Seite drucken
Entscheidung als PDF runterladen
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 28.482,79 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23.11.2020 Zug-um-Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs B (# ccm/ # kw/ # PS) mit der Fahrgestelltnummer # zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des o.g. Fahrzeugs in Annahmeverzug befindet.
Es wird ferner festgestellt, dass der Rechtsstreit teilweise i.H.v. 1.937,01 € in der Hauptsache erledigt ist.
Wegen der weitergehenden Nebenforderung wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand:
2Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Schadensersatz im Zusammenhang mit dem Erwerb eines Gebrauchtfahrzeugs wegen des behaupteten Einbaus unzulässiger Abschalteinrichtungen in Anspruch.
3Die Klägerin erwarb aufgrund Kaufvertrags vom 19.09.2017, der einen Kaufpreis von 36.020,00 € und einen Kilometerstand von 4055 km ausweist, bei der B1 in Bochum ein Fahrzeug des Typs B, Erstzulassung 10.08.2016. In dem Fahrzeug ist ein Dieselmotor der Baureihe EA 897 oder EA 896 Gen. 2 verbaut mit einer EG-Typengenehmigung für die Abgasnorm Euro 6. Die Beklagte ist Herstellerin des streitgegenständlichen Fahrzeugs und seines Motors. Der Kilometerstand betrug am 26.07.2021 78.916 km.
4Der Motor ist mit einer Technik ausgestattet, welche als „Thermofenster“ bezeichnet wird. Die Kontrolle der Stickstoffemissionen erfolgt über die sog. Abgasrückführung (AGR). Bei der Abgasrückführung wird ein Teil der Abgase nicht unmittelbar zum Auspuffsystem, sondern zurück in das Ansaugsystem des Motors geführt und nimmt so erneut an der Verbrennung teil. Dadurch sinkt der Sauerstoffanteil im Brennraum, denn der Frischluftanteil wird durch die zurückgeführten Abgase reduziert. Dies hat zur Folge, dass die Verbrennungsgeschwindigkeit gedrosselt wird, was wiederum die Verbrennungstemperatur verringert. Diese Effekte bewirken einen geringeren Ausstoß von NOx-Emissionen. Der Grad der Abgasrückführung bemisst sich insoweit unter anderem auch in Abhängigkeit von der Außentemperatur, indem die Abgasrückführung bei Erreichen einer bestimmten Außentemperatur reduziert wird (sog. „Thermofenster“).
5In dem Fahrzeug ist ferner ein T-Katalysator verbaut.
6Das streitgegenständliche Fahrzeug ist von einem verpflichtenden Rückruf des Kraftfahrtbundesamtes (KBA) betroffen. Das KBA geht in dem zugrunde liegenden Bescheid vom Einsatz einer unzulässigen Abschalteinrichtung aus. Ein Softwareupdate für den streitgegenständlichen Fahrzeugtyp hat das KBA mit Bestätigung vom 13.09.2019 freigegeben.
7Mit Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 14.11.2020 forderte die Klägerin die Beklagte erfolglos zur Zahlung von Schadensersatz Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs unter Fristsetzung zum 22.11.2020 auf.
8Die Klägerin, die den streitgegenständlichen Motor als Typ F bezeichnet, macht geltend, das streitgegenständlichen Fahrzeug weise unzulässige Abschalteinrichtungen auf; hierüber habe die Beklagte getäuscht und die Klägerin damit vorsätzlich sittenwidrig geschädigt. Die Beklagte habe das Fahrzeug unter Verschweigen einer gesetzeswidrigen Software-Programmierung in Verkehr gebracht. Das Fahrzeug sei im Zeitpunkt des Kaufs weder genehmigungs- noch verkehrsfähig gewesen.
9Die programmierte Abgasrückführung stelle eine unzulässige Abschalteinrichtung dar. Im Prüfstand sei die Abgasaufbereitung so programmiert, dass möglichst wenige Stickoxide (NOx) ausgestoßen würden. Zu diesem Zwecke würden die Abgase wieder der Verbrennung zugeführt. Hierdurch würden die Stickoxidemissionen verringert, die Bildung von Rußpartikeln jedoch durch die zusätzliche Verbrennung gefördert. Zusätzlich finde eine Leistungsreduzierung statt, um den Verbrauch und damit die streitgegenständlichen CO2-Werte deutlich zu senken. Erkenne das Fahrzeug, dass es länger im normalen Betrieb auf der Straße fahre, würden Teile der Abgaskontrollanlage außer Betrieb gesetzt. So würde die Abgasrückführungsrate heruntergefahren, wodurch weniger Abgase erneut der Verbrennung zurückgeführt und in der Folge mehr Stickoxide ausgestoßen würden.
