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1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 49.427,89 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18.12.2020 Zug-um-Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeuges der Marke W X,0l FGH mit der Fahrgestellnummer WECYYYXCRWDXXXXXX zu zahlen.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 30 % und die Beklagte 70 %.
4. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
2Der Kläger macht Ansprüche nach dem Erwerb eines Dieselfahrzeugs W X X,X FGH I J der Euronorm 6 geltend.
3Er kaufte das Fahrzeug mit der Fahrgestellnummer WECYYYXCRWDXXXXXX am 09.11.2016 bei der S GmbH & Co KG als Neuwagen für 71.125,00 EUR (vgl. Anlage K1, Bl. 201 d.A.).
4Der streitgegenständliche Motor in dem von der Beklagten hergestellten Fahrzeug trägt die Bezeichnung KL###MNO, ist nach der Euronorm 6 zertifiziert und verfügt über 000 KW und 0000 PS. Es ist ein SCR-Katalysator verbaut. Der Motor wurde von der B AG entwickelt und hergestellt. Dem lag ein sog. Plattformkonzept des W-Konzerns zugrunde.
5Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) geht davon aus, dass in dem streitgegenständlichen Fahrzeug unzulässige Abschalteinrichtungen zum Einsatz kommen. Das KBA befasste sich insbesondere mit fünf verwendeten Strategien, wobei es die Strategien A (Aufheizstrategie) und E als unzulässige Abschalteinrichtungen eingestufte sowie die Zulässigkeit der Strategien B, C und D anzweifelte. Mit Bescheid vom Dezember 0000 ordnete das KBA vor diesem Hintergrund nachträgliche Nebenbestimmungen an. Sodann ordnete das KBA unter dem 00.00.0000 einen verbindlichen Rückruf für das streitgegenständliche Fahrzeug an. Auch hier führte das KBA aus, die erfolgten Überprüfungen hätten ergeben, dass bei dem Modell unzulässige Abschaltungen im Emissionskontrollsystem vorgenommen würden. Die Bedatung der vom KBA beanstandeten Softwarebestandteile sei daher zu ändern bzw. aufzuweiten, um einen breiteren Anwendungsbereich im Straßenbetrieb zu gewährleisten.
6Die Beklagte bot daraufhin für Fahrzeuge der hier streitgegenständlichen Art das bereits zuvor vom KBA freigegebene Software-Update an, welches auf das klägerische Fahrzeug aufgespielt wurde.
7Der Kläger forderte die Beklagte mit anwaltlichem Schreiben vom 05.02.2020 auf, bis zum 19.02.2020 den Kaufpreis abzüglich einer Nutzungsentschädigung auf der Basis einer möglichen Gesamtkilometerleistung von 500.000 km Zug um Zug gegen Übergabe des Fahrzeugs zu zahlen (Anlage K 13 zur Klageschrift, Bl. 705 ff. d.A.).
8Am 21.11.2021 betrug der Kilometerstand 76.264 km. Das Fahrzeug ist abgemeldet und wird nicht genutzt.
9Der Kläger behauptet, dass in seinem Fahrzeug unzulässige Abschalteinrichtungen verbaut seien. Es erfolge eine unterschiedliche Emissionsbehandlung je nachdem, ob sich das Fahrzeug in der Prüfstandsanordnung oder im Normalbetrieb befinde, dort wiederum gestuft nach Temperaturabhängigkeit (Thermofenster). Daneben sei die AdBlue-Beimischung bewusst zu gering dosiert worden. Die Stickoxidwerte, CO2-Werte und der Kraftstoffverbrauch seien höher als angegeben. Schließlich sei das OBD-System manipuliert. Sämtliche Führungsmitglieder der Beklagten einschließlich des Vorstandes und des Aufsichtsrates seien über die Vorkommnisse informiert gewesen. Bei Kenntnis der Umstände hätte er das Fahrzeug nicht erworben.
