Seite drucken
Entscheidung als PDF runterladen
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 25.622,11 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 09.12.2020 Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeuges VW Passat 2.0 TDI mit der Fahrgestellnummer XXX, zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme des Fahrzeuges VW Passat 2.0 TDI mit der Fahrgestellnummer XXX in Annahmeverzug befindet.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten i.H.v. 1.324,60 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 02.02.2021 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand:
2Der Kläger schloss am 14.07.2017 einen Kaufvertrag über den streitgegenständlichen VW Passat 2.0 TDI mit der Fahrgestellnummer XXX. Der Kaufpreis betrug 29.615,00 €. Das Fahrzeug wies zu diesem Zeitpunkt einen Kilometerstand von 0 km auf. In dem Fahrzeug ist ein Motor vom Typ EA 288 der Euro Norm 6 mit NOx-Speicherkatalysator (NSK) verbaut. Es ist ein sogenanntes Thermofenster vorhanden. Das Fahrzeug verfügt über eine Fahrkurvenerkennung. Mit dieser Funktion kann das Fahrzeug erkennen, ob es sich auf dem Prüfstand befindet. Die Beklagte ist Herstellerin des Fahrzeugs und des Motors. Der aktuelle Kilometerstand beträgt 40.448 km.
3Das mit "Entscheidungsvorlage: Applikationsrichtlinien & Freigabevorgaben EA288"
4Überschriebe interne Dokument der Beklagten enthält auf Seite 4 u.a. folgende Ausführungen:
5„Anwendungsbeschreibung:
6NSK: Bedatung, Aktivierung und Nutzung der Fahrkurven zur Erkennung des Precon und des NEFZ, um die Abgasnachbehandlungsevents (DeNOx-7 DeSOx-Events) nur strecken gesteuert zu platzieren. Im normalen Fahrbetrieb strecken- und beladungsgesfeuerte Platzierung der Events; Beladungssteuerung als führende Größe“
7Mit anwaltlichem Schreiben vom 10.11.2020 wurde die Beklagte erfolglos aufgefordert, bis zum 08.12.2020 den Kaufpreis abzüglich einer Nutzungsentschädigung, bemessen an dem damaligen Kilometerstand von 39.500 km, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs zu zahlen. Das Fahrzeug wurde zur Abholung angeboten.
8Der Kläger behauptet, dadurch, dass das streitgegenständliche Fahrzeug erkenne, ob es sich auf dem Prüfstand befinde, schalte die Fahrzeugsoftware anhand dieser Fahrkurvenerkennung in einen anderen Betriebsmodus um, sobald das Fahrzeug auf der Straße betrieben werde. Daraufhin würden Teile der Abgaskontrollanlage außer Betrieb gesetzt. Dadurch überschreite der Schadstoffausstoß im Normalbetrieb die Grenzwerte um ein Vielfaches. Hierzu nimmt der Kläger insbesondere Bezug auf das vorgelegte Dokument „Applikationsrichtlinien und Freigabevorgaben EA 288 (Bl. 143 der Akte). Diese Software sei einzig zur Vortäuschung falscher Werte verbaut. Darüber hinaus verfüge das Fahrzeug über eine Lenkwinkelerkennung, eine Temperaturerkennung und eine Zeiterfassung. Das On Board Diagnosesystem sei manipuliert. Die Beklagte habe von Anfang an nicht beabsichtigt, die Grenzwerte bezüglich des Schadstoffausstoßes einzuhalten. Der Vorstand der Beklagten sei über all diese Umstände informiert gewesen und hätten dieses Vorgehen gebilligt. Bei Kenntnis der Umstände hätte der Kläger den Kaufvertrag über das streitgegenständliche Fahrzeug nicht abgeschlossen. Er habe das Fahrzeug gekauft, weil er großen Wert darauf gelegt habe, dass das Auto umweltfreundlich und wertstabil ist und einen geringen Kraftstoffverbrauch habe. Das Auto habe eine zu erwartende Gesamtlaufleistung von 400.000 km.
