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Der Angeklagte wird freigesprochen.
Die Staatskasse trägt die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen des Angeklagten.
Der Angeklagte ist für die erlittene Auslieferungshaft in der Zeit vom 04.11.2021 bis zum einschließlich 18.01.2022 und für die erlittene Untersuchungshaft in der Zeit vom 19.01.2022 bis zum einschließlich 14.06.2022 nach dem Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen zu entschädigen.
Gründe:
2I.
3Der Angeklagte ist am 00.00.0000 in B., C., geboren und ist c. Staatsangehöriger. Er wuchs in C. bei seinen Eltern auf und wohnte dort bis zu seiner Inhaftierung in dieser Sache. Er hat 00 ältere Brüder und 00 ältere Schwester. Der Angeklagte hat seit 2015 eine feste Freundin. Kinder hat er keine.
4Der Angeklagte wurde in C. regulär eingeschult und schloss im Jahr 2020 die Schulausbildung in der Fachrichtung G. an der D. ab. Nach der Schule arbeitete er in einem E. Dort verdiente er ungefähr 1.500,00 EUR bis 2.000,00 EUR netto, wobei hiervon noch ein eigener Beitrag in Höhe von ungefähr 140,00 EUR für die Sozialversicherung in C. abging. Nach acht Monaten der Tätigkeit war geplant, dass er nach Durchführung von Zusatzlehrgängen in den Bereich „F.“ wechselt. Hierzu kam es jedoch nicht mehr, da der Angeklagte vorher in dieser Sache festgenommen wurde.
5Der Angeklagte hat Schulden in Höhe von ungefähr 5.000,00 EUR bis 6.000,00 EUR aus Bußgeldern, die er in monatlichen Raten von je 150,00 EUR abbezahlt.
6Er trinkt keinen Alkohol und raucht nicht. Eine Drogenproblematik war nicht festzustellen.
7II.
8Am 29.07.2021 erließ das Amtsgericht Bielefeld einen Haftbefehl (Geschäftszeichen: 9 Gs 3692/21) wegen des dringenden Tatverdachts, dass der Angeklagte am 12.04.2021 mit einem weiteren unbekannt gebliebenen Täter versucht hatte, den Safe eines Geldautomaten in einer Sparkassenfiliale in H. aufzusprengen, um so an das darin befindliche Bargeld zu gelangen und es für eigene Zwecke zu verwenden. Am 21.09.2021 erging ein entsprechender Europäischer Haftbefehl des Amtsgerichts Bielefeld. Aufgrund dieses Europäischen Haftbefehls wurde der Angeklagte am 04.11.2021 in den C. festgenommen und befand sich dort seit dem zwecks Auslieferung in Haft.
9Am 27.12.2021 erließ das Amtsgericht Bielefeld einen erweiterten Haftbefehl, der dem Angeklagten neben den Vorwurf vom 12.04.2021 in H. darüber hinaus zur Last legte, am 29.04.2021 in I. mit einem unbekannt gebliebenen Täter einen Geldautomaten in einem Sparkassenpavillon aufgesprengt und so einen Bargeldbetrag von 19.470,00 EUR für eigene Zwecke entwendet zu haben.
10Am 19.01.2022 wurde der Angeklagte in die Bundesrepublik Deutschland auf Grundlage des Europäischen Haftbefehls vom 21.09.2021 überstellt. Er befand sich zunächst auf Grundlage des erweiterten Haftbefehls des Amtsgerichts Bielefeld vom 27.12.2021 in dieser Sache in Untersuchungshaft.
11Eine nachträgliche Bewilligung durch die C. hinsichtlich einer Verfolgung des weiteren Vorwurfs vom 29.04.2021 in I. lag jedoch nicht vor. Aus diesem Grund beschränkte die Kammer am 09.03.2022 den Haftbefehl wieder auf den Vorwurf vom 12.04.2021 in H.. Auch im Rahmen eines Nachtragsersuchens erfolgte seitens der C. keine nachträgliche Bewilligung mehr hinsichtlich des weiteren Vorwurfs vom 29.04.2021 in I..
12Der Angeklagte befand sich in dieser Sache bis zum einschließlich 14.06.2022 in Untersuchungshaft, zuletzt auf Grundlage des Haftbefehls der Kammer vom 09.03.2022.
13III.
14Dem Angeklagten ist mit Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Bielefeld vom 23.02.2022 (Aktenzeichen: 676 Js 158/21), die unverändert – lediglich unter Hinweis auf Vorschriften zur Einziehung von Wertersatz – zur Hauptverhandlung zugelassen worden ist, Folgendes zur Last gelegt worden:
15„Zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt kam der Angeschuldigte mit mindestens zwei weiteren Personen überein, wiederholt nach Deutschland einzureisen, maskiert Bankfilialen aufzusuchen und dort durch Einsatz von Sprengstoff Geldautomaten aufzusprengen und das darin befindliche Geld in Höhe von mehreren zehntausend Euro zur Verschaffung einer gemeinsamen, nicht nur vorübergehenden Einnahmequelle von nicht unerheblichem Umfang zu entwenden. Diese Taten sollten absprachegemäß auch grundsätzlich gemeinschaftlich oder unter Beteiligung mindestens eines anderen Mitglieds der Gruppe begangen werden.
161. (Hauptakte)
17Aufgrund dieser Absprache begab sich der Angeschuldigte in Begleitung eines unbekannten Mittäters am 12.04.2021 gegen 01:40 Uhr zu der Sparkassenfiliale in H.. Die Räumlichkeiten der Sparkasse befanden sich im Erdgeschoss des Gebäudes. Darüber befanden sich – wie dem Angeschuldigten bewusst war – Wohnungen.
18Entsprechend der vorherigen Abrede trugen beide eine Maskierung und führten einen Vorschlaghammer sowie ein Brecheisen mit sich. Sie betraten den Vorraum der Bank und schlugen mit dem Vorschlaghammer auf den dort befindlichen Geldautomaten ein. Ferner hebelten sie mit dem Brecheisen am Geldautomaten. Hierdurch entstand eine Öffnung an dem Gerät, in welche der Angeschuldigte den Sprengstoff legte. Sodann verließen sie den Vorraum der Bank und zündeten den Sprengstoff über einen elektronischen Impuls mittels eines Kabels und einer Batterie.
19Dem Angeschuldigten war hierbei bewusst, dass durch die Explosion unbeteiligte Personen verletzt werden könnten und ein erheblicher Sachschaden an dem Automaten wie auch an dem Gebäude entstehen werde.
20Durch die Explosion entstand in den Räumlichkeiten der Sparkasse ein[...] Sachschaden von ca. 60.000,00 Euro. Nur durch Zufall wurde der Zeuge J., welcher sich zum Zeitpunkt der Explosion im ersten Geschoss des Gebäudes aufhielt, nicht verletzt.
21Der Angeschuldigte und sein Mittäter begaben sich nach der Explosion erneut in den Vorraum der Sparkasse, um das in dem Geldautomaten befindliche Geld an sich zu nehmen. Hierbei bemerkten sie, dass der besonders gesicherte Geldbehälter, in welchem sich das Geld befand, durch die Explosion nicht beschädigt wurde. Sie erkannten die Aussichtslosigkeit ihres weiteren Unterfangens und flüchteten mit einem hochmotorisierten Kraftfahrzeug von der Örtlichkeit.
222. (Fallakte)
23Aufgrund der bereits bestehenden Absprache begab sich der Angeschuldigte in Begleitung eines unbekannt gebliebenen Mittäters am 29.04.2021 gegen 03:38 Uhr zum Geldautomatenpavillon der Sparkasse K. an der L-Straße 0x in I. (M. ).
24Erneut trugen der Angeschuldigte und der unbekannt gebliebene Mittäter aufgrund der vorherigen Abrede eine Maskierung. Der Angeschuldigte begab sich sodann tatplangemäß in den Innenraum des Sparkassenpavillons und hebelte mit einem mitgeführten Brecheisen den dort aufgestellten Geldautomaten in ca. 30 Sekunden auf. Der unbekannt gebliebene Mittäter wartete – wie zuvor abgesprochen – vor dem Gebäude. Anschließend legte der im Gebäude befindliche Angeschuldigte ein schwarzes Paket Festsprengstoff in den nunmehr geöffneten Ausgabeschacht des Automaten und sprengte diesen mittels Zündkabels von außen.
25Dem Angeschuldigten war hierbei bewusst, dass durch die Explosion unbeteiligte Personen verletzt werden könnten und ein erheblicher Sachschaden an dem Automaten wie auch an dem Gebäude entstehen werde.
