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Hinweisbeschluss des OLG Hamm vom 02.03.2021 und
Anerkenntnisurteil vom 04.03.2021
Az. 4 U 6/21
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung vom 28.07.2020 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Verfügungskläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
2Der Verfügungskläger nimmt die Verfügungsbeklagten auf wettbewerbsrechtliche Unterlassung in Anspruch.
3Der Verfügungskläger ist ein eingetragener Verein, dem eine Vielzahl von Gewerbetreibenden angehören, deren Interessen er vertritt. Zur Veranschaulichung wird insoweit auf die von dem Verfügungskläger als Anlage 1 zu den Akten gereichte “Branchenübersicht Mitglieder“ Bezug genommen (Bl. 50 d.eA.). Auf dieser Liste befinden sich unter anderem Ärztekammern, Apothekenkammern, Unternehmen der Arzneimittelbranche, Medizinproduktbranche, (Natur-) Heilmittelbranche, 14 Ärzte, 28 Heilpraktiker/innen, 6 Apotheken und 5 Kliniken (im Einzelnen Anlage 1).
4Die Verfügungsbeklagten sind in D. niedergelassene Fachärzte aus dem Bereich Orthopädie und Unfallchirurgie sowie Chirurgie und führen dort gemeinschaftlich eine Praxis unter der Firmierung „Orthozentrum D.“. Unter der Bezeichnung „orthozentrum-D..de“ betreiben die Verfügungsbeklagten ihren Auftritt im Internet. Dort bieten sie unter anderem Behandlungen mittels Magnetfeldtherapie, Akupunktur, Akupunktur-Taping und Kinesio-Taping an, die sie in ihrer Praxis durchführen. Insoweit wird im Einzelnen auf die von dem Verfügungskläger als Anlage 3 (Bl. 144 d.eA.) zu den Akten gereichten Screenshots Bezug genommen.
5Der Verfügungskläger beanstandet die Bewerbung der vorgenannten Behandlungsmethoden in dem Internet-Auftritt der Verfügungsbeklagten als wettbewerbswidrig. Er behauptet, die Verfügungsbeklagten stellten die Magnetfeldtherapie als umfassendes Heilmittel oder Pauschalheilmittel dar. Diese sei jedoch keine anerkannte Behandlungsmethode, da ihre Wirksamkeit nicht wissenschaftlich belegt werden könne. Dies gelte auch für das Kinesio-Taping und das Akupunktur-Taping. Bei dem Kinesio-Taping gäbe es keine messbaren Auswirkungen. In gleicher Weise sei das Akupunktur-Taping ein nicht wissenschaftlich gesichertes Verfahren. Auch für die Akupunktur gebe es keine naturwissenschaftliche Erkenntnisgrundlage, sondern allenfalls vorwissenschaftliche Erklärungsversuche. Ein weiteres Indiz dafür, dass sämtliche dieser Verfahren nicht anerkannt seien, sei der Umstand, dass die meisten dieser Behandlungen nicht von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen würden, nicht beihilfefähig oder steuerlich absetzbar seien. Der Verfügungskläger ist daher der Ansicht, die Aussagen der Verfügungsbeklagten über ihre Behandlungsmethoden seien irreführend und täuschend.
