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§ 18 Abs. 2, 3 SchVG 1899 (§19 Abs. 2 SchVG 2009) ist dahingehend teleologisch zu reduzieren bzw. einschränkend auszulegen, dass bei Überschuldung keine Pflicht des Insolvenzgerichts zur Einberufung einer Versammlung der Schuldverschreibungsgläubiger besteht, falls die Forderungen der Schuldverschreibungsgläubiger nachrangig gem. § 39 Abs. 2 InsO sind und die Gläubiger nicht besonders zur Anmeldung der Forderungen gem. § 174 Abs. 3 InsO aufgefordert worden sind.
Von der Einberufung einer Gläubigerversammlung der von der Schuldnerin am 05.05.2006/06.02.2007 begebenen sogenannten Hybrid-Anleihe wird abgesehen; der darauf gerichtete Antrag der Beteiligten - nebst den gestellten Folgeanträgen - wird zurückgewiesen.
Gründe:
2I.
3Über das Vermögen der Schuldnerin ist auf ihren Antrag durch Beschluss vom 01.11.2013 wegen Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Das Gericht hatte den (vorläufigen) Sachwalter als Sachverständigen mit der Erstellung eines Eröffnungsgutachtens beauftragt. Im Eröffnungsbeschluss hat es davon abgesehen, auch die nachrangigen Gläubiger zur Forderungsanmeldung aufzufordern (§ 174 Abs. 3 InsO).
4Die Beteiligten sind Gläubiger einer von der Schuldnerin in zwei Tranchen am 05.05.2006 und am 06.02.2007 im Wert von jeweils 200.000.000,00 Euro ausgegebenen Anleihe ("Emission nachrangiger Wertpapiere ohne Fälligkeitstag"; WKN: #####/###: ##########), eingeteilt in jeweils 2.000 Wertpapiere mit einem Nennbetrag von jeweils 100.000,00 Euro. Die Anleihebedingungen sehen u.a. einen Festvergütungssatz von 8 % Zinsen auf den Nennbetrag und variable Vergütungssätze für variable Vergütungszeiträume vor (§ 4 Abs. 1 und 2 der Anleihebedingungen). Die Wertpapiere haben keinen Endfälligkeitstag und werden außer im Falle der Liquidation oder der Insolvenz der Schuldnerin oder einer Kündigung durch diese nicht zurückgezahlt (§ 5 der Anleihebedingungen).
5Die Schuldnerin hatte im Rahmen ihrer Restrukturierungs- und Umschuldungsbemühungen zur Abwendung eines Insolvenzverfahrens geplant, eine Versammlung der Anleihegläubiger einzuberufen. Sie hat dies, nachdem sich abzeichnete, dass ein Insolvenzantrag werde gestellt werden müssen, nicht mehr weiterverfolgt. Im Rahmen des Insolvenzeröffnungsverfahrens haben die Beteiligten sich an die Schuldnerin mit dem Antrag gewandt, (gemäß § 9 Schuldverschreibungsgesetz 2009 - SchVG 2009) eine Gläubigerversammlung einzuberufen. Dem ist die Schuldnerin nicht nachgekommen. Nunmehr begehren die Beteiligten mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 04.11.2013 unter Bezugnahme auf § 18 Abs. 3 des Schuldverschreibungsgesetzes von 1899 (SchVG 1899) bzw. § 19 Abs. 2 Satz 2 SchVG 2009 vom Gericht die Einberufung der Versammlung der Anleihegläubiger und beantragen weiter, die nachrangigen Gläubiger besonders aufzufordern, ihre Forderungen anzumelden. Wegen der weiteren Folge-Anträge wird auf Seite 2 des Schriftsatzes Bezug genommen.
6II.
7Das Gericht hat bereits am Tage der Eröffnung des Insolvenzverfahrens aktenkundig gemacht, dass und warum eine Versammlung der Anleihegläubiger im vorliegenden Verfahren nicht einzuberufen ist. Die Ausführungen der Beteiligten im Schriftsatz vom 04.11.2013 geben keine Veranlassung, die Auffassung des Gerichts zu ändern. Soweit seitens der Beteiligten überhaupt förmlich Anträge gestellt werden können - dies ist nur vorgesehen in § 9 Abs. 2 SchVG 2009 bzw. § 4 SchVG 1899, nicht aber in § 19 Abs. 2 SchVG 2009 bzw. § 18 Abs. 2 und 3 SchVG 1899 -, und es sich nicht nur um Anregungen handelt (vgl. Paul in Berliner Kommentar, Insolvenzrecht, § 19 SchVG Rn. 16), sind diese zurückzuweisen.