10Ferner sei die Aufheizstrategie zu beanstanden. Liege eine Vielzahl von Initialisierungsparametern vor, schalte das Fahrzeug in die Aufheizstrategie. Die Parameter seien über eine UND-Verknüpfung miteinander verknüpft, sodass alle Bedingungen gleichzeitig vorliegen müssten. Schon kleine Abweichungen in Fahrprofil und Umgebungsbedingungen führten zur Abschaltung der Aufheizstrategie. Die zu den Parametern gehörenden Werte (Schaltbedingungen) seien so eng bedatet, dass die Aufheizstrategie nahezu ausschließlich im Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) und den dort definierten Prüfbedingungen wirke.
11Auch die B2-Dosierung sei manipuliert. Beim Betrieb des T-Katalysators würden zwei unterschiedliche Betriebsarten zur Eindüsung von S (B2) verwendet. Unterschieden würden der Speicher- und der Onlinebetrieb. Das Fahrzeug erkenne den Prüfstand, sodass dem Fahrzeug im Prüfstand mehr Harnstoff zugeführt werde, um die Abgase zu reinigen. Da der B2 Tank des Fahrzeugs allerdings bewusst zu klein konzipiert sei, führe dieser Umstand im Ergebnis dazu, dass dem Fahrzeug im realen Fahrbetrieb weniger Harnstoff zugeführt werde, sodass das Fahrzeug mehr NOx emittiere. Es erfolge eine Drosselung der B2-Einspritzung bei zunehmend leerem B2-Tank. Durch die Nichteinspritzung von Harnstoff funktioniere der T-Katalysator nicht oder nur sehr eingeschränkt, wodurch das Abgas Stickstoffdioxid ungehindert in hohen Konzentrationen austrete.
12Hätte die Klägerin diese Umstände gekannt, hätte sie das streitgegenständliche Fahrzeug nicht gekauft.
13Die Klägerin beantragt,
141.
15die Beklagte zu verurteilen, an die Klagepartei EUR 36.020,00 zuzüglich Finanzierungskosten in Höhe von 1.574,10 EUR nebst jeweils Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23.11.2020 abzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von EUR 9.111,92 Zug-um-Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeuges B (# ccm | # kW | # PS) mit der Fahrgestellnummer # abzüglich einer weiteren Nutzungsentschädigung nach dem Kilometerstand im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung zu zahlen;
162.
17festzustellen, dass sich die Beklagte seit dem 23.11.2020 mit der Rücknahme des im Klageantrag zu 1. bezeichneten Gegenstands in Annahmeverzug befindet;
183.
19festzustellen, dass der Rechtsstreit i.H.v. 1.937,13 € in der Hauptsache erledigt ist;
204.
21die Beklagte zu verurteilen, die Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von EUR 2.199,36 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23.11.2020 an die Klagepartei zu zahlen.
22Die Beklagte beantragt,
23die Klage abzuweisen.
24Die Beklagte, die den verbauten Motor als Typ der Baureihe F bezeichnet, macht geltend, das Fahrzeug verfüge über eine wirksame EG-Typgenehmigung und habe dem genehmigten Typ zu jeder Zeit entsprochen. Es drohe auch weder ein Widerruf der EG-Typgenehmigung doch ein Erlöschen der Betriebserlaubnis.
25Den geltenden Stickoxidgrenzwert, den das Fahrzeug auf dem Rollenprüfstand des NEFZ erreichen müsse, halte es ein. Eine gesetzliche Vorgabe für den normalen Straßenbetrieb sei für die in Rede stehenden Fahrzeuge nicht vorhanden. Ausweislich der eindeutigen gesetzgeberischen Wertung komme es im Rahmen des maßgeblichen Typgenehmigungsverfahrens allein auf die beim Durchfahren des NEFZ gemessenen Emissionswerte an. Eine Abweichung zwischen Realbetrieb und Werten im Prüfstand sei der gesetzgeberischen Entscheidung mithin immanent. Es sei auch allgemein bekannt, dass die in den Herstellerangaben angegebenen Werte der hier in Rede stehenden Fahrzeuge den Laborbedingungen entsprächen und in der Regel nicht im „normalen Fahrbetrieb“ erzielt worden seien.
