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1. Das Versäumnisurteil der Kammer vom 30.12.2020 wird aufrechterhalten mit Ausnahme des Kostenausspruchs soweit dieser sich auf die Kosten der Säumnis des Beklagten bezieht. Insofern wird die Kostenentscheidung aufgehoben.
2. Der Beklagte trägt die weiteren Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Die Vollstreckung aus dem Versäumnisurteil vom 30.12.2020 darf nur gegen Leistung dieser Sicherheit fortgesetzt werden.
Tatbestand
2Die Parteien streiten über Schadensersatzansprüche nach einem Verkehrsunfall, der sich am 23.06.2020 um ##:## h in ##### Bonn auf der D1 in Höhe Hausnummer ## ereignete.
3Der Beklagte ist Halter des Pkw VW Golf (amtl. Kennzeichen: $$-$ ###).
4Am 23.06.2020 konnte der Beklagte seinen Pkw, den er vorwärts in einer Parktasche auf der D1 in Höhe Hausnummer ## eingeparkt hatte, wegen eines Kupplungsschadens nicht starten. Da das Fahrzeug nicht mehr fahrbereit war, rief der Beklagte einen Abschleppwagen des X herbei. Der Fahrer des Abschleppwagens, Herr A, parkte den X-Abschlepp-Lkw auf der den Parktaschen gegenüberliegenden Straßenseite der D1 am Straßenrand. Er senkte an dem LKw die Ladefläche ab und schaltete das gelbe Warnlicht ein. Sodann montierte Herr A ein silbergraues Abschleppseil an der Heckseite des Beklagtenfahrzeugs, um das Fahrzeug rückwärts aus der Parkbucht heraus über die Straße auf den Lkw zu ziehen.
5Der Kläger befuhr an dem Unfalltag mit seinem Pkw VW Touran (amtl. Kennzeichen $-$$ ###) die D1. An der Kreuzung D-Straße Straße wollte er nach rechts in den weiteren Verlauf der D1 abbiegen.
6Bevor er in den Kreuzungsbereich einfahren konnte, ließ der Kläger noch an dem auf der D1 befindlichen Zebrastreifen eine Fußgängerin queren. Er fuhr sodann zum Kreuzungsschnittpunkt vor. Dort sah er linkerhand in dem weiteren Verlauf der D1 den X-Lkw mit eingeschaltetem gelbem Rundum- Warnlicht stehen, der gerade auf der D1 von einem Kleinwagen passiert wurde. Da der Kleinwagen gegenüber dem Kläger vorfahrtberechtigt war, ließ der Kläger den Kleinwagen noch vorbeifahren und bog sodann nach rechts in die D1 ab.
7Kurze Zeit nach dem Abbiegevorgang verspürte der Kläger einen massiven Schlag gegen die Front seines Fahrzeugs und das Fahrzeug wurde abrupt zum Stillstand gebracht. Der Kläger war mit der Frontstoßfänger seines Fahrzeugs gegen das zwischen dem Beklagtenfahrzeug und dem X-Abschlepp-Lkw quer über die Fahrbahn der D1 gespannte Abschleppseil gefahren.
8Der X-Fahrer A hatte sich auf der Fahrerseite durch das offene Fenster in das Beklagtenfahrzeug gebeugt, die Handbremse gelöst und das Abschleppseil mit einer Fernbedienung auf Spannung gebracht, wobei zwischen den Parteien streitig ist, wie lange das Seil schon vor der Kollision unter Spannung stand. Während dessen stand der Beklagte neben seinem Fahrzeug an einem Baum am Straßenrand und winkte mit erhobenen Armen um den Kläger zu warnen. Blickkontakt zum Kläger hatte er nicht.
9Wegen der Einzelheiten der Kollisionssituation wird auf das vom Kläger unmittelbar nach der Kollision gefertigte Foto Bl. 92 d.A. Bezug genommen.
10Das klägerische Fahrzeug war infolge des Unfalls nicht mehr verkehrssicher.
