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Der Angeklagte wird wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit wissentlicher schwerer und mit gefährlicher Körperverletzung, wegen wissentlicher schwerer in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, wegen versuchter wissentlicher schwerer in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen, wegen versuchter wissentlicher schwerer in Tateinheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung und wegen gefährlicher Körperverletzung in fünf Fällen zu lebenslanger Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt.
Seine Schuld wiegt besonders schwer.
Seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung wird angeordnet.
Er trägt die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen der Nebenkläger.
Angewandte Vorschriften: §§ 211 Abs. 1, Abs. 2 5. Alt., 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 5, 226 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2, 22, 23, 49 Abs. 1, 52, 53, 54, 57a Abs. 1 S. 1 Nr. 2, 57b, 66 Abs. 2, Abs. 3 S. 2 StGB.
G r ü n d e:
2I.
3Der im Zeitpunkt der Hauptverhandlung xx-jährige Angeklagte wurde in A. als jüngstes von drei Kindern geboren. Mit seiner elf Jahre älteren Schwester G. und seinem gut drei Jahre älteren Bruder H. wuchs er in überaus ärmlichen Verhältnissen bei den gemeinsamen Eltern auf. Die Familie bewohnte in einem Gemeindehaus eine kleine Wohnung, in der es nicht einmal eine Toilette gab, sondern nur ein außerhalb der Wohnung liegendes Plumpsklo.
4Die Mutter war psychisch auffällig und mit ihrer Aufgabe als Hausfrau und Mutter völlig überfordert. Sie konsumierte regelmäßig Schmerztabletten in großen Mengen, führte Selbstgespräche und schrie imaginäre Personen an. Der als Metallarbeiter tätige Vater bemühte sich den Haushalt aufrecht zu erhalten. In der Erziehung der Kinder gelang es ihm jedoch nicht, verbindliche Strukturen in der Familie zu schaffen oder den Kindern auf andere Weise sicheren Halt und Orientierung zu vermitteln. Es gab weder feste Essens- oder Schlafenszeiten noch kümmerte der Vater sich um die Hausaufgaben oder das äußerliche Erscheinungsbild der Kinder. Auf die psychischen Auffälligkeiten seiner Frau reagierte der Vater zumeist mit Resignation, zuweilen aber auch mit Gewalt. So kam es vor, dass der Vater die Mutter im Beisein der Kinder schlug.
5Dennoch wurde der Angeklagte regulär eingeschult und durchlief die Grund- und im Anschluss die Hauptschule ohne große Probleme. In seinem Sozialverhalten zeigte er sich eher einzelgängerisch, spielte lieber für sich alleine im Wald, unterhielt aber auch vereinzelte Kontakte zu gleichaltrigen Kindern.
6Nach dem Hauptschulabschluss im Jahr 1978 wechselte der Angeklagte zur Berufsschule I. in den Metallbereich. Am 01.08.1979 begann er seine Ausbildung zum Betriebsschlosser bei der Firma B. GmbH & Co. KG (im Folgenden: B.), die er am 21.01.1982 erfolgreich mit der Gesellenprüfung abschloss.
7Im selben Jahr ging er eine Beziehung mit der damals siebzehn Jahre alten J. (heute verh. J.) ein, die er auf einer Feier bei gemeinsamen Freunden kennengelernt hatte.
8Im April 1982 wurde der Angeklagte zum Wehrdienst eingezogen und begann seinen Grundwehrdienst bei den Pionieren. Durch den Wehrdienst wirkte er auf seine Freundin sehr belastet. So äußerte er sogar Suizidgedanken. Im Umgang mit Worten wenig geübt nahm er schließlich die Hilfe seiner Freundin bei der Formulierung seiner Wehrdienstverweigerung in Anspruch, die tatsächlich zu seiner Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer führte. Knapp ein halbes Jahr nach Beginn des Wehrdienstes konnte er in den Zivildienst in einem Altenheim wechseln, den er am 31.07.1983 regulär beendete.
9Zwischenzeitlich war J., die Schwierigkeiten mit ihren Eltern hatte, zu dem Angeklagten auf den Dachboden seiner elterlichen Wohnung gezogen.
10Im Jahr 1985 bezog das junge Paar eine gemeinsame eigene Wohnung. Die Beziehung war zunächst glücklich. J. schätzte die langen und guten Gespräche mit dem Angeklagten sowie seine geschickte und kreative Art. So bauten beide in monatelanger Arbeit ein Teleskop, das er berechnet hatte und dessen Linsen sie selbst schliffen. Zudem gab es gemeinsame Unternehmungen mit Freunden und Bekannten.
11Am xx.xx.1991 starb die Mutter des Angeklagten mit 66 Jahren.
12Im darauffolgenden Jahr trennte sich J. von ihm, ohne dass es dabei zu Streitigkeiten kam.
13Am xx.xx.1992 starb sein Vater im Alter von 69 Jahren. Danach verloren sich auch die ohnehin nur noch sporadischen Kontakte zu seinen Geschwistern.
14Anfang der 2000er Jahre lernte der Angeklagte bei einem Tanzkurs in C. seine spätere Ehefrau, die 15 Jahre jüngere K. (heute verh. B.), kennen, die zu dieser Zeit in D. Lebensmitteltechnik studierte. Auf den Wunsch von K. zog das Paar gemeinsam nach C., von wo aus der Angeklagte täglich über 15 km mit dem Fahrrad zu seiner Arbeit bei B. fuhr. Im Jahr 2003 erlitt er dabei einen Verkehrsunfall, bei dem er sich einen Schädelbruch zuzog. Das konkrete Ausmaß der Verletzung ließ sich für die Kammer nicht mehr sicher feststellen. Jedenfalls war der Angeklagte nach einer Krankschreibung von zwei Wochen wieder in der Lage, seine Arbeit vollschichtig aufzunehmen.
15Um das Jahr 2005 heirateten K. und der Angeklagte. Bei der Hochzeit war von der Familie des Angeklagten niemand anwesend; nur ein einziger Freund von ihm nahm an der Feier teil.
16Im Januar 2006 befand sich der Angeklagte bei Frau Dr. M. in E. in neurologischer Behandlung, wobei die Kammer Anlass und Umfang der Behandlung nicht feststellen konnte.
17Am xx.xx.2006 wurde der gemeinsame Sohn N. geboren.
18Gut zwei Wochen später befand sich der Angeklagte bei dem Arzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. O. in F. in Behandlung. Auch über die Hintergründe und den Umfang dieser Behandlung konnte die Kammer keine Feststellungen treffen.
19Am xx.xx.2006 kam es anlässlich des 30. Geburtstags von K. B. zu einem heftigen Ehestreit, in dessen Folge das Ehepaar eine Eheberatung in Anspruch nahm.
20In den folgenden Jahren begab sich der Angeklagte wiederholt in ambulante neurologische oder psychiatrische Behandlung, wobei die Kammer über die Anlässe und die Behandlungen selbst keine weiteren Feststellungen treffen konnte. Bei einer betriebsärztlichen Untersuchung vom 02.02.2010 wurde jedenfalls zusammenfassend notiert: „Keine gesundheitlichen Bedenken.“
21Um das Jahr 2010 kam es zum Zerwürfnis zwischen dem Angeklagten und seinen Schwiegereltern. Der Angeklagte vertrat die Auffassung, diese würden sich zu sehr in das Leben von K. B. einmischen. Seitdem bestand kein Kontakt mehr zwischen dem Angeklagten und seinen Schwiegereltern.
22Im Jahr 2011 plante der Angeklagte den Erwerb eines Eigenheims. Dabei erkundigte er sich ausdrücklich bei der Bank, ob eine Finanzierung auch ohne Mitverpflichtung seiner Ehefrau möglich wäre. Mit Kaufvertrag vom 21.09.2011 erwarb der Angeklagte das Hausgrundstück G. Weg xx in C. und wurde am xx.xx.2012 als alleiniger Eigentümer im Grundbuch eingetragen.
23Dem Wunsch des Paares, ein zweites Kind zu bekommen, war auf natürlichem Weg kein Erfolg beschieden. Deshalb nahmen die Eheleute B. in der Folgezeit reproduktionsmedizinische Hilfe in Anspruch, die von ihnen aufgrund des schon etwas höheren Alters des Paares selbst finanziert werden musste. Die reproduktionsmedizinische Behandlung hatte Erfolg und Frau B. wurde wieder schwanger. Allerdings erfuhr das Paar während der bereits fortgeschrittenen Schwangerschaft, wohl im Mai 2015, dass bei dem zweiten Kind eine Trisomie 21 festgestellt wurde.
24Am xx.xx.2015 wurde der Sohn P. mit einer Trisomie 21 geboren. Der Angeklagte hatte zunächst Schwierigkeiten, mit seinem behinderten Sohn umzugehen. So nahm er ihn in der ersten Zeit nicht einmal auf den Arm.
25In der Folgezeit nahm der Angeklagte aber auch seinen zweiten Sohn an. Freunde sowie die Schwester von K. B. erlebten den Angeklagten als aufmerksamen und liebevollen Vater gegenüber beiden Söhnen.
26Der nicht vorbestrafte Angeklagte wurde in dieser Sache am 16.05.2018 vorläufig festgenommen und befindet sich seit dem 17.05.2018 in Untersuchungshaft aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts C. vom selben Tag (Az.: 9 Gs 2191/18).
27II.
281. Vortatgeschehen
29a) Der Angeklagte und seine Kollegen bei B.
30Der annähernd 40 Jahre lang bei der Firma B. beschäftigte Angeklagte arbeitete seit Mitte der 80er Jahre als Maschinenbediener in der Abteilung Werkzeugbau.
31Die Abteilung wuchs mit der Firma im Verlauf der Jahre. Zuletzt arbeiteten hier drei Konstrukteure, sieben Maschinenbediener und ein Meister in einem Zwei-Schicht-System (Frühschicht von 05:00 Uhr bis 14:10 Uhr und Spätschicht von 14:00 Uhr bis 23:00 Uhr). In den Schichten waren jeweils drei Maschinenführer eingesetzt. Inhaltlich erfolgte in der Abteilung keine Serienfertigung, sondern die Lösung konkret gestellter Probleme. Auf den hierfür von dem Meister angelegten Auftrag erhielten die Maschinenbediener die Teile und eine Zeichnung, um dann ein Programm zu schreiben.
32Der am xx.xx.1961 geborene E. begann im Jahr 1981 seine Ausbildung als Maschinenschlosser bei der Firma B.. Zwei bis drei Jahre nach der Ausbildung wechselte er in die Abteilung Werkzeugbau und arbeitete hier mit dem Angeklagten, der nur kurze Zeit später in die Abteilung übernommen wurde, in einer Schicht bis zu seinem endgültigen krankheitsbedingten Ausscheiden im Februar 2018 (dazu sogleich unter II. 2. a)). Den Umgang mit dem Angeklagten empfand der Zeuge E. als distanziert, aber unproblematisch.
33Anfang des Jahres 2012 kam der am xx.xx.1991 geborene D. in die Schicht zu E. und dem Angeklagten und arbeitete von da an mit diesen zusammen. Er hatte zuvor seine im Jahr 2008 bei der Firma B. begonnene Ausbildung zum Industriemechaniker erfolgreich beendet und war unmittelbar in die Abteilung Werkzeugbau übernommen worden. Zwischen dem Zeugen E. und D. bestand sofort ein sehr gutes Verhältnis. Man tauschte sich über Berufliches und Privates aus. Zu dem Angeklagten fand der Zeuge D. indes keinen Zugang. Anfängliche Versuche D.s, ein freundschaftliches Verhältnis auch zu dem Angeklagten aufzubauen, blockte dieser rigoros ab.
34Der Angeklagte trennte in all den Jahren strikt zwischen seinem Arbeits- und Privatleben. Zu seinen Arbeitskollegen pflegte er so gut wie keinen Kontakt, nicht im Betrieb und schon gar nicht im privaten Umfeld. So lernten auch seine Ehefrau und die Kinder seine Arbeitskollegen nicht kennen.
35Während die übrigen Kollegen in der Schicht ihre Pausen häufig zusammen verbrachten, blieb der Angeklagte währenddessen an seinem Arbeitsplatz und nahm dort alleine seine mitgebrachten Speisen zu sich. Seine Arbeitskollegen betrachteten ihn als Sonderling, an den man sich zwar mit Fragen in Bezug auf die Arbeit wenden konnte, aber nicht mit privaten Angelegenheiten. Besondere Vorkommnisse, wie Streit, gab es zwischen dem Angeklagten und seinen Arbeitskollegen nicht. Er wurde mit seinen Eigenarten akzeptiert und weitgehend in Ruhe gelassen. Zwar kam bereits 1997 gegen den Angeklagten der Verdacht auf, einem Arbeitskollegen, mit dem er im Streit lag, heimlich ein Reinigungsmittel in die Cola geschüttet zu haben, aber dieser Vorfall wurde letztlich nie ganz aufgeklärt. Bei seinen Vorgesetzten war er zudem für seine gute Arbeitsleistung durchaus anerkannt.
36Die zurückgezogene Art des Angeklagten gegenüber seinen Arbeitskollegen nahm im Lauf der Jahre weiter zu. Lediglich mit dem seit April 2017 in der Schicht als sogenannter „Springer“ für urlaubs- oder krankheitsbedingt fehlende Kollegen eingesetzten Q. bestand ein freundliches kollegiales Verhältnis. Mit ihm trank der Angeklagte durchaus mal gemeinsam einen Kaffee und redete über Hobbys und Politik.
37F., geboren am xx.xx.1993, begann im August 2009 seine Ausbildung als Industriemechaniker bei der Firma B.. Nach Beendigung der Ausbildung im Jahr 2012 war er in der Abteilung Werkzeugbau eingesetzt, allerdings nicht in einer Schicht mit dem Angeklagten. Ab April 2014 konzentrierte F. sich auf sein Fachabitur und arbeitete nur noch als Aushilfe in der Schulferienzeit bei B.. Nachdem er das Fachabitur bestanden hatte, begann er in C. Maschinenbau zu studieren. Im Februar 2016 arbeitete er als Werkstudent während der Semesterferien wieder bei B., nunmehr allerdings im Bereich der Antriebsmontage. Von Juli bis August 2016 hatte er dort seinen Arbeitsplatz im Bereich „Zusammenbau pneumatischer Antriebe“. Ab Ende August 2016 konnte F. krankheitsbedingt nicht mehr zur Arbeit erscheinen (dazu unter II. 2. b)). Er schied Ende September 2016 aus dem Arbeitsverhältnis aus.
38b) Ablauf der Giftherstellung durch den Angeklagten
39Jedenfalls um das Jahr 2011 begann der Angeklagte sich immer intensiver mit der Herstellung immer giftigerer Chemikalien zu beschäftigen. Über das Internet bestellte er hierzu nach und nach die erforderliche Laborausrüstung. Im Einzelnen gab er folgende Bestellungen auf:
40
Auch beschäftigte sich der Angeklagte über die Jahre insbesondere mit den Wirkungen von Blei auf die Blutbildung, von Cadmium auf die Nierenfunktion, mit Quecksilber und dessen anorganischen Verbindungen, mit radioaktivem Polonium, dem Pilzgift Orellanin und zumindest zuletzt auch mit dem giftigen und karzinogenen Leichtmetall Beryllium. Hierzu recherchierte er umfangreich im Internet und in älteren Literaturwerken wie den Büchern „Houben-Weyl, Methoden der organischen Chemie“, „Arbeiten aus der dritten Abteilung des Anatomischen Institutes der kaiserlichen Universität Kyoto“, „Berichte der deutschen chemischen Gesellschaft 1913 II u. III“, "Konrad Weygand, Organisch-chemische Experimentierkunst", "Weygand / Hilgetag, Organisch-chemische Experimentierkunst“, "Pharmazeutische Zentralhalle für Deutschland von 1914" sowie der Zeitschrift „MYCOLOGIA HELVETICA, 4 No 1 1990“.
45Die Intensität der Internetrecherchen zu chemischen Sachverhalten nahm immer weiter zu. So suchte er etwa am 28.02.2016: „methylquecksilber symptome“ und „methylquecksilberiodid“. Am 29.07.2017 und 30.07.2017 suchte er unter anderem: „dimethylquecksilber methylquecksilberiodid“. Am 09.08.2017 startete er unter anderem folgende Suchanfragen: „aluminium im körper“, „metall leber“, „erhöhte kobaltwerte im blut“ und „kobaltvergiftungen“. Am 21.04.2018, 25.04.2018, 28.04.2018, 30.04.2018 und 05.05.2018 nahm er unter anderem folgende Suchanfragen für das Element Beryllium vor: „beryllium nitrate“, „berylliumchlorid gift“, „berylliumchlorid“, „beryllium“, „beryllium gesundheitsschädlich“, „beryllium oral“, „beryllium nahrung“, „beryllium kaufen“, „beryllium giftig“ und „lenntechberyllium“. Am 14.04.2018 und 25.04.2018 nahm er unter anderem folgende Suchanfragen zum Thema Polonium 210 vor: „polonium kaufen“, „polonium 210 kaufen“, „antistatik gebläse“, „antistatik gebläse wikipedia“, „nrd bürsten“, „nrd bürsten polonium“, „statik master“, „polonium 210 vergiftung symptome“. Am 12.11.2017 suchte er mehrfach unter anderem: „bleiacetat“, „bleioxid salzsäure“, „bleioxid herstellen“, „bleiacetat herstellen“ und „bleiazetat“. Am 18.11.2017 erfolgten unter anderem folgende Suchanfragen: „bleioxid herstellen", „bleinitrat erhitzen“, „bleimennige“, „bleioxid“, „bleicarbonat“ und „bleinitrat bleioxid“. Am 13.01.2018 suchte der Angeklagte unter anderem nach: „bleiacetat essig“, „essigsaures blei“, „bleizucker“, „bleiweis“, „bleioxid“, „turbinieren bleiacetat mennige“, „bleioxid salpetersäure“ und „blei salpetersäure“. Am 14.01.2018 suchte er mehrfach unter anderem nach: „bleizucker bleipfannen“, „bleizucker pfannen“, „bleizucker“, „bleisüße“. Am 20.01.2018 suchte er unter anderem mehrfach nach: „bleizucker“, „blei als zucker“, „bleisüße bleipfannen“, „bleisüße essig“ und „bleisüße“. Am 06.04.2018 erfolgten mehrfach unter anderem folgende Suchanfragen: „blei giftig“ und „bleivergiftung“.
46In dem Heizungsraum in seinem Keller richtete der Angeklagte sich ein Labor ein, in dem er provisorisch und laienhaft, aber durchaus erfolgreich, mit verschiedenen Giften experimentierte. Er errichtete dort gegenüber der Eingangstür unter dem in der Außenwand befindlichen Fenster auf einer Art Werkbank einen Arbeitsplatz. Die Arbeitsfläche dieser Werkbank war mit einem hochkant stehenden Brett unterteilt, sodass der hintere Teil der Arbeitsfläche von der Tür aus nicht zu sehen war. Über der Werkbank am Fenster installierte er einen mit separatem Schalter ausgestatteten elektrischen Lüfter. Versuchsbeschreibungen zur Herstellung von Bleiacetat, neurotoxischen Stoffen (Dimetylquecksilber), Pilzgiften (Orellanin) und radioaktiven Stoffen (Amerizin) notierte er sich handschriftlich in einem Schulheft (im Folgenden: Laborjournal), welches er offen in einem der Kellerregale verwahrte, sowie auf Zetteln, die er – zusammen mit Computerausdrucken über chemische Verbindungen, Wirkungen etc. – in den Chemiebüchern verwahrte.
472. Tatgeschehen
48Die von ihm in seinem Kellerlabor gewonnenen Gifte setzte der Angeklagte gegen seine Arbeitskollegen ein.
49Er versetzte in der Zeit von März 2015 bis zum 15.05.2018 die Nahrungsmittel von E., F. und D. mit verschiedenen toxischen chemischen Verbindungen.
50Im Einzelnen kam es zu folgenden Taten:
51a) Taten zum Nachteil von E. (Fälle 1. – 6. der Anklageschrift vom 11.09.2018)
52aa) (Fälle 1. - 5. der Anklageschrift vom 11.09.2018)
53Spätestens ab Anfang 2015 bis Juli 2017 verabreichte der Angeklagte in mindestens fünf Fällen seinem Arbeitskollegen E. Bleiverbindungen.
54Die genaue Verabreichungsform konnte nicht aufgeklärt werden. Wahrscheinlich schüttete er in den Räumlichkeiten der Firma B. in unbemerkten Momenten bleiacetathaltiges Pulver in die Getränke des Zeugen E.. D. und E. fiel in der Zeit ab Sommer 2016 mehrfach eine opaleszierende Verfärbung ihres Trinkwassers auf, die typisch für die Vermischung mit Bleisalzen ist, wobei die beiden Zeugen dies zu diesem Zeitpunkt noch nicht wussten und einordnen konnten.
55Diese Giftbeibringungen hatten jeweils zur Folge, dass der Zeuge E. aufgrund von gesundheitlichen Problemen ins Krankenhaus musste. Kehrte er aus einer Krankschreibung zurück, so vergiftete der Angeklagte ihn nach einiger Zeit erneut. Entsprechend seiner typischen Wirkweise auf den menschlichen Organismus wirkte sich die verabreichte Bleiverbindung auf die Blutbildung und auf die Verdauung des Herrn E. aus, weshalb dieser in der Zeit vom 08. bis 16.03.2015, vom 25.06. bis 10.07.2015, vom 21. bis 25.11.2016, vom 28.03. bis 01.04.2017 sowie in der Zeit vom 03. bis 07.07.2017 wegen Blutarmut, Magenkrämpfen, Verstopfungen und Magenblutungen stationär behandelt werden musste:
56Der erste Klinikaufenthalt vom 08. bis 16.03.2015 erfolgte aufgrund einer blutigen Magenschleimhautentzündung. E. litt bereits seit zwei Monaten unter wiederkehrenden Bauchschmerzen. Es wurde in der Klinik eine Therapie mit Erythrozytenkonzentrat durchgeführt, die Ursache wurde aber nicht gefunden.
57Nach der Entlassung aus der Klinik traten die Bauchschmerzen wieder auf. Zudem war dem Zeugen nun häufig übel und er musste sich – mitunter auch während der Arbeit im Beisein des Angeklagten – erbrechen. Er fühlte sich schlapp und müde, hatte Konzentrationsschwierigkeiten und Kopfschmerzen. Deshalb erfolgte in der Zeit vom 25.06. bis 10.07.2015 seine erneute stationäre Behandlung. Es wurde eine Anämie ohne Eisenmangel festgestellt. Für die weiterhin auftretenden Bauchschmerzen wurde erneut keine Ursache gefunden.
58In der Zeit vom 21. bis 25.11.2016 begab sich der Zeuge E. in stationäre Behandlung, weil er seit vier Tagen keinen Stuhlgang mehr hatte, seit zwei Tagen keinen Appetit verspürte und zunehmend unter Bauchschmerzen und Erbrechen litt. Die Blutwerte zeigten erniedrigte Hämoglobinwerte. Eine Ursache für die Beschwerden wurde wiederum nicht gefunden. Nach Durchführung stuhlregulierender Maßnahmen gingen zumindest die Bauchschmerzen zurück.
59Infolge der erneuten Vergiftung durch den Angeklagten traten bei dem Zeugen E. 2017 wieder die bekannten Beschwerden auf. Er litt unter einer Verstopfung und infolgedessen auch deutlich zunehmenden Bauchschmerzen. Deshalb musste er sich erneut vom 28.03. bis zum 01.04.2017 in stationäre Behandlung begeben. Es wurden wieder abführende Maßnahmen eingeleitet und das Zunehmen der Anämie anhand deutlich erniedrigter Hämoglobin- und Hämatokritwerte festgestellt. Die Ursache der Beschwerden wurde indes wieder nicht festgestellt.
60Am 03.07.2017 wurde der Zeuge E. wegen starker Bauchschmerzen notfallmäßig im Klinikum stationär aufgenommen. Er gab an, seit 3 Tagen nicht mehr abgeführt zu haben. Bei der Aufnahme klagte er über starke kolikartige Schmerzen im Bauch und über Luftnot. Bei den abführenden Maßnahmen erlitt der Zeuge sehr starke Bauch-und Rückenschmerzen. Er wurde bis zum 07.07.2017 stationär behandelt.
61bb) (Fall 6. der Anklageschrift vom 11.09.2018)
62Kurz vor dem 02.03.2018 verabreichte der Angeklagte E. eine Blei- und Cadmiumverbindung.
63Auch insoweit konnte die Kammer die konkrete Verabreichungsform nicht feststellen. Wahrscheinlich ist wiederum, dass der Angeklagte während der Arbeitszeit die Getränke des Zeugen E. mit einem Pulvergemisch aus Bleiacetat und Cadmium versetzte.
64Aufgrund dessen kam es zu einem Nierenversagen und einer Niereninsuffizienz bei dem Zeugen E.. Er musste vom 02. bis 14.03.2018 notfallmäßig stationär in der Klinik für Nephrologie des Klinikums H. behandelt werden. Bei einer am 05.03.2018 durchgeführten Nierenbiopsie fand sich histopathologisch eine akute interstitielle Nierenentzündung (Nephritis). Die Ärzte gingen davon aus, dass die Nierenentzündung allergisch/toxisch ausgelöst worden war. Mit der Nierenersatzbehandlung (Dialyse) wurde am 02.03.2018 begonnen.
65Am 14.03.2018 wurde E. aus der Klinik entlassen. Doch bereits am nächsten Tag musste er aufgrund seines schlechten Gesundheitszustandes wieder ins Krankenhaus eingeliefert und dort bis zum 21.03.2018 behandelt werden. Er litt unter starken Schmerzen und erhielt Morphium, um überhaupt schlafen zu können.
66cc) Tatfolgen
67Die Nieren des Zeugen E. sind infolge der Aufnahme des Bleiacetats und des Cadmiums dauerhaft geschädigt. Er benötigt dreimal wöchentlich eine Dialyse zu je 4 ½ Stunden. Er ist dauerhaft arbeitsunfähig und in seiner körperlichen Leistungsfähigkeit stark beeinträchtigt. So kann er seine Ehefrau bei den täglichen Verrichtungen im Haushalt und Garten nicht mehr unterstützen, was ihn zusätzlich psychisch schwer belastet. Wegen der eingeschränkten Nierentätigkeit darf der Zeuge E. nur noch einen Liter Flüssigkeit am Tag zu sich nehmen, weshalb er dauerhaft unter einem Durstgefühl leidet. Auch darf er nur noch Schonkost zu sich nehmen. Er leidet an kognitiven Folgen, so ist seine Wortfindung seither etwas eingeschränkt. Das im Körper des Zeugen weiterhin eingelagerte Blei und Cadmium muss medikamentös über Jahre nach und nach aus dem Organismus herausgespült werden, was seine Laborwerte immer wieder ansteigen lässt. Dies wiederum hat zur Folge, dass er im Falle eines späteren Transplantationsbedarfs in der Gefahr steht, wegen der fortdauernden Vergiftung kein Spenderorgan zu erhalten. Langfristig kann die Vergiftung zu Karzinomen führen. Aufgrund der Arbeitsunfähigkeit des Zeugen E. kam es zu nicht unerheblichen finanziellen Einbußen in den monatlichen Einnahmen der Familie. Die Kosten der von ihm benötigten Psychotherapie musste er zudem selbst bezahlen.
68dd) Vorsatz
69Der Angeklagte führte den jeweiligen körperlichen Zustand von E. – bei den Fällen 1 – 5 im Sinne von Blutarmut, Magenkrämpfen und Magenblutungen und dem Fall 6 im Sinne des Nierenversagens und der dauerhaften Nierenschädigung – bei jeder der festgestellten Giftgaben wissentlich herbei. Er hatte sich durch Literaturbeschaffung und Internetrecherche intensiv mit den von ihm eingesetzten Giften beschäftigt und wusste um die Wirkungen von Blei und Cadmium.