26Das KBA habe das Thermofenster nicht als unzulässige Abschalteinrichtung bewertet, hierauf beziehe sich der Rückruf nicht. Es sei zum Schutz bestimmter Bauteile von Motor und Abgasanlage unter- und oberhalb festgelegter Temperaturen erforderlich.
27Jedenfalls fehle es an einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung der Klägerin durch die Beklagte.
28Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
29Entscheidungsgründe:
30Die Klage ist hat im Wesentlichen Erfolg.
31I.
32Die Klage ist zulässig.
331.
34Es kann dahingestellt bleiben, ob das Landgericht C gemäß § 32 ZPO örtlich zuständig ist, da dessen örtliche Zuständigkeit bereits aus dem Verzicht der Beklagten auf die Rüge der örtlichen Zuständigkeit folgt, die einer Gerichtsstandsvereinbarung im Sinne des § 38 ZPO entspricht.
352.
36Soweit die Klägerin die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten begehrt, ergibt sich das erforderliche Feststellungsinteresse unter prozessökonomischen Gesichtspunkten aus §§ 756, 765 ZPO.
373.
38Soweit die Klägerin den Rechtsstreit teilweise i.H.v. 1.937,13 € in der Hauptsache für erledigt erklärt hat, war diese einseitige Erledigungserklärung als Antrag auf Feststellung der Erledigung auszulegen.
39II.
40Die Klage ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.
411.
42Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Schadensersatz aus §§ 826, 249, 251 BGB in Höhe von 28.482,64 € Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs.
43Die Beklagte hat der Klägerin in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise vorsätzlich einen Schaden zugefügt.
44Ohne Bedeutung bleibt, dass die Beklagte von dem konkreten Vertragsschluss zwischen der Klägerin und der Verkäuferin des Fahrzeugs keine Kenntnis hatte, da sie als Herstellerin des streitgegenständlichen Fahrzeugs und seines Motors (ausschließlich) deliktisch haftet.
45Einer Beweisaufnahme zu der Frage, ob in dem streitgegenständlichen Motor eine oder mehrere unzulässige Abschalteinrichtungen enthalten sind, bedurfte es nicht. Die Beklagte stellt das Vorliegen jedenfalls einer von Kraftfahrtbundesamt als unzulässig bewerteten Abschalteinrichtung, die zu einem bestandskräftigen Bescheid und einem Rückruf des streitgegenständlichen Fahrzeugs geführt hat, nicht in Abrede.
46Ausgehend hiervon hat die Beklagte die zuständige Genehmigungsbehörde im Rahmen des EG-Typgenehmigungsverfahrens durch die Herstellung und das Inverkehrbringen des Motors mit der beanstandeten Motorsteuerungssoftware konkludent getäuscht. Mit dem Antrag auf Erteilung einer Typgenehmigung gibt ein Fahrzeughersteller gegenüber der Genehmigungsbehörde auch die Erklärung ab, dass der Einsatz des Fahrzeugs entsprechend seinem Verwendungszweck im Straßenverkehr uneingeschränkt zulässig ist. Damit ist insbesondere die Erklärung verbunden, dass das Fahrzeug eine uneingeschränkte Betriebserlaubnis erhalten darf, deren Fortbestand nicht aufgrund bereits bei seiner Auslieferung dem Hersteller bekannter Eigenschaften des Fahrzeugs oder seines Motors gefährdet ist. Dies setzt nicht nur das formal erfolgreiche Durchlaufen der erforderlichen Zulassungs- und Genehmigungsverfahren voraus, sondern erfordert darüber hinaus, dass die für den Fahrzeugtyp notwendige EG-Typgenehmigung nicht durch Täuschung der Genehmigungsbehörde erschlichen worden ist und das Fahrzeug den für den Erhalt und die Fortdauer der EG-Typgenehmigung einzuhaltenden Vorgaben tatsächlich einspricht. Ist dies nicht der Fall, steht der Sachverhalt wertungsmäßig einer unmittelbaren Täuschung des Fahrzeugkäufers gleich (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19 – NJW 2020, 1962 Rn. 25; OLG Hamm, Urteil vom 10.09.2019 – 13 U 149/18 – BeckRS 2019, 20495 Rn. 35; OLG Hamm, Urteil vom 23.11.2020 – 8 U 43/20 – BeckRS 2020, 41423 Rn. 32).