26Der Angeschuldigte und sein bislang unbekannter Mittäter begaben sich nach der Explosion in den zerstörten Pavillon der Sparkasse und nahmen das nunmehr freiliegende Bargeld in Höhe von insgesamt 19.470,00 Euro an sich, um es für sich zu verwenden.
27Sodann flüchteten Sie mit einem hochmotorisierten Fahrzeug vom Typ PKW1.
28Durch die Explosion entstand ein Sachschaden in Höhe von 130.000,00 Euro.
29Bzgl. der Tat aus der Fallakte unterliegt ein Betrag in Höhe von 19.470,00 Euro der Einziehung von Wertersatz gegen den Angeschuldigten als Gesamtschuldner.“
30IV.
31Die folgenden Sachverhalte hat die Kammer nach Durchführung der Beweisaufnahme zu ihrer Überzeugung festgestellt:
321. Tatgeschehen in H.
33Am 12.04.2021 gegen 01:40 Uhr betraten zwei unbekannt gebliebene Täter die Sparkassenfiliale unter der Anschrift N-Straße 0 in 00000 H.. Entsprechend ihrer vorherigen Abrede trugen beide eine Maskierung und führten einen Vorschlaghammer sowie ein Brecheisen mit sich. Sie betraten den Vorraum der Sparkasse und begaben sich zielgerichtet auf einen von mehreren in der Filiale befindlichen Geldautomaten zu. Es handelte sich um ein Model des Typs O. 0000, welches nur zur Auszahlung von Bargeld geeignet ist. In dem Safe dieses Automaten befand sich zur Tatzeit Bargeld in Höhe von 142.865,00 EUR.
34Die Täter hebelten mit dem Brecheisen an dem Automaten und schlugen mit dem Vorschlaghammer derart auf ihn ein, dass sich dessen äußeres Gehäuse öffnete. In den offenen Automaten legten sie Sprengstoff – bestehend aus Aluminiumpulver und Kaliumperchlorat oder Kaliumchlorat (sogenannter Blitzknallsatz) – und verließen den Vorraum der Sparkasse. Über einen elektronischen Impuls mittels eines Kabels und einer Batterie zündeten sie sodann den Sprengstoff. Es kam zur Explosion.
35Durch die Explosion wurden die Räumlichkeiten und die Einrichtung der Sparkassenfiliale stark beschädigt, insbesondere waren mehrere Fensterscheiben zerbrochen, der Rahmen der Automatiktür verzogen. Das Mobiliar war mit Glasstaub und Ruß überzogen und konnte teilweise nicht mehr gereinigt werden. Insgesamt ist ein Sachschaden in Höhe von ungefähr 60.000,00 EUR entstanden.
36Der Geldautomat des Typs O. 0000 wurde durch die Explosion derart beschädigt, dass er nicht mehr eingesetzt werden konnte. Der Neuwert eines solchen Automaten beträgt 18.860,00 EUR bei einer ungefähren Lebensdauer von zehn Jahren. Der hier betroffene Automat war zur Tatzeit ungefähr sechs Jahre alt. Sein wirtschaftlicher Wert betrug zur Tatzeit ungefähr 7.500,00 EUR.
37Durch die Explosion wurde in dem Geldautomaten befindliches Bargeld in Höhe von 310,00 EUR verbrannt. Der Restbetrag von 142.555,00 EUR, der sich im Safe befand, blieb ebenso wie dieser unversehrt.
38Über der Sparkassenfiliale befanden sich Wohnungen, in denen sich zur Tatzeit Menschen aufhielten, die durch die Explosion jedoch nicht verletzt wurden. Eine konkrete Gefährdung ihres Lebens, ihrer körperlichen Unversehrtheit oder ihrer Gesundheit hat sich nicht feststellen lassen. Durch die Explosion entstanden keine Beschädigungen an dem Gebäude als solchen, etwa im Mauerwerk, oder an den Fenstern in den oberen Etagen.
39Beide Täter hatten aufgrund eines gemeinsamen Tatplans gehandelt. Sie hatten bereits vor Betreten der Sparkassenfiliale beabsichtigt, den Safe des Geldautomaten mittels einer Explosion aufzusprengen, das Bargeld daraus zu entwenden und für ihre eigenen Zwecke zu verwenden. Sie hatten gewusst, dass ihnen das Geld nicht zusteht.
40Nach der Sprengung hatten sie jedoch erkannt, dass der Safe des Geldautomaten unversehrt geblieben und das Bargeld für sie nunmehr unerreichbar war. Sie erkannten, dass sie mit ihren Mitteln vor Ort keine Möglichkeit mehr hatten, an das Bargeld zu gelangen. Sie gaben deswegen ihren Plan auf und flüchteten von der Tatörtlichkeit.
41Den entstandenen Schaden an dem Geldautomaten und an der Einrichtung und den Räumlichkeiten der Sparkassenfiliale hatten die beiden Täter für möglich gehalten und, um an das Bargeld in dem Safe zu gelangen, billigend in Kauf genommen.
42Ob die Täter eine Schädigung oder Gefährdung der Menschen in den Wohnungen über der Sparkassenfiliale für möglich erkannt und billigend in Kauf genommen hatten, hat sich nicht feststellen lassen.
432. Tatgeschehen in I.
44Am 29.04.2021 gegen 03:38 Uhr fuhren drei unbekannte Täter mit einem PKW2 zum Geldautomatenpavillon der Sparkasse K. an der L-Straße 0x in I. (M. ). Sie handelten aufgrund eines gemeinsamen Tatplans mit dem Ziel, den Safe eines der Geldautomaten mittels einer Sprengstoffexplosion aufzusprengen, so an das in dem Safe befindliche Bargeld zu gelangen und es für eigene Zwecke zu entwenden.
45Ein dunkel bekleideter und maskierter Täter begab sich tatplangemäß in den Innenraum des Sparkassenpavillons und hebelte mit einem mitgeführten Brecheisen den dort aufgestellten Geldautomaten auf. Ein weiterer unbekannt gebliebener, ebenfalls dunkel bekleideter und maskierter Mittäter wartete – wie zuvor abgesprochen – vor dem Gebäude und bereitete das Zündkabel für die Sprengung des Automaten vor. Anschließend legte der im Gebäude befindliche Täter ein schwarzes Paket Festsprengstoff in den nunmehr geöffneten Ausgabeschacht des Automaten. Mittels des vorbereiteten Kabels sprengten die beiden Täter den Automaten von außerhalb des Pavillons. Durch die Explosion wurden der Automat und der Sparkassenpavillon zerstört. Es entstand ein Sachschaden von ungefähr 112.000,00 EUR. Das Bargeld in dem Safe des angegangenen Automaten war nunmehr frei zugänglich. Die beiden Täter begaben sich nach der Explosion in den zerstörten Pavillon und nahmen das freiliegende Bargeld in Höhe von insgesamt 16.190,00 EUR an sich, um es für sich zu verwenden. Sodann flüchteten sie mit dem PKW2 vom Tatort. Der dritte unbekannt gebliebene Täter steuerte das Fahrzeug auf der Flucht.
46Die beiden am Pavillon handelnden Täter hatten bereits bei Erreichen des Tatorts den gemeinsamen Plan gefasst, einen Geldautomaten in diesem Sparkassenpavillon aufzubrechen und dort einen Sprengstoff – so wie es auch geschehen ist – hineinzulegen und von außerhalb des Pavillons zu sprengen. Sie hatten in der Absicht gehandelt, so an das – wie sie wussten – nicht ihnen zustehende Bargeld zu gelangen und es für sich zu verwenden. Die durch die Explosion verursachten Schäden hatten sie für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen.
47Der dritte Täter steuerte das Fahrzeug auf dem Weg zum Tatort und von dort wieder weg. Sein weiteres Verhalten während der Tat sowie seine Absichten und Vorstellungen haben sich im Übrigen nicht weiter feststellen lassen.
483. Tatbeteiligung des Angeklagten
49Die Kammer hat nicht feststellen können, dass der Angeklagte an einer der beiden Taten beteiligt war. Die Identität der Täter in den beiden Fällen hat die Kammer nicht aufklären können.
50IV.
511. Beweiswürdigung zum Tatgeschehen in H.
52Die Feststellungen zur Tat in H. beruhen zunächst auf den glaubhaften Angaben des Zeugen Polizeikommissar P..
