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In dem Rechtsstreit
pp
hat das Amtsgericht Bonn auf die mündliche Verhandlung vom 19.10.2021
für Recht erkannt:
1.
Die Beklagte wird verurteilt, die Sperrung der Funktionen des Accounts des Klägers bei der Beklagten unter ,,https://############# aufzuheben.
2.
Die Beklagte wird verurteilt, bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzendes Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 ersatzweise für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft oder einer Ordnungshaft von sechs Monaten, wobei die Ordnungshaft insgesamt zwei Jahre nicht überschreiten darf und an ihrem gesetzlichen Vertreter zu vollziehen ist,
zu untersagen,
zukünftig die Funktionen des Accounts des Klägers bei der Beklagten unter ,,https://############ einzuschränken und/oder zu sperren, ohne dem Kläger mitzuteilen, aufgrund welchen konkreten Verstoßes gegen die Plattform-Manipulationsregeln der Beklagten oder aufgrund welchen etwaigen anderen Verhaltens des Klägers die Einschränkung und/oder Sperrung seines Accounts erfolgt.
3.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 213,21 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.03.2021 zu zahlen.
3.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
4.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 2.000,00 € vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
2Der Kläger macht Ansprüche aus einem zwischen den Parteien bestehenden Nutzungsverhältnis aus der von der Beklagten betriebenen Kommunikationsplattform ##### geltend.
3Der Kläger unterhält und nutzt bei der Beklagten ein privates Nutzerkonto mit über 38.000 Abonnenten ########, sowie ein weiteres Nutzerkonto für seine Softwarefirma.
4Die Nutzung der Kommunikationsplattform erfolgt auf der Grundlage einer einmaligen Anmeldung, wobei der Nutzer die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten akzeptieren muss. Hierzu gehören auch die ##### Regeln und Richtlinien, einschließlich der ,,Richtlinien zu Plattformmanipulation und Spam“.
5Die Plattformmanipulation wird auf der Kommunikationsplattform der Beklagten definiert als die Nutzung von ##### für Massenaktionen oder aggressive oder betrügerische Aktivitäten, die andere in die Irre führen und/oder ihre Nutzung der Plattform beeinträchtigen. Hierzu zählen unter anderem die künstliche Hervorhebung oder Störung von Unterhaltungen durch das Betreiben mehrerer Accounts oder durch die Abstimmung mit anderen, um gegen die ##### Regeln zu verstoßen, einschließlich durch sich überlappende und wechselseitig agierende Accounts.
6Nach Maßgabe von Ziff. 4 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten, sowie der ,,Richtlinie zu Plattformmanipulation und Spam“, ist die Beklagte berechtigt, Nutzerkonten dauerhaft zu sperren. Dies hängt von der Schwere des Verstoßes ab, von der Art der identifizierten Spam-Aktivität und ob der Nutzer bereits in der Vergangenheit gegen die Regeln verstoßen hat.
7Wegen der weiteren Einzelheiten der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, sowie der ,,Richtlinie zu Plattformmanipulation und Spam“ wird auf die Anlage B1 und B2 zur Klageerwiderung Bezug genommen (Bl. 52-73 d.A.).
8Das private Nutzerkonto des Klägers wurde im April 2020 von der Beklagten gesperrt.
9Gegen diese Sperrung legte der Kläger daraufhin Einspruch bei der Beklagten ein.
10Mit E-Mail vom 17.04.2020 informierte die Beklagte den Kläger darüber, dass sie den Einspruch prüfen werde, und erklärte ferner, dass Nutzerkonto-Sperrungen in der Regel aufgrund von Verstößen gegen #####-Regeln oder den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten erfolgen würden und dass wiederholte Verstöße zur dauerhaften Sperrung führen können.
11Mit E-Mail vom 18.05.2020 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass sein privates Nutzerkonto aufgrund mehrerer bzw. wiederholter Verstöße gegen die Plattform-Manipulationsregeln gesperrt wurde. Der Kläger teilte der Beklagten mit, dass Verstöße nicht erfolgt seien. Das Nutzerkonto des Klägers blieb jedoch gesperrt.