11Die vom Kläger bezahlten Reparaturkosten zur Beseitigung des an seinem Fahrzeug durch den Unfall entstandenen Schadens beliefen sich auf € 6.435,58 (Bl. 28 ff.d.A.). Ferner zahlte der Kläger Sachverständigenkosten in Höhe von € 716,30 und Mietwagenkosten für die Anmietung eines Ersatzfahrzeugs in der Zeit vom 28.06. bis 09.07.2020 in Höhe von € 1.011,73.
12Der Kläger setzte die Kfz-Haftpflichtversicherung des Beklagten mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 01.07.2020 über den Schadensfall in Kenntnis. Mit Schreiben vom 25.08.2020 forderte er die Versicherung zur Zahlung der dort i.e. bezifferten materiellen Unfallschäden in Höhe von insgesamt € 8.438,61 und unter Bezugnahme auf die übersandten ärztlichen Befundberichte zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von € 780,- bis zum 08.09.2020 auf (Bl. 24 f d.A.). Mit Schreiben vom 08.10.2020 übersandte der Kläger zudem die Ermittlungsakte und forderte die Versicherung unter Fristsetzung bis zum 22.10.2020 zur Zahlung der geltend gemachten Schäden auf. Insofern wird auf die als Anlagen K2 und K3 zur Akte gereichten Schreiben
13Bezug genommen. Die sich sodann anschließende Korrespondenz endete mit dem Schreiben der Kfz-Haftpflichtversicherung vom 27.10.2020, in dem die Versicherung auf ein Mitverschulden des Klägers abstellte. Wegen der Einzelheiten wird auf die Anlage K4 (Bl. 20 f d.A.) Bezug genommen.
14Der Kläger ist der Ansicht der Unfall sei für ihn unabwendbar gewesen. Der Beklagte hafte für die bei dem Betrieb seines Fahrzeugs entstandenen Schäden zu 100 %.
15Der Kläger behauptet, das silbergrau-farbene Abschleppseil sei für ihn auch bei Anwendung äußerster Sorgfalt auf dem grauen Asphalt insbesondere wegen der Lichtverhältnisse und des Schattenwurfs durch Bäume und Gebäude im Bereich der Unfallstelle und auch bei der Annäherung nicht erkennbar gewesen.
16Der Kläger ist der Ansicht für die unfallbedingt erlittenen immateriellen Schäden sei im Hinblick auf die in vergleichbaren Fällen ausgeurteilten Beträge ein Schmerzensgeld in Höhe des arithmetischen Mittels von € 780,- angemessen.
17Hierzu behauptet er, er habe durch das Unfallgeschehen an der linken Hand eine Handgelenksdistorsion mit begleitender Muskelverletzung erlitten und sei verletzungsbedingt bis zum 03.07.2020 arbeitsunfähig gewesen.
18Für die Zeit vom 23.06.2021 bis zur Anmietung des Ersatzwagens sei ihm ein Nutzungsausfall entstanden, der mit € 50,- pro Tag zu entschädigen sei.
19Mit der am 09.12.2020 dem Beklagten zugestellten Klageschrift hat der Kläger beantragt, den Beklagten zu verurteilen,
201. an ihn einen Betrag von 8.438,61 € nebst 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 27.10.2020 zu zahlen;
212. an ihn ein Schmerzensgeld zuzahlen, welches 780,00 € nicht unterschreitet und seit dem 27.10.2020 mit 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 27.10.2020 zu verzinsen ist;
223. an ihn vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten von 864,47 € nebst 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
23Das Gericht hat im schriftlichen Vorverfahren am 30.12.2020 antragsgemäß ein Versäumnisurteil gegen den Beklagten erlassen.
24Gegen dieses am 07.01.2021 zugestellte Versäumnisurteil hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 08.01.2021, eingegangen bei Gericht am 08.01.2021, Einspruch eingelegt.
25Der Kläger beantragt nunmehr,
26das Versäumnisurteil der Kammer vom 30.12.2020 aufrecht zu erhalten.
