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Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 39.417,55 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 38.379,28 EUR ab dem 07.07.2011 und im Übrigen ab dem 18.04.2012 zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin die weiteren Aufwendungen zu ersetzen, die ihr aus Anlass des Unfalls ihres Versicherten L vom 11.09.2009 entstanden sind und zukünftig entstehen, soweit die Schadensersatzansprüche des Versicherten der Klägerin gemäß § 116 SGB X auf die Klägerin übergegangen sind.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand:
2Die Klägerin ist als Körperschaft des öffentlichen Rechts gesetzlicher Unfallver- sicherungsträger. Sie nimmt die Beklagte auf Ersatz von Aufwendungen für einen Arbeitsunfall in Anspruch.
3Der Zeuge L war am 11.09.2009 Elektromonteur bei der S AG in F. Hierbei handelt es sich um ein Mitgliedsunternehmen der Klägerin. Am 11.09.2009 übersprang der Zeuge einen Zaun und verletzte sich hierbei schwer. Er erlitt eine Calcaneusfraktur (Fersenbeinbruch), die operativ versorgt werden musste, sodass der Zeuge am 01.10.2009 in der Universitätsklinik Bonn stationär aufgenommen wurde und dort bis zum 10.10.2009 verblieb. Nach in der Folgezeit in Anspruch genommener weiterer ambulanter Behandlung musste er vom 04.11.-11.11.2009 erneut stationär in der Uniklinik aufgenommen werden. Nach wiederum ambulanter Behandlung und einer Arbeitsbelastungserprobung war der Zeuge am 26.04.2010 wieder arbeitsfähig. Gleichwohl bestehen bis zum heutigen Zeitpunkt insbesondere noch unfallbedingte Beschwerden in Form von täglichen Schmerzen im Fuß, einer Bewegungseinschränkung im linken oberen Sprunggelenk, einer Einsteifung des linken unteren Sprunggelenks, einer Aufhebung des Tubergelenkwinkels sowie der Notwendigkeit des Tragens orthopädischer Schuhe und Einlagen.
4Die Klägerin hat den Vorfall inzwischen mit Rentenbescheid vom 06.07.2010 auf Basis einer unfallbedingten MdE von 20 % als Arbeitsunfall anerkannt und in Folge des Unfallereignisses Aufwendungen für Heilbehandlungskosten, Medikamente, Hilfsmittel, Reisekosten im Heilverfahren, Krankentransportkosten, Physikalische Therapie sowie Verletztengeld zuzüglich der darauf zu entrichtenden Beiträge zur Sozialversicherung, und durch Zahlung einer Verletztenrente in Höhe von 39.417,55 EUR erbracht. Wegen der weiteren Einzelheiten insoweit wird auf die Leistungsaufstellungen (Anlagen K 8 – K 11 zur Klageschrift, Blatt ## – ## GA) Bezug genommen.
5Die Beklagte ist Eigentümerin eines Hausgrundstückes in X, H-Straße ##. Es wird im Nordwesten von der H-Straße, und im Südosten von der F-Straße begrenzt. Das mit einem Zaun eingefriedete Grundstück kann von beiden Straßen aus, jeweils durch ein Gartentor betreten werden. Die Beklagte ist Halterin eines Retriever Labrador-Mischlings. An dem in der H-Straße gelegenen Tor ist daher ein mit der Abbildung eines Hundekopfes versehenes Warnschild angebracht, auf dem sich daneben der Text „Hier wache ich! Betreten auf eigene Gefahr“ befindet. Wegen der weiteren Einzelheiten insoweit wird auf den Auszug aus dem Liegenschaftskataster, Anlage K 1, Bl. ## GA, sowie die von den Parteien zu den Akten gereichten Lichtbilder, Bl. ## und ## – ## GA, verwiesen.
