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Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 60.000,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 25.04.2023 zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand:
2Mit der Klage macht die Klägerin zum wiederholten Mal einen Anspruch auf Zahlung einer Vertragsstrafe aufgrund der Verletzung eines lauterkeitsrechtlichen Unterlassungsverpflichtungsvertrages gegen die Beklagte geltend. Die Parteien sind Mitbewerber im Bereich des Handels mit Radsport und Radsportzubehör. Zwischen den Parteien besteht ein Unterlassungsverpflichtungsvertrag vom 09.08.2017, in dem die Beklagte sich zugunsten der Klägerin strafbewehrt zum Unterlassen des Werbens mit Hinweisen auf Prüfungen verpflichtete, wie folgt:
31) Hiermit verpflichtet sich die M, , gegenüber der U (Unterlassungsgläubigerin), es zu unterlassen, für den Absatz von Waren zu werben, wie je nachfolgend wieder gegeben, wenn nicht zugleich weitergehende Informationen erteilt werden:
4EN 1078 / TÜV GS / CE.
52) Die Unterlassungsschuldnerin verpflichtet sich für jeden Fall der schuldhaften Zuwiderhandlung gegen die vorstehenden Unterlassungsverpflichtungserklärungen zur Zahlung einer von der Unterlassungsgläubigerin nach billigem Ermessen festzusetzenden und im Streitfall durch das Landgericht Bochum – dessen ausdrückliche Zuständigkeit für Streitigkeiten aus diesem Vertrag bei Anwendungen deutschen Rechts vereinbart wird – zu überprüfenden Vertragsstrafe.
6Auslöser für den Abschluss des Unterlassungsverpflichtungsvertrages war eine Werbung der Beklagten, in welcher diese unter anderem ohne weitere Erläuterung angegeben hatte:
7„Normen: EN 1078 / TÜV GS / CE".
8Die Klägerin mahne die Beklagte mit Schreiben vom 31.07.2017 (Anlage HKMW2 zur Klageschrift vom 11.05.2023, Bl. 10ff. d. e-Akte), auf deren gesamten Inhalt Bezug genommen wird, ab. Die Beklagte gab daraufhin unter dem 09.08.2017 die vorstehende Unterlassungsverpflichtungserklärung (Anlage HKMW1 zur Klageschruft vom 11.05.2023, Bl. 9 d. e-Akte) ab.
9Die Klägerin stellt bereits am 14.08.2017 fest, dass die Beklagte in zwei Angeboten auf der Handelsplattform B ohne weiterführende Hinweise vertragsverletzend warb. Die Klägerin setzte wegen dieser Verstöße eine Vertragsstrafe von 4.000,00 Euro gegen die Beklagte fest, wovon die Beklagte einen Betrag von 1.000,00 Euro zahlte und mit Versäumnisurteil des Landgerichts Bochum (Az. I-14 O 2/18) vom 14.06.2018 zur Zahlung der restlichen 3.000,00 Euro verurteilt wurde.
10Noch während des laufenden Rechtsstreits um diese erste festgesetzte Vertragsstrafe stellte die Klägerin am 28.02.2018 fest, dass die Beklagte in weiteren 10 Angeboten gegen den Unterlassungsverpflichtungsvertrag verstieß. Nach Abschluss des vorgenannten Rechtsstreits setzte die Klägerin wegen dieser 10 Verstöße eine in der Summe angemessene Vertragsstrafe von 10.000,00 Euro gegen die Beklagte fest. Da die Beklagte diese Vertragsstrafe in Höhe von 10.000 Euro nicht zahlte, erhob die Klägerin Klage zum Landgericht Bochum (Az. I-14 O 160/18), von dem die Beklagte mit Versäumnisurteil vom 13.06.2019 zur Zahlung der Vertragsstrafe von 10.000,00 Euro verurteilt wurde.
11Bereits am 16.08.2019 bemerkte die Klägerin einen erneuten Verstoß gegen den Unterlassungsverpflichtungsvertrag und setzte für diesen eine Vertragsstrafe von 10.000,00 Euro fest, die die Beklagte am 21.08.2019 bezahlte.