10Der Kläger meint, eine Nutzungsentschädigung müsse er sich allenfalls auf Basis einer Gesamtfahrleistung von mindestens 500.000 km anrechnen lassen. Primär ist er indes der Ansicht, dass eine Nutzungsentschädigung gar nicht zu berücksichtigen sei. Die Beklagte schulde ihm ferner Ersatz vorgerichtlich entstandener Rechtsanwaltskosten, die er mit einer 2,0 Gebühr aus einem Gegenstandswert in Höhe des vollen Kaufpreises ansetzt.
11Nachdem der Kläger mit Schriftsatz vom 12.04.2021 die Klage bezüglich der Deliktszinsen zurückgenommen hat, beantragt er zuletzt,
12die Beklagte zu verurteilen, an ihn 71.125,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18.02.2020 abzüglich einer im Termin zu beziffernden Nutzungsentschädigung Zug-um-Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeuges der Marke W X,X V# FGH FGH mit der Fahrgestellnummer WECYYYXCRWDXXXXXX zu zahlen,
131. festzustellen, dass sich die Beklagte seit dem 19.02.2020 mit der Rücknahme des im Klageantrag zu 1. bezeichneten Gegenstands in Annahmeverzug befindet,
142. die Beklagte zu verurteilen, die Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 3.961,34 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 19.02.2020 zu zahlen.
15Die Beklagte beantragt,
16die Klage abzuweisen.
17Die Beklagte meint, bereits nicht passivlegitimiert zu sein. Außerdem fehle es für eine deliktische Haftung an einer kausalen, sittenwidrigen Schädigung. Hierzu behauptet sie, der Motor sei von der B AG in eigener Verantwortung hergestellt worden.
18Die Klageschrift wurde der Beklagten am 17.12.2020 zugestellt. Mit Beschluss vom 29.06.2021 (Bl. 1274 d.A.) hat das Landgericht Köln das Verfahren wegen angenommener örtlicher Unzuständigkeit an das erkennende Gericht verwiesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und das Sitzungsprotokoll vom 23.11.2021 Bezug genommen.
19Entscheidungsgründe
20Die zulässige Klage ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.
21I.
22Der Kläger hat gegen die Beklagte gemäß §§ 826, 31 BGB einen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe des Kaufpreises für das streitgegenständliche Fahrzeug abzüglich des Wertes der gezogenen Nutzungen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeuges.
23Die Beklagte hat durch das Inverkehrbringen des mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeuges gegen die guten Sitten verstoßen und dem Kläger vorsätzlich einen kausalen Schaden zugefügt.
241. Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dazu genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und dadurch einen Vermögensschaden hervorruft. Hinzutreten muss eine besondere Verwerflichkeit des Verhaltens, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben. Bei einer mittelbaren Schädigung muss das Unwerturteil den Schädiger gerade in Bezug auf die Schäden desjenigen treffen, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (BGH, Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19, BGH, Urteil vom 30.07.2020 - VI ZR 5/20). Das Inverkehrbringen eines Fahrzeuges, das mit einer unzulässigen Abschaltvorrichtung versehen ist, kann objektiv eine sittenwidrige Schädigung darstellen (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19). Dabei kommt ein sittenwidriges Vorgehen auch dann in Betracht, wenn die für den Fahrzeughersteller handelnden Personen wussten, dass zugelieferte Motoren mit einer auf arglistige Täuschung des KBA abzielenden Prüfstanderkennungssoftware ausgestattet waren und die hergestellten Fahrzeuge in Kenntnis dieses Umstandes mit diesem Motor vesahen und in den Verkehr brachten (vgl. BGH, Urteil vom 08.03.2021 – VI ZR 505/19, WM 2021, 751 ff.).