9Der Kläger ist der Ansicht, dass diese Funktionen unzulässige Abschalteinrichtungen seien. Er habe einen Anspruch aufgrund sittenwidriger Schädigung durch die Beklagte nach § 826 BGB. Der Vorsatz der Beklagten ergebe sich nach § 31 BGB aus dem Vorsatz des Vorstandes der Beklagten. Die Rechtsanwaltskosten seien anhand einer 1,5 Gebühren zu berechnen.
10Der Kläger beantragt,
111. die Beklagte kostenpflichtig und vorläufig vollstreckbar zu verurteilen, an die Klagepartei 26.690,52 EUR nebst jährlichen Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 09.12.2020 Zug-um-Zug gegen Übereignung und Übergabe des Fahrzeuges VW Passat 2.0 TDI, FIN XXX, zu zahlen und zwar abzüglich einer weiteren Nutzungsentschädigung in EUR, die sich nach der folgenden Formel beziffert: Kaufpreis x gefahrene Kilometer ÷ Restlaufleistung im Erwerbszeitpunkt,
122. festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des vorbezeichneten Fahrzeugs in Verzug befindet,
133. die Beklagte kostenpflichtig und vorläufig vollstreckbar zu verurteilen, an die Klagepartei weitere 1.524,82 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
14Die Beklagte beantragt,
15die Klage abzuweisen.
16Die Beklagte behauptet, dass die Fahrkurvenerkennung nicht die gleiche Funktion habe wie die Umschaltlogik des Motors EA 189. Die Fahrkurvenerkennung sei lediglich dafür vorgesehen, dass die Messergebnisse in Zusammenhang mit dem NOx-Speicher-Katalysator nicht verfälscht würden. Sie werde nicht dazu benötigt, um Grenzwerte einzuhalten. Die Entscheidung, die Fahrkurvenerkennung nicht mehr zu verwenden sei lediglich aufgrund von Verunsicherungen in den Abteilungen der Beklagten getroffen worden. Das Auto habe eine zu erwartende Gesamtlaufleistung von maximal 250.000 km.
17Sie ist der Ansicht, dass die Funktionen des streitgegenständlichen Motors nicht mit der Umschaltlogik des Motors EA 189 gleichzusetzen sind. Etwaige Funktionen wie die Temperaturerkennung und das On Board Diagnosesystem seien keine unzulässigen Abschalteinrichtungen.
18Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
19Entscheidungsgründe:
20Die zulässige Klage ist im tenorierten Umfang begründet.
21Die Zulässigkeit ergibt sich bezüglich des Antrags zu 2. aus § 256 ZPO angesichts der damit einhergehenden Vereinfachung und Beschleunigung der Zwangsvollstreckung.
22I.
23Der Kläger hat einen Anspruch auf Zahlung von 25.622,11 € gegen die Beklagte Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeuges VW Passat 2.0 TDI mit der Fahrgestellnummer XXX aus §§ 826, 249 Abs. 1 BGB i.V.m. § 31 BGB.
24Die Beklagte hat den Kläger vorsätzlich sittenwidrig geschädigt. Insofern ist der Kläger so zu stellen, als ob er den Kaufvertrag über den streitgegenständlichen PKW nicht geschlossen hätte.
251.
26Es liegt ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten vor.
27Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde durch eine Pflichtverletzung einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. Schon zur Feststellung der Sittenwidrigkeit kann es daher auch auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben. Insbesondere bei mittelbaren Schädigung kommt es ferner darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (BGH, Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19, juris, Rn 15 m.w.N.).