6Der Verfügungskläger beantragt den Erlass einer einstweiligen Verfügung des Inhalts,
7es den Verfügungsbeklagten bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der künftigen Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis 250.000 Euro, ersatzweise Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu vollziehen an den Verfügungsbeklagten, zu untersagen im geschäftlichen Verkehr
81. für eine Magnetfeldtherapie, insbesondere für eine „PMT — pulsierende Magnetfeldtherapie" zu werben:
91.1. „Es konnten verschiedene positive Wirkungen auf den Organismus nachgewiesen werden. So wird der Transport von Blut, Sauerstoff und Nährstoffen in das erkrankte Gewebe deutlich verbessert. Der Energie- und der Zellstoffwechsel werden gesteigert und Heilungsprozesse gefördert",
101.2. „Ferner sind entzündungshemmende, schmerzstillende und gewebestabilisierende Effekte festgestellt worden",
111.3. „Die pulsierende Magnetfeldtherapie kann bei folgenden schmerzhaften Erkrankungen durchgeführt werden:
12Die PMT — pulsierende Magnetfeldtherapie kann helfen bei:
13- Gelenkverschleiß (Arthrosen)
14- allgemeine Gelenkschmerzen
15- Knorpelerkrankungen
16- Knochenschwund (Osteoporose)
17- Knochenschmerzen
18- chronische Nackenschmerzen
19- chronische Rückenschmerzen
20- chronische Entzündungen
21- schlecht heilende Wunden
22- verzögerte Knochenbruchheilungen
23- Sportverletzungen",
24und/oder
25für eines, mehrere oder alle der vorstehend genannten Anwendungsgebiete;
262. für das Behandlungsverfahren „Kinesio-Taping" zu werben:
272.1. „Ziel der Behandlung ist, die Funktion der Muskulatur rasch wieder herzustellen und Schmerzen zu beseitigen",
282.2. „Die Tapes ... haben u.a. folgende Wirkungen:
292.2.1. Schmerzlinderung",
302.2.2. …Steigerung der Muskelfunktion",
312.2.3. …Verbesserung der Beweglichkeit",
322.2.4. …Verbesserung der Durchblutung",
332.2.5. …Aktivierung des Lymphsystems",
343. für das Behandlungsverfahren „Akupunktur-Taping“ mit dem Anwendungsgebiet zu werben:
353.1. „Schmerzhafte Muskelverspannungen",
363.2. „Gelenkschmerzen",
373.3. „Arthrosen",
383.4. „Ischiasreizungen",
393.5. „Bandscheibenerkrankungen",
403.6. „Knieschmerzen",
413.7. „Tennisellenbogen",
423.8. „Schulterschmerzen",
433.9. „Lymphschwellungen",
443.10. „Schwellungen nach Operationen",
453.11. „Carpaltunnelsyndrom",
463.12. „Muskelzerrungen",
473.13. „Gelenkverstauchungen",
483.14. „Achillessehnenreizungen",
493.15. „nach Operationen",
504. für das Behandlungsverfahren „Akupunktur" mit dem Anwendungsgebiet zu werben:
514.1. „Muskuloskeletalen Erkrankungen",
524.2. „Erkrankungen des Atmungssystems",
534.3. „Gastrointestinale Störungen",
544.4. „Schlafstörungen",
554.5. „Bronchialasthma",
564.6. „Neurologische Störungen",
574.7. „Augenerkrankungen",
58jeweils wenn dies geschieht wie im Internet unter www.orthozentrum-D..de, abgerufen und ausgedruckt am 07.07.2020 zwischen 18:55:27 Uhr und 18:59:26 Uhr (Anlagenkonvolut A 3) an jeweils dort entsprechend der Reihenfolge der Anträge zur Hauptsache gekennzeichneter Stelle.
59Die Verfügungsbeklagten beantragen,
60den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.
61Die Verfügungsbeklagten behaupten, die Verfügungskläger würden ihre Leistungsbeschreibungen aus dem Zusammenhang reißen und/oder unvollständig wiedergeben. Sie würden die Behandlungsmethoden keineswegs als Pauschalheilmittel anpreisen. Im Gegenteil sei jede Beschreibung sprachlich so genau und deutlich formuliert, dass klar würde, dass den Methoden keine festen wissenschaftlichen Erkenntnisse zugrunde liegen. Es werde bloß dargestellt, wann diese Behandlungen in ihrer Praxis angewendet werden und welche Ergebnisse diese erzielen können. Diese Erkenntnisse beruhten auf Patientenbeispielen und Evaluationen mit Patienten der Praxis aus den letzten Jahren.
62Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der wechselseitigen Schriftsätze einschließlich der beigefügten Anlagen Bezug genommen.
