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Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand:
2Der Kläger erwarb für seinen Gewerbebetrieb mit Vertrag vom 15.06.2016 (Anl. K1a, Bl. ## GA) von der Beklagten den im Klageantrag zu 1) bezeichneten Pkw W $$$ 000$ als Gebrauchtwagen zu einem Kaufpreis von 61.900,00 € brutto. Die Umsatzsteuer wurde dem Kläger in der Folge erstattet. Bei Übergabe an den Kläger hatte das Fahrzeug einen Kilometerstand von 28.019 km. Am 03.08.2020 betrug der Kilometerstand 115.126 km.
3Der Kläger schloss zur Finanzierung des Kaufs einen „Darlehensvertrag Existenzgründer“ (Anl. K1b, Bl. # GA) mit der W-Bank AG ab, der Kreditkosten einschließlich Zinsen in Höhe von 7.063,54 € vorsah. Zur Sicherung des Darlehens übereignete der Kläger den Pkw an die finanzierende Bank. In den AGB der finanzierenden Bank, deren Einbeziehung in den Vertrag mit dem Kläger streitig ist, heißt es u.a.:
4„2. Abtretung von sonstigen Ansprüche
5Der Darlehensnehmer tritt ferner hiermit folgende – gegenwärtige und zukünftige - Ansprüche an die Bank ab, die diese Abtretung annimmt [...]
6 gegen den Verkäufer für den Fall einer Rückgängigmachung des finanzierten Vertrages oder Herabsetzung der Vergütung
7gegen die Z AG [...] oder einen Vertreter der Z AG, gleich aus welchem Rechtsgrund. Ausgenommen von der Abtretung sind Gewährleistungsansprüche aus Kaufvertrag des Darlehensnehmers gegen die Z AG oder einen Vertreter der Z AG. Der Darlehensnehmer hat der Bank auf Anforderung jederzeit die Namen und die Anschriften der Drittschuldner mitzuteilen.
83. Offenlegung der Abtretung
9Die Bank wird die Abtretung nur dann offen legen, wenn der Darlehensnehmer sich mit mindestens zwei Monatsraten oder nach Kündigung mit dem zahlbaren Betrag in Verzug befindet, ihm die Offenlegung angedroht ist und trotz Gewährung einer Frist von zwei Wochen die Zahlungsrückstände nicht beglichen sind. Der Darlehensgeber ist berechtigt, bei Gefahr in Verzug auf Androhung und Fristsetzung zu verzichten.“
10Hersteller des Fahrzeugs ist die Beklagte. Für das Fahrzeug besteht eine Typengenehmigung nach RL (EG) Nr. 2007/46 iVm VO (EG) Nr. 715/2007, die Voraussetzungen für die Marktzulassung des Fahrzeugtyps ist und zu deren Erhalt Emissionsgrenzwerte eingehalten werden müssen. Die hierfür maßgeblichen Abgaswerte werden unter Laborbedingungen gemessen. Hierzu müssen die zuzulassenden Fahrzeuge einen Standardprüfstandzyklus (sog. Neuer Europäischer Fahrzyklus (NEFZ)) durchfahren, mit denen auf dem Prüfstand typische Nutzungsbedingungen eines Fahrzeugs simuliert werden. Nach den aufgrund der Typengenehmigung durchzuführenden Abgastests hält der streitgegenständliche Fahrzeugtyp – was Voraussetzung der Erteilung der Typengenehmigung war – auch hinsichtlich des Ausstoßes von Stickoxiden (NOx) die Vorgaben der zum Zeitpunkt der Erstzulassung einzuhaltenden EURO6-Norm ein.
11In das Fahrzeug ist ein Dieselmotor des Typs $$000 mit SCR-Katalysator (sog. „BlueTec“-Technologie) eingebaut, der von der Beklagten entwickelt und hergestellt worden ist. Zur Abgasreduzierung wird in diesem Motor u.a. ein Abgasrückführungssystem (AGR-System) verwendet. Hierbei wird ein Teil des Abgases in das Ansaugsystem des Motors zurückgeführt und nimmt erneut an der Verbrennung teil, wodurch Luftsauerstoff zum Teil durch Kohlendioxid ersetzt wird, die Verbrennungsspitzentemperatur sinkt und geringere Stickoxid-(NOx-)Emissionen entstehen (sog. BlueTec“-Technologie). Außerdem wird zur Reduzierung der Stickoxid-Emissionen eine Harnstofflösung im SCR-Katalysator in das Abgas eingespritzt. Die Katalyse von AdBlue im SCR-Katalysator bewirkt, dass aus dem Harnstoff Ammoniak (NH3) und Kohlendioxid (CO2) entsteht. Das NH3 reagiert mit Sauerstoff (O2) und Stickstoff (NOx) zu Stickstoff (N) und Wasser (H2O).