25Dies ist vorliegenden Einzelfall anzunehmen (vgl. für eine vergleichbare Konstellation insgesamt auch OLG Köln, Urteil vom 04.11.2021 – 12 U 28/20). Die Beklagte hat dem Kläger in sittenwidriger Weise geschädigt, indem sie das Fahrzeug, mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehen hat und sodann in diesem Zustand in den Verkehr gebracht hat. Die Beklagte ist der ihr obliegenden sekundären Darlegungslast, auf welche die Kammer in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich hingewiesen hat, nicht nachgekommen. Trotz eingeräumten Schriftsatznachlasses, ist eine Stellungnahme nicht eingegangen. Das entsprechende Klägervorbringen gilt daher als zugestanden, § 138 Abs. 3 ZPO.
26a) Die vorhandenen Abschaltvorrichtungen, Strategien A und E, sind gesetzwidrig und verstoßen gegen Art. 3 Nr. 10 und Art. 5 Abs. 1 und 2 VO (EG) 715/2007 (vgl. zum Motor 00 000 BGH, Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19 - Rn. 17). Das Verhalten der Beklagten erfüllt dabei auch die hohe Hürde der Sittenwidrigkeit. Es ist aufgrund der spezifischen Anpassung der gerügten, serienmäßig verbauten Funktionen auf den Prüfstand davon auszugehen, dass die Software bewusst und gewollt so programmiert wurde, um die gesetzlichen Vorgaben (nur) auf dem Prüfstand zu erfüllen und damit unmittelbar auf die arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde abgezielt wird (vgl. auch OLG Köln, Urteil vom 04.11.2021 – 12 U 28/20).
27Das Gericht folgt dabei den mit bestandskräftigem Bescheid getroffenen Feststellungen des KBA über die Wirkweise der verbauten Funktionen, welche offenbar wertungsmäßig vergleichbar mit einer Umschaltlogik allein für die Prüfstandssituation geschaffen wurden. Darin liegt eine Täuschung, mit der die Beklagte den Zweck verfolgte, zur Umgehung finanzieller und technischer Probleme rechtlich und technisch einwandfreie, aber teurere Lösungen der Abgasreinigung zu vermeiden und mit Hilfe der scheinbar umweltfreundlichen Prüfstandwerte Wettbewerbsvorteile zu erzielen. Ihr planmäßig verschleierndes Vorgehen begründet einen Sittenverstoß. Das Verhalten der Beklagten ist nach den Maßstäben der allgemeinen Geschäftsmoral und des als „anständig“ Geltenden in hohem Maße verwerflich.
28Ein anderer Sinn oder eine weitergehende Funktion im realen Straßenbetrieb ist nicht ersichtlich. Der Beklagten ist Gelegenheit gegeben worden, die Feststellungen des KBA zu entkräften, indem z.B. Zweck und Wirkweise der Strategien und ihr Zusammenwirken erläutert worden wäre. Die Beklagte hat hiervon keinen Gebrauch gemacht, obgleich sie, anders als der Kläger, über das technische Wissen verfügt. Die Beklagte hat damit ihrer Darlegungslast nicht genügt.
29b) Durch das Inverkehrbringen des Fahrzeuges mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung handelte die Beklagte entgegen der berechtigten Erwartung des Klägers, dass das Fahrzeug über sämtliche Eigenschaften verfügt, die eine dauerhafte Betriebserlaubnis verlangt und insbesondere die materiellen Voraussetzungen für die Erteilung der EG-Typengenehmigung vorlagen.