6Die Klägerin behauptet, der Zeuge L habe Arbeiten im Bereich der Stromversorgung durchzuführen müssen, die eine Abschaltung des Stroms im Hause der Beklagten notwendig gemacht hätten. Daher sei er durch die S AG angewiesen worden, die betroffenen Haushalte durch entsprechende schriftliche Benachrichtigungen zu informieren. Zu diesem Zweck habe sich der Zeuge über den Zugang auf der H-Straße auf das Grundstück der Beklagten begeben, um die entsprechende Nachricht in den dortigen Briefkasten einzuwerfen. Eine Klingel, und insbesondere ein Briefkasten, in welche die Benachrichtigung über die Stromabschaltung hätte eingelegt werden können, habe sich nicht etwa am Gartentor, sondern erst an der Haustüre befunden. Dementsprechend habe der Zeuge das Grundstück über das unverschlossene und lediglich angelehnte Gartentor betreten und sich zur Haustür des Anwesens begeben. Bei Einwurf der Nachricht in den Briefkasten habe er im Haus einen Hund anschlagen gehört, indessen arglos den Rückweg in Richtung des Gartentors angetreten. Plötzlich und für den Zeugen unerwartet sei der Hund der Beklagten um die Hausecke herum und aggressiv bellend auf den Zeugen zugelaufen. Aufgrund der Größe des Tieres habe der Zeuge damit gerechnet, von diesem angefallen und verletzt zu werden. Instinktiv habe er die Flucht ergriffen und sei aus Angst über den etwa 1 m hohen Gartenzaun gesprungen, der an der Grenze zur H-Straße verläuft. Beim Aufkommen auf die Straße sei er mit dem linken Fuß umgeknickt und habe sich die beschriebenen Verletzungen zugezogen.
7Die Klägerin meint, die Beklagte sei als Hundehalterin gem. § 833 S. 1 BGB für die dem Zeugen entstandenen Schäden eintrittspflichtig. Vor diesem Hintergrund könne die Klägerin von der Beklagten Ersatz ihrer eigenen Aufwendungen insoweit verlangen, als diese zu den entsprechenden Schadensersatzansprüchen des Versicherten gegen die Beklagte kongruent seien.
8Die Klägerin beantragt,
9wie erkannt.
10Die Beklagte beantragt,
11die Klage abzuweisen.
12Die Beklagte bestreitet den Unfallhergang mit Nichtwissen. Da sich am Gartentor ein Briefkasten befunden habe, habe eine Veranlassung zum Betreten des Grundstückes nicht bestanden. Das Gartentor sei entgegen der Behauptungen der Klägerin nicht angelehnt, sondern verschlossen gewesen, darüber hinaus sei es von außen nicht zu öffnen. Mangels einer Klinke oder eines Türknaufs an der Außenseite könne es nur durch Hinübergreifen auf den innen angebrachten Drehverschluss geöffnet werden. Der Zeuge habe jedenfalls das Warnschild gesehen und sei deswegen verpflichtet gewesen, zunächst zu klingeln und dann zu warten, bis ihm die Beklagte Zutritt gewährt. Indem er aber eigenmächtig das Tor geöffnet und das Grundstück betreten habe, habe er auf eigene Gefahr gehandelt. Zudem sei der Hund der Beklagten keinesfalls aggressiv. Hunde dieser Rasse zeichneten sich vielmehr durch ihre Friedfertigkeit gerade gegenüber Menschen aus. Das habe auch der Kläger gewusst.
13Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zu den Akten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 31.07.2012 (Blatt ## ff.) Bezug genommen.
14Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen L. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 31.07.2012 verwiesen.
15Entscheidungsgründe:
16Die Klage ist begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch gegen die Beklagte auf Ersatz der in Folge des Unfalles geleisteten Auslagen aus §§ 833 I BGB, 116 SGB X, 47 SGB VII.
171.
18Die Beklagte ist, dies ist zwischen den Parteien unstreitig, Halterin eines Labrador- Retriever-Mischlings, der nicht ihrem Beruf oder ihrer Erwerbstätigkeit oder ihrem Unterhalt zu dienen bestimmt ist. Demzufolge hat die Beklagte gem. § 833 S. 1 BGB verschuldensunabhängig für diejenigen Schäden einzustehen, die durch ihr Tier verursacht worden sind.
19a.
20Es steht nach der Beweisaufnahme zur Überzeugung des Gerichtes fest, dass der Zeuge L das Grundstück der Beklagten betreten hat, um eine Nachricht in den Briefkasten zu werfen, der von der Beklagten gehaltene Hund bei dieser Gelegenheit in aggressiver Weise auf den Zeugen L zugesprungen ist und dieser daher berechtigterweise befürchten musste, von dem Tier angegriffen zu werden. Für die durch die nachfolgend angetretene Flucht verursachten Körper- schäden hat die Beklagte einzustehen, weil auch diese adäquat kausal durch das Verhalten ihres Tieres verursacht worden sind.