12Aufgrund weiterer Verstöße wurde die Beklagte durch Urteil des Landgerichts Bochum (Az. I-16 O 154/19) vom 10.03.2020 zur Zahlung einer Vertragsstrafe von 50.000,00 Euro verurteilt.
13Die Klägerin stellte am 21.04.2023 fest, dass die Beklagte in mindestens vier Angeboten erneut gegen den Unterlassungsverpflichtungsvertrag verstieß: So fand sich im Webshop der Beklagten unter der Webadresse # bei dem Angebot eines Integralhelms ein nicht näher erläuterter Hinweis auf eine Zertifizierung, indem dort angegeben worden war: „FIM FRHPhe-01/ ECE 22.06 zertifiziert“ (vgl. Anlage HKMW3 zur Klageschrift vom 11.05.2023, Bl. 15 d. e-Akte). Unter der Webadresse # fand sich eine Werbung für einen Helm mit Hinweis auf eine „ASTM-Zertifizierung“ ohne weitere Erläuterung (vgl. Anlage HKMW4 zur Klageschrift vom 11.05.2023, Bl. 16 d. e-Akte). Die Klägerin fand unter der Webadresse # einen Helm mit schon in der Artikelüberschrift hervorgehobenem Hinweis auf eine Zertifizierung ECE 22.06 ohne weitere Informationen (vgl. Anlage HKMW5 zur Klageschrift vom 11.05.2023, Bl. 17ff. d. e-Akte). Ferner fand die Klägerin unter der Webadresse
14# eine Werbung für einen „TÜV/GS zertifizierten Protektor-Rucksack“ ohne weitere Erläuterung (vgl. Anlage HKMW6 zur Klageschrift vom 11.05.2023, Bl. 23ff. d. e-Akte).
15Die Klägerin setzte daraufhin mit anwaltlichem Schreiben vom 24.04.2023 (Anlage HKMW7 zur Klageschrift vom 11.05.2023, Bl. 28ff. d. e-Akte), auf dessen gesamten Inhalt verwiesen wird, eine Vertragsstrafe in Höhe von 60.000,00 Euro gegen die Beklagte fest.
16Die Klägerin ist der Ansicht, diese Strafe sei angesichts der Vielzahl der Verstöße und der Hartnäckigkeit, mit der die Beklagte den Unterlassungsverpflichtungsvertrag weiter missachte, angemessen und erforderlich, um die Beklagte zur zukünftigen Beachtung des Unterlassungsversprechens anzuhalten. Die in der Vergangenheit bereits festgesetzten und bezahlten Vertragsstrafen von in Summe 74.000,00 Euro seien ersichtlich noch nicht geeignet gewesen, die Beklagte zur hinreichenden Beachtung des Unterlassungsverpflichtungsvertrages anzuhalten. Die Klägerin habe bei der Festsetzung der Vertragsstrafe zugunsten der Beklagten auch berücksichtigt, dass die von der Klägerin zuletzt festgestellten Verstöße inzwischen eine Weile zurücklagen.
17Die Klägerin beantragt,
18die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 60.000,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 25.04.2023 zu zahlen.
19Die Beklagte beantragt,
20die Klage abzuweisen.
21Hilfswiderklagend – für den Fall, dass das Gericht zur Überzeugung gelangt, dass die streitgegenständliche Vertragsstrafe aufgrund des unwirksamen Vertragsstrafeversprechens nicht zugesprochen werden kann – beantragt die Beklagte,
22festzustellen, dass das Vertragsstrafeversprechen vom 09.08.2017 der Beklagten gegenüber der Klägerin unwirksam ist.
23Die Klägerin beantragt,
24die Hilfswiderklage abzuweisen.
