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Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Bochum vom 16.10.2020 (75 C 72/20) wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Berufung hat der Beklagte zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Das angefochtene Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
I.
2Von der Darstellung des Tatbestands wird gemäß §§ 540 Abs.2, 544 Abs.2 Nr.1, 313 a Abs.1 S.1 ZPO abgesehen.
3II.
4Die zulässige Berufung des Beklagten ist unbegründet.
5Die Klägerin hat einen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 2.495,48 € gegen den Beklagten, denn dieser hat schuldhaft eine ihm nach der InsO obliegende Pflicht verletzt, indem er als Treuhänder Gehaltsanteile der Klägerin im Zeitraum September bis Dezember 2019 in dieser Höhe einzog und an ihre Gläubiger auszahlte.
61.
7Der Beklagte hat eine ihm nach der InsO obliegende Pflicht verletzt.
8Zwar durfte er die – unstreitig pfändbaren – Gehaltsanteile der Klägerin noch einziehen. Denn die Klägerin gab mit ihrem Insolvenzantrag eine Abtretungserklärung ab, nach deren Inhalt sie ihre pfändbaren Forderungen auf Bezüge aus einem Dienstverhältnis für die Zeit von sechs Jahren nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens (Abtretungsfrist) an den Treuhänder – mithin den hiesigen Beklagten – abtritt (§ 287 Abs. 2 InsO).
9Er durfte die eingenommenen Gehaltsanteile jedoch nicht an die Gläubiger der Klägerin auszahlen, sondern hätte diese – nach Rechtskraft der Erteilung der vorzeitigen Restschuldbefreiung – an die Klägerin als Schuldnerin herausgeben müssen.
10Dabei ist die Kammer von Folgendem ausgegangen:
11a)
12Die reguläre Abtretungsfrist (Wohlverhaltensphase) beträgt 6 Jahre (vgl. § 287 Abs. 2 InsO a.F. bis zum 30.09.2020). Bei regulärem Ablauf des Insolvenzverfahrens – insbesondere bei einer Wohlverhaltensphase von 6 Jahren – endet die mit dem Insolvenzantrag erklärte Abtretung Tag genau nach 6 Jahren, ohne dass es einer weiteren Beschlussfassung durch das Gericht bedarf. Ab diesem Tag steht dem Schuldner der pfändbare Anteil des Einkommens wieder zu, denn die Grundlage für den Einbehalt entfällt mit Erreichen dieses Tages von selbst. Wann das Gericht den Beschluss zur Erteilung der Restschuldbefreiung erlässt oder gar dessen Rechtskraft eintritt, ist hierfür nicht maßgeblich.
13Im Falle einer – wie hier vorliegenden – vorzeitig erteilten Restschuldbefreiung hat der Schuldner in der Vorbereitungsphase einen gleichlautenden Antrag mit
14Abtretungserklärung für 6 Jahre gestellt. Liegen die Voraussetzungen für eine vorzeitige Restschuldbefreiung vor (hier nach § 300 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 InsO a.F. [bis zum 30.09.2020]), so muss der Schuldner nach § 300 Abs. 1 S. 2 a. F. einen Antrag stellen; einen Automatismus wie bei regulärem Fristablauf gibt es nicht.
15Dies hat zur Folge, dass der beklagte Treuhänder bis zur Entscheidung des Gerichts über den Antrag auf vorzeitige Restschuldbefreiung weiterhin berechtigt ist, auf Grundlage der Abtretungserklärung Gehaltsanteile einzuziehen (vgl. § 300a Abs. 1
16S. 1 InsO; Begr. RegE zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte, BT-Drs. 17/11268, 17).
17Ausweislich des Verweises in § 300 Abs. 4 S. 3 InsO a.F. auf eine analoge Anwendung des § 299 InsO kommt eine Rückwirkung der Restschuldbefreiungsentscheidung auf den Zeitpunkt der Antragsstellung nicht in Betracht, denn nach § 299 InsO enden die Abtretungsfrist, das Amt des Treuhänders und die Beschränkung der Rechte der Gläubiger mit der Rechtskraft der Restschuldbefreiungsentscheidung.
18Unter Beachtung dieser Grundsätze endet die von der Klägerin erklärte Abtretung erst mit dem rechtskräftigen Beschluss zur Restschuldbefreiung; eine rückwirkende Verkürzung der Abtretungsdauer auf das – hier relevante – dritte Jahr gibt es mithin nicht.
