zudem der Auffassung, dass die Regelungen des Glückspiel-Staatsvertrages ohnehin nicht als Verbotsgesetze i.S.v. § 134 BGB auszulegen seien. Jedenfalls führe ein etwaiger Verstoß nicht zur Nichtigkeit des Vertrags, da eine solche Rechtsfolge nicht dem Schutzzweck des Gesetzes entspräche. Zudem sei ein Kondiktionsanspruch gemäß § 817 S.2 BGB ausgeschlossen, da dem Kläger ebenfalls ein bewusster Rechtsverstoß vorzuwerfen sei, weil dieser wissentlich an illegalem Glückspiel teilgenommen habe.
26Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zu den Akten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die sonstigen Aktenbestandteile Bezug genommen.
27Entscheidungsgründe:
28Die zulässige Klage ist unbegründet.
291.
30Die internationale Zuständigkeit des angerufenen Gerichts folgt aus Art. 7 EuGVVO (Verordnung EU Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen). Danach darf eine Person, die ihren Sitz oder Wohnsitz in einem EU-Land hat, in einem anderen EU-Land verklagt werden, wenn ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes, an dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre. Erfüllungsort ist bei Dienstleistungsverträgen gem. Art. 7 Abs. 1 lit b) der Ort, an dem Dienstleistungen erbracht wurden.
31Vorliegend klagt der Kläger zwar nicht unmittelbar aus einem Vertrag, sondern aus ungerechtfertigter Bereicherung mit der Begründung, der Vertrag, auf dessen Basis Leistungen erfolgten, sei nichtig und deswegen rückabzuwickeln. Und bereicherungsrechtliche Ansprüche regelt die EuGVVO ausdrücklich nicht; sie normiert nur Ansprüche aus Vertrag und unerlaubter Handlung. Der EuGH hat exakt zu dieser Frage (bzw. zur wortgleichen Regelung der Vorgänger-Norm Art. 6 Abs. 1 der Verordnung Nr. 44/2001) aber entschieden, dass die Vorschrift dahingehend auszulegen ist, dass Klagen auf Nichtigerklärung eines Vertrags und auf Rückgewähr von Beträgen, die auf der Grundlage dieses Vertrags ohne Rechtsgrund gezahlt wurden, unter die Wendung „Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag“ im Sinne dieser Vorschrift fallen (EuGH, Urteil vom 20.04.2016, C-366/13, Randziffer 58; alle Urteile zitiert nach juris).
32Gemessen an diesen Grundsätzen darf die bereicherungsrechtliche Rückabwicklung an Wohnsitz des Klägers erfolgen, soweit dort die streitgegenständliche Dienstleistung erfolgte, deren Rückabwicklung begehrt wird.
33Ob das tatsächlich der Fall war, d.h. ob der Kläger die Dienstleistungen/Spielangebote von seinem Wohnort in Y./Deutschland in Anspruch nahm, hat die Beklagte zwar pauschal in Abrede gestellt. Angesichts des Umstandes, dass der Kläger sich aber mit diesem Wohnort bei der Beklagten angemeldet hatte, und sie ausweislich der Kontoübersichten Auszahlungen vorgenommen hat, wobei eine Auszahlung nach ihren eigenen AGB nur bei verifizierten Personendaten geschieht, darf sie den damaligen Wohnsitz des Klägers nicht ohne genauere Begründung in Abrede stellen. Eben so wenig durfte sie ohne Angabe von Gründen lediglich pauschal bzw. mit Nichtwissen in Abrede stellen, von wo aus der Kläger die Leistungen in Anspruch nahm. Denn die Beklagte als Betreiberin und Verantwortliche der Website kann anhand von Einwahldaten, z.B. der Einwahl-IP-Adresse und Informationen über die verwendeten Einwahlgeräte etc. nachvollziehen, ob der Kläger – wie behauptet – nur von einem Standort in Y. aus ihre Website ansteuerte, oder es Anhaltspunkte für wechselnde Orte oder wechselnde Geräte gab, oder verschlüsselte/anonyme Einwahlen, die gegen den Klagevortrag sprechen könnten. Solange sie sich dazu nicht konkret erklärt, muss ihr pauschales Bestreiten zunächst unbeachtlich bleiben.
34Angesichts des Umstandes, dass die Klage auch aus anderen Gründen abweisungsreif war, hat das erkennende Gericht keinen Anlass gesehen, hierzu an die Beklagte einen förmlichen Hinweis zu erteilen und die Möglichkeit weiteren Sachvortrags zu eröffnen, sowie im Anschluss je nach Vortrag der Beklagtenseite sodann den dafür beweisbelasteten Kläger aufzufordern, nunmehr einen tauglichen Beweis für den Ort der Inanspruchnahme der Dienstleistung anzubieten.
35Soweit der Kläger seine Klage auch auf Ansprüche aus unerlaubter Handlung (§ 823 BGB) stützt, ist die Klage unzulässig. Eine Zuständigkeit des angerufenen Gerichts folgt nicht aus Art. 7 Abs. 2 EuGVVO. Denn danach ist bei unerlaubten Handlungen das Gericht des Ortes des Schadenseintritts zuständig. Einen Schadenseintritt in seinem Vermögen (d.h. an seinem Wohnort) hat der dafür beweisbelastete Kläger aber nicht hinreichend dargelegt oder gar unter Beweis gestellt. Denn er hat, obgleich die Beklagte das bestritten hatte, weder konkret behauptet noch nachgewiesen (z.B. durch Kontoauszüge Zahlungsbelege o.ä.), dass die verlorenen Spieleinsätze tatsächlich aus seinem Vermögen stammten. Und angesichts der dokumentierten Verwendung von verschiedenen Zahlungsdienstleistern aus dem Ausland (vgl. Anlage K2 zur Replik Bl. 847 ff. d.A.), bei denen Zahlungen anonym erfolgen, spricht auch keine tatsächliche Vermutung dafür, dass hier wirklich Vermögen des Klägers verspielt wurde. Dazu könnte auch die Beklagte nichts weiter vortragen, da bei den verwendeten anonymen Zahlungsdienstleistern (paysafecard = frei verkäufliche Prepaid Guthabenkarten; finteqhub und devcode-Payments = Zahlungsagenten die zahlreiche Zahlungsdiensteanbieter in einer Plattform verlinken) keine Informationen über die Herkunft des Geldes an den Geldempfänger übermittelt werden. Insofern war an dieser Stelle ihr schlichtes Bestreiten auch ausreichend.
36Angesichts des Umstandes, dass die Klage auch aus anderen Gründen abweisungsreif war, hat das erkennende Gericht aber auch insoweit keinen Anlass gesehen, hierzu an den Kläger einen förmlichen Hinweis zu erteilen und die Möglichkeit weiteren Sachvortrags zu eröffnen.
37Die Zuständigkeit für den Anspruch aus unerlaubter Handlung folgt auch nicht aus Art. 26 EuGVVO, da eine rügelose Einlassung im Sinne der Norm nicht vorliegt. Denn die Beklagte hat die Rüge mangelnder Zuständigkeit ausdrücklich erhoben und auch in der mündlichen Verhandlung noch einmal deutlich gemacht, dass sie sich lediglich vorsorglich unter Aufrechterhaltung der Zuständigkeitsrüge zur Sache einlässt.