27Der Beklagte beantragt,
28das Versäumnisurteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
29Der Beklagte ist der Ansicht, er hafte schon deshalb nicht für das Unfallgeschehen, da von seinem fahruntüchtig in einer Parkbucht abgestellten Fahrzeug während des Abschleppens keine Betriebsgefahr iS von § 7 StVG ausgegangen sei. Es habe sich allein die typische Gefahr des Abschleppfahrzeugs verwirklicht. Jedenfalls sei dem Kläger ein erhebliches Mitverschulden anzulasten. Der Beklagte behauptet, der Kläger sei mit unangepasster Geschwindigkeit und unaufmerksam an dem Abschleppfahrzeug vorbeigefahren. Das Abschleppseil sei bereits geraume Zeit gespannt und für den Kläger bei der Annäherung sichtbar gewesen. Sein Fahrzeug sei schon in der Rückwärtsbewegung gewesen.
30Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
31Die Akten der Stadt Bonn Az. 33-22/7777.3123.9862 waren beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
32Das Gericht hat die Parteien im Termin vom 18.03.2021 persönlich angehört. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Sitzungsprotokoll (Bl. 117 ff d.A.) verwiesen.
33Entscheidungsgründe
34Die zulässige Klage hat in vollem Umfang Erfolg.
35Aufgrund des Einspruchs des Beklagten gegen das Versäumnisurteil der Kammer vom 30.12.2020 ist der Prozess in die Lage vor dessen Säumnis zurück versetzt worden (§ 342 ZPO). Der Einspruch ist zulässig. Er ist statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt worden.
36I. Die Klage ist begründet. Der Kläger kann von dem Beklagten nach §§ 7 Abs. 1, 11, 17 StVG Ersatz seiner durch den Unfall erlittenen materiellen und immateriellen Schäden im geltend gemachten Umfang verlangen. Das ergangene Versäumnisurteil war daher hinsichtlich des Hauptsacheausspruchs aufrecht zu erhalten.
371. Der Kläger ist Eigentümer des bei dem Unfall beschädigten Pkw VW Touran.
38Der Schaden ist bei dem Betrieb des VW Golf entstanden, dessen Halter der Beklagte ist. Entgegen der Ansicht des Beklagten entfällt eine Haftung gemäß § 7 Abs.1 StVG nicht deshalb, da das Fahrzeug nicht mehr fahrbereit war und sich der Unfall im Zusammenhang mit einem Abschleppvorgang ereignete. Nach der neueren Rechtsprechung des BGH ist der Betriebsbegriff weit auszulegen. Die Haftung nach § 7 StVG umfasst alle durch den Kraftfahrzeugverkehr beeinflussten Schadensabläufe. Es genügt, dass sich eine von dem Kraftfahrzeug ausgehende Gefahr ausgewirkt hat und das Schadensgeschehen in dieser Weise durch das Kraftfahrzeug mitgeprägt worden ist, was mittels einer am Schutzzweck der Haftungsnorm orientierten wertenden Betrachtung beurteilt werden muss. An dem erforderlichen Zurechnungszusammenhang fehlt es, wenn die Schädigung nicht mehr eine spezifische Auswirkung derjenigen Gefahren ist, für die die Vorschrift den Verkehr schadlos halten will. Für eine Zurechnung zur Betriebsgefahr kommt es maßgeblich darauf an, dass der Unfall in einem nahen örtlichen und zeitlichen Kausalzusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeugs steht. Ob es zu einer Berührung gekommen ist, ist nicht maßgeblich. Es genügt, dass das Fahrzeug durch seine Fahrweise oder sonstige Verkehrsbeeinflussung zu der Entstehung des Schades beigetragen hat (vgl. i.e.: Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Burmann, 26.Aufl. StVG, § 7 Rz. 7 – 11 mit Rechtsprechungsnachweisen).