12Die Menge der Abgasrückführung und die Zufuhr von Harnstofflösung in den SCR-Katalysator wird u.a. temperatur- und drehzahlabhängig gesteuert (vom Kläger „Thermofenster“, von der Beklagten „parameterabhängige Steuerung“ genannt). Die Funktionsweise ist zwischen den Parteien streitig.
13Das Kraftfahrt-Bundesamt ordnete mit nicht bestandskräftigem Bescheid vom 03.08.2018 nachträgliche Nebenbestimmungen bezüglich der Steuerungssoftware für bestimmte Fahrzeuge Nebenbestimmungen zur erteilten EG-Typengenehmigung im Hinblick auf das Emissionskontrollsystem an, wonach bestimmte Fahrzeuge nachzurüsten waren. Die Beklagte bot für vom Rückruf betroffene Fahrzeuge sukzessive ein kostenfreies, vom KBA freigegebenes Software-Update an, mit welchem das Emissionskontrollsystem modifiziert wurde. Für das streitgegenständliche Fahrzeug wurde das Software-Update vorgenommen.
14Mit Schreiben vom 14.11.2018 setzte der Kläger der Beklagten eine Frist zur Nacherfüllung des Vertrages. Mit Schreiben vom 11.02.2019 erklärte er den Rücktritt vom Kaufvertrag.
15Mit der am 05.03.2019 bei Gericht eingegangenen und der Beklagten am 10.05.2019 zugestellten Klage begehrt der Kläger die Rückabwicklung des Kaufvertrages bzw. Schadensersatz. Er ist der Ansicht, er sei aktivlegitimiert, da der Offenlegungsfall gemäß den AGB der finanzierenden Bank nicht eingetreten sei. Er behauptet, das Fahrzeug sei mit einer unzulässigen „Abschalteinrichtung“ ausgestattet. Der in das Fahrzeug eingebaute Motor sei mit einer Motor-Software zur Optimierung der Stickstoff-Emissionswerte im behördlichen Prüfverfahren ausgestattet. Die Software erkenne, ob sich das Fahrzeug auf einem technischen Prüfstand zur Ermittlung der Emissionswerte oder im üblichen Straßenverkehr befinde. Auf dem Rollenprüfstand spiele die eingebaute Software beim Stickstoff-Ausstoß ein anderes Motorprogramm ab als im Normalbetrieb. Das Fahrzeug verfüge über ein „Thermofenster“. Bei bestimmten Außentemperaturen, z.B. unter 15°C, werde die Abgasrückführung reduziert oder ganz abgeschaltet („Thermofenster“), mit der Folge dass die Stickoxidemission erheblich ansteige. Gleichzeitig behauptet er, wohl erstmals werde die Abgasrückführung bei kühleren Temperaturen von 7°C um wohl 45% zurückgefahren. Ferner werde die Abgasrückführung auch ab einer bestimmten Drehzahl reduziert oder gar in Gänze abgeschaltet. Er ist der Ansicht, dies stelle eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 3 Nr. 10, 5 Abs. 1 VO 715/2007/EG dar.
16Die Beklagte habe die Dieselmotoren mit dem Ziel des maximalen Gewinnertrages und der Marktführerschaft entwickelt, welche die strengen gesetzlichen Voraussetzungen mit der vorgenannten Softwaretechnik erreiche. Die Beklagte habe massenhaft und mit erheblichem technischen Aufwand gesetzliche Umweltvorschriften ausgehebelt und zugleich Kunden manipulierend beeinflusst, indem sie bzw. ihre Mitarbeiter im Prüfstand-Modus das Emissionskontrollsystem anders steuerten, die Motorsteuerung nur bei der Prüfstandfahrt in einem Modus mit höherer Abgasrückführung und dadurch geringere Stickoxid-Werten brachten, wohingegen der Motor im realen Fahrbetrieb eine geringere Abgasrückführung und damit höhere Stickoxidwerte aufgewiesen habe. Der Vorstand der Beklagten habe Kenntnis von dem Einbau der unzulässigen Abschalteinrichtung gehabt.