28Insoweit steht nach aktueller höchstrichterlicher Rechtsprechung einer unmittelbaren arglistigen Täuschung der Fahrzeugkäufer gleich, wenn ein Fahrzeughersteller im Rahmen einer von ihm bei der Motorenentwicklung getroffenen strategischen Entscheidung, die Typengenehmigungen der Fahrzeuge durch arglistige Täuschung des Kraftfahrtbundesamts zu erschleichen und diese Fahrzeuge alsdann in Verkehr zu bringen, die Arglosigkeit und das Vertrauen der Käufer gezielt ausnutzt.
29Es ist von einer arglistigen Täuschung des KBA im Rahmen des Typengenehmigungsverfahrens auszugehen, wenn die Motorsteuerungsoftware bewusst und gewollt so programmiert ist, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte mittels einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007 nur auf dem Prüfstand eingehalten werden. Zum einen geht damit eine erhöhte Umweltbelastung mit Stickoxiden und zum anderen die Gefahr, dass bei einer Aufdeckung dieses Sachverhalts eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung hinsichtlich der betroffenen Fahrzeuge erfolgen könnte, einher. Ein solches Verhalten ist im Verhältnis einer Person, die eines der bemerkten Fahrzeuge in Unkenntnis der illegalen Abschalteinrichtung erwirkt, besonders verwerflich und mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht zu vereinbaren (BGH, a.a.O. Rn 16).
30Unstreitig verfügte das streitgegenständliche Fahrzeug jedenfalls vor dem 07.10.2019 über eine sogenannte „Fahrkurvenerkennung“. Somit lag jedenfalls bei Erstzulassung und beim Erwerb des Fahrzeugs durch den Kläger die Fahrkurvenerkennung vor. Die Beklagte stellt nicht in Abrede, dass das Fahrzeug durch diese Funktion erkennen konnte, ob es sich auf dem Prüfstand befindet. Das Fahrzeug schaltet auch insofern zwischen zwei Betriebsmodi um. Der Kläger trägt insoweit vor, dass durch das Umschalten der Schadstoffausstoß bei normalem Betrieb auf der Straße um ein Vielfaches höher sei, als auf dem Prüfstand. Die Fahrkurvenerkennung werde dazu genutzt, um die erforderlichen Werte auf dem Prüfstand einzuhalten. Hierzu stützt er sich insbesondere auf das Dokument „Applikationsrichtlinien und Freigabevorgaben EA 288“. Soweit die Beklagte sich darauf beruft, dass diese Funktion lediglich dafür genutzt werde, dass die Messergebnisse nicht verfälscht werden und diese nicht dazu benötigt werde, die Grenzwerte einzuhalten, dringt sie damit nicht durch.
31In dem eigenen internen Dokument der Beklagten heißt es unter anderem auf Seite 4 „NSK: Bedatung, Aktivierung und Nutzung der Fahrkurven zur Erkennung des Precon und des NEFZ, um die Abgasnachbehandlungsevents (DeNOx-7 DeSOx-Events) nur strecken gesteuert zu platzieren. Im normalen Fahrbetrieb strecken- und beladungsgesteuerte Platzierung der Events; Beladungssteuerung als führende Größe“. Hieraus und aus den weiteren dem Dokument zu entnehmenden Angaben ergibt sich, dass der streitgegenständliche NOx-Speicherkatalysator auf dem Prüfstand und im Normalbetrieb auf der Straße unterschiedlich gesteuert wird. Es ergibt sich insbesondere auch, dass der Schadstoffausstoß im Normalbetrieb deutlich höher ausfällt, beispielsweise auf Seite 3. Dort sind bereits die Zielwerte der Beklagten bezüglich anderer Testsituationen deutlich höher als im NEFZ-Zyklus. Ob die Überschreitung von Grenzwerten im Normalbetrieb Einfluss auf die Zulassungsfähigkeit gehabt hätte, ist unerheblich. Entscheidend ist vorliegend, dass die Fahrkurvenerkennung lediglich die Funktion hat den NSK unterschiedlich zu steuern und somit ein bestimmtes Verhalten des Fahrzeugs nur zum Zwecke des Erwerbs der Zulassung hervorgerufen wird. Die Ausführungen der Beklagten, dass diese Funktion nicht zur Einhaltung