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1.
Die Klage wird abgewiesen.
2.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
3.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand:
2Die Klägerin nimmt den Beklagten auf Zahlung von Schadensersatz für den Zeitraum vom 31.12.2005 bis zum 31.12.2009 in Höhe der Klageforderung wegen vorsätzlich unterlassener Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen in Anspruch.
3Die Klägerin ist ein deutscher Sozialversicherungsträger und Einzugsstelle für den Gesamtsozialversicherungsbeitrag der bei ihr versicherten Beschäftigten. Der Beklagte ist einzelvertretungsberechtigter Geschäftsführer der E GmbH mit Sitz in C.
4Die E GmbH ist und war im streitgegenständlichen Zeitraum auf dem Gebiet der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung an Dritte gegen Entgelt tätig. In dieser Zeit hatte die E GmbH in den Arbeitsverträgen mit den von ihr beschäftigten Arbeitnehmern unter anderen die Geltung der Tarifverträge zwischen der so genannten Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalservice Agenturen (CGZP) vereinbart.
5Mit Beschluss vom 14.12.2010 hat das Bundesarbeitsgericht rechtskräftig entschieden, dass die CGZP nicht tariffähig ist (BAG, Beschl. v. 14.12.2010, Az. 1 ABR 19/10, zit. nach juris) mit der Folge, dass die Tarifverträge, die die CGZP als alleiniger Vertragspartner geschlossen hat, unwirksam sind. Diese Rechtsprechung hatte zur Folge, dass sich die Bezahlung der Leiharbeitnehmer nach den Bedingungen der jeweiligen Entleiher für das eigene Stammpersonal zu richten hat (equal pay Grundsatz). Ungeklärt war zu diesem Zeitpunkt die Frage, ob die betroffenen Verleiher zugleich auch die Sozialversicherungsbeiträge der von ihnen beschäftigten Leiharbeitnehmer für die Lohndifferenz rückwirkend an die jeweiligen Sozialversicherungsträger nachentrichten müssen. So unterrichtete die Klägerin die E GmbH in einem ersten Rundschreiben aus Dezember 2010 über den Inhalt des BAG-Beschlusses. In diesem Schreiben heißt es auszugsweise wie folgt:
6„Da eine schriftliche Entscheidungsbegründung noch nicht vorliegt, lässt sich derzeit nicht mit letzter Sicherheit sagen, wie die Frage der Rückwirkung dieser Entscheidung auf Beitragsansprüche, die seit Januar 2006 fällig geworden sind, zu beantworten ist.“
7Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Anl. K1 (Bl. 59 f. der Akte) Bezug genommen.
8In der Folgezeit führte die Klägerin bei der E GmbH vom 04.10.2011 bis zum 23.03.2012 eine Betriebsprüfung durch. Die Betriebsprüfung ergab für den streitgegenständlichen Zeitraum vom 31.12.2005 bis zum 31.12.2009 von der E GmbH an die Klägerin nicht abgeführte und nach Auffassung der Klägerin nachzuentrichtende Sozialversicherungsbeiträge in einer Gesamthöhe von 9290,36 €. Der zu Grunde liegende Nachforderungsbescheid datiert auf den 02.05.2012. Wegen der weiteren Einzelheiten dieses Bescheids wird auf die Anl. K2 Bezug genommen (Bl. 61 ff. der Akte). Gegen diesen Nachforderungsbescheid legte der Beklagte als Geschäftsführer der E GmbH am 22.05.2012 Widerspruch ein und beantragte die Aussetzung der Vollziehung (Bl. 186 ff. der Akte). Über die Rechtmäßigkeit des Nachforderungsbescheids vom 02.05.2012 streiten die Parteien derzeit vor dem SG Bayreuth (Az. S 16 R 6036/12; Az. S 16 R 6004/14).
9In weiteren rechtskräftigen Beschlüssen vom 22.05.2012 und 23.05.2012 stellte das BAG bezugnehmend auf seine ursprüngliche Entscheidung vom 14.12.2010 ergänzend fest, dass die Tarifunfähigkeit der CGZP bereits seit ihrer Gründung bestanden hat (BAG, Beschl. v. 22.05.2012, Az. 1 ABN 27/12; Beschl. v. 23.05.2012, Az. 1 AZB 58/11).