17Er ist der Ansicht, ihm stünden gegen die Beklagte deshalb Ansprüche aus §§§ 437, 434, 439 BGB bzw. §§ 826, 823 Abs. 2 BGB iVm § 263 StGB, § 27 EG-FGV bzw. § 831 BGB bzw. § 16 UWG zu. Er behauptet, die Beklagte habe ihn über die Gesetzeskonformität des Fahrzeugs getäuscht. Sie habe ihm ein Fahrzeug verschafft, das einen erheblichen höheren Schadstoffausstoß besitze, als seitens der Beklagten angegeben worden sei. Für ihn sei gerade die Werbung der Beklagten mit der besonderen Umweltfreundlichkeit des Fahrzeugtyps ein besonderes entscheidendes Kaufargument gewesen. Bei Kenntnis der Abschalteinrichtung hätte er das Fahrzeug nie gekauft. Sein Fahrzeug habe mit Bekanntwerden des sog. Diesel-Abgasskandals einen erheblichen Wertverlust erlitten. Insgesamt sei sein Vertrauen in Fahrzeuge der Beklagten grundlegend erschüttert. Eine weitere Nutzung des Fahrzeugs sei für ihn nicht hinnehmbar.
18Er beantragt,
191. die Beklagte zu verurteilen, Zug-um-Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeuges mit der Fahrgestellnummer $$$0000000$000000 an ihn 68.963,54 € nebst Zinsen in Höhe von 4 Prozent seit dem 15.06.2016 aus 61.900,- € und weitere 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 7.063,54 € seit Rechtshängigkeit zu zahlen
20hilfsweise:
212. die Beklagte zu verurteilen, Zug-um-Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeuges mit der Fahrgestellnummer $$$0000000$000000 an ihn 68.963,54 € nebst Zinsen in Höhe von 4 Prozent seit dem 15.06.2016 aus 61.900,- € und weitere 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 7.063,54 € seit Rechtshängigkeit zu zahlen
22Zug-um-Zug gegen Abtretung des Herausgabe- und Übereignungsanspruchs bzgl. des W $$$ 000$ mit der Fahrgestellnummer $$$0000000$000000 gegenüber der W Bank AG, X-Straße, 00000 Q aus dem Darlehensvertrag mit der Nr. 00000000, welchen der Kläger mit der W Bank AG am 15.06.2016 über das Fahrzeug mit der Fahrgestellnummer $$$0000000$000000 geschlossen hat;
233. festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Annahme des Fahrzeugs mit der Fahrgestellnummer $$$0000000$00000 in Annahmeverzug befindet;
244. die Beklagte zu verurteilen, ihn von außergerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von 2.561,83 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit freizustellen.
25Die Beklagte beantragt,
26die Klage abzuweisen.
27Sie bestreitet die Aktivlegitimation des Klägers und erhebt die Einrede der Verjährung und beruft sich auf eine Verkürzung der Verjährung auf ein Jahr im Rahmen ihrer einbezogenen Gebrauchtfahrzeug-Verkaufsbedingungen. Sie behauptet, die Steuerung der Emissionskontrollsysteme erfolge generell abhängig vom jeweiligen Betriebszustand. Dies habe nichts mit einer Prüfstanderkennung zu tun, sondern entspreche dem Industriestandard, der für jeden Betriebszustand eine jeweils effektive Lösung vorsehe und anwende, die den gesetzlichen Anforderungen genüge. Die Systemauslegung müsse etwa eine Überdosierung von AdBlue vermeiden, weil andernfalls überschüssiges – schädliches – Ammoniak austreten würde. Hierzu enthalte die Steuerungssoftware unterschiedliche Berechnungsmodelle zur Dosierung des AdBlue, die u.a. unterschiedliche Temperaturen, höhere Motorlast etc. berücksichtigten. Die temperaturabhängige Steuerung der Abgasrückführung sei zum Schutz des Motors vor Schäden durch Versottung des Motors und zum Schutz des Partikelfilters erforderlich. Sie ist der Ansicht, die Motorsteuerungssoftware sei deshalb auch gemäß Art. 5 Abs. 2 Satz 2 lit. a) der Verordnung 715/2007/EG zulässig.