25Die Beklagte vertritt unter näherer Darlegung in der Klageerwiderung vom 03.07.2023 die Auffassung, die Klage sei unbegründet. Das Vertragsstrafeversprechen der Beklagten vom 09.08.2017 sei unwirksam, weil so unbestimmt gewesen sei, dass keinerlei Verletzungshandlungen festgestellt werden könnten, so dass das auch der mit der Klage geltend gemachte Anspruch nicht gegeben sein könne. Das Vertragsstrafeversprechen enthalte eine Formulierung, dass die Bezeichnung „EN 1078/TÜV GS / CE“ nur dann zu Werbezwecken verwendet werden dürfe, wenn zugleich weitergehende Informationen erteilt werden. Hier beginnt bereits die Unbestimmbarkeit des Vertragsstrafeversprechens vom 09.08.2017. Es sei darin nicht festgelegt, was ist mit weitergehenden Informationen gemeint sei. Grundsätzlich sei zudem auch die Werbung mit Zertifizierungshinweisen zulässig, sofern diese Zertifizierungen und technischen Überprüfungen stattgefunden haben. Das diese Voraussetzungen im Streitfall nicht erfüllt gewesen seien und ein Fall vorliege, in dem die Zertifizierungen und technischen Überprüfungen tatsächlich gar nicht erfolgt seien, habe noch nicht einmal die Klägerin im Ansatz behauptet. Eine weitergehende Pflicht zur Verfügungstellung von Informationen per se in der Werbung sei in den einschlägigen Entscheidungen zum Wettbewerbsrecht hingegen nicht festgehalten worden. Jedenfalls müsse sich die Unterlassungsverpflichtung auf die konkrete Verletzungsform beziehen und diese unzweideutig charakterisieren. Dies sei im Vertragsstrafeversprechen vom 09.08.2017 nicht der Fall.
26Die Beklagte ist ferner der Ansicht, sie sei nach der gesetzlichen Änderung in 2020, insbesondere der Regelungen des § 8 Abs. 3 Nr. 1 und § 13 Abs. 4 UWG nicht verpflichtet gewesen, eine entsprechende Vertragsstrafe zu akzeptieren, sodass sie in Folge der gesetzlichen Änderung das Vertragsstrafeversprechen nunmehr kündige. Schließlich sei der bisherige Sachvortrag zur Höhe der geltend gemachten Vertragsstrafe unschlüssig. Entsprechend der Wertung des § 13 a Abs. 1 UWG seien bei der Festlegung in einer angemessenen Vertragsstrafe die Umstände hinsichtlich Art, Ausmaß und Folgen der Zuwiderhandlung, Schuldhaftigkeit der Zuwiderhandlung, gegebenenfalls die Schwere des Verschuldens, Größe, Marktstärke und Wettbewerbsfähigkeit des Abgemahnten, sowie wirtschaftliches Interesse des Abgemahnten an erfolgten und zukünftigen Verstößen zu berücksichtigen. Hierzu schweige sich die Klägerin bislang aus. Sie beziehe sich lediglich auf bereits beantragte und festgesetzte Vertragsstrafen, ohne jedoch näher vorzutragen, weshalb angeblich „fehlende weitergehende Informationen“, die noch nicht einmal näher definiert seien, derart erheblich sein sollen für das Marktverhalten der angesprochenen Verkehrskreise, dass eine derart hohe Vertragsstrafe gerechtfertigt sei. Im Übrigen sei die Höhe der Vertragsstrafe im Streitfall gemäß § 13 a Abs. 3 UWG „gedeckelt“. Die Beklagte habe in der Regel weniger als 100 Mitarbeiter und der beanstandete Verstoß hinsichtlich der noch nicht einmal definierten weitergehenden Informationen beeinträchtige das Marktverhalten der angesprochenen Verkehrsfreiheit nicht derart, dass eine in der Höhe geltend gemachte Vertragsstrafe gerechtfertigt sei.