70Bei der Gabe von Cadmium vor dem 02.03.2018 sah er deshalb den Eintritt eines dauerhaften Funktionsausfalls der Nieren, der wegen der Beeinträchtigung des Allgemeinbefindens Hinfälligkeit zur Folge haben würde, als sichere Folge seines Handelns voraus. Er nahm hierbei auch billigend in Kauf, dass E. hierdurch in Lebensgefahr geraten könnte.
71b) Tat zum Nachteil von F. (Fall 7. der Anklageschrift vom 11.09.2018)
72Im Sommer 2016 verabreichte der Angeklagte seinem Arbeitskollegen F. in mindestens einem Fall methyliertes Quecksilber.
73Weder der konkrete Verabreichungszeitpunkt noch die genaue Verabreichungsform konnten aufgeklärt werden. Die Kammer hält es für wahrscheinlich, dass der Angeklagte die zur Arbeit mitgebrachten Lebensmittel des F. während der Arbeitszeit mit Methylquecksilberiodid versetzte, denn auch F. verbrachte seine Pausen im Bereich des Werkzeugbaus und lagerte dort seine mitgebrachten Lebensmittel (zumeist Müsli und laktosefreie Milch). Weiter hält es die Kammer für wahrscheinlich, dass die Vergiftung von F. am 29.07.2016 erfolgte. Hierbei handelte es sich um den letzten gemeinsamen Arbeitstag von ihm und dem Angeklagten. Einen Tag später ging der Angeklagte in den Sommerurlaub, aus dem er erst am 22.08.2016 zurückkehrte. F. hatte seinen letzten Arbeitstag bei der Firma B. am 20.08.2016 in der Zeit von 05.58 Uhr bis 11.18 Uhr. Hiernach war er krankgeschrieben. Wegen der immer schlimmer werdenden Vergiftungsfolgen konnte er nicht an seinen Arbeitsplatz zurückkehren.
74Am 29.07.2016 kehrte F. früher von der Arbeit zurück, weil er sich müde und krank fühlte. Zu Hause musste er sich stark erbrechen und sah sich dann derart geschwächt, dass er danach nicht einmal mehr die Toilette reinigen konnte. Die Müdigkeit des früher unternehmungslustigen jungen Mannes ließ in der folgenden Zeit nicht mehr nach. Zudem klagte er gegenüber seinen Eltern über kribbelnde, „eingeschlafene“ Fingerkuppen. Dieses Taubheitsgefühl zog sich schließlich bis in den Unterarm hinein. Auch fühlte er sich nicht mehr dazu in der Lage, zum Handballtraining zu gehen. Stattdessen war er ständig müde und lag auf dem Sofa. Der deshalb am 15.08.2016 aufgesuchte Hausarzt der Familie F. hielt F. für überlastet und verschrieb ihm Vitamine. Der Zustand von F. verschlimmerte sich jedoch weiterhin. Am xx.xx.2016, einem Samstag, sah er sich nicht mehr in der Lage, an dem Geburtstag seines jüngeren Bruders im Elternhaus teilzunehmen. Als er dann, auf Aufforderung seiner Eltern hin, doch auf der Feier erschien, fiel seinen Verwandten sofort seine langsame Sprache und unsichere Motorik auf. So stolperte er die Treppenstufen herunter und torkelte wie im Rausch. Am nächsten Tag schlief er die ganze Zeit entweder im Bett oder auf dem Sofa. Am 21.08.2016 konnte er nur noch wackelig gehen. Sein Vater F. F. fuhr mit ihm am 22.08.2016 erneut zum Hausarzt. Dieser überwies F. zu einem Neurologen, welchen sein Vater noch am selben Tag mit ihm aufsuchte. Von dort wurde F. direkt in das B.Hospital in E. eingewiesen. Die am selben Tag durchgeführte Cranielle-Computer-Tomographie (CCT) sowie die Magnet-Resonanz-Tomographie (MRT) von Kopf und Halswirbelsäule führten zu keinen auffälligen Befunden. Nach den Befunden sprach vieles für eine Entzündung im Bereich des Hirnstamms und es erfolgte eine entsprechende medikamentöse Behandlung mit Immunglobulinen. Doch ging es F. kontinuierlich schlechter. Am 28.08.2016 konnte er nicht mehr selbständig laufen und nur noch in einzelnen Worten sprechen. Deshalb erfolgte am selben Tag seine Überweisung in das Universitätsklinikum I.. Die begonnene Therapie mit Immunglobulinen wurde zunächst fortgesetzt. Aufgrund der zunehmenden Verschlechterung des klinischen Zustandes erfolgte am 30.08.2016 eine erneute MR-Tomographie des Kopfes, die einen mit einer Kleinhirnentzündung zu vereinbarenden Befund erbrachte. Die weitere Untersuchung bestätigte diesen Befund jedoch nicht. Im weiteren Verlauf entwickelte F. ein akutes Nieren- und Leberversagen. Aufgrund der Symptomatik, die in der Literatur auch im Zusammenhang mit einer Dimethyl-Quecksilber-Vergiftung beschrieben wird, erfolgten Analysen auf Quecksilber und Methylquecksilber. Die Befunde bestätigten schließlich Ende September 2016 den Verdacht, dass die Symptome auf eine Methyl-Quecksilber-Vergiftung zurückzuführen sind. Es erfolgten Entgiftungstherapien mit Komplexbildner (DMPS – Dimercaptopropansulfonsäure) sowie mittels Erythrozyten-Apherese. Da solche Vergiftungen in Deutschland äußerst selten sind, musste das zur Behandlung erforderliche Medikament aus Polen eingeflogen werden. Allerdings konnte auch diese Behandlung F. nicht mehr helfen. Sein Gehirn war infolge der Quecksilberintoxikation mittlerweile irreparabel schwer geschädigt.
75Seit September 2016 leidet F. unter einem schweren apallischen Syndrom. Weitere Versuche, das Quecksilber aus seinem Körper zu eliminieren, wurden beendet, auch wegen der potentiellen Toxizität des eingesetzten Entgiftungsmittels. Nach dem dreimonatigen Krankenhausaufenthalt und einer anschließenden dreimonatigen Anschlussbehandlung in der N.-Klinik F., während der er einmal reanimiert werden musste, befindet er sich seit Februar 2017 zu Hause bei seinen Eltern, die ihn seitdem pflegen. Als Schwerstpflegefall, eingeordnet in die Pflegestufe 5, braucht er eine Betreuung für 24 Stunden am Tag. Hierbei werden seine Eltern morgens und abends durch eine Pflegekraft unterstützt. F. hat sämtliche Funktionen seines Bewusstseins verloren. Er wird künstlich über eine Magensonde ernährt und durch ein Tracheostoma beatmet. Sein Zustand wird sich nie wieder verbessern, weil die Schäden im Stammhirn irreparabel sind.
76Der Angeklagte, der zuvor die Wirkweise der Quecksilberverbindungen ausgiebig recherchiert hatte, führte diesen Zustand von F. wissentlich herbei. Er wusste, dass auch die nur einmalige Verabreichung von Quecksilberverbindungen nicht nur zu (erheblichen) Gesundheitsschäden führen würde, sondern voraussichtlich auch tödlich wirken würde. Dabei war er sich bewusst, mit der Verabreichung des Giftes alles seinerseits für eine Tötung von F. Erforderliche getan zu haben, und nahm billigend in Kauf, dass dieser an dem methylierten Quecksilber sterben würde. Tatsächlich ist F. nur aufgrund der umfassenden medizinischen Versorgung überhaupt noch am Leben. Der Angeklagte wusste auch um die Latenzzeit von mindestens zwei bis drei Wochen. Er wusste dabei auch, dass F. mit einer Vergiftung durch den Angeklagten nicht rechnete. Diese Arg- und Wehrlosigkeit nutzte der Angeklagte zur Begehung der Tat aus.
77c) Taten zum Nachteil von D. (Fälle 8. - 10. der Anklageschrift vom 11.09.2018)
78aa) (Fall 8. der Anklageschrift vom 11.09.2018)
79Spätestens ab Anfang 2017 und vor Ende Februar / Anfang März verabreichte der Angeklagte in mindestens einem Fall seinem damals 25 Jahre alten Arbeitskollegen D. eine Verbindung aus Blei und Cadmium.
80Auch insoweit konnte die genaue Verabreichungsform nicht aufgeklärt werden. Die Kammer hält es wiederum für wahrscheinlich, dass der Angeklagte die von dem Zeugen D. zur Arbeit mitgebrachten Lebensmittel mit einer von ihm zuvor hergestellten Blei- und Cadmiumverbindung versetzte.
81Der Angeklagte verabreichte schon D. die Blei- und Cadmiumverbindung im Wissen darum, dass deren Aufnahme zu Siechtum bei ihm führen könnte. Er nahm hierbei billigend in Kauf, dass D. hierdurch in Lebensgefahr geraten könnte.
82Der Zeuge D. reagierte besonders ungünstig auf die Giftgabe, weil er, bis dahin unbekannt, an einem vererbten Gendefekt (einer Mutation des SDHD-Gens) litt. Aufgrund dessen erlitt er bereits durch die erste Vergiftung einen massiven Verlust der Nierenfunktion. Der zuvor überaus sportliche junge Mann bemerkte Ende Februar / Anfang März 2017 einen Einbruch seiner körperlichen Leistungsfähigkeit; so konnte er wegen Atemnot nur noch höchstens 2 km joggen und sah sich nicht mehr in der Lage, ins Fitnessstudio zu gehen. Im weiteren Verlauf kamen Appetitlosigkeit, Übelkeit, Verstopfung und Bauchschmerzen hinzu. Der von ihm Anfang April 2017 aufgesuchte Hausarzt stellte im Rahmen einer Blutuntersuchung einen zu hohen Kreatinin-Wert fest und überwies den Zeugen wegen des Verdachts einer deutlichen Insuffizienz der Nierenfunktion sofort ins Krankenhaus. Die hier vorgenommene für den Zeugen sehr schmerzhafte Nierenbiopsie erwies den infolge der Vergiftung eingetretenen Nierenschaden, wobei die Ärzte zu diesem Zeitpunkt noch keinen Rückschluss auf die Vergiftung mit einer Blei- und Cadmiumverbindung zogen. Neben der Niereninsuffizienz wurde begleitend eine arterielle Bluthochdruckerkrankung (Hypertonie) diagnostiziert; eine Therapie mit Blutdrucksenkern (Clonidin, Amlodipin, Candesartan) wurde begonnen. Weiterhin wurden die ersten Hinweise auf das Vorliegen eines (durch den Gendefekt verursachten) Nebennierentumors sowie eine unklare Raumforderung im Oberbauch deutlich. Der Zeuge blieb bis zum 03.05.2017 in stationärer Behandlung.
83Im September 2017 erfolgte die operative Entfernung des Nebennierentumors.
84bb) (Fall 9. der Anklageschrift vom 11.09.2018)
85Nach einer Fortbildungsmaßnahme, die außerhalb der Räumlichkeiten der Firma B. stattfand, begann der Zeuge D. nach Abwesenheit vom 21.04. bis 03.10.2017 im Oktober 2017 wieder bei B. zu arbeiten.
86Der Angeklagte verabreichte dem Zeugen D. sodann erneut – zumindest einmal und wahrscheinlich durch Hinzugabe zu dessen mitgebrachten Lebensmitteln – eine Blei- und Cadmiumverbindung, die dieser zu sich nahm. Dies tat der Angeklagten wiederum in dem Wissen, dass die Aufnahme der Blei- und Cadmiumverbindung zu Siechtum auch bei D. führen könnte. Er nahm hierbei auch billigend in Kauf, dass D. hierdurch in Lebensgefahr geraten könnte.
87Infolge der erneuten Vergiftung erlitt D. ein akutes Nierenversagen und musste in der Zeit vom 13. bis 23.11.2017 stationär behandelt werden. Er litt unter wiederkehrenden Rückenschmerzen, Schweißausbrüchen, Zittern und Kraftminderung. Außerdem hatte er sich während der Arbeitszeit im Beisein des Angeklagten erbrechen müssen. Am 14.11.2017 erfolgte eine erneute Biopsie der Niere, die einen chronischen tubulointerstitiellen Schaden des Kortex in der äußeren Nierenmedulla von 40 % ergab. Die behandelnden Ärzte stellten zusammenfassend fest, dass sich keine eindeutigen Hinweise auf den Auslöser des akuten Nierenversagens, welches zum wiederholten Male aufgetreten war, ergeben hatten. Bei der Laboruntersuchung vom 17.11.2017 wurde erstmals ein erniedrigter Hämoglobin-Wert festgestellt.
88Am 28.11.2017 erfolgte die operative Entfernung auch der zweiten Raumforderung im Bereich des Bauchraumes, welche sich durch den histologischen Befund als ein außerhalb der Nebenniere liegender, hormonproduzierender Tumor herausstellte, für den – wie bei dem bereits im September entfernten Tumor – der Gendefekt und nicht die zugefügte Vergiftung ursächlich war.
89cc) (Fall 10. der Anklageschrift vom 11.09.2018)
90Nachdem der Zeuge D. seine Arbeit im November 2017 wieder aufgenommen hatte, versetzte der Angeklagte spätestens ab Februar 2018 bis zum 15.05.2018 dessen zur Arbeit mitgebrachte Nahrungsmittel mehrfach mit Blei- und Cadmiumverbindungen. Hierzu entnahm er D.s Rucksack, welchen jener während der Arbeitszeit immer unbeaufsichtigt im Pausenraum der Abteilung aufbewahrte, heimlich die Brotdose und schüttete Pulver auf die Pausenbrote. Danach verpackte er das jeweilige Brot wieder und steckte die Brotdose zurück in den Rucksack. So versetzte er die mitgebrachten Pausenbrote des D. jedenfalls am 04.05.2018 mit einem Bleisalz mit einem Bleigehalt von insgesamt 27 mg, am 14.05.2018 mit Bleiacetat mit einem Bleigehalt von insgesamt 47,1 mg, am 15.05.2018 ein Käsebrot mit einem Bleisalz mit einem Bleigehalt von insgesamt 1,7 mg und ein Marmeladenbrot mit Bleiacetat mit einem Bleigehalt von insgesamt 69 mg.
91Dies tat der Angeklagte wiederum in dem Wissen, dass die Aufnahme der Blei- und Cadmiumverbindung zu Siechtum bei D. führen könnte. Er nahm dabei billigend in Kauf, dass dieser durch die Vergiftung in Lebensgefahr geraten könnte.
92Im Einzelnen ließ sich nicht mehr aufklären, wie oft D., der inzwischen misstrauisch geworden war, in dieser Zeit überhaupt noch die vergifteten Lebensmittel zu sich nahm. Er nahm auf diese Art im Jahr 2018 allenfalls nur noch geringe Mengen der Blei- und Cadmiumverbindungen auf, so zumindest einmal im Zeitraum vom 12.02. bis 24.04.2018. Am 02., 03., 04., 14. und 15.05.2018 fiel ihm hingegen jeweils eine pulvrige Substanz auf seinen Broten auf, die er deshalb nicht mehr verzehrte. Es kam daher auch nicht mehr zu einer weiteren gesundheitlichen Verschlechterung.
93dd) Tatfolgen
94D. leidet an einem dauerhaften Nierenschaden als Folge der Vergiftungen. Er ist zwar arbeitsfähig, doch kann er sportlichen Aktivitäten nicht mehr nachgehen. Er muss auch in Zukunft mit gesundheitlichen Folgen rechnen; nimmt er etwa versehentlich einen Stoff auf, der bei einer gesunden Niere aufgrund ihrer Regenerationsfähigkeit nur vorübergehend zu einem Schaden führen würde, so muss er nunmehr damit rechnen, dass sich seine vorerkrankten Nieren nicht mehr erholen und er dialysepflichtig wird. Doch nicht nur dann droht diese gravierende Folge. Jede kleine Infektion – wie ein grippaler Infekt oder ein Magen-Darm-Virus – kann dazu führen, dass seine vorgeschädigten Nieren endgültig versagen. Hinzu kommt die nahe liegende Gefahr von Krebserkrankungen als Folge der Aufnahme der toxischen Stoffe.
95d) Schuldfähigkeit
96Bei dem Angeklagten liegen, auch schon während des Tatzeitraums, leichte autistische Züge oder eine schizoide Persönlichkeitsakzentuierung vor. Die Schuldfähigkeit des Angeklagten war zur Tatzeit jedoch weder erheblich vermindert noch aufgehoben im Sinne der §§ 20, 21 StGB.
973. Ermittlungen und Nachtatgeschehen
98Nachdem in dem Uniklinikum I. festgestellt worden war, dass F. an einer Quecksilbervergiftung litt, erstatteten seine Eltern auf Anraten der behandelnden Ärzte am 30.09.2016 Strafanzeige bei der Kreispolizeibehörde E.. Im Rahmen der polizeilichen Ermittlungen wurde unter anderem der Arbeitsplatz von F. bei der Firma B. untersucht. Die Untersuchungen (einschließlich der Staubuntersuchungen an dessen Arbeitsplatz) verliefen ohne Nachweis einer Quecksilberbelastung. Die Überprüfung des persönlichen und familiären Umfeldes ergab keine Kontakte mit Quecksilber. Auch die Untersuchung seiner E-Zigarette und der dazu gehörenden Flavours verlief negativ. Das damalige Ermittlungsverfahren wurde schließlich im Juni 2017 eingestellt, weil die Ursache der Quecksilbervergiftung nicht gefunden werden konnte.
99Das zu diesem Urteil führende Ermittlungsverfahren gegen den Angeklagten hat seinen Ursprung in der Strafanzeige des Zeugen D.. D. war bereits im März 2018 misstrauisch geworden, als er zum wiederholten Male pulverartige Substanzen auf seinen selbstgeschmierten Pausenbroten vorfand. Am 04., 14. und 15.05.2018 fotografierte und sicherte er daher seine derart kontaminierten Pausenbrote und wendete sich an die Polizei.
100Auf Veranlassung von D. ließ die Firma B. mit Genehmigung des Betriebsrates den Pausenraum visuell und akustisch überwachen. Hierzu wurde eine versteckte Videoüberwachungsanlage installiert. Diese zeichnete am 14. und 15.05.2018 auf, wie der Angeklagte jeweils die Brotdose des Zeugen D. aus dessen Rucksack nahm, das Brot herausholte, dieses mit einer pulverförmigen Substanz bestreute, das Brot zurück in die Brotdose legte und diese zurück in den Rucksack steckte.
101Bei seiner Festnahme am 16.05.2018 in den Räumlichkeiten der Firma B. führte der Angeklagte ein Fläschchen mit Bleiacetat und der Aufschrift „BleiA“ mit sich.
102Bei der noch am selben Tag in Anwesenheit des Angeklagten durchgeführten Durchsuchungsmaßnahme in seinem Wohnhaus entdeckten die eingesetzten Polizeibeamten unter anderem im Schlafzimmer des Angeklagten Unterlagen mit chemischen Aufzeichnungen. Im Keller des Wohnhauses entdeckten sie das im Heizungsraum von dem Angeklagten eingerichtete Labor. Die Kellerräume wurden zunächst verschlossen und versiegelt.
103Bei der sodann erfolgten vorläufigen Festnahme fiel den Polizeibeamten auf, dass der Angeklagte sich von den ebenfalls anwesenden K. und P. B. nicht verabschiedete. Er forderte seine Ehefrau mit den Worten „Anwalt“ und „Telefonbuch“ lediglich auf, einen Verteidiger zu mandatieren.
104Bei der Fortführung der Durchsuchung am 16.05.2018 wurden vorab durch den ABC-Einsatzzug der Feuerwehr C. die Kellerräume untersucht. Nach der Entwarnung wurden die Kellerräume im Anschluss durch die eingesetzten Polizeibeamten durchsucht. Aufgefunden und sichergestellt wurden dort unter anderem Glasgerätschaften für die Durchführung einer organischen bzw. metallorganischen Synthese. Des Weiteren wurden dort in Schraubgläsern, Reagenzgläsern und Glasfläschchen gelagerte Substanzen gefunden. Hierbei handelte es sich unter anderem um Quecksilberverbindungen (darunter Spuren von Methylquecksilberiodid und Dimethylquecksilber), Natriumacetat, Bleiacetat, Cadmium, Americium 241, Antimonoxid, Orellaninspuren und Methyliodid.
105Nachdem sich im Zuge der weiteren Ermittlungen sowie Analysen am 06.06.2018 der Verdacht erhärtet hatte, dass sich insbesondere Dimethylquecksilber unter den gefundenen Substanzen befand, wurden die Analysen im Landeskriminalamt NRW angehalten und das gesamte Labor auch für das Reinigungspersonal über Wochen gesperrt. Auf die Mitteilung des Landeskriminalamtes NRW wurde am 07.06.2018 das Wohnhaus des Angeklagten geräumt und versiegelt. Am 09.06.2018 wurde durch die Spezialeinheiten eines ATF-Zuges (Analytische Task-Force) der Berufsfeuerwehr J. sowie der Feuerwehr C. das Wohnhaus betreten und auf Giftstoffe untersucht. Hierbei wurden Edukte aufgefunden, die für die Herstellung von Dimethylquecksilber verwendet werden. Ebenso wurden Komponenten zur Herstellung von Sprengstoffen aufgefunden. Nach der anschließenden Freigabe erfolgte eine weitere Durchsuchung des Hauses durch die eingesetzten Polizeibeamten. Hierbei wurden im Keller weitere Gegenstände wie unter anderem weitere Chemikalien, Bestellscheine für Chemikalien, ein Strahlenmessgerät und ein in einer kleinen Wanne versteckter Laptop Marke Acer sichergestellt. Im elterlichen Schlafzimmer fanden die Polizeibeamten auf und in dem Nachttisch des Angeklagten die Chemiebücher "Konrad Weygand, Organisch-chemische Experimentierkunst", "Weygand / Hilgetag, Organisch-chemische Experimentierkunst“ und "Pharmazeutische Zentralhalle für Deutschland von 1914". In den Büchern befanden sich teilweise diverse Zettel eingelegt (dazu später).
106III.
1071. Persönliche Verhältnisse
108Der Angeklagte hat sich zu seinen persönlichen Verhältnissen nicht eingelassen.
109Dass er nicht vorbestraft ist, ergibt sich aus dem verlesenen Bundeszentralregisterauszug.
110Die Angaben seiner Geschwister H. S. und G. T. zu Elternhaus, Kindheit und schulischem Werdegang des Angeklagten sowie zu dem Verhältnis der Geschwister untereinander wurden von der Zeugin U. als seinerzeitige Vernehmungsbeamtin in der Hauptverhandlung wiedergegeben.
111Über den Zeitraum 1982 bis 1992 konnte die Zeugin J., die in dieser Zeit eine Paarbeziehung mit dem Angeklagten führte, nähere Angaben machen.
112Über die Zeit seit dem Kennenlernen seiner Ehefrau (ca. 2004 – 2005) machte die Zeugin L., die Schwester seiner Ehefrau, Angaben.
113Zusätzlich hat die Zeugin V., eine gute Freundin der Ehefrau des Angeklagten, die Beziehung des Angeklagten zu seiner Frau und seinen Kindern, die Behinderung des zweiten Sohnes sowie die Inanspruchnahme einer Eheberatung und reproduktionsmedizinischer Hilfe durch das Ehepaar B. geschildert.
114Ergänzt wurden diese Angaben durch die Ausführungen des Zeugen W., der als Leiter des Psychologischen Dienstes der Justizvollzugsanstalt C. den Inhalt der von ihm mit dem Angeklagten im Juni und August 2018 geführten Gespräche wiedergegeben hat. Der Angeklagte habe darin unter anderem berichtet, dass er in A. aufgewachsen sei und eine Lehre im Metallbereich abgeschlossen habe. Nicht er, sondern seine Frau hätte nach C. umziehen wollen. Für ihn habe das bedeutet, täglich 15 km Fahrweg zur Arbeit zu haben, den er immer mit dem Fahrrad zurückgelegt habe. Dabei habe er einmal einen Verkehrsunfall gehabt, bei dem er einen Schädelbruch erlitten habe. Anschließend sei er noch in eine Reha-Behandlung gekommen. Da der Umzug nach C. auf Betreiben seiner Frau erfolgt sei, habe sie ihm gegenüber Schuldgefühle wegen des Unfalls gehabt. Zu dem jüngeren Sohn P. habe der Angeklagte erklärt, dass dieser eine Trisomie 21 habe, was anfangs für ihn ein Problem gewesen sei. Mittlerweile würde er den Jungen aber nicht mehr hergeben wollen. Da es mit dem zweiten Kind auf natürlichem Wege nicht geklappt habe, hätten sie eine künstliche Befruchtung in Anspruch nehmen müssen. Aufgrund des Alters des Paares habe die Krankenkasse die Kosten nicht übernommen, sodass er die Behandlung habe selber bezahlen müssen.
115Die Feststellungen zu der Ausbildung und beruflichen Tätigkeit des Angeklagten beruhen auf der Verlesung des Vermerks „Personalakte B.“ vom 01.06.2018 des X.. Ergänzend haben zu seiner Stellung im Betrieb die Zeugen E., D., Y., Z., Aa. und Q. Angaben gemacht.
116Die Feststellungen zu dem Immobilieneigentum des Angeklagten beruhen auf der Verlesung des Vermerks „Finanzierung der Immobilie G. Weg xx, 33659 C.“ vom 11.07.2018 des Bb. sowie des Bestandverzeichnisses und der Eintragung zu Nr. 3 aus der Abteilung I und zu Nr. 5 aus der Abteilung III des Grundbuchs von x x, Bl. xxxx.
1172. Tatgeschehen und Folgen
118Auch zur Sache hat der Angeklagte geschwiegen. Er ist durch das Ergebnis der Beweisaufnahme überführt.
119a)
120Seine ehemaligen Arbeitskollegen E., D., Y., Z., Aa. und Q. haben die personellen und räumlichen Verhältnisse bei der Firma „B.“, dabei auch die Lagerung der mitgebrachten Lebensmittel und die Arbeitszeiten und Gestaltung der Pausen sowie ihren Umgang mit dem Angeklagten – so wie von der Kammer festgestellt – geschildert.
121Aa. hat auch die Umstände bekundet, aus denen sich bereits 1997 der nicht weiter aufgeklärte Verdacht eines Giftanschlags des Angeklagten gegen ihn ergeben habe; die Kammer hat hierzu ein ärztliches Attest aus dem Jahr 1997 über die Symptome einer Vergiftung des Zeugen mit Industriereiniger verlesen.
122b)
123Die Überzeugung, dass der Angeklagte – wie unter II. 2. c) aa) bis cc) festgestellt – D. Blei- und Cadmiumverbindungen verabreichte bzw. dies erneut versuchte, hat die Kammer gewonnen, nachdem folgende Umstände erwiesen sind:
124aa)
125Aufgrund der in Augenschein genommenen Videoaufzeichnungen steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass der Angeklagte am 14.05.2018 gegen 17:23 Uhr und am 15.05.2018 gegen 17:35 Uhr Pulver auf die Pausenbrote von D. streute.
126Die Bilder der im Aufenthaltsraum der Abteilung Werkzeugbau installierten Videoüberwachungskamera zeigen in beiden Fällen, wie der Angeklagte sich vorab umschaut und dann schnell und zielgerichtet vorgeht. Hierbei legt er jeweils ein mitgebrachtes gefaltetes Blatt Papier mit einem darin befindlichen Pulver in einen Aktenordner. Weiter ist zu sehen, wie der Angeklagte eine Butterbrotdose aus einem Rucksack nimmt, die Dose öffnet und von einem mitgebrachten gefalteten Blatt ein Pulver auf eines der in der Brotdose befindlichen Brote streut. Anschließend schließt er den Deckel der Brotdose und verstaut diese wieder im Rucksack.
