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Die Tatsachen, die zur Begründung des Antrags der Antragstellerin N. erforderlich sind, werden für festgestellt erachtet.
Die sofortige Wirkung des Beschlusses wird ausgesetzt und die Erteilung des Erbscheins bis zur Rechtskraft dieses Beschlusses zurückgestellt.
Gründe:
2I.
3Die Beteiligten streiten um die Erbfolge nach dem am 06.02.2019 verstorbenen Erblasser F..
4Der Erblasser errichtete am 26.06.1972 mit seiner damaligen Ehefrau Y. ein gemeinschaftliches Testament vor dem Notar R., UR.Nr. XX in O.. Die damaligen Eheleute haben sich in dem Testament gegenseitig zu Erben eingesetzt. Das Testament enthält keine Regelung über die Fortgeltung im Falle einer Ehescheidung. Wegen des Wortlautes des Testamentes aus dem Jahr 1972 wird auf Bl. 10 ff. der Akte XX verwiesen. Die Ehe zwischen dem Erblasser und Frau Y. wurde durch das Amtsgericht L. am 16.02.2007 (Az. XX) geschieden.
5Am 19.04.2011 hat der Erblasser vor dem Standesamt S. die Ehe mit Frau K. geschlossen. Die Ehe ist rechtskräftig durch Beschluss des Oberlandesgerichts V. vom 16.08.2013 (Az. XX) geschieden worden. Bei dem Erblasser wurde 2009 eine Demenz vom Alzheimer Typ festgestellt, die aber bereits zuvor begonnen hatte. Ausweislich diverser in der Akte befindlicher ärztlicher Bescheinigungen ist das Krankheitsbild des Erblassers kontinuierlich vorangeschritten. Angesichts dessen wurde in dem Ehescheidungsverfahren die Frage des Trennung- und Scheidungswillens problematisiert. Zu diesem Zweck hat das Oberlandesgericht V. eine schriftliche sachverständige Stellungnahme des Prof. Dr. E. eingeholt. Diese Stellungnahme vom 15.07.2013 bestätigt zunächst die Diagnose der Demenz vom Alzheimer Typ. Des Weiteren gelangt sie zu dem Ergebnis, dass im Jahr 2011 der Erblasser in der Lage war, den natürlichen Willen zur Trennung und Scheidung äußern. Wegen der Einzelheiten der Stellungnahme wird auf das Scheidungsverfahren XX, Bl. X Bezug genommen.
6Im Jahr 2011 hat der Erblasser ein weiteres Testament errichtet. Dieses wurde am 19.12.2011 aus der amtlichen Verwahrung des Amtsgerichts Ü. genommen. In diesem Testament soll der Erblasser seine damalige Ehefrau sowie die Tochter H. zu gleichen Teilen als Erbinnen eingesetzt haben.
7Am 13.05.2011 erteilte der Erblasser durch notarielle Urkunde vom 13.05.2011 vor dem Notar A. in S., Urkundenrolle Nr. XX, seiner damaligen Ehefrau sowie seiner Sekretärin, Frau I. gemeinschaftliche sowie ersatzweise Herrn Professor Dr. P. alleinige Vorsorgevollmacht in den Angelegenheiten Gesundheitsfürsorge und Pflegebedürftigkeit, Aufenthalt und Wohnungsangelegenheiten, Behörden und Gerichte, Vermögenssorge, Post und Fernmeldeverkehr sowie Betreuungsverfügung.
8Am 17.01.2012 hat der Erblasser vor dem Notar A. (Urkundenrolle Nr. XX) in S. ein Testament errichtet. Dieses hat folgenden Wortlaut:
9Vor dem unterzeichneten
10Notar A.
11in S.
12erschien heute:
13Herr F., geboren am XX.XX.XXXX, wohnhaft: EE.-straße, XXXXX S..
14Der Erschienene ist dem Notar von Person bekannt.
15Der Notar fragte den Erschienenen nach einer Vorbefassung des amt. Notars im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 7 BeurkG (also ob der Notar oder Personen, die mit ihm beruflich verbunden sind, in einer Angelegenheit, die Gegenstand der heutigen Beurkundung ist, außerhalb des Notaramtes tätig waren oder sind), was von dem Erschienenen verneint wurde.