27Die Klägerin hat die Kündigung aus der Klageerwiderung vom 03.07.2023 daraufhin mit Schriftsatz vom 06.07.2023 nach § 174 BGB mangels Vorlage einer Vollmachtsurkunde zurückgewiesen. Die Klägerin ist der Ansicht, die Ansicht der Beklagten, dass das Vertragsstrafeversprechen zu unbestimmt sei, sei rechtsirrig. Die Frage, welche Informationen zu erteilen gewesen wären, könne hier allerdings schon deshalb offenbleiben, weil die Beklagte überhaupt keine Informationen erteilt habe. Da die Werbung mit durch unabhängige Dritte erfolgten Zertifizierungen ohne nähere Informationen die Interessen von Verbrauchern und Mitbewerbern erheblich beeinflusst – denn sie können dazu führen, dass Verbraucher sich für den Erwerb der mit Zertifikat beworbenen Produkte statt für solche des Wettbewerbs entscheiden – komme der „Deckel“ gemäß § 13a Abs. 3 UWG im Streitfall nicht zur Anwendung.
28Zur weiteren Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, verwiesen.
29Entscheidungsgründe:
30Die zulässige Klage ist begründet.
311.
32Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung der von der Klägerin mit anwaltlichem Schreiben vom 24.04.2023 (Anlage HKMW7 zur Klageschrift vom 11.05.2023, Bl. 28ff. d. e-Akte) festgesetzten Vertragsstrafe in Höhe von 60.000,00 Euro aus § 339 BGB. Danach verwirkt der Schuldner eine Vertragsstrafe, wenn er gegen eine Unterlassungsverpflichtung verstößt.
33a)
34Die Beklagte hat sich durch die Unterlassungsverpflichtungserklärung vom 09.08.2017 gegenüber der Klägerin, die dieses Angebot auf Abschluss eines Unterlassungsverpflichtungsvertrages – wie zwischen den Parteien unstreitig geblieben ist – auch angenommen hat, verpflichtet, es zu unterlassen, für den Absatz von Waren zu werben, wie je nachfolgend wieder gegeben, wenn nicht zugleich weitergehende Informationen erteilt werden: „EN 1078 / TÜV GS / CE.“ (vgl. Anlage HKMW1 zur Klageschruft vom 11.05.2023, Bl. 9 d. e-Akte).
35Entgegen der von der Beklagten vertretenen Auffassung ist diese Unterlassungsverpflichtungserklärung weder zu unbestimmt, noch deshalb unwirksam. Anders als die Beklagte meint, ist nach Auffassung der Kammer durch die verwendete Formulierung „wenn nicht zugleich weitergehende Informationen erteilt werden“ hinreichend bestimmt, welche weitergehende Informationen gemeint und gefordert sind. Die Beklagte verkennt die Anforderungen, die die ober- und höchstrichterliche Rechtsprechung, der die Kammer folgt, an die notwendigen Informationen, die bei einer Werbung mit Zertifizierungen, technischen Prüfungen und/oder Testergebnissen regelmäßig stellt, wenn sie in der Klageerwiderung vom 03.07.2023 unter ausdrücklichem Hinweis auf die Kommentierung bei „Köhler/Bornkamm/Feddersen, Kommentar zum UWG, 23. Auflage, 2023 § 5 Rn. 2.278“ meint, dass „eine weitergehende Pflicht zur Verfügungstellung von Informationen per se in der Werbung in den einschlägigen Entscheidungen zum Wettbewerbsrecht“ nicht festgehalten worden sei.
36Richtig ist vielmehr: Wird mit einem Testergebnis geworben, müssen die Verbraucher ohne weiteres in der Lage sein, die Angaben über den Test nachzuprüfen. Das setzt voraus, dass eine Fundstelle für den Test angegeben wird. Diese Angabe muss für den Verbraucher auf Grund der Gestaltung der Werbung leicht auffindbar sein. Diese Grundsätze gelten auch für die Wiedergabe eines als solches erkennbaren Testsiegels auf der Produktabbildung in einem Werbeprospekt. Bei einer Internetwerbung mit einem Testergebnis muss entweder dieser Hinweis auf die Fundstelle deutlich auf der ersten Bildschirmseite dieser Werbung zu finden sein oder der Verbraucher muss jedenfalls durch einen deutlichen Sternchenhinweis zu der Fundstellenangabe geführt werden (vgl. dazu insgesamt Köhler/Bornkamm/Feddersen/Bornkamm/Feddersen, 41. Aufl. 2023, UWG § 5 Rn. 2.289 mit zahlreichen weiteren Nachweisen, zitiert nach juris).