28Entscheidungsgründe:
29Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte keine Ansprüche auf Rückzahlung des Kaufpreises und dessen Verzinsung Zug um Zug gegen Abtretung des Herausgabe- und Übereignungsanspruchs bzgl. des Pkw gegen die Finanzierungsbank.
301. Ein vertraglicher Rückabwicklungsanspruch des Klägers ergibt sich nicht aus §§ 433, 434, 440, 281 Abs. 2, 323 Abs. 2 BGB.
31Es bedarf keiner Klärung, ob der Kläger zur Geltendmachung von Gewährleistungsansprüchen gegen die Beklagte berechtigt ist oder die Ansprüche auf Rückabwicklung des Kaufvertrages gemäß Ziff. II Nr. 2 der AGB der finanzierenden Bank an die finanzierende Bank abgetreten wurden oder diese ausgenommen als Gewährleistungsansprüche gegen die Beklagte von der Abtretung ausgenommen sind.
32Ebenso kann offenbleiben, ob das Fahrzeug bei Übergabe mangelhaft war, weil es mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne der Art. 5 Abs. 1 VO(EG) 715/2007 ausgestattet war. Zwar sind Fahrzeuge, deren Motor mit einer unzulässigen Abschaltautomatik ausgestattet sind, im Falle eines Verkaufs – sofern die Parteien hierzu nichts abweichendes vereinbaren – mangelbehaftet. Denn nach § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB ist der Kaufgegenstand frei von Sachmängeln, wenn er sich für die gewöhnliche Verwendung eignet und eine Beschaffenheit aufweist, welche bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die der Käufer nach der Art der Sache erwarten kann. Wie der Bundesgerichtshof im Hinweisbeschluss vom 08.01.2019 – VIII ZR 225/17– sowie im Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19 – (jeweils juris.de) zu der im dortigen Fall streitgegenständlichen Verwendung der Steuerungssoftware in Dieselmotoren des Herstellers G des Typs $$ 001 ausgeführt hat, ist ein Fahrzeug regelmäßig nicht frei von Sachmängeln, wenn bei Übergabe an den Käufer eine – den Stickoxidausstoß auf dem Prüfstand gegenüber dem normalen Fahrbetrieb reduzierende – Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 3 Nr. 10 VO 715/2007/EG installiert ist, die gemäß Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO 715/2007/EG unzulässig ist. Dies hat zur Folge, dass dem Fahrzeug die Eignung für die gewöhnliche Verwendung im Sinne von § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB fehlt, weil die Gefahr einer Betriebsuntersagung durch die für die Zulassung zum Straßenverkehr zuständige Behörde (§ 5 Abs. 1 Fahrzeug-Zulassungsverordnung - FZV) besteht und somit bei Gefahrübergang der weitere (ungestörte) Betrieb des Fahrzeugs im öffentlichen Straßenverkehr nicht gewährleistet ist. Ob das streitgegenständliche Fahrzeug zur Zeit seiner Übergabe an den Kläger über eine derartige unzulässige Abschaltautomatik verfügte oder nicht, und ob das Fahrzeug deshalb kaufrechtlich als mangelhaft anzusehen ist, kann offen bleiben.