47Einzelheiten des Inhalts des bestandskräftigen Bescheids des Kraftfahrtbundesamtes betreffend die Feststellung einer oder mehrerer unzulässiger Abschalteinrichtungen sind zwischen den Parteien streitig geblieben, indes steht fest, dass das Kraftfahrtbundesamt der Beklagten aufgegeben hat, die Bedatung der beanstandeten Softwarebestandteile zu ändern bzw. aufzuweiten, um einen breiteren Anwendungsbereich im Straßenbetrieb zu gewährleisten. Daraus folgt unmittelbar, dass das Kraftfahrtbundesamt nicht davon ausgeht, dass der beanstandete Zustand der Motorsteuerungssoftware aus Gründen des Motor- oder Bauteilschutzes zulässig wäre. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Rechtsauffassung des Kraftfahrtbundesamtes die Kammer im vorliegenden Verfahren bindet, da sich die Beklagte, die den Bescheid nicht angegriffen hat, jedenfalls nach Treu und Glauben gemäß § 242 BGB nicht auf eine möglicherweise fehlerhafte Rechtsauffassung des Kraftfahrtbundesamtes in diesem Punkt berufen kann, wobei bereits offen bleiben soll, ob das Vorbringen der Beklagten in diesem Sinne verstanden werden muss.
48Die Klägerin ist von dem Bescheid des Kraftfahrtbundesamtes auch unmittelbar betroffen, da das streitgegenständliche Fahrzeug dem Rückruf unterfällt.
49Einer Beweisaufnahme zu der Frage, ob das Fahrzeug die Stickoxidgrenzwerte im Rahmen des NEFZ tatsächlich einhält, bedurfte es nicht. Bereits wegen der unzulässigen Abschalteinrichtung musste die Klägerin als Erwerberin eines von dem Bescheid des Kraftfahrtbundesamtes betroffenen Fahrzeugs jederzeit damit rechnen, dass die Typgenehmigung widerrufen und das Fahrzeug daher stillgelegt würde. Die festgestellte konkludente Täuschung entfiele nicht durch die Feststellung der von der Beklagten unter Beweis gestellten Behauptung (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 23.11.2020 - 8 U 43/20 - BeckRS 2020, 41423 Rn. 37).
50Das schädigende Verhalten ist der Beklagten entsprechend § 31 BGB zuzurechnen. Es ist bei lebensnaher Betrachtung davon auszugehen, dass die Organe der Beklagten an der zumindest konkludenten Täuschung des Kraftfahrtbundesamtes als Genehmigungsbehörde, die aus den dargestellten Gründen einer Täuschung der Klägerin gleichsteht, beteiligt waren. Der Beklagten hätte es im Rahmen ihrer sekundären Darlegungslast in Anlehnung an die Grundsätze aus dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 25.05.2020, Az. VI ZR 252/19, oblegen, Umstände vorzutragen aus denen sich ergeben würde, dass und aus welchen Gründe der Vorstand in die Entwicklung des streitgegenständlichen Motors nicht involviert gewesen sein sollte. Es sind keine Umstände vorgetragen oder sonst ersichtlich, die plausibel machten, wie eine derartige Motorsteuerungssoftware ohne Wissen des Vorstands - ggf. zumindest im Sinne eines Organisationsverschuldens - entwickelt und installiert worden sein soll (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 23.11.2020 - 8 U 43/20 - BeckRS 2020, 41423 Rn. 38; vgl. auch BGH, Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19 - NJW 2020, 1962 Rn. 42).