127Dass es sich bei der dort abgebildeten Person um den Angeklagten handelte, konnte die Kammer nach dem Vergleich mit dem Gesicht des in der Hauptverhandlung anwesenden Angeklagten sicher feststellen. Das Gesicht der Person ist auf den Bildern vollständig und gut zu erkennen. Es ist identisch mit dem des Angeklagten, der sich zwischenzeitlich lediglich einen Bart hat wachsen lassen.
128Zudem erkannte auch der Zeuge D. den Angeklagten hierauf wieder und bestätigte, dass es sich um den Aufenthaltsraum der Abteilung Werkzeugbau sowie bei dem Rucksack, der Brotdose und den Pausenbroten um seine dort abgelegten Gegenstände handelte.
129bb)
130Dass es sich bei dem Pulver auf den Pausenbroten des Zeugen D. vom 04., 14. und 15.05.2018 um die festgestellten Mengen an Bleiverbindungen handelt, steht fest aufgrund des Gutachtens zur chemischen Untersuchung auf Fremdstoffe bzw. Giftstoffe sowie zur quantitativen Wirkstoffbestimmung bzw. Substanzbestimmung des Sachverständigen Cc., Behördengutachter des Landeskriminalamtes Nordrhein-Westfalen, Sachverständiger für Betäubungsmitteluntersuchungen und Toxikologie.
131Dieser hat zunächst die wesentlichen Begriffe, die in seinem Gutachten verwandt werden, sowie die Toxizität einzelner Stoffe wie folgt erläutert:
132Viele „Leichtmetalle“ seien in physiologische Vorgänge eingebunden und in den üblichen Dosierungen untoxisch bzw. wenig toxisch, außer in speziellen Verbindungen oder reaktiven Formen, die meist künstlicher Natur seien. Zu den Leichtmetallen zählten unter anderem Aluminium, Magnesium, Titan, Beryllium und Lithium.
133Bei „Schwermetallen“ handele sich um Stoffe, die in elementarer Form eine Dichte von über 5 g/cm³ hätten. Zu diesen würden üblicherweise unter anderem die Edelmetalle sowie Bismut, Eisen, Kupfer, Blei, Zink, Zinn, Nickel, Cadmium, Chrom und Uran gerechnet. Einige dieser Metalle seien essentiell (wesentlich für Organismen), aber nur in Spuren; in höheren Konzentrationen seien viele dieser Metalle toxisch, manche auch in ihrer elementaren (gediegenen) Form. Allerdings seien Schwermetalle in einer wasserlöslichen Salzform meistens wesentlich toxischer, weil sie so deutlich besser resorbiert werden könnten. Bei den Salzformen gebe es Unterschiede in der Resorptionsfähigkeit und im Wirkort nach der Resorption. Schwermetallsalze bestünden in der Regel aus positiv geladenen Schwermetallionen und relativ dazu einem oder mehreren Anionen, zu denen neben den Halogeniden Chlorid-, Bromid- oder Iodid-Ionen unter anderem auch Anionen organischer Säuren wie das der Essigsäure (Acetat) oder der Zitronensäure (Citrat) gehören würden.
134Der Begriff „Schwermetallorganische Verbindungen“ bezeichne Schwermetallverbindungen, die meist deutlich toxischer als die anorganischen Schwermetallsalze selbst seien. Bei diesen Verbindungen sei ein Teil / der gesamte Anteil der Anionen aus dem Schwermetallsalz durch eine organische, das hieße eine an Kohlenstoff „kovalent gebundene“ Komponente ersetzt. So sei das Methylquecksilberchlorid eine metallorganische Verbindung aus dem Quecksilber(II)chlorid, bei dem ein Teil der anorganischen Chlorid-Anionen durch eine organische Methylgruppe ersetzt worden sei. Diese Verbindung penetriere nicht nur noch leichter als das rein anorganische Salz biologische Barrieren wie die Darmschleimhaut, sondern sei auch noch wesentlich toxischer. Außerdem durchdringe es leicht die Blut-/Hirnschranke und verursache dort schwere neurologische Dauerschäden.
135Würden alle anorganischen Anionen durch organische Komponenten ersetzt, erhöhe sich die Toxizität dieser Stoffe weiter. Zu den bekannteren Verbindungen aus dieser Gruppe zähle das toxische Bleitetraethyl, welches lange Zeit als Antiklopfmittel in Kraftstoffen verwendet worden sei. Eine hierzu vergleichbare Verbindung des Quecksilbers sei das Dimethylquecksilber. Es penetriere sehr leicht sogar Latexhandschuhe und anschließend die intakte Haut; es handele sich daher um ein hochtoxisches und gefährliches Kontaktgift. Von den aus der militärischen Anwendung bekannten Hautkampfstoffen wie z. B. Senfgas und Lewisit unterscheide sich Dimethylquecksilber durch seine langsamere und somit schleichende Wirkung. Gleichzeitig sei es aber bei perkutaner Aufnahme sogar noch toxischer als die beiden Hautkampfstoffe.
136„Natürliche Toxine“ seien Gifte, die von Organismen gebildet würden. Zu ihnen würden die beiden Stoffe Orellanin und α-Amanitin gehören. Orellanin sei ein Pilzgift, das in einer Pilzfamilie, den Cortinarien, häufig gefunden werden könne. Es handele sich um eine Pyridin-N-Oxid-Verbindung, ein Bipyridin, mit geladenen Stickstoffatomen. Während die Wirkweise von Orellanin bislang nicht wirklich verstanden werde, sei doch zumindest gesichert, dass Orellanin ein starkes Nephrotoxin sei, das durch seine lange Latenzzeit (erste Symptome würden Tage bis Wochen nach der Aufnahme in Erscheinung treten) eine rechtzeitige Therapie oft verhindere. Unbehandelt führe eine solche Vergiftung bei ausreichend hoher Dosis zum Nierenversagen.
137Bei „Radionukliden“ handele es sich um instabile, radioaktive Elemente. Viele dieser Stoffe seien künstlichen Ursprungs, z. B. generiert in Kernreaktoren, Beschleunigern oder bei Atomwaffenversuchen. Diese Elemente könnten aufgrund ihrer Radioaktivität sehr toxisch sein.
138Zu der Untersuchung der sichergestellten Pausenbrote hat der Sachverständige insbesondere folgendes ausgeführt:
139Gegenstand seiner Beauftragung durch die Polizei bzw. Staatsanwaltschaft sei unter anderem die Überprüfung der übersandten Pausenbrote (Asservate Lfd. Nr. xxx – xxx[1]) auf deren Manipulation durch eine eingebrachte Substanz gewesen. Der erste Befund auf eine Dotierung von Blei auf den Pausenbroten sei von ihm dem Einsender am Tag des Empfangs des ersten Gutachtenauftrags (16.05.2018) bereits telefonisch mitgeteilt worden. Bereits zu diesem Zeitpunkt sei durch ihn deutlich gemacht worden, dass es sich (noch ohne quantitative Bestimmung) allein aufgrund der Tatsache, dass die Dotierung mit bloßem Auge gut sichtbar sei, um eine bei chronischer Aufnahme sicher toxische Dosis handeln dürfte, die bei kumulativer Dosierung zu schweren Organschäden führen müsse. Ein semiquantitativer Befund der drei Brotmahlzeiten (Lfd. Nr. xxx – xxx) sei am 23.05.2018 weitergeben worden. Der abschließende quantitative Befund der Asservate Lfd. Nr. xxx - xxx sei per Mail vom 28.05.2018 erfolgt. Hinzu habe nur noch eine jeweils sehr geringe Menge addiert werden müssen, die bei der ersten Sichtung am 16.05.2018 für die rasterelektronenmikroskopische Untersuchung entnommen worden sei. Für die Untersuchung der im Kriminaltechnischen Instituts nicht delaborierbaren, in das Brot eingezogenen Bleimengen sei nach Rücksprache mit dem Auftraggeber das „Dd.“ (im Folgenden: Dd.) um Amtshilfe gebeten worden. Durch das Dd. sei ein Gutachten erstellt worden, im Rahmen dessen die Brote auf die restlichen, im Landeskriminalamt NRW nicht delaborierbaren Stoffe hin untersucht worden seien. Die Proben seien durch einen Mitarbeiter des Landeskriminalamtes NRW persönlich überbracht und später in tiefgefrorenem Zustand wieder abgeholt worden.
140Die dem Kriminaltechnischen Institut des Landeskriminalamtes NRW zugegangenen Pausenbrote seien durch den Sachverständigen und einen weiteren Mitarbeiter gesichtet und fotographisch erfasst worden. Mithilfe von REM-Tabs, bei denen es sich um spezielle Klebeträgerfolien für die Rasterelektronenmikroskopie handele, seien geringe Anteile an Proben der augenscheinlich durch ein weißes Pulver kontaminierten Stellen entnommen worden. Die hier delaborierbaren Anteile der Asservate Lfd. Nr. xxx und xxx seien im Kriminaltechnischen Institut mittels ICP-MS (Massenspektrometrie mit induktiv gekoppeltem Plasma) quantitativ auf Blei untersucht worden. Weiterhin seien an den auf den REM-Tabs getrockneten Materialien mittels Kernspinresonanzspektroskopie die Gegenionen des Quecksilbers gesucht worden. Bei den quantitativen Ergebnissen des Schwermetalls Blei handele es sich um Mittelwerte von drei separaten Bestimmungen in Prozent (gilt für Bestimmungen mittels ICP-MS).
141Hinsichtlich der Untersuchung der auf den Pausenbroten verbliebenen Bleimengen sei das Dd. in Amtshilfe um ein Gutachten gebeten worden. Die von dort mitgeteilten Werte seien angesichts der Messungen des Sachverständigen im Kriminaltechnischen Institut an den dort verbliebenen Anteilen plausibel und somit vollumfänglich übernommen worden.
142Die Angaben in der folgenden Tabelle, welche sich auf Lebensmittel beziehen würden, beruhten daher auf dem Gutachten des Dd.. Die Angaben, welche sich auf das Delaborat bezögen, seien auf Messungen im Kriminaltechnischen Institut zurückzuführen.
143Anmerkung: Der im Unterschied zum vorläufigen Gutachten korrigierte Wert ist fett sowie kursiv gesetzt und in einem schraffierten Feld angezeigt.
145Die Lebensmittelproben wiesen erhebliche Fremddotierungen mit dem toxischen Schwermetall Blei auf. Die Befunde ließen sich für das Asservat Lfd. Nr. xxx und xxx nur durch eine Dotierung mit Bleiacetat bzw. bleihydroxidhaltigem Bleiacetat erklären. Andere Salzformen seien nicht gefunden worden. Durch die Einwirkung der Feuchtigkeit des Lebensmittels sowie der Luftfeuchtigkeit dürfte ein Teil des Acetats in das entsprechende Hydroxid umgewandelt worden sein, ein Prozess, der unvermeidlich sei, wenn Bleiacetat mit Wasser / Feuchtigkeit in Kontakt komme und der in völligem Einklang mit den Untersuchungsergebnissen stehe. Das Ausdünsten von Essigsäure während dieses Prozesses sei der Grund, weshalb Bleiacetat leicht nach Essig rieche. In beiden Salzformen lägen die Bleianteile in einer besonders leicht bioverfügbaren Form vor. Ein Verzehr dieser Lebensmittel sei bei kumulativer Wirkung hochtoxisch. Die Karotte (Lfd. Nr. xxxx) sei das einzige dieser Lebensmittel, das nicht mit externem Blei belastet gewesen sei. In der Karotte sei ein Bleigehalt gefunden worden, wie er für unbelastete Gemüse typisch sei. Dieser habe etwa um den Faktor 20Tsd niedriger als im kontaminierten Teilasservat Lfd. Nr. xxxx gelegen.
146Weiter hat der Sachverständige zu den Folgen bei einem Verzehr der nach den Untersuchungsergebnissen mit Blei versetzten Brote für den menschlichen Organismus folgendes ausgeführt:
147Bei den auf den Broten Lfd. Nr. xxx-xxx jeweils gefundenen Mengen an Blei handele es sich um bioverfügbares Blei in der Form des Acetatsalzes und weniger bedeutend der des Hydroxids. Da beide Stoffe im Magen durch die Säure in ionischer Form der Blei(II)-Ionen freigesetzt würden, könnten sie vollständig resorbiert werden. Insbesondere bei wiederholter Aufnahme könne dies zu schwerwiegenden Vergiftungszeichen mit schweren, auch dauerhaften körperlichen bzw. geistigen Schädigungen führen. Diese würden umso wahrscheinlich eintreten, je höher die Dosis bzw. je länger die kumulative Aufnahme stattfinde. Zu den Hauptzielorten und schädlichen Folgen würden unter anderem
148a) Nervensystem (Polyneuropathie, Enzephalopathie)
149b) Knochenmark und dort die Blutbildung (Anämie)
150c) Nieren (Nierenschäden bis hin zu Tumoren)
151d) Magen-Darm-Trakt, dort typische Darmkoliken („Bleikolik“) mit Verstopfung und in schweren Fällen einem spastischen Ileus
152e) Keimdrüsen
153f) Haut, dort fahlgelbliche Verfärbung der Haut und Verfärbung des W. fleischsaums („Bleisaum“ genannt)
154zählen.
155Da Blei plazentagängig sei, würde auch das Ungeborene geschädigt werden, wobei es bei der Frucht zu Verminderungen des IQ, der Lern- und Gedächtnisleistungen, der Hörschwelle, bis hin zu Früh- und Totgeburten bzw. zu Fehlbildungen kommen könne. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) gebe für Blei einen PTWI-Wert von 25 μg/kg Körpergewicht/Woche an. Mit dem Verzehr des Brotes der Lfd. Nr. xxx mit 71000 μg Blei hätte ein 70 kg schwerer Mensch somit rund 1000 μg/kg oder mit einer kleinen Mahlzeit 40 Mal mehr als die tolerierbare Wochendosis aufgenommen. Verstärkend komme hinzu, dass das Blei hier nicht in gebundener, sondern in hoch bioverfügbarer Form vorgelegen habe.
156Die Kammer folgt dem Gutachten des Sachverständigen Cc. nach eingehender Würdigung. Der Sachverständige hat zunächst allgemein die verwendeten Begriffe, den Gang und die Vorgehensweise bei der Untersuchung und die wissenschaftliche Methode zur Bestimmung und Analyse der Stoffe auf den sichergestellten Pausenbroten nachvollziehbar erläutert. Er ist bei seinem Gutachten von zutreffenden Tatsachen ausgegangen und hat die in der Hauptverhandlung gewonnenen Erkenntnisse berücksichtigt. Widersprüche sind in seinem Gutachten nicht hervorgetreten.
157Auch war für die Kammer die Dotierung von einer pulverförmigen Substanz aus den in Augenschein genommenen Lichtbildern der Pausenbrote (Asservate Lfd. Nr. xxx- xxx) bereits mit dem bloßen Auge deutlich erkennbar. Wegen der weiteren Einzelheiten wird gemäß § 267 Abs. 1 S. 3 StPO Bezug genommen auf die im schriftlichen Gutachten des Sachverständigen (Gutachtenband I) auf den Seiten 12 bis 14 eingeschlossenen Lichtbilder. Dass es sich bei Bleiacetat in seinem Aggregatzustand um ein weißes, geruchloses Pulver handelt, konnte die Kammer durch Inaugenscheinnahme einer von dem Sachverständigen Ee. mitgebrachten Bleiacetat-Probe feststellen.
158cc)
159Die Kammer schließt aufgrund der Angaben des Zeugen D. aus, dass die Pausenbrote vom 04., 14. und 15.05.2018 durch den Zeugen D. selbst oder auf anderem Wege als der in dem Video gezeigten Vorgehensweise mit den Bleiverbindungen versetzt wurden.
160D. hat bekundet, ungefähr ab Januar 2018 habe er festgestellt, dass sich in unregelmäßigen Abständen irgendwelche Substanzen auf seinem Butterbrot befunden hätten. Zunächst habe er es als Schimmel oder Dreck abgetan und die Brote entsorgt. Am 23.03.2018 habe er in sein Butterbrot gebissen und erst zu diesem Zeitpunkt bemerkt, dass eine braune pulverige Substanz auf seinem Brot gewesen sei. Es habe sich jeweils um selbst geschmierte Pausenbrote gehandelt, welche er während seiner Arbeitszeit immer unbeaufsichtigt in seinem Rucksack im Pausenraum der Firma aufbewahre. Der Rucksack sei für ihn dort nicht jederzeit sichtbar. Am 23.03.2018 habe er dies erstmals fotografisch gesichert; später aber das Brot weggeworfen. Er habe sich die Substanz auf seinem Brot nachträglich so erklärt, dass es sich um Dreck aus seinem Rucksack gehandelt habe, und deshalb den Rucksack ausgesaugt. Nach dem 23.03.2018 sei es am 02. und 03.05.2018 zu weiteren Vorfällen gekommen. Auch am 04.05.2018 habe er weißes Pulver auf seinem mit Käse und Salat belegten Brot festgestellt. Er habe hiervon Bilder mit seiner Handykamera gefertigt und das Brot wieder in der Brotdose verschlossen. Seinem Meister, dem Zeugen Z., und seinen Eltern habe er das Pausenbrot gezeigt. Die gefertigten Bilder sowie das Pausenbrot samt Brotdose habe er dann den Polizeibeamten der Kreispolizeibehörde E. am 05.05.2018 übergeben. Am 12.05.2018 habe er erneut in eines seiner Pausenbrote gebissen und erst danach festgestellt, dass sich darauf erneut Pulver befunden habe. Erneut habe er dem Zeugen Z. das Pausenbrot gezeigt. Am 14.05.2018 habe er sich zur Spätschicht zu Hause ein Butterbrot mit Käse sowie ein Butterbrot mit Putenbrust für die Pause geschmiert. Er habe beide Brote in eine Plastikdose gepackt und die Dose in seinem Rucksack verstaut. In der Firma habe er den Rucksack wie immer auf einen Stuhl an dem Pausentisch abgelegt. Im Verlauf seiner regulären Pause gegen 18:00 Uhr habe er seinen Rucksack geöffnet und die Dose herausgenommen. Zunächst habe er den Deckel der Dose geöffnet und das Käsebrot herausgenommen. Aufgrund seiner Erfahrung habe er, bevor er in das Brot gebissen habe, nachgesehen, ob auf dem Brot irgendetwas sei. Er habe das Brot auseinander geklappt und nichts Auffälliges festgestellt. Daraufhin habe er das Käsebrot aufgegessen. Danach habe er das Putenwurstbrot aus der Dose genommen und dieses aufgeklappt und ebenfalls nachgesehen, ob sich etwas Ungewöhnliches auf dem Putenwurstbrot befände. Dabei sei ihm sofort weißes Pulver in der Mitte des Belages aufgefallen. Das Pulver sei auf der Putenwurst gewesen. Er habe das Brot, so wie er es vorgefunden habe, seinem Meister gezeigt und mit seinem Handy fotografiert. Anschließend habe er das Brot sofort wieder in seine Plastikdose gelegt und sie mit dem Deckel verschlossen. Die Brotdose habe er bis zum Ende der Schicht im Spind eingeschlossen. Nach der Schicht sei er nach Hause gefahren und habe das Brot im Kühlschrank zwischengelagert. Vor seiner nächsten Spätschicht sei er zur Polizeiwache nach A. gefahren, um das Brot dort abzugeben. Bei dem weißen Pulver, welches er auf dem Putenwurstbrot festgestellt habe, habe es sich dem äußeren Anschein nach um ein ähnliches Pulver wie zuvor gehandelt. Die Putenwurst habe er bei dem Supermarkt „Rewe" in A. gekauft. Er habe diese ganz normal geöffnet und die einzelnen Scheiben herausgenommen. Beim Herausnehmen aus der Verpackung sei ihm nichts aufgefallen. Er habe zu Hause auch die Verpackung mit Haltbarkeitsdatum sowie das aufgeklappte Pausenbrot in der Brotdose fotografiert. Auch habe er zu Hause bereits eine Wurstscheibe gegessen, diese habe ganz normal geschmeckt und für ihn keine Auffälligkeiten aufgewiesen. Die Wurst sei nicht schimmelig gewesen. Am 15.05.2018 habe er seine Pausenbrote (eines mit Marmelade und eines mit Käse) im Beisein seiner Mutter zubereitet und dann übereinander in seine Brotdose gelegt. In der Spätschicht habe er wieder ein weißes Pulver auf seinem oben liegenden Marmeladenbrot festgestellt. Er habe die Brote daraufhin umgehend in der Brotdose gesichert und nach der Schicht zu Hause im Kühlschrank aufbewahrt. Die Brotdose und die Brote seien von der Polizei abgeholt worden.
161Die Angaben des Zeugen D. sind glaubhaft. Er hat seine Aussage detailreich, ruhig, sicher und in sich widerspruchsfrei vorgetragen. Dabei hielt er sich an das, an was er sich noch wirklich sicher erinnern konnte. Wenn er etwas nicht mehr genau wusste, brachte er das zum Ausdruck. So erklärte er etwa, dass er schon vor dem 23.03.2018, etwa seit Januar 2018, mehrfach bemerkt habe, dass seine Pausenbrote mit Substanzen bestreut gewesen seien. Es sei ihm aber nicht mehr möglich, die konkreten Tage mitzuteilen. Ebenso verhalte es sich hinsichtlich seines teilweise trüb gewordenen Trinkwassers. Dabei machte der Zeuge sich selbst große Vorwürfe, nicht früher – schon im Hinblick auf das auffällig trübe Wasser – Verdacht geschöpft zu haben.
162Die Angaben des Zeugen werden bestätigt durch die Aussage des Zeugen Z.. Dieser hat ausgesagt, dass D. ihm Substanzen auf Pausenbroten angezeigt habe. Er, der Zeuge Z., habe D. dazu geraten, deshalb zur Polizei zu gehen. Zudem habe er an der Installation der Überwachungskamera mitgewirkt und gezeigt, wo diese aufgehängt werden solle.
163dd)
164Es steht fest, dass der Angeklagte bei seiner Festnahme am 16.05.2018 Bleiacetat in Pulverform in seiner Arbeitstasche mit sich führte, welches chemisch identisch mit dem auf den sichergestellten Pausenbroten vom 14.05.2018 (Asservat Lfd. Nr. xxx) und 15.05.2018 (Asservat Lfd. Nr. xxx) ist.
165(1)
166Die mit der Festnahme am 16.05.2018 befassten Zeugen Ff., Hh. und Gg. haben glaubhaft und übereinstimmend die Festnahmesituation und die dabei im Besitz des Angeklagten befindlichen und sichergestellten Gegenstände – nämlich insbesondere ein kleines Fläschchen mit weißem Pulver und der handschriftlichen Aufschrift „BleiA“ sowie eine Flasche „Today Nagellackentferner 200 ml“ mit wenig Flüssigkeit – beschrieben.
167(2)
168Dass es sich bei dem Pulver in dem kleinen Fläschchen mit der handschriftlichen Aufschrift „BleiA“ um eine solche Bleiverbindung (Bleiacetat / Bleihydroxid) handelt, wie sie auch auf den Pausenbroten vom 14.05.2018 (Asservat Lfd. Nr. xxx) und 15.05.2018 (Asservat Lfd. Nr. xxx) festgestellt wurde, steht fest aufgrund des überzeugenden, widerspruchsfreien und nachvollziehbaren Gutachtens zur chemischen Untersuchung auf Fremdstoffe bzw. Giftstoffe sowie zur quantitativen Wirkstoffbestimmung bzw. zur Substanzbestimmung des Sachverständigen Cc..
169Dieser hat hierzu folgendes ausgeführt:
170Proben der beiden bleihaltigen Asservate (Pulver und Lösung) aus dem Besitz des Angeklagten (Lfd. Nr. xxx und xxx) seien am 23.05.2018 bei dem Sachverständigen eingegangen. Die Proben seien sodann durch ihn und eine Mitarbeiterin des Kriminaltechnischen Instituts des Landeskriminalamtes NRW gesichtet, fotographisch erfasst und gewogen worden.
171Hinsichtlich der angewendeten Untersuchungsmethoden kann auf die Ausführungen unter III. 2. b) bb) Bezug genommen werden.
172Die Untersuchungsergebnisse hat der Sachverständige Cc. in der nach den auf Seite 16 und 17 des schriftlichen Gutachtens (Gutachtenband I) abgebildeten Lichtbildern der Asservate Lfd. Nr. xxx und xxx – welche im Rahmen der Hauptverhandlung in Augenschein genommen wurden und auf die wegen der weiteren Einzelheiten gemäß § 267 Abs. 1 S. 3 StPO Bezug genommen wird – folgenden Tabelle zusammengefasst:
173Zu den Untersuchungsergebnissen hat der Sachverständige folgendes ausgeführt:
175Die Probe Lfd. Nr. xxx stelle ein Bleisalz dar. Andere Kationen außer Blei seien nicht in relevanter Menge gefunden worden. Ausweislich der durchgeführten Analyse bestehe diese Probe überwiegend aus Blei(II)-acetat / Blei(II)-hydroxid, wie es auch auf den Broten nachweisbar sei. Die Befunde und die Auffindesituation ließen den Schluss zu, dass die Dotierung der Asservate Lfd. Nr. xxx (Pausenbrot vom 14.05.2018) und xxx (Pausenbrote vom 15.05.2018) durch dieses Material erfolgt sei. Dieses sei sachverständigerseits anzunehmen, weil bei einer Dotierung von belegten Broten mit dem hier untersuchten Pulver Lfd. Nr. xxx exakt das Ergebnis aus den Analysen der Brote zu erwarten wäre und ein solch ungewöhnliches analytisches Bild als äußerst selten bzw. nahezu einzigartig bezeichnet werden könne.
176Das Asservat Lfd. Nr. xxx stelle eine Bleiionen enthaltende wässrige Lösung dar. Der Bleigehalt entspreche ca. 1800 μg Blei in einem Milliliter dieser Lösung, eine Bleimenge, die bei regelmäßiger täglicher Aufnahme bereits toxisch sei. Aufgrund der großen Öffnung der Flasche dürfe es indes kaum möglich sein, sich beim Ausgießen lediglich auf einen Milliliter zu beschränken. Durch einfachen Druck auf diese Flasche würden deshalb leicht mehr als 20 Milliliter Flüssigkeit freigegeben, was einer Bleimenge von über 36 mg entspreche.
177ee)
178Es steht fest, dass im Keller des Wohnhauses des Angeklagten ein Labor betrieben wurde, in dem unter anderem auch Blei- und Cadmiumverbindungen sowie Versuchsanleitungen zu deren Herstellung wie auch das zur Herstellung nötige Equipment gefunden wurden.
179(1)
180Die Feststellungen zu den in dem Einfamilienhaus des Angeklagten – insbesondere im Heizungskeller – aufgefundenen Gegenständen sowie deren Fundorten beruhen auf den Angaben der Zeugen Hh., Gg, KHK Ii und Ff., den in Augenschein genommenen Lichtbildern aus dem Vermerk des Hh. vom 16.05.2018, aus der Lichtbildmappe vom 16.05.2018 und aus der Lichtbildmappe zur Durchsuchungsmaßnahme am 09.06.2018, den in der Hauptverhandlung verlesenen Vermerken des Hh. vom 11.06.2018 und des EKHK Jj vom 17.05.2018 sowie der verlesenen Einsatzdokumentation der ABC-Erkundung der Feuerwehr C. vom 16.05.2018 und der verlesenen Asservatenliste.
181(2)
182Dass sich unter den im Keller des Angeklagten sichergestellten Gegenständen Blei- und Cadmiumverbindungen sowie Aufzeichnungen und Literatur wie auch Gerätschaften zur Herstellung von unter anderem Blei- und Cadmiumverbindungen befanden, steht aufgrund des Gutachtens des Sachverständigen Cc. fest.