19b)
20Gleichwohl verweist der Gesetzgeber in § 300 Abs. 4 S. 3 InsO a.F. auch auf § 300a InsO a. F. (bis zum 30.09.2020) in entsprechender Anwendung, der in Absatz 1 Satz 1 a.F. insoweit ausführt, dass das Vermögen, das der Schuldner nach Ende der Abtretungsfrist oder nach Eintritt der Voraussetzungen des § 300 Abs. 1 S. 2 erwirbt, im Falle der Erteilung der Restschuldbefreiung nicht mehr zur Insolvenzmasse gehört.
21Daraus folgt, dass bereits ab dem Zeitpunkt, indem die Voraussetzungen für eine vorzeitige Restschuldbefreiung vorliegen – hier nach 3 Jahren – Neuerwerb dem Schuldner zusteht. Mit anderen Worten behandelt der Gesetzgeber alles, was noch nach diesem Zeitpunkt einbehalten wird, so, als wäre die Abtretung rückwirkend entfallen.
22Entsprechend § 300a Abs. 2 S. 3 a.F. hat der Beklagte bei Rechtskraft der Erteilung der Restschuldbefreiung der Klägerin den Neuerwerb herauszugeben (vgl. BGH NZI 2010, 111; Begr. RegE zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte, BT-Drs. 17/11268, 17, 31) und über die Verwaltung des Neuerwerbs Rechnung zu legen. Erfolgt also die vorzeitige Restschuldbefreiung, ist alles, was nach dem – hier relevanten – dritten Jahr bis zur rechtskräftigen
23Erteilung der Restschuldbefreiung noch eingezogen wurde, als Neuerwerb zu behandeln und an den Schuldner zurückzuzahlen.
242.
25Die Verletzung der Auszahlungspflicht gemäß § 300a Abs. 2 InsO a.F. i.V.m. § 300 Abs. 4 S. 3 InsO a.F. hat der Beklagte auch schuldhaft begangen.
26Gemäß § 276 Abs. 1 BGB sind Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten. Ob ein außer Acht lassen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt und damit fahrlässiges Handeln
27i.S.d. § 276 Abs. 2 BGB vorliegt, ist dabei anhand der Konkretisierung des § 60 Abs.
281 S. 2 InsO festzustellen. Hiernach ist für die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Insolvenzverwalters einzustehen.
29Diese Voraussetzungen hat der Beklagte vorliegend nicht erfüllt. Er handelte fahrlässig. Der Beklagte war zur eigenständigen Prüfung der Rechtslage verpflichtet und hätte diese auch erkennen können. Dem steht nicht entgegen, dass seine Rechtsauffassung auch seitens des zuständigen Rechtspflegers unterstützt worden sei bzw. die entsprechenden Abrechnungen vorgegeben worden seien. Zwar ist es richtig, dass der o.g. Rechtspfleger in der Verfügung vom 19.11.2019 ausführt:
30„Nach telefonischer Rücksprache mit E wird dort die Meinung vertreten, dass die pfändbaren Beträge bis zur Rechtskraft der Entscheidung über die Restschuldbefreiung noch den Gläubigern zustehen. In der Kommentarliteratur (Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, Band 3
313. Auflage 2014, § 300 InsO Rand-Nr. 36) wurde folgender Auszug gefunden:
32Im Falle einer verkürzten Restschuldbefreiung gem. Abs. 1 Satz 2 verweist Abs. 4 Satz 3 auf die entsprechende Anwendung der §§ 299 und 300a (neu). § 299 bestimmt, dass bei einer vorzeitigen Beendigung des Verfahrens die Abtretungsfrist, das Amt des Treuhänders und die Beschränkung der Rechte der Gläubiger mit der Rechtskraft der Entscheidung enden. § 300a regelt den Neuerwerb im laufenden Insolvenzverfahren nach Erteilung der Restschuldbefreiung.
33Daher ist die Meinung des Treuhänders vertretbar.“.
34Der Rechtspfleger hat jedoch übersehen, dass die einbehaltenen Gehaltsanteile in der Zeit bis zur Rechtskraft der vorzeitigen Restschuldbefreiung lediglich
35treuhänderisch zu verwahren und nach Eintritt der Rechtskraft an die Schuldnerin herauszugeben sind. Hierüber verhält sich der zitierte Kommentarauszug auch nicht. Aus ihm folgt insbesondere nicht, dass die Rechtsansicht des Beklagten vertretbar oder gar richtig ist.
363.
37Der Zinsanspruch folgt aus §§ 280, 288, 291 ZPO.
38III.
39Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
40Der Streitwert wird auf 2.495,48 EUR festgesetzt.