12Mit Anwaltsschreiben vom 11.11.2020 wies der Kläger den Vorwurf des Verstoßes gegen die Plattform-Manipulationsregeln erneut zurück und forderte die Beklagte dazu auf, konkret mitzuteilen, wann und auf welche Weise der Kläger gegen die Plattform-Manipulationsregeln verstoßen haben soll und forderte die Beklagte weiterhin auf, das streitgegenständliche Nutzerkonto zu entsperren.
13Die Beklagte informierte mit E-Mail vom 28.11.2020 erneut, dass das streitgegenständliche Nutzerkonto wegen Verstoßes gegen die ,,Richtlinie zu Plattformmanipulation und Spam“ gesperrt wurde, und stellte einen entsprechenden Hyperlink zu dieser Richtlinie zur Verfügung. Weiterhin teilte die Beklagte mit, dass das Nutzerkonto aus diesem Grund nicht wieder freigeschaltet werde.
14Der Kläger hält die Sperre des Accounts für nicht gerechtfertigt und behauptet, Verstöße gegen die ,,Richtlinie zu Plattformmanipulation und Spam seien nicht erfolgt; inwiefern der Kläger hiergegen verstoßen habe, sei nicht ersichtlich. Er meint, die Beklagte sei gehalten, die behaupteten Verstöße zu konkretisieren und habe durch ihr rechtswidriges Verhalten eine Wiederholungsgefahr für weitere grundlose Sperren in Zukunft begründet.
15Der Kläger beantragt,
161.
17die Beklagte zu verurteilen, die Sperrung der Funktionen des Accounts des Klägers bei der Beklagten unter https://#####.######## aufzuheben;
182.
19der Beklagten, bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 €, ersatzweise für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft oder einer Ordnungshaft von sechs Monaten, wobei die Ordnungshaft insgesamt zwei Jahre nicht überschreiten darf und an ihrem gesetzlichen Vertreter zu vollziehen ist,
20zu untersagen,
21zukünftig die Funktionen des Accounts des Klägers bei der Beklagten unter „https://############ einzuschränken und/ oder zu sperren, ohne dem Kläger mitzuteilen, aufgrund welchen konkreten Verstoßes gegen die Plattform-Manipulationsregeln der Beklagten oder aufgrund welchen etwaigen anderen Verhaltens des Klägers die Einschränkung und/ oder Sperrung seines Accounts erfolgt.
223.
23die Beklagte zu verurteilen, an ihn vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 213,21 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
24Die Beklagte beantragt,
25die Klage abzuweisen.
26Die Beklagte meint, die Sperrung des Nutzerkontos sei rechtmäßig erfolgt, da der Kläger schwerwiegend gegen die ,,Richtlinie zu Plattformmanipulation und Spam“ der Beklagten verstoßen habe. Sie behauptet zudem, den Kläger ausreichend über die Gründe für die Sperrung des streitgegenständlichen Nutzerkontos informiert zu haben. Die Beklagte ist zudem der Ansicht, dass keine Pflicht bestehe dem Kläger genauere Informationen über die Verstöße zu geben.
27Entscheidungsgründe
28Die Klage ist zulässig und begründet.
291.
30Der Kläger hat einen Anspruch auf Aufhebung der Sperre seines Nutzerkontos- aus dem Nutzungsvertrag in Verbindung mit § 241 Abs. 2 BGB und der bei dessen Auslegung zu beachtenden mittelbaren Drittwirkung des Grundrechts des Nutzers auf Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG (vgl. Beschluss vom 24.08.2018 - 18 W 1294/18, NJW 2018, 3115, juris Rn. 13; Beschluss vom 28.12.2018 - 18 W 1955/18, BeckRS 2018, 36727, Rn. 13).