382.
39Der vorliegende Rechtsstreit richtet sich aufgrund der Kollisionsnormen für internationales Privatrecht nach deutschem Recht.
40Für Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung gilt nach Art. 11 ROM-II-Verordnung (VO EG 864/2007), dann, wenn die ungerechtfertigte Bereicherung – wie hier - hier an ein Vertragsverhältnis anknüpft, das Recht des Staates, dem das Vertragsverhältnis unterliegt; mithin: die Regelungen in Art. 4 ff. ROM I-Verordnung. Nach Art. 4 Abs. 1 lit b) der ROM-I-Verordnung (VO EG 593/2008) gilt für Verträge über Dienstleistungen zwar grundsätzlich das Recht des Staates, an dem der Dienstleister seinen Wohnort/Sitz hat. Allerdings enthält Art. 6 eine Spezialregelung für Verbraucherverträge. Bei diesen gilt immer das Rechts des Staates des Verbrauchers, wenn der Unternehmer an dessen Wohnort seine gewerbliche Tätigkeit ausübt. Dies ist aus den o.g. Gründen derzeit anzunehmen, da bislang nicht ausreichend bestritten wurde, dass die jeweiligen vertraglichen Leistungen vom Wohnort des Klägers aus abgerufen wurden (s.o.). Der Kläger ist auch als Verbraucher anzusehen. Denn selbst wenn er Online-Glückspiel in größerem Umgang zwecks Gewinnerzielung betrieben haben sollte, ließe das seine Verbrauchereigenschaft nicht entfallen (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 8. April 2022 – 23 U 55/21 m.w.N.).
41Zwischen den Parteien wurde auch keine davon abweichende, verbindliche Einigung über eine Rechtswahl getroffen. Zwar steht es den Parteien eines Vertrags bei grenzüberschreitendem Bezug nach Art. 3 der ROM-I-Verordnung grundsätzlich frei, die Anwendbarkeit eines Rechts zu vereinbaren. Allerdings enthalten die vorgelegten AGB keine Rechtswahlvereinbarung für den Gesamtvertrag, da sie lediglich vorsehen, dass für die AGB das maltesische Recht gelten sollte. Art. 3 Abs. 1 S. 2 der ROM-I-Verordnung erlaubt zwar eine solche partielle Rechtswahl grundsätzlich. Damit wurde aber gerade keine Einigung über das Recht für Fragen des Vertragsschlusses, seiner Wirksamkeit und seiner eventuellen Rückabwicklung getroffen. Dafür gelten daher die o.g. Grundsätze zur Anwendung deutschen Rechts fort. Ungeachtet dessen wäre die getroffene Rechtswahl aber auch unwirksam, weil eine solche Vereinbarung zulasten eines Verbrauchers ohnehin nicht in AGB getroffen werden darf (vgl. OLG Frankfurt a.a.O. m.w.N.). Hinzu kommt, dass die Vorschriften über die Wirksamkeit von AGB auf EU-Richtlinien beruhen, und daher unabhängig vom anwendbaren Recht in beiden möglichen Ländern gleichermaßen gelten eine Rechtswahl in AGB zulasten eines Verbrauchers als unangemessene Benachteiligung verbieten.
42Für Ansprüche aus unerlaubter Handlung könnte die Anwendung deutschen Rechts aus Art. 4 Abs. 3 ROM II-Verordnung (VO EG 864/2007) folgen, wenn der Erfolg der unerlaubten Handlung (mithin ein Vermögensschaden) am Wohnsitz des Klägers eingetreten wäre. Dazu fehlt es bislang aber an Vortrag des Klägers (s.o.).
433.
44Der Klageantrag ist hinreichend bestimmt. Denn er lässt klar erkennen, welchen rechtlichen Erfolg (Zahlung in Höhe von 7.579 €) der Kläger begehrt. Soweit die Beklagte rügt, die Zusammensetzung der Klageforderung sei nicht hinreichend bestimmbar, weil der Kläger nicht differenziere, wann er welchen Betrag in welchem genauen Spiel eingesetzt habe, ist das keine Frage der Bestimmtheit der Klage, sondern der Schlüssigkeit ihrer Begründung. Dazu teilt das Gericht die Bedenken der Beklagten jedoch nicht, denn bei der Klagesumme handelt es sich um die rechnerische Differenz zwischen Einzahlungen auf ein Spielerkonto und ausgezahlten Spielgewinnen entsprechend einer von der Beklagten selbst getätigten Auskunft. Dazu trägt der Kläger vor, dass er alle Einzahlungen auch für Spieleinsätze verwendet habe. Da die Beklagte in ihrer Auskunft vom 08.01.2022 aber keine genaue Spielerhistorie mit Aufgliederungen nach Spielform und Einsätzen zur Verfügung gestellt hat, besteht für den Kläger auch keine Möglichkeit zu weitergehendem Sachvortrag, der nach einzelnen Spieleinsätzen aufgegliedert wäre. Zudem wäre weiterer Vortrag auch nicht erforderlich gewesen, weil die Beklagte als Verantwortliche für die von ihr durchgeführten Spiele und Inhaberin der Konten ohnehin ein dem Kläger überlegendes Wissen über die Verwendung der bei ihr eingezahlten Gelder haben muss. Sie kann folglich auch ohne weitere Substantiierung den Klagegegenstand hinreichend nachvollziehen und durfte diesen nicht pauschal bestreiten.
454.
46Dem Kläger steht gegen die Beklagte kein Anspruch auf Rückzahlung der getätigten Einzahlungen auf das Spielerkonto aus ungerechtfertigter Bereicherung gemäß § 812 BGB zu.
47a.
48Die Beklagte hat zwar die zu Spieleinsätzen getätigten Einzahlungen erlangt. Und nach dem objektiven Empfängerhorizont erfolgte das auch durch Leistung des Klägers, weil die Einzahlungen über sein Spielerkonto erfolgten. Obgleich unklar ist, von wem das Geld wirtschaftlich tatsächlich stammte, wurde es entweder durch den Kläger oder auf dessen Anweisung oder auf dessen Veranlassung durch einen Dritten bei der Beklagten eingezahlt. In allen denkbaren Fällen ist aber aus ihrem Empfängerhorizont der angemeldete Spieler als ihr Vertragspartner der Leistende der Einzahlungen. Dies gilt hier insbesondere auch deshalb, weil die tabellarisch aufgelisteten Zahlungen keinen abweichenden Einzahler/Zweck erkennen lassen.
49b.
50Ein fehlender Rechtsgrund konnte jedoch nicht zur Überzeugung des Gerichts festgestellt werden. Denn unstreitig hat der Kläger eine von der Beklagten angebotene Leistung in Anspruch genommen, bei ihr ein Spielerkonto angelegt und dort wissentlich Einzahlungen geleistet und damit Spieleinsätze beglichen. Zwischen den Parteien ist mithin ein Vertrag über Dienstleistungen in Form von Online-Glückspiel abgeschlossen worden. Dieser Vertrag bietet einen Rechtsgrund für die beiderseits erbrachten und erlangten Leistungen.