183Dieser hat unter Auswertung der im Wohnhaus des Angeklagten sichergestellten Gerätschaften und Substanzen folgendes ausgeführt:
184Die durchgeführten Analysen der Asservate seien unter anderem mit diversen nasschemischen Methoden, mittels Ramanspektroskopie, mittels Kernspinresonanzspektroskopie (NMR), kapillargas-chromatographisch kombiniert mit massenspektrometrischer Detektion, hochleistungsflüssigkeitschromatographisch kombiniert unter anderem mit massenspektrometrischer Detektion (HPLC-TOF/MS), über das Rasterelektronenmikroskop vorgenommene Energiedispersive Röntgenspektroskopie (REM-EDX), mittels ICP-MS (Massenspektrometrie mit induktiv gekoppeltem Plasma) und mittels Röntgenbeugung (Röntgendiffraktion, XRD) erfolgt. Zusätzlich sei die Gasphase über diversen Asservaten kapillargaschromatographisch / massen-spektrometrisch (Headspace-Verfahren) auf flüchtige Stoffe untersucht worden. Diverse weitere Untersuchungen seien für die abschließende Prüfung nach Radionukliden erfolgt. Bei den quantitativen Ergebnissen des Schwermetalls Blei handele es sich um Mittelwerte von drei separaten Bestimmungen in Prozent (gilt für Bestimmungen mittels ICP-MS).
185Die Untersuchungsergebnisse hat der Sachverständige in der folgenden – auszugsweise hinsichtlich der Lfd. Nrn. 007 bis 035, 040, 056, 057, 090, 096, 100 bis 112 – wiedergegebenen Tabelle dargestellt. Er hat hierzu darauf hingewiesen, aufgrund einer zwischenzeitlich eingetretenen Gefährdungssituation wegen des Verdachtes, dass es sich bei einigen der Asservate aus dem Haushalt des Angeklagten um Materialien aus einer Synthese von metallorganischen Verbindungen (unter anderem Dimethylquecksilber) handeln könnte, seien bis zur Feststellung der Höhe der Quecksilberbelastung der Familie B. die Analysen angehalten und später entsprechend vorsichtig wieder aufgenommen worden. Die Befunde seien somit hier bei einigen Asservaten nicht vollumfassend. Aus Gründen der Eigensicherung seien auch nicht in jedem Fall die Nettogewichte bestimmt worden.
186Lfd. Nr. |
Beschreibung |
Menge netto (g) |
Ergebnis/Elemente |
Gifte |
Hauptbe- standteil |
||
007 |
Umschlag, darin metallisch glänzende Plättchen "Berryllium" |
0,52 |
Metallisches Beryllium, rein |
Beryllium |
Beryllium |
||
008 |
Beutel mit Glasschale. In der Schale weiße, kristalline Substanz - Geruch: nach Essigsäure |
86,56 |
Bleiacetat / Blei-acetathydrat ohne weitere Kationen |
Blei-Acetat |
Bleiacetat (>85%) |
||
009 |
Glasfläschchen mit schwarzem Schraubver-schluss, beklebt mit einem Tiefkühletikett beschriftet mit "Orea" mit geringen Rückständen als Anhaftungen |
n. b. |
Blei, Kohlenstoff, Sauerstoff, Calcium Orellaninspuren |
Blei Orellanin |
Blei Orellanin |
||
010 |
Duranglasflasche, darin braune, pulverige Substanz |
n. b. |
Bleioxide (Pb3O5 und PbO), geringer Anteil Antimonoxid (Sb2O3) |
Blei und An-timon |
Bleioxide |
||
011 |
Leeres kleines Glasfläschchen handbeschriftet: Säure / Wasser 1:1 |
n. b. |
Silber, Kohlenstoff, Sauerstoff, Schwefel, Calcium, Iod Americium-241. Separat bestätigt durch Ra-dioisotopenmessung |
Americium |
Calciumsulfat, Silber |
||
012 |
500 ml Schraubglas mit blauem Deckel. Fast vollständig gefüllt mit weißer Suspension. Deckel schwach undicht. Geruch: nach Diethylether |
n. b. |
Diethylether, Methyliodid. Elemente: Quecksilber, Iod, Magnesium, Sauerstoff, Chlor Ergebnisse der metall-organischen Analyse: Methylquecksilberiodid Spuren an Dimethylquecksilber |
Quecksilber-salz Organisches Methyl-quecksilber Dimethyl-quecksilber |
Ether Methyliodid Methylqueck-silberiodid |
||
013 |
Fläschchen mit Tropfpipette mit farbloser, trüber Flüssigkeit. |
8,48 |
Silber, Chlor, Natrium, Sauerstoff, Kohlenstoff, Schwefel Americium-241. Separat bestätigt durch Ra-dioisotopenmessung |
Americium 241 in der Lösung und im Sediment |
Silber |
||
014 |
Duranglasflasche, darin ascheähnlicher Rück-stand |
0,54 |
Eisen, Aluminium, Sauerstoff |
-- |
Eisen, Aluminium, Sauer-stoff |
||
015 |
Reagenzglas mit schwar-zem Schraubdeckel. Darin farblose Flüssigkeit mit schwarzer Substanz |
8,91 |
Aluminium, Sauerstoff, Eisen |
-- |
Aluminium, Sauerstoff, Eisen |
||
016 |
Schraubdeckelglas mit handbeschriebenem Etikett „Bohr“ bzw. korrigiert in „Rohr“, darin schwarze, pulverige Substanz |
1,05 |
Eisen, Mangan, Magnesium, Aluminium, Chrom, Sauerstoff, Kohlenstoff |
-- |
Eisen, Mangan, Magnesium, Alumini-um, Chrom, Sauerstoff, Kohlenstoff |
||
017 |
Duranglasflasche, darin schwarze, metallische, pulverige Substanz |
0,67 |
Aluminium, Silicium Aluminium und Aluminiumsilicon |
-- |
Aluminium und Aluminiumsilicon |
||
018 |
25 ml Messkolben mit Lünette und Glasschliff-stopfen, darin beige, pulverige Substanz |
3,64 |
Quecksilber, Iod, Calcium Nebenbestandteile: Quecksilber(I)-iodid Quecksilber(II)-iodid Quecksilbermetall |
Quecksilber-salze |
Calciumsalze (hydroxid und carbonat) |
||
019 |
50ml Erlenmeyerkolben, offen mit grüngelber Substanz. Aussehen: nach Verreibung werden Quecksilber-Kügelchen sichtbar |
5,0 |
Quecksilber, Iod |
Quecksilbersalz |
Quecksilberiodid, Quecksilber |
||
020 |
Minischraubglas mit Deckel (Aufschrift „Rein“) mit metallischer, schwerer flüssiger Substanz. |
n. b. |
Augenscheinlich Quecksilber. Nicht untersucht |
||||
021 |
Braunes Schraubdeckel-glas mit schwarzem Deckel, darauf ein beschriftetes Kreppband "M.Q.Acet" Darin weiße, pulverige Substanz |
13,73 |
Quecksilbersalz, Gegenion nicht sicher bestimmt |
Quecksilber-salz |
Quecksilbersalz |
||
022 |
Mit Kork verschlossenes Glasgefäß mit der Aufschrift: „Q-Oxid Q-Acetat Belichtet UV ?“ Darin grünliche, feuchte, kristalline Substanz |
9,73 |
Natriumacetat, Quecksilberacetatoxid, Natriumnitrat (Nitratin) Calcium |
Quecksilber-salze |
Quecksilbersalze Natriumsalze |
||
023 |
Schraubglas, beschriftet mit roter Schrift "Q.I.Nitrat" und darüber ein Klebestreifen, be-schriftet mit schwarzer Schrift: „Mercury-Acetat“ mit Deckel. Darin weiße, kristalline Substanz. |
5,14 |
Quecksilberacetat |
Quecksilberacetat |
Reines Quecksil-beracetat |
||
024 |
Schraubglas, beschriftet mit „Hg u. Na“ mit Deckel (Aufschrift „80 g“) mit me-tallischer, schwerer flüssi-ger Substanz. |
n. b. |
Augenscheinlich Quecksilber. Nicht untersucht |
||||
025 |
Schraubglas (Johannis-beere) mit Deckel, darauf handschriftlich „Abfall Q … UV“. Darin grüngelbe Substanz Aussehen: nach Verreibung werden Quecksilber-Kügelchen sichtbar |
24,93 |
Quecksilberiodide: HgI HgI2 Elementares Quecksilber Iod |
Quecksilber-salze |
Quecksilbersalze |
||
026 |
Kleine Braunglasflasche beschriftet mit „M.J.“ mit rotem Deckel. Darin braune Flüssigkeit |
32,85 |
Eisen, Calcium, Silizium, Natrium, Magnesium, Kohlenstoff, Sauerstoff. Methyliodid |
-- |
-- |
||
027 |
Glasfläschchen "1,1g Q-Acetat". Darin gelbe, kristalline Substanz |
0,95 |
Quecksilberoxid, Quecksilberacetat |
Quecksilber-salze |
Reines Quecksilber-salz |
||
028 |
Braunglasfläschchen „M Q J“. Darin wenig weiße, kristalline Substanz und am Rand rotes Sublimat |
0,47 |
Quecksilber, Iod Quecksilbersalz |
Quecksilbersalz |
Quecksilber, Iod |
||
029 |
Schraubglas, darin weiße, pulverige Substanz "Nat-riumacetat" |
42,52 |
Natriumacetat-Hydrat |
-- |
Natrium-acetat-Hydrat |
||
030 |
Schraubglas mit klarer Flüssigkeit mit gelber Substanz "CdmA" "110616" |
139,34 |
Eisen, Nickel, Kalium, Cadmium, Schwefel, Sauerstoff Cadmiumhaltige Lö-sung, wahrscheinlich Sulfat |
Cadmium-salz |
Cadmiumsalz |
||
031 |
Sprayflasche „Bleiacetat“, darin weiße, pulverige Substanz |
4,82 |
Bleiacetat-Hydrat |
Bleisalz |
67,0% Blei-acetat |
||
032 |
Flüssigkeit mit diversen festen Materialien im Schraubglas. In der Lösung Metall-Folien und durchgeschnittene NiCd-Akkumulatoren |
Brutto: |
Schwefel, Chlor, Cadmium, Kalium In Spuren Eisen und Mangan sowie Diethylether, Methyliodid. |
Cadmium-salze |
Cadmium |
||
033 |
Weißes Schraubglas mit grünem Deckel, darauf Aufschrift „Q“. Darin Flüs-sigkeit mit weißer Substanz Geruch: nach Essigsäure |
35,49 |
Wässrige Quecksilber-Acetat-Lösung |
Quecksilber-Acetat |
Quecksilber-Acetat |
||
034 |
Schraubglas mit brauner Flüssigkeit. Aufgrund der Schwerme-tallbelastung und der Zu-sammensetzung wurde auf eine naheliegende Analyse auf Orellanin ver-zichtet. |
159,51 |
Quecksilber, Schwefel, Natrium, Kohlenstoff, Sauerstoff, Eisen Pyridin |
Quecksilber |
|||
035 |
Schraubglas, darin farblose Flüssigkeit mit schwarzem Niederschlag |
8,81 |
Kohlenstoff, Eisen, Silizium, Aluminium, Kohlenstoff, Sauerstoff |
-- |
-- |
||
040 |
Hitzebeständige Glas-schale, darin braune, pul-verige Substanz und Belag |
Blei, Calcium, Silizium, Sauerstoff |
Blei |
Calcium, Silicium, Blei |
|||
056 |
Duranglasflasche mit mil-chiger Flüssigkeit |
11,84 |
Wässrige Bleiacetat-Lösung |
Bleiacetat |
Bleiacetat |
||
057 |
Kunststoffspritze mit weißen Anhaftungen |
Blei, Antimon, Kohlenstoff, Sauerstoff |
Blei |
||||
090 |
1 Geigerzähler m. Zubehör und Beschreibung (Beschreibung kopiert und in den Akten) |
||||||
096 |
1 Aluminiumtüte m. Utensilien v. Labortisch |
Bislang nicht unter-sucht. Es handelt sich um zwei kleine, augen-scheinlich benutzte / erhitzte Rohrreaktoren (an beiden Enden durch Schraubstopfen verschließbare Rohre) und diverse andere Materialien, darunter auch Terpentin |
|||||
100 |
1 Aluminiumtüte mit 1l Kunststoffflasche gefüllt mit farbloser, klarer Flüs-sigkeit - Geruch: nach Essig |
Salzsäure |
|||||
101 |
1 Braunglas mit brauner, kugelförmiger Substanz "250 g Iod Kügelchen" |
Offensichtlich Iod |
|||||
102 |
1 Karton mit 3 DVB mit weißer, plättchen-förmiger Substanz "300 g Calcium-chlorid" |
Calciumchlorid (Tro-ckenmittel) |
Calciumchlorid |
||||
103 |
5 1l Kunststoffflaschen mit gelblicher, klarer Flüssigkeit "1000 ml 53% Salpetersäure" |
ca. 50%ige Salpeter-säure |
Salpetersäure |
||||
104 |
1 DVB mit metallischen Spänen "100 g Magnesi-umspäne" |
Magnesium |
Magnesium |
||||
105 |
1 DVB mit weißer, pulvri-ger Substanz "250 g Soda Calc. 98-99%" |
Natrium, Kohlenstoff, Sauerstoff. Offensichtlich Soda |
Soda |
||||
106 |
1 Braunglas 1/2 gefüllt mit brauner, kugelförmiger Substanz "250 g Iod Kügelchen" |
Offensichtlich Iod |
|||||
107 |
1 DVB mit vier Quecksilber-Neigungsschaltern |
Augenscheinlich metalisches Quecksilber, verbaut |
|||||
108 |
1 Kunststoffgefäß mit roter, pulveriger Substanz 1/2 gefüllt "500 g Roter Phosphor" |
Roter Phosphor |
Roter Phosphor |
||||
109 |
1 Kunststoffgefäß mit weißer, pulveriger Sub-stanz 3/5 gefüllt "500 g Aluminiumoxid" |
Aluminiumoxid |
Aluminiumoxid |
||||
110 |
1 DVB mit weißer, granu-latartiger Substanz "250 g Calciumhydroxid" |
Calciumhydroxid |
Calciumhydroxid |
||||
111 |
1 DVB mit weißer, granu-latartiger Substanz "250 g Kaliumhydroxid" |
Kaliumhydroxid |
Kaliumhydroxid |
||||
112 |
Metallplatten auf Pappkarton umwickelt m. Plastik-folie "Nickel" |
Nickel |
Nickel |
Anmerkung: DVB: Druckverschlussbeutel; n.b.: nicht bestimmt
188Ergänzend hat der Sachverständige Cc. die Untersuchungen hinsichtlich eventueller Radionuklide geschildert. Er hat hierzu ausgeführt, dass die Vorprüfung, welche der zahlreichen Asservate radioaktive Strahlung freisetzen würden, am 03.07.2018 durch Kk und Ll vom Landesinstitut für Arbeitsgestaltung des Landes Nordrhein-Westfalen (LIA NRW) in Gegenwart des Sachverständigen vorgenommen worden sei. Hierbei sei an zwei Asservaten (Lfd. Nr. xxx und xxx) festgestellt worden, dass diese das radioaktive Isotop Am-241 aufwiesen. Während die hier gemessene Aktivität im Asservat Lfd. Nr. xxx gering gewesen sei, habe die des Asservates Lfd. Nr. xxx ein Vielfaches davon betragen. Vom Sediment und der klaren Lösung des Asservates Lfd. Nr. xxx seien exakte Mengen abgenommen worden, um die spezifische Aktivität exakt zu bestimmen. Zusammenfassend habe hierzu festgestellt werden können, dass weniger als 5% der spezifischen Aktivität der laut Unterlagen bestellten zehn Rauchmelder in diesen Asservaten vorhanden gewesen sei. Der Verbleib der restlichen spezifischen Aktivität sei nicht feststellbar gewesen.
189ff)
190Die Feststellungen zu den Internetrecherchen beruhen auf den glaubhaften Angaben des als Zeugen vernommenen X., der die Daten auf den Festplatten des im Wohnhaus des Angeklagten sichergestellten Tower-PC, des Laptop HP sowie des Laptop Acer ausgewertet hat, sowie der Verlesung der Vermerke des X. vom 22.06.2018 und 25.06.2018.
191X. hat die auch in seinen Vermerken festgehaltenen Ermittlungsergebnisse zusammengefasst wiedergegeben. Er hat ausgeführt, dass er die Sichtung der Daten mit den Programmen „X-Ways Forensics“ und „IEF Reprot Viewer“ vorgenommen habe. Auf dem im Rahmen der Durchsuchungen vom 16.05.2018 im Dachgeschoss des Wohnhauses des Angeklagten sichergestellten Tower-PC (Spur 84 / Asservat Nr. 5) habe er neben privaten Dokumenten auch aus dem Internet heruntergeladene wissenschaftliche Texte mit Bezug zu organischen Quecksilberverbindungen wie etwa eine am 03.05.2017 heruntergeladene Dissertation mit dem Thema „Zum Koordinationsverhalten von Quecksilber(II)-Salzen unter dem Einfluss organischer Donorliganden“ sowie einen am 06.09.2015 heruntergeladenen Auszug aus einem chemischen Fachbuch mit der Überschrift „1.3-Dioxolohetarene, 3 [1] Darstellung und Reaktionen von Pyrido [2.3-d] – und Pyrido [3.4-d] [1.3] dioxolen“ gefunden.
192Auf dem im Kellerraum des Wohnhauses des Angeklagten im Rahmen der Durchsuchung vom 09.06.2018 sichergestellten Laptop Marke Acer (Spur 156 / Asservat Nr. 95), der sich zusammen mit dem Netzteil in einer Einkaufstüte verpackt unter anderen Gegenständen befunden habe, habe er neben pornografischen Bildern (Manga-Pornographie) eine Vielzahl von Bildern festgestellt, welche chemische Elemente, chemische Versuche und Laborutensilien zeigten. Zudem habe er über 5000 Suchanfragen bei der Suchmaschine „Google“ festgestellt. Zum größten Teil habe es sich um Suchanfragen zu Chemikalien und chemischen Verbindungen, deren Erwerb und deren Herstellung, bezogen. Aber auch Vergiftungssymptome, Verabreichungsformen und Gefahren seien mehrfach gesucht worden. Es fände sich eine große Anzahl von Suchanfragen im Zusammenhang mit Quecksilberverbindungen schon ab dem Jahr 2016. Die Suchanfragen im Zusammenhang mit Blei hätten am 12.11.2017 begonnen. Ab diesem Zeitpunkt sei auch zum ersten Mal nach dem Stoff Bleiacetat sowie dem Herstellungsprozess gesucht worden. Dies habe sich Mitte / Ende Januar 2018 mehrfach wiederholt. Im April und Mai 2018 seien zudem Suchanfragen im Zusammenhang mit „Polonium 210“ und „Beryllium“ erfolgt. Hinweise auf die Nutzung des Laptops durch andere Familienmitglieder hätten sich nicht ergeben.
193Auf dem im Rahmen der Durchsuchung vom 16.05.2018 im Keller des Wohnhauses des Angeklagten sichergestellten Laptop Marke HP (Spur 85 / Asservat Nr. 8) seien zwei Suchanfragen mit Verfahrensrelevanz gefunden worden. So seien am 28.02.2016 zwei Suchanfragen mit dem Inhalt „methylquecksilber symptome“ und „methylquecksilberjodid“ festgestellt worden.
194gg)
195Dass in dem Umfang und zu den Zeitpunkten wie festgestellt Bestellungen von Chemikalien und Laborausrüstung auf den Namen des Angeklagten erfolgten, steht fest aufgrund der Angaben der Zeugen PHK Ii und X.. Diese haben die im Rahmen der Ermittlungen erfolgte Auswertung der im Wohnhaus des Angeklagten sichergestellten Rechnungen und Belege sowie des Email-Postfachs „x_x@arcor.de“ übereinstimmend geschildert. Danach seien die gesamten Bestellungen durch die Polizeibeamten der Mordkommission bei den Lieferanten ermittelt worden. Ebenso seien die Bestellungen über Ebay sowie die Bezahlvorgänge über PayPal festgestellt worden. Das Ermittlungsergebnis sei in der – im Rahmen der Hauptverhandlung verlesenen – Bestellliste zusammengefasst worden. X. hat zudem ergänzend angegeben, dass ausschließlich das Postfach „x_x@arcor.de“ genutzt worden sei, um Chemikalien und Laborapparaturen zu bestellen. Die ausgewerteten Emailverläufe in Bezug auf dieses Postfach hätten jeweils den Angeklagten als Besteller und Lieferungsempfänger ausgewiesen.
196hh)
197Es besteht auch kein Zweifel, dass dem Angeklagten die sichergestellte Literatur, die Bestellungen, Internetrecherchen und das Kellerlabor zuzurechnen sind.
198Dass die Kinder N. und P. B. insoweit ausscheiden, liegt auf der Hand.
199Die Kammer schließt aber auch K. B. sicher aus. Gegen K. B. spricht insbesondere, dass es sich bei den mit solchen Chemikalien wie aus dem Kellerlabor vergifteten Personen um die Arbeitskollegen des Angeklagten handelte (dazu noch später), die K. B. nicht einmal kannte. Weiter haben sich auch keinerlei Anhaltspunkte dafür ergeben, dass K. B. sich in irgendeiner Weise für Gifte und / oder chemische Experimente interessierte.
200Der Angeklagte führte hingegen bei seiner Festnahme im Betrieb Bleiacetat mit sich und wurde dabei gefilmt, wie er weißes Pulver, bei dem es sich – wie bereits dargestellt – um Bleiverbindungen handelte, auf die Pausenbrote seines Arbeitskollegen D. streute.
201Zudem wurde der Angeklagte von den Zeuginnen J., L. und V. übereinstimmend als „Tüftler“ beschrieben, der sich – so die Zeugin J. – für Naturwissenschaften interessierte und in monatelanger Arbeit ein Teleskop selber baute und – so die Zeuginnen L. und V. – für seinen Sohn ein aufwendiges Baumhaus selbst baute. Zudem hat die Zeugin L. glaubhaft bekundet, dass ihr von K. B. erzählt worden sei, dass der Angeklagte regelmäßig im Keller bastele bzw. werke. Die Zeugin V. hat diese Angaben dahingehend ergänzt, dass der Angeklagte mit den Kindern häufig im Keller gewesen sei, um zu basteln und zu spielen. K. habe ihre Kinder deshalb auch schon mal „Kellerkinder“ genannt.
202ii)
203D. und E. haben in der Zeit ab Sommer 2016 mehrfach eine opaleszierende Verfärbung ihres Trinkwassers wahrgenommen, was typisch für eine Vermischung des Wassers mit Bleisalzen ist.
204(1)
205Der Zeuge D. hat glaubhaft bekundet, dass er bereits im Sommer 2016, als er mit dem Zeugen E. zusammen einen Kaffee getrunken habe, nach dem Trinken aus der von ihm mitgebrachten Wasserflasche festgestellt habe, dass das Wasser sehr süß sei. Er habe die Wasserflasche angeschaut und gesehen, dass weiße Flocken darin geschwommen seien. Er habe dies auf den zuvor getrunkenen Kaffee mit Milch geschoben, nochmals probiert und festgestellt, dass das Wasser tatsächlich süß geschmeckt habe. Danach habe er das Wasser weggeschüttet. Er habe davon auch dem Zeugen E. berichtet, dieser habe es ebenfalls seltsam gefunden. Seiner Erinnerung nach sei dies in der Folgezeit sechs- bis siebenmal geschehen. Teilweise habe er auch einen Bodensatz von bis zu 1 cm festgestellt. Die Wasserflasche habe immer direkt an seiner Werkbank gestanden.
206Die Zeugen E. und Y. haben die Angaben des Zeugen D. bestätigt. Beide haben bekundet, dass D. sie auf das trübe Wasser aufmerksam gemacht habe und das Wasser auch nach ihrer Wahrnehmung trüb gewesen sei. Der Zeuge E. hat zudem ausgesagt, dass er selbst zuvor auch schon festgestellt habe, dass auch sein eigenes Trinkwasser „milchig“ geworden sei. Er habe damals gemutmaßt, dass die Sonneneinstrahlung dafür verantwortlich gewesen sei. Das Wasser habe komisch geschmeckt.
207(2)
208Nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Cc. im Rahmen des von ihm erstatteten Gutachtens – denen die Kammer folgt – ist die von den Zeugen D. und E. beobachtete opaleszierende Verfärbung ihres Trinkwassers typisch für eine Vermischung des Wassers mit Blei.
209Der Sachverständige hat hierzu ein Experiment vorgenommen, bei dem er je sowohl mit der Bleisalzlösung im Asservat Lfd. Nr. xxx (Kunststofflasche „t. today Nagellackentferner“, Bleigehalt 0,18%) sowie einer aus dem Asservat Lfd. Nr. xxx (Glasschale mit weißer, kristalliner Substanz; Hauptbestandteil Bleiacetat) hergestellten Lösung mit einer Zielkonzentration von je 40 mg Blei je Liter jeweils Mineralwasser der Marke „Aqua Select“ (Aldi Süd), Mineralwasser „Gerolsteiner“ sowie Leitungswasser aus Düsseldorf dotierte. Während der Sachverständige den beschriebenen süßlichen Geschmack im Rahmen eines von ihm vorgenommenen Selbstversuchs – umspülen und gurgeln der Lösung aus dem Asservat Lfd. Nr. xxx mit Mineralwasser „Aqua Select“ (Aldi Süd) – nicht bestätigen konnte, stellte er direkt nach der Zugabe der Lösung des Asservats Lfd. Nr. xxx im Mineralwasser „Gerolsteiner“ und im Leitungswasser die auch in der Fachliteratur beschriebene opaleszierende Trübung fest. Weiter führte er aus, dass sich in geringerem Maße eben diese Trübung auch nach der Zugabe der Lösung aus der Flasche Asservat Lfd. Nr. xxx im Mineralwasser „Gerolsteiner“ gezeigt habe. Nach einstündiger Wartezeit seien keine merkbaren Veränderungen in der Trübung zu beobachten gewesen. Hingegen sei nach mehrstündiger Wartezeit die Trübung jeweils zurückgegangen. Die unterschiedlichen Trübungsgrade ließen sich aufgrund des unterschiedlichen Gehalts der Wasser an Kohlensäure und Carbonaten erklären.
210Zu den in Augenschein genommenen Bildern auf den Seiten 45 bis 49 des schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen vom 16.01.2019 (Gutachtenband I) – auf die wegen der Einzelheiten gemäß § 267 Abs. 1 S. 3 StPO Bezug genommen wird – hat der Zeuge D. bekundet, dass nach seiner Erinnerung das Trinkwasser damals eine solche opaleszierende Trübung aufgewiesen habe.
211jj)
212Dass D. in der Vergangenheit Blei und Cadmium aufgenommen hat, steht fest aufgrund der überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. Mm, Leiter der forensischen Toxikologie des Instituts für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums I..
213Dieser hat die am 31.05.2018 gesicherte Blut- und Urinprobe von D. forensisch-toxikologisch auf die Aufnahme von Schwermetallen begutachtet. In seiner Gutachtenerstattung hat der Sachverständige insoweit insbesondere folgendes ausgeführt:
214Anteile der Blut- und Urinprobe seien zur Untersuchung auf die Elemente Blei, Cadmium, Quecksilber, Thallium und Arsen an das Labor MVZ Medizinisches Labor D. GmbH geschickt worden. Dort seien die Analysen mittels ICP-MS-Technik bzw. mittels Atomfluoreszenzspektrometrie erfolgt. Außerdem sei in den Urinproben der Kreatiningehalt bestimmt worden.