81.
9Das Schuldverschreibungsgesetz 2009 ist auf die vorliegende Anleihe nicht anwendbar, da diese vor Inkrafttreten des Gesetzes begeben worden ist; Anwendung findet daher nach § 24 Abs. 1 SchVG 2009 das SchVG 1899. Eine Anwendung des Schuldverschreibungsgesetzes 2009 käme nach dessen § 24 Abs. 2 nur in Betracht, wenn mit Zustimmung der Schuldnerin entsprechende Änderungen der Anleihebedingungen beschlossen worden wären oder würden. Dies ist nicht der Fall, insbesondere liegt keine Zustimmung der Schuldnerin vor.
102.
11In Ansehung des Schuldverschreibungsgesetzes 1899 ist bereits zweifelhaft, ob die von der Schuldnerin begebene Anleihe in den Anwendungsbereich fällt. Denn nach § 1 Abs. 1 SchVG 1899 werden nur Anleihen erfasst, die "mit im Voraus bestimmten Nennwerten ausgestellt" sind. Dies bedeutet, dass nur Anleihen bzw. Schuldverschreibungen mit der Höhe nach von Anfang an feststehenden Rückzahlungsansprüchen erfasst werden (vgl. OLG Frankfurt ZIP 2006, 1388, 1389 zu Genussscheinen). Ob diese Voraussetzungen bei fehlendem Endfälligkeitszeitpunkt und zum Teil variablen Vergütungssätzen und -tagen erfüllt ist, erscheint zumindest fraglich.
123.
13Jedenfalls kann der Zweck der in § 18 Abs. 2, 3 SchVG 1899 nominierten Einberufungspflicht im vorliegenden Verfahren von vornherein nicht erreicht werden, vielmehr würde eine Gläubigerversammlung sogar dem vom Gesetzgeber beabsichtigten Zweck zuwider laufen; die Einberufung einer Gläubigerversammlung kann daher unterbleiben.
14Vorrangiges Ziel der gesetzlichen Regelungen des Schuldverschreibungsgesetzes (sowohl 1899 als auch 2009) - wie im Übrigen auch der Regelung des § 174 Abs. 3 InsO - über die Einberufung der Gläubigerversammlung und Bestellung eines Vertreters ist, was auch die Beteiligten nicht verkennen, die möglichst effektive Gestaltung des Verfahrens, und zwar sowohl im Interesse der Anleihegläubiger als auch im Interesse aller Insolvenzgläubiger und des Verfahrens insgesamt. Die Bestellung eines gemeinsamen Vertreters - und nur dies sieht das Schuldverschreibungsgesetz als Gegenstand einer einzuberufenden Gläubigerversammlung vor - dient dazu, eine sachgerechte Interessenwahrnehmung der Anleihegläubiger zu ermöglichen. Insbesondere sollen dadurch die - zumeist in großer und unbestimmter Zahl vorhandenen - Anleihegläubiger eine Mindestorganisation erhalten, eine gemeinsame Interessenvertretung nach außen erfolgen und der Vertreter, bei entsprechender Ermächtigung durch die Versammlung, die Forderungen zur Insolvenztabelle anmelden, deren Feststellung betreiben und das Stimmrecht in der Gläubigerversammlung aller Insolvenzgläubiger ausüben (vgl. etwa Friedl in Frankfurter Kommentar zum SchVG 2009, § 19 Rn. 19; Veranneman - Fürmaier, SchVG 2009, § 19 Rn. 9). Bei Anmeldung der Forderungen durch den gemeinsamen Vertreter bedarf es zudem nicht der Beifügung der Schuldverschreibungen (§ 19 SchVG 1899). Durch die Bestellung des gemeinsamen Vertreters wird daher auf vielfache Weise das Insolvenzverfahren vereinfacht und auch bei einer unter Umständen großen Anzahl von Anleihegläubigern - vorliegend von bis zu 4.000 möglichen Anleihegläubigern - eine effektive und zügige Durchführung des Insolvenzverfahrens gewährleistet. Zugleich wird jeder einzelne Anleihegläubiger von der Schwierigkeit und dem Umstand befreit, seine Interessen im Insolvenzverfahren selbst wahrzunehmen.