51An einem Rechtsgrund könnte es lediglich dann fehlen, wenn der abgeschlossene Vertrag zwischen den Parteien unwirksam wäre. Vorliegend kommt als einziger denkbarer Grund eine Nichtigkeit des Vertrags gem. § 134 BGB in Betracht, wenn der Vertrag unter Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot zustande gekommen wäre.
52aa.
53Bei der Frage, ob und inwieweit § 4 des GlüStV als gesetzliches Verbot einzustufen ist, muss zunächst differenziert werden. Denn ein Teil der streitgegenständlichen Leistungen erfolgte im zeitlichen Geltungsbereich des früheren GlüStV 2012, und ein Teil fiel unter die Neuregelung des GlüStV 2021.
54Beide Regelungen dienen dazu, Glückspiel zum Zwecke der Spielsuchtprävention, zum Schutze der Jugend und zum Schutz vor Folgekriminalität zu regulieren. Ob die Normen darüber hinaus auch dem Schutz des Vermögens des Spielers dienen, wird in der erst- und zweitinstanzlichen Rechtsprechung zu vergleichbaren Fällen unterschiedlich bewertet. Der Bundesgerichtshof entschied allerdings kürzlich zu einem Verstoß gegen § 4 Abs. 1 S. 2 GlüStV 2012, dass das dortige Verbot, an Zahlungen im Zusammenhang mit verbotenem Glückspiel mitzuwirken, nicht über § 134 BGB zu einer Unwirksamkeit der Zahlungsautorisierung und zu einem Rückforderungsanspruch gem. § 812 BGB gegen den Zahlungsdienstleister führen könne (BGH, Beschluss vom 13. September 2022 – XI ZR 515/21). Dazu führte der Bundesgerichtshof folgendes aus: „Die Interessen des Spielers gebieten es in diesem Zusammenhang nicht, ihn durch die Nichtigkeit der von ihm bewirkten Autorisierung vor den wirtschaftlichen Folgen des Glücksspiels zu schützen. Denn ein drohender Vermögensschaden resultiert gerade nicht aus dem Verbot unerlaubten Glücksspiels, an das § 4 Abs. 1 Satz 2 Fall 2 GlüStV 2011 tatbestandlich anknüpft, sondern aus dem jedem Glücksspiel immanenten Risiko, dass Gewinne oder Verluste ungewiss und rein zufällig sind. Darin liegt das Wesen des Glücksspiels.“. Für den hier vorliegenden Fall kann nach Auffassung des erkennenden Gerichts daher nichts anderes gelten. Daher fehlt es schon an einem Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot i.S.v. § 134 BGB.
55bb.
56Selbst wenn man das anders sehen würde, käme eine Nichtigkeit nach § 134 BGB i.V.m. Art. 4 GlüStV 2012/2021 nur dann in Betracht, wenn überhaupt der Anwendungsbereich der Verbotsnorm eröffnet wäre. Denn § 134 BGB greift nicht ein, wenn ein Vertragspartner generell gegen Verbote verstößt, sondern nur, wenn der konkrete Vertrag unter Verstoß gegen eine Verbotsnorm zustande gekommen ist.
57Der Glückspielstaatsvertrag enthält ein Tätigkeitsverbot (2012) bzw. einen Erlaubnisvorbehalt (2021) für das Veranstalten und Vermitteln von Online Glückspiel. Der Erlaubnisvorbehalt führt zu einem Verbot beim Fehlen der erforderlichen Erlaubnis. § 3 Abs. 4 des GlüStV 2012/2021 sieht vor, dass ein Glücksspiel dort „veranstaltet“ oder vermittelt wird, wo dem Spieler die Möglichkeit zur Teilnahme eröffnet wird. Entgegen einer zunehmend vertretenen Meinung in der Rechtsprechung darf für die Rechtsfolge des § 134 BGB aber dennoch nicht (nur) darauf abgestellt werden, ob eine Website mit Online-Glückspiel eine Teilnahme in Deutschland ermöglicht hat. Denn dabei wird das Wesen des GlüStV und die begrenzte Gesetzgebungsbefugnis der Vertragspartner des GlüStV nicht ausreichend beachtet. Der GlüStV ist ein Staatsvertrag und kein Gesetz. Die Gesetzgebungshoheit liegt bei den jeweiligen Bundesländern, und mit dem Vertrag verpflichten sie sich, einheitliches Landesrecht zu schaffen, das mit ihrer jeweiligen Ratifizierung in Kraft tritt. Die Rechtsmacht der Bundesländer geht dabei aber nicht über ihre Landesgrenzen hinaus, insbesondere kann sie sich nicht auf fremdes staatliches Territorium erstrecken. Das folgt schon aus allgemeinen völkerrechtlichen Grundsätzen, wonach die Souveränität eines Staates auf sein Staatsgebiet begrenzt ist, und die Grenzen durch Grenzverträge oder multilaterale Abkommen bestimmt werden. Diese Grundsätze sind über Art. 25 GG auch im deutschen Recht zu beachten. Daher kann das Verbot des GlüStV nur greifen, wenn eine Spiel-Teilnahme im Geltungsbereich nicht nur möglich gewesen wäre, sondern wenn sie auch dort erfolgt ist. Denn wenn sich der Spieler, der die Option hätte in Deutschland zu spielen, bei einem konkreten Spieleinsatz außerhalb der Landesgrenzen auf fremdem Territorium befunden hätte (d.h. im Ausland, oder bis 30.06.2021 auch in Schleswig-Holstein), hätte er den Hoheitsbereich des Gesetzgebers verlassen und die Regelung dürfte sich – ungeachtet der niederschwelligen Definition des Veranstaltens – nicht mehr auf ihn erstrecken. Daher kann ein Anspruch aus § 812 BGB i.S.v. § 134 BGB i.V.m. dem GlüStV nur dann und insoweit angenommen werden, wie feststeht, dass sich der Kläger bei Vornahme des jeweils rückabzuwickelnden Glückspieleinsatzes im räumlichen Geltungsbereich des GlüStV aufhielt. Hierfür ist der Kläger, der sich auf den Rückforderungsanspruch und das Eingreifen des gesetzlichen Verbotes beruft, nach den allgemeinen Grundsätzen darlegungs- und beweisbelastet.
58Im vorliegenden Fall hat der Kläger vorgebracht, jedes Spiel selbst von seinem Wohnort in Y./Deutschland aus getätigt zu haben. Dies hat die Beklagte – bislang – noch nicht ausreichend bestritten (s.o.). Das Gericht hat dazu aber keine Hinweise erteilt und beiden Seiten Gelegenheit zu weiterem Sachvortrag gegeben (s.o.), weil die Klage auch aus diversen weiteren Gründen abzuweisen war. Daher bleibt offen, ob der räumliche Anwendungsbereich der Norm überhaupt eröffnet ist, oder die Klage auch aus diesem Grunde abzuweisen wäre.
59cc.
60Eine Vertragsnichtigkeit nach § 134 BGB i.V.m. § 4 GlüStV kommt jedenfalls deswegen nicht in Betracht, weil die streitgegenständlichen Regelungen des GlüStV sowohl in der Fassung 2012 als auch in der Fassung 2021 die EU-Dienstleistungsfreiheit aus Art. 56 des EU-Vertrags (AEUV, ehem. Art. 49 EGV) unzulässig einschränken und daher keine Anwendung finden dürfen.