215Hinsichtlich der Proben des Zeugen D. hätten sich folgende Werte ergeben:
216Untersuchungs-material |
Blei [μg/L] |
Cadmium [μg/L] |
Quecksilber [μg/L] |
Thallium [μg/L] |
Arsen [μg/L] |
Kreatinin [mg/dL] |
Blut |
130 |
1,8 |
0,5 |
<0,2 |
<1,0 |
|
Urin |
1,0 |
0,3 |
<0,1 |
<0,2 |
1,5 |
39 |
Zur Beurteilung einer Belastung durch Schwermetalle könnten verschiedene Referenzwerte herangezogen werden.
218Von der Kommission Human-Biomonitoring am Umweltbundesamt seien Referenzwerte für Blei, Cadmium und Quecksilber im Vollblut veröffentlicht worden, die die Beurteilung der Belastung von einzelnen Personen im Vergleich zur Grundbelastung der Bevölkerung ermöglichen würden. Diese Referenzwerte stellten eine statistische Größe dar. 95 % der Messwerte einer Substanzkonzentration in dem entsprechenden Probenmaterial einer Referenzpopulation lägen innerhalb dieses Referenzbereichs. Diese Referenzwerte stellten sich wie folgt dar:
219Blei |
Cadmium |
Quecksilber |
|
Männer |
90 μg/L |
||
Erwachsene |
1,0 μg/L |
2,0 μg/L |
Zu dem Blei-Referenzwert von 90 μg/L sei allerdings anzumerken, dass dieser aus der Zeit stamme, als Blei (Tetraethylblei) noch als „Antiklopfmittel“ für Ottokraftstoffe eingesetzt und infolgedessen von der Bevölkerung eingeatmet worden sei. Aufgrund seiner toxischen Wirkung werde dieses aber in Deutschland seit Mitte der 1990er Jahre gar nicht mehr verwendet.
221Eine weitere Möglichkeit zur Beurteilung von Substanzkonzentrationen würden die Human-Biomonitoring-Werte (HBM-Werte) liefern. Diese würden auf der Grundlage von toxikologischen und epidemiologischen Untersuchungen abgeleitet. Dabei stelle der HBM-I-Wert einen sogenannten Prüf- oder Kontrollwert dar, bei dessen Überschreitung der möglichen Belastungsquelle nachgegangen werden solle und weitere Kontrolluntersuchungen erfolgen sollten. Bei Überschreitung des HBM-Il-Wertes erscheine bereits eine gesundheitliche Beeinträchtigung möglich. Aus arbeitsmedizinischer Sicht bestehe dann akuter Handlungsbedarf. Die HBM-Werte stellten sich wie folgt dar:
222Cadmium |
Quecksilber |
Thallium |
|
Erwachsene, Urin |
HBM-I: 1,0 μg/L HBM-II: 4,0 μg/L |
HBM-I: 5 μg/L Kreatinin HBM-II: 20 μg/L Kreatinin |
HBM-I: 5 μg/L |
Erwachsene, Blut |
HBM-I: 5 μg/L HBM-II: 15 μg/L |
Von der Kommission Human-Biomonitoring seien zur Erkennung einer Schwermetallbelastung über den Urin zudem folgende weitere Referenzwerte genannt worden:
224Cadmium |
Quecksilber |
Thallium |
Arsen |
|
Erwachsene |
0,8 μg/L (nicht aktiver Raucher) |
1,0 μg/L |
0,5 μg/L |
15 μg/L (Personen ohne Fischverzehr) |
Unter Berücksichtigung sämtlicher oben genannten Referenzwerte seien die Werte für Blei und Cadmium in der Blutprobe von D. auffällig erhöht. Bei dem Zeugen D. sei von einer Exposition mit Blei und Cadmium in der Vergangenheit auszugehen. Dass die Konzentration von Cadmium lediglich im Blut, nicht aber im Urin erhöht sei, stehe dem nicht entgegen. Zur Beurteilung einer Cadmium-Exposition stelle die Blutprobe das geeignetere Untersuchungsmaterial dar, weil sie einen längeren Rückblick als Urinproben gewähre. Außerdem zeige die als niedrig zu bewertende Konzentration an Kreatinin in der Urinprobe einen wenig konzentrierten Urin, z. B. verursacht durch eine größere Trinkmenge im Vorfeld der Urinabgabe, an, was wiederum die Aussagekraft schwäche.
226Die Ausführungen des Sachverständigen Dr. Mm waren nachvollziehbar und überzeugend. Er ist bei seiner Gutachtenerstattung auch von zutreffenden Tatsachen ausgegangen. Die Kammer hatte daher keine Veranlassung, an der Korrektheit des von ihm gefundenen Ergebnisses zu zweifeln.
227kk)
228Schließlich steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass D. unter einem dauerhaften Nierenschaden als Folge einer Vergiftung mit Blei und Cadmium leidet.
229Die Feststellungen zu der Erkrankung, dem Krankheitsverlauf und den weiteren Krankheitsfolgen bei dem Zeugen D. beruhen auf seinen eigenen glaubhaften Angaben, den Angaben seiner behandelnden Nierenärztin Dr. Nn, Leitende Ärztin der Abteilung für Nephrologie und Diabetologie im Oo, sowie auf dem Gutachten des rechtsmedizinischen und toxikologischen Sachverständigen Prof. Dr. Ee..
230(1)
231Wie auch bei seiner übrigen Aussage hat D. die ihn treffenden Tatfolgen weder besonders gravierend, dramatisierend oder in sonstiger Weise mit Belastungstendenz geschildert. Die Kammer hat keine Zweifel an der Richtigkeit seiner Darstellung.
232(2)
233Seine Angaben stehen auch im Einklang mit den Angaben der sachverständigen Zeugin Dr. Nn. Diese hat im Rahmen ihrer Vernehmung das Krankheitsbild, den Krankheitsverlauf und die weiteren Folgen der dauerhaften Nierenerkrankung so wie festgestellt geschildert. Sie hat dabei insbesondere ausgeführt, dass die histologischen Untersuchungen der durch Punktion gewonnenen Gewebeproben ergeben hätten, dass die Nieren des Zeugen einen tubulointerstitiellen Schaden aufwiesen, der auf die Einnahme potentiell tubulotoxischer Substanzen zurückzuführen sei. Die bei dem Zeugen D. festgestellten Nebennierentumore seien nicht auf die Einnahme toxischer Substanzen zurückzuführen. Umgekehrt könne ausgeschlossen werden, dass die Vorerkrankung des Zeugen D. – der bestehende Gendefekt mit den hierdurch verursachten Nebennierentumoren – für den eingetretenen Nierenschaden verantwortlich sei. Zwar sei davon auszugehen, dass die Nieren deshalb empfindlicher auf toxische Stoffe reagieren würden, es müsse aber ein nierentoxischer Stoff von außen hinzugekommen sein. Die Wirkung nierentoxischer Stoffe habe zu einer dauerhaften Schädigung der Nieren geführt. Die zweite Nierenbiospie am 14.11.2017 habe einen chronischen Nierenschaden (40% des Kortex in der äußeren Nierenmedulla betreffend) ergeben. D. müsse daher auch in Zukunft aufgrund der Vergiftung mit gesundheitlichen Folgen rechnen. Nehme er etwa versehentlich einen Stoff auf, der bei einer gesunden Niere aufgrund ihrer Regenerationsfähigkeit nur vorübergehend zu einem Schaden führen würde, so müsse er nunmehr damit rechnen, dass sich seine vorerkrankten Nieren nicht mehr erholen und er gegebenenfalls dialysepflichtig werde. Weiter müsse der Zeuge dauerhaft starke körperliche Belastungen vermeiden. Auch von nur leichten Infekten sei ein endgültiges Versagen einer oder beider Nieren zu befürchten.
234(3)
235Dass es sich bei der Erkrankung um die Folge der Vergiftung des Zeugen D. mit Blei und Cadmium handelt und er diese Substanzen jeweils – zumindest einmal – vor den mehreren stationären Behandlungen wegen akuten Nierenversagens und – in geringerer Dosis – zuletzt im Zeitraum zwischen dem 12.02. bis 24.04.2018 aufgenommen hat, steht zur Überzeugung der Kammer fest aufgrund des Gutachtens des Sachverständigen Ee..
236Dieser hat zunächst allgemein zu den Symptomen, die sich bei einer Vergiftung durch die Aufnahme von Bleiacetat (z.B. Asservat xx.x bzw. Lfd. Nr. xxx) oder durch die Aufnahme von Cadmium- (und Nickel-)Salzen (z.B. Asservat xx bzw. Lfd. Nr. xxx) zeigen, folgendes ausgeführt:
237Die Giftwirkung des Bleis beruhe vorrangig auf seiner Reaktion mit SH-Gruppen von Proteinen bzw. der Verdrängung essenzieller Elemente (hier wohl vorwiegend das Calcium-Ion in für den Transport von Calcium wichtigen Enzymsystemen) und der Inaktivierung der entsprechenden Enzyme. Dies führe dazu, dass sehr viele Organe oder Organsysteme in ihren Funktionen bei einer Bleivergiftung eingeschränkt oder verändert seien. Im Vordergrund stünden die Funktionsstörungen
238- des blutbildenden Systems, mit der Folge, dass es zu der typischen Blutarmut (Anämie) komme (Pb-Blut-Konzentrationen meist oberhalb 200-500 μg/L - Blei-Ionen hemmten die für die Biosynthese notwendige Delta-Aminolävulinsäure-Dehydratase = ALAD),
239- der Nieren (die Ausscheidung harnpflichtiger Substanzen wie zum Beispiel Kreatinin verschlechtere sich; dieser Effekt werde offenkundig durch Cadmium oder Bluthochdruck noch verstärkt),
240- des Herz-Kreislauf-Systems (Anstieg des Blutdrucks in Abhängigkeit von der Höhe der Pb-Blut-Konzentration)
241- und des Nervensystems, mit Symptomen wie Gedächtnisschwäche, Schlaflosigkeit, Kopfschmerzen, Schwindel, Seh- und Hörstörungen, Muskelstörungen.
242Typische Symptome einer akuten Vergiftung durch orale Aufnahme von zum Beispiel Bleiacetat seien Bauchkrämpfe (Koliken), Übelkeit, Erbrechen und Verstopfung. Durch die Blutarmut komme es zu einer Minderversorgung der Organe mit Sauerstoff und den dadurch erklärbaren Symptomen wie Müdigkeit, Mattigkeit, leichte körperliche Erschöpfung, Konditionsmangel usw. Es werde ein allgemeines Krankheitsgefühl beklagt und es zeige sich eine deutliche Blässe (sogenannte "Bleiblässe", wohl hervorgerufen durch Kapillarspasmen) des Gesichtes. Bei der Überprüfung der Patientenakten könnten daher folgende regelmäßig ärztlicherseits erhobenen Daten/Laborwerte hinweisgebend für die Diagnose einer möglichen Intoxikation mit Bleiverbindungen genutzt werden: vom Patienten geschilderte Symptome, erniedrigte Hämoglobinwerte (einschließlich Hämatokrit und Anzahl der roten Blutkörperchen, die Aktivität der ALAD werde im klinischen Alltag meist nicht bestimmt), erhöhte Kreatininwerte und erhöhte Blutdruckwerte; hierbei sei zu prüfen, ob sich die Befunde nicht vollumfänglich durch eine diagnostizierte Krankheit erklären ließen. Wichtig sei der Nachweis erhöhter Blei-Blut-Konzentrationen, um das Vorliegen einer Intoxikation sicher zu belegen. Bleiverbindungen würden für den Menschen als krebserzeugend der Kategorie 2) angesehen, da durch Ergebnisse aus Tierversuchen davon auszugehen sei, dass sie einen nennenswerten Beitrag zum Krebsrisiko leisteten. Anzumerken sei, dass akute Bleivergiftungen in Deutschland seit Jahrzehnten derart selten seien, dass der Sachverständige zur Gutachtenerstattung auf sehr alte Literatur und Fallbeispiele aus Entwicklungsländern habe zurückgreifen müssen.
243Auch das Bild der Cadmiumvergiftung sei gekennzeichnet durch Funktionseinbußen zahlreicher Organe. Bei einer oralen Aufnahme des Cadmiumsalzes würden sich zunächst Reaktionen des Magen-Darm-Traktes (Übelkeit, kolikartige Schmerzen, Brech-Durchfall, Kopfschmerzen) wie bei einer Magen-Darm-Entzündung („Magen-Darm-Grippe“) zeigen. Sobald eine ausreichende Menge aus dem Magen-Darm-Trakt resorbiert worden sei, komme es insbesondere zu Nierenfunktionsstörungen; die Niere stelle das empfindlichste Organ für Cadmium dar. Die Resorptionsraten unterlägen großen interindividuellen Unterschieden, lägen aber meist unter 10 %. Dennoch seien schwere bis schwerste Vergiftungen bereits nach der Einnahme von nur 10 bis 350 mg beobachtet worden. Vergiftungen durch die orale Aufnahme von Cadmiumsalzen seien bisher nur sehr selten beobachtet bzw. in der Literatur beschrieben worden, sodass nur wenige Erfahrungswerte auch hinsichtlich des klinischen Verlaufes vorlägen. Meist komme es bei schweren Vergiftungen zu einem akuten Nierenversagen. Bei einer Verabreichung einer Probe von Asservat xx (bzw. Lfd. Nr. xxx) wäre zu berücksichtigen, dass es offenkundig durch chemische Aufbereitung des in Nickel-Cadmium-Akkus enthaltenen Cadmiums, welches zumindest mit Nickel kontaminiert gewesen sei, entstanden sei. Somit wäre bei Verabreichung dieses Pulvers auch die Wirkung (zumindest) der Nickelverbindung zu hinterfragen. Auch Nickel führe zu Nierenschäden, sodass bei einer Mischung von Cadmium- und Nickelsalz ein additiver Effekt angenommen werden könne. Darüber hinaus sei bei einer Nickelsalz-Vergiftung eine Beeinträchtigung des Glukosestoffwechsels zu beobachten, sodass es zu einem Anstieg des Blutzuckers kommen könne. Bei der Überprüfung der Patientenakten könnten daher folgende regelmäßig ärztlicherseits erhobene Daten/Laborwerte hinweisgebend für die Diagnose einer möglichen Intoxikation mit Cadmium-(/Nickel-)Verbindungen genutzt werden: vom Patienten geschilderte Symptome und die zu erwartenden erhöhten Kreatininwerte als Zeichen der Nierenschädigung. Nicht in der Literatur beschrieben werde die für die Bleivergiftung typische Anämie, sodass die Hämoglobin- und Hämatokrit-Werte nicht stark erniedrigt seien, zumindest aber auf die Gabe von Erythropoetin (EPO) gut ansprechen würden.
244Ausgehend von dem Inhalt der Verfahrensakte nebst Beiakten, der sichergestellten Bücher, Aufzeichnungen und Ausdrucke, den Patientenunterlagen aus der Praxis des Hausarztes Dr. Pp, der Krankenakte des Oo. sowie den während der Hauptverhandlung gewonnenen Erkenntnissen hat der Sachverständige umfassend und überzeugend zu der Erkrankung D.s, dem Krankheitsverlauf (unter besonderer Hervorhebung der Hämoglobin-, Hämatokrit- und Kreatininwerte), den weiteren Folgen und insbesondere der Krankheitsursache Stellung genommen. Er hat insoweit zusammengefasst folgendes ausgeführt:
245Nach der Auswertung der Krankenakten und den Angaben der zum Krankheitsverlauf gehörten Nierenärztin Dr. Nn stehe fest, dass die bei D. weiterhin bestehende Nierenerkrankung Folge der schädlichen Wirkung verschiedener seinem Körper zugeführter Fremdstoffe sei. Die Untersuchungen der am 16.05.2018 und 30.05.2018 entnommenen Blutproben wiesen erhöhte Konzentrationen an Blei (93,7 μg/L und 130 μg/L) sowie Cadmium (1,8 μg/L) auf. Diese Befunde könnten als Beleg für eine Aufnahme von Blei- und Cadmiumverbindungen gewertet werden. Derartige Verbindungen seien unter anderem nierentoxisch. Cadmium werde in den Nierentubuli rückresorbiert und in den Nieren deponiert. Sie blieben daher lokal sehr lange wirksam, weshalb von Cadmium eine erhöhte Nierentoxizität ausgehe. Unter anderem wegen der bestehenden Vorerkrankung bei D. sei die Erkenntnis zu berücksichtigen (vgl. WHO 2001 – Monographie zu Blei), dass die nierentoxische Wirkung des Bleis durch Bluthochdruck und auch in Kombination mit Cadmium durchaus verstärkt werden könne. So könnten auch Essgewohnheiten, Körpergewicht und gewöhnliche Erkrankungen wie ein grippaler Infekt Auswirkungen darauf haben, wie schnell und in welcher Menge Blei im Körper aufgenommen werde.
246Der Zeuge D. habe bei seiner Krankenhauseinweisung am 21.04.2017 erhöhte Blutdruckwerte aufgewiesen, die auf den bei ihm festgestellten Tumor zurückgeführt werden könnten. Er müsse seit dieser Zeit mehrere blutdrucksenkende Medikamente einnehmen, insbesondere auch zum Schutz seiner Nieren vor weiteren Schäden. Es sei aus toxikologischer Sicht naheliegend, dass die Nieren von D. besonders empfindlich auf nierentoxische Stoffe reagieren würden. Deshalb könnten auch kleinere Mengen an Blei- oder Cadmiumverbindungen die Nieren schwer schädigen. Dies gelte es bei der Bewertung der Ergebnisse der toxikologischen Analysen zu beachten.
247Es stelle sich die Frage, ob es möglich sei, den Zeitpunkt oder die Zeitpunkte der Aufnahme von Blei und Cadmium einzugrenzen. Die vom Qq. Landeskriminalamt segmentweise durchgeführte Untersuchung der am 30.05.2018 genommenen Haarprobe von D. auf erhöhte Metallkonzentrationen – zu der das Gutachten vom 04.02.2019 des Sachverständigen Dr. Rr., Chemiedirektor im Kriminaltechnischen Institut beim Qq. Landeskriminalamt, im Rahmen der Hauptverhandlung verlesen wurde (ausführlich zu den Untersuchungsmethoden und Referenzwerten unten in Bezug auf E.) – führe diesbezüglich zu keinen, zumindest zu keinen klaren Erkenntnissen. Es hätten sich danach folgende Werte ergeben:
248Beim Blei zeige sich in den Haaren eine leichte Zunahme der Konzentration mit dem Alter der Haare. Es fänden sich aber keine Konzentrationsspitzen in einzelnen Segmenten, sodass vermutet werden müsse, dass die wesentliche Menge an Blei sich bereits längere Zeit (d. h. vor Beginn des Wachstums des ältesten, kopffernen Segmentes) im Körper des Zeugen D. befunden habe. Die Haarbefunde seien somit mit einer Blei-Aufnahme vor 2018 vereinbar. Gleiches könnte auch für das Cadmium gelten, welches nicht in den Haaren gefunden worden sei. Der negative Befund für Cadmium in den Haaren bei gleichzeitig positivem Befund im Blut deute darauf hin, dass das von dem Zeugen D. aufgenommene Cadmium nur unzureichend in das Haar eingelagert worden sei. Die ohne Kenntnis der Sachverhalte durch den Sachverständigen Dr. Rr. geäußerte Vermutung, dass das Cadmium eventuell erst kurze Zeit (wenige Tage) vor der Haarentnahme aufgenommen worden sei, weshalb es noch nicht im Haar nachweisbar gewesen sei, mache aus Sicht des Sachverständigen Ee. keinen Sinn. Außerdem passe dieses Szenario nicht zu dem negativen Urinbefund für Cadmium. Bei einer akuten Einnahme wäre auch im Urin des Zeugen D. ein Befund, der eine Cadmium-Belastung anzeige, zu erwarten gewesen. Eine schlechte Einlagerung des aufgenommenen Cadmiums in das Haar würde die sehr niedrigen Cadmium-Werte im Haar von E. ebenfalls erklären (siehe unten).
250Eine weitere Möglichkeit, den Zeitpunkt einer Aufnahme einzugrenzen, bestehe darin, die Krankenakten dahingehend zu prüfen, wann bestimmte Symptome aufgetreten seien und wann sich Änderungen an bestimmten klinischen Laborparametern gezeigt hätten. Nach einer akuten Aufnahme einer gesundheitsschädlichen Menge eines Blei- oder Cadmiumsalzes sei zunächst mit nicht unerheblichen Magen-Darm-Beschwerden zu rechnen. Komme es zu einer Resorption dieser Verbindungen, müsse mit Funktionseinbußen sämtlicher Organe gerechnet werden. Diese könnten jedoch so wenig ausgeprägt sein, dass sie nicht als dominant bzw. krankhaft vom Betroffenen gewertet würden. Nach Aufnahme dieser Stoffe würden sich am klarsten Veränderungen des blutbildenden Systems und der Nierenfunktion zeigen. Stellvertretend hierfür seien vorliegend die Laborparameter Hämoglobin und Hämatokrit für das blutbildende System und Kreatinin für die Nierenfunktion ausgewählt und die Krankenakten entsprechend ausgewertet worden. Als Referenzbereich sei auszugehen bei Hämoglobin von 14,0-18,0 g/dL, für Hämatokrit von 0,42-0,5 L/L und bei Kreatinin von 0,6 und 1,2 mg/dL. Zusätzlich sei geprüft worden, ob von dem Zeugen D. über kolikartige Schmerzen und ungewöhnliche Verstopfung (solche würden insbesondere bei einer Bleivergiftung beobachtet) berichtet worden sei, ob es zu körperlichen und gegebenenfalls auch geistigen Leistungseinbußen gekommen sei oder ob andere Symptome dokumentiert worden seien, die beispielsweise auf eine mögliche neurotoxische Wirkung hindeuteten. Die älteren Befunde aus den Krankenakten zu D. aus den Jahren 2005 bis 2014 seien sämtlich unauffällig. Für den Zeitraum 2015 bis März 2017 lägen keine relevanten ärztlichen Befunde vor. Für den 30.03.2017 seien erstmals Symptome dokumentiert, die sich durch eine Aufnahme von Blei erklären ließen. So habe D. über Übelkeit, Bauchschmerzen und Verstopfung geklagt. Auch habe er zu diesem Zeitpunkt einen Einbruch seiner Leistungsfähigkeit festgestellt. Durch die Untersuchung auf Kreatinin sei dann am 21.04.2017 festgestellt worden, dass es zu Einbußen der Nierenfunktion gekommen sei. Dass es zu diesem Zeitpunkt noch nicht zu einer Blutarmut (Anämie) gekommen sei, spreche nicht gegen eine Blei-Intoxikation, da dies oft erst bei sehr hohen Bleikonzentrationen im Blut beobachtet werde. Es könne aber ebenso eine Mischintoxikation durch Aufnahme kleinerer Mengen unter anderem nierentoxischer Stoffe vorgelegen haben.
251Wann und in welcher Form der Zeuge D. gesundheitsschädliche Stoffe aufgenommen habe, habe im Rahmen der Hauptverhandlung für den Zeitraum 2016 bis März 2018 nicht konkretisiert werden können. D. habe darüber berichtet, dass sein Wasser im Sommer 2016 mehrmals milchig-trüb gewesen sei. Die Rekonstruktionen durch den Sachverständigen Cc. hätten ergeben, dass bereits vergleichsweise geringe Mengen an Bleiacetat, welches zu Mineralwasser gegeben werde, zu einer Opaleszenz führen würden, die milchig-trüb aussehe. Sollte D. ein bleiacetathaltiges Wasser im Sommer 2016 getrunken haben, so müssten danach nicht zwingend für ihn erkennbare Störungen seines Gesundheitszustandes aufgetreten sein, wenn die hierbei aufgenommene und resorbierte Dosis vergleichsweise gering gewesen sei. Somit spreche das Fehlen von Vergiftungssymptomen nicht gegen die Annahme, dass das Wasser mit Bleiacetat versetzt gewesen sei. Da Blei im Körper eingelagert und dann nur sehr langsam eliminiert werde, dürfe dennoch eine solche asymptotisch bleibende Aufnahme bei der toxikologischen Gesamtbewertung nicht unberücksichtigt bleiben. Die später Ende März 2017 beobachteten Symptome wären jedoch durch diese Bleiaufnahme im Sommer 2016 nicht erklärbar. Somit müsse es danach und vor dem 30.03.2017 zumindest ein weiteres Ereignis gegeben haben, um die dann bei dem Zeugen D. festgestellte Symptomatik aus toxikologischer Sicht erklären zu können. Durch Fortbildung bedingt, habe D. in der Zeit vom 21.04. bis 03.10.2017 – wie die in der Hauptverhandlung auszugsweise verlesene Anwesenheitsliste der Firma B. bestätigt – nicht gearbeitet. Der letzte Laborbefund aus diesem Zeitabschnitt stamme vom 29.09.2017 und weise einen Hämoglobinwert von 13,6 g/dL und einen Kreatininwert von 1,75 mg/dL auf, was dafür spreche, dass in dieser Zeit keine toxischen Stoffe zugeführt worden seien. Am 13.11.2017 habe sich der Zeuge D. in der zentralen Notaufnahme vorgestellt, da er über starke, wiederkehrende Rückenschmerzen und Kraftminderung geklagt habe und sich habe erbrechen müssen. Die Untersuchung seiner Blutprobe habe einen stark erhöhten Kreatininwert von 8,48 mg/dL aufgewiesen, sodass von einer Aufnahme eines oder mehrerer nierentoxischer Stoffe in der Zeit zwischen dem 29.09. und 13.11.2017 auszugehen sei. Da auch der Hämoglobin- und Hämatokrit-Wert in den Folgetagen stark gesunken sei (am 17.11.2017 sei der bis dahin niedrigste Wert für Hämoglobin mit 11,2 g/dL und für Hämatokrit mit 0,317 L/L gemessen worden), könne es zu einer Aufnahme einer hohen Menge eines Bleisalzes bzw. Aufnahme eines Cadmiumsalzes gekommen sein. Aufgrund der Nierenschädigung und eines hierdurch bedingten Mangels an Erythropoetin (EPO) könne es auch zu einer sogenannten renalen Anämie gekommen sein. Bei der histologischen Untersuchung des Nierenpunktates sei wiederum festgestellt worden, dass die Schädigung des Nierengewebes auf toxische Stoffe zurückzuführen sei. Das Kreatinin habe sich im Verlauf der Behandlung wieder auf Werte zwischen 2,34 mg/dL am 27.12.2017 und 2,7 mg/dL am 12.02.2018 erholt. Der Hämoglobinwert habe am 12.02.2018 bei 12,2 g/dL und das Hämatokrit bei 0,354 L/L gelegen. Bei den Laboruntersuchungen am 24.04.2018 und 07.05.2018 habe sich dann erneut ein deutlicher Abfall des Hämoglobins auf 9,2 g/dL (Hämatokrit 0,276 bzw. 0,284 L/L) und ein Anstieg des Kreatinins auf über 4 mg/dL (4,32 und 4,55) gezeigt. Es sei nach diesen Befunden davon auszugehen, dass es nach dem 12.02.2018 und vor dem 24.04.2018 erneut zu einer Aufnahme der nephrotoxischen Stoffe Blei- und Cadmiumsalze gekommen sei.
252Insgesamt könnten keine Feststellungen zu der jeweils konkret aufgenommenen Dosis getroffen werden. Anhand der Symptome von D. könne aber sicher gesagt werden, dass es sich um wirksame Mengen gehandelt habe.
253Wieso diese Aufnahme(n) nicht durch die Haaranalyse habe(n) aufgedeckt werden können, sei nicht vollständig erklärbar. Vermutlich seien die aufgenommenen Mengen zwar ausreichend hoch, um die bereits erkrankten Nieren zusätzlich zu schädigen, jedoch nicht hoch genug, damit dies bei der Haaranalyse eindeutig durch Konzentrationsänderungen von Segment zu Segment erkennbar werde.