33Denn etwaige vertragliche Ansprüche auf Rückabwicklung des Kaufvertrages sind jedenfalls nicht mehr durchsetzbar, weil sie unabhängig von einer etwaigen vertraglichen Verkürzung der Verjährungsfrist verjährt sind. Gemäß § 438 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 BGB verjähren Gewährleistungsansprüche beim Kaufvertrag innerhalb von 2 Jahren ab Ablieferung der Sache. Unstreitig wurde der Klagepartei der Pkw am 15.06.2018 übergeben, so dass Verjährung mit Ablauf des 14.06.2018 eintrat. Die Ansprüche verjährten auch nicht abweichend hiervon gemäß § 438 Abs. 3 BGB in der regelmäßigen Verjährungsfrist. Dies ist nur der Fall, wenn der Verkäufer den Mangel arglistig verschwiegen hat. Erforderlich ist der mindestens bedingte Vorsatz des Verkäufers, den Kaufentschluss des Käufers möglicherweise zu beeinflussen (BGH NJW, 1957, 988; 1971, 1795, 1800; 1977, 1914). Der Verkäufer muss also das Vorhandensein des Fehlers kennen oder mit der Möglichkeit des Vorhandenseins rechnen (BGH NJW 2007, 835, 836). Bei (dringendem) Verdacht der Fehlerhaftigkeit besteht eine Offenbarungspflicht (BGH NJW 1991, 2900; BGHZ 117, 363, 368). Bei Täuschung durch Verschweigen eines offenbarungspflichtigen Mangels handelt arglistig, wer einen Fehler mindestens für möglich hält, gleichzeitig weiß oder damit rechnet und billigend in Kauf nimmt, dass der Vertragsgegner den Mangel nicht kennt und bei Offenbarung den Vertrag nicht oder nicht mit dem vereinbarten Inhalt geschlossen hätte (BGHZ 123, 363; 117, 363, 368; BGH NJW 1990, 42). Die Beweislast für die Arglist des Verkäufers trägt der Käufer (vgl. Palandt, BGB, 73. Aufl., § 123 Rn. 30). Der Kläger hat indes nicht schlüssig dargelegt, dass die Beklagte einen Sachmangel arglistig verschwiegen hat.
34Hierfür genügt nicht, dass das Fahrzeug in objektiver Hinsicht mangelhaft war, weil das Emissionskontrollsystem objektiv unzulässige Abschaltvorrichtungen im Sinne der Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007 aufwies, und den Vertretungsorganen der Beklagten im Sinne des § 31 BGB die Funktionsweise des Emissionskontrollsystems bekannt war. Erforderlich ist vielmehr, dass die gesetzlichen Vertreter der Beklagten, deren Wissen sich die Beklagte entsprechend § 31 BGB zurechnen lassen muss, die Unzulässigkeit der Steuerung der Abgasrückführung im Emissionskontrollsystem des Motors bei Übergabe des Fahrzeugs erkannten oder jedenfalls mit ihr rechneten und billigend in Kauf nahmen und die Funktionsweise des Emissionskontrollsystems deshalb bewusst verschleierten. Hierzu hat der Kläger nicht ausreichend vorgetragen.
35Zwar könnte auf einen Täuschungsvorsatz der Beklagten geschlossen werden, wenn die Motorsteuerungssoftware das Emissionskontrollsystem bzw. die Abgasreinigung durch eine Prüfstanderkennung nur im Falle des Durchfahrens des NEFZ auf dem Rollenprüfstand im vollen Umfang aktiviert wäre. Das entsprechende Vorbringen des Klägers, bei den Motoren $$000 und $$002 sei „flächendeckend per Software die Stickoxidwerte mithilfe eines Computerprogramms gesenkt worden, aber nur auf dem Prüfstand“, ist indes unbeachtlich, weil es in bloßer Spekulation ins Blaue hinein erfolgte. Tatsächliche Anhaltspunkte für die Existenz einer Prüfstanderkennung hat der Kläger nicht vorgetragen und ergeben sich insbesondere nicht aus nicht vorgelegten Artikeln der ZY.de. Vielmehr widerspricht seine Darlegung der Verwendung und Funktionsweise einer temperatur- und einer drehzahlabhängigen Steuerung der Abgasrückführung im streitgegenständlichen Fahrzeug gerade der Behauptung, dass eine Prüfstanderkennung das Abgaskontrollsystem außerhalb des Prüfstands ganz oder teilweise deaktiviere. Vielmehr soll auch nach den Darlegungen des Klägers die Abgasrückführung allein abhängig von Außentemperatur und Drehzahl gesteuert sein, und zwar hinsichtlich der Temperatursteuerung erstmals bei Außentemperaturen von unter 15°C bzw. 7°C, also bei Temperaturen deutlich unter der Prüfstandtemperatur von mindestens 20°C.