37Die Unterlassungsverpflichtungserklärung der Beklagten vom 09.08.2017 ist daher nach ihrem Sinn und Zweck dahingehend auszulegen, dass sich die Beklagte darin verpflichtet hat, zukünftig bei Werbung mit Zertifizierungen, technischen Prüfungen und/oder Testergebnissen die angesprochenen Verbraucher durch Hinzufügung entweder weitergehender Informationen über Inhalt und Umfang der Zertifizierung, technischen Prüfung und/oder des Testergebnisses oder durch Hinzufügung einer entsprechenden Fundstellenangabe die Möglichkeit der Nachprüfung ihrer Angaben zu ermöglichen. Anders als die Beklagte gemeint hat, gilt dies auch nicht nur in Fällen, in denen die Zertifizierung, technische Prüfung oder der Test tatsächlich gar nicht erfolgt sind. Eine solche Beschränkung wäre widersinnig, denn wenn die beworbene Zertifizierung, technische Prüfung oder der Test tatsächlich gar nicht erfolgt sind, gibt es naturgemäß gar keine Möglichkeit für den Verbraucher, die Angaben darüber zu überprüfen.
38b)
39Die streitgegenständlichen Angebote der Beklagten in dem von ihr betriebenen Onlineshop „I“ und auf der Handelsplattform C vom 21./22.04.2023 (Anlagen K3 – K6 zur Klageschrift vom 11.05.2023, Bl. 15ff d. e-Akte) verstoßen unstreitig gegen diese Unterlassungsverpflichtung. In jedem dieser Angebote wird mit einer Zertifizierung („ECE 22.06 zertifiziert“, „ASTM-Zertifizierung“ oder „TÜV/GS zertifiziert“) geworben, ohne dass die Beklagte in dem jeweiligen Angebot irgendwelche weitergehenden Informationen zu Inhalt und Umfang der jeweiligen Zertifizierung oder eine Fundstelle, unter der die angesprochenen Verbraucher diese Informationen hätten finden können, angegeben hat.
40Soweit die Beklagte im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 22.08.2023 in diesem Zusammenhang die Auffassung vertreten hat, die in den streitgegenständlichen Angeboten enthaltenen Zertifizierungen wie „ECE 22.06 zertifiziert“ und „ASTM-Zertifizierung“ seien teilweise schon nicht von der Unterlassungsverpflichtungserklärung vom 09.08.2017 enthalten gewesen, weil sie sich darin durch für „EN 1078 / TÜV GS / CE“ zur Unterlassung verpflichtet habe, und es sei zudem zu berücksichtigen, dass es bei der Abmahnung der Klägerin vom 31.07.2017 um einen (vergleichsweise preiswerten) Fahrradhelm, nunmehr aber z.B. um einen hochpreisigen Motorradhelm zu einem Preis von 994,90 € gehe, so dass insoweit schon deshalb keine Verstöße die Unterlassungsverpflichtungserklärung vom 09.08.2017 vorlägen, verkennt die Beklagte die sog. „Kerntheorie“. Es handelt sich in alle vier von der Klägerin gerügten Angeboten (Anlagen K3 – K6 zur Klageschrift vom 11.05.2023, Bl. 15ff d. e-Akte) zweifelsohne um sog. „kerngleiche Verstöße“. Die Unterlassungsverpflichtungserklärung war schon nach ihrem Wortlaut gerade nicht darauf beschränkt, es zu unterlassen, für den Absatz von „G“ mit Zertifizierungen, ohne zugleich weitergehende Informationen zu erteilen, sondern dies allgemein für den Absatz von „Waren“ nicht zu tun. Damit sind schon nach dem Wortlaut der Unterlassungsverpflichtungserklärung der Beklagten vom 09.08.2017 auch Motorradhelme erfasst. Auch Motorradhelme sind selbstverständlich „Waren“ im Sinne der Unterlassungsverpflichtungserklärung vom 09.08.2017.