254Anhaltspunkte für eine (zusätzliche) Intoxikation des Zeugen D. mit einer organischen Quecksilberverbindung bestünden hingegen nicht. D. zeige nicht die dann zu erwartenden neurotoxischen Symptome, und die Untersuchung von Blut, Urin und Haaren auf Quecksilber habe zudem zu unauffälligen Befunden geführt.
255Eine zusätzliche Intoxikation mit einem der anorganischen Quecksilbersalze, wie sie in den Asservaten aus dem Keller gefunden worden seien, wäre jedoch mit den von dem Zeugen D. gezeigten Symptomen ebenfalls vereinbar. Bei einer derartigen Intoxikation komme es zu Magen-Darm-Beschwerden (Erbrechen, Durchfall), Entzündungen der Schleimhäute und Schädigung der Nieren. Zu schweren Schäden der Nieren würde auch eine Vergiftung mit Orellanin, dem Wirkstoff des Pilzes „Orangefuchsiger Raukopf“, führen. Ein sicherer Nachweis einer solchen Vergiftung könne jedoch nicht geführt werden.
256Vielmehr sprächen der auf die Aufnahme toxischer Stoffe zurückführbare Nierenschaden, die von D. gezeigte Symptomatik und der Nachweis erhöhter Konzentrationen an Blei und Cadmium in seinem Blut dafür, dass er an einer Vergiftung durch Blei und Cadmium erkrankt sei. Eine Aufnahme weiterer nierentoxischer Stoffe sei jedoch nicht ausschließbar.
257Auch die Ausführungen des Sachverständigen Ee. waren nachvollziehbar und überzeugend. Er ist bei seiner Gutachtenerstattung von zutreffenden Tatsachen ausgegangen. Zudem hat er auch die Befunde aus den Patientenunterlagen, der Krankenakte sowie die Ergebnisse der Gutachten der Sachverständigen Dr. Mm und Dr. Rr. zu den Blut-, Urin- und Haaruntersuchungen miteinbezogen und für die Kammer stimmig erläutert. Die Kammer hatte keine Veranlassung, an der Korrektheit des von ihm gefundenen Ergebnisses zu zweifeln.
258ll)
259Die Arbeits-, Urlaubs- und Krankheitszeiten von D., E., F. und des Angeklagten in der Zeit ab Januar 2015 bis Mai 2018 hat der als Zeuge vernommene KHK Ii, der im Rahmen der Ermittlungen die Daten der Zeiterfassung der Firma B. seit dem 01.01.2015 bis zum 31.05.2018 ausgewertet hat, zusammengefasst dargestellt. Auszugsweise sind Anwesenheitslisten in der Hauptverhandlung verlesen worden.
260mm)
261Aus der Gesamtschau der zuvor dargestellten belastenden Indizien zieht die Kammer den sich aufdrängenden Schluss, dass der Angeklagte D. mindestens zweimal Blei- und Cadmiumverbindungen verabreichte (Fälle 8 und 9) und dies in der Folgezeit nochmals versuchte (Fall 10).
262Dabei sind bereits einzelne Indizien nicht durch Zufälle zu erklären, was insbesondere für das gefilmte Bestreuen der Brote mit weißem Pulver durch den Angeklagten oder den Umstand gilt, dass auf eben diesen Broten Bleiacetat festgestellt wurde und der Angeklagte am Tag seiner Festnahme dazu passendes Bleiacetat bei sich führte. In der Häufung und Aneinanderreihung der Indizien schließt die Kammer bloße Zufälle oder etwa die Tatbegehung durch eine andere Person als den Angeklagten aus.
263Auf Grundlage der Gesamtwürdigung der vorgenannten Indizien ist die Kammer folgendermaßen zu den unter II. 2. c) aa) bis cc) dargestellten Feststellungen zu Täterschaft, Tatort und -zeit, Tathandlung und Vorsatz gelangt:
264Es war festzustellen, dass der Angeklagte D. in den Räumlichkeiten der Firma B. in der Zeit zwischen spätestens Anfang 2017 und vor Ende Februar / Anfang März 2017 sowie in der Zeit nach dem 03.10.2017 und vor dem 13.11.2017 in jeweils mindestens einem Fall Blei- und Cadmiumverbindungen verabreichte.
265Die Tatzeiten hat die Kammer auf der Grundlage des Gutachtens des Sachverständigen Ee. anhand der Arbeits-, Urlaubs- und Krankheitszeiten von D. und des Angeklagten einerseits und dem Krankheitsverlauf des Zeugen D. andererseits eingegrenzt. Es zeigte sich, dass bei Abwesenheit des Zeugen D. vom Arbeitsplatz eine Verbesserung der gesundheitlichen Situation und nach Rückkehr zeitnah wieder eine Verschlechterung eintrat. Den jeweiligen Aufnahmen der toxischen Substanzen folgten jeweils Krankenhausaufenthalte des Zeugen D. wegen akuten Nierenversagens. Ein anderer Tatort als die Räumlichkeiten der Firma B. scheidet aus Sicht der Kammer schon deshalb aus, weil der Angeklagte und D. außerhalb der Arbeitsstätte keinerlei Kontakt pflegten. Hinzu kommt, dass der Angeklagte jedenfalls am 14. und 15.05.2018 in diesen Räumlichkeiten während der Arbeitszeit beim Vergiften der Pausenbrote des D. gefilmt wurde. Zudem kam es zu den Ereignissen eines akuten Nierenversagens gerade nicht in den Zeiten, in denen D. länger nicht in der Firma war, etwa weil er an einer Fortbildungsmaßnahme teilnahm. So erfolgte in der Abwesenheitszeit vom 21.04. bis 03.10.2017 vielmehr eine Stabilisierung seiner Werte (Hämoglobin, Hämatokrit und Kreatinin) und nur kurze Zeit nach seiner Rückkehr zur Arbeitsstelle im Oktober 2017 erlitt der Zeuge D. erneut ein akutes Nierenversagen.
266Die konkrete Verabreichungsform konnte die Kammer nicht feststellen. Am wahrscheinlichsten ist, dass der Angeklagte auch in diesen Fällen die mitgebrachten Lebensmittel – die Pausenbrote und / oder das Trinkwasser – des Zeugen D. mit Blei- und Cadmiumverbindungen versetzte. Hierfür spricht, dass der Angeklagte am 14. und 15.05.2018 so vorgegangen ist. Zudem hat D. in der Vergangenheit verschiedentlich eine opaleszierende Verfärbung seines Trinkwassers bemerkt, die typisch für eine Vermischung mit Blei ist. Sichere Feststellungen ließen sich aber insoweit nicht treffen.
267Dass auch in dem Fall zu II. 2. c) cc) der Feststellungen Cadmium neben Blei zur Anwendung kam, steht für die Kammer fest aufgrund des Gutachtens des Sachverständigen Ee., der anhand der Blutergebnisse vom 24.04.2018 und 07.05.2018 (in denen sich insbesondere ein Anstieg des Kreatinins auf über 4 mg/dL [4,32 und 4,55] gezeigt hatte) zu dem Ergebnis gelangte, dass auch das Nierengift Cadmium erneut aufgenommen wurde und das im Zeitraum nach dem 12.02.2018 und vor dem 24.04.2018. Diese Schlussfolgerung wird nicht in Zweifel gezogen durch den ausschließlichen Fund von Blei auf den sichergestellten Pausenbroten und den Umstand, dass der Angeklagte bei seiner Festnahme dazu passendes Bleiacetat, aber kein Cadmium bei sich führte. Vielmehr zieht die Kammer anhand des Ergebnisses des Gutachtens des Sachverständigen Ee. aufgrund der vorgenannten Blutwerte den Schluss, dass der Angeklagte an einem Tag im Zeitraum von spätestens ab Februar 2018 bis zum 15.05.2018 dem Zeugen D. neben Blei auch Cadmium verabreichte und der Zeuge D. dieses – in geringerer Dosis als in den Fällen zu II. 2. c) aa) und bb) – zu sich nahm.
268Dass der Angeklagte in allen drei Fällen zum Nachteil von D. mit direktem Verletzungsvorsatz handelte, schließt die Kammer maßgeblich aus dem Umstand, dass der Angeklagte sich durch Literaturbeschaffung und Internetrecherche intensiv gerade auch mit den Wirkungen der von ihm eingesetzten Gifte beschäftigt hatte. Er wusste insbesondere, dass gerade die Verabreichung der Cadmiumverbindungen eine Funktionseinbuße zahlreicher Organe, insbesondere einen dauerhaften Funktionsausfall der Nieren, und damit das Siechtum des Zeugen D. zur Folge haben konnte.
269Weiter zieht die Kammer hieraus den Schluss, dass der Angeklagte auch billigend in Kauf nahm, dass D. in Lebensgefahr geraten könnte. Dabei verkennt die Kammer nicht, dass in den Internetrecherchen keine Suchanfragen zu dem Thema Cadmium gefunden wurden. Jedoch zeigt die bei dem Angeklagten ebenfalls gefundene umfangreiche Literatur zu chemischen Fragen und insbesondere zu Schwermetallen, dass es sich bei den Internetrecherchen nicht um die einzige Erkenntnisquelle des Angeklagten handelte. Die Recherchen und Literatur belegen, dass der Angeklagte sich intensiv mit den von ihm verwendeten Substanzen auseinandersetzte, woraus die Kammer den Schluss zieht, dass er das auch in Bezug auf das Schwermetall Cadmium tat.
270Einen Tötungsvorsatz konnte die Kammer hingegen nicht feststellen. Dabei verkennt sie nicht, dass die offensichtliche Lebensgefährlichkeit einer Handlung – hier die Verabreichung von Cadmium mit der vorauszusehenden Folge eines unbehandelt tödlich endenden akuten Nierenversagens – für den Nachweis eines Tötungsvorsatzes einen Umstand von erheblichem Gewicht darstellt, sodass bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen der subjektive Tatbestand eines Tötungsdelikts sehr nahe liegt. Allerdings ist hier mit den Ausführungen des Sachverständigen Ee. zu berücksichtigen, dass Blei- und Cadmiumverbindungen in geringeren Dosen nicht kurzfristig tödlich wirken. Dass höhere Dosen verabreicht wurden, kann die Kammer nicht feststellen. Hiergegen spricht auch der Umstand, dass D. zumindest dreimal die Gifte aufgenommen hat, aber nicht gestorben ist. Langfristig könnten zwar auch die beigebrachten Gifte das Leben von D. verkürzen. Diese Wirkung sieht die Kammer aber als zu indirekt vermittelt, als dass daraus auf einen Tötungsvorsatz geschlossen werden könnte.
271c)
272Die Überzeugung, dass der Angeklagte – wie unter II. 2. a) aa) festgestellt – dem Zeugen E. zunächst in fünf Fällen Blei und dann – wie unter II. 2. a) bb) festgestellt – zumindest einmal Blei- und Cadmiumverbindungen verabreichte, hat die Kammer gewonnen, nachdem folgende Umstände erwiesen sind:
273aa)
274Hier sind zunächst sämtliche zu den Taten zum Nachteil von D. festgestellten Indiztatsachen ebenfalls anzuführen.
275Dabei ist insbesondere anzuführen, dass auch das von E. im Verlauf seiner Arbeitsschichten zu sich genommene Trinkwasser einen opaleszierenden Glanz aufwies.
276bb)
277Dass E. in der Vergangenheit Blei und Cadmium aufgenommen hat, steht fest aufgrund des Gutachtens des Sachverständigen Dr. Mm. Dieser hat die am 31.05.2018 gesicherte Blut- und Urinprobe von E. forensisch-toxikologisch auf die Aufnahme von Schwermetallen begutachtet.
278Zu den angewendeten Untersuchungsmethoden und den herangezogenen Referenzwerten wird auf die obigen Ausführungen Bezug genommen.
279Hinsichtlich der Probe von E. hat der Sachverständige folgende Werte festgestellt:
280Untersuchungs-material |
Blei [μg/L] |
Cadmium [μg/L] |
Quecksilber [μg/L] |
Thallium [μg/L] |
Arsen [μg/L] |
Kreatinin [mg/dL] |
Blut |
785 |
47,3 |
1,7 |
<0,2 |
1,1 |
|
Urin |
13,7 |
3,8 |
0,1 |
<0,2 |
2,3 |
37 |
Unter Berücksichtigung sämtlicher oben genannter Referenzwerte seien insbesondere die Werte für Blei und Cadmium bei E. auffällig. Der Bleiwert im Blut sei deutlich erhöht und Cadmium sei sowohl im Blut als auch im Urin auffällig. Der Sachverständige Dr. Mm kommt daher in seinem Gutachten zu dem Schluss, dass bei dem Zeugen E. eine Exposition mit Blei und Cadmium in der Vergangenheit vorgelegen haben müsse. Dass im Urin kein erhöhter Bleiwert festgestellt worden sei, sei dem Umstand geschuldet, dass der Urin keinen besonders langen Rückblick ermögliche. Der Bleigehalt des Harns schwanke zu stark in Abhängigkeit vom Flüssigkeitskonsum und von der Nierenfunktion. Letztlich eigne sich der Urin nur, um hoch akute Intoxikationen zu erkennen. Demgegenüber sei im Blut noch Monate bis Jahre später eine Exposition mit Blei nachweisbar. Zu berücksichtigen sei dabei allerdings, dass dieses vom Körper (maßgeblich über die Nieren) auch ohne Behandlung langsam ausgeschieden werde, weshalb die Werte – sofern keine erneute Aufnahme stattfinde – sänken. Hier sei aber wiederum zu berücksichtigen, dass die sich bildenden Bleidepots in den Knochen bei der bei E. eingesetzten Therapie gelöst würden und dann wieder den Bleiwert im Blut ansteigen ließen.
282Die Kammer hatte keine Veranlassung, an der Korrektheit des von dem Sachverständigen Dr. Mm gefundenen Ergebnisses zu zweifeln.
283cc)
284Dass sich auch in den Haaren von E. eine Belastung mit Blei zeigte, ergibt sich zur Überzeugung der Kammer aus dem verlesenen Gutachten vom 04.02.2019 des Sachverständigen Dr. Rr., Chemiedirektor beim Qq. Landeskriminalamt.
285Dieser hat in seinem schriftlichen Gutachten zunächst allgemein die Vorgehensweise bei den Untersuchungen und die Vergleichbarkeit der Ergebnisse von Haaruntersuchungen erläutert und insoweit insbesondere folgendes ausgeführt:
286Gegenstand seiner Beauftragung sei unter anderem die Untersuchung der Haarprobe von E. vom 30.05.2018 auf erhöhte Metallkonzentrationen, insbesondere auf Quecksilber- und Bleigehalte, um die bereits durchgeführten Blutproben zu verifizieren (s. hierzu das Gutachten des Sachverständigen Dr. Mm) und mögliche Aufnahmezeiträume der entsprechenden Metalle anzugeben.
287Um die Richtigkeit der Ergebnisse des analytischen Messverfahrens nachzuweisen, seien unter anderem Haare bekannter Elementkonzentrationen (sog. „zertifiziertes Standard-Referenzmaterial“) der gleichen Probenvorbereitungs- und Messprozedur unterworfen worden wie die untersuchten Haare. Da hierbei (innerhalb der zu tolerierenden Grenzen) durchweg die entsprechenden Zielgehalte gemessen worden seien, sei von der Eignung des Gesamtverfahrens für die genannte Aufgabenstellung auszugehen. Angesichts verschiedener Messmethoden und verschiedener Wasch- und Reinigungsprozeduren im Rahmen der Haaruntersuchungen sei der Vergleich von Daten erschwert. Gleichwohl seien von verschiedenen Forschergruppen „Normbereiche“ für viele toxikologisch und physiologisch relevante Elemente veröffentlicht, die sie aus Reihenuntersuchungen an Gesunden erhalten hätten. Erhaltene Messwerte würden üblicherweise mit diesen „Normbereichen“ verglichen: Gehalte toxikologisch relevanter Elemente, die deutlich über dem „Normbereich“ lägen, stellten danach einen Indikator für eine Exposition dar, Gehalte physiologisch relevanter Elemente, die deutlich unter dem „Normbereich“ lägen, einen Indikator für eine Mangelernährung. Zudem würden im Qq. Landeskriminalamt bei durchgeführten Haaruntersuchungen grundsätzlich (mit hoher Wahrscheinlichkeit unbelastete) Haare von Mitarbeitern des Kriminaltechnischen Instituts mitgemessen (hier: „Ss. [grau]“, „Tt. [dunkelbraun, rot gefärbt]“, „Uu. [dunkelbraun]“ und „Vv. [grau meliert]“), um „Normwerte“ unter den hier vorliegenden Messbedingungen zu erhalten. Hierbei seien durchaus auch regionale Besonderheiten wie etwa das Uran-haltige Wasser des Voralpenlandes zu berücksichtigen.
288Insgesamt seien danach folgende Referenzwerte anzusetzen:
289Da ein Stoff sowohl von innen über den Blutkreislauf in das Haar als auch von außen über eine Kontamination aus der Umwelt an das Haar gelangt sein könne, sei zur Abklärung des Haupt-Aufnahmewegs eine zusätzliche Messung des Elementgehalts der Waschlauge erfolgt, in der die Haare vor der Messung eingelegt worden seien. Da bei den Messwerten der Gehalt in der Waschlauge durchweg extrem niedrig gewesen sei, sei davon auszugehen, dass die genannten Elemente nicht oberflächlich anhaftend und damit leicht abwaschbar gewesen seien, sondern über den Blutkreislauf in das Haar eingelagert worden seien.
292Menschliches Kopfhaar habe eine Wachstumsgeschwindigkeit von etwa 0,6 cm bis 1,5cm pro Monat. Demnach würden korrelieren:
293- 1 cm Kopfhaare mit einem Zeitintervall von etwa drei bis sieben Wochen,
294- 1,5 cm Kopfhaare mit einem Zeitintervall von etwa vier bis zehn Wochen,
295- 2 cm Kopfhaare mit einem Zeitintervall von etwa fünf bis 13 Wochen,
296- 6 cm Kopfhaare mit einem Zeitintervall von etwa vier bis zehn Monaten,
297- 9 cm Kopfhaare mit einem Zeitintervall von etwa sechs bis 15 Monaten,
298- und 12 cm Kopfhaare mit einem Zeitintervall von etwa acht bis 20 Monaten.
299Organische Giftstoffe würden im Körper in der Regel innerhalb weniger Tage abgebaut. Sie befänden sich damit nur für eine begrenzte Zeit im Blutkreislauf und würden folglich auch nur innerhalb eines engen Zeitfensters in das Haar eingelagert. Metallatome oder -ionen hingegen könnten nicht weiter metabolisiert werden und verblieben daher relativ lange Zeit im Blutkreislauf. Nur langsam würden sie (vorwiegend über den Stuhl und den Urin) ausgeschieden. Dies habe zur Folge, dass auch bei einer nur kurzzeitigen Aufnahme von Metallatomen oder -ionen ein Teil davon über längere Zeit über die mit dem Blutkreislauf verbundene Haarwurzel in das Haar eingelagert werden könne. Aus analytischer Sicht sei somit der Beginn einer entsprechenden Aufnahme zwar relativ gut zu datieren, allerdings sei die Angabe des Aufnahme-Endes in der Regel deutlich unsicherer. Chronische Gaben kleinerer Mengen von Metallatomen oder -ionen könnten analytisch kaum von einer einmaligen Gabe unterschieden werden, da sich beide Szenarien nur in der Geschwindigkeit des Abflachens der Konzentrations-Zeit-Kurve unterschieden. Hingegen äußere sich die erneute Aufnahme einer größeren Menge von Metallatomen oder -ionen in einer Konzentrationsspitze im Konzentrations-Zeit-Diagramm.
300Rückschlüsse von Elementgehalten in Haaren auf aufgenommene Mengen eines bestimmten Stoffs seien wegen fehlender Vergleichsdaten nicht möglich. Die Diagnose einer Vergiftung aus Haaruntersuchungen könne nur bei extrem weit über den Normgehalten liegenden Werten vorgenommen werden. Grundsätzlich seien dazu die Blutwerte weit besser geeignet.
301Im Rahmen der Untersuchung seien die Haare an der Kopfhautseite ausgerichtet und mit zusätzlichen Bindfäden fixiert worden. Für die Fälle, in denen die Hälfte des Haarbüschels ausreichend für die Untersuchungen erschienen sei, sei es längs geteilt und lediglich eines der beiden Teilbündel weiterverwendet worden. Die Haare seien dann mit einer Edelstahlschere in Abschnitte mit Gewichten zwischen 15 mg und 200 mg geschnitten worden. Anschließend seien sie in einen Quarz-Behälter gegeben und mit 2-Methylpentan eine Minute lang im Ultraschallbad gewaschen worden. Jede überstehende Waschflüssigkeit sei dekantiert und bei 45°C im Graphit-Heizblock stehengelassen worden, um das Extraktionsmittel vollständig zu entfernen. Jeder so gewaschene Haarabschnitt sei ebenfalls bei 45°C im Graphit-Heizblock bis zur Trockenheit stehengelassen worden. Anschließend seien konzentrierte Salpetersäure sowie eine Lösung aus 30%igem wässrigem Wasserstoffperoxid zugegeben und fünf Minuten lang bei 60°C, dann 60 Minuten lang bei 100°C im Graphit-Heizblock unter Rückfluss erhitzt worden. Nach dem Abkühlen auf Raumtemperatur sei mit verdünnter Salpetersäure verdünnt und die Mischung mit der induktiv gekoppelten Plasma-Massenspektrometrie (ICP-MS) auf die Anwesenheit nahezu aller natürlich vorkommenden Elemente vermessen worden. Durch eine Modifikation der standardmäßig verwendeten Messparameter seien auch die Gehalte der Atommassen der in der Natur nicht vorkommenden Radionuklide gemessen worden. Jeder vollständig getrocknete Waschextrakt sei ebenfalls mit verdünnter Salpetersäure verdünnt und mit der ICP-MS vermessen worden.
302Für E. ergäben sich hiernach folgende Werte bei Blei, Antimon, Cadmium und Quecksilber:
303Zudem seien erhöhte Werte in Bezug auf Rubidium gemessen worden. Zusammenfassend könne gesagt werden, dass E. erstmals vor Ende Januar 2018 einer bedeutsamen Rubidium-, Antimon- und Blei-Quelle ausgesetzt gewesen sei. Die Exposition der Blei-Quelle habe möglicherweise bis Ende Mai 2018 angedauert. Eine akute Belastung mit Cadmium sei aus den Haaruntersuchungen nicht abzuleiten. Während die Haaruntersuchungen damit den Befund der Blutuntersuchung bezüglich des Bleis stützen würden, liege hinsichtlich des Elements Cadmium scheinbar ein Widerspruch vor. Dieser lasse sich aber mit einer kurz vor der Blut- und Haarentnahme am 30.05.2018 erfolgten Cadmium-Aufnahme erklären.
305Die Kammer folgt den überzeugenden Ausführungen in dem schriftlichen Gutachten in sämtlichen Punkten mit Ausnahme der Schlussfolgerung, die der Sachverständige Dr. Rr. in Bezug auf die Aufnahme von Cadmium kurz vor dem 30.05.2018 zieht. Mit den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Ee., welche bereits zu den Ergebnissen der Haaranalyse von D. in Bezug auf den Wert von Cadmium dargestellt wurden, geht die Kammer vielmehr davon aus, dass der negative Befund für Cadmium in den Haaren bei gleichzeitig positivem Befund im Blut damit zu erklären ist, dass das von dem Zeugen E. aufgenommene Cadmium nur unzureichend in das Haar eingelagert wurde.
306dd)
307Zur Überzeugung der Kammer steht fest, dass E.s Zustand die Folge einer Vergiftung mit Blei- und Cadmiumverbindungen ist.
308Die Feststellungen zu der Erkrankung, dem Krankheitsverlauf und den weiteren Krankheitsfolgen bei E. beruhen auf seinen eigenen glaubhaften Angaben und dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. Ee..
309(1)
310E. hat die ihn treffenden Tatfolgen – soweit sie seiner Wahrnehmung unterliegen – im Sinne der Feststellungen geschildert. Er hat den Krankheitsverlauf und seinen Zustand im Rahmen seiner Zeugenaussage weder besonders gravierend, dramatisierend oder in sonstiger Weise mit Belastungstendenz geschildert. Die Kammer hat keine Zweifel an der Richtigkeit seiner Darstellung.
311(2)
312Dass es sich bei der Erkrankung um die Folge der Vergiftung des Zeugen E. mit Blei und Cadmium handelt und er diese Substanzen jeweils zu den Zeiten so wie unter II. 2. a) aa) und bb) festgestellt aufgenommen haben muss, steht zur Überzeugung der Kammer fest aufgrund des Gutachtens des Sachverständigen Ee..
313Hinsichtlich der allgemeinen Ausführungen zu den Symptomen, die sich bei einer Vergiftung durch die Aufnahme von Bleiacetat (oder durch die Aufnahme von Cadmium- [und Nickel-]Salzen) ergeben, wird auf die obige Darstellung in Bezug auf D. verwiesen.
314Weiter hat der Sachverständige zu den Symptomen, die sich bei einer Vergiftung durch die Aufnahme von Antimonsalzen (wie Asservat Nr. xx.x / Lfd. Nr. xxx) zeigen, folgendes ausgeführt:
315Antimonsalze wirkten ähnlich wie die entsprechenden Arsenverbindungen, ihre Wirkungsstärke sei jedoch geringer. Werde Hartblei in Säure gelöst, entstehe nach Neutralisation der Lösung zum Beispiel mit Natronlauge letztlich eine Mischung aus Blei- und Antimon-Oxid. Nach dem Verschlucken sei initial mit folgenden Symptomen zu rechnen: brennende Magenschmerzen, Übelkeit, Erbrechen und Koliken. Aufgrund der Wirkung von Antimon auf das Herz-Kreislauf-System könne es zu einem Kreislaufkollaps, bei hohen Dosen auch zum Herzversagen kommen. Somit verstärke ein Antimonsalz unmittelbar die Wirkung der Bleisalze auf Magen und Darm. Überlagert werde die toxische Wirkung des Bleis dann aber durch die vom Antimon ausgehende Störung von Herzfunktionen. Auch Antimon-Verbindungen würden für den Menschen als krebserzeugend der Kategorie 2) angesehen. Für krebserzeugende Arbeitsstoffe der Kategorie 2) könnten generell keine sicheren Expositionsgrenzwerte abgeleitet werden.
316Ausgehend von dem Inhalt der Verfahrensakte nebst Beiakten, der sichergestellten Bücher, Aufzeichnungen und Ausdrucke, der Krankenunterlagen von E. sowie den während der Hauptverhandlung gewonnenen Erkenntnissen hat der Sachverständige umfassend und überzeugend zu der Erkrankung E.s, dem Krankheitsverlauf, den weiteren Folgen und insbesondere der Krankheitsursache Stellung genommen. Er hat insoweit zusammengefasst folgendes ausgeführt:
317Fasse man die vorliegenden zahlreichen Krankenberichte zusammen, so könne davon ausgegangen werden, dass E. spätestens seit Anfang 2015 wiederkehrend folgende Symptome bzw. Befunde gezeigt habe:
318- Magenschleimhautentzündung (Gastritis)
319- Verstopfung (Obstipation)
320- starke Schmerzen im Oberbauchbereich (Koliken)
321- Blutarmut (Anämie), erniedrigte Hämoglobinwerte
322- Übelkeit, Erbrechen, Appetitlosigkeit
323- verstärkte Müdigkeit, Abgeschlagenheit, Konzentrationsstörungen
324- Nierenversagen (seit 2018)
325Die Kombination dieser Symptome sei durchaus typisch für eine akute und chronische Vergiftung mit Bleisalzen. Das Gutachten des Sachverständigen Dr. Mm (s.o.) bestätige die sich nach Auswertung der Krankenakte ergebende Vermutung, dass die von E. gezeigte Symptomatik im Wesentlichen Folge einer schwerwiegenden Bleivergiftung sei. Die in seinem Blut auch noch rund drei Monate nach der nach dem Krankheitsverlauf zu vermutenden letzten Aufnahme einer Bleiverbindung gezeigte hohe Bleikonzentration im Blut sei bei Berücksichtigung des Krankheitsverlaufes als beweisend hierfür anzusehen. Zusätzlich sei eine im Verhältnis zu der Blut-Blei-Konzentration deutlich geringere Konzentration an Cadmium aufgefunden worden. Die festgestellte Konzentration sei aber so hoch, dass von einer Mischintoxikation auszugehen sei. Hinweise auf eine zusätzliche Vergiftung mit einer organischen Quecksilberverbindung wie etwa Dimethylquecksilber seien weder durch die Analyse der Körperflüssigkeit noch aufgrund der gezeigten Symptomatik erhalten worden; eine zusätzliche (zurückliegende) Intoxikation mit anorganischem Quecksilbersalz könne jedoch wie bei D. nicht ausgeschlossen werden.