36Auch die Funktionsweise des „Thermofensters“ hat der Kläger so vage und widersprüchlich umschrieben, dass auf der Grundlage des Klagevortrags bereits nicht geprüft werden kann, ob eine unzulässige Abschalteinrichtung vorliegt. Denn einerseits hat er vorgetragen, dass ab einer bestimmten Temperatur „z.B. unter 15°C“ die Abgasrückführung reduziert oder ganz abgeschaltet werde, andererseits hat er angegeben, die Abgasrückführung werde „wohl erstmals bei 7°Celsius“ zurückgefahren. Beiden Behauptungen ist nicht zu entnehmen, in welchem Umfang die Abgasrückführung nach Klägervortrag reduziert werden soll und ob hierdurch bereits bei 15°C oder ab welcher niedrigeren Temperatur die Emissionskontrolle so weit beeinträchtigt ist, dass die Stickoxidgrenzwerte nicht mehr eingehalten werden.
37Unabhängig hiervon genügt dieser Vortrag jedenfalls nicht zur Darlegung, dass die Beklagte dem Kläger einen durch eine temperatur- und drehzahlgesteuerte Abgasrückführung verursachten Sachmangel arglistig verschwieg. Es kann insoweit offen bleiben, ob die Beklagte im Rahmen einer sekundären Darlegungslast verpflichtet ist, zu den internen Entscheidungen bezüglich des Einsatzes der Steuerungssoftware substantiiert vorzutragen. Denn die Beklagte ist dieser sekundären Darlegungslast nachgekommen, indem sie vorgetragen hat, dass sie im Einklang mit den Fachkreisen und Zulassungsbehörden ihr Emissionskontrollsystem einschließlich der Steuerung der Abgasrückführung insbesondere im Hinblick auf einen erforderlichen Motorschutz für zulässig erachtet habe. Dies hat der Kläger nicht qualifiziert bestritten.
38Es gibt auch keinen allgemeinen Erfahrungssatz, dass ein Hersteller eines objektiv mangelhaft entwickelten und nicht zulassungsfähigen Produktes Vorrichtungen verwendet hat, um Zulassungsbehörden über die Mangelfreiheit des Produktes zu täuschen. Ebenso wenig gibt es einen allgemeinen Erfahrungssatz, dass der Entwickler eines nicht zulassungsfähigen Produktes weiß oder damit rechnet, dass sein Produkt nicht zulassungsfähig ist, und zwar erst recht dann nicht, wenn das Produkt tatsächlich zugelassen wird.
39Der Vortrag der Beklagten ist auch nicht von vornherein unplausibel und deshalb unbeachtlich. Der Kläger hat schon nicht bestritten, dass die Reduzierung der Abgasrückführung jedenfalls auch der Vermeidung von Motorschäden dient. Er ist lediglich der Ansicht, dass eine Abschalteinrichtung auch dann unzulässig ist, wenn diese zum Zwecke des Motorschutzes vorgesehen sei bzw. wenn sich die Abschalteinrichtung durch Konzeption, Konstruktion oder Werkstoffwahl vermeiden lässt. Darauf, ob diese Rechtsauslegung des Klägers zutreffend ist, kommt es nicht an. Denn die Beklagte hat substantiiert dargelegt, dass sie selbst davon ausgegangen sei, dass die die von ihr gewählte Steuerung der Abgasrückführung zur Abgassteuerung und zum Schutz des Motors und des Abgasrückführungssystems erforderlich und damit im Rahmen des Art. 5 Abs. 2 Satz 2 lit. a) VO(EG) 715/2007 rechtlich zulässig wäre. Diese Rechtsauffassung mag unzutreffend gewesen sein, jedenfalls aber nicht unvertretbar. Denn es ist nicht zwingend davon auszugehen, dass „Thermofenster“ per se immer als unzulässige Abschalteinrichtungen zu qualifizieren sind; dies folgt bereits aus der Regelung in Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007, die nicht so eindeutig formuliert ist, dass sich die Verwendung einer temperaturabhängigen oder sonst variablen Abgasrückführung eindeutig und unzweifelhaft als unzulässig darstellen müssen (OLG Nürnberg, Urt. v. 19.07.2019 - 5 U 1670/18). Es ist daher auch nicht von vornherein unglaubhaft, dass die Beklagte die Regulierung der Abgasrückführung im Rahmen des Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007 als zulässig angesehen haben will. Auch das Kraftfahrt-Bundesamt beanstandet gerichtsbekannt Thermofenster nicht generell als unzulässige Abschalteinrichtungen. Ob sich der Beklagten eine andere Rechtsauffassung hätte aufdrängen müssen, bedarf keiner Klärung, weil dies allenfalls den Vorwurf grober Fahrlässigkeit, nicht aber den Vorwurf des Vorsatzes der Beklagten begründen könnte.