30c) Unerheblich ist im Ergebnis, dass wohl nicht die Beklagte, sondern die B AG den Motor entwickelt und hergestellt hat. Zwar hat die Beklagte behauptet, dies sei in völliger Eigenverantwortung geschehen, allerdings ist gleichzeitig unstreitig, dass der Fahrzeug- und Motorenherstellung ein sog. YYYYYYYYkonzept zugrunde lag. Die Konzerngesellschaften übernahmen also arbeitsteilig und resourcensparend einzelne Projekte. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass die Beklagte in die relevanten Tatumstände eingeweiht war. Zwar erfolgt keine Wissenszurechnung gemäß § 166 BGB, aber die Kammer geht von einer eigenen Strategieentscheidung der Beklagten aus. Die Beklagte entwickelt selbst Dieselmotoren und kennt daher die vorhandenen Zielkonflikte. Es ist anzunehmen, dass sie den gelieferten Motor nicht „blind“ eingebaut hat, ohne Kenntnis der konkreten Funktionsweise und Eigenschaften zu haben. Dies ist aufgrund des klägerischen Vortrages anzunehmen, denn die Beklagte ist insoweit der ihr obliegenden sekundären Darlegungslast nicht nachgekommen. Sie alleine hätte die Möglichkeit zur weiteren Sachaufklärung gehabt, hat diese indes trotz ausdrücklichem Hinweis der Kammer nicht genutzt (vgl. auch ausführlich OLG Köln, Urteil vom 04.11.2021 – 12 U 28/20).
312. Der Kläger wurde durch diesen Sittenverstoß auch kausal an seinem Vermögen geschädigt.
32a) Da bereits die Verpflichtung aus einem ungewollten Vertrag einen Schaden darstellt, liegt in jedem durch die sittenwidrige Handlung herbeigeführten Vertragsschluss ein Schaden (BGH, Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19 – Rn. 55), hier mithin in dem Abschluss des Kaufvertrages über das streitgegenständliche Fahrzeug. Der dem Kläger entstandene Schaden ist auch nicht durch das Aufspielen des SoftwareUpdates nachträglich entfallen, da maßgeblicher Zeitpunkt für die Entstehung des Schadens der Abschluss des Kaufvertrages ist. Auch kommt es nicht auf das Ausmaß des Wertverlustes des Fahrzeugs infolge der manipulierten Software an. Die Rechtsfolgen der §§ 249 ff. BGB können nicht durch das Aufspielen eines Software-Updates oder ähnliche nachträgliche Veränderungen am Fahrzeug abgewendet werden.
33b) Der Sittenverstoß der Beklagten war für die Entstehung des Schadens auch kausal.
34Der Kläger verdeutlicht nicht zuletzt durch seine Klage, dass er das Fahrzeug nicht gekauft hätte, wenn er von der Software-Manipulation gewusst hätte. Das ist plausibel und lebensnah. Es spricht eine tatsächliche Vermutung dafür, dass ein privater PKW-Käufer kein Fahrzeug erwerben möchte, dessen dauerhafter Betrieb rechtlichen Bedenken unterliegt. Nach den Grundsätzen der Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens, denen die Beklagte nicht substantiiert entgegen getreten ist, hätte kein verständiger Käufer das streitgegenständliche Fahrzeug erworben, wenn er über die Software-Manipulation aufgeklärt worden wäre und deshalb jedenfalls im Fall einer Entdeckung mit Problemen durch das Kraftfahrtbundesamt bis hin zur drohenden Stilllegung des Fahrzeugs hätte rechnen müssen (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 03.01.2019 - 18 U 70/18 - Rn. 45 f.).
353. Die verantwortlichen verfassungsmäßigen Vertreter der Beklagten handelten rechtswidrig und in Bezug auf den Sittenverstoß und den dadurch bei dem Kläger eingetretenen Schaden vorsätzlich.
36Der Schädigungsvorsatz selbst ergibt sich aus Art und Umfang des sittenwidrigen Handelns und aus dem verwerflichen Ziel der Umsatzsteigerung zu Lasten der Käufer. Die Einbringung der manipulierten Software in den Motor ist eine willensgetragene Handlung. Das zu Grunde liegende Wissen und Wollen betrifft auch die Sittenwidrigkeit und den dadurch bei dem Erwerber entstehenden Vermögensschaden. Beide Merkmale sind von der Entscheidung, eine gesetzwidrige Software einzusetzen, nicht trennbar und liegen auf der Hand.