53Dieser hat ausgesagt, sich zu der Tatzeit im Dienst befunden zu haben und über die Leitstelle von der Sprengung informiert worden zu sein. Er sei mit seiner Kollegin unter Einsatz von Sonderrechten sofort zu der Sparkassenfiliale gefahren. Ein Teil der Hausbewohner sei bereits draußen angetroffenen worden. Das Gebäude sei stark verraucht gewesen. Es hätten auf dem Platz um das Gebäude Glassplitter gelegen. Die Scheiben der Sparkassenfiliale und ihre Einrichtung seien zerstört gewesen. Vor dem Gebäude hätten eine Batterie und ein Kabel gelegen, welche mutmaßlich für die Sprengung verwendet worden seien.
54Im Laufe des Geschehens seien alle Bewohner/innen der über der Sparkassenfiliale befindlichen Wohnungen aus dem Gebäude herausgekommen. Keiner von ihnen habe sich in ärztliche Behandlung begeben müssen.
55Polizeikommissar P. hat ruhig und sachlich von seinen Wahrnehmungen in der Nacht geschildert. Eine überschießende Belastungstendenz hat die Kammer nicht festgestellt. Denn so hat er auch ausgesagt, dass keiner der Bewohner/innen sich in ärztliche Behandlung hat begeben müssen.
56Die Feststellungen zur Tatbegehung beruhen zudem auf den in Augenschein genommenen Lichtbildern der Videoüberwachungsanlage, aus denen sich der Tatverlauf im Einzelnen ergibt. Aus dem Verhalten der beiden Täter, insbesondere dem zielgerichtetem Angehen eines Geldautomaten und dem arbeitsteiligen Handeln zur Vorbereitung der Sprengung, hat sich der subjektive Tatbestand ergeben.
57Die Höhe des Bargeldbetrages in dem von den Tätern angegangenen Geldautomaten und die Feststellungen zu dem wirtschaftlichen Schaden, insbesondere auch an dem angegangenen Geldautomaten, beruhen darüber hinaus auf der glaubhaften Aussage des Zeugen Q. von der Sparkasse und seiner im allseitigen Einverständnis zur Verlesung gekommenen E-Mail vom 11.05.2022. Das Ausmaß der Schäden hat sich zudem aus den polizeilich gefertigten Lichtbildern nach der Sprengung ergeben, die die Angaben des Zeugen Q. stützen.
58Die Feststellungen zum verwendeten Sprengmittel beruhen auf dem zur Verlesung gekommenen Behördengutachten des Sachverständigen Dr. R., Landeskriminalamt, vom 04.05.2021.
592. Beweiswürdigung zum Tatgeschehen in I.
60Die Feststellungen zum objektiven und subjektiven Tathergang zum Geschehen vom 29.04.2021 in I. hat die Kammer aufgrund der Inaugenscheinnahme der Lichtbilder aus der Videoaufnahme gestützt. Auf ihnen ist der festgestellte Tatablauf und die arbeitsteilige Vorgehensweise der beiden in und vor dem Sparkassenpavillon handelnden Täter zu sehen. Dass ein dritter unbekannter Täter als Fahrer fungierte und das Fahrzeug vor und nach der Tat steuerte, hat sich aus den beiden in Augenschein genommenen Radarbildern vom 29.04.2021 um 02:11 Uhr und 03:41 Uhr ergeben.
61Auf den in Augenschein genommenen Lichtbildern des Tatortbefundberichts und der Zeugenaussage des Kriminalhauptkommissars S. beruhen zudem das Ausmaß der Schäden an dem Pavillon und die Höhe des entwendeten Bargelds. Zur Höhe des entwendeten Betrags hat der Kriminalbeamte zudem auf die E-Mail des Sparkassenmitarbeiters T. vom 03.03.2022 verwiesen.
62Die Angaben des Kriminalhauptkommissars S. haben sich mit den in Augenschein genommenen Lichtbildern auch gedeckt. Der Zeuge hat sachlich, ruhig und ohne Belastungstendenzen von dem Ergebnis seiner Ermittlungen berichtet, sodass die Kammer von der Richtigkeit seiner Angaben überzeugt gewesen ist.
633. Beweiswürdigung zur Identifizierung der Täter
64Nach der Durchführung der Beweisaufnahme und ihrer umfassenden Würdigung hat die Kammer jedoch eine Täterschaft des Angeklagten oder seine Beteiligung im Rahmen der beiden angeklagten Taten nicht zu ihrer Überzeugung feststellen können.
65a) Beweismittel zum Fall in H.
66Eine Tatbeteiligung des Angeklagten hat sich mit den Beweismitteln zu der ersten angeklagten Tat vom 12.04.2021 in H. nicht zur Überzeugung der Kammer nachweisen lassen.
67Die Täterschaft oder eine andere Form der Beteiligung des Angeklagten im Rahmen der vorgeworfenen Tat in H. hat sich insbesondere nicht durch die DNA-Spur an dem Zünder, welcher vor der Sparkassenfiliale gefunden worden ist, zur Überzeugung der Kammer belegen lassen.
68aa) DNA-Spur des Angeklagten am Zünder
69Die Kammer hat nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme insoweit sicher feststellen können, dass der Zünder, mit welchem die Täter die Explosion von außen vor der Sparkassenfiliale ausgelöst hatten, vor der Filiale nach der Tat aufgefunden worden ist und sich daran die DNA des Angeklagten befand.
70Polizeikommissar P. hat – wie zuvor unter IV. 1. dargelegt – glaubhaft berichtet, noch in der Tatnacht vor Ort gewesen zu sein und vor der zerstörten Sparkassenfiliale ein Kabel und eine Batterie gefunden zu haben.
71Die Sachverständige Dr. U., Landeskriminalamt, hat in der Hauptverhandlung auf ihr schriftliches Gutachten vom 09.03.2022 Bezug genommen und dieses mündlich erläutert. Hieraus hat sich zur Überzeugung der Kammer ergeben, dass an dieser Batterie bzw. diesem Zünder eine DNA-Spur aufgefunden worden ist, die dem Angeklagten zuzuordnen ist.
72An dieser Feststellung haben aufgrund der glaubhaften Aussage des Polizeikommissars P. und der nachvollziehbaren und sachlichen Erläuterungen der Sachverständigen keine Zweifel bestanden.
73bb) Verursachung der DNA-Spur
74Jedoch hat sich nicht sicher feststellen lassen, unter welchen Bedingungen die DNA-Spur des Angeklagten an diesen Zünder gelangt ist.
75Die Sachverständige hat zur Überzeugung der Kammer nachvollziehbar erläutert, dass zu der Art und Weise, wie die Spur an den Gegenstand gelangt ist, und wie lange sie sich bereits vor ihrer Sicherstellung an dem Gegenstand befunden hat, keine sicheren Aussagen gemacht werden können.
76Die Spur könne – so die Sachverständige – zwar durch ein unmittelbares Berühren des Angeklagten entstanden sein, jedoch sei es durchaus möglich, dass die Spur auch durch Dritte an den Gegenstand herangetragen worden sei.
77Auf den Tatbildern der Überwachungskamera der Sparkassenfiliale ist zu sehen gewesen, dass die Täter Handschuhe trugen.
78Die Sachverständige hat erklärt, dass auch eine Übertragung über Handschuhe durchaus möglich sei, wenn sich der Täter etwa zuvor in das Gesicht gefasst habe. Die Antragung könnte jedoch auch über andere Personen verursacht worden sein. So sei es durchaus möglich, dass sich bereits vor der Tat noch DNA-Spuren des Angeklagten an der Batterie befunden haben. Es sei auch durchaus möglich, dass DNA-Spuren durch andere Personen an den Gegenstand vor oder während der Tat angetragen worden sind. So könnten sich etwa DNA-Spuren des Angeklagten an den Handschuhen befunden haben, die dann durch einen anderen, der die Handschuhe trägt und den Gegenstand anfasst, daran hinterlassen werden.
79Dr. U. hat ferner erläutert, dass sich DNA-Spuren auch nach längerer Zeit noch an Gegenständen nachweisen ließen. Die Verursachung der Spur an dem Zünder könne Tage oder Wochen, unter geeigneten schonenden Bedingungen durchaus auch über Monate zurückliegen. Eine Bestimmung der näheren Umstände der Verursachung der DNA-Spur und ihre nähere zeitliche Eingrenzung seien – so die Sachverständige – nicht möglich.
80Aufgrund dieses Gutachtens hat die Kammer anhand der DNA-Spur lediglich die Feststellung treffen können, dass diese sich an der Batterie befunden hat und diese in irgendeiner Weise vor oder während der Tat an die Batterie gelangt ist.
81Einen andere Möglichkeiten ausschließenden Beweis dahingehend, dass der Angeklagte der Täter war, der die Batterie vor Ort während der Tat in der Hand hielt, stellt dies nicht dar. Die Kammer hat nicht ausschließen können, dass die DNA-Spur des Angeklagten auf anderem Wege vor oder während der Tat durch einen Dritten an den Zünder gelangt ist.