15Die vorgenannten Erwägungen bzw. der Gesetzeszweck kommen jedoch dann nicht zum Tragen, wenn die Anleihegläubiger gar nicht - jedenfalls zunächst nicht - oder nur in sehr eingeschränktem Umfang am Insolvenzverfahren teilnehmen, insbesondere wenn es sich um nachrangige Insolvenzgläubiger handelt (§ 39 InsO). Der Gesetzgeber hat die nachrangigen Gläubiger in mehrfacher Weise gegenüber den sonstigen Insolvenzgläubigerin in Bezug auf die Teilnahme am Insolvenzverfahren schlechter gestellt bzw. sie davon ausgeschlossen. So steht ihnen kein Einberufungsrecht für die Gläubigerversammlung zu (§ 75 InsO), sie haben kein Stimmrecht in der Gläubigerversammlung (§ 77 Abs. 1 Satz 2 InsO), ihnen steht kein Anfechtungsrecht gegen Beschlüsse der Gläubigerversammlung zu (§ 78 InsO) und sie können ihre Forderungen erst nach besonderer gerichtlicher Aufforderung anmelden (§ 174 Abs.3 InsO); im Insolvenzplan gelten ihre Forderungen als erlassen, wenn nichts anderes bestimmt ist (§ 225 Abs. 1 InsO). Diese Beschränkungen sind durch die im Insolvenzverfahren festgelegte Befriedigungsreihenfolge gerechtfertigt. Denn die nachrangigen Insolvenzgläubiger können nur dann mit einer Befriedigung rechnen - was in der Praxis nur in Ausnahmefällen der Fall ist -, wenn alle nicht nachrangigen Insolvenzgläubiger voll befriedigt werden und ein Überschuss verbleibt oder aber wenn ein Insolvenzplan vorgelegt wird, der Zahlungen auch an die nachrangigen Gläubiger vorsieht. Liegt ein solcher (Ausnahme-) Fall nicht vor, so soll das Insolvenzverfahren nicht mit der Anmeldung und Prüfung auch der nachrangigen Forderungen und Teilnahme dieser Gläubiger an der Gläubigerversammlung belastet werden (vgl. Uhlenbruck-Sinz, InsO, 13. Aufl., § 174 Rn. 51).
16Diesen Zweck, der sich mit dem Zweck der Bestellung eines gemeinsamen Vertreters nach dem Schuldverschreibungsgesetz deckt, hat der Gesetzgeber im Rahmen der Regelungen des Schuldverschreibungsgesetzes, soweit sie das Insolvenzverfahren betreffen, d.h. im Rahmen der § 18 SchVG 1899 und § 19 SchVG 2009, nicht bedacht bzw. nicht daran gedacht, dass diese Regelungen nicht nur überflüssig, sondern dem Gesetzeszweck zuwider auch mit zusätzlichem Umstand und Kosten verbunden sind, wenn die Bestellung eines gemeinsamen Vertreters, wie im Insolvenzverfahren bei nachrangigen Gläubigern, keinerlei Vorteile mit sich bringt. § 18 Abs. 2, 3 SchVG 1899 ist daher nach überwiegender Ansicht, der sich auch das erkennende Gericht anschließt, einschränkend dahin auszulegen, dass eine Einberufung der Gläubiger einer Anleihe nicht stattzufinden hat, wenn es sich um nachrangige Gläubiger handelt (vgl. Penzlin/Klerx, ZInsO 2004, 311, 312; Veranneman - Fürmaier, aaO.; Paul, aaO., Rn. 17; a. A. Friedl, aaO, Rn. 24: "teleologische Reduktion…zweifelhaft").
17Verfassungsrechtliche Bedenken bestehen nicht, insbesondere nicht in Ansehung solcher nachrangigen Gläubiger, die einen Nachrang ihrer Forderungen mit dem Schuldner bzw. der Schuldnerin vereinbart haben (§ 39 Abs. 2 InsO). Die Beteiligten und auch die übrigen Gläubiger der Anleihe haben diese zu den Anleihebedingungen und in deren Kenntnis als nachrangige Forderungen erworben. Für diese Schlechterstellung im Falle eines etwaigen Insolvenzverfahrens haben sie eine "Gegenleistung" in Form eines höheren Zinssatzes erhalten. Soweit sich nunmehr das ihnen bekannte erhöhte Risiko verwirklicht, vermag das Gericht darin keinen Eingriff in die Eigentumsrechte zu erblicken.