der Grenzwerte benötigt wird, sind insofern auch nicht nachvollziehbar. Das Gericht geht davon aus, dass eine unterschiedliche NSK-Ansteuerung durchaus Auswirkung auf den Motor und seiner Umwelteinflüsse haben wird. Weshalb hätte die Beklagte diese Funktion ansonsten entwickeln und implementieren sollen. Hiervon ist insbesondere auszugehen, da die Erklärung der Beklagten, die Funktion sei lediglich zur Verhinderung von verfälschten Messergebnissen vorhanden, nicht überzeugt. Grundgedanke des Testverfahrens ist, dass dieses soweit wie möglich der normalen Nutzung des Fahrzeugs nach Inverkehrbringen entsprechen soll. Dies ergibt sich bereits aus Art. 5 Abs. 1 VO (EG) Nr. 715/2007. Im normalen Betrieb ist der NSK jedoch nicht durchgehend fast leer. Es gibt somit keinen Grund, weshalb dieser im Testbetrieb in einem größtmöglichen Zeitraum möglichst leer sein sollte. Es ist nicht ersichtlich, weshalb im Testbetrieb die möglichst günstigsten Umstände gelten sollten. Die Beklagte kann nicht erwarten, dass im Testbetrieb immer ein möglichst günstiges Ergebnis reproduziert wird. Soweit also im Normalbetrieb bessere und schlechtere Betriebsphasen vorkommen, sind diese auch im Testbetrieb abzubilden. Dies bedeutet, dass Phasen, in welchen der Katalysator regeneriert wird oder, obwohl er voll ist, nicht regeneriert werden kann, nicht im Testbetrieb vermieden werden. Die Fahrkurvenerkennung führt also dazu, dass das Fahrzeug den Prüfstand erkennt und durch die dementsprechende Ansteuerung des Motors bessere Messergebnisse erzielt. Die Beklagte liefert auch keine Erklärung dafür, weshalb sie die Fahrkurvenerkennung mit einem Software Update entfernt hat bzw. entfernen wollte, wenn sie doch aus ihrer Sicht unproblematisch und zulässig ist. In diesem Zusammenhang ist insbesondere auch zu berücksichtigen, dass der Vortrag der Beklagten, sie habe die „Applikationsrichtlinien und Freigabevorgaben EA 288“ nur aufgrund Verunsicherungen in ihren eigenen Abteilungen erstellt, nicht überzeugend ist. Selbst wenn dies der Fall gewesen wäre, wäre dies dennoch keine Erklärung dafür, dass man die Fahrkurvenerkennung aus bereits in Verkehr gebrachten Fahrzeugen entfernt. Die Fahrkurvenerkennung ist eine unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007. Das Vorliegen eines der Ausnahmetatbestände ist unter Berücksichtigung voriger Ausführungen nicht ersichtlich.
32Der Zweck der Funktion, ein bestimmtes Verhalten des Fahrzeugs nur zum Zwecke der Zulassung hervorzurufen, widerspricht dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden. Das Vorgehen der Beklagten war auch besonders verwerflich. Mit der Fahrkurvenerkennung war beabsichtigt, dass durch die Prüfstanderkennung im Rahmen des Typengenehmigungsverfahrens ein „besserer“ Zustand des NSK vorliegt, als im Normalbetrieb auf der Straße. Mit diesem Vorgehen bezüglich der Tests für die Zulassung täuschte die Beklagte bewusst auch konkludent die späteren Käufer. Es wurde der Eindruck erzeugt, dass der Schadstoffausstoß ohne die oben geschilderte Beeinflussung im Normbereich liegen würde, was nicht der Fall ist. Eine strategische Entscheidung diesbezüglich lag vor. Das Vertrauen und die Arglosigkeit der potentiellen Käufer sollte dadurch ausgenutzt werden. Vorliegend vertraute der Kläger auch insbesondere darauf, dass das hier streitgegenständliche Fahrzeug und sein Motor ordnungsgemäß und gesetzeskonform sind. Im Rahmen der mündlichen Wandlung vom 03.05.2021 äußerte sich der Kläger glaubhaft dahingehend, dass gerade um die Problematik des Motors EA 189 wusste und deswegen den Verkäufer ausdrücklich danach fragte, ob der hier streitgegenständliche Motor und das Fahrzeug in Ordnung seien.