61Das Angebot von Internet-Glückspiel ist eine Dienstleistung i.S.v. Art. 56, 57 AEUV (vgl. EuGH, Urt. v. 20.12.2017 – C-322/16 - Global Starnet Ltd/Italien). Das Verbot des GlüStV 2012 bzw. der Erlaubnisvorbehalt in dem GlüStV 2021 beinhalten gesetzliche Regelungen, die dazu führen, dass die Beklagte ihre in ihrem Herkunftsland Z (Ausland) erlaubten und lizensierten Dienstleistungen nicht frei und uneingeschränkt in einem anderen EU-Mitgliedstaat – Deutschland – anbieten darf. Damit wird die Beklagte in ihrer Dienstleistungsfreiheit objektiv eingeschränkt.
62Die Dienstleistungsfreiheit des Art. 56 AEUV (dessen Wirksamkeit von Deutschland ratifiziert wurde) ist eine der Grundfreiheiten des europäischen Binnenmarktes gem. Art. 26 Abs. 2 AEUV. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH und einhelliger Rechtsauffassung entfalten die Grundfreiheiten des Binnenmarktes, also auch Art. 56 AEUV, unmittelbaren Anwendungsvorrang vor den jeweiligen nationalen Rechtsordnungen. Dies hat zur Folge, dass Verstöße gegen diese Vorschriften automatisch unwirksam sind (vgl. Schwarze u.a., Kommentar zum EU-Recht, 4. Aufl. 2019, Art. 57 Rz. 10 ff. m.w.N., alle Kommentare zitiert nach beck-online).
63Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH ist eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit nur bei Vorliegen mehrerer Voraussetzungen mit Art. 56 AEUV vereinbar: Die Regelung muss in nicht diskriminierender Weise angewandt werden, aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt sowie geeignet sein, die Verwirklichung des mit ihr verfolgten Zieles zu gewährleisten, und sie darf nicht über das zur Erreichung dieses Ziels erforderliche Maß hinausgehen (Schwarze a.a.O. Rz. 107 ff. m.w.N.).
64Unstreitig (und durch öffentliche Urkunden hinreichend belegt) verhandelten die Länderchefs aber bereits ab Ende 2019 über die Änderungen des GlüStV, und fertigten dazu im Januar 2020 einen Gesetzesentwurf (vgl. Medienbereichte Anl. B6 Bl. 511 ff. d.A.). Der neue Glückspielstaatsvertrag wurde nach Notifizierung bei der EU-Kommission im Mai 2020 sodann am 29.10.2020 unterzeichnet, zwischen Dezember 2020 und April 2021 von den Ländern ratifiziert, und trat planmäßig ab dem 01.07.2021 in Kraft. Die Änderungen erfolgten mit der Begründung, dass die Länder das Totalverbot nicht mehr als geeignetes Mittel ansahen, auch wegen des wachsenden Online-Schwarzmarktes. Ein weiterer Hintergrund war allerdings auch der Folgende: Zum 01.01.2020 war eine kleinere Änderung des bisherigen GlüStV (durch den 3. Glückspieländerungsstaatsvertrag) in Kraft getreten, mit welchem eine Experimentierklausel für Online-Sportwetten aufgehoben wurde. Im Rahmen der dafür erforderlichen Notifizierung bei der EU-Kommission hatte die Kommission in dem Notifizierungsverfahren Mitte 2019 (Nr. 2019/187/D) das Fortgelten des Totalverbots für Online-Glückspiel kritisiert. Insbesondere verwies die Kommission darauf, dass die Geeignetheit und Verhältnismäßigkeit von Maßnahmen, die Glückspiel einschränkten, nachzuweisen sei. Dies habe sie bereits 2011 bei der Notifizierung des GlüStV 2012 verlangt. Es müsse konkret geprüft werden, ob einerseits kriminelle und betrügerische Aktivitäten im Zusammenhang mit dem Glücksspiel und andererseits die Spielsucht in Deutschland bedeutende Probleme darstellen, und ob das Verbot bestimmter Arten von Glücksspielen oder von Online-Glücksspielen geeignet sei, diesen Problemen abzuhelfen. Dennoch sei der Kommission seitdem kein Nachweis vorgelegt worden, der die Prüfung der Verhältnismäßigkeit des Glückspiel-Internet-Verbots erlaube (vgl. Hambach/Berberich, Eckpfeiler für Neuordnung des Internet-Glücksspiels auf Basis der EU-Kommission, in: ZfWG 6/19, S. 463 ff. m.w.N.).
65In Übereinstimmung mit der Europäischen Kommission hat auch der EuGH stets gefordert, dass eine Einschränkung der Dienstleistungsfreiheit zwecks Regulierung von Glückspiel nur dann gerechtfertigt sein kann, wenn die Einschränkung in kohärenter und systematischer Weise erfolge. Dazu gehöre, dass die betreffende Regelung nicht nur im Moment ihres Erlasses, sondern auch danach tatsächlich dem Anliegen entsprechen müsse, die Gelegenheiten zum Spiel zu verringern oder die mit Spielen verbundene Kriminalität zu bekämpfen (vgl. EuGH, Urteil vom 30.06.2016, C-464/15, „Admiral Casinos“). Folglich kann ein Rechtfertigungsgrund nicht starr beurteilt werden, sondern muss fortlaufend evaluiert und neu bewertet werden.
66Insofern kann es dahinstehen, dass das BVerwG das Totalverbot des § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 im Jahre 2017 noch als EU-Rechtskonform einstufte (Urteil vom 26. Oktober 2017 – 8 C 14/16), und dass der EuGH lange davor, im Jahre 2010 eine entsprechende Vorgängernorm noch für gerechtfertigt hielt (EuGH, Urteil v. 08.09 2010 – C-46/08). Im Jahre 2019/2020 hatten jedenfalls die Entwicklungen von Online-Angeboten rasant zugenommen (vgl. Medienberichte Anl. B6, s.o.), landesspezifische Zugriffs-Schranken von Websites waren problemlos mittels Proxy-Servern umgehbar, und auf der anderen Seite gab es fortschreitende technologische Entwicklungen für Kontrollmechanismen. Die jährlichen Reporte der gemeinsamen Glückspielaufsicht der Bundesländer (u.a. veröffentlicht auf den Websites der Innenministerien NRW und Hessen, z.B. für 2016 und 2019) wiesen zudem zunehmende Glückspiel-Brutto-Spieleinnahmen im nichtregulierten Markt aus. All das hatte Ende 2019/Anfang 2020 zu einem einstimmigen Konsens aller deutschen Länderchefs darüber geführt, dass das bisherige Totalverbot nicht mehr geeignet sei und durch einen Erlaubnisvorbehalt zu ersetzen sei. Die gefasste Neuregelung verdeutlicht, dass die Ziele von Suchtprävention, Jugendschutz etc. jedenfalls dem Grunde nach auch durch technisch begrenzte Angebote und gut überwachte Glückspielanbieter gewährleistet werden können.
67Soweit im vorliegenden Rechtsstreit der Spielzeitraum Februar bis Juni 2021 betroffen ist, steht folglich aufgrund der obigen Schilderungen und der maßgeblichen Annahmen aller zuständigen Länderchefs fest, dass zum damaligen Zeitpunkt (Anfang 2021) schon kein Rechtfertigungsgrund für das fortgeltende Totalverbot mehr vorlag.