21Der Zeuge L hat in seiner Vernehmung durch die Kammer am 31.07.2012 den Sachvortrag der Klägerin bestätigt. Das Gericht hat keinen Anlass, die Bekundungen des Zeugen in Zweifel zu ziehen. Der Zeuge war erkennbar um die Wahrheit bemüht und hat Erinnerungslücken freimütig eingeräumt. So hat er bekundet, er könne sich an die Form des Briefkastens, den er an der Haustür verortet hat, nicht erinnern, und habe sich auch nur gemerkt, die Nachricht zugestellt zu haben; wie dies im Einzelnen geschehen sei, wisse er nicht mehr. Dies stellt die Zuverlässigkeit seiner Aussage im Übrigen jedoch nicht in Frage. Vielmehr ist es gedächtnispsychologisch ohne Weiteres erklärbar, dass der Zeuge die Umstände, die nicht dem Kern-, sondern dem Randgeschehen zuzurechnen sind, nicht mehr zuverlässig erinnern, indes den wesentlichen Verlauf des Unfalles detailliert schildern kann. Besondere Belastungstendenzen zu Lasten der Beklagten sind nicht feststellbar, etwa im Sinne einer übertriebenen Schilderung der Gefährlichkeit des Hundes oder seiner Aggressivität. Im Gegenteil hat der Zeuge bekundet, seine Flucht habe allein auf seiner subjektiv empfundenen Furcht vor einem Angriff durch den Hund beruht.
22b.
23Steht danach zur Überzeugung des Gerichtes fest, dass der Zeuge aus Angst vor dem Hund der Beklagten die Flucht ergriffen hat und dabei zu Fall gekommen ist, reicht dies für den Eintritt der Haftung der Beklagten nach § 833 S. 1 BGB aus. Denn der insoweit ausreichende mittelbare Verursachungsbeitrag liegt bereits dann vor, wenn ein Mensch durch das tierische Verhalten so in Schrecken versetzt wird, dass die psychische Belastung in eine Angst- und Paniksituation umschlägt. Hier hat der Zeuge seinen glaubhaften Bekundungen nach in einer Reflexhandlung die Flucht ergriffen, nachdem der Hund bellend auf ihn zugeschossen ist.
24c.
25Umstände, die ein Mitverschulden des Zeugen oder die Annahme eines Handelns auf eigene Gefahr rechtfertigen würden, sind nicht ersichtlich.
26(1)
27Dies gilt zunächst im Hinblick darauf, dass der Zeuge das Grundstück der Beklagten entgegen der Warnung auf dem Schild am Tor betreten hat. Insoweit ist zunächst bedeutsam, dass der von dem Zeugen benutzte Zugang über die H-Straße nach den baulichen Gegebenheiten, wie sie sich sowohl aus den Lichtbildern der Klägerseite als auch derjenigen der Beklagtenseite ergeben, offenkundig zum Zutritt des Grundstückes vorgehalten wurde. Dass daneben ein weiterer Eingang an der F-Straße bestand, ist unerheblich. Mit dem Bestehen eines anderen Eingangs mussten jedenfalls ortsunkundige Besucher, die von der H-Straße kamen, nicht rechnen. Es kann insoweit auch dahinstehen, ob sich an diesem Gartentor eine Klingel befand, was zwischen den Parteien streitig ist. Unstreitig befand sich dort nämlich kein Briefkasten. Die Beklagte hat diese Behauptung selbst nur in Bezug auf den Zugang an der F-Straße aufgestellt, was durch die vorgelegten Lichtbilder auch bestätigt wird. Vor diesem Hintergrund musste die Beklagte jederzeit damit rechnen, dass ihr Grundstück von Zustellern auch über den Zugang auf der H-Straße betreten werden würde. Hiervon musste sich der Zeuge auch nicht durch abhalten lassen, dass das Gartentor nach dem Vortrag der Beklagten nur von innen zu öffnen war. Denn nach den glaubhaften Bekundungen des Zeugen war dieses Tor lediglich angelehnt. Hieraus musste der Zeuge jedenfalls nicht den Schluss ziehen, die Beklagte sei mit dem Betreten ihres Grundstückes durch diesen Zugang generell nicht einverstanden, denn das niedrige Gartentore der von der Beklagten verwendeten Art nur über einen Innenknauf verfügen, ist weit verbreitet und gibt keinen Hinweis auf ein Betretungsverbot.