10Mit Schreiben vom 09.09.2013 und 23.10.2013 forderte die Klägerin den Beklagten unter Fristsetzung bis zum 20.09.2013 und erneut bis zum 18.11.2013 erfolglos auf, eine Verjährungsverzichtserklärung zu unterzeichnen.
11Die Klägerin ist der Auffassung, dass die Rechtsprechung des BAG vom 14.12.2010 Rückwirkung entfalte mit der Folge, dass der Beklagte verpflichtet ist, für den Zeitraum von 31.12.2005 bis zum 31.12.2009 die Lohndifferenz der Sozialversicherungsbeiträge für die bei der E GmbH beschäftigten Leiharbeitnehmer basierend auf dem – nach ihrer Ansicht dem Grunde und der Höhe nach zutreffenden – Prüfbescheid vom 02.05.2012 in Höhe von insgesamt 9299,36 Euro an die Klägerin nachzuentrichten. Der Beklagte als Geschäftsführer der E GmbH habe es nach Ansicht der Klägerin vorsätzlich unterlassen diese Sozialversicherungsbeiträge an die Klägerin abzuführen.
12Die Klägerin beantragt,
13den Beklagten zu verurteilen, wegen vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung an die Klägerin 9299,36 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz p.a. seit Rechtshängigkeit sowie vorgerichtliche Kosten in Höhe von 5,00 Euro zu zahlen.
14Der Beklagte beantragt,
15die Klage abzuweisen.
16Der Beklagte ist neben zahlreichen weiteren Erwägungen der Ansicht, dass es am subjektiven Tatbestand des § 266a StGB fehle. Zu der Frage der Rückwirkung der Entscheidung des BAG vom 14.12.2010 treffe die Entscheidung keine Aussage. Erst durch die späteren Beschlüsse des BAG aus Mai 2012 sei ausdrücklich festgestellt worden, dass der ursprüngliche Beschluss des BAG vom 14.12.2010 auch für die Vergangenheit gelten solle.
17Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 28.05.2014 Bezug genommen.
18Entscheidungsgründe:
19I.
20Die zulässige Klage ist unbegründet.
211.
22Das Landgericht Bochum ist für die Entscheidung über den vorliegenden Rechtsstreit zuständig.
23Die örtliche Zuständigkeit ergibt sich aus den §§ 32, 35 ZPO. Für die örtliche Zuständigkeit knüpft § 32 ZPO an den Begehungsort der unerlaubten Handlung an. Als Begehungsort sind sowohl der so genannte Handlungsort als auch der so genannte Erfolgsort anzusehen (Zöller, ZPO, 29. Auflage, § 32 Rn. 16). Erfolgsort ist derjenige Ort, wo in das durch die Vorschriften des StGB geschützte Rechtsgut eingegriffen wird (vgl. Münchener Kommentar ZPO, 4. Auflage, § 32 Rn. 20). Das durch § 266a StGB geschützte Rechtsgut ist das Interesse der Solidargemeinschaft an der Sicherstellung des Aufkommens der Mittel für die Sozialversicherung sowie in § 266a Abs. 3 StGB das Vermögen der Arbeitnehmer (Fischer, StGB, 60. Auflage, § 266a Rn. 2). Dieses Rechtsgut wird „verwaltet“ durch die Einzugsstelle der Klägerin in Bochum, daher findet in Bochum auch der durch § 266a StGB sanktionierte Eingriff in das geschützte Rechtsgut statt. Zudem stellt § 266a Abs. 1 StGB unter Strafe, wenn eine Person als Arbeitgeber Beiträge des Arbeitnehmers zur Sozialversicherung oder zur Bundesanstalt für Arbeit der Einzugsstelle vorenthält. Dies ist der Fall, wenn der Arbeitgeber es ganz oder teilweise unterlässt, die geschuldeten Beiträge spätestens bis zum Ablauf des Fälligkeitstages an diese abzuführen (Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 266a Rn. 2, 5). Unterlässt der Arbeitgeber diese Abführung zum Fälligkeitszeitpunkt, so wird die Straftat am Ort der Einzugsstelle vollendet (vgl. OLG Brandenburg, Urt. v. 22.01.2002, Az. 6 U 591/00, zit. nach juris, Rn. 12). Ohne Belang ist daher, dass es sich bei § 266a StGB um ein Unterlassungsdelikt handelt und ein Schaden nicht Tatbestandsvoraussetzung ist (OLG Brandenburg, a.a.O., Rn. 11).