68Im Europarecht gibt es allerdings keine mit dem deutschen Recht vergleichbare Regelung zur vorübergehenden Anwendbarkeit unionswidriger Gesetze bis zum Erlass einer gesetzlichen Neuregelung. Während im deutschen Recht verfassungswidrige Gesetze so lange anzuwenden sind, bis das zuständige Verfassungsgericht sie verwirft, wobei das Verfassungsgericht dem Gesetzgeber eine Frist zur Neuregelung setzt und die Gesetze während dieser Frist weiter wirksam und anwendbar bleiben, gilt im Europarecht das genaue Gegenteil. Wenn eine nationale Norm gegen Grundfreiheiten verstößt, haben die Grundfreiheiten unmittelbaren Anwendungsvorrang, mit der Folge, dass das betroffene Gesetz unter keinen Umständen mehr angewendet werden darf, und zwar auch dann nicht, wenn bis zu einer gesetzlichen Neuregelung eine unvertretbare Regelungslücke aufträte (st. Rspr. des EuGH, vgl. EuGH, Urteil vom 8. September 2010 – C-409/06 „Winner Wetten“). In dem zitierten Fall hatte der EuGH ausdrücklich zu Regelungen des früheren deutschen Lotto-Staatsvertrages entschieden, dass das deutsche Bundesverfassungsgericht, das eine vorübergehende Anwendung eines verfassungswidrigen Sportwettenmonopols erlaubt hatte, nicht im Einklang mit den europäischen Grundsätzen der Grundfreiheiten gehandelt hatte. Selbst deutsches Verfassungsrecht dürfe die Geltung von Unionsrecht und den Anwendungsvorrang des Unionsrechts nicht beeinträchtigen. Die Feststellung einer ausnahmsweisen übergangsweisen Fortgeltung einer mitgliedstaatlichen, unionsrechtswidrigen Regelung hat der Gerichtshof ausschließlich sich selbst vorbehalten. Der EuGH dürfe die Fortgeltung unionswidriger Akte/Normen aussprechen, wenn das durch zwingende Erwägungen der Rechtssicherheit, die mit allen betroffenen öffentlichen wie privaten Interessen zusammenhängen, gerechtfertigt sei. Im Falle des früheren Lottostaatsvertrages sah der EuGH aber keine zwingenden Gründe, weil dort – genau wie bei den hier entscheidungserheblichen Normen – der Gesetzgeber bereits selbst erkannt und festgestellt hatte, dass die restriktive Regelung (staatliches Monopol, d.h. ein Verbot für alle freien Dienstleister) nicht geeignet war, Wettspiele systematisch zu begrenzen.
69Gemessen an diesen Grundsätzen sieht sich das erkennende Gericht aufgrund des Anwendungsvorrangs der Dienstleistungsfreiheit daher daran gehindert, das Totalverbot aus § 4 des GlüStV 2012 auf den streitgegenständlichen Zeitraum (Januar bis Juni 2021) weiter anzuwenden.
70Darüber hinaus liegt aber auch für den Zeitraum ab Juli 2021 eine unionsrechtswidrige Rechtslage (Verstoß gegen Art. 56 AEUV) vor, die aufgrund des Anwendungsvorrangs des EU-Rechts dazu führt, dass auch der Erlaubnisvorbehalt des Art. 4 GlüStV 2021 nicht anzuwenden ist. Die Neuregelungen in §§ 4 ff. des GlüStV 2021 (die komplexe Vorgaben zu Glückspielangeboten, Einsatzlimits, Spielersperren, Aufklärungs- und Schutzmaßnahmen für die Spieler, Überwachungen der Anbieter und Zuverlässigkeitskriterien für Anbieter etc. vorsehen), sind zwar nicht in Gänze ungeeignet, um die verfolgten Ziele zu erreichen. Vielmehr enthalten sie diverse zweckmäßige Regelungen zur Bekämpfung von Spielsucht und Kriminalität. Die neu geschaffenen Normen gewährleisten aber keine diskriminierungsfreie Vergabe von Lizenzen gegenüber Mitbewerbern aus dem EU-Ausland. Zudem wird diesen der Zugang zum deutschen Markt unverhältnismäßig erschwert.
71(1)
72Die Vorschrift des § 4a Abs. 1 Nr. 1 d) GlüStV 2021 (Verbot des Veranstaltens unerlaubten Glücksspiels durch den Antragsteller oder verbundene Unternehmen) ist für Unternehmen aus dem EU-Ausland kaum umzusetzen. Denn naturgemäß handelt es sich bei Unternehmen aus dem EU-Ausland, die in Deutschland Glückspiel anbieten wollen, um Unternehmen, die international auftreten und Glückspiel für verschiedene Länder anbieten wollen, jedenfalls in ihrem eigenen Land und in Deutschland. Und angesichts der speziellen deutschen Rechtsvorschriften des neuen GlüStV 2021 ist absehbar, dass sich auf den Websites dieser Anbieter für ihr eigenes Land in ihrer eigenen Landessprache naturgemäß Angebote finden werden, die für ein weniger strenges Rechtssystem bzw. ein Rechtssystem mit anderen gesetzlichen Vorgaben geschaffen wurden. Das hätte zur Folge, dass jedem Anbieter aus dem EU-Ausland vorgeworfen werden kann, dass er parallel zu seiner deutschsprachen Website, für die er die Erlaubnis beantragt, noch illegales Glückspiel betreibt. Das hätte die Versagung der Konzession zur Folge. Faktisch könnte ein Anbieter aus dem EU-Ausland nur dann in Deutschland Internet-Glückspiel betreiben, wenn er ausschließlich – auch auf Websites in anderen Landessprachen die sich primär an andere Staaten wenden – Glückspiel nach deutschem Recht anbietet. Dies läuft dem Gedanken einer Dienstleistungsfreiheit innerhalb der EU aber völlig zuwider. Zudem bestünde für den EU-Anbieter dann die Gefahr, in einem anderen EU-Mitgliedstaat belangt und des Marktes verwiesen zu werden, weil viele EU-Staaten unterschiedliche Glückspiel-Einschränkungen normiert haben. Damit wird eine freie Dienstleistungserbringung aber unzumutbar erschwert.
73(2)
74Auch die Vorschrift des § 4a Abs. 1 Ziff. 3 d) GlüStV 2021stellt eine unangemessene Benachteiligung von Anbietern aus EU-Mitgliedsländern dar. Denn diese Norm fordert, dass der Anbieter in Deutschland eine eigene Buchführung einrichten und führen muss. Die Dienstleistungsfreiheit garantiert aber gerade, dass jeder innerhalb der EU seine Dienstleistungen grenzüberschreitend, mithin aus seinem Staat heraus, anbieten darf, ohne gerade eine Zweigniederlassung oder ähnliches in dem anderen Mitgliedstaat errichten zu müssen. Die Verpflichtung zur Errichtung einer eigenen Buchführung führt aber dazu, dass einer der ganz zentralen Bereiche eines Dienstleistungsunternehmens entweder nicht mehr im eigenen Herkunftsland liegen kann, sondern nach Deutschland verlegt werden muss. Alternativ muss der Anbieter eine komplette zusätzliche Buchführung mit enormem Kosten- und Logistikaufwand in einem Zweitland errichten, was seine Wettbewerbsfähigkeit gegenüber inländischen Anbietern naturgemäß beeinträchtigt. Das der Grundfreiheit zugrundeliegende Ziel eines schrankenlosen Dienstleistungsverkehrs innerhalb des gesamten EU-Binnenmarkts wird dadurch erheblich beeinträchtigt. Zudem ist für diese Art der Einschränkung auch überhaupt kein Rechtsfertigungsgrund ersichtlich, weil nicht im Ansatz erkennbar ist, warum Buchführungen nur dann zuverlässig oder überprüfbar sein sollten, wenn sie in Deutschland liegen. Dies ist umso mehr unverständlich, weil nach dem GlüStV für die technische Überwachung der Spielvorgänge lediglich eine Systemschnittstelle für ausreichend erachtet wird (§ 4a Ab. 1 Nr. 3 e GlüStV 2021).