82Zwar ist es durchaus möglich, dass der Angeklagte als einer der beiden Täter vor Ort oder in Vorbereitung der Tat – insbesondere ohne Tragen von Handschuhen – seine DNA an den Zünder angetragen hat. Jedoch lässt sich nicht auszuschließen, dass der Angeklagte den Zünder an die Täter lediglich ausgeliehen, verkauft oder sonst wie abgegeben hat und sich noch seine DNA an der Batterie befunden hat. Die Überlassung der Batterie kann dabei wissentlich von ihrem Einsatzzweck als Zünder für eine Sprengstoffexplosion oder auch unwissentlich erfolgt sein.
83Die DNA-Spur des Angeklagten kann – wie die Sachverständige nachvollziehbar erklärt hat – auch über die Handschuhe an die Batterie gelangt sein. Dr. U. hat erläutert, dass es durchaus möglich sei, dass Restspuren von DNA über Handschuhe an anderen Gegenstände übertragen werden.
84So ist neben der – wissentlichen oder unwissentlichen – Überlassung der Batterie auch eine – wiederum wissentlich oder unwissentlich – Überlassung der Handschuhe durch den Angeklagten an einen anderen möglich gewesen.
85Dass sich der Angeklagte zu solchen Möglichkeiten nicht geäußert hat, hat die Kammer nicht zu seinen Nachteil auslegen dürfen. Sein Schweigen hat die Kammer nicht dahingehend berücksichtigt, solche Tatvarianten auszuschließen.
86Es kommen insoweit auch mehrere Möglichkeiten der Verursachung der DNA-Spur in Betracht. Ein täterschaftliches Verhalten oder sonstige Beteiligung des Angeklagten an der festgestellten Tat vom 12.04.2021 in H. hat sich hierüber zur Überzeugung der Kammer nicht feststellen lassen.
87cc) Weitere Beweismittel im Fall von H.
88Diese anderen in Betracht kommenden Sachverhaltsvarianten haben sich auch nicht durch die übrigen Beweismittel für den Fall in H. ausräumen lassen.
89Auf den Bildern der Überwachungskamera der Sparkassenfiliale sind die Täter lediglich in dunkler Bekleidung und mit Sturmhauben maskiert zu sehen. Besondere personentypische Merkmale, die auf den Angeklagten als einen der beiden Täter hindeuten könnten, sind nicht gegeben. Soweit die Statur des Täters, der die Sparkassenfiliale als erstes betrat, mit der des Angeklagten überstimmen könnte, schied dieser Umstand als Beweismittel für seine Täterschaft aus. Die beiden Umstände, dass die DNA-Spur des Angeklagten an dem Zünder gefunden worden ist und seine Statur mit einem dem Täter übereinstimmen könnte, hätten für die Kammer nicht für eine Überzeugungsbildung ausgereicht.
90b) Beweismittel zum Fall in I.
91Aus den Beweismitteln zu der Tat vom 29.04.2021 in I. hat sich die Täterschaft oder eine andere Beteiligung des Angeklagten an dieser Tat ebenfalls nicht zur Überzeugung der Kammer feststellen lassen.
92aa) Radarfoto vom 29.04.2021, 03:41 Uhr („zweites Radarfoto“)
93Die Kammer ist davon überzeugt gewesen, dass auf dem in Augenschein genommenen Radarfoto vom 29.04.2021 um 03:41 Uhr („zweites Radarfoto“) die drei an der Sprengung von 03:38 Uhr beteiligten Täter und deren Fahrzeug zu sehen sind.
94Dieses Radarfoto zeigt – in schwarz-weiß – einen grauen PKW2 mit dem Kennzeichen XXX-X 000. Es sind drei Insassen in dem Fahrzeug zu sehen, und zwar ein Fahrer, ein Beifahrer und auf der Rückbank eine weitere Person. Bei den Insassen handelt es sich mutmaßlich um drei männliche Personen.
95Die Personen sind nicht weiter zu erkennen, da der Fahrer eine Schiebermütze und eine Atemschutzmaske über Nase und Mund trägt und die beiden Mitfahrer durch Sturmhauben und Stirnlampen vermummt sind.
96Wegen der weiteren auf dem Radarbild zu erkennenden Einzelheiten wird auf die Lichtbilder auf den Blättern 397 und 398 der Hauptakte verwiesen (§ 267 Abs. 1 Satz 3 StPO).
97Aufgrund ihrer Bekleidung steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass es sich bei den beiden Mitfahrern um die beiden Täter handelt, die auf den Bildern der Videoüberwachung zu sehen sind. Die Lichtbilder der Videoüberwachung sind in Augenschein genommen worden. Auf ihnen sind ebenfalls die beiden Täter, der zweite Täter nur außerhalb des Sparkassenpavillons, zu sehen. Sie tragen ebenfalls dunkle Bekleidung, Sturmhauben und Stirnlampen. Der Schriftzug „X“ ist auf den Stirnlampen zu erkennen. Außerdem trägt einer der Täter die Lampe verkehrt herum, wodurch der Schriftzug auf dem Kopf steht. Dies ist sowohl bei einem der Täter auf den Überwachungsbildern als auch bei einen der Personen in dem Fahrzeug auf dem Radarfoto zu erkennen.
98Das Radarfoto entstand ausweislich seiner Datenzeile, die in der Hauptverhandlung verlesen worden ist, am 29.04.2021 gegen 03:41 Uhr. Die Tat in I. begingen die Täter in derselben Nacht gegen 03:38 Uhr.
99Kriminalkommissar S. hat nachvollziehbar und glaubhaft erläutert, dass die Zurücklegung der Strecke innerhalb dieser wenigen Minuten bei erhöhter Geschwindigkeit, also bei Überschreitung der zulässigen Geschwindigkeit, möglich ist. Diese Erkenntnis habe er durch ein Nachfahren der Strecke mit zulässiger Geschwindigkeit von der Tatörtlichkeit zu Örtlichkeit, an dem das Radarfoto am 29.04.2021 gemacht worden ist, gewonnen. Bei gesteigerter Geschwindigkeit sei dies möglich gewesen. Zumal die Uhrzeit als solche in der Radaranlage nicht geeicht sei.
100Kriminalkommissar S. hat zudem bekundet, dass das Kennzeichen OOO-X 000, welches sich an dem auf dem Radarfoto angebrachten Fahrzeug zu sehen ist, kurz zuvor gestohlen gemeldet worden sei.
101Aufgrund dieser zeitlichen und räumlichen Umstände und der Bekleidung der Fahrzeuginsassen und der beiden auf den Lichtbildern der Überwachungskamera erkennbaren Täter in und vor der Sparkassenfiliale ist die Kammer zu der Überzeugung gelangt, dass auf dem Radarfoto vom 29.04.2021 von 03:41 Uhr („zweites Radarfoto“) die Täter zu sehen sind, die gegen 03:38 Uhr den Sparkassenpavillon in I. gesprengt haben.
102bb) Radarfoto vom 29.04.2021, 02:11 Uhr („erstes Radarfoto“)
103Die Kammer ist ferner zu der Überzeugung gelangt, dass auf dem Radarfoto vom 29.04.2021 von 02:11 Uhr („erstes Radarfoto“) dieselben Insassen wie auf dem Radarfoto von 03:41 Uhr zu sehen sind.
104Dieses zeitlich erste Radarbild von 02:11 Uhr und seine Ausschnitte und Vergrößerungen sind in der Hauptverhandlung in Augenschein genommen worden. Das Schwarz-Weiß-Bild zeigt einen grauen PKW2 mit dem Kennzeichen OOO-XX 000. Es sind – jedenfalls – zwei Insassen auf dem Foto zu sehen. Es wird wegen der Einzelheiten auf die Lichtbilder auf den Blättern 394 und 395 der Hauptakte verwiesen (§ 267 Abs. 1 Satz 3 StPO).
105Dass es sich um dasselbe Fahrzeug wie auf dem zweiten Radarfoto von 03:41 Uhr handelt, hat die Kammer anhand folgender Umstände zu ihrer Überzeugung festgemacht:
106Es handelt sich um ein Fahrzeug derselben Marke und desselben Typs, nämlich einen PKW2, mit demselben Schwarz-Weiß-Ton. Auf beiden Radarfotos ist ein Fahrer zu sehen, der eine auf beiden Schwarz-Weiß-Bildern dunkelgrau erscheinende Schiebermütze und eine Atemschutzmaske trägt. Auf beiden Fotos ist ein Fahrzeug abgebildet, an dem ein in der Nacht zuvor entwendetes Kfz-Kennzeichen angebracht ist. Kriminalhauptkommissar S. hat im Rahmen seiner Zeugenaussage bekundet, dass nicht nur das Kennzeichen OOO-X 000, sondern auch das Kennzeichen OOO-XX 000 als gestohlen gemeldet worden sei.