242.
25Der Klägerin steht gegen den Beklagten kein Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 9299,36 € wegen vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung gemäß den §§ 823 Abs. 2 S. 1 BGB i.V.m. 266a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2, 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB i.V.m. § 35 GmbHG zu.
26Ob der Beklagte in seiner Funktion als einzelvertretungsberechtigter Geschäftsführer der E GmbH den objektiven Tatbestand des Schutzgesetzes des § 266a Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 StGB verwirklicht hat, kann im Ergebnis dahinstehen.
27Der Beklagte hat jedenfalls nicht mit dem erforderlichen Vorsatz im Sinne des § 15 StGB gehandelt, als Arbeitgeber der Einzugsstelle Beiträge des Arbeitnehmers zur Sozialversicherung vorzuenthalten oder die für den Einzug der Beiträge zuständige Stelle pflichtwidrig über sozialversicherungsrechtliche Fragen in Unkenntnis zu lassen. Erforderlich, aber auch ausreichend, ist insoweit zwar schon bedingter Vorsatz, also das Bewusstsein und der Wille, die Abführung der Arbeitnehmeranteile bei Fälligkeit zu unterlassen (Fischer, a.a.O., Rn. 23).
28Ein solcher Fall liegt hier nicht vor.
29Denn zur Zeitpunkt der Abfassung und des Zugangs des Prüfbescheids der Klägerin vom 02.05.2012 bei dem Beklagten stand nicht fest, ob die am 14.12.2010 vom BAG festgestellte Unwirksamkeit der Tarifverträge der CGZP in der Weise rückwirkende Wirkung entfaltet, dass die Verleiher die Sozialversicherungsbeiträge der von ihnen beschäftigten Leiharbeitnehmer für die Lohndifferenz rückwirkend an die jeweiligen Sozialversicherungsträger nachentrichten müssen. In seinen Entscheidungsgründen betont das BAG, dass es angesichts der formulierten Anträge und dem Vortrag der Antragsteller eine rein gegenwartsbezogene Feststellung getroffen habe. Damit wurde mit dem Beschluss vom 14.12.2010 rechtskräftig lediglich festgestellt, dass die CGZP so, wie sie aufgrund ihrer Satzung vom 08.10.2009 verfasst war, nicht tariffähig ist. Über die Tariffähigkeit unter früheren oder späteren Satzungen hat das BAG mit diesem Beschluss nicht rechtskräftig entschieden. Diese Frage war nicht Gegenstand des Verfahrens (BAG, Beschl. v. 14.12.2010, Az. 1 ABR 19/10, zit. nach juris; vgl. Zeppenfeld/Faust, NJW 2011, 1643 ff. m.w.N.). In dem Beschluss vom 14.12.2010 hat das BAG allein festgestellt, dass Tarifverträge, die die CGZP unter Geltung der Satzung vom 08.10.2009 geschlossen hat, von einem nicht-tariffähigen Vertragspartner abgeschlossen wurden. Selbst die Klägerin ging zu diesem Zeitpunkt nicht von einer Nachzahlungspflicht aus. So formulierte sie das Rundschreiben aus Dezember 2010 auch dahingehend, dass derzeit nicht mit letzter Sicherheit gesagt werden könne, wie die Frage der Rückwirkung dieser Entscheidung auf Beitragsansprüche zu beantworten ist, die seit Januar 2006 fällig geworden sind.