39Ausgehend von diesen Maßstäben befand sich das Beklagtenfahrzeug noch im Betrieb. Die Tatsachte, dass es fahruntüchtig war und in einer Parkbucht abgestellt war, steht dem Betrieb nicht entgegen. Dort, konnte es, wie das Unfallgeschehen zeigt, den Verkehr generell beeinflussen. Dies gilt insbesondere, da es im öffentlichen Verkehrsbereich abgestellt war. Auch fahruntüchtige Fahrzeuge sind grundsätzlich weiterhin im Betrieb (vgl. B/H/H/J/B, a.a.O. Rz. 10; BGH NZV 1995, 19). Die Tatsache, dass das Fahrzeug nicht selbständig fuhr sondern an einem Seil über die Straße geschleppt wurde, hat vorliegend nicht zur Folge, dass die Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs in der Betriebsgefahr des abschleppenden X-Lkw aufgeht. Dies wäre frühestens dann der Fall gewesen, wenn der Pkw auf dem Abschleppwagen aufgeladen gewesen wäre (B/H/HJ/B a.a.O. Rz. 10; OLG Karlsruhe, Urteil v. 28.08.2014, 13 U 15/14). Bis dort musste der abgeschleppte Pkw aber noch aus der Parkbucht heraus, über die Straße gelenkt werden. Währenddessen bildet der abgeschleppte Pkw eine gesonderte, eigenständige Gefahrenquelle und ist weiterhin als „in Betrieb“ befindlich anzusehen. Dies gilt insbesondere im Hinblick darauf, dass es noch eine Einflussmöglichkeit des Lenkenden gab. Der neben dem Pkw stehende X-Fahrer konnte durch das offene Fahrerfenster das Fahrzeug lenken. Insofern ist auch zu berücksichtigten, dass selbst für Anhänger eine eigenständige Betriebsgefahr besteht (vgl. § 19 Abs. 1 StVG) (vgl. zur Haftung bei Abschleppvorgängen: OLG Köln, Urteil v. 07.03.1986, 6 U 183/85; OLG Hamm NZV 2009, 456; OLG Celle, Urteil v. 14.11.2012, 14 U 70/12).
40Ein Haftungsausschluss gemäß § 7 Abs. 2 StVG ist nicht gegeben.
412. Vorliegend steht dem Kläger ein Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 100 % zu. Es ist keine Haftungsquote zu seinen Lasten wegen einer Mitverantwortung des Klägers an dem Unfall gemäß § 17 Abs. 1, 2 StVG vorzunehmen. Zwar haftet der Kläger als Halter des an dem Unfall beteiligten VW Touran grundsätzlich seinerseits dem Beklagten nach § 7 Abs. 1 StVG. Indes ist vorliegend die Haftung des Klägers gemäß § 17 Abs. 3 StVG ausgeschlossen. Nach einer Gesamtwürdigung aller Umstände steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Unfall für den Kläger ein unabwendbares Ereignis darstellt.
42Unabwendbar ist ein Ereignis, das durch äußerste mögliche Sorgfalt nicht abgewendet werden kann. Dazu gehört sachgemäßes, geistesgegenwärtiges Handeln über den gewöhnlichen und persönlichen Maßstab hinaus, jedoch nicht das Verhalten eines gedachten „Superfahrers“, sondern gemessen an durchschnittlichen Verkehrsanforderungen, das Verhalten eines „Idealfahrers“. Maßgebend ist die Sachlage vor dem Unfall, unter Umständen schon die Situation vor Eintritt der Gefahrenlage, wenn ein „Idealfahrer“ auch deren Eintritt vermieden hätte. Denn ein sich zu spät „ideal“ verhaltender Fahrer ist kein Idealfahrer. (Hentschel/ König/ Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl. 2017, § 17 StVG Rn. 22). Zur äußersten Sorgfalt des Idealfahrers gehört die Berücksichtigung aller möglichen Gefahrenmomente. Der Idealfahrer fährt defensiv und achtet auch auf Umstände am Rande der Fahrbahn oder sonstige Indizien, die auf eine Gefahrensituation hindeuten. Der Fahrer muss auch erhebliche fremde Fehler berücksichtigen, darf allerdings auf das Unterlassen grober Verkehrsverstöße durch andere Verkehrsteilnehmer vertrauen (OLG FfM NJW-RR 2016, 731, Rz. 23).
43Gemessen an diesem Maßstab ist dem Kläger kein Fehlverhalten zur Last zu legen.
44Insbesondere fällt dem Kläger kein Verstoß gegen die allgemeine Sorgfalts- und Rücksichtnahmepflicht gemäß § 1 II StVO oder das Gebot des Fahrens mit angemessener Geschwindigkeit (§ 3 Abs. 1 S. 2 StVO) zur Last.