40Schließlich ist es entgegen der Ansicht des Klägers auch nicht Sache der Beklagten darzulegen, „welche weiteren Abschalteinrichtungen verbaut sind, die bisher noch niemand gefunden hat“. Es ist Sache des Klägers, zum Vorliegen von Sachmängeln konkret vorzutragen. Aus einer rein spekulativen Annahme des Klägers ins Blaue hinein, es könne bislang nicht entdeckte Abschalteinrichtungen geben, folgt demgegenüber keine sekundäre Darlegungslast der Beklagten.
412. Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Zahlungsanspruch auch nicht aus § 826 BGB zu. Nach dieser Vorschrift ist derjenige, der in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen vorsätzlich Schaden zufügt, diesem zum Ersatz dieses Schadens verpflichtet. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Es kann offen bleiben, ob derartige deliktische Ansprüche von der Abtretungsvereinbarung mit der Finanzierungsbank umfasst sind und der Kläger deshalb bereits nicht aktivlegitimiert ist. Denn die Beklagte hat dem Kläger nicht in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise vorsätzlich einen Schaden zugefügt, so dass der geltend gemachte Anspruch nicht besteht.
42Zwar kann das Inverkehrbringen von Dieselmotoren zum Zweck des Weiterverkaufs und Einbaus in Fahrzeuge des Konzerns der Beklagten, deren Motorsteuerungssoftware mit einer im Sinne von Art. 3 Nr. 10 VO 715/2007/EG installiert ist, die gemäß Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO 715/2007/EG unzulässigen Abschaltautomatik der Abgasregulierung programmiert ist, ohne jedenfalls die Vertriebspartner und Endkunden über den durch die Verwendung der Motorsteuerungssoftware verursachten Sachmangel aufzuklären, grundsätzlich als vorsätzliche sittenwidrige Schädigung angesehen werden.
43Jedenfalls ist das Handeln der Beklagten weder in Bezug auf eine Schädigung des Klägers vorsätzlich noch sittenwidrig. Sittenwidrig ist eine Handlung, die nach Inhalt oder Gesamtcharakter, der durch zusammenfassende Würdigung von Inhalt, Beweggründen und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt (BGH, Urt. v. 28.06.2016, VI ZR 536/15, Rn. 16 – juris), d.h. mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht vereinbar ist. Nicht jedes Streben nach Kostensenkung und Gewinnmaximierung stellt sich per se als verwerflich dar, sondern nur ein solches „um jeden Preis“ auch unter in Kauf genommenem Verstoß gegen gesetzliche Vorschriften (OLG Köln, Beschl. v. 04.07.2019, 3 U 148/18, Rn. 6 a.E. – juris; vgl. auch OLG Stuttgart, Urt. v. 30.07.2019, 10 U 134/19, Rn. 76-91 – juris). Insoweit hat der Bundesgerichtshof und so auch die Kammer in den Fällen des sog. „G-Abgasskandals“ entschieden, dass der Einsatz einer Software sittenwidrig ist, die keinerlei technischen Nutzen hat, sondern deren einziger Zweck es ist, unter Testbedingungen – und nur unter diesen Testbedingungen – günstigere Werte zu erzielen (BGH, Urt. v. 25.05.2020 – VI ZR 252/19 – Rn. 16, juris). Eine ausschließlich auf den Testzyklus zugeschnittene Programmierung der Abgasbehandlung kann nur als unzulässige Umgehung der einschlägigen Vorschriften angesehen werden, mit der kein Kunde rechnen muss. Der Vorwurf der Sittenwidrigkeit resultiert hierbei aus der vorsätzlichen Täuschung durch den Hersteller, der ein mangelhaftes Produkt auf den Markt bringt. Hat der Kläger eine derartige Programmierung aber nicht hinreichend dargelegt. Soweit der Kläger im Übrigen der Ansicht ist, die temperatur- und drehzahlabhängige Steuerung der Abgasrückführung stelle eine unzulässige Abschalteinrichtung dar, hat der Kläger, wie ausgeführt, nicht dargelegt, dass die Beklagte mit einem wenn auch nur bedingten Vorsatz der Rechtswidrigkeit der Steuerung der Abgasrückführung und damit mit dem erforderlichen Schädigungsvorsatz handelte
443. Da der Kläger einen Täuschungs- und Schädigungsvorsatz der Beklagten bereits nicht dargelegt und bewiesen hat, kommt auch ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB iVm § 263 Abs. 1 StGB nicht in Betracht.