30Dass die Entscheidung des BAG vom 14.12.2010 auch für die Vergangenheit Geltung beansprucht, die CGZP also bereits seit ihrer Gründung nicht tariffähig ist (ex tunc Wirkung), steht erst aufgrund der rechtskräftigen Beschlüsse des BAG vom 23.05.2012 und 23.05.2012 fest (beck-online, FD-ArbR 2012, 332596). Inhalt und Reichweite dieser Entscheidungen konnten dem Beklagten deshalb zum Zeitpunkt der Erstellung und des Zugangs des Beitragsbescheids vom 02.05.2012 und der Widerspruchseinlegung am 22.05.2012 nicht bekannt sein. Weil der Beklagte davon ausging, dass der angegriffene Prüfbescheid rechtswidrig ist und er zur Nachentrichtung der Sozialversicherungsbeiträgen an die Klägerin für den streitgegenständlichen Zeitraum nicht verpflichtet ist, legte er hiergegen Widerspruch ein. Die bloße Nichtzahlung der festgesetzten Sozialversicherungsbeiträge ist daher für einen bedingten Vorsatz im Sinne der Norm nicht ausreichend. Von einer tatsächlich bestehenden Zahlungspflicht und deren Kenntnis ist jedenfalls so lange nicht auszugehen, wie über die Frage der Rechtmäßigkeit des Prüfbescheids vom 02.05.2012 rechtskräftig entschieden ist und der Beklagte es (erst) in Kenntnis der Rechtslage daraufhin unterlässt, die Sozialversicherungsbeiträge, soweit sie vom SG Bayreuth rechtskräftig als rechtmäßig festgestellt werden, an die Klägerin nachzuentrichten.
31Der in der mündlichen Verhandlung vom 28.05.2014 beantragte Schriftsatznachlass war der Klägerin nicht zu gewähren (§ 283 S. 1 ZPO), weil es auf das tatsächliche Vorbringen des Beklagten im Schriftsatz vom 09.05.2014 für die Entscheidung nicht ankam.
323.
33Mit Blick auf die Unbegründetheit des Hauptanspruchs ist auch der Anspruch der Klägerin gegen den Beklagten auf Zahlung der vorgerichtlichen Mahnkosten in Höhe von 5,00 Euro gemäß den §§ 280 Abs. 1 und Abs. 2, 286 BGB unbegründet.
34Gleiches gilt für den Anspruch der Klägerin gegen den Beklagten auf Zahlung der Rechtshängigkeitszinsen nach §§ 286 Abs. 1 S. 2, 288 Abs. 1, 291 BGB.
35II.
36Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.
37III.
38Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 708 Nr. 11, 709 S. 1 und S. 2 ZPO.
39Der Streitwert wird auf 9.299,36 EUR festgesetzt.
40Rechtsbehelfsbelehrung:
41A) Gegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Berufung für jeden zulässig, der durch dieses Urteil in seinen Rechten benachteiligt ist,
42a) wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600,00 EUR übersteigt oder
43b) wenn die Berufung in dem Urteil durch das Landgericht zugelassen worden ist.
44Die Berufung muss innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung dieses Urteils schriftlich bei dem Oberlandesgericht Hamm, Heßlerstr. 53, 59065 Hamm, eingegangen sein. Die Berufungsschrift muss die Bezeichnung des Urteils (Datum des Urteils, Geschäftsnummer und Parteien) gegen das die Berufung gerichtet wird, sowie die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde, enthalten.
45Die Berufung ist, sofern nicht bereits in der Berufungsschrift erfolgt, binnen zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils schriftlich gegenüber dem Oberlandesgericht Hamm zu begründen.
46Die Parteien müssen sich vor dem Oberlandesgericht Hamm durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen, insbesondere müssen die Berufungs- und die Berufungsbegründungsschrift von einem solchen unterzeichnet sein.
47Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.
48B) Gegen die Streitwertfestsetzung ist die Beschwerde an das Landgericht Bochum statthaft, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,00 EUR übersteigt oder das Landgericht die Beschwerde zugelassen hat. Die Beschwerde ist spätestens innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, bei dem Landgericht Bochum, Westring 8, 44787 Bochum, schriftlich in deutscher Sprache oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Die Beschwerde kann auch zur Niederschrift der Geschäftsstelle eines jeden Amtsgerichtes abgegeben werden. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann die Beschwerde noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.