75(3)
76Ein weiterer, deutlich schwerwiegenderer Verstoß des GlüStV 2021 gegen die Dienstleistungsfreiheit wurde mit § 22c GlüStV 2021 eingeführt. Danach dürfen alle Länder des GlüStV 2021 selbst entscheiden, ob sie das sog. Online-Casino selbst anbieten wollen, oder dazu Konzessionen für andere Anbieter vergeben wollen, wobei für Online-Angebote maximal so viele Konzessionen vergeben werden dürfen, wie sie für echte Spielbanken vergeben werden dürfen. Damit hat es jedes Bundesland in der Hand, ein staatliches Monopol für Online-Casinos zu schaffen und damit andere EU-Anbieter komplett auszugrenzen. Hinzu kommt, dass die alternative Regelung nicht einmal klarstellt, ob es zusätzlich zur Anzahl maximal zulassungsfähiger Spielbanken die gleiche Zahl von Online-Casinos geben darf (mithin sich die Anzahl der Casinos verdoppelt), oder – wofür die Formulierung eher spricht – die bisherige Maximalzahl nun für Spielbanken und Online-Casinos zusammengerechnet gelten soll. Letzteres dürfte aufgrund der recht hohen Anzahl der schon zugelassenen Spielbanken faktisch kaum noch Raum für Online-Angebote von EU-Mitbewerbern bieten. Aber auch die andere Lesart führt zu einer zahlenmäßig starken Begrenzung von Konzessionen, welche die Dienstleistungsfreiheit von ausländischen Online-Casino-Betreibern erheblich einschränkt, und für die eine nachvollziehbare Rechtfertigung fehlt. Zudem ist auch nicht ersichtlich, was die grundlegende Differenzierung zwischen Casinos, Poker, Automatenspiel, Sportwetten o.ä. der §§ 21-22c GlüStV 2021 rechtfertigen könnte. Denn wenn es um den Schutz der Jugend, vor Spielsucht oder Folgekriminalität geht, sind Online-Casinos nicht gefährlicher als Online-Automatenspiel oder die zahlreichen “normalen“ Online-Spielangebote mit In-Game-Kaufoptionen (die Nachfolgegeneration beliebter Konsolen-Spiele), wobei letztere überhaupt nicht unter die staatlichen Glückspiel-Regelungen fallen. Dies folgt insbesondere aus den Jahresberichten der Glückspielaufsichten der Länder (z.B. veröffentlicht auf der Website des Justizministeriums NRW, exemplarisch für 2016 und 2019), die belegen, dass Casino-Spiele sowohl im regulierten Markt als auch im nichtregulierten Online-Markt im Vergleich zu jeglichen anderen Glückspielarten, insbesondere im Vergleich zu Automatenspielen, Lotterien und Sportwetten wirtschaftlich eine eher untergeordnete Rolle spielen, und im Suchtpotential ähnlich hoch sind wie Automatenspiel. Ein sachlicher Grund für eine Ungleichbehandlung der Online-Casinos gegenüber den anderen Glückspielarten und insbesondere gegenüber Online-Automatenspiel ist daher nicht ersichtlich. Und angesichts der hohen Suchtgefahr, die von Automatenspielen ausgeht (vgl. o.g. Berichte der Glückspielaufsichten), ist ohnehin unerklärlich, warum hierfür keinerlei Obergrenzen für Konzessionen privater Anbieter vorgesehen werden, während die Anzahl der möglichen Konzessionen für Online-Casinos so stark eingeschränkt wird und zusätzlich ein jederzeitiges Monopol- Recht der Länder notwendig sein soll. Ein Erklärungsansatz könnte darin liegen, dass mit § 22c GlüStV genau der Teilbereich des Glückspiels für EU-Anbieter stark limitiert wird, der in Deutschland derzeit noch teilweise durch die Länder oder Gesellschaften mit staatlicher Beteiligung betrieben wird (Spielbanken). Dass genau diesen gegenüber keine zu große wirtschaftliche Konkurrenz zugelassen werden soll, ist allerdings mit dem Zinn und Zweck der europäischen Grundfreiheiten und dem daraus folgenden Verbot, EU-Ausländer zu diskriminieren bzw. Inländer diesen gegenüber zu begünstigen, nicht mehr in Einklang zu bringen.
77Hinzu kommt, dass der EuGH schon 2010 ein vergleichbares staatliches Monopol für unzulässig erachtet hatte (s.o. EuGH, Urteil vom 8. September 2010 – C-409/06 „Winner Wetten“).
78Da die Beklagte überwiegend Online-Casino und weniger Online-Automatenspiel (Slot-Spiele) anbietet (vgl. Website-Ausdruck Bl. 841 d.A.), ist sie von dieser drohenden Einschränkung auch besonders betroffen, weswegen der GlüStV 2021 ihr gegenüber schon deshalb keine Anwendung finden darf.
79(4)
80Zudem kann ein Eingriff in die Dienstleistungsfreiheit nicht nur durch Normen, sondern auch durch die Verwaltungspraxis bei der Umsetzung von Normen erfolgen. Gerade Erlaubnisvorbehalte (z.B. die frühere Erlaubnis von Internet Sportwetten nach dem früheren GlüStV) sind nach der Rechtsprechung des EuGH dann unwirksam, wenn das Konzessionserteilungsverfahren den Gleichbehandlungsgrundsatz, das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit und das daraus folgende Transparenzgebot nicht beachtet (EuGH, Urteil vom 4. Februar 2016 – C-336/14 „Ince“). Dies ist vorliegend der Fall. Denn nach dem unstreitigen Beklagtenvortrag, der auch durch die öffentliche Liste („Whitelist“) zugelassener Anbieter der Glückspielbehörde GLL gem. § 9 Abs. 8 GlüStV 2021 belegt wird (www.gluecksspiel-behoerde.de/de/), wurde trotz zeitgleichen Eingangs diverser Konzessions-Anträge die erste Konzession an ein Unternehmen der deutschen Marktführergruppe erteilt. In der Folgezeit wurden 10 der 13 ersten Lizenzen an Unternehmen dieser Gruppe (bzw. mit diesen offiziell kooperierende EU-Anbieter) vergeben, was ebenfalls mit dem Gebot der Nichtdiskriminierung nicht in Einklang zu bringen ist.