45Das Spannen eines Abschleppseils quer über eine Fahrbahn ohne Absicherungsmaßnahmen stellt einen so groben Verkehrsverstoß dar, mit dem selbst ein besonders sorgfältiger Fahrer nicht rechnen muss. Ein Fahrer, der sich für andere sichtbar auf der Fahrbahn nähert darf vielmehr darauf vertrauen, dass in dem Moment kein Hindernis über die Fahrbahn gespannt wird. Auch ein Idealfahrer benötigt einen konkreten Anlass/konkrete Indizien als Reaktionsaufforderung um eine solche Gefahrenquelle vor sich für möglich zu halten und zu reagieren. Solche hinreichenden Umstände, die für einen Idealfahrer Anlass gegeben hätten, anzuhalten oder ansonsten zu reagieren, um eine Kollision mit dem Seil zu verhindern, gab es jedoch für den Kläger nicht.
46Die Erklärung des persönlich angehörten Klägers, dass das Abschleppseil für ihn aufgrund der an der Unfallstelle herrschenden Licht-/ Sichtverhältnisse in der Annäherung nicht erkennbar gewesen ist, ist glaubhaft. Insofern kann auch offenbleiben, wie lange das Seil schon vor der Kollision gespannt gewesen ist. Es steht angesichts des in Augenschein genommenen Fotos von der Unfallkonstellation (Bl. 92 d.A.) zur Überzeugung des Gerichts fest, dass auch das gespannte Abschleppseil in der gesamten Annäherung für den Kläger bei größter Sorgfalt nicht erkennbar gewesen ist. Im Unfallzeitpunkt herrschte strahlender Sonnenschein. Auf der Straße gab es durch die umliegende Bebauung sowie die am Straßenrand befindlichen Bäume auf dem grauen Asphalt ein Licht- und Schattenspiel. Von diesem Untergrund hob sich das graue Abschleppseil, an dem keinerlei Markierungen aufgebracht waren, nicht ab, sondern verschmolz mit dem Untergrund/dem Schatten. Selbst auf dem Foto auf dem, das Seil aus der Nähe aufgenommen ist, hebt es sich optisch kaum vom Untergrund ab. Hinzu kommt, dass das Seil relativ bodennah, in Stoßfängerhöhe gespannt war. Diese äußeren Gegebenheiten am Unfalltag sind unstreitig. Da der Beklagte nicht konkret dargelegt hat, aufgrund welcher Umstände/Anknüpfungstatsachen gleichwohl eine Erkennbarkeit gegeben gewesen sein soll, bestand keine Veranlassung zur Einholung eines gegenbeweislichen Sachverständigengutachtens. Der Beweisantritt ist insofern als ins „Blaue hinein“ zu werten.
47Auch die Tatsache, dass am linken Straßenrand der X-Lkw mit gelbem Rundumwarnblinklicht stand und der Beklagte am Straßenrand mit erhobenen Armen winkte, waren weder für sich genommen noch bei einer Gesamtbetrachtung für einen Idealfahrer in der Rolle des Klägers ein Hinweis für eine auf der Straße befindliche Gefahrenquelle in Form eines gespannten Abschleppseils. Dass jemand versuchen würde, ein Fahrzeug rechtwinklig aus einer gegenüberliegenden Parkbucht quer über die Straße auf die andere Fahrbahnseite zu schleppen, ist ein so abwegiger Vorgang, dass auch ein Idealfahrer nicht damit rechnen musste. Hinzu kommt, dass der Kläger in der Annäherungsphase durch den Sichtwinkel beim Abbiegen nicht erkennen konnte, dass der X-Lkw die Ladefläche herabgelassen hatte. Der Lkw stand kurz hinter dem Kreuzungspunkt auf dem Zebrastreifen. Für den Kläger gab der dort am Straßenrand mit Warnlicht stehender Abschleppwagen allenfalls Anlass auf fahruntüchtige Fahrzeuge oder Fahrzeugteile im Fahrbahnbereich zu achten, war aber kein Signal für ein über die Fahrbahn verlaufendes Seil. Da kein fahruntüchtiges Fahrzeug für den Kläger erkennbar war und auch ansonsten keine Hindernisse optisch auf der Straße erkennbar waren, bestand für den Kläger kein Anlass auf der Höhe des Abschleppwagens oder ansonsten vor Erreichen der Unfallstelle anzuhalten. Aufgrund des Abbiegevorgangs ist auch nicht von einer erheblichen oder unangepassten Geschwindigkeit des klägerischen Fahrzeugs auszugehen. Der Kläger hatte noch vor der Kreuzung einen Fußgänger queren und sodann nach der Annäherung an den Kreuzungspunkt den vorfahrtsberechtigten Kleinwagen passieren lassen, bevor er erneut anfuhr.