37Der Verstoß erfolgte durch Personen im Hause der Beklagten, deren Verhalten sie sich nach § 31 BGB im Rahmen der Deliktshaftung zurechnen lassen muss. Aufgrund des Sach- und Streitstandes ist davon auszugehen, dass der Vorstand der Beklagten über umfassende Kenntnis von dem Einsatz der oben beschriebenen Software verfügte. Die Entwicklung einer solchen Software erfordert - unabhängig von der Frage ihrer Legalität - ein systematisches, koordiniertes und planvolles Vorgehen und dies – wie oben bereits ausgeführt – aufgrund des vorliegenden YYYYYYYYYkonzeptes auch im Hause der Beklagten.
38Eine konkrete namentliche Benennung obliegt dem Kläger nicht. Grundsätzlich hat der Kläger als Anspruchsteller zwar die Voraussetzungen der Zurechnungsnormen darzulegen und - da sie von der Beklagten bestritten wurden - zu beweisen. Der Kläger legt dar, dass der Vorstand die Manipulationen veranlasst, jedenfalls gekannt haben muss. Er hat aber keinen Einblick in die Organisationsstruktur und die Entscheidungsabläufe der Beklagten, ihm ist kein näherer Vortrag möglich. Dieses strukturelle Informationsdefizit begründet eine sekundäre Darlegungslast der Beklagten dazu, wer konkret in ihrem Haus die zum Einsatz der Software führenden Entscheidungen getroffen hat (BGH, Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19). Dieser ihr obliegenden sekundären Darlegungslast ist die Beklagte nicht nachgekommen.
394. In der Rechtsfolge schuldet die Beklagte dem Kläger Schadensersatz gemäß §§ 249 ff. BGB. Danach kann der Kläger im Rahmen der Naturalrestitution Rückzahlung des Kaufpreises verlangen, auch von der Beklagten als Hersteller, nicht nur von seinem Kaufvertragspartner. Er muss allerdings, da er durch die ihm zugefügte Schädigung nicht besser gestellt werden darf als er ohne die Schädigung stünde, seinerseits die erhaltenen Gebrauchsvorteile herausgeben. Sind der Vorteil und der Ersatzanspruch gleichartig, dann wird der Vorteil vom Ersatzanspruch abgezogen, ohne dass es hierfür einer Gestaltungserklärung des Schädigers bedarf; ist die Gleichartigkeit von Vorteil und Ersatzanspruch zu verneinen, dann muss der Geschädigte den Vorteil Zug um Zug gegen Erfüllung des Ersatzanspruchs herausgeben (vgl. Oetker in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2019, § 249 Rn. 279).
40Zunächst hat der Kläger als erlangten ungleichartigen Vorteil Eigentum und Besitz am streitgegenständlichen Fahrzeug herauszugeben. Zu berücksichtigen sind entgegen der klägerischen Rechtsansicht weiter die erlangten Gebrauchsvorteile durch die Nutzung des Fahrzeugs (vgl. BGH, Urteil vom 30. Juli 2020, VI ZR 354/19, Rn. 11 ff., zitiert nach juris). Diese sind nicht auskehrbar, so dass hierfür Wertersatz in Geld in zu leisten ist. Das erkennende Gericht schätzt die gezogenen Vorteile unter Zuhilfenahme der folgenden Rechenformel: Der von dem Kläger gezahlte Bruttokaufpreis für das Fahrzeug wird durch die voraussichtliche Restlaufleistung im Erwerbszeitpunkt (bzw. bei Neufahrzeugen die voraussichtliche Gesamtlaufleistung) geteilt und dieser Wert mit den gefahrenen Kilometern multipliziert. Die Gesamtlaufleistung des streitgegenständlichen Fahrzeugs schätzt das Gericht dabei gemäß § 287 ZPO auf 250.000 km. Die bezogen auf den Tag der mündlichen Verhandlung erfolgte Laufleistung des PKW beträgt 76.264 km, wobei der Kläger das Fahrzeug als Neuwagen erwarb. Aus der Laufleistung resultiert ein Betrag von 21.697,11 EUR, der vom Kaufpreis von 71.125,00 EUR abzuziehen ist, so dass der ausgeurteilte Betrag von 49.427,89 EUR verbleibt.