81Zudem begann die Lizenzvergabe erst im April 2022, obgleich der GlüStV bereits ab 01.07.2021 galt, was faktisch dazu geführt hat, dass bis zu diesem Zeitpunkt mangels Verwaltungshandelns weiterhin ein faktisches Totalverbot herrschte, das ebenfalls mit der Dienstleistungsfreiheit nicht mehr in Einklang zu bringen ist. Bis zum heutigen Tage wurden ausweislich der veröffentlichten Erlaubnisse der GLL auch nur zahlreiche Konzessionen für Online-Automatenspiele und lediglich 5 Konzessionen für Online-Poker vergeben, während immer noch keine einzige Lizenz für Online-Casinos vergeben ist. Der rechtzeitig gestellte Antrag der Beklagten wurde bis heute nicht beschieden, weswegen sie durch das Nicht-Tätigwerden der zuständigen Behörde weiterhin faktisch einem Totalverbot unterliegt, das weder generell (s.o.) noch übergangsweise (s.o.) in einem System mit Erlaubnisvorbehalt gerechtfertigt sein kann.
82Die Entscheidungsfindung der zuständigen Behörde (GLL) ist zudem intransparent und verletzt schon deswegen die Dienstleistungsfreiheit, weil zu den bisherigen Vergabeentscheidungen keine öffentlich zugänglichen Begründungen verfasst wurden, welche nach der Rechtsprechung des EuGH aber erforderlich sind, um eine Nachprüfung zu ermöglichen, ob die Genehmigungsverfahren unparteiisch geführt wurden (EuGH, Urteil vom 19. Juli 2012 – C-470/11).
83Hinzu kommt, dass eine diskriminierungsfreie Normenanwendung des GlüStV 2021 durch die zuständigen Verwaltungsbehörden auch deswegen nicht gewährleistet ist, weil die Einhaltung des GlüStV 2021 von den mittlerweile zugelassenen deutschen Anbietern weder gefordert noch kontrolliert wird. Denn obgleich § 6b Abs. 4 GlüStV 2021 jegliche Ein- oder Auszahlungen über anonyme Zahlungsmittel kategorisch verbietet, listen aktuell diejenigen Anbieter im Online-Automatenspiel mit Sitz in Deutschland, welche nach der veröffentlichten „Whitelist“ der GLL die ersten Konzessionen erhielten, auf ihren aktuellen Websites (I01, I02, I03, I04, I05) diverse bei Gamern beliebte Zahlungsmethoden auf, bei denen Zahlungen anonym erfolgen (insb. Neteller, Skrill, paysafecard, Trustly, die komplett anonym sind; und weiterhin auch Klarna/Sofort u. Paypal die je nach dahinter verlinkten Zahlungsmittel auch anonym nutzbar sind). Es ist aber gegenüber einem EU-Mitbewerber wie der Beklagten erst recht nicht vertretbar, deren Antrag nicht zu bearbeiten, während inländische Unternehmen zuerst zugelassen werden, obwohl sie die neugeschaffenen Vorschriften erkennbar nicht einhalten.
84(5)
85Selbst wenn man aber die vorstehenden Argumentationen außer Acht ließe und den GlüStV 2021 an sich für EU-rechtskonform hielte, könnte ein Verstoß gegen die Grundfreiheiten auch darin liegen, dass man § 134 BGB darauf anwendet. Denn nach der Rechtsprechung des EuGH kann die EU-Rechtswidrigkeit auch lediglich daraus folgen, dass Sanktionen gegen an sich zulässige Rechtsvorschriften so weit gehen, dass sie faktisch dazu führen, dass sie sich als eine Behinderung der im EU-Vertrag verankerten Freiheiten erweisen (EuGH, Urt. v. 20.12.2017 – C-322/16 - Global Starnet Ltd/Italien). Auch dies wäre hier der Fall. Denn wenn ein EU-Dienstleister, der etwas generell Erlaubnisfähiges macht, deswegen ohne die erforderliche Erlaubnis handelt, weil die zuständige Behörde seinen Antrag unbearbeitet lässt, darf ein solcher Verstoß nicht so schwer wiegen, dass jede Dienstleistungserbringung zivilrechtlich unwirksam wäre. Denn das liefe nicht nur auf ein faktisches Totalverbot hinaus, sondern könnte auch noch zivilrechtliche Sekundäransprüche gegen das Unternehmen begründen. Damit lägen Sanktion und Verstoß aber nicht mehr in einem vertretbaren Verhältnis und behindern die vertraglich verankerte Dienstleistungsfreiheit unangemessen. Hinsichtlich dieser Argumentation könnte es allerdings auch darauf ankommen, ob und inwieweit die Beklagte denn die Vorgaben des GlüStV 2021 – soweit sie nicht diskriminierend sind – erfüllt, wozu noch weiterer Vortrag erforderlich wäre. Mangels Relevanz hat das Gericht davon abgesehen, hierzu einen Hinweis zu erteilen und weiteren Vortrag anzufordern.
86Im Ergebnis liegen daher vielfältige EU-Rechtsverstöße vor, die dazu führen, dass der GlüStV weder in seiner Fassung 2012 noch in der Fassung 2021 gegenüber der Beklagten angewendet werden darf.
87c.
88Obgleich es nach der hier vertretenen Rechtsauffassung nicht mehr darauf ankommt:
89Sofern man wegen Verstoßes gegen ein (unterstellt wirksames) gesetzliches Verbot eine Leistung ohne Rechtsgrund annähme, würde ein Rückzahlungsanspruch des Klägers daran scheitern, dass die Beklagte ihm die Einrede des § 817 S. 2 BGB entgegenhalten könnte. Nach § 817 S. 2 BGB, der nach ganz herrschender Meinung nicht nur für § 817 S. 1 BGB, sondern für alle Leistungskondiktionen des § 812 BGB gilt (vgl. MüKo, Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2020, § 817 Rz. 11 m.w.N.), ist eine Rückforderung ausgeschlossen, wenn dem Rückfordernden gleichfalls ein Verstoß gegen gesetzliche Verbote und die guten Sitten zur Last fällt. Dies ist vorliegend der Fall. Denn wenn die Regelungen des GlüStV unterstellt wirksam und anwendbar wären, hätte sich der Kläger durch Teilnahme an verbotenem Glückspiel nach § 285 StGB strafbar gemacht. Denn danach ist die Teilnahme an einem unerlaubten öffentlichen Glückspiel i.S.v. § 284 StGB verboten. In subjektiver Hinsicht erfordert der Verstoß gegen § 285 StGB zumindest bedingten Vorsatz. Der Täter muss dementsprechend zumindest die Teilnahme an einem Spiel in Kauf nehmen, und ebenfalls, dass dieses öffentlich und Glücksspiel ist, für das eine behördliche Erlaubnis fehlt (vgl. MüKo, Kommentar zum StGB, 4. Aufl. 2022 § 285 Rz. 13). Die irrige Annahme des Vorliegens einer behördlichen Erlaubnis schließt gem. § 16 Abs. 1 S. 1 den Vorsatz aus. Die fehlende Kenntnis von dem Erfordernis einer behördlichen Erlaubnis oder die Annahme, eine solche sei nicht erforderlich, begründen hingegen nur einen Verbotsirrtum i.S.d. § 17 S. 1. StGB (vgl. MüKo a.a.O. § 284 StGB Rz, 33, 34 m.w.N.).