16Der Erschienene bat sodann, das nachstehende
17Testament
18zu beurkunden und verzichtete auf die Hinzuziehung von Zeugen.
19Der Erschienene ist geschäfts- und testierfähig, wovon sich der amt. Notar durch ein mit dem Erschienenen geführtes Gespräch überzeugt hat.
20Der Erschienene erklärte sodann mündlich seinen letzten Willen wie folgt:
21§ 1 Vorbemerkung
22Ich bin deutscher Staatsangehöriger. Ich bin verheiratet, beabsichtige jedoch, mich scheiden zu lassen. In der freien Verfügung über mein Vermögen bin ich in keiner Weise beschränkt, weder durch einen Erbvertrag noch durch ein gemeinschaftliches Testament mit meiner Ehefrau. Ich widerrufe hiermit alle meine früheren Verfügungen von Todes wegen.
23§ 2 Erbeinsetzung
24Ich setze hiermit zu meiner alleinigen Erbin ein:
25meine Tochter H., geboren am XX.XX.XXXX, wohnhaft: LL.-straße, XXXXX J.,
26ersatzweise deren Abkömmlinge nach den Regeln der gesetzlichen Erbfolge.
27§ 3 Kosten
28Der Erschienene bat um Hinterlegung des Testamentes beim Amtsgericht. Den Wert meines Vermögens gebe ich für Kostenzwecke mit Euro 1.800.000 an.
29Diese Niederschrift wurde dem Erschienenen von dem Notar vorgelesen, von ihm genehmigt und von ihm und dem Notar eigenhändig, wie folgt, unterschrieben:
30Unterschriften Erblasser und Notar
31Am 17.04.2012 wurde die Beteiligte H. im Betreuungsverfahren des Amtsgerichts S., Az. XX, als Betreuerin für die Vertretung in familienrechtlichen Angelegenheiten bestellt. Die Betreuungsakte lag dem Gericht zu Informationszwecken vor.
32Der Erblasser hat zwei leibliche Töchter, zum einen die Antragstellerin, Frau N., zum anderen die Beteiligte H.
33Am 06.08.2019 hat die Antragstellerin beantragt, einen Erbschein zu erstellen, der sie sowie die Beteiligte H. zu gesetzlichen Erbinnen zu je 1/2 ausweist.
34Die Antragstellerin trägt vor, dass der Erblasser im Zeitpunkt der Errichtung des notariellen Testamentes vom 17.01.2012 nicht mehr testierfähig gewesen sei. Bei dem Erblasser habe zu diesem Zeitpunkt eine schwere, rasch progrediente Demenz vorgelegen. Angesichts dessen könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Erblasser fähig gewesen sei, die Tragweite eines Testamentes zu erfassen. Schließlich habe auch die Beteiligte H. in dem von ihr selbst verfassten Buch „XX“ ausgeführt, dass der Erblasser bereits in der Zeit zwischen 2006 und 2011 nicht mehr in der Lage gewesen sei, Geldgeschäfte eigenverantwortlich vorzunehmen. Der Testierunfähigkeit stehe auch nicht die Bekundung des Notars entgegen, der Erblasser sei geschäfts- und testierfähig gewesen. Es sei durchaus denkbar, dass für einen medizinischen Laien ein an Alzheimer-Demenz Erkrankter noch geistig klar wirken könne.
35Die Beteiligte H. tritt dem Antrag der Antragstellerin entgegen. Sie beruft sich darauf, dass sie aufgrund des Testamentes vom 17.01.2012 wirksam zur Alleinerbin bestimmt worden sei. Im Zeitpunkt der Testamentserrichtung sei der Erblasser noch in vollem Umfang testierfähig gewesen. Der beurkundende Notar habe sich eindeutig und ernsthaft von der Testierfähigkeit überzeugt und dies auch im Testament festgehalten. Darüber hinaus weise auch die ärztliche Stellungnahme im Scheidungsverfahren vor dem Oberlandesgericht V. auf eine Testierfähigkeit hin. Diese habe die Fähigkeit des Erblassers ergeben, seinen Trennungs -und Scheidungswillen unbeeinträchtigt äußern zu können. Aus dem im Jahr 2011 erstellten Testament ergebe sich außerdem, dass es schon damals der Wille des Erblassers gewesen sei, dass die Antragstellerin nicht Erbin sein solle. In einem handschriftlichen Testament aus dem Jahre 2009, das schwerpunktmäßig die damalige Lebensgefährtin des Erblassers bedacht habe, sei die Antragstellerin nur mit einem Anteil bedacht worden, der ihrem Pflichtteil entsprach. Angesichts dessen sei hinreichend erkennbar, dass die Nichtberücksichtigung der Antragstellerin dem wahren Willen des Erblassers entsprach.