48Durch das Winken des Beklagten wurde ebenfalls kein eindeutiger Bezug zu einem Hindernis auf der Straße hergestellt. Zum einen stand der Beklagte nicht direkt am Fahrbahnrand sondern etwas zurück versetzt in der Parkbucht an einem Baum. Zum anderen haben weder der Kläger noch der Beklagte geschildert, dass der Beklagte so engagiert gewunken hat, dass das Winken als Gefahrenwarnung, schon gar nicht in Bezug auf ein bereits auf der Fahrbahn befindliches Hindernis, aufgefasst werden musste. Dementsprechend hat der Kläger das Winken gar nicht auf sich bezogen. Der Beklagte hatte auch keinen Blickkkontakt zu ihm.
49Nach Ansicht der Kammer ist bei der Bewertung der Gesamtsituation insbesondere zu berücksichtigen, dass kurz bevor der Kläger gegen das Seil fuhr, noch ein Kleinwagen genau diese Fahrbahnstelle aus der Gegenrichtung unproblematisch passiert hat. Wie sich aus der im Termin in Augenschein genommenen googlemaps Luftaufnahme (Bl. 9 d.A.) ergibt, liegt die Unfallstelle nur wenige Meter hinter dem Kreuzungsbereich. Zwischen dem Passieren des Kleinwagens und dem Erreichen der Unfallstelle durch den Kläger kann daher nur ein kurzer Zeitraum vergangen sein. Da sich in dieser kurzen Zeit, bis der Kläger nach dem Abbiegen seinerseits diese Stelle erreichte, keine erkennbare Veränderung der Situation auf der Fahrbahn ergeben hat, durfte der Kläger nach Ansicht der Kammer darauf vertrauen, ungehindert dort fahren zu können. Dass zwischenzeitlich das Seil per Fernbedienung von dem X-Fahrer, der für den Kläger verdeckt auf der Fahrerseite des Beklagtenfahrzeugs stand, so unter Spannung gesetzt worden war, dass es ein Hindernis darstellte, konnte der Kläger – wie oben dargelegt – nicht erkennen. Mit einem so groben Fehlverhalten musste er auch nicht rechnen.
50Für den Beklagten ist die Haftung seinerseits nicht gemäß § 17 Abs. 3 StVG ausgeschlossen. Ein sorgfältig handelnder Halter hätte zumindest den Straßenbereich abgesichert, bevor das Seil unter Spannung gesetzt wurde.
513. Der Kläger kann zum einen gemäß § 249 BGB vollen Ersatz der mit dem Klageantrag zu 1.) geltend gemachten materiellen Schäden in Höhe von insgesamt € 8.438,61 verlangen.
52Unstreitig sind insofern die Reparaturkosten in Höhe von € 6.435,58, die Sachverständigenkosten € 716,30 €, die Mietwagenkosten € 1.011,73 sowie die geltend gemachte Auslagenpauschale in Höhe von € 25,-. Für die Zeit bis zur Anmietung des Mietwagens am 28.06.2020 steht dem Kläger auch ein Anspruch auf Nutzungsentschädigung in Höhe von € 250,- zu. Unstreitig war sein Fahrzeug aufgrund des Unfalls am 23.06.2020 nicht mehr fahrsicher. Die Höhe der pro Tag in Ansatz gebrachten Nutzungsentschädigung (€ 50,-) erachtet das Gericht bei dem Fahrzeugtyp VW Touran (EZL 2008) gestützt auf einschlägige Nutzungsersatztabellen im Wege der Schätzung als angemessen. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens dazu wäre bei der Schadenshöhe von insgesamt € 250,- unverhältnismäßig (§ 287 II ZPO).