107Aus diesen Gründen hat zur Überzeugung der Kammer festgestanden, dass auf dem ersten Radarfoto von 02:11 Uhr die Insassen zu sehen sind, die bereits auf dem zweiten Radarfoto von 03:41 Uhr abgebildet sind.
108Der Umstand, dass auf dem ersten Radarbild von 02:11 Uhr nur zwei Fahrzeuginsassen und auf dem zweiten Radarbild von 03:41 Uhr drei Personen zu sehen sind, steht dem nicht entgegen. Denn auf dem ersten Bild ist die Rückbank des Fahrzeugs hinter dem Beifahrer nicht zu sehen. Hinter dem Beifahrersitz ist ein hellgrauer Bereich zu sehen, der sich vom Beifahrersitz abhebt und der von einer dritten sich dort befindenden Person herrühren könnte. Dies würde dann in Einklang stehen mit dem zweiten Radarfoto von 03:41 Uhr, auf dem drei Fahrzeuginsassen abgebildet sind.
109cc) Keine Identifizierung mittels Lichtbildabgleichs
110Anhand der Lichtbilder von der Videoüberwachung und der beiden Radarbilder hat zur Überzeugung der Kammer festgestanden, dass das erste Radarfoto von 02:11 Uhr die Täter der Sprengung des Sparkassenpavillons zeigt. Auf diesem ersten Radarbild ist auf dem Beifahrersitz eine mutmaßlich männliche Person zu erkennen, die eine Atemschutzmaske trägt. Teile des Gesichts dieser Person sind dabei zu sehen.
111Dass es sich bei diesem Beifahrer um den Angeklagten handelt, hat die Kammer hingegen nicht mehr zu ihrer Überzeugung feststellen können. Hinsichtlich der Identifikation des Angeklagten als Beifahrer auf diesem ersten Radarbild sind der Kammer – auch unter Zuhilfenahme eines Sachverständigen zur Identifizierung von Personen anhand von Lichtbildern – überwiegende Restzweifel verblieben.
112Die Kammer hat das erste Radarfoto in der Hauptverhandlung in Augenschein genommen und zum Abgleich der erkennbaren Teile des Gesichts des Beifahrers mit dem Gesicht des Angeklagten ein Sachverständigengutachten eingeholt.
113(1) Zum Lichtbild vom Beifahrer des Täterfahrzeugs
114Die Kammer hat dieses erste Radarfoto vom 29.04.2021 um 02:11 Uhr in Augenschein genommen und hierzu folgende Feststellungen treffen können:
115Es handelt sich um ein Foto einer Geschwindigkeitsmessanlage und insbesondere nicht um ein Standbild aus einer Videosequenz. Das Foto ist schwarz-weiß. Es zeigt einen PKW2 in ankommender Fahrtrichtung. Auf dem Fahrersitz ist eine – mutmaßlich männliche – Person mit Mütze und weißem Mund-Nasen-Schutz zu sehen. Die Atemmaske verdeckt Mund und Nase. Der Fahrer trägt Handschuhe und hält seine rechte Hand teilweise vor sein Gesicht.
116Eine weitere – ebenfalls mutmaßlich männliche – Person befindet sich auf dem Beifahrersitz. Sie trägt keine Kopfbedeckung, aber auch eine Mund-Nasen-Maske. Von dieser Person sind der obere Teil des Kopfs und des Gesichts zu sehen, insbesondere die Stirn, die Augenbrauen, die Augen, die obere Hälfte der Nase, das rechte Ohr und die Spitze des linken Ohrs. Die Maske bedeckt den unteren Teil der Nase, insbesondere die Nasenspitze und die Nasenflügel, die Wangen- und die Mundpartien sowie das Kinn, den Kiefer und den Hals. Die Maske hat Zugbänder, die um die Ohren verlaufen sollen. Aufgrund der Kameraperspektive ist jedoch nur bei der rechten Seite und dem rechten Ohr zu sehen, dass der Beifahrer die Zugbänder der Maske auch um das rechte Ohr trägt. Auf der linken Seite ist dies aufgrund der Perspektive nicht zu erkennen.
117Unklar ist, ob sich eine weitere Person im hinteren Teil des Fahrzeugs befindet. Ein hellgrauer Bereich hinter dem Beifahrer lässt dies lediglich vermuten. Anhand dieses ersten Radarfotos ist dies nicht sicher festzustellen gewesen.
118Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Radarfoto und seine Ausschnitte und Vergrößerungen auf den Blättern 394 und 395 der Hauptakte verwiesen (§ 267 Abs. 1 Satz 3 StPO).
119(2) Lichtbilder vom Angeklagten
120Von dem Angeklagten wurden erkennungsdienstliche Lichtbilder gefertigt, die sein Gesicht und seinen Hals zeigen. Der Angeklagte ist frontal und einmal auch im Halbprofil – zu sehen ist die linke Gesichtshälfte und das linke Ohr – fotografiert worden. Der Angeklagte trägt auf diesen Bildern keine Mund-Nasen-Maske. Das Gesicht ist nicht verdeckt und vollständig sichtbar.
121Auch diese Lichtbilder auf Blatt 197 der Fallakte sind in der Hauptverhandlung in Augenschein genommen worden; auf sie wird wegen der Einzelheiten verwiesen (§ 267 Abs. 1 Satz 3 StPO).
122(3) Abgleich der Lichtbilder miteinander
123Das Radarfoto und die erkennungsdienstlichen Lichtbilder des Angeklagten sind in der Hauptverhandlung mithilfe des Sachverständigen V. miteinander abgeglichen worden.
124Der Sachverständige V. ist für die Erstattung eines solchen Abgleichs anhand morphologischer Merkmale qualifiziert. Er ist seit dem Jahr 2012 als Lichtbildexperte beruflich tätig, zunächst als Sachbearbeiter. Schließlich hat er mit seiner Ausbildung zum Sachverständigen begonnen und diese nach einer Ausbildungsdauer von drei Jahren abgeschlossen. Im Jahr 2020 ist er zum Sachverständigen bestellt worden.
125Der Sachverständige hat erklärt, dass er sich in den schriftlichen Bericht seiner Kollegin W. vom 23.09.2021, welcher im Ermittlungsverfahren erstellt worden ist und in den Akten vorliegt, eingearbeitet habe. Er habe einen eigenen Abgleich anhand dieser Unterlagen vorgenommen und sei – nach einer eigenen Beurteilung – zu demselben Ergebnis wie seine Kollegin gelangt, und zwar, dass es sich bei dem Beifahrer „wahrscheinlich“ um den Angeklagten handele.
126Der Sachverständige V. hat den Abgleich und die Beurteilung, die er vorgenommen hat, im Einzelnen näher erläutert. Dabei hat er – und ihm folgend auch die Kammer – das erste Radarfoto vom 29.04.2021 von 02:11 Uhr mit den erkennungsdienstlichen Fotos des Angeklagten abgeglichen. Der Abgleich erfolgte somit über dasselbe Medium. Bei dem Radarbild und den erkennungsdienstlichen Lichtbildern des Angeklagten handelte es sich um Fotos und nicht nur um Standbilder aus einer Videosequenz.
127Der Sachverständige V. hat dargelegt, dass bei dem weiteren Abgleich zu berücksichtigen sei, dass die Kopfhaltung des Beifahrers auf dem Radarfoto und die des Angeklagten auf den erkennungsdienstlichen Lichtbildern nicht gleich sei. Ein Abgleich sei gleichwohl mit diesen Bildern möglich.
128Zur Qualität des Radarfotos hat der Sachverständige ausgeführt, dass dieses für einen Abgleich noch geeignet sei. Das Schwarz-Weiß-Bild weise jedoch eine schlechte Ausleuchtung und eine geringe Auflösung auf. Es sei eine sogenannte Artefakt-Bildung an einigen Stellen des Radarfotos festzustellen. Das heiße, dass sich auf dem digitalen Foto kleinere Klötzchen bilden, die die Qualität des Bildes herabsetzen würden. Durch die Mund-Nasen-Maske, die der Beifahrer auf dem Radarfoto trage, werde zudem ein Teil des Gesichts verdeckt. Für einen Abgleich würden daher der untere Teil der Nase, die Mund- und Wangenpartie sowie das Kinn und die Kieferform wegfallen.