41II.
42Auf den Betrag von 49.427,89 EUR schuldet die Beklagte Zinsen, aber nicht wie beantragt seit dem 18.02.2020, sondern seit Rechtshängigkeit, §§ 288 Abs. 1, 291 i.V.m. § 187 BGB.
43Das vorgerichtliche Anwaltsschreiben war ungeeignet, die Beklagte in Verzug zu setzen. Denn der Kläger erklärte hierin zwar seine Bereitschaft, sich eine Nutzungsentschädigung anrechnen zu lassen, nannte aber eine zu hohe Gesamtkilometerleistung als Berechnungsgröße (ebenso OLG Köln, Beschluss vom 03.01.2019 - 18 U 70/18 - Rn. 45 f.).
44III.
45Der Klageantrag zu 2) auf Feststellung des Annahmeverzuges, § 293 BGB, ist zulässig, aber unbegründet.
46Das erforderliche Feststellungsinteresse im Sinne des § 256 Abs. 1 BGB folgt aus den Erleichterungen in der Vollstreckung, § 756 ZPO. Allerdings liegt kein Annahmeverzug der Beklagten vor. Ein zur Begründung von Annahmeverzug auf Seiten der Beklagten geeignetes Angebot des Klägers ist weder vorprozessual noch im Prozess gegeben.
47Das vorgerichtliche Anwaltsschreiben war aus den o.g. Gründen ungeeignet, die Beklagte in Annahmeverzug zu setzen. Wird das Angebot auf Herausgabe und Übereignung an unberechtigte Bedingungen geknüpft, tritt kein Annahmeverzug ein (vgl. BGH, Urteil vom 25. 05.2020 – VI ZR 252/19).
48Die Beklagte ist auch nicht durch ihren Klageabweisungsantrag in Annahmeverzug geraten, denn der Kläger macht auch mit der vorliegenden Klage erheblich zuviel geltend. Insbesondere muss sich der Kläger hohe Nutzungsvorteile anrechnen lassen.
49IV.
50Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen.
51Zwar kommt ein solcher Anspruch nach §§ 826, 249 BGB vorliegend - wenn auch lediglich auf der Basis einer 1,3 Geschäftsgebühr zuzüglich Post-/Telekommunikationspauschale und Umsatzsteuer – grundsätzlich in Betracht, allerdings können Rechtsverfolgungskosten stets nur in der Höhe beansprucht werden, in der sie zur ordnungsgemäßen Rechtsverfolgung notwendig waren (Grüneberg in: Palandt, BGB, 77. Aufl. 2018, § 249 Rn. 56 f.). Konkret sind nur jene durch das Schadensereignis verursachten Rechtsanwaltskosten zu ersetzen, die aus der Sicht des Geschädigten zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig waren. Ist der Schuldner bekanntermaßen zahlungsunwillig und erscheint der Versuch einer außergerichtlichen Forderungsdurchsetzung auch nicht aus sonstigen Gründen erfolgversprechend, sind die dadurch verursachten Kosten nicht zweckmäßig (BGH, Urt. v. 28.05.2013, Az. XI ZR 148/11, juris-Rn. 35 m.w.N.). Danach ist vorliegend nicht von einer ordnungsgemäßen und zweckmäßigen Rechtsverfolgung auszugehen. Die Beklagte war bekanntermaßen zahlungsunwillig und eine außergerichtliche Forderungsdurchsetzung erschien auch nicht aus sonstigen Gründen erfolgversprechend (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 03.01.2019 - 18 U 70/18 - Rn. 45 f.; OLG München, Beschluss vom 12. Juni 2018, 8 U 3169/17, Rn. 18).
52V.
53Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 1, 709 ZPO.
54Streitwert: 71.125,00 EUR