63Entscheidungsgründe
64Der Antrag auf Erlass der begehrten einstweiligen Verfügung war zurückzuweisen. Dem Verfügungskläger steht für sein Unterlassungsbegehren keine Anspruchsgrundlage zur Verfügung. Insbesondere folgt diese nicht aus §§ 8 Abs. 3 Nr. 2, 5 Abs. 1 Nr. 1 UWG i.V.m. § 3 Nr. 1 HWG und § 4 Abs. 2 Nr. 1 MPG.
651.
66Entgegen der Auffassung der Verfügungsbeklagten ist ein etwaiger Anspruch noch nicht gemäß § 11 UWG verjährt, da keine allgemeine Marktbeobachtungspflicht des Verfügungsklägers besteht (Köhler/Bornkamm/ Feddersen UWG § 11 Rn. 1.28). Mithin beginnt die Verjährungsfrist erst bei tatsächlicher Kenntnis oder grob fahrlässiger Unkenntnis zu laufen und nicht etwa mit Einstellen der Internetseite und der damit verbundenen Möglichkeit der Kenntnisnahme.
672.
68Es fehlt hier aber schon an den Voraussetzungen des § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG für eine Antragsbefugnis des Verfügungsklägers.
69Es lässt sich bereits aufgrund des Vorbringens des Verfügungsklägers nicht feststellen, dass er über eine erhebliche Anzahl von Mitgliedern verfügt, die Dienstleistungen ähnlicher Art auf demselben Markt vertreiben. Dabei kommen hier für Dienstleistungen gleicher oder verwandter Art nur die gelisteten 28 Heilpraktiker sowie die 14 Ärzte und 5 Kliniken in Betracht. Diese üben ihre Tätigkeit jedoch nicht auf dem gleichen räumlich relevanten Markt aus. Beim stationären Vertrieb einer Dienstleistung, hier die Behandlungen in der Praxis in D., stellt das Verbreitungsgebiet des Werbemediums die äußerste Grenze des räumlichen Markts dar (Köhler/Bornkamm/Feddersen UWG § 8 Rn. 3.41). Vorliegend wird im Internet geworben, also ist die äußerste Grenze des räumlichen Markts erstmal die ganze Bundesrepublik. Der Markt ist jedoch enger begrenzt, wenn der durchschnittliche Kunde nicht mehr bereit ist, für die angebotene Dienstleistung bestimmte Strecken auf sich zu nehmen (Köhler/Bornkamm/Feddersen UWG § 8 Rn. 3.41). Für den räumlich relevanten Markt kommt es also darauf an, welche Attraktivität die Dienstleistung bietet, welchen Preis sie hat, wie viele Mitbewerber ähnliches anbieten und welchen Kundenkreis sie anspricht.
70Bei den von den Verfügungsbeklagten angebotenen Dienstleistungen, soweit diese von dem Verfügungskläger beanstandet werden, handelt es sich um standardmäßige Heilpraktikerbehandlungen. Diese stellen keine außergewöhnliche oder spezielle Behandlungen dar, sondern werden von den meisten Heilpraktikern offensichtlich in gleicher Art und Weise angeboten und gehören zu deren Tagesgeschäft. Dem entsprechenden und auf eine stichpunktartige Überprüfung der Internetauftritte der bei dem Verfügungskläger organisierten Heilpraktiker gestützten Vorbringen der Verfügungsbeklagten ist der Verfügungskläger in seiner Antwort vom 28.10.2020 nicht einmal ansatzweise entgegen getreten. Auch im Rahmen der mündlichen Verhandlung hat sich der Sitzungsvertreter des Verfügungsklägers auf eine entsprechende Anmerkung hin nicht weiter geäußert.