36Das Gericht hat hinsichtlich der Frage der gesundheitlichen Verfassung des Erblassers im zeitlichen Umfeld der Errichtung des notariellen Testamentes Beweis erhoben durch Vernehmung zahlreicher Zeugen. Wegen der Ergebnisse der Aussagen wird auf
37die Protokolle der mündlichen Verhandlungen vom 01.03.2021, Bl. 181 ff. und 26.07.2021 Bl. 255 ff. Bezug genommen.
38Des Weiteren hat das Gericht durch Beschluss vom 14.05.2020 ärztliche Stellungnahmen der behandelnden Ärzte des Erblassers Prof. Dr. E., Dr. WG. und Dr. PV. zur Frage der Testierfähigkeit im Zeitpunkt der Errichtung des notariellen Testamentes eingeholt. Die Stellungnahme von Prof. Dr. E. und Dr. WG. vom 10.07.2020 gelangt zu dem Ergebnis, dass in der Gesamtschau der von ihnen erhobenen Befunde der Erblasser in dem fraglichen Zeitpunkt nicht testierfähig gewesen sei. Wegen der Einzelheiten der Stellungnahme wird auf Bl. 130 f. verwiesen. Die Stellungnahme von Dr. PV. gelangt zu keinem eindeutigen Ergebnis. Er führt aus, dass Aussagen zu Testierfähigkeit anhand der vorliegenden Dokumentation nicht valide gemacht werden könnten (Bl. 144f.).
39Das Gericht hat schließlich durch Beschluss vom 03.08.2021 angeordnet, dass Beweis erhoben werden sollte über die Frage, ob sich aus den Aussagen der vernommenen Zeuginnen und Zeugen und den bislang vorliegenden ärztlichen Stellungnahmen Rückschlüsse darauf ziehen lassen, ob der Erblasser am 17.01.2012, dem Zeitpunkt der Abfassung des Testamentes testierfähig gewesen sei. Dabei sollte besonderer Wert darauf gelegt werden, ob ein sogenannter lichter Moment (lucidum intervallum) möglich gewesen sei.
40Der mit der Erstellung dieses Gutachtens beauftragte Sachverständige Dr. MY. ist in seinem umfangreichen Gutachten vom 08.02.2022 zu dem Ergebnis gelangt, dass bei dem Erblasser eine Demenz vom Alzheimer-Typ vorgelegen hat, deren Anfänge auf das Jahr 2007 zurückgehen. Hinsichtlich der Frage der Testierfähigkeit führt der Sachverständige aus, dass aufgrund der vorliegenden und in Gutachten referierten ärztlichen Stellungnahmen, Untersuchungsergebnisse und Befunde mit gutachterlicher Sicherheit beurteilt werden könne, dass der Erblasser zum Zeitpunkt der Abfassung des Testaments am 17.01.2012 nicht testierfähig gewesen sei. Die vorliegenden Befunde würden eine allmähliche Progredienz der Erkrankung von Januar 2010 bis Juni 2013 dokumentieren. Angesichts dessen sei der Erblasser nicht in der Lage gewesen, mit einem freien, eigenverantwortlichen oder unbeeinflussten Willen zu entscheiden. Dieses Ergebnis könne auch nicht durch die teilweise erfolgten Zeugenaussagen widerlegt werden.
41Zur Frage eines sogenannten lichten Momentes (lucidum intervallum) führt das Gutachten aus, dass angesichts des vorhandenen Krankheitsbildes der Alzheimer-Demenz ein solcher lichter Moment, welche vorübergehend zu einer Testierfähigkeit geführt haben könnte, medizinisch nicht möglich sei. Auch diese Aussage könne mit hoher gutachterlicher Sicherheit getroffen werden.