326Bei einer Cadmiumvergiftung stehe dessen nierenschädigende Wirkung im Vordergrund. Das im März 2018 diagnostizierte akute Nierenversagen und die nunmehr vorliegende irreversible Schädigung der Nieren seien bei Berücksichtigung der Ergebnisse der Blutuntersuchung (nämlich einem Kreatininwert von 14,43 mg/dL am 02.03.2018), der übrigen Ergebnisse der Beweisaufnahme sowie des histologischen Befundes des Nierenpunktates auf die Blei- und Cadmiummischintoxikation zurückzuführen. Bei Bleisalzen müsse die Niere keinen Schaden nehmen. Deshalb sei der überaus auffällige Kreatininwert vom 02.03.2018 mit der zusätzlichen Gabe von Cadmium zu erklären.
327Der Umstand, dass ausweislich des Berichts der Onkologischen Schwerpunktpraxis C. vom 09.05.2017 bei einer durchgeführten Knochenmarkuntersuchung keine eigenständige Knochenmarkerkrankung diagnostiziert worden sei, stelle eine Aufnahme von Blei nicht in Frage. Bei Blei werde die enzymatisch gesteuerte Reaktion gestört, was mit histologischen Analysen nicht zu erkennen sei. Eine toxische Prüfung sei damals gerade nicht durchgeführt worden.
328Im Bericht des Medizinischen Versorgungszentrums vom 21.06.2018 werde unter anderem zur Prognose ausgeführt, dass die Entgiftungstherapie über Jahre durchgeführt werden müsse, um insbesondere Depots (mit Blei) im Körper des E. zu entleeren. Weiterhin werde ausgeführt: "Für die Nieren hat das keine Bedeutung mehr, die Nieren sind irreversibel geschädigt. Die anderen Organe hoffen wir aber mit dieser Therapie langfristig besser schützen zu können.“ Es sei daher da-von auszugehen, dass E. aufgrund der Intoxikation Dialysepatient geworden sei und mutmaßlich auch (noch lange) bleiben werde.
329Es müsse weiterhin davon ausgegangen werden, dass die über einen längeren Zeitraum andauernde hohe Belastung mit Blei zu bleibenden Schäden des Zentralen Nervensystems geführt habe. Verstärkte Einschränkungen des Denk- und Wahrnehmungsvermögens sowie der sensorischen Leistungsfähigkeiten seien bei Personen beobachtet worden, die in stärkerem Ausmaß (berufsbedingt) Blei ausgesetzt gewesen seien (WHO 2001). Der Zeuge E. habe über ent- sprechende Beschwerden berichtet. Auch hätten sich Wortfindungsstörungen im Rahmen seiner Zeugenvernehmung in der Hauptverhandlung gezeigt, was auch der Wahrnehmung der Kammer entspricht.
330Letztlich dürfe nicht unerwähnt bleiben, dass es sich unter anderem bei Bleisalzen um Stoffe handele, bei denen eine krebserzeugende Wirkung angenommen werde. Aussagen zu eventuellen Spätschäden seien vorliegend deshalb sehr problematisch, da letztlich unbekannt sei, welche Art von Verunreinigungen die aufgenommenen Stoffe aufgewiesen hätten, zu welchen gesundheitlichen Schäden solche Synthese-Beiprodukte führten und letztlich nicht habe geklärt werden können, auf welchem konkreten Weg wann und in welcher Dosierung welches Produkt von dem Zeugen E. aufgenommen worden sei. Bei jeder neu auftretenden chronischen Krankheit werde immer zurecht von ihm die Frage zu stellen sein, ob sie eventuell Folge der erlittenen Mischintoxikation sei.
331Auch insoweit waren die Ausführungen des Sachverständigen Ee. nachvollziehbar und überzeugend. Die Kammer hatte – wie bereits bei den Ausführungen zu der Vergiftung von D. – keine Veranlassung, an der Korrektheit des von ihm gefundenen Ergebnisses zu zweifeln.
332ee)
333Aus der Gesamtschau der zuvor dargestellten belastenden Indizien zieht die Kammer den sich ihr aufdrängenden Schluss, dass der Angeklagte E. mindestens fünfmal Bleiverbindungen und mindestens einmal eine Blei- und Cadmiumverbindung – wie unter II. 2. a) aa) und bb) festgestellt – verabreicht hat.
334Auf Grundlage der Gesamtwürdigung der vorgenannten Indizien ist die Kammer folgendermaßen zu den unter II. 2. a) aa) und bb) dargestellten Feststellungen zu Tatort und -zeit, Tathandlung und Vorsatz und insbesondere Täterschaft des Angeklagten gelangt:
335Zunächst gelten die angeführten Umstände zu den intensiven Recherchen sowie dem betriebenen Kellerlabor hier entsprechend. Die Tatzeiten hat die Kammer wiederum auf der Grundlage des Gutachtens des Sachverständigen Ee., der Arbeits-, Urlaubs- und Krankheitszeiten von E. und des Angeklagten und dem Krankheitsverlauf des Zeugen E. eingegrenzt. E., D. und der Angeklagte waren Mitglieder derselben Arbeitsschicht in der Abteilung Werkzeugbau. Auch E. und der Angeklagte pflegten außerhalb der Arbeitsstätte keinen Kontakt, weshalb aus Sicht der Kammer ein anderer Tatort als überaus fernliegend ausscheidet. Auch hier zeigt sich, dass bei Abwesenheit des Zeugen E. vom Arbeitsplatz eine Verbesserung der gesundheitlichen Situation und nach Rückkehr zeitnah wieder eine Verschlechterung eintrat. Den jeweiligen Aufnahmen der toxischen Substanzen sind jeweils Krankenhausaufenthalte des Zeugen gefolgt.
336E. wies die gleichen Vergiftungserscheinungen einer in Deutschland überaus seltenen Vergiftung mit Schwermetallen wie D. auf. Nach den Laborergebnissen hat E. auffällige Werte für Blei in den Haaren und im Blut sowie für Cadmium sowohl im Blut als auch im Urin. Seitdem E. arbeitsunfähig ist, ist ihm nichts Neues dieser Art zugestoßen, während er zuvor innerhalb von drei Jahren sechsmal Vergiftungserscheinungen aufwies.
337Die konkrete Verabreichungsform konnte die Kammer insoweit ebenfalls nicht feststellen. Am wahrscheinlichsten ist, dass der Angeklagte auch in diesen Fällen die mitgebrachten Lebensmittel – die Pausenbrote und / oder das Trinkwasser – des Zeugen E. mit Blei- und Cadmiumverbindungen versetzte. Hierfür spricht, dass der Angeklagte in Bezug auf D. am 14. und 15.05.2018 so vorgegangen ist. Auch E. nahm opaleszierende Trübungen seines Trinkwassers wahr.
338Wahrscheinlich kam es in der Zeit zwischen dem 15.09. und 15.11.2017 zu einem Einsatz einer Mischung aus Blei- und Antimon-Oxid, denn in den Haaren von E. wurden auch Antimone nachgewiesen. Die Kammer konnte jedoch nicht feststellen, ob dies in einem der Fälle zu II. 2. a) aa) der Feststellungen oder mit einer gesonderten Vergabe – die mit der Anklage vom 11.09.2018 nicht angeklagt worden ist – erfolgte.
339Dass kurz vor dem 02.03.2018 Cadmium neben Blei zur Anwendung kam, steht für die Kammer hingegen fest aufgrund des Gutachtens des Sachverständigen Ee., der anhand der Blutergebnisse vom 02.03.2018 (in denen sich insbesondere ein Anstieg des Kreatinins auf 14,43 mg/dL gezeigt hatte) zu dem Ergebnis gelangte, dass nun auch das Nierengift Cadmium aufgenommen wurde und es in dessen unmittelbarer Folge zu dem akuten Nierenversagen kam.
340Die Schlussfolgerungen der Kammer zu dem Vorsatz in den Fällen zum Nachteil von D. gelten hier sinngemäß. Der Angeklagte, der sich durch Literaturbeschaffung und Internetrecherche intensiv mit den von ihm eingesetzten Giften beschäftigt hatte, wusste um die Wirkungen von Blei und Cadmium.
341Bei der Gabe von Cadmium sah er deshalb den Eintritt eines dauerhaften Funktionsausfalls der Nieren, der wegen der Beeinträchtigung des Allgemeinbefindens Hinfälligkeit zur Folge haben würde, als sichere Folge seines Handelns voraus. Auch nahm er hierbei eine mögliche lebensgefährliche Vergiftung von E. billigend in Kauf.
342Einen Tötungsvorsatz konnte die Kammer – wie in den Fällen zum Nachteil von D. – hingegen nicht feststellen.
343d)
344Die Überzeugung, dass der Angeklagte – wie unter II. 2. b) festgestellt – F. methyliertes Quecksilber verabreichte, hat die Kammer gewonnen, nachdem folgende Umstände erwiesen sind:
345aa)
346Hier sind zunächst sämtliche zu den Taten zum Nachteil von D. und E. festgestellten Indiztatsachen ebenfalls anzuführen.
347bb)
348Dass F. wie die beiden anderen Opfer D. und E. im Sommer 2016 im Nahbereich der gleichen Abteilung arbeitete, seine Pausen im Pausenraum der Abteilung Werkzeugbau verbrachte und dort auch seine Lebensmittel lagerte, steht fest aufgrund der Angaben der Zeugen D., E. und Y., die dies übereinstimmend im Sinne der Feststellungen geschildert haben.
349cc)
350Dass F. häufig zu denselben Schichtzeiten wie der Angeklagte arbeitete, steht wiederum fest aufgrund der Angaben des Zeugen KHK Ii, der wie bereits dargestellt die Daten der Zeiterfassung der Firma B. seit dem 01.01.2015 bis zum 31.05.2018 – insbesondere auch bezüglich F. – ausgewertet und zusammengefasst dargestellt hat; auszugsweise sind Anwesenheitslisten in der Hauptverhandlung verlesen worden. Der Zeuge hat dabei insbesondere ausgeführt, dass F. am 29.07.2016 seine Schicht nicht zu Ende geführt habe, nach dem 18.08.2016 nicht mehr zur Arbeit erschienen sei und am 20.08.2016 endgültig aus der Firma B. ausgeschieden sei. Der Angeklagte habe sich nach dem 29.07.2016 im Urlaub befunden und sei am 22.08.2016 wieder zur Frühschicht erschienen.
351dd)
352Dass sich in dem im Keller des Wohnhauses des Angeklagten betriebenen Labor auch Quecksilberverbindungen sowie Versuchsanleitungen zu deren Herstellung wie auch das zur Herstellung nötige Equipment befanden, steht zur Überzeugung der Kammer fest aufgrund des Gutachtens des Sachverständigen Cc..
353Hinsichtlich der Feststellungen zu den aufgefundenen Gegenständen sowie deren Fundorten gelten die obigen Ausführungen zu III. 2. b) ee) (1) der Beweiswürdigung entsprechend.
354Auch kann zu den durchgeführten Analysen der sichergestellten Substanzen und deren Ergebnissen insoweit auf die oben zusammengefasst dargestellten Ausführungen des Sachverständigen Cc. unter III. 2. b) ee) (2) der Beweiswürdigung Bezug genommen werden.
355Weiter hat der Sachverständige Cc. die sichergestellte Literatur, Ausdrucke und handschriftlichen Aufzeichnungen hierzu ausgewertet. Er hat insoweit zusammengefasst folgendes ausgeführt:
356Er, der Sachverständige, habe bei der Untersuchung lediglich Textstellen verwendet, die durch eine Markierung bzw. eingelegte Blätter oder andere Hinweise als möglicherweise gelesen bzw. relevant kenntlich gemacht gewesen seien. Zu berücksichtigen sei, dass bei jeder chemischen Synthese möglich sei, dass bei Abweichungen von der Vorschrift oder bei Verwendung eines nicht adäquaten Equipments auch prinzipiell richtige Synthesewege fehlschlagen könnten. Dass vieles von dem, was handschriftlich in den sichergestellten Unterlagen aufgezeichnet worden sei, aber zumindest in Teilen gelungen sei, zeigten die bereits dargestellten Ergebnisse der Analysen der sichergestellten Substanzen.
357Die sichergestellten Bücher und Druckwerke beschrieben zum Teil allgemeine Methoden der Chemie, wie etwa das Lehrbuch „Organische-Chemische Experimentierkunst“ (Asservat Nr. xxx / Lfd. Nr. xxxx), darunter besonders solche, bei denen Beschreibungen zur Herstellung metallorganischer Verbindungen des Quecksilbers abgedruckt seien.
358So beinhalte das Buch "Berichte der deutschen chemischen Gesellschaft, 46ter Jahrgang 1913 BD. III" (Asservat Nr. xx / Lfd. Nr. xxx) die Seiten 2493 – 4510. Darin hätten sich handbeschriebene Zettel bei Seite 3738 befunden. Von dieser Seite beginnend sei eine dreiseitige Beschreibung („Methylierung von Metallen durch Einwirkung von Aluminiumcarbid auf die gelösten Salze derselben“) zur Herstellung von Dimethylquecksilber ausgehend von Aluminiumcarbid abgedruckt, bei der keine zusätzliche Aufarbeitung nötig wäre. Eine entsprechende Bestellung von Aluminiumpulver sei ausweislich der Auswertung des Email-Postfachs „x_x@arcor.de“ am 14. und 15.05.2018 erfolgt. Diese Synthese hätte auch unter den Bedingungen im Haus des Angeklagten große Mengen dieses Stoffes liefern können. Auf einem der eingelegten Zettel sei handschriftlich die Herstellung von Aluminiumcarbid aus Holzkohle notiert. Auf der anderen Seite dieses Zettels seien die Bedingungen der Synthese von Dimethylquecksilber aus Aluminiumcarbid und Quecksilberchlorid benannt. Auf einem weiteren handgeschriebenen Zettel sei eine Umsetzung von Holzkohle und Aluminiumpulver zu Aluminiumcarbid genauer beschrieben: „Mit einem Bunsenbrenner in einem Eisentiegel zum Glühen erhitzen → aus Versuchschemie 2005.“ Weiter seien auf diesem Zettel eine Beschreibung zur Herstellung von Aluminiumcarbid und eine Bezugsadresse von „Allucarbid 50 g Al4C3“ mit einem Preis von 400,00 € notiert. Zudem sei auf einem weiteren handgeschriebenen Zettel „Quecksilberdimethyl Ausäthern“ notiert worden. Hierbei handele es sich um die Benennung (nicht Beschreibung) des Verfahrens, wie Dimethylquecksilber gereinigt werden könne.
359Bei dem Lehrbuch „Methoden der organischen Chemie. Metallorganische Verbindungen Hg“ aus dem Jahr 1974 (Asservat Nr. x / Lfd. Nr. xxx) handele es sich um ein Werk, dessen Hauptthema metallorganische Quecksilberverbindungen sowie deren Herstellung und Eigenschaften seien. Auf einigen Seiten seien Blätter eingelegt. Auf der Seite 100 fänden sich zusätzlich Bleistifteinträge – hier sei die Herstellung von „Diäthyl-quecksilber“ und „Dimethyl-quecksilber“ beschrieben. Auf S. 121 sei die Herstellung von „Methyl-quecksilber-jodid“ beschrieben.
360In der Fachzeitschrift „Mycologica Helvetica 4 (1990)“ (Asservat Nr. xx / Lfd. Nr. xxx) sei insbesondere ein Artikel von Relevanz. Dieser befinde sich auf den Seiten 99-109 und behandele „The toxic actin of orellanine and other dipyridyles on different epithelial cell cultueres ....“. In diesen Seiten lägen lose Blätter. Es finde sich im Artikel eine Beschreibung des Extraktionsverfahrens. Dabei liege eine Kopie einer handgeschriebenen Übersetzung dieses Extraktionsverfahrens.
361Asservat Lfd. Nr. xxx (entspricht Asservat Nr. x) beinhalte ein kariertes, ausschließlich handbeschriebenes Herlitzheft mit rotem Deckblatt (hierbei handelt es sich um das als Laborjournal bezeichnete Asservat), einen DIN-A 6 Ringordner, zwei Klarsichthüllen und einen Stapel zahlreicher Kopien zu teils unterschiedlichen chemischen Themen sowie geheftete Laboranleitungen.
362In dem DIN-A 6 Ringordner finde sich (neben Aufzeichnungen zu privaten Angelegenheiten) auf einer Seite mit Kugelschreiber die Überschrift „Suche →“ und dann eine ganzseitige detaillierte Beschreibung zur Herstellung und Reinigung von Aluminiumcarbid unter Verwendung von unter anderem Terpentin, welches ebenfalls in dem Kellerlabor gefunden worden sei (vgl. Asservat Nr. xxx / Lfd. Nr. xxx). Auf einer Seite stehe mit Bleistift unter der Überschrift „Suche → Google Books Quecksilberdimethyl...“eine ganzseitige Beschreibung, die offenbar nach einer Google-Suche zu den Schriftwerken der Asservate Lfd. Nr. xxx und xxx geführt habe: „Chemisch Berichte – Band 46 Seiten 3553-4510 Seite 3740“. Auf einer weiteren Seite stünden dann die Bezugsquellen und Preise des „46 Jahrgang Band II und III“.
363In dem Asservat Lfd. Nr. xxx befänden sich zudem geheftete Ausdrucke überwiegend zur Anleitung für das Trocknen von Feststoffen, Lösungen und Lösungsmitteln, eine Klarsichthülle mit einer handschriftlichen Beschreibung zur Extraktion von Orellanin und Kopien hierzu aus der wissenschaftlichen Fachliteratur, Kopien von Bestellungen sowie diverse, teils handschriftlich kommentierte Ausdrucke wie etwa eines Internet-Suchergebnisses zur Herstellung von Bleichlorid, zur Synthese von Kaliumcyanid (Zyankali), zur Herstellung von Quecksilberacetat, zur Herstellung von Natriumacetat, zur Herstellung von Methyliodid, zur Herstellung von 2-Methoxyethylquecksilberacetat, zu Methylquecksilber und zu Dimethylquecksilber. Weiter befänden sich darin die Kopie aus einem Lehrbuch (S. 796-802) zur Herstellung von Dimethylquecksilber aus Natriumamalgam, geheftete Ausdrucke einer Internetquelle „...versuchschemie...“ zu Elektrochemie mit Quecksilber und ein Ausdruck einer Internetquelle „...lambdasyn...“ zur Herstellung von Dimethylquecksilber über eine Grignard-Reaktion.
364In dem Laborjournal befinde sich auf Seite 1 unter der Überschrift „Merkuroacetat“ die Beschreibung der Herstellung von Quecksilber-I-nitrat durch Umsetzung von Quecksilber mit Salpetersäure. Danach finde sich eine beschriebene Umsetzung mit Natriumacetat. Diese Beschreibungen seien beide schräg durchgestrichen. Praktisch seien die beschriebenen Herstellungen durchführbar. Sodann folge eine in der Vergangenheitsform geschriebene Beschreibung der Herstellung von Quecksilber-I-nitrat durch Umsetzung von Quecksilber mit Salpetersäure und anschließend eine im Präsens geschriebene Beschreibung, die im Wesentlichen der Umsetzungsbeschreibung mit Natriumacetat folge und zu 14 g Quecksilberacetat führen dürfte. Seite 2 beinhalte eine überwiegend in der Vergangenheitsform geschriebene und mit Beobachtungen versehene Darstellung von angeblich „22 g“ Quecksilber-Oxid über eine Oxidation von elementarem Quecksilber mit Salpetersäure sowie eine Beschreibung in der Vergangenheitsform mit Beobachtungen, insbesondere Schwierigkeiten, bei der Kristallisation („wird nicht hart, Breiige Masse“) der Umsetzung von Quecksilber-Oxid zu Quecksilber-Acetat. Auf Seite 3 seien die Herstellung von Quecksilberacetat in der Vergangenheitsform mit Beobachtungen sowie die Herstellung von Methyliodid beschrieben. Auf Seite 4 sei der Versuch zur Herstellung von Methylquecksilberiodid (metallorganische Synthese) unter Zuhilfenahme von UV-Licht beschrieben. Weiter finde sich die elektrochemische Herstellung von ca. 36 g Natriumamalgam (aktiviertes Quecksilber) im Präsens und mit Beobachtungen. Auf Seite 5 sei die Trocknung des Natriumamalgams beschrieben, dann die schräg durchgestrichene Beschreibung der Extraktion von Orellanin aus 12 g Pilztrockenmasse (entspreche ca. 100 – 150 g Frischpilz) mit den Bemerkungen „Aus Mykologisches Mitteilungsblatt“ und „Scheint nicht zu funktionieren“. Sodann folge die Bemerkung „Gesammelt 29.07.16“ zu einer auf den 01.12.2016 datierten Beschreibung einer Extraktionsprozedur zur Gewinnung von Orellanin. Auf Seite 6 würden die Methyliodid-Synthese mit einer Nennung von „123 g Ertrag“ sowie die Herstellung von Methylquecksilberiodid aus einem „Erbsengroßen Quecksilbertropfen“ mithilfe von UV-Licht beschrieben. Auf Seite 7 finde sich zu der Überschrift „27.8.2016 Dimethylquecksilber" eine beobachtende Beschreibung einer Synthese von Dimethylquecksilber, mithilfe von Methyliodid und Amalgam, welche möglicherweise aufgrund fehlerhaft hergestellten Amalgams nicht gelungen sei, wofür auch der letzte Satz „Sieht nach Methyliodid aus“ spreche. Sodann folge die Beschreibung einer elektrochemischen Synthese von Dimethylquecksilber aus Methylquecksilberacetat, wobei auch hier – aus Sicht des Sachverständigen Cc. – der Erfolg zweifelhaft sei. Auf Seite 8 sei der Versuch zur Herstellung von Methylquecksilberacetat beschrieben. Am Ende finde sich die Bemerkung: „Fraglich ob sich das Acetat Methylisiert hat“. Sodann folge die durchgestrichene Beschreibung der Herstellung von Bleiacetat und anschließend der Synthese von Dimethylquecksilber aus Methylquecksilberiodid und Quecksilberacetat und nachfolgender elektrochemischer Behandlung, was allerdings – so der Sachverständige Cc. – nicht gelingen dürfte. Auf Seite 9 finde sich die durchgestrichene Versuchsbeschreibung der Herstellung von Methyliodid aus Jod, Methanol und rotem Phosphor mit der Beschreibung einer explosionsartigen Reaktion und der Bemerkung „Unbrauchbare Vorgehensweise“. Es folge unter der Überschrift „Dimethylquecksilber 09.07.17“ der Versuch zur Synthese aus Methylquecksilberiodid und Calciumhydroxid mit Abdestillieren des Produkts. Weiter sei unter der Überschrift „Methyliodid“ die Herstellung von Methyliodid aus Iod, Phosphor und Methanol mit Beobachtungen einer offenbar gelungenen Synthese und „Aufarbeitung des Methyliodids“ beschrieben. Auf Seite 10 sei unter der Überschrift “Amerricium“ das Herauslösen von Americium aus „Stücken“ mithilfe von Salpetersäure beschrieben, was so gelingen dürfte. Sodann folge unter der Überschrift „Orelanin“ die Darstellung einer Extraktion aus „40 g Pulver“ sowie unter der Überschrift „Bleiacetat“ die Beschreibung der Herstellung mit der Bemerkung „mit Leitungswasser 100 ml gespült“, „Färbt sich milchig“ und schließlich „1,9 g Ertrag“. Auf Seite 11 finde sich unter der Überschrift „Quecksilberchlorid 18.12.17“ eine Synthesebeschreibung ausgehend von „82,2 g Q-Oxid“ mit nach gelungener Synthese „Kleinstoßen u. Pulverisieren“ und Trocknen. Dann folge unter der Überschrift „Grignartverb. mit 30 g Magn/Methylmagnesiumiodid 26.12.17 aus Synthese von Dimethylquecksilber“ eine beschreibende Beobachtung: „Kocht leicht in den Rückflusskühler hinein. Durch ein Taschentuch Filtrieren.“ Nach Einschätzung des Sachverständigen sei hier eine Grignardreaktion gemeint, bei der ein Reagenz gebildet werde, das später mit Quecksilberchlorid reagieren solle. Die Filtration durch ein Taschentuch dürfe allerdings dazu führen, dass zumindest ein Teil dieser reaktiven Komponente durch die Feuchtigkeit der Luft zerstört werde. Das selbstständige Kochen spreche für eine Reaktion, die tatsächlich zu der entsprechenden Verbindung geführt habe. Welcher Anteil des Reagenzes dann durch die Luftfeuchtigkeit bei der Filtration zerstört worden sei, könne nicht gesagt werden, wobei die Analysenergebnisse für eine in Teilen erfolgreiche weitere Umsetzung sprächen. Weiter auf Seite 11 befinde sich unter der Überschrift „Dimethylquecksilber 27.12.17“ eine Beschreibung mit Beobachtungen bei der Herstellung: „100 g Quecksilberchlorid zugegeben. Lässt sich weder durch den Rückflusskühler noch seitlich in den Kolben einfügen. Pappt an oder wird ausgeblasen“ Auch diese Beschreibung spreche aus Sicht des Sachverständigen für eine heftige Reaktion, weshalb die Reaktion zumindest teilweise gelungen sein dürfte. Wahrscheinlich handele es sich um das Asservat Lfd. Nr. xxx. Auf Seite 12 sei dann die Destillation des zuletzt beschriebenen sowie unter der Überschrift „Schwefelblei“ die Herstellung von Bleisulfat aus Bleiacetat beschrieben.
365Aus der Auswertung der Unterlagen und der Analyseergebnisse kommt der Sachverständige Cc. zu folgendem Schluss:
366Hinsichtlich der im übermittelten Laborjournal (Asservat Nr. x / Lfd. Nr. xxx) beschriebenen Synthesen sei vorstellbar, dass manche der Syntheseschritte unter den angenommenen Bedingungen eines Kellerlabors an fehlendem Equipment gescheitert sein könnten. Der Erfolg bei den auf Seite 4, 6, 7, 8 des Laborjournals beschriebenen Herstellungsversuchen sei unter den Bedingungen eines solchen Kellerlabors jedenfalls zweifelhaft. Allerdings bedeute „Erfolg“ in der Chemie die vollständige Synthese, wonach die Ausgangsstoffe nicht mehr vorhanden seien. Mit den beschriebenen Herstellungsversuchen sei demnach unter den Bedingungen im Kellerlabor zweifelhaft, dass ein Reinstoff gewonnen werde, nicht aber, dass überhaupt eine gewisse Ausbeute erzielt werde.