31Die Beklagte bietet ihren Nutzern Funktionen und Dienstleistungen an, die sie unter anderem über ihre Webseite unter ####### bereitstellt. Insbesondere eröffnet sie ihren Nutzern die Möglichkeit, innerhalb ihres eigenen Profils Beiträge zu posten, Beiträge zu teilen und die Beiträge anderer Nutzer zu kommentieren oder mit verschiedenen Symbolen zu bewerten.
32Die Beklagte beruft sich zwar als Betreiberin einer Internetplattform zurecht auf ein virtuelles Hausrecht gemäß §§ 903, 1004 BGB zu (vgl. etwa LG Ulm MMR 2016, 31; OLG Köln MMR 2001, 52; LG Mosbach, Beschl. v. 1.6.2018 – 1 O 108/18, BeckRS 2018, 20323). Dieses virtuelle Hausrecht stützt sich auf das Eigentums- und Besitzrecht des Betreibers. Die Befugnis des Eigentümers, mit seiner Sache nach Belieben zu verfahren, umfasst auch das Recht, die Art und Weise ihrer Nutzung zu bestimmen (BGH, Urt. vom 19. September 2003 - V ZR 319/01 -, BGHZ 156, 172-179, Rn. 13).
33Dabei darf die Beklagte jedoch ihre Befugnisse nicht grenzenlos ausüben, sondern wird beschränkt durch die Wertentscheidungen des Grundgesetzes, insbesondere durch die mittelbare Drittwirkung der Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG (so auch LG Mosbach, Beschl. v. 1.6.2018 – 1 O 108/18, BeckRS 2018, 20323; OLG München B. v. 24.8.2018 – 18 W 1294/18). Das Grundrecht der Meinungsfreiheit gibt jedem das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten. Es schützt die durch das Element der Stellungnahme, des Dafürhaltens und der Beurteilung geprägte Meinung unabhängig davon, ob diese im Einzelfall als „wertvoll“ erscheint. Ein Eingriff in die Meinungsfreiheit liegt dabei in jeder staatlichen Regelung oder Entscheidung, die die Äußerung oder Verbreitung von Meinungen verbietet, erschwert oder durch Sanktionen verhindert.
34Diese kollidierenden Grundrechtspositionen der Parteien sind in ihrer Wechselwirkung zu erfassen und nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz so in Ausgleich zu bringen, dass sie für alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden.
35Es liegen Anhaltspunkte dafür vor, dass die Beklagte die Ausstrahlwirkung von Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG verkannt hat, daher bedarf es im vorliegenden Fall einer Abwägung der jeweiligen Grundrechtspositionen.
36Bei der hier vorzunehmenden Abwägung muss die hohe Stellung der Beklagten als weltweit genutztes Medium beachtet werden.
37Der Beklagten als Kommunikationsplattform mit über 199 Millionen täglich aktiven Nutzern kommt eine sehr hohe Bedeutung für die öffentliche Kommunikation und Meinungsbildung zu. Im Vergleich zu anderen sozialen Netzwerken, wie ######### und ######, die tendenziell ein jüngeres Publikum anziehen und eher als Medium für den privaten Austausch oder als Marketing-Plattform genutzt werden, handelt es sich bei der Plattform der Beklagten um ein Informations- und Diskussionskanal, welches nicht für die Pflege von Freundschaften oder den Austausch von Fotos und Videos steht, sondern für die Abgabe von Stellungnahmen zu jedem Themengebiet oder aktuellen Ereignissen. Die Plattform der Beklagten wird weltweit als Sprachrohr genutzt, um seine Meinung kundzutun, das eigene Netzwerk zu erweitern oder Kontakte zu Unternehmen aufzubauen.