41Ebenso beschränkte sich die Unterlassungsverpflichtungserklärung der Beklagten vom 09.08.2017 nicht allein auf die darin beispielhaft mit „EN 1078 / TÜV GS / CE“. Nach dem Sinn und Zweck einer Unterlassungsverpflichtungserklärung sollte die Beklagte nach der sog. „Kerntheorie“ selbstverständlich auch eine Werbung mit ähnlichen Zertifizierungen, insbesondere auch solchen, die zum Zeitpunkt der Abgabe der Unterlassungsverpflichtungserklärung noch gar nicht bekannt waren oder existierten, zukünftig unterlassen, wenn sie den angesprochenen Verbrauchern nicht zugleich die notwendigen weitergehenden Informationen zu einer Nachprüfung von Inhalt und Umfang der beworbenen Zertifizierungen zur Verfügung stellte. Nur eine solche Auslegung der Unterlassungsverpflichtungserklärung vom 09.08.2017 war geeignet, die durch die Erstbegehung des in der Abmahnung vom 31.07.2017 abgemahnten Verstoßes entstandene Wiederholungsgefahr zu beseitigen.
42c)
43Das Verschulden der Beklagten wird vermutet. Die insoweit darlegungsbelastete Beklagte hat keinerlei Umstände dargelegt, die eine andere rechtliche Bewertung auch nur nahelegen könnten. Im Gegenteil: Die von der Beklagten im vorliegenden Verfahren vertretenen Rechtsansichten legen es – unter Berücksichtigung der drei vorangegangenen, gerichtlichen Verfahren, die jeweils eine Überprüfung einer durch die Klägerin wegen erneuter Verstöße gegen die Unterlassungsverpflichtungserklärung der Beklagten vom 09.08.2017 zum Gegenstand hatten – vielmehr nahe, hier ein hartnäckiges, vorsätzliches Verhalten der Beklagten anzunehmen.
44Die Beklagte hat damit jedenfalls zumindest (grob) fahrlässig und folglich schuldhaft gehandelt.
45d)
46Die von der Klägerin festgesetzte Vertragsstrafe von 60.000,00 Euro ist im Ergebnis der Höhe nicht zu beanstanden, sondern im Streitfall unter Berücksichtigung der der drei vorangegangenen, gerichtlichen Verfahren, die jeweils eine Überprüfung einer durch die Klägerin wegen erneuter Verstöße gegen die Unterlassungsverpflichtungserklärung der Beklagten vom 09.08.2017 zum Gegenstand hatten, sowie des Umstandes, dass das letzte dieser Verfahren schon einige Jahre zurückliegt, was zugunsten der Beklagten zu bewerten war, angemessen.
47Auch wenn sich die Beklagte in der Unterlassungsverpflichtungserklärung vom 09.08.2017 für jeden Fall der schuldhaften Zuwiderhandlung gegen darin enthaltene Unterlassungsverpflichtungserklärungen zur Zahlung einer von der Unterlassungsgläubigerin nach billigem Ermessen festzusetzenden und im Streitfall durch das Landgericht zu überprüfenden Vertragsstrafe verpflichtet hatte, ist hier lediglich von einem einheitlichen Verstoß und damit einer dadurch verwirkten Vertragsstrafe auszugehen.