367Bei einer nach den ersten Resultaten erfolgten Sichtung der aus dem Keller sichergestellten Materialien auf metallorganische Syntheseversuche hätten auch die entsprechenden Glasgerätschaften für den Betrieb einer organischen bzw. metallorganischen Synthese tatsächlich festgestellt werden können. Hierzu zählten unter anderem: Magnetrührer mit Heizung, Öldrehschiebervakuumpumpe, Trockenmittel, Abdampfschalen, zwei kleine Rohrreaktoren, Dreihalskolben mit drei Schliffen, Zweihalskolben mit zwei Schliffen, Abgang / Brücke mit zwei Schliffen, Destillierbrücke mit zwei Schliffen, Vigreux-Kolonne mit zwei Schliffen, Vigreux-Kolonne mit Kühlmantel und zwei Schliffen, Tropftrichter mit zwei Schliffen und Hahn, Trichter, Pinsel sowie Löffel. Tatsächlich zeige das Ergebnis der durch den Sachverständigen durchgeführten Untersuchungen, dass hier eine zumindest zum Teil erfolgreiche Synthese von metallorganischen Quecksilberverbindungen, von Methylquecksilberverbindungen und – eingeschränkt auf eine geringe Ausbeute – auch des Dimethylquecksilbers gelungen sei (hierzu Tabelle Asservat Lfd. Nr. xxx unter III. 2. b) ee) (2) der Beweiswürdigung). Aufgrund der hohen Toxizität dieser Verbindungen sei es vergleichsweise unbedeutend, welche Anteile derselben in den restlichen Asservaten noch nachgewiesen werden könnten. Werde diese sehr gefährliche Lösung durch Verdampfen des Lösungsmittels Ether aufkonzentriert oder destilliert, lasse sich ein Konzentrat aus Methylquecksilberionen mit einem geringen Anteil an Dimethylquecksilber gewinnen, das bei oraler, inhalativer, injektiver oder transdermaler Aufnahme hochtoxische Effekte einer Vergiftung durch organische Quecksilberverbindungen (hier Methylquecksilber) verursache. Entsprechende Blutbefunde mit einem Nachweis von „Methylquecksilber“ als Teil einer gesamten Quecksilberbelastung wären bei Aufnahme solcher Mischungen zweifelsfrei zu erwarten.
368Weiterhin seien in mehreren weiteren Asservaten (hierzu Tabelle unter III. 2. b) ee) (2) der Beweiswürdigung) signifikant Quecksilberverbindungen nachgewiesen worden. Prominent seien hierbei die Quecksilbersalze Lfd. Nr. xxx, xxx, xxx, xxx, xxx, xxx, xxx und xxx zu nennen, bei denen es sich im Gegensatz zum elementaren Quecksilber um besonders bioverfügbare Formen des Quecksilbers handele.
369Die quecksilberorganischen Verbindungen, welche in der Lfd. Nr. xxx nachgewiesen worden seien, stellten einen im Bereich der Forensik ganz außergewöhnlich seltenen Befund dar. So seien dem Sachverständigen bis zu dem hier behandelten Vorgang lediglich zwei Vorgänge mit einer akuten Intoxikation durch organisches Methylquecksilber bekannt geworden. Hierbei handele es sich um den Fall der Wissenschaftlerin Yy., die am 14.08.1996 im Labor einen Arbeitsunfall erlitten habe, bei dem ihr Dimethylquecksilber innerhalb weniger Sekunden durch ihre Latexhandschuhe diffundiert sei, und am 08.06.1997 an akuter Quecksilbervergiftung gestorben sei. Der andere Fall sei eine Massenvergiftung in den frühen 1970er Jahren, die aufgrund der versehentlichen Verwendung eines solchen Giftes in der Brotproduktion im Irak geschehen sei und über 400 Menschenleben gefordert habe. Im Zuge der Recherchen zu dem hiesigen Fall sei er nur noch auf einen weiteren Fall gestoßen, bei dem 2011 durch ein „Regenschirm-Attentat“ in Hannover – laut der Presse – eine akute, letztendliche tödliche Vergiftung mit organischem Quecksilber erfolgt sein solle.
370Bei der auf Seite 5 beschriebenen Extraktionsprozedur zur Gewinnung von Orellanin dürfte, falls es sich tatsächlich um den Pilz Orangefuchsiger Raukopf (Cortinarius orellanus) gehandelt habe, das Gift in aufkonzentrierter Form erhalten worden sein. Orellanin sei schließlich auch in Asservat Lfd. Nr. xxx nachgewiesen worden.
371Die gesichteten Unterlagen ließen angesichts der Analyseergebnisse keinen anderen Schluss zu als den, dass in dem Kellerlabor hochtoxische Salze des Bleis und des Quecksilbers aus den reinen Metallen (flüssiges Quecksilber) hergestellt worden seien. Es sei dabei überwiegend den Anleitungen bzw. Synthesevorschriften gefolgt worden, die in den Aufzeichnungen und Schriftwerken gefunden worden seien.
372Weiterhin ließen die Ergebnisse den Schluss zu, dass noch toxischere Verbindungen von insbesondere Quecksilber geplant und hergestellt worden seien - zumindest seien diese Synthesen hinsichtlich des Methylquecksilbers auch erfolgreich gewesen. Die Analyseresultate und die aufgefundenen Unterlagen ließen keine Zweifel daran, dass auch Versuche zur Herstellung größerer Mengen an Dimethylquecksilber vorgenommen worden seien. Dabei sei zumindest eine kleine Menge dieses Stoffes entstanden.
373Die Kammer folgt den auch insoweit nachvollziehbaren, widerspruchsfreien und plausiblen Ausführungen des Sachverständigen Cc.. Insbesondere stehen seine Ausführungen im Einklang mit Inhalt und Gestaltung des im Rahmen der Hauptverhandlung im Original in Augenschein genommenen Laborjournals.
374Wegen der weiteren Einzelheiten der Gestaltung des Laborjournals wird gemäß § 267 Abs. 1 S. 3 StPO Bezug genommen auf die Lichtbilder Bl. 435 – 446 d.HA.
375ee)
376Zur Überzeugung der Kammer steht fest, dass F.s Zustand die Folge einer Vergiftung mit methyliertem Quecksilber ist.
377Die Feststellungen zu der Erkrankung, dem Krankheitsverlauf und den weiteren Krankheitsfolgen bei F. beruhen auf den Angaben seiner Eltern Ww. und F. F., dem verlesenen Vermerk des X. vom 15.06.2018 sowie dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. Ee..
378(1)
379Die Zeugin Ww. F. hat ausgesagt, dass es sich bei F. um einen unternehmungslustigen, sportlichen jungen Mann gehandelt habe. Er habe mitten im Leben gestanden, studiert, nebenbei gearbeitet, viele Freunde gehabt, Konzerte besucht und regelmäßig Handball gespielt. Am 29.07.2016 sei er früher von der Arbeit heimgekommen, weil es ihm nicht gut gegangen sei. F. habe sich zu Hause übergeben müssen und habe sich aufgrund seines geschwächten Zustands nicht mehr in der Lage gesehen, dies sauber zu machen. Hierüber habe ihr jüngerer Sohn sich derart aufgeregt, dass er sogar ein Foto – welches die Kammer unter Verlesung des Speicherdatums in Augenschein genommen hat – mit seiner Handykamera von der schmutzigen Toilette gemacht habe. Als nächstes habe F. ihr gegenüber angegeben, dass seine Fingerkuppen kribbelten und er das Gefühl habe, seine Finger seien eingeschlafen. Dieses Taubheitsgefühl habe sich dann bis in den Unterarm hineingezogen. Dies sei irgendwann so weit gegangen, dass F. nicht mehr habe zum Handballtraining gehen können, weil er den Ball nicht mehr richtig habe fangen können. F. sei zu seinem Hausarzt Dr. gegangen. Die Situation sei auf eine Überlastung geschoben worden. Der Hausarzt habe Vitamine verschrieben. Am 20.08.2016 habe eine Familienfeier anlässlich des Geburtstags ihres jüngsten Sohnes in ihrem Haus stattgefunden. An diesem Tag sei die gesamte Verwandtschaft zu Gast gewesen. F. habe zu Beginn nicht an der Feier teilnehmen wollen. Nachdem sie ihn aufgefordert habe, sei er aber auf der Feier erschienen. Der Verwandtschaft sei aufgefallen, dass mit F. etwas nicht stimme. Seine Sprache und seine Motorik seien irgendwie komisch gewesen. F. habe extrem langsam gesprochen und sich langsam bewegt. Auch habe er leicht getorkelt. Am nächsten Tag habe F. die ganze Zeit entweder im Bett oder auf dem Sofa geschlafen. Am 21.08.2016 sei ihr Mann mit F. zum Arzt gefahren. Der Hausarzt habe die Symptome nicht einordnen können und habe F. daher zu einem Neurologen überwiesen. Ihr Mann sei dann noch am selben Tag mit F. zum Neurologen gefahren. Der Neurologe habe sofort eine Einweisung für F. ins Krankenhaus ausgestellt und sie seien mit F. noch an dem Tag ins B. Hospital nach E. gefahren. Auf dem Weg ins Krankenhaus habe sie F. nochmals gefragt, ob dieser etwas eingenommen habe. F. habe ihr gegenüber aber angegeben, lediglich eine Shisha geraucht und sonst nichts Besonderes gemacht zu haben. Im Krankenhaus habe sich der Gesundheitszustand von F. von Tag zu Tag verschlechtert. Es sei den Ärzten in E. nicht gelungen festzustellen, aufgrund welcher Umstände sein Gesundheitszustand sich so rapide verschlechtert habe. Ein Schlaganfall habe zumindest ausgeschlossen werden können. Er sei am 28.08.2016 nach I. in die Uniklinik überwiesen worden. F. habe zu dieser Zeit schon nicht mehr selbstständig laufen und nur noch in einzelnen Worten sprechen können. In I. sei F. zunächst auf verschiedene Viren untersucht worden. Man sei zunächst davon ausgegangen, dass es sich um eine Art Virus oder Folgen von Drogenkonsum handeln würde, weil Schwermetallvergiftungen – laut den Ärzten – in Deutschland nicht vorkämen. In I. seien auch immer wieder Blutwäschen durchgeführt worden, welche jedoch nicht zu einer Verbesserung geführt hätten. F. sei ins künstliche Koma versetzt worden, weil die Ärzte gehofft hätten, dass sich dadurch sein Zustand verbessern würde. Eine Verbesserung sei aber nicht eingetreten. Ende September sei F. schließlich auf Schwermetalle getestet worden. Es sei festgestellt worden, dass eine Quecksilbervergiftung vorläge. F. sei mit einem Mittel, welches extra aus Polen eingeflogen worden sei, behandelt worden. Es sei da aber schon zu spät gewesen. Das Gehirn sei schon in Mitleidenschaft gezogen worden. Weitere Entgiftungen seien durchgeführt worden, hätten dann aber beendet werden müssen, weil das Entgiftungsmittel ebenfalls für den Körper schädigend sei. F. sei drei Monate lang im Krankenhaus gewesen und anschließend drei Monate lang in der Rehabilitation in F.. Im Februar 2017 sei F. nach Hause gekommen.
380Nachdem in I. festgestellt worden sei, dass F. an einer Quecksilbervergiftung leide, sei ihnen von den dortigen Ärzten zu einer Strafanzeige geraten worden. Man habe ihnen mitgeteilt, dass eine solche Vergiftung nicht auf natürlichem Wege erfolgt sein könne. Im Rahmen der polizeilichen Ermittlungen sei es nicht gelungen, die Quelle für das Quecksilber zu finden, das ihr Sohn aufgenommen hatte. Keiner der Freunde ihres Sohnes habe Symptome gezeigt. Die ganze Familie habe sich auf Quecksilber prüfen lassen; sämtliche Befunde seien unauffällig gewesen.
381Im Frühjahr des Jahres 2018 sei eine Magnetresonanztomographie (MRT) bei F. durchgeführt worden. Man habe dabei die aktuellen Bilder mit Aufnahmen aus I. vom Herbst 2016 verglichen. Es sei ihnen erklärt worden, dass sich der Zustand von F. ziemlich verschlechtert habe.
382Aktuell werde er bei seinen Eltern zu Hause gepflegt. Er liege einfach nur da, schlafe viel. Er mache zwar noch die Augen auf, bekomme aber wohl nichts mit. Reflexe seien noch vorhanden; er reagiere noch auf Schmerzreize und krampfe. Er atme selbstständig über ein Tracheostoma, habe einen Blasenkatheter und eine Magensonde und müsse gewickelt und abgesaugt werden. Eine Besserung sei nicht zu erkennen. Ihr Sohn sei ein Gefangener im eigenen Körper; er mache in den letzten Monaten den Eindruck, „ruhiger“ zu werden. Morgens und abends komme eine Pflegekraft vorbei, welche sich um F. kümmere. Er werde gewaschen und betreut. Es sei für F. eine Betreuung 24 Stunden am Tag notwendig. F. sei in die Pflegestufe 5 eingestuft worden. Darüber hinaus sei es bereits einmal in der Rehabilitation in F. zu einer Reanimationsmaßnahme gekommen.
383Sie, die Zeugin, sei durch den Zustand ihres Sohnes psychisch sehr belastet. Sie habe es deshalb mit einer Therapie versucht, aber das habe ihr nicht geholfen. Sie habe lieber bei F. sein wollen. So sei es auch bei ihrem Mann gewesen. Sie kämen kaum noch raus, weil sie mit der Pflege so eingebunden seien. Der jüngste Sohn der Familie verkrafte den Zustand von F. gar nicht; er ertrage es kaum noch, diesen anzusehen.
384Diese Angaben decken sich mit der ebenfalls glaubhaften Aussage des Zeugen F. F., der den vorherigen Zustand seines Sohnes vor der Erkrankung, den Krankheitsverlauf ab Sommer 2016 und die weiteren Folgen für die gesamte Familie entsprechend geschildert hat.
385(2)
386Dass es sich bei der Erkrankung um die Folge der Vergiftung des F. mit methyliertem Quecksilber handelt und er dieses im Sommer 2016 – wahrscheinlich am 29.07.2016 – aufgenommen hat, steht zur Überzeugung der Kammer fest aufgrund des Gutachtens des Sachverständigen Ee..
387Dieser hat zunächst allgemein zu den Symptomen einer Vergiftung durch die Aufnahme von Quecksilber(II)acetat (wie Asservat Nr. xx / Lfd. Nr. xxx) bzw. Methyl- und Dimethylquecksilber (wie Asservat Nr. xx / Lfd. Nr. xx) und Methyliodid (wie Asservat Nr. xx / Lfd. Nr. xx) folgendes ausgeführt:
388Quecksilber wirke im Körper unspezifisch zellschädigend und zelltötend. Quecksilber-Ionen reagierten wie die Blei-Ionen mit SH-Gruppen von Proteinen, sodass bei einer Vergiftung alle Organe Funktionsstörungen zeigten oder zeigen könnten. Als Besonderheit könne gewertet werden, dass es auch zu Schäden der DNA vermutlich durch Bildung von Radikalen (Superoxidradikalen) bei gleichzeitiger Hemmung der Reparaturenzyme komme. Nach der Ingestion von Quecksilber-Acetat könne an Symptomen erwartet werden: Bauchschmerzen, brennendes Gefühl an den Schleimhäuten mit Entzündungen, Durchfall, Erbrechen, verringerte Urinausscheidung, Nierenversagen, Kreislaufstörungen, Krämpfe. Nach Aufnahme von Dimethylquecksilber komme es unter Umständen erst Monate später zu folgenden neurotoxischen Symptomen: Gangunsicherheiten, Sprach-, Schluck- und Hörstörungen, Taubheitsgefühl, Gesichtsfeldeinengung/Sehstörungen, zunehmende Wahrnehmungsstörungen und Bewusstseinsverlust. Es werde vermutet, dass die Toxizität bei Inhalation und Aufnahme über die Haut höher sei als bei oraler Aufnahme, da durch die Magensäure ein Teil des Dimethylquecksilbers zu Methylquecksilber abgebaut werden könne. Der Wirkmechanismus im Zentralnervensystem und der Grund für die lange Latenzzeit seien bisher nicht geklärt. Monomethyl-Quecksilber-Ionen (Beispiel für ein Salz: Methylquecksilberiodid) passierten ebenfalls leicht die Blut-Hirn-Schranke. Bei den in der Literatur beschriebenen Intoxikationen seien mit einer durchschnittlichen Latenzzeit von zwei bis drei Wochen die typischen neurotoxischen Symptome aufgetreten: Taubheitsgefühle um den Mund, an den Händen und den Füßen ("Handschuh/Strumpf"-Bereiche), Trias aus Gangstörung (von Unsicherheit bis Unvermögen), Sehstörung (von verschwommen Sehen bis Blindheit) und Sprechstörung (undeutliche Sprache). Weiterhin sei der geistige Leistungsabfall typisch. Mengen von etwa 4 mg/kg Körpergewicht führten bereits zu diesen schwerwiegenden Symptomen (abgeleitet aus den Fällen im Irak, wo aus Unkenntnis Brote mit Mehl von Saatgetreide gebacken worden seien, das mit Methyl-Hg gebeizt gewesen sei).
389Bei der Überprüfung der Patientenakten könnten folgende ärztlicherseits erhobene Daten für die Diagnose einer Intoxikation mit Quecksilberverbindungen genutzt werden: die von den Patienten nach einer längeren Latenzzeit gezeigten neurotoxischen Symptome. Übliche Laborwerte seien hingegen unspezifisch. Wichtig sei der Nachweis von Quecksilber/Methylquecksilber in Blut und Haaren (organische Quecksilber-verbindungen würden offenkundig leicht in das Haar eingelagert).
390Bei Methyliodid (farblose Flüssigkeit, Geruch nach Ether, Siedepunkt 42 °C) handele es sich um ein Alkylierungsreagenz, welches nach Aufnahme zu einer Methylierung unter anderem der DNA führe. Diese Reaktion werde als Erklärung für die krebserzeugende Wirkung von Methyliodid postuliert, dürfte aber auch ein Grund für dessen neurotoxische Wirkung sein. In der Literatur seien einzelne Fälle akuter Methyliodid-Vergiftung beschrieben. Folgende Vergiftungssymptome zeigten sich typischerweise erst Stunden bis Tage nach der Exposition: anfangs Lethargie, Schläfrigkeit, Schwindel, Schwächegefühl, dann Unsicherheit beim Stehen, Gehen (Schwanken) oder Greifen (Dysmetrie, Ursache: neurotoxische Schäden am Kleinhirn), undeutliches Sprechen, Sehstörungen (Doppeltsehen, Einschränkung des Gesichtsfelds, Nystagmus), auch Übelkeit, Erbrechen, verminderte Harnausscheidung. Später zeigten sich (teils nach einer völlig symptomfreien Zeit von Stunden bis Tagen) weitere neurologische Störungen: Aufgeregtheit, Anfälle von Verwirrtheit bis hin zum Delirium. Auch semikomatöse Zustände und Tod im Koma seien beschrieben worden. Würden schwere Intoxikationen überlebt, könnten neurologische Störungen über Jahre persistieren (GESTIS-Stoffdatenbank: Gefahrstoffinformationssystem der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung).
391Ausgehend von dem Inhalt der Verfahrensakte nebst Beiakten, der sichergestellten Bücher, Aufzeichnungen und Ausdrucke, der Krankenakte von F. einschließlich der Krankenunterlagen aus dem B.Hospital E. und dem Universitätsklinikum I. sowie den während der Hauptverhandlung gewonnenen Erkenntnissen hat der Sachverständige umfassend und überzeugend zu der Erkrankung F.s, dem Krankheitsverlauf, den weiteren Folgen und insbesondere der Krankheitsursache Stellung genommen. Er hat insoweit zusammengefasst folgendes ausgeführt:
392Bereits 25 Tage bevor F. stationär im B.Hospital in E. aufgenommen worden sei, hätten sich bei ihm die ersten noch unspezifischen Symptome (Durchfall und Erbrechen) gezeigt. Circa zwei Wochen später habe F. über andauernde Abgeschlagenheit, allgemeine Krankheitsgefühle und über Taubheit im Bereich des Mittel- und kleinen Fingers sowie der Handkante geklagt. Drei Tage vor der Krankenhauseinlieferung sei er zunehmend psychomotorisch verlangsamt und habe Gleichgewichtsstörungen gezeigt. Während der sechstägigen Behandlung im B.Hospital habe sich die Symptomatik weiter verstärkt. Es sei zu Wortfindungs- und Sprachverständigungsstörungen sowie zu Hörminderung gekommen. Die Stand- und Gangunsicherheiten hätten zugenommen. Es sei eine Überweisung in die Uniklinik I. erfolgt. Hier seien Diagnosemaßnahmen in sämtliche Richtungen vorgenommen worden. Die Symptome hätten für eine entzündliche Veränderung am Stammhirn gesprochen, ohne dass die Ursache hierfür zunächst gefunden worden sei. Auch die sehr gezielt durchgeführten diagnostischen Maßnahmen, unter anderem zum Nachweis von bakteriellen bzw. viralen Infektionen, einer autoimmunen Gehirnentzündung oder einer Creutzfeldt-Jakob-Krankheit hätten zu keinen Erfolgen geführt. Der Zustand von F. habe sich zunehmend verschlechtert. Es sei zu Sehstörungen, Lähmungen aller vier Extremitäten und einem akuten Versagen von Nieren und Leber gekommen. Er sei letztlich in ein schweres Wachkoma (apallisches Syndrom) verfallen.
393Die in der wissenschaftlichen Literatur beschriebenen Symptome im Fall Yy. seien in ihrer Qualität und Dynamik vergleichbar mit den von F. gezeigten Symptomen und seinem Krankheitsverlauf. Diesen Fall hätten die F. behandelnden Ärzte in der Literatur gefunden und deshalb eine Untersuchung von Blut und Urin auf Quecksilber und Methylquecksilber, Blei, Cadmium, Aluminium und weitere Stoffe veranlasst. In der am 21.09.2016 entnommenen Blutprobe sei Quecksilber in einer Menge von 2700 μg/L und in dem Urin vom 29.09.2016 von 100 μg/L aufgefunden worden. Diese Werte lägen in einer vergleichbaren Größenordnung, wie sie in dem in der Literatur dokumentierten Fall gemessen worden seien (laut der Literaturangaben habe dort die Untersuchung der Blutprobe auf Quecksilber initial einen Wert von 4000 μg/L ergeben, im Urin habe sich ein Wert von 234 μg/L Quecksilber ergeben).
394Nachdem es in einer Blutprobe, die am 20.10.2016 entnommen worden sei, sogar gelungen sei, Methylquecksilber nachzuweisen, habe aus Sicht der behandelnden Ärzte zurecht kein Zweifel mehr bestanden, dass die von F. gezeigte Symptomatik Folge einer durch Methyl- bzw. Dimethyl-Quecksilber verursachten schwersten Intoxikation sei. Dieser Einschätzung sei nach Durchsicht der Krankenakte aus toxikologischer Sicht voll und ganz zuzustimmen. Dabei könne zwar der in den Krankenakten zu der Blutprobe vom 20.10.2016 angegebene Wert von 733,6 μg/L Hg-Methyl nicht zu 100% stimmen. Allein der Umstand, dass der Wert übergenau mit Nachkommastelle angegeben werde, zeige, dass es sich um den ausgeworfenen Computerwert handele. Dies könne aber dahinstehen, weil der konkrete Wert hier ohnehin nicht entscheidend sei. Es komme allein darauf an, dass überhaupt Methylquecksilber im Blut nachgewiesen worden sei.
395Die Frage, wann es konkret zu der Aufnahme von Methyl- bzw. Dimethyl-Quecksilber durch F. gekommen sei, lasse sich deshalb nur schwer beantworten, weil die Latenzzeit bis zum Auftreten erster Symptome dieser neurotoxisch hoch potenten Substanzen sehr lang (Wochen bis Monate) sei. Die Vergiftungserscheinungen seien unter anderem das Resultat der Zerstörung der Neuronen insbesondere im Kleinhirn und im Bereich des Sehzentrums. Aufgrund der langsamen Elimination (Halbwertszeit 70 und mehr Tage) und der Anreicherung im Gehirn könne Methyl/Dimethyl-Quecksilber sehr lange wirken. Es binde an SH-Gruppen zahlreicher Enzyme, die zum Schutz und zur Funktion von Zellen benötigt würden. Würden die körpereigenen Schutzstoffe wie zum Beispiel Glutathion aufgebraucht, so komme es zu Zellschäden. Es handele sich somit bei einer Methyl/Dimethyl-Quecksilber-Vergiftung um einen schleichenden Prozess, bei dem es zunehmend zu einer Zerstörung von Neuronen komme. Dies könne erklären, weshalb die Symptome dieser Vergiftung erst mit einer entsprechend langen Latenzzeit von dem Betroffenen und seiner Umgebung bemerkt würden.
396Aufgrund der schleichenden Entwicklung der Vergiftungssymptome lasse sich folglich allein anhand der Krankengeschichte kein Rückschluss auf den Zeitpunkt der Aufnahme der Quecksilberverbindung ziehen. Vorliegend seien jedoch vom Krankenhaus Untersuchungen der Kopfhaare auf Quecksilber veranlasst worden. Die Haare hätten eine Gesamtlänge von 5,5 cm aufgewiesen. Sie seien am 08.11.2016 gewonnen worden. Bei einer Haarwachstumsgeschwindigkeit von durchschnittlich 1 cm pro Monat dürften die Haare etwa im Zeitraum Mitte Mai bis Ende Oktober 2016 gewachsen sein (bei der Ermittlung dieses Zeitintervalls sei berücksichtigt worden, dass es etwa zwei Wochen dauert, bis ein neu entstandenes Haar oberhalb der Kopfhaut erscheine und abgeschnitten werden könne). Die fünf untersuchten Haarsegmente wären hiernach ungefähr zu folgenden Zeitpunkten gewachsen:
3970-1 cm: Ende September bis Ende Oktober 2016
3981-2 cm: Ende August bis Ende September 2016
3992-3 cm: Ende Juli bis Ende August 2016
4003-4 cm: Ende Juni bis Ende Juli 2016
4014-5,5 cm: Mitte Mai bis Ende Juni 2016
402Die höchste Konzentration an Quecksilber sei in dem Segment 3-4 cm aufgefunden worden. Gehe man von einer einmaligen Aufnahme von Methyl/Dimethyl-Quecksilber aus, so müsse, um die wieder abnehmende Quecksilberkonzentration in dem Haarsegment 4-5,5 cm erklären zu können, die Quecksilberverbindung im Zeitraum Ende Juni/Anfang Juli 2016 aufgenommen worden sein.
403Gehe man hingegen von einer höheren Haarwachstumsgeschwindigkeit von bis zu 1,5 cm/Monat aus, so seien die Haarbefunde auch mit einer Aufnahme der Quecksilberverbindungen Ende Juli 2016 vereinbar.
404Soweit von dem Labor zu diesen Proben vom 08.11.2016 vermerkt worden sei, dass bei den eingesandten Haarproben die Haare zum Teil gegeneinander verschoben gewesen seien, sei dies unschädlich. Die konkret bestimmten Werte könnten aufgrund der Vielzahl der Fehlermöglichkeiten ohnehin nicht als absolute Werte genommen werden. Die konkret aufgenommene Menge an einem konkreten Tag ließe sich nicht bestimmen. Doch bestehe kein Zweifel, dass die Relation der Werte zueinander belastbar sei.
405Der 29.07.2016, an dem F. das starke Erbrechen gezeigt habe, könne daher nach den Haarbefunden durchaus auch der Einnahmezeitpunkt des Methylquecksilbers bzw. der Quecksilbersalze gewesen sein. Gehe man davon aus, dass F. das nach den sichergestellten Aufzeichnungen synthetisierte Methylquecksilberiodid aufgenommen habe (siehe Asservate Nr. xx / Lfd. Nr. xxx und Asservat Nr. xx.x / Lfd. Nr. xxx sowie Seite 4 des