454. Ebensowenig besteht ein Schadensersatzanspruch des Klägers gegen die Beklagte aus § 823 Abs. 2 BGB iVm §§ 6, 27 Abs. 1 EG-FGV. Denn §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV sind keine den Kläger schützenden Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB. Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB ist jede Rechtsnorm, die zumindest auch dazu dienen soll, einen Einzelnen oder einen bestimmten Personenkreis gegen die Verletzung eines bestimmten Rechtsinteresses zu schützen (vgl. BGHZ 40, 306; 160, 134; 188, 326; 192, 90; Reinking/Eggert, Der Autokauf, 13. Aufl. 2017, Rn. 1896; Palandt, BGB, 79. Aufl., § 823 Rn. 58). Der Schutz eines Einzelnen ist dabei nicht bereits dann bezweckt, wenn er als Reflex einer Befolgung der Norm objektiv erreicht wird, sondern nur dann, wenn der Gesetzgeber dem Einzelnen selbst die Rechtsmacht in die Hand geben wollte, mit Mitteln des Privatrechts gegen denjenigen vorzugehen, der das Verbot übertritt und sein Rechtsinteresse beeinträchtigt (vgl. BGHZ 40, 306; 188, 326; 192, 90). Da die Richtlinie keine unmittelbare Wirkung innerhalb des nationalen Rechts entfaltet, sondern der Umsetzung durch den nationalen Gesetzgeber bedarf, kann sich auch ihr zumindest unmittelbar keine Schutzwirkung für individuellen Rechtsschutz ergeben. Dieser könnte sich allenfalls aus dem Zusammenspiel der Richtlinie mit der VO (EG) Nr. 715/2007 ergeben. Auch von dem Normgeber der VO (EG) Nr. 715/2007 ist indes ein individueller Rechtsschutz nicht beabsichtigt, weil dieser Aspekt weder in der Verordnung selbst noch in dem Vorspann dieser Verordnung an irgendeiner Stelle zum Ausdruck kommt (Reinking/Eggert, aaO., Rn. 1897; Riehm DAR 2016, 12, 13 unter III.2.). Die ausweislich der dort formulierten Zielsetzung einer Vollendung des Binnenmarktes durch die Einführung gemeinsamer technischer Vorschriften zur Begrenzung der Emissionen zeigt vielmehr, dass der Schutz der Gesundheit des Einzelnen lediglich aus einer Reflexwirkung dieser Verordnung folgt (Reinking/Eggert, aaO., Rd. 1897). Allein diese Reflexwirkungen ermöglichen indes keine Einstufung der VO (EG) Nr. 715/2007 sowie der zu ihrer Durchführung verfassten VO (EG) Nr. 692/2008 als Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB (so auch OLG Braunschweig, Urt. v. 19.02.2019 – 7 U 134/17 –, juris).
465. Schließlich bestehen auch keine Ansprüche des Klägers gegen die Beklagte aus §§ 823 Abs. 2 BGB, 16 UWG. Der Kläger hat weder konkret dargelegt, dass die Beklagte mit unzutreffenden Angaben geworben hat, noch dass die entsprechende Werbung für die Kaufentscheidung des Klägers ursächlich war.
47III.
48Da dem Kläger ein Anspruch schon dem Grunde nach nicht zusteht, hat er auch keinen Anspruch auf Feststellung, dass sich die Beklagte mit der Annahme der im Falle einer Rückabwicklung vom Kläger geschuldeten Gegenleistung in Annahmeverzug befindet. Ebensowenig besteht ein Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten.
49IV.
50Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
51Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S. 1 und 2 ZPO.
52Gegenstandswert: 68.963,54 €