53Der geltend gemachte Zinsanspruch ist unter Verzugsgesichtspunkten gemäß § 288 Abs. 1 BGB iVm § 286 Abs. 1 BGB gerechtfertigt. Obwohl vorgerichtlich nur mit Kfz-Versicherung des Beklagten korrespondiert wurde, ist auch der Beklagte in Verzug geraten, da der Haftpflichtversicherer bevollmächtigt ist, alle zur Erfüllung oder Abwehr gegen den Versicherten geltend gemachten Schadensersatzansprüche zweckmäßig erscheinenden Erklärungen im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens abzugeben. Daraus folgt, dass die Versicherung auch zur Entgegennahme rechtsverbindlicher Erklärungen und rechtsgeschäftsähnlicher Erklärungen wie Mahnungen und Fristsetzungen bevollmächtigt ist (Stiefel/Maier/Rogler, Kraftfahrtversicherung: AKB, 19. Auflage 2017 § 288 BGB Rn. 4).
544.) Dem Kläger steht auch ein Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von € 780,- gegen den Beklagten zu.
55Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann gemäß § 11 S. 2 StVG eine billige Entschädigung in Geld gefordert werden. Zweck des Schmerzensgeldes ist es den vom Verletzten erlittenen immateriellen Schaden angemessen auszugleichen und dem Verletzten eine Genugtuung für das ihm Angetane zu verschaffen. Für die Bemessung des Schmerzensgeldes sind die maßgeblichen Umstände umfassend zu berücksichtigen und in ein angemessenes Verhältnis zur Art und Dauer der erlittenen Verletzungen zu stellen. Entscheidende Bemessungsfaktoren sind dabei die Umstände, die in der Person des Verletzten liegen. Neben dem Ausmaß und der Schwere der Verletzungen, sind das Alter des Verletzten sowie der weitere Krankheitsverlauf und bleibende Einschränkungen zu berücksichtigen. Mindernd wirkt sich eine besondere Schadensanfälligkeit des Verletzten aus. Ebenfalls können Umstände, die in der Person des Schädigers liegen, bei der Schmerzensgeldbemessung Berücksichtigung finden. Hier ist insbesondere darauf abzustellen, ob der Schädiger vorsätzlich oder grob fahrlässig gehandelt hat. Bei der Bemessung ist darauf zu achten, dass die Gerichte für vergleichbare Verletzungen ein annähernd gleiches Schmerzensgeld gewähren (vgl. Palandt/Grüneberg, BGB, 79.Aufl.,§ 253 Rn. 15 ff m.w.N.).
56Ausgehend von diesen Erwägungen erachtet das Gericht einen Betrag in Höhe von 780,- EUR zur Abgeltung des immateriellen Schadens des Klägers für angemessen, aber auch ausreichend.
57Insofern steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger unfallbedingt eine Verletzung am linken Handgelenk erlitten hat. Die Kammer stützt sich dabei zum einen auf den MRT Befund vom 25.06.2020 (Bl. 39 f d.A.). In der Radiologiepraxis 360° wurde am 25.06.2020 bei einem MRT der Hand und des Handgelenks des Klägers eine leichte Distorsion der radialseitigen Gelenkkapsel des Handgelenks bzw. der Handwurzelknochen mit daran angrenzenden palmarseitigen kleinen Ganglion auf Höhe des Prozessus styloideus radii festgestellt. Dieses Befundergebnis steht zum anderen in Einklang mit der Schilderung des Unfallhergangs durch den Kläger. Dieser hat in seiner persönlichen Anhörung plausibel erläutert, dass er die linke Hand am Lenkrad gehabt und sich im Moment des abrupten Stillstands des Fahrzeugs das Lenkrad maximal verdreht habe und er versucht habe mit der linken Hand gegen zu halten. Der Kläger war wegen dieser Verletzung bis zum 03.07.2020 arbeitsunfähig krank geschrieben. In seiner persönlichen Anhörung hat der Kläger erklärt, dass er verletzungsbedingt eine Orthese getragen und noch bis 4 Wochen nach dem Unfall Schmerzen im linken Handgelenk gehabt habe, gegen die er Ibuprofen als Schmerzmittel eingenommen habe. Folgeschäden seien nicht verblieben. Die Hand sei wieder uneingeschränkt belastbar. Der Beklagte ist dieser Schilderung nicht mehr entgegengetreten, so dass die Ausführungen gemäß § 138 Abs. 3 ZPO zugrunde zu legen sind.