33Die Beklagte hat insofern durch Person gehandelt, für deren sittenwidriges Verhalten sie gemäß § 31 BGB einzustehen hat. Grundsätzlich trifft den Kläger die Darlegungs- und Beweislast, der Beklagten ist es jedoch zuzumuten, nähere Angaben über die zu ihrem Wahrnehmungsbereich gehören Verhältnisse zu ermöglichen. Sie kennt im Gegensatz zu dem außerhalb des Geschehensablaufs stehenden Kläger die wesentlichen Tatsachen. Diesbezüglich trifft die Beklagte vorliegend eine sekundäre Darlegungslast. Der Vorstand der Beklagten kann sich insofern das Wissen verschaffen, wer die Entscheidung getroffen hat, die streitgegenständliche Software zu entwickeln und einzusetzen. Derjenige, der die Zustimmung zur Entwicklung und zum Einsatz dieser Software in einer Vielzahl von Fahrzeugen erteilt und damit erhebliche Risiken für den gesamten Konzern eingeht, muss üblicherweise eine wichtige Funktion im Unternehmen innehaben. Solche wesentlichen Entscheidungen werden regelmäßig nicht von untergeordneten Mitarbeitern ohne Einbeziehung von Entscheidungsträgern getroffen. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass der Vorstand einer Aktiengesellschaft das Unternehmen den gesetzlichen Bestimmungen gemäß zu organisieren und zu führen hat. Im Hinblick auf gesetzliche Pflichten (vgl. etwa §§ 76, 77, 91 Abs. 2 AktG) ist davon auszugehen, dass bei der Beklagten organisatorische Maßnahmen in der Weise getroffen wurden, dass Berichtspflichten gegenüber dem Vorstand für alle wesentlichen Entscheidungen eingerichtet und deren Einhaltung durch Kontrollmaßnahmen auch gewährleistet waren. Gegenteiliges hat jedenfalls die Beklagte wiederum nicht vorgetragen. Die Beeinflussung der Motorsteuerungssoftware einer ganzen Motorenreihe speziell für den NEFZ-Prüfstand erscheint als eine derart wesentliche Entscheidung. Jedenfalls hätte die Beklagte hiernach konkret darlegen müssen, von wem die Entscheidungen zum Softwareeinsatz getroffen worden sind und warum dies ohne Einbeziehung der Vorstandsebene möglich gewesen sein soll. Insoweit ist die Beklagte ihrer sekundären Darlegungslast nicht nachgekommen, weswegen der klägerische Vortrag gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden anzusehen ist.
342.
35Durch ihr sittenwidriges Verhalten hat die Beklagte dem Kläger auch einen Schaden im Sinne von § 826 BGB zugefügt. Ein solcher Schaden kann gerade auch in der Eingehung einer ungewollten Verpflichtung liegen (Palandt/Sprau, BGB, 80. Aufl. 2021, § 826 Rn. 20). Hierfür kommt es nicht darauf an, ob auf Seiten des Klägers ein rechnerisches Minus vorhanden ist. Es genügt, dass der Geschädigte durch das sittenwidrige Verhalten zum Abschluss eines Vertrages veranlasst wurde, den er sonst nicht geschlossen hätte und dass die Leistung für seine Zwecke nicht vollumfänglich brauchbar ist.