129Gleichwohl seien – so der Sachverständige – noch genügend morphologische Merkmale in der Grob- und Feinstruktur vorhanden. Das Foto sei trotz der geminderten Qualität und trotz der Mund-Nasen-Maske der zu identifizierenden Person für einen Abgleich noch geeignet.
130Der Sachverständige hat im Rahmen seiner Begutachtung schließlich die erkennbaren morphologischen Merkmale des Beifahrers mit denen des Angeklagten miteinander abgeglichen und dies erläutert:
131Auf dem Radarfoto sei von dem Beifahrer das rechte Ohr zu sehen. In seiner Grobstruktur, also in seiner äußeren Form, seiner Größe und dem Winkel, mit dem die Ohrenspitze vom Kopf abstehe, stimme dies mit dem rechten Ohr des Angeklagten überein. Jedoch sei aufgrund der geringen Auflösung und der geringen Qualität des Radarbildes ein weiterer Abgleich, insbesondere in der Feinstruktur, also der Ohrinnenleiste, nicht möglich.
132Das linke Ohr sei bei dem Angeklagten deutlicher abstehend. Ein solches Abstehen könne bei dem Beifahrer auf dem Radarbild nicht sicher festgestellt, sondern allenfalls vermutet werden. Denn zum einen sehe man allenfalls die Spitze des linken Ohres, wenn es sich bei der auf dem Radarfoto zu sehenden hellen Stelle überhaupt um das Ohr handele. Zum anderen trage die auf dem Radarfoto abgebildete Person eine Gesichtsmaske mit Zugbändern, die um die Ohren führen und die so die Position des Ohres verändern könnten. Dieses morphologische Merkmal sei daher nicht besonders aussagekräftig.
133Die Höhe und die Breite der Stirn würden – so der Sachverständige – in ihrer Grobstruktur bei dem Beifahrer und dem Angeklagten übereinstimmen. Auch der Verlauf des Haupt- und des Schläfenhaars seien gleich, wobei es sich dabei um ein leicht veränderbares äußeres Merkmal handele.
134Bei der Augenpartie des Beifahrers auf dem Radarfoto falle auf, dass die Augenbrauen von ihren Köpfen aus, also von innen nach außen, erst ansteigend verliefen und dann im letzten Drittel deutlich abfielen. Der Abstand der Augenbrauenköpfe zueinander sei auch als gering zu bezeichnen. Diese Merkmale seien so auch bei den erkennungsdienstlichen Lichtbildern des Angeklagten festzustellen.
135Die Oberlidräume, also der Bereich zwischen den Oberlidern und den Augenbrauen, sei bei dem Beifahrer auf dem Radarfoto nach außen hin größer werdend. Dieses Merkmal und auch der Abstand der Augen zueinander weise auch der Angeklagte auf.
136Die Augenwinkelebenen, also der Grat zwischen den Winkeln eines Auges, sei bei dem Beifahrer und dem Angeklagten übereinstimmend von innen nach außen abfallend.
137Dieses Merkmal sei – so der Sachverständige – besonders zu gewichten.
138Zur Nasenpartie hat der Sachverständige ausgeführt, dass diese aufgrund der Maske, die der Beifahrer trägt, nur im oberen erkennbaren Teil beurteilt werden könne. Es handele sich um den knöchernen Teil der Nase. Die Nasenwurzel sei als mittelbreit zu bezeichnen und sei leicht eingezogen. Der Nasenrücken verlaufe gerade. Diese erkennbaren morphologischen Merkmale seien so auch bei den erkennungsdienstlichen Lichtbildern des Angeklagten vorhanden.
139Die restlichen Gesichtsmerkmale, insbesondere der untere Teil der Nase, der Mund, das Kinn, der Kiefer und der Hals, würden für einen Abgleich ausscheiden, da diese durch die Atemschutzmaske, die der Beifahrer trägt, verdeckt seien.
140Für einen Abgleich würden zudem die Farbe der Augen und die Frisur unbeachtlich bleiben, da diese leicht veränderbar seien, bei den Augen etwa auch durch farbige Kontaktlinsen. Zudem handele es sich ohnehin um ein Schwarz-Weiß-Bild.
141Soweit morphologische Merkmale bei dem Beifahrer auf dem Radarfoto erkennbar seien, würden diese mit den Merkmalen des Angeklagten auf den erkennungsdienstlichen Lichtbildern übereinstimmen. Abweichungen seien nicht festzustellen.
142Der Sachverständige hat erläutert, dass die Augenwinkelebene besonders zu gewichten sei. Das Abstehen der Spitze des linken Ohres falle bei dem Angeklagten ebenfalls auf. Auf dem Radarfoto sei von dem linken Ohr jedoch nur – wenn überhaupt – die äußerste Spitze zu sehen. Zudem trage der Beifahrer eine Maske, die zu einer Veränderung der Position des Ohres geführt haben könne. Weitere besondere und insbesondere besonders personentypische Merkmale seien nicht gegeben.
143Der Sachverständige hat erklärt, dass er sein Wahrscheinlichkeitsurteil aufgrund dieses Abgleichs fälle. Er könne keine prozentualen Angaben über die Häufigkeit von bestimmten morphologischen Merkmalen machen, da es keine gesicherten Studien und Zahlen zu der Verteilung solcher Merkmale in der Bevölkerung gebe. Sein Wahrscheinlichkeitsurteil beruhe auf einem Kombinat aller erkennbaren und abgleichbaren morphologischen Merkmale, wobei auffallende Merkmale besonders zu gewichten seien und es nicht allein auf die Anzahl der abgleichbaren Merkmale ankomme.
144Nach diesen Maßstäben komme er zu der Einschätzung, dass der Angeklagte „wahrscheinlich“ der auf dem Radarfoto abgebildete Beifahrer sei. Bei diesem Wahrscheinlichkeitsurteil handele es sich um das schwächste aller positiven Wahrscheinlichkeitsurteile. Es bedeute, dass bei einem Vergleich mehrere Übereinstimmungen sowohl in den Grob- als auch in den Feinstrukturen festgestellt werden könnten. Abweichungen seien nicht erkennbar. Aufgrund der Merkmale und ihrer Kombination könne allenfalls eine sehr ähnlich aussende Person ebenfalls in Betracht kommen.
145Das nächst höhere Wahrscheinlichkeitsurteil sei die „hohe Wahrscheinlichkeit“. Hier könne allenfalls eine zum Verwechseln ähnlich aussehende Person (nahe Verwandtschaft) ebenfalls in Betracht kommen.
146Unter dem Wahrscheinlichkeitsurteil „wahrscheinlich“ folge die Einschätzung „deutet darauf hin“. Hier seien bei einem Verblich mehrere Übereinstimmungen in den Grobstrukturen und sehr eingeschränkt in den Feinstrukturen festzustellen und Abweichungen nicht zu erkennen.
147Die Kammer ist den Ausführungen des Sachverständigen gefolgt. Sie hat bei einem eigenen Abgleich der erkennbaren Merkmale des auf dem ersten Radarfoto abgebildeten Beifahrers und des auf den erkennungsdienstlichen Lichtbildern abgebildeten Angeklagten die gleichen Übereinstimmungen wie der Sachverständige feststellen können. Die Kammer hat sich den nachvollziehbaren und detaillierten Erläuterungen des Sachverständigen angeschlossen. Herr V. hat die verschiedenen morphologischen Merkmale einzeln beschrieben, ausgewertet und gewichtet. Dies war für die Kammer ebenfalls so auf den zu vergleichenden Lichtbildern zu erkennen und nachzuvollziehen. Der Sachverständige hat auch auf problematische Stellen, wie den Umstand, dass allenfalls die Spitze des linken Ohres, welche bei dem Angeklagten auffallend abstehe, zu erkennen und hierbei der Umstand, dass der Beifahrer eine Atemschutzmaske trage, hingewiesen.
148Der Sachverständige hat zudem seine Ausführungen zur Qualität des Radarfotos verständlich und schlüssig dargelegt. Feinstrukturen sind auf dem Radarfoto wegen der geringen Auflösung und der sogenannten Artefakt-Bildung kaum zu erkennen. Bei dem rechten Ohr sind Feinstrukturen nicht abgleichbar. Anders ist dies bei der Augenpartie, bei der einzelne Feinstrukturen noch abgleichbar waren.
149Aufgrund dieser nachvollziehbaren und detaillierten Erläuterungen kann und ist die Kammer dem Sachverständigen in seinem Wahrscheinlichkeitsurteil gefolgt. Abweichungen waren nicht festzustellen. Neben Übereinstimmungen in der Grobstruktur waren auch solche in der Feinstruktur gegeben.