48In welchem Umfang bei mehrfachen Verstößen gegen eine strafbewehrte Unterlassungsverpflichtung Vertragsstrafen verwirkt sind, kann nur nach einer Vertragsauslegung im Einzelfall, die auch Elemente einer ergänzenden Vertragsauslegung beinhalten kann, entschieden werden. Verspricht ein Schuldner – wie hier – die Zahlung einer Vertragsstrafe „für jeden Fall der Zuwiderhandlung“, kann die Auslegung des Versprechens ergeben, dass mehrere zeitlich nicht zu weit auseinanderliegende Einzelverstöße, die auf fahrlässigem Verhalten beruhen, als eine Zuwiderhandlung anzusehen sind. Ist es zu einer Vielzahl von Einzelverstößen gekommen, ist in einem ersten Schritt zu prüfen, ob eine natürliche Handlungseinheit vorliegt. Sie zeichnet sich durch einen engen Zusammenhang der Einzelakte und durch eine auch für Dritte äußerlich erkennbare Zugehörigkeit zu einer Einheit aus. In einem zweiten Schritt ist zu fragen, ob – wenn nicht durch eine Handlungseinheit – die einzelnen Zuwiderhandlungen in der Weise zusammenhängen, dass sie gleichartig sind und unter wiederholter Außerachtlassung derselben Pflichtenlage begangen wurden. Hier setzt die Vertragsauslegung ein, die in der Regel die Annahme nahelegen wird, dass die Vertragsstrafe nicht für jede einzelne Tat verwirkt sein soll. Dabei muss dem Gesichtspunkt Rechnung getragen werden, dass sich die Schwierigkeiten, die sich bei der Vertragsstrafebemessung ergeben, bei Vertragsschluss nicht vorhersagen lassen (vgl. dazu insgesamt OLG Hamm, Urteil vom 27. Oktober 2020 – I-4 U 71/19 –, Tz. 120f. mit zahlreichen weiteren Nachweisen, zitiert nach juris).
49Unter Anwendung der vorstehenden Grundsätze ist festzuhalten, dass zwischen allen vier von der Klägerin gerügten Angeboten (Anlagen K3 – K6 zur Klageschrift vom 11.05.2023, Bl. 15ff d. e-Akte) eine natürliche Handlungseinheit anzunehmen ist. Maßgeblich für diese Bewertung ist, dass die Beklagte sich ganz offensichtlich überhaupt nicht dazu veranlasst gesehen hat, die erforderlichen Schritte zu unternehmen, um diese zeitlich eng zusammenhängenden Verstöße auf zwei Plattformen abzustellen. Die Untergliederung dieses Sachverhalts als mehraktige Handlung kommt nicht in Betracht. Es kann in diesem Zusammenhang offenbleiben, ob ein vorsätzliches Verhalten der Beklagten feststellbar ist und ob in diesem Fall die Annahme einer natürlichen Handlungseinheit noch in Betracht kommen kann. Jedenfalls hängen die einzelnen Zuwiderhandlungen in einer Weise zusammen, dass sie gleichartig sind und unter fortbestehender Außerachtlassung derselben Pflichtenlage begangen wurden.
50Der Umstand, dass hier eine natürliche Handlungseinheit anzunehmen war, ändert jedoch nichts daran, dass die Festsetzung der Vertragsstrafe auf 60.000,00 Euro angemessen war. Die Klägerin hat das ihr bei der Bemessung der Vertragsstrafe zustehende Ermessen nicht fehlerhaft ausgeübt, indem sie zu Lasten der Beklagten berücksichtigt hat, dass die in der Vergangenheit bereits festgesetzten und bezahlten Vertragsstrafen von Höhe von insgesamt 74.000,00 Euro offensichtlich immer noch nicht geeignet waren, die Beklagte zur hinreichenden Beachtung des Unterlassungsverpflichtungsvertrages anzuhalten, aber anderseits zu Gunsten der Beklagten gewertet hat, dass die von der Klägerin zuletzt festgestellten Verstöße inzwischen eine Weile zurücklagen.
512.
52Der Zinsanspruch der Klägerin folgt aus §§ 286, 288 BGB.
533.
54Über die Hilfswiderklage der Beklagten war nicht zu entscheiden, weil die prozessuale Bedingung, unter die der Hilfswiderklageantrag gestellt worden war - dass das Gericht zur Überzeugung gelangt, dass die streitgegenständliche Vertragsstrafe aufgrund des unwirksamen Vertragsstrafeversprechens nicht zugesprochen werden kann – nicht eingetreten ist (vgl. dazu die Ausführungen unter Ziffer 1.).
554.
56Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 709 ZPO.