58Vergleicht man die Verletzung des Klägers mit den ausweislich der Schmerzensgeldtabelle bei Hacks/Wellner/Häcker/Offenloch (39.Aufl.) unter Rz. 914 – 926 hinsichtlich Art und Schwere sowie weiterem Verlauf in vergleichbaren Fällen ausgeurteilten Schmerzensgeldbeträgen, so ist unter Berücksichtigung einer Anpassung der Beträge gemäß dem Lebenshaltungsindex sowie der Tatsache, dass vorliegend kein Mitverschulden des Klägers hingegen aber ein erhebliches Verschulden auf Beklagtenseite ins Gewicht fällt, der von Klägerseite beanspruchte Schmerzensgeldbetrag von € 780,- noch angemessen. Eine Erhöhung des Betrages kam angesichts der relativ geringfügigen Verletzung sowie des komplikationslosen Heilungsverlaufs ohne bleibende Verletzungsfolgen jedoch nicht in Betracht.
59Die geltend gemachten Zinsen sind ebenfalls unter Verzugsgesichtspunkten gerechtfertigt.
605.) Der Kläger kann auch Erstattung der mit dem Klageantrag zu 3.) geltend gemachten vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von € 864,47 verlangen. Diese sind von dem Beklagten nach § 249 BGB als erforderliche und zweckmäßige Rechtsverfolgungskosten im Rahmen des Schadensersatzes zu ersetzen.
61Der in Ansatz gebrachte Gegenstandswert in Höhe von € 9.218,61 entspricht dem berechtigten Schadensersatzanspruch des Klägers (€ 8.438,61 + € 780,-). Hieraus ermittelt sich bei einer 1,3 Geschäftsgebühr (€ 725,40) zzgl. Postpauschale (20,00) und 16% Umsatzsteuer (€ 119,27) ein Gesamtbetrag von € 864,47.
62Dieser ist wie beantragt ab Rechtshängigkeit gemäß § 291 BGB zu verzinsen.
63III. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 344 ZPO. Die Kosten der Säumnis sind nicht dem Beklagten aufzuerlegen, da das Versäumnisurteil vom 30.12.2020 nicht in gesetzlicher Weise ergangen ist. Die Verteidigungsanzeige des Beklagten vom 17.12.2020 war zwar der Kammer im Zeitpunkt als das unterzeichnete Versäumnisurteil an die Geschäftsstelle übermittelt worden ist, nicht bekannt und lag auch nicht in der Geschäftsstelle der 17. Zivilkammer vor. Sie war jedoch bereits am 22.12.2020 beim Landgericht Bonn eingegangen (vgl. Zustellbestätigung Bl. 62). Ausreichend dafür, dass das Versäumnisurteil gemäß § 331 Abs. 3 S.1 2.HS ZPO nicht hätte ergehen dürfen, ist bereits der Eingang der Verteidigungsanzeige bei Gericht (OLG Düsseldorf, Beschluss v. 18.06.1996, 10 W 53/96, BeckRS 1996, 05521). Dass schon eine Weiterleitung an die Geschäftsstelle der Kammer erfolgt sein muss, ist der Regelung des § 331 Abs. 3 ZPO nicht zu entnehmen (MüKo/Prütting, ZPO § 331 Rz. 42; a.A. KG MDR 1989, 1003).
64Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.
65Streitwert: bis 10.000,- €
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