38Durch die permanente Sperre des Klägers wurde der Kläger insoweit aus dem öffentlichen Diskurs ausgeschlossen. Er ist bis zum jetzigen Zeitpunkt daran gehindert als Privatperson, seine Meinung im Kommunikationsportal kundzutun oder fremde Inhalte zur Kenntnis zu nehmen
39Eine Sperrung des Nutzerkontos ist zwar unter Ziffer 4 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen in Verbindung mit der ,,Richtlinie zu Plattformmanipulation und Spam“ der Beklagten vorgesehen, jedoch wurde der Kläger ohne einen hinreichend belegten sachlichen Grund dauerhaft gesperrt. Die Beklagte hat dem Kläger lediglich einen Verstoß gegen ihre Spammanipulations-Regeln vorgeworfen. Aufgrund der Ausstrahlwirkung von Art 5 Abs. 1 S. 1 GG sollte sichergestellt werden, dass Nutzer nicht vorschnell und dauerhaft gesperrt werden sollten. Hier hat die Beklagte nicht einmal ein milderes Mittel, wie eine 30-tätige-Sperre verwendet, sondern eine permanente Sperre, die einen gewichtigen Eingriff darstellt, der aufgrund der Ausstrahlungswirkung des Grundrechts auf Meinungsfreiheit nur durch einen hinreichend belegten Grund statthaft ist.
40Die permanente Sperre des Nutzerkontos des Klägers kann damit als Eingriff in die freie Meinungsäußerung nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG gewertet werden. Daher ist diese im vorliegenden Fall nicht gerechtfertigt und von der Beklagten aufzuheben.
41Selbst wenn man keine Beeinträchtigung des Grundrechts auf Meinungsfreiheit bejahen würde, wäre die Beklagte aufgrund des Anspruchs des Klägers aus dem Nutzungsvertrag in Verbindung mit §§ 241 Abs. 2, 242 BGB dazu verpflichtet, die permanente Sperre aufzuheben.
42Die Beklagte darf nach ihren eigenen Nutzungsbedingungen die Nutzung nur vorenthalten, wenn ein Verstoß des Nutzers vorliegt. Dies hängt laut den Spammanipulation-Regeln der Beklagten von der Schwere des Verstoßes ab, von der Art der identifizierten Spam-Aktivität und ob der Nutzer bereits in der Vergangenheit gegen die Regeln verstoßen hat.
43Im Grundsatz ist zwar nach allgemeinen Regeln der Kläger darlegungsbelastet für die Rechtswidrigkeit der Sperrung des Nutzerkontos, jedoch trifft die Beklagte für die pauschal behaupteten aber zu keinem Zeitpunkt konkretisierten „erheblichen Verstöße“ eine sekundäre Darlegungslast.
44Der Beklagten ist es möglich und zumutbar, nähere Angaben zu den pauschal behaupteten Verstößen zu machen. Warum sie dies aus internen Gründen nicht tut, ist weder entscheidend, noch ausreichend plausibel mitgeteilt. Es erschließt sich dem Gericht nicht, inwieweit nähere Angaben/Belege über behauptete Spammanipulationen zu einer Umgehung der Richtlinien führen kann.
45Der Kläger hat mit der wiederholten Versicherung, er habe gegen keine der Vorgaben verstoßen, seiner Darlegungslast genüge getan.
46Ohne konkreteren Vortrag der Beklagten kann weder ausgeschlossen werden, dass die Vorwürfe (etwa infolge einer technischen Fehlfunktion) unzutreffend sind, noch kann beurteilt werden, ob die Schwere oder Dauer etwaiger Verstöße eine hier angeordnete dauerhafte Sperre rechtfertigen.
472.
48Der auf Unterlassung gerichtete Klageantrag zu 2 ist gerechtfertigt, da die Beklagte durch ihr rechtswidriges Verhalten eine korrespondierende Wiederholungsgefahr begründet hat.
493.
50Der Anspruch auf Erstattung der nach Anspruchsgrund und –Höhe schlüssig dargelegten vorgerichtlichen Anwaltskosten nebst Zinsen ab Rechtshängigkeit folgt aus §§ 280, 286, 291 BGB.
514.
52Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 91 Abs. 1, 709 ZPO.
53Der Streitwert wird auf 4.000,00 EUR festgesetzt.