42Wegen der Einzelheiten des psychiatrischen Sachverständigengutachtens wird auf Bl. 298 ff. Bezug genommen.
43Der Sachverständige hat auf Antrag der Beteiligten H. seine gutachterlichen Feststellungen im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 05.09.2022 nochmals mündlich erläutert. Er hat die von ihm erzielten Ergebnisse auch dort unmissverständlich noch einmal bestätigt.
44Wegen des weiteren Vortrages der Antragstellerin und der Beteiligten H. wird auf die in der Akte befindlichen Schriftsätze verwiesen.
45II.
46Das Gericht beabsichtigt, dem Antrag der Antragstellerin zu entsprechen und einen Erbschein erlassen, der die Antragstellerin und die Beteiligte H. als Erbinnen zu je 1/2 ausweist.
47Maßgeblich sind die Regelungen der gesetzlichen Erbfolge.
48Der Anwendbarkeit der gesetzlichen Regelungen steht zunächst nicht das Testament vom 26.06.1972 (Notar R., Urkunde-Rolle Nr. XX) entgegen. In diesem Testament haben sich der Erblasser und seine damalige Ehefrau, Frau Y., gegenseitig zu Erben eingesetzt und die ehelichen Kinder zu Erben des Längstlebenden bestimmt. Durch die Entscheidung des Amtsgerichts L. vom 16.02.2007 (Az. XX) ist diese Ehe allerdings geschieden worden. Gemäß §§ 2268, 2077 BGB ist das Testament aus diesem Grunde unwirksam. Es findet sich darin keine Bestimmung, die die Fortgeltung der getroffenen Regelungen im Falle der Scheidung festlegt.
49Keine Auswirkungen auf die gesetzliche Erbfolge hat außerdem das Testament vom 20.07.2011, in dem der Erblasser seine damalige Ehefrau, K., sowie die Beteiligte H. als Erbinnen zu gleichen Teilen angesetzt hat. Dieses Testament ist aus der amtlichen Verwahrung des Amtsgerichts S. entnommen worden und nicht mehr vorhanden. Darüber hinaus dürften auch hier die §§ 2268, 2077 BGB entgegenstehen, da die Ehe zwischen dem Erblasser und Frau K. rechtskräftig geschieden worden ist.
50Angesichts dessen bestand auch keine Veranlassung, Frau K., die sich im vorliegenden Verfahren auch gemeldet hat, als Beteiligte anzusehen. Durch die rechtskräftige Scheidung erfüllt sie keine der Voraussetzungen des § 345 Abs. 1 FamFG.
51Die gesetzliche Erbfolge wird auch nicht durch das notarielle Testament vom 17.01.2012 ausgeschlossen.
52Das Gericht ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon überzeugt, dass die Antragstellerin in ausreichender Weise hat nachweisen können, dass der Erblasser im Zeitpunkt der Beurkundung dieses Testamentes nicht testierfähig gewesen ist.
53Gemäß § 2229 Abs. 4 BGB kann ein Testament nicht errichten, wer wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit, wegen Geistesschwäche oder wegen Bewusstseinsstörung nicht in der Lage ist, die Bedeutung einer von ihm abgegebenen Willenserklärung einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln.
54Bezüglich der Beweislage ist vorab festzustellen, dass für die Testierunfähigkeit als rechtsvernichtende Tatsache derjenige die Beweislast trägt, der sich auf die Unwirksamkeit des Testamentes beruft (Palandt/Weidlich § 2229 Rn. 11). Im Zweifel geht das Gesetz also davon aus, dass Testierfähigkeit anzunehmen ist. Beweisbelastet ist aufgrund dessen im vorliegenden Fall die Antragstellerin, die sich auf die Testierunfähigkeit des Erblassers beruft. In Erwägung zu ziehen ist allerdings, ob aufgrund der objektiven Tatsache einer diagnostizierten Alzheimer-Demenz auch im Zeitpunkt der Beurkundung des Testamentes ein Anscheinsbeweis in Betracht kommt.