18Die vorgenannten Erwägungen gelten nach Ansicht des Gerichts (einschränkend Veranneman - Fürmaier aaO.; Paul, aaO, Rn. 17 a) auch, soweit beabsichtigt ist, die Befriedung der Gläubiger abweichend vom Regelinsolvenzverfahren im Rahmen eines Insolvenzplans zu regeln. Die nachrangigen Insolvenzgläubiger nehmen nur ausnahmsweise im Planverfahren an der Abstimmung über den Plan teil, so dass auch nur in solchen Ausnahmefällen sowohl im Interesse der Anleihegläubiger selbst als auch im Sinne eines effektiven Verfahrens die Bestellung eines gemeinsamen Vertreters bzw. die Einräumung der Möglichkeit dazu sachgerecht ist. Dies ist regelmäßig nur dann der Fall, wenn in dem Insolvenzplan Regelungen auch in Ansehung nachrangiger Gläubiger getroffen werden.
19Ein Insolvenzplan liegt noch nicht vor. Ein solcher ist von der Schuldnerin zwar angekündigt worden, jedoch bereits jetzt mit dem Hinweis, dass in Ansehung der nachrangigen Gläubiger nichts bestimmt werden soll.
204.
21Sofern und sobald sich abzeichnen sollte, dass entgegen der bisherigen Erwartungen mit einer vollen Befriedigung der nicht nachrangigen Gläubiger gerechnet werden kann, oder ein Insolvenzplan vorgelegt werden wird, der auch Regelungen in Ansehung der nachrangigen Gläubiger der Anleihe enthält, werden die nachrangigen Gläubiger in das Verfahren einbezogen und zudem zur Anmeldung ihrer Forderungen aufgefordert werden.
225.
23Derzeit ist eine Aufforderung zur Forderungsanmeldung nach § 174 Abs. 3 InsO nicht veranlasst. Sowohl nach dem Inhalt der mit dem Eröffnungsantrag gem. § 270b InsO vorgelegten Bescheinigung als auch nach dem Ergebnis des seitens des Gerichts eingeholten Sachverständigengutachtens ist die Schuldnerin überschuldet, und zwar in einem Maße, dass ausgeschlossen erscheint, dass im Insolvenzverfahren die nicht nachrangigen Gläubiger auch nur annähernd ganz befriedigt werden - nach dem Gutachten kann realistischer Weise eine Quote von immerhin um die 50 % erwartet werden -, so dass für die nachrangigen Gläubiger keine zu verteilende Masse übrig bleibt.
24Eine andere Einschätzung ergibt sich auch nicht durch die Vorlage der von den Beteiligten eingereichten "Liquidationsbewertung zu IVG " von G & Co.
25Diese ist nicht geeignet, das Ergebnis des ausführlichen und überzeugenden Gutachtens des Sachwalters in Frage zu stellen. Zum einen liegen dieser Liquidationsbewertung nicht die Erkenntnisse und die Anknüpfungstatsachen für eine Bewertung zugrunde, über die das als Sachverständiger gerichtlich bestellte Sachwalter, der umfassenden Einblick in die Geschäftsunterlagen der Schuldnerin genommen hat, verfügt und die dieser im Rahmen der über 2 Monate dauernden Begutachtung der Vermögenslage der Schuldnerin seiner Bewertung zugrundegelegt hat. Zum anderen ist Gegenstand der im vorliegenden Verfahren vorzunehmenden Bewertung allein das Vermögen der Schuldnerin und nicht des Konzerns; insoweit wird in der Liquidationsbewertung G & Co nicht differenziert. Im Konzern vorhandene Vermögensgegenstände können nur insoweit in die Bewertung des Schuldnervermögens einfließen als der Schuldnerin durch die Beteiligung an anderen Konzerngesellschaften ein entsprechender Vermögenswert durch diese Beteiligung zukommt.
26Zudem wird, worauf die Bevollmächtigten der Schuldnerin in ihrer Stellungnahme zutreffend hingewiesen haben, in der Liquidationsbewertung von G & Co. nicht bzw. nicht hinreichend berücksichtigt, dass die Vermögensgegenstände, insbesondere die Immobilien, niedriger zu bewerten sind für den Fall einer - möglichst zeitnahen - Liquidation im Rahmen eines Insolvenzverfahrens als bei einer freihändigen Veräußerung im Rahmen eins normalen Geschäftsbetriebes.