36Dies ist hier der Fall. Das Gericht ist davon überzeugt, dass der Kläger den vorliegenden Kaufvertrag über das streitgegenständliche Fahrzeug nicht geschlossen hätte, wenn er von den oben geschilderten Umständen Kenntnis gehabt hätte. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung vom 16.06.2021 glaubhaft dargelegt, dass ihm wichtig war, dass mit dem Motor des Autos alles in Ordnung ist. Da er um die Problematik des Motors EA 189 wusste, wollte er sein Auto, welches mit diesem Motor ausgestattet war, ersetzen. Er vertraute darauf, dass es mit dem neuen Motor besser wird. Insofern hat er sich auch vor dem Kauf bezüglich des streitgegenständlichen Autos informiert und darauf verlassen, dass das neue Auto der Abgasnorm Euro 6.
37Die erhaltene Leistung war und ist für seine Zwecke auch nicht vollumfänglich brauchbar. Insbesondere kann auch eine Entfernung der Fahrkurvenerkennung durch ein Softwareupdate den Schaden nicht entfallen lassen. Der Schaden liegt gerade im Abschluss des Kaufvertrags als solchem. Die nachträgliche Entfernung lässt auch nicht die Täuschung des Kraftfahrtbundesamts und des Klägers entfallen und ändert auch nichts daran, dass die Fahrkurvenerkennung im Rahmen des Typengenehmigungsverfahrens aktiv war. Maßgeblicher Zeitpunkt ist der Vertragsschluss. Zumindest zu diesem Zeitpunkt hätte der Kläger in Kenntnis der genannten Umstände befürchten müssen, dass die Genehmigung widerrufen wird und eine Betriebsuntersagung folgt. Die erteilte EG-Typengenehmigung beruht auf den damaligen Messungen. Die unstreitig vorhandene Fahrkurvenerkennung stellt unter Maßgabe des oben genannten eine unzulässige Abschalteinrichtung dar. Insofern besteht die Gefahr, dass das KBA die Genehmigung widerruft oder Nebenbestimmungen anordnet. Folge hiervon kann dann die Stilllegung des Fahrzeugs sein. Die Zulassung des Fahrzeugs ist somit gefährdet, womit gerade der intendierte Hauptzweck des Fahrzeugs, die Nutzung im öffentlichen Straßenverkehr, bereits vor der tatsächlichen Stilllegung unmittelbar gefährdet ist.
38Das sittenwidrige Verhalten der Beklagten war kausal für die Kaufentscheidung des Klägers und somit auch für den Schaden in Form der Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit.
393.
40Die Beklagte handelte diesbezüglich auch vorsätzlich. Der Beklagten ist insofern gemäß § 31 BGB der Vorsatz der für sie handelnden Personen zuzurechnen.
41§ 826 BGB setzt demnach kein absichtliches oder arglistiges Verhalten in dem Sinne voraus, dass es dem Täter gerade auf die Schädigung des Dritten ankommen müsste, insofern genügt bedingter Vorsatz. Ausreichend ist, dass der Täter Richtung und Art der Schädigung vorausgesehen und jedenfalls für möglich gehalten sowie billigend in Kauf genommen hat (BGH, Urteil vom 19. Juli 2004 - II ZR 402/02 -, BGHZ 160, 149-159).