150Nach einem eigenen Abgleich der Bilder mithilfe des Sachverständigen und unter Würdigung seiner Erläuterungen ist die Kammer – nur – zu der Überzeugung gekommen, dass der Angeklagte wahrscheinlich der auf dem Radarfoto abgebildete Beifahrer ist. Allein aufgrund des Abgleichs des Radarbildes des Beifahrers mit den erkennungsdienstlichen Lichtbildern des Angeklagten ist die Kammer jedoch nicht zu der zweifelsfreien Überzeugung gelangt, dass es sich bei dem Beifahrer tatsächlich um den Angeklagten handelt.
151Allein nach Würdigung dieser Beweismittel ist eine Identifizierung des Angeklagten als dem auf dem Radarfoto abgebildete Beifahrer und somit als einer der Täter nicht zur Überzeugung der Kammer möglich gewesen.
152c) Umfassende Würdigung aller Beweismittel für den Fall in I.
153Zu einer solchen Überzeugung ist die Kammer jedoch auch nach einer umfassenden Würdigung aller Beweismittel – sowohl derer aus dem Fall in H., als auch derer aus dem Fall in I. – nicht gekommen. Auch unter Berücksichtigung der weiteren Indizien und Beweise – insbesondere derer aus dem Fall vom 12.04.2021 in H. – sind begründete Restzweifel bei der Kammer an der Identifikation des Angeklagten als dem auf dem Radarfoto abgebildete Beifahrer und Täter geblieben.
154Bei ihrer Überzeugungsbildung ist die Kammer von folgenden Maßstäben ausgegangen.
155Für eine Überzeugungsbildung ist ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit erforderlich, demgegenüber vernünftige und nicht bloß auf denktheoretische Möglichkeiten gegründete Zweifel nicht mehr aufkommen. Die Beweiswürdigung muss sich auf eine umfassende, objektiv nachvollziehbare Darlegung und Auseinandersetzung mit den erhobenen Beweisen stützen.
156Einerseits haben bloß theoretische Zweifel unberücksichtigt zu bleiben. An die Überzeugungsbildung dürfen keine überspannten Anforderungen gestellt werden. Andererseits sind real, rational hergeleitete und auf eine konkrete Tatsachengrundlage gestützte Zweifel beachtlich. Es sind sämtliche Beweismittel umfassend und erschöpfend zu würdigen.
157Diese Grundsätze sind auch bei der Frage der Identifikation durch einen Lichtbildabgleich für die Kammer maßgeblich. Aufgrund einer gebotenen umfassenden Würdigung ist daher auch bei einem Lichtbildabgleich das Wahrscheinlichkeitsurteil eines Sachverständigen kein alleiniger Maßstab. Gerade bei Lichtbildern mit geringerer Qualität sind anthropologische Gutachten zum Abgleich von Gesichtern mit Unsicherheiten behaftet. In der Regel werden daher neben dem Abgleich weitere Umstände und Indizien hinzutreten müssen, aufgrund derer nach einer Gesamtwürdigung eine objektive nachvollziehbare, in sich geschlossene und widerspruchsfreie Überzeugungsbildung von der Identifikation möglich ist (vgl. OLG Oldenburg, Beschluss vom 30.09.2008 – Ss 324/08 – juris, Rn. 9; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 25.01.2018 – 1 OWi 2 Ss Bs 104/17 – juris, Rn. 12.).
158Bei Anwendung dieser Grundsätze ist die Kammer nicht zu der Überzeugung gelangt, dass es sich bei dem Angeklagten um den auf dem Radarbild fotografierten Beifahrer handelt.
159Das Radarfoto ist von minderer Qualität. Der Sachverständige V. hat – wie dargelegt – nachvollziehbar erläutert, dass das Foto schlecht ausgeleuchtet ist und eine geringe Auflösung hat. Zudem haben sich sogenannte Artefakte auf dem Bild gebildet, die die Qualität mindern. Details sind – wie bereits unter IV. 3. b) cc) (3) beschrieben – kaum erkennbar.
160Der Umstand, dass nach der Tat vom 12.04.2021 in H. eine Batterie vor der Sparkasse gefunden worden ist, an der sich eine dem Angeklagten zugehörige DNA-Spur befunden hat, hat zu keiner anderen Entscheidung geführt.
161Der Kammer hat sich die – auch von der Staatsanwaltschaft aufgeworfene – Frage gestellt, wie wahrscheinlich es ist, dass sich zum einen eine DNA-Spur an der Batterie in H. und sich zum anderen zugleich eine ähnlich aussehende Person im Täterfahrzeug in I. befindet, und es sich dann hierbei nicht um den Angeklagten handelt.
162Nach Würdigung der Beweismittel sind der Kammer jedoch Zweifel geblieben.
163Der Umstand, dass im Fall von H. am 12.04.2021 eine DNA-Spur des Angeklagten an dem Zünder vor der Sparkasse gefunden worden ist, lässt – wie bereits insbesondere unter IV. 3. a) dargelegt – nicht den sicheren Schluss zu, dass sich der Angeklagte vor Ort befunden hat. Es sind die bereits unter IV. 3. a) dargelegten, weiteren denkbaren Sachverhaltsvarianten möglich, die gerade nicht zur Überzeugung der Kammer ausgeschlossen werden konnten. Eine Beteiligung des Angeklagten an dem Fall in H. hat sich mit diesem Beweismittel jedoch gerade nicht sicher herleiten lassen. Die DNA-Spur kann, wie die Sachverständige Dr. U. ausgeführt hat, auch auf anderem Wege an die Batterie gelangt sein. Es handelt sich dabei nicht nur um bloße denktheoretische Möglichkeiten. Die DNA-Spur kann insbesondere auch über andere Personen an den Zünder angetragen worden sein. Aus dem Umstand, dass die beiden Täter während der Tat Handschuhe getragen haben, wie auf den Lichtbildern der Überwachungskamera zu sehen, folgt, dass die DNA-Spur tatsächlich entweder über die Handschuhe oder bereits vor der Tatausführung an die Batterie gelangt ist. Die Handschuhe kann jedoch tatsächlich ein anderer als der Angeklagte während der Tat getragen haben und so die Spur an der Batterie zurückgelassen haben. Dies ist, wie die Sachverständige erläutert hat – durchaus möglich. Oder die Spur ist bereits vor der Tatausführung an den Zünder angetragen worden. Es sind also verschiedene, nicht nur denktheoretische Erklärungen zur Verursachung der DNA-Spur möglich. Wie dargelegt kommen auch Variationen in Betracht, in denen kein strafbares Verhalten des Angeklagten festzustellen ist, etwa eine Überlassung der Batterie ohne Kenntnis über ihren Verwendungszweck.
164Sichere Feststellungen und Rückschlüsse über die Beteiligung und das Verhalten des Angeklagten lassen sich aus der DNA-Spur an dem Zünder nicht herleiten.
165Denn es ist nicht auszuschließen, dass die DNA-Spur des Angeklagten auf die beschriebenen anderen Weisen an die Batterie gelangt sind und eine ähnlich aussehende Person – sei es aus seiner Verwandtschaft (insbesondere ein Bruder oder Cousins) oder aus seiner Volksgruppe oder außerhalb dieser – bei der anderen Tat in I. in dem Täterfahrzeug befand. Der Sachverständige V. hat erläutert, dass durchaus andere verwandte oder nicht verwandte, und doch ähnlich aussehende Personen in Betracht kommen. Es handelte sich dabei nicht nur um eine theoretische Wahrscheinlichkeit. Denn aufgrund der eher geringen Lichtbildqualität und der nur begrenzt erkennbaren Gesichtsmerkmale des Beifahrers war ein sicheres Urteil über die Identifikation des Angeklagten nicht möglich gewesen.
166Der Umstand, dass der Angeklagte in einem nicht näher bestimmbaren Verhältnis zu der Tat vom 12.04.2021 in H. steht, lässt keine sicheren Schlüsse für das Geschehen am 29.04.2021 in I. und einer Identifizierung des Angeklagten bei dieser Tat zu, auch nicht unter Berücksichtigung des Umstands, dass es sich um eine ähnlich gelagerte Tat handelt. In beiden Fällen gingen dunkel bekleidete und vermummte Täter einen Geldausgabeautomaten gezielt an und haben diesen unter Einsatz von Sprengmittel gesprengt.
167Der Umstand, dass eine DNA-Spur des Angeklagten an dem Zünder in H. gefunden worden ist, schließt nicht aus, dass eine andere, ihm ähnlich sehende Person einige Tage später in I. gehandelt hat und als Beifahrer des Täterfahrzeugs fotografiert worden ist.