51Die Beklagte hat bei der Herstellung des Fahrzeugs und beim Erhalt der EG-Typgenehmigung sowie dem Inverkehrbringen des streitgegenständlichen Motors sittenwidrig gehandelt. Die Sittenwidrigkeit ist insbesondere auch nicht durch die Freigabe des Updates der Motorsteuerungssoftware durch das Kraftfahrtbundesamt entfallen. Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Zu der pflichtwidrigen Verursachung eines Vermögensschadens muss dabei im Allgemeinen eine besondere Verwerflichkeit des Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (vgl. BGH, Urteil vom 28.06.2016 – VI ZR 536/15 – NJW 2017, 250 Rn. 16 mwN; BGH, Urteil vom 07.05.2019 – VI ZR 512/17 – NJW 2019, 2165 Rn. 8; OLG Hamm, Urteil vom 23.11.2020 – 8 U 43/20 – BeckRS 2020, 41423 Rn. 40). Im Ergebnis spricht nichts dafür, die Frage der Sittenwidrigkeit anders als in dem Fall des Motors EA 189 (VW) zu beurteilen, der dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19, zugrunde lag (ebenso OLG Hamm, Urteil vom 23.11.2020 – 8 U 43/20 – BeckRS 2020, 41423 Rn. 41; vgl. dazu BGH, ebd. Rn. 13 ff.).
52Hinsichtlich des Schädigungsvorsatzes der Beklagten gelten die obigen Ausführungen zur entsprechenden Anwendung des § 31 BGB sinngemäß.
53Die sittenwidrige Täuschung der Beklagten ist für den streitgegenständlichen Kaufvertragsabschluss, aus dem der initiale Vermögensschaden der Klägerin folgt, auch kausal geworden. Ausgehend von den in der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 25.05.2020, Az.: VI 252/19, aufgestellten Grundsätzen, die das Oberlandesgericht Hamm in seinem Urteil vom 23.11.2020, Az.: 8 U 43/20, auf die vorliegende Fallgestaltung überträgt, geht die Kammer davon aus, dass kein informierter, wirtschaftlich vernünftig denkender Käufer ein Fahrzeug mit einer unzulässigen Motorsteuerungssoftware kaufen würde, welche zumindest deutliche Zweifel an dem Fortbestand der Betriebserlaubnis begründet. Wie in dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall stand auch hier im Zeitpunkt des Erwerbs das später vom Kraftfahrtbundesamt freigegebene Softwareupdate nicht zur Verfügung, sodass insgesamt unabsehbar war, ob und wie der beanstandete Zustand zu beheben sein würde. Auf die konkreten Motive der Klägerin hinsichtlich des Kaufs des streitgegenständlichen Fahrzeugs kommt es daher nicht an, da keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, dass ihr eine etwaige Stilllegung des Fahrzeugs gleichgültig gewesen wäre (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 23.11.2020 – 8 U 43/20 – BeckRS 2020, 41423 Rn. 50).
54Die Klägerin hat aufgrund des dargestellten Verhaltens der Beklagten einen ersatzfähigen Schaden im Sinne der §§ 249 Abs. 1, Abs. 2, 251 BGB in der aus dem Tenor ersichtlichen Höhe erlitten.
55Der Schaden liegt im Kauf des mit der beanstandeten Motorsteuerungssoftware ausgestatteten Fahrzeugs (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 23.11.2020 – 8 U 43/20 – BeckRS 2020, 41423 Rn. 53). Unabhängig davon, dass das Fahrzeug als solches uneingeschränkt zu nutzen und verkehrssicher war, unterliegt es einem bestandskräftigen Rückruf im Hinblick auf die beanstandete Motorsteuerungssoftware und es drohte in diesem Zusammenhang grundsätzlich eine Betriebsuntersagung, wodurch der Zweck des Erwerbs eines Fahrzeugs, damit uneingeschränkt am Straßenverkehr teilnehmen zu können, teilweise vereitelt und der Nutzwert entsprechend eingeschränkt wird (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19 – NJW 2020, 1962 Rn. 54). Aus den dargestellten Gründen ist ein Schaden auch nicht durch das Angebot des Softwareupdates wieder entfallen. Ferner wird dadurch der ungewollte Vertragsschluss nicht rückwirkend gewollt oder beseitigt.