55Vorab festzustellen ist des Weiteren, dass das Gericht hinsichtlich der Frage der Testierfähigkeit des Erblassers eine Amtsermittlungspflicht zu wahren hat.
56Auf der Grundlage der durchgeführten Beweisaufnahme ist davon auszugehen, dass der Erblasser im Zeitpunkt der Beurkundung des Testamentes nicht testierfähig gewesen ist. Dieses Ergebnis beruht vorrangig auf den medizinischen Erkenntnissen, die im vorliegenden Fall zutage getreten sind. Aus den in der Akte befindlichen ärztlichen Diagnosen und Befunden wird erkennbar, dass der Erblasser bereits seit dem Jahr 2006 an Alzheimer-Demenz erkrankt war. Darüber hinaus haben ärztliche Stellungnahmen von Prof. Dr. E. und Dr. WG. sowie das gerichtlicherseits beauftragte Gutachten von Dr. MY. ergeben, dass der Erblasser testierunfähig gewesen ist.
57Die ärztliche Stellungnahme von Prof. Dr. E. und Dr. WG. hat ergeben, dass im Dezember 2011 der Erblasser unter einer leicht- bis mittelschweren Demenz vom Typ Alzheimer gelitten hat. Diese hat sich im März 2012 zu einer mittelschweren Form fortentwickelt. Nach Einschätzung der beiden Ärzte war der Erblasser im Januar 2012 und zu keinem späteren Zeitpunkt in der Lage, sich im Rahmen einer Testamentserrichtung an Sachverhalte und Ereignisse zu erinnern, Informationen aufzunehmen, Zusammenhänge zu erfassen und Abwägungen vorzunehmen. Daraus ergibt sich auch kein Widerspruch zu der festgestellten Trennungsfolgen im Scheidungsverfahren. Insofern wird in der ärztlichen Stellungnahme ausgeführt, dass eine natürliche Willensbekundung zur Trennung von seiner Ehefrau zwar möglich war. Für die Annahme einer Testierfähigkeit reiche eine derartige emotionale Werterhaltung des Erblassers jedoch nicht aus er müsse vielmehr in der Lage sein, die für und gegen eine letztwillige Verfügung sprechenden Gründe abzuwägen und sich aus eigener Überlegung, frei von Einflüssen Dritter, also selbstständig und aus eigener Kraft ein Urteil zu bilden. An diesen Voraussetzungen habe es im Januar 2012 gefehlt.
58Das Gutachten von Dr. MY. hat in umfassender Form sämtliche in der Akte befindlichen Diagnosen, Befunde und Berichte analysiert. Der Sachverständige gelangt in seiner Schlussfolgerung ebenfalls zu dem eindeutigen Ergebnis, dass eine Demenz vom Typ Alzheimer vorgelegen hat. Aufgrund der vorliegenden und referierten ärztlichen Stellungnahmen, Untersuchungsergebnisse und Befunde könne mit gutachterlicher Sicherheit beurteilt werden, dass der Erblasser zum Zeitpunkt der Abfassung des Testaments nicht testierfähig gewesen sei. Der Betroffene sei nicht in der Lage gewesen, mit einem freien, eigenverantwortlichen oder unbeeinflussten Willen zu entscheiden der Gutachter führt weiter aus, dass angesichts des vorhandenen Krankheitsbildes der Alzheimer-Demenz ein sogenannter lichter Moment, welcher vorübergehend zu einer Testierfähigkeit geführt haben könnte, medizinisch nicht möglich sei. Diese Aussage könne mit hoher gutachterlicher Sicherheit getroffen werden.
59Das Gericht hat keine Veranlassung, an der Richtigkeit der gutachterlichen Darstellung und auf der Richtigkeit der ärztlichen Stellungnahmen zu zweifeln. Insbesondere das Gutachten hat in umfangreicher Form sämtliche zur Verfügung stehenden Unterlagen analysiert und fachmedizinisch gewürdigt. Der gesamte Krankheitsverlauf ist in umfassender Art und Weise dokumentiert worden. Das Gutachten ist frei von Widersprüchen, umfangreich und zeugt von hoher Fachkompetenz.
60In der mündlichen Anhörung hat der Gutachter seine Erkenntnisse noch einmal pointiert dargestellt und sich mit den Einwänden der Beteiligten H. umfassend auseinandergesetzt.