90Gemessen an diesen Grundsätzen muss ein Vorsatz des Klägers angenommen werden. Denn er wusste, dass er an Glücksspiel teilnahm und dieses öffentlich war. Soweit er zur Frage eines Vorsatzes bezüglich einer fehlenden Erlaubnis vorgetragen hat, er sei davon ausgegangen, es handele sich um erlaubtes Glückspiel, reicht das für einen schlüssigen Vortrag nicht aus. Denn dafür hätte der Kläger individuell und bezogen auf seine Person die konkreten Gründe für seine inneren Vorstellungen darlegen müssen. Bei der Klage handelt es sich jedoch um eine Aneinanderreihung von Textbausteinen, die von den Klägervertretern für eine Vielzahl gleicher Verfahren ohne jeden Bezug zu der konkret klagenden Person vorformuliert worden sind. Das kann aber keinen individuellen Sachvortrag zu solch wesentlichen Tatsachen ersetzen. Dem hingegen hat die Beklagte eine Vielzahl von Zeitungsartikeln, Internet- und Medienberichterstattungen o.ä. aus den Jahren 2015 bis 2020 (Anlage B6, Bl. 450.620 d.A.) vorgelegt, die ihren Vortrag untermauern, dass die Problematik der verbotenen Online-Glückspiele überall so präsent war, dass kein deutscher Bürger sich diesem Wissen hätte verschließen können. Gerade angesichts dieses Vorbringens hätte der Kläger zu seinen inneren Vorstellungen und seinem Kenntnisstand deutlich konkreter vortragen müssen; seine pauschalen Textbausteine stellen kein ausreichendes Bestreiten dieses Beklagtenvorbringens dar. Daher gilt der Beklagtenvortrag hierzu als zugestanden (§ 138 Abs. 3 ZPO). Zudem ist der Kläger offensichtlich Gaming-erfahren, weil er für die streitgegenständlichen Speileinsätze keine Standard-Zahlungsmittel, sondern gamertypische anonyme Dienstleister sowie eine Emailadresse ohne Klarnamen verwendete. Und bei jemandem mit so einer Internet-Affinität kann nach allgemeiner Lebenserfahrung erst recht nicht angenommen werden, dass er von dem Verbot nichts gewusst haben will (so auch LG Bonn, Urteil vom 30. November 2021 – 5 S 70/21). Deswegen spricht auch eine tatsächliche Vermutung für einen zumindest bedingten Vorsatz. Hinzu kommt, dass die Website der Beklagten deutlich auf die Verpflichtung zur Selbstinformation hinwies. Dass diese das Land Deutschland nicht in den“ restricted areas“ auswies, ist weder irreführend noch unzutreffend, weil zum damaligen Zeitpunkt wegen der Erlaubnis in Schleswig-Holstein nicht ganz Deutschland unter das Verbot des GlüStV 2012 fiel. Ein Verbotsirrtum wäre zudem gem. § 17 S. 2 StGB vermeidbar gewesen, weil – auch angesichts der omnipräsenten Berichterstattung und moderner Web-Suchmöglichkeiten – jeder eventuelle Versuch des Klägers, herauszufinden ob das Glückspiel erlaubt ist, ihm sicher auf die Erkenntnis mangelnder Erlaubnis gebracht hätte. Ein etwaiger Verbotsirrtum wäre daher leicht vermeidbar gewesen.
91Da der Kläger der Behauptung einer ausreichenden Kenntnis prozessual nicht hinreichend entgegengetreten ist, und zudem eine tatsächliche Vermutung für seine Kenntnis spricht, die er nicht erschüttert hat, bestand kein Anlass mehr, dem zulässigen Beweisantritt der Beklagtenseite zur Parteivernehmung des Klägers zu seinen Kenntnissen weiter nachzugehen.
92Entgegen einer teilweise vertretenen Rechtsauffassung erfordert die Anwendung des § 817 S. 2 BGB auch kein weitergehendes subjektives Moment. Vielmehr genügt es nach überwiegend vertretener Rechtsprechung, dass der Betroffene mit einfachem oder bedingten Vorsatz handelt, wobei es auch ausreicht, wenn er sich dem Gesetzesverstoß leichtfertig verschließt (vgl. MüKo, a.a.O. § 817 Rz. 85, 87 m.w.N.). Dies ist vorliegend der Fall (s.o.). Es ist nach der hier vertretenen Rechtsauffassung – jedenfalls bei Verstößen gegen deutsches Strafrecht – nicht vertretbar, im Rahmen des § 817 S. 2 BGB höhere Anforderungen an subjektive Tatbestände zu stellen, als es die Strafnorm selbst tut, weil das zu unvertretbaren Wertungswidersprüchen innerhalb der deutschen Rechtsordnung führen würde. Ebenso wenig besteht Anlass, die Norm des § 817 S. 2 BGB teleologisch zu reduzieren, um dem Schutzzweck des GlüStV gerecht zu werden. Soweit vertreten wird, die Kondiktionssperre dürfe dann nicht greifen, wenn der Kondiktionschuldner durch das Behaltendürfen des Erlangten zur Fortsetzung seines verbotenen Verhaltens motiviert werde, ist eine solche Motivation hier nicht ersichtlich. Denn bei unterstellt wirksamem Verstoß gegen den GlüStV hätte sich die Beklagte ebenfalls gem. § 285 StGB strafbar gemacht, und die durch die Tat erlangten Spieleinsätze wären gem. §§ 73 ff. StGB im Wege der Vermögensabschöpfung einzuziehen. Daher dürfen die erlangten Beträge ohnehin nicht bei ihr verbleiben.
935.
94Ein Anspruch auf Schadensersatz gem. § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. dem GlüStV besteht nicht. Er könnte schon mangels internationaler Zuständigkeit des angerufenen Gerichts nicht zuerkannt werden (s.o.). Zudem fehlt es an einer Schutzgesetzverletzung durch die Beklagte, weil der GlüStV zulasten der Beklagten wegen Verstoßes gegen Art. 56 AEUV keine Anwendung finden kann (s.o.). Darüber hinaus hat der Kläger den Eintritt eines Vermögensschadens bei ihm auch weder konkret behauptet noch unter Beweis gestellt (s.o.).
95Ein Anspruch auf Schadensersatz käme auch deshalb nicht in Betracht, weil ein zurechenbarer Schaden, der auf der Verletzung eines Verbotsgesetzes beruhen könnte, nicht vorliegt. Denn der Schaden entfiele beim Hinzudenken eines rechtmäßigen Alternativ-Verhaltens gerade nicht. Wenn die Beklagte das Glückspiel mit Lizenz angeboten hätte, hätten beim Kläger dennoch Spielgewinne und Spielverluste in gleicher Höhe entstehen können; denn diese beruhen nicht auf einem vorwerfbaren Verhalten der Beklagten, sondern auf der eigenen Spielentscheidung des Klägers.
96Die Nebenforderungen waren mangels Hauptforderung abzuweisen.
97Die Entscheidungen über die Kosten und vorläufige Vollstreckbarkeit beruhen auf §§ 91, 709 ZPO.
98Streitwert: 7.579,00 €.