71Heilpraktikerpraxen finden sich zumindest in jeder größeren Stadt. Es handelt sich mithin um ein durchschnittliches und normales Dienstleistungsangebot, das mit Arztpraxen oder Physiotherapeuten verglichen werden kann. Da die Verfügungsbeklagten keine speziellen Methoden anbieten, dürften sie sich hinsichtlich der streitgegenständlichen Behandlungsmethoden kaum von anderen Heilpraktikerpraxen unterscheiden. Wie auch bei der Auswahl des Haus- oder Zahnarztes wird sich der Durchschnittspatient dementsprechend eine Heilpraktikerpraxis aussuchen, die in der Nähe seines Wohnortes liegt. Eine weite Anreise lohnt sich für die ähnlichen Behandlungsmethoden jedoch nicht. Eine Ausnahme dürfte allenfalls die Auswahl einer bestimmten Praxis aufgrund persönlicher Empfehlung darstellen, das betrifft jedoch nicht den durchschnittlichen Patienten, der sich vom Hausarzt überweisen lässt oder im Internet nach einer Praxis sucht. Die Verfügungsbeklagten tragen unter Vorlage ihrer eidesstattlichen Versicherungen vor, dass sich ihr Patientenkreis auf einen Umkreis von maximal 50 km erstreckt. Dem ist der Verfügungskläger nicht entgegen getreten.
72Die nächst gelegenen Praxisorte von Mitgliedern des Verfügungsklägers bezogen auf D. sind hingegen Düsseldorf (195 km Entfernung) und Bad Hersfeld (185 km Entfernung). Nach den vorstehenden Überlegungen dürften sich die entsprechenden Patientenkreise mit denen der Verfügungsbeklagten nicht überschneiden. Um eine normale Heilpraktikerbehandlung von 10-60 Minuten durchführen zu lassen, wird ein Durchschnittspatient nicht einen Weg von knapp 200 km auf sich nehmen.
733.
74Nur ergänzend weist die Kammer darauf hin, dass das Verhalten des Verfügungsbeklagten möglicherweise im Sinne des § 8 Abs. 4 UWG rechtsmissbräuchlich sein könnte. Dies ist immer dann der Fall, wenn sich ein selektives Vorgehen und die planmäßige Duldung der Verstöße der eigenen Mitglieder feststellen lässt (LG Heilbronn Urteil vom 20.12.2019 – 21 O 38/19 KfH). Die Bevollmächtigten der Verfügungsbeklagten haben ausweislich ihrer Stellungnahme vom 21.09.2020 zu dem Verfügungsantrag die in der Mitgliederliste des Verfügungsklägers geführten Heilpraktiker, soweit diese über einen Internetauftritt verfügen, überprüft und dabei festgestellt, dass diese in ihrem Leistungsspektrum identische Leistungen anbieten, wie sie von den Verfügungsbeklagten angeboten werden und deren Bewerbung von dem Verfügungskläger beanstandet wird. Ob und in welcher Weise diese Mitglieder des Verfügungsklägers einer Überprüfung unterliegen, wird von dem Verfügungskläger nicht weiter erläutert. Insoweit hat sich sein Sitzungsvertreter im Termin zur mündlichen Verhandlung auf die Anmerkung zurückgezogen, die Verfügungsbeklagten mögen dann doch die entsprechenden Mitglieder des Verfügungsklägers abmahnen.
754.
76Abschließend wird seitens der Kammer ergänzend darauf hingewiesen, dass selbst bei Bestehen einer Antragsbefugnis des Verfügungsklägers in der Sache kein Unterlassungsanspruch gegeben sein dürfte. Entgegen der Auffassung des Verfügungsklägers werben die Verfügungsbeklagten für die streitgegenständlichen Behandlungsmethoden weder im Speziellen noch im Allgemeinen mit einem Heilerfolg. Für den aufmerksamen Leser der jeweiligen Beschreibungen der einzelnen Behandlungsarten wird vielmehr deutlich, dass eine Behandlungsform angeboten wird, die unter günstigen Voraussetzungen einen positiven Effekt herbei führen kann, aber nicht zwangsläufig dazu führen wird.
775.
78Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf § 706 Nr. 6 ZPO.