168Der Sachverständige V. hat nachvollziehbar erläutert, dass ähnlich aussehende Personen durchaus ebenfalls als Beifahrer in Betracht kommen können. Es muss sich hierbei nicht einmal um Verwandte des Angeklagten handeln.
169Die Kammer hat nicht ausschließen können, dass es – neben den Brüdern des Angeklagten – andere männliche Verwandte oder andere nicht verwandte Personen, insbesondere aus derselben Volksgruppe gibt, die ebenfalls als mögliche Beifahrer auf dem Radarbild und somit als mögliche Täter in Betracht kommen.
170Mit der DNA-Spur und dem Radarbild liegen zwar zwei Beweismittel vor, die stark auf den Angeklagten als einen der Täter in I. hindeuten, die aber auch durchaus denkbare Alternativen im Sachverhalt noch zulassen. In dem Bewusstsein, dass mit ihnen zwei erhebliche Beweismittel gegen den Angeklagten vorliegen, haben sie andererseits noch nicht für die letztlich erforderliche Überzeugung der Kammer gereicht.
171Die weiteren Indizien, wie die Kleidung und die Tatmittel, geben ebenfalls keine sicheren Anhaltspunkte für die Täterschaft des Angeklagten. Der Umstand, dass die Täter in beiden Fällen dunkle Kleidung – vermutlich der Marke North Face – tragen und einer der Täter schwarze Sneaker mit einer weißen Sohle, wie dies auf den Lichtbildern der Überwachungskameras zu sehen ist, lassen keinen sicheren Schluss auf den Angeklagten zu.
172Seine Beteiligung an den beiden Taten hat sich bereits nicht zur Überzeugung der Kammer feststellen lassen, sodass über diese Beweismittel keine Identifikation des Angeklagten für die jeweils andere Tat möglich ist, selbst wenn es sich um dieselben Täter handeln sollte.
173Aber auch dies, also dass es sich in beiden Fällen um dieselben Täter vor Ort handelt, lässt sich über die Kleidung und Tatmittel nicht zur Überzeugung der Kammer feststellen. Denn das Tragen von dunkler Kleidung bei Begehung einer Straftat zur Nachtzeit ist gerade nicht derart markant, dass hierüber eine sichere Abgrenzung von vergleichbaren Straftaten anderer Tätergruppen möglich wäre. Auch das Vorgehen mit Brechstangen, der Einsatz von Kabeln für das Sprengen, das Tragen von Handschuhen und Stirnlampen genügt hierfür noch nicht.
174Sichere Feststellungen zur Identifizierung des Angeklagten als einen der beiden Täter in den beiden Fällen waren auch nicht über die sonstigen Beweismittel möglich. Dass es, wie Kriminalhauptkommissar S. ausgeführt hat, eine potenzielle Fahrstrecke aus den C. nach I. gibt, die von den Tätern genutzt sein könnte, genügt dies ebenfalls nicht, um den Angeklagten dann als einen der Täter sicher anzunehmen, auch nicht im Zusammenspiel mit den zuvor genannten Beweismitteln.
175Gleiches gilt für den Umstand, dass es eine Mobilfunknummer gab, die zu den beiden Tatzeiten jeweils in der Funkzelle der Tatörtlichkeit eingewählt war. Weitere Beweismittel über die Täter haben sich hieraus nicht gewinnen lassen, wie Kriminalhauptkommissar S. erläutert hat.
176Der c. Registerauszug über den Angeklagten hat ebenfalls keine sicheren Rückschlüsse auf seine Täterschaft zugelassen. Auch unter ihrer Berücksichtigung ist die Kammer nicht zu der Überzeugung gekommen, dass es sich bei dem Angeklagten um einen der Täter handelte. Weitere Erkenntnisse hinsichtlich dieser Eintragungen, insbesondere aus den Entscheidungen selbst, haben der Kammer nicht vorgelegen. Die Abschriften der c. Entscheidungen sind trotz der frühzeitigen Anforderung durch die Staatsanwaltschaft nicht mehr übersandt worden.
177Aus den Beweismitteln zu dem Fall in I. ist die Kammer daher auch unter Berücksichtigung der übrigen Beweismittel und derer aus dem Fall H. nicht zu der Überzeugung gelangt, dass es sich bei dem Angeklagten um den auf dem Radarbild fotografierten Beifahrer und Mittäter handelte.
178d) Umfassende Würdigung aller Beweismittel für den Fall in H.
179Auch umgekehrt hat das Zusammenspiel aller Beweismittel in beiden Fällen nicht für eine Überzeugungsbildung für den Fall in H. genügt.
180Denn die (nur) wahrscheinliche Beteiligung des Angeklagten bei der Tat vom 29.04.2021 in I. lässt keinen zwingenden Schluss auf seine täterschaftliche oder sonstige strafbare Beteiligung an der Tat vom 12.04.2021 in H. zu.
181Denn selbst wenn der Angeklagte auf dem Radarbild zweifelsfrei und zur Überzeugung der Kammer zu identifizieren gewesen wäre, ließe dies keine sicheren Rückschlüsse auf eine Beteiligung im Fall von H. zu. Denn es wäre nicht ausgeschlossen, dass der Angeklagte vor der zweiten Tat am 29.04.2021 in I. noch unbeteiligt an der Tat vom 16.04.2021 in H. war.
182Es ist durchaus möglich, dass der Angeklagte lediglich im Vorfeld der Tat in H. an der Vorbereitung, etwa durch Vorbereiten des Zünders, beteiligt war oder gar lediglich unwissentlich die Batterie oder die Handschuhe einem anderen zur Verfügung gestellt hat. Die jeweiligen Indizien in den Fällen H. und I. lassen daher keine zwingenden wechselseitigen Rückschlüsse auf den jeweils anderen Fall zu.
183Eine wissentliche Beteiligung an dieser ersten Tat lässt sich hierüber nicht frei von Restzweifeln begründen. Denn es ist durchaus möglich, dass der Angeklagte die Batterie, Handschuhe oder andere Gegenstände unwissentlich von ihrem Verwendungszweck zur Verfügung gestellt hat, und erst anschließend zum 29.04.2021 in I. – seine Beteiligung insoweit unterstellt – als Täter vor Ort handelte.
184Die Beweismittel aus dem jeweils einen Fall haben daher nicht unter Berücksichtigung der Beweismittel aus dem jeweils anderen Fall zu einer sicheren Überzeugungsbildung geführt. Sie haben aus den dargelegten Gründen nicht zu zwingenden Rückschlüssen für den jeweils anderen Fall geführt.
185VI.
186Eine Täterschaft oder eine andere Form der Beteiligung des Angeklagten an den unter IV. wiedergegebenen Sachverhalten hat sich nicht feststellen lassen. Die Kammer hat den Angeklagten somit aus tatsächlichen Gründen von den Vorwürfen freigesprochen.
187VII.
188Infolge des Freispruchs hat die Staatskasse die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten gemäß §§ 464 Abs. 1, 467 Abs. 1 StPO zu tragen.
189VIII.
190Die Entscheidung über die Entschädigung für die erlittene Untersuchungs- und Auslieferungshaft beruht auf § 2 Abs. 1, Abs. 3 StrEG.
191Nach § 2 Abs. 1 StrEG ist der Angeklagte für die erlittene Untersuchungshaft in der Zeit vom 19.01.2022 bis einschließlich 14.06.2022 zu entschädigen. Er befand sich während dieser Zeit in dieser Sache ununterbrochen in Untersuchungshaft.
192Die Entschädigung für die erlittene Auslieferungshaft in der Zeit vom 04.11.2021 bis zum einschließlich 18.01.2022 beruht auf § 2 Abs. 3 StrEG. Hiernach gelten als nach § 2 Abs. 1 StrEG entschädigungspflichtige Strafverfolgungsmaßnahmen unter anderem auch die Auslieferungshaft, wenn diese im Ausland auf Ersuchen einer deutschen Behörde angeordnet worden ist.
193Dies ist hier der Fall. Der Angeklagte ist am 04.11.2021 aufgrund des Europäischen Haftbefehls des Amtsgerichts Bielefeld vom 21.09.2021 zwecks Auslieferung an die Bundesrepublik Deutschland festgenommen worden. Er befand sich bis zu seiner Überstellung in die Bundesrepublik am 19.01.2022 in den C. ununterbrochen in Auslieferungshaft.
194Ein Grund für einen Ausschluss oder eine Versagung der Entschädigung gemäß §§ 5, 6 StrEG liegt nicht vor, insbesondere ist die Entschädigung nicht infolge Schweigen zur Sache ausgeschlossen (vgl. § 5 Abs. 2 Satz 2 StrEG).