42Der Kläger trägt insoweit vor, dass der Vorstand und die beteiligten Ingenieure über all diese Umstände Bescheid gewusst und dieses Vorgehen billigend in Kauf genommen hätten. Dem ist die Beklagte nicht ausreichend substantiiert entgegengetreten. Die Beklagte entwickelte die streitgegenständliche Software und setzte sie ein, um sich Wettbewerbs- und Kostenvorteile zu verschaffen. Der Beklagten war auch bewusst, dass das Verschweigen dieser Software für die Kaufentscheidung der potentiellen Käufer und somit auch der Entscheidung des Klägers erheblich war. Die Ausführung des Klägers diesbezüglich sind nachvollziehbar und glaubhaft, s.o.. Unter Beachtung der Funktionsweise der Software lag bei der Beklagten auch zumindest bedingter Vorsatz vor. Die Software erkennt den Prüfstand und steuert dementsprechend die Betriebsmodi. Insofern muss sich der Beklagten, die die Softwareentwicklung veranlasste, aufdrängen, dass bei Bekanntwerden dieser Funktion ein Widerruf der Genehmigung bedroht bzw. Nebenbestimmungen angeordnet werden. All das war für die Mitarbeiter der Beklagten bereits nach der allgemeinen Lebenserfahrung ersichtlich, hierfür hat die Beklagte gemäß § 31 BGB einzustehen. Insoweit wird auf die oben stehenden Ausführungen verwiesen. Eine fahrlässige Entwicklung einer solchen Software kommt nicht in Betracht. Einziger Sinn dieser Software ist, den Rechtsverkehr, also Zulassungsbehörden, Kunden und Wettbewerber, zu täuschen. Selbst wenn die handelnden Personen darauf vertraut haben sollten, dass der Einsatz dieser Software nicht aufgedeckt werden würde und aus diesem Grund eine Betriebsuntersagung nicht drohe, ist dies unbeachtlich. Der Schaden liegt gerade in dem ungewollten Abschluss des Kaufvertrags und nicht erst in einer möglichen Betriebsuntersagung.
434.
44Der Anspruch des Klägers besteht gemäß § 249 Abs. 1 BGB i.H.v. 15.173,23 € und nicht wie zuletzt beantragt i.H.v. 16.225,31 €, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs.
45Nach § 249 Abs. 1 BGB ist der Kläger so zu stellen, als ob das schädigende Ereignis nicht eingetreten wäre. Das Gericht ist davon überzeugt, dass der Kläger das streitgegenständliche Fahrzeug nicht erworben hätte, wenn ihm bewusst gewesen wäre, dass in dem streitgegenständlichen Fahrzeug eine Manipulationssoftware verwendet wurde. Die Einlassung des Klägers ist insofern nachvollziehbar und glaubhaft, s.o..
46Der Kläger kann daher den von ihm gezahlten Kaufpreis i.H.v. 29.615,00 € von der Beklagten erstattet verlangen. Im Wege des Vorteilsausgleichs hat der Kläger jedoch das erworbene Fahrzeug und die gezogenen Nutzungen herauszugeben (BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19 -, juris).
47Die Nutzungsentschädigung berechnet sich nach folgender Formel: Kaufpreis x gefahrene Kilometer / bei Kauf zu erwartende Restlaufleistung. Das Gericht schätzt die zu erwartenden Gesamtlaufleistung bei dem hier streitgegenständlichen Motor EA 288 gemäß § 287 ZPO auf 300.000 km. Bei einem aktuellen Kilometerstand von 40.448 km ist die Nutzungsentschädigung somit mit 3992,89 € zu beziffern (29.615,00 € x (40.448 km – 0 km)) / (300.000 km – 0 km), sodass sich ein Schadensersatzanspruch i.H.v. 25.622,11 € ergibt.
48II.
49Der Kläger hat einen Anspruch auf Zahlung von Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz bezüglich der Hauptforderung ab dem 09.12.2020 aus §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB. Die Beklagte befindet sich in Verzug. Das anwaltliche Schreiben vom 10.11.2020 mit Fristsetzung bis zum 08.12.2020 stellt eine Mahnung dar.
50III.
51Die Beklagte befindet sich im Annahmeverzug bezüglich der Annahme des Fahrzeuges VW Passat 2.0 TDI mit der Fahrgestellnummer XXX. Dies ergibt sich aus §§ 293 ff., 826 BGB. Der Kläger hat der Beklagten Übergabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs mit Schreiben vom 10.11.2020 angeboten. Er forderte die Zahlung abzüglich Nutzungsersatz. Dieser konnte anhand der im Schreiben enthaltenen Angaben auch berechnet werden. Der Kläger durfte die Abholung des streitgegenständlichen Fahrzeugs bei sich verlangen, § 269 Abs. 1 BGB. Insofern genügte das wörtliche Angebot des Klägers, § 295 BGB.