61Hinsichtlich des Zustandes des Erblassers hat er dabei noch einmal die Befindlichkeit im Untersuchungstermin vom 12.09.2011 dargestellt. Es wurde deutlich, welche Tests durchgeführt wurden und dass der Erblasser nicht in der Lage gewesen sei, diese sehr einfachen Aufgaben zu bewältigen. Auf die Frage, ob es möglich sei, dass der Erblasser bei der Abfassung des Testamentes im Jahr 2011 noch testierfähig gewesen sein könnte und im Januar 2012 nicht mehr, hat der Gutachter ausgeführt, dass bei dieser Krankheit eine derart schnelle Entwicklung sehr wohl möglich gewesen ist.
62Bezüglich des Einwandes der Beteiligten H., dass der Zustand des Erblassers durch eine zu starke Dosierung von Medikamenten verursacht worden sei, hat der Sachverständige klargestellt, dass durch starke Sedativa zwar Tests länger dauern könnten, die Ergebnisse bezüglich der kognitiven Fähigkeiten dadurch aber nicht inhaltlich beeinflusst würden.
63Zu dem Einwand, dass Gespräche mit dem Erblasser möglich gewesen sein sollen, wurde durch den Gutachter ausgeführt, dass es zu derartigen Phänomenen auf affektiver Ebene kommen könne. Die kognitive Ebene sei aber in ihrer Abwärtsbewegung stabil und auch progredient.
64Auf den weiteren Einwand, dass der im Testament vom Januar 2012 zum Ausdruck gekommene Wille schon deutlich vorher gebildet worden sei, hat der Sachverständige erläutert, dass er es als ausgeschlossen erachtet, dass der Erblasser am Tag der Errichtung des Testamentes in der Lage gewesen sei, sich an einen vorher gefassten Willen zu erinnern.
65Bezüglich eines sogenannten lichten Momentes wurde in der Anhörung noch einmal konkret erläutert, warum dies bei einer Alzheimer-Demenz ausgeschlossen sei. Der Gutachter hat darauf abgestellt, dass bei dieser Form der Erkrankung Nervenzellen irreparabel zerstört werden im Unterschied zu einer sogenannten vaskulären Demenz.
66Die ärztlicherseits getroffenen Feststellungen werden in gewissem Umfang durch das von der Beteiligten H. selbst verfasste Buch bestätigt. In einem Kapitel zum Krankheitsverlauf des Erblassers im Zeitraum Mai 2006 bis Dezember 2011 schildert die Beteiligten H. eine ganze Reihe von einzelnen Erlebnissen und Begebenheiten, die erkennbar werden lassen, dass der Erblasser vielfach zeitlich und örtlich desorientiert gewesen ist.
67Für eine Testierunfähigkeit des Erblassers sprechen des Weiteren die Bekundungen der Zeugen DE., KO. und XN.. So hat der Zeuge DE. Begebenheiten aus den Zeiträumen März und Oktober/November 2011 geschildert, die deutlich erkennen lassen, dass der Erblasser nicht orientiert war. In die gleiche Richtung geht die Darstellung der Zeugin KO., die Vorfälle im Zusammenhang mit einem Fußballspiel im September 2011 wiedergegeben hat. Schließlich hat auch der Zeuge XN. dargelegt, dass ab dem Jahr 2011 der Erblasser zunehmend desorientiert gewesen sei. Der Zeuge hält es für unmöglich, dass der Erblasser im Januar 2012 noch in der Lage gewesen sei, in seinem Büro Arbeiten auszuführen.
68Die durch die ärztlichen Stellungnahmen und das Gutachten angenommene Testierunfähigkeit wird auch nicht durch die Stellungnahme von Dr. PV. widerlegt. Dieser gelangt zwar nicht zu einer eindeutigen Erkenntnis hinsichtlich der Frage der Testierunfähigkeit. Dies liegt nach Angaben des Arztes aber darin begründet, dass ihm teilweise die Dokumentationen nicht vorgelegen haben. Immerhin trifft Dr. EM. aber schon die Feststellung, dass eine fortgeschrittene Demenz festzustellen war. Er hatte lediglich keinen Zugriff auf die vorherige Diagnose einer Klinik in Essen, die eine schwere, rasch progrediente Demenz diagnostiziert hatte.