28(2)
29Aber auch von dem angebrachten Warnschild musste sich der Kläger nicht vom Betreten des Grundstückes abhalten lassen. Denn ob ein Warnschild an einem Gartentor mit dem hier verwandten Text eine ernstgemeinte Gefahrenwarnung enthält, ist nach den Gesamtumständen zu beurteilen. Ist das Tor nicht verschlossen und so niedrig, dass es von einem Hund leicht übersprungen werden kann, und Fehlen weitere Anzeichen dafür, dass sich auf dem Grundstück ein aggressiver oder bissiger Hund aufhält, ist nicht von einer ernstgemeinten Gefahrenwarnung auszugehen (vgl. LG Stuttgart, Urteil vom 05.03.2010, 27 O 329/09 - juris; nachfolgend OLG Stuttgart vom 24.06.2010, 1 U 38/10 – juris; OLG Düsseldorf VersR 1981, 1035).
30So lag es auch hier. Das Tor war nicht verschlossen und niedrig. Besondere Sicherungen gegen das Überspringen des Tores und der Zaunanlage auf dem Grundstück der Beklagten sind nicht erkennbar. Mithin war nach dem äußeren Erscheinungsbild des Grundstückes nicht mit dem Angriff eines aggressiven Hundes zu rechnen.
31d.
32Schließlich entfällt der Kausalzusammenhang zwischen dem Angriff des Hundes und den Verletzungen des Zeugen auch nicht dadurch, dass der Zeuge überstürzt geflohen und erst auf der Straße, und damit außerhalb des Beklagtengrundstückes, zu Schaden gekommen ist Denn ein für die Tierhalterhaftung ausreichender mittelbarer Zusammenhang zwischen dem auf der natürlichen Gefährlichkeit beruhenden Verhalten eines Tieres und der Verletzung eines Menschen ist auch dann gegeben, wenn ein Mensch durch das Verhalten des Tieres in Angst und Schrecken versetzt und infolge dessen stürzt und verletzt wird (vgl. OLG Schleswig vom 15.01.1988, 1 U 162/85, VersR 1988, 700). Darauf, ob von dem Tier eine wirkliche, ernste Gefahr ausgeht, kommt es nicht an (OLG Nürnberg, OLGZ 1965, 152ff., zitiert nach Juris).
332.
34Haftet die Beklagte mithin für Schäden, die dem Zeugen infolge seiner Flucht entstanden sind, kann die Klägerin gem. § 116 SGB X Ersatz derjenigen Auslagen verlangen, die sie für Heilbehandlungskosten, Medikamente, Hilfsmittel, Reisekosten im Heilverfahren, Krankentransportkosten, Physikalische Therapie sowie Verletzten- geld zuzüglich der darauf zu entrichtenden Beiträge zur Sozialversicherung, und in Form einer Verletztenrente in Höhe von insgesamt unstreitig 39.417,55 EUR erbracht hat.
353.
36Der Zinsanspruch folgt aus § 288 I BGB. Die Beklagte befindet sich seit dem 07.07.2011 in Verzug, nachdem sie die Klägerin mit Schreiben vom 21.06.2011 aufgefordert hat, den bis dato bezifferten Betrag in Höhe von 38.379,28 EUR bis zum 06.07.2011 zu zahlen. Im Übrigen hat die Klägerin Anspruch auf Rechtshängigkeitszinsen aus § 291 BGB.
374.
38Der Freistellungsantrag ist ebenfalls zulässig und begründet.
39Das erforderliche Feststellungsinteresse liegt vor. Dies begründet sich darin, dass durch die schädigende Handlung eine Rechtsgutsverletzung bereits eingetreten ist und die Möglichkeit künftiger Folgeschäden besteht. Dieses ist bereits deswegen der Fall, weil der Zeuge an persistierenden Beschwerden in Folge des Unfallgeschehens leidet und daher weitere Aufwendungen für Heilbehandlungskosten zu erwarten sind.
405.
41Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 I S. 1 ZPO, diejenige zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 709 S. 1 ZPO.
42Streitwert: bis 45.000,00 EUR.