52Unabhängig hiervon ist Annahmeverzug jedenfalls spätestens durch die Klageerhebung eingetreten. Eine etwaige Zuvielforderung des Schuldners bei einer Zug-um-Zug-Leistung wäre spätestens bei Klageerhebung unschädlich.
53IV.
54Darüber hinaus hat der Kläger einen Anspruch auf Zahlung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.100,51 € aus §§ 826, 249 Abs. 1 BGB i.V.m. § 31 BGB. Die Voraussetzungen eines Anspruchs nach § 826 BGB in Verbindung mit § 31 BGB liegen vor, s.o..
55Die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten stellen insofern ebenfalls einen ersatzfähigen Schaden dar.
56Gleichwohl ist für die Berechnung der Gebühren eine 1,3 Gebühr ausreichend. Auch wenn der Fall verschiedene Rechtsfragen aufwirft, ist die Sach- und Rechtslage insgesamt nicht umfangreich und auch nicht überdurchschnittlich schwierig. Auch sind Fälle mit dem Motor EA 288 keine Einzelfälle. Die diskutierten Rechtsfragen sind Gegenstand unzähliger Rechtsstreitigkeiten und Gerichtsentscheidung. Es werden standardisierte Schreiben und Textbausteine formularmäßig in einer Vielzahl von Fällen verwendet.
57Die Gebühr berechnet sich anhand eines Streitwerts von bis zu 30.000,00 €. Die Rechtsanwaltskosten von 1.324,60 € berechnen sich somit aus einer 1,3 Geschäftsgebühr von 1.121,90 €, der Pauschale von 20 € sowie der Umsatzsteuer von 16 %.
58Dieser Betrag ist nach §§ 291, 288 Abs. 1, BGB seit dem 02.02.2021 mit 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz zu verzinsen.
59V.
60Im Übrigen ist die Klage unbegründet. Insoweit wird auf die vorstehenden Ausführungen Bezug genommen.
61VI.
62Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsstreits beruht auf § 92 Abs. 2 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.
63Der Streitwert wird auf bis zu 30.000,00 EUR festgesetzt.
64Rechtsbehelfsbelehrung:
65Gegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Berufung für jeden zulässig, der durch dieses Urteil in seinen Rechten benachteiligt ist,
661. wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600,00 EUR übersteigt oder
672. wenn die Berufung in dem Urteil durch das Landgericht zugelassen worden ist.
68Die Berufung muss innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung dieses Urteils schriftlich bei dem Oberlandesgericht Hamm, Heßlerstr. 53, 59065 Hamm, eingegangen sein. Die Berufungsschrift muss die Bezeichnung des Urteils (Datum des Urteils, Geschäftsnummer und Parteien) gegen das die Berufung gerichtet wird, sowie die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde, enthalten.
69Die Berufung ist, sofern nicht bereits in der Berufungsschrift erfolgt, binnen zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils schriftlich gegenüber dem Oberlandesgericht Hamm zu begründen.
70Die Parteien müssen sich vor dem Oberlandesgericht Hamm durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen, insbesondere müssen die Berufungs- und die Berufungsbegründungsschrift von einem solchen unterzeichnet sein.
71Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.
72Hinweis zum elektronischen Rechtsverkehr:
73Die Einlegung ist auch durch Übertragung eines elektronischen Dokuments an die elektronische Poststelle des Gerichts möglich. Das elektronische Dokument muss für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet und mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg gemäß § 130a ZPO nach näherer Maßgabe der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (BGBl. 2017 I, S. 3803) eingereicht werden. Weitere Informationen erhalten Sie auf der Internetseite www.justiz.de.