56Neben dem Kaufpreis i.H.v. 36.020,00 € sind in die Schadensberechnung auch die Finanzierungskosten i.H.v. 1.574,10 € einzustellen. Es ist unstreitig geblieben, dass das Darlehen inzwischen abgelöst ist und Zinsen i.H.v. 1.574,10 € angefallen sind. Entgegen der Auffassung der Beklagten steht die Einräumung des sog. "verbrieften Rückgaberechts" im Rahmen des "VarioCredits" dem Schaden in der geltend gemachten Höhe nicht entgegen.
57Unter Berücksichtigung der Grundsätze der Vorteilsausgleichung, die auch auf Ansprüche aus § 826 BGB anzuwenden sind (vgl. nur BGH, Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19 – NJW 2020, 1962 Rn. 66 mwN), muss sich die Klägerin die gezogenen Nutzungen in Form der mit dem streitgegenständlichen Fahrzeug gefahrenen Kilometer in Abzug bringen lassen.
58Die Kammer geht im Rahmen des § 287 ZPO von einer prognostizierten Gesamtlaufleistung von 300.000 km und einer linearen Berechnung aus (ebenso OLG Hamm, Urteil vom 23.11.2020 – 8 U 43/20 – BeckRS 2020, 41423 Rn. 64 im Anschluss an BGH, Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19 – NJW 2020, 1962 Rn. 79 ff.). Es ergibt sich folgender Nutzungsersatz:
59Restlaufleistung bei Vertragsschluss: 300.000 km - 4.055 km = 295.945km
Fahrleistung der Klägerin: 78.916 km - 4.055 km = 74.861 km
Fahrleistung x Kaufpreis (36.020,00 €) ./. Restlaufleistung = 9.111,46 €.
Der Schadensersatzbetrag beziffert sich danach wie folgt:
64Kaufpreis: 36.020,00 € zzgl. Finanzierungskosten: 1.574,10 € abzgl. Nutzungsersatz: 9.111,46 € = 28.482,65 €.
652.
66Der Zinsanspruch ist unter Verzugsgesichtspunkten gem. §§ 286, 288 BGB gerechtfertigt..
673.
68Der Feststellungsantrag hinsichtlich des Annahmeverzugs ist begründet. Die Beklagte befindet sich aufgrund des - unter Berücksichtigung der zwischenzeitlich gezogenen weiteren Nutzungen - weitgehend begründeten Klageantrags jedenfalls durch das darin enthaltene wörtliche Angebot in Annahmeverzug gemäß §§ 293, 295, 298 BGB.
694.
70Ein Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte auf Zahlung von vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten ergibt sich weder aus § 826 BGB noch aus einer sonstigen Anspruchsgrundlage.
71Voraussetzung der Erstattungsfähigkeit vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Form der Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG wäre, dass die Klägerin ihren Prozessbevollmächtigten zunächst ein auf die außergerichtliche Tätigkeit beschränktes Mandat erteilt hätte (vgl. BGH, Urteil vom 15.08.2019 – III ZR 205/17 – NJW-RR 2019, 1332 Rn. 43). Es ist indes - auch aus dem als Anlage K 13 zur Klageschrift vorgelegten Schreiben der Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 14.11.2020 - nicht ersichtlich, dass diese ihren Prozessbevollmächtigten zunächst ein auf die außergerichtliche Tätigkeit beschränktes Mandat erteilt hatte. Ausgehend hiervon stellt sich die außergerichtliche Tätigkeit der Prozessbevollmächtigten der Klägerin als die Klage vorbereitende Tätigkeit im Sinne des § 91 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 RVG dar, die durch die Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG abgegolten ist.
72Ferner bestünden in Anbetracht der Vielzahl gleichgelagerter Rechtsstreitigkeiten, die allein vor der Kammer, auch unter Beteiligung der Prozessbevollmächtigten der Klägerin, anhängig sind, nachdrückliche Zweifel daran, dass die Klägerin die Beauftragung ihrer Prozessbevollmächtigten mit einer zunächst allein außergerichtlichen Interessenverfolgung im Hinblick auf fehlende Erfolgsaussichten für erforderlich halten durfte.
73III.
74Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92 Abs. 1, 709 S. 1, 2 ZPO.
75Der Streitwert wird auf 31.000,00 EUR festgesetzt.