69Gegen eine Testierunfähigkeit könnten die Zeugenaussagen der beiden Notare sowie von Frau I. sprechen.
70So hat der Zeuge A., der das maßgebliche Testament beurkundet hat, ausgesagt, dass er in der Lage gewesen sei, sich ausreichend von der Testierfähigkeit des Erblassers zu überzeugen. In diesem Zusammenhang habe er auch ein zusammenhängendes Gespräch mit ihnen führen können. Der Zeuge konnte sich auch exakt noch an gewisse wörtliche Äußerungen des Erblassers erinnern. Das Gericht hat hinsichtlich der Glaubwürdigkeit dieses Zeugen Bedenken. Diese resultieren daraus, dass der Zeuge zwar einerseits nahezu wortgetreu nach fast zehn Jahren Äußerungen des Erblassers wiedergegeben hat, auf der anderen Seite aber nicht in der Lage war, anzugeben, welche weiteren Personen bei der Beurkundung vollständig dabei gewesen sind und wie die stattgefundene Vorbesprechung abgelaufen ist. Wie diese Diskrepanzen der Erinnerungsfähigkeit zu erklären sind, erschließt sich dem Gericht offen gestanden nicht.
71Darüber hinaus hat das Gutachten von Dr. MY. zu der Aussage des Notars ausgeführt, dass der Zeuge sich lediglich an Aussagen und Verhaltensweisen des Erblassers habe erinnern können, welche auch von einem dementen Menschen vorgenommen werden können, wenn dieser aufgrund eines früher hohen Intelligenzleistungsniveaus und einer hohen sozialen Kompetenz noch in der Lage ist, für eher phrasenhafte Aussagen eine gewisse Fassade aufrechtzuerhalten. Der Zeuge habe aber keine Aussagen benannt, welche eine ausgeprägte Kritikfähigkeit oder Urteilsfähigkeit begründen würden.
72Die Aussage des Zeugen LF. spricht zwar auch in gewissem Umfang für eine Testierfähigkeit des Erblassers, sie stützt sich dabei aber auf Beobachtungen bei der Beurkundung des vormaligen Testamentes im Juli 2011. Hier ist aber zu berücksichtigen, dass zu diesem Zeitpunkt noch Testierfähigkeit auch ärztlicherseits angenommen worden ist, da Prof. Dr. E. bei diesem Termin anwesend war. Wie bereits dargestellt, hat sich der Krankheitsverlauf bis zum Beurkundungstermin im Januar 2012 aber stark fortentwickelt.
73Schließlich hat die Zeugin I. ausgeführt, dass Ende 2011 der Erblasser in einem nicht guten gesundheitlichen Zustand gewesen sei, dies habe aber auf einer zu hohen Medikamentendosis beruht. Nachdem dies abgestellt worden sei, seien normale Gespräche möglich gewesen und der Gesundheitszustand des Erblassers habe sich verbessert. Diese Darstellung der Zeugin steht in eklatantem Widerspruch zu den ärztlichen Feststellungen. Darüber hinaus ist noch einmal auf die Ausführungen von Dr. MY. zu verweisen, der bezüglich der Alzheimer-Demenz gesagt hat, dass Medikamente hier hinsichtlich der kognitiven Ebene keine Auswirkungen haben können.
74Insgesamt ist als Ergebnis festzustellen, dass die eindeutigen und klaren medizinischen Bewertungen zu einer Testierunfähigkeit des Erblassers im Zeitpunkt der Beurkundung des Testamentes im Jahr 2012 führen. Die teilweise in eine andere Richtung deutenden Zeugenaussagen sind nicht geeignet, dieses Ergebnis in Zweifel zu ziehen, zumal bei keinem der Zeugen eine irgendwie geartete medizinische Fachkenntnis über die Bewertung der Alzheimer Krankheit vorliegt.
75Die Antragstellerin hat somit in ausreichendem Maße dargelegt, dass der Erblasser testierunfähig und das Testament unwirksam ist.
76Selbst wenn man, wozu aber nach Auffassung des Gerichtes keine Veranlassung besteht, der Auffassung sein sollte, dass durch die Darstellung insbesondere des Zeugen A. noch erhebliche Zweifel verbleiben, so würde ebenfalls von einer Testierunfähigkeit auszugehen sein. Dies beruht auf dem Umstand, dass unstreitig im Zeitpunkt der Abfassung des Testamentes eine fortgeschrittene Erkrankung in Form der Alzheimer-Demenz vorgelegen hat. Angesichts dessen ist es geboten, insofern einen Anscheinsbeweis zugunsten der Antragstellerin anzunehmen. Diesen Anscheinsbeweis hat die Beteiligte H. allein durch die Aussage des Zeugen A. nicht ausreichend widerlegen können. Zu berücksichtigen ist an dieser Stelle auch noch einmal, dass sich die Beteiligte H. hinsichtlich ihrer Argumentation in nicht unerheblichem Widerspruch zu den Feststellungen befindet, die sie in ihrem eigenen Buch wiedergegeben hat.
77Das Gericht wird deshalb im Falle der Rechtskraft des Beschlusses einen Erbschein erlassen, da die Antragstellerin sowie die Beteiligte H. als Erbinnen zu je 1/2 ausweist.
78Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 FamFG. Es entspricht billigem Ermessen, die gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten der Beteiligten H. aufzuerlegen. Sie ist im vorliegenden Fall vom Ergebnis her in vollem Umfang unterlegen. Das unterliegen eines Beteiligten erfordert ist zwar nicht unbedingt, seine Verpflichtung zur Kostenerstattung anzuordnen; doch wird dies jedenfalls in streitigen Sachen der Regelfall sein (Keidel/Zimmermann § 81 Rn. 46). Nach Auffassung des BGH sind im Erbscheinsverfahren sämtliche in Betracht kommenden Umstände des Einzelfalls heranzuziehen hierbei könne neben anderen Umständen auch das obsiegen und unterliegen berücksichtigt werden (BGH NJW-RR2 16,200). Es sind für das Gericht im vorliegenden Fall keine besonderen anderen Umstände oder Anhaltspunkte erkennbar, die dafür sprechen könnten, der Antragstellerin ebenfalls Kosten aufzuerlegen. Sie ist mit ihrem Vortrag der fehlenden Testierfähigkeit des Erblassers in vollem Umfang erfolgreich gewesen.
79Rechtsbehelfsbelehrung:
80Gegen diesen Beschluss ist das Rechtsmittel der Beschwerde gegeben, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600 Euro übersteigt. Beschwerdeberechtigt ist derjenige, dessen Rechte durch den Beschluss beeinträchtigt sind.
81Die Beschwerde ist bei dem Amtsgericht - Nachlassgericht - Recklinghausen, Reitzensteinstr. 17, 45657 Recklinghausen schriftlich in deutscher Sprache oder zur Niederschrift der Geschäftsstelle einzulegen. Die Beschwerde kann auch zur Niederschrift der Geschäftsstelle eines jeden Amtsgerichtes abgegeben werden. Die Beschwerde muss die Bezeichnung des angefochtenen Beschlusses sowie die Erklärung enthalten, dass Beschwerde gegen diesen Beschluss eingelegt wird. Sie ist zu unterzeichnen und soll begründet werden.
82Die Beschwerde muss spätestens innerhalb eines Monats nach der schriftlichen Bekanntgabe des Beschlusses bei dem Amtsgericht – Nachlassgericht- Recklinghausen eingegangen sein. Dies gilt auch dann, wenn die Beschwerde zur Niederschrift der Geschäftsstelle eines anderen Amtsgerichtes abgegeben wurde. Die Frist beginnt mit der schriftlichen Bekanntgabe des Beschlusses, spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach Erlass des Beschlusses. Die Bekanntgabe ist entweder durch Zustellung oder am dritten Tage nach Aufgabe zur Post bewirkt. Fällt das Ende der Frist auf einen Sonntag, einen allgemeinen Feiertag oder Sonnabend, so endet die Frist mit Ablauf des nächsten Werktages.
83Recklinghausen, 07.10.2022Amtsgericht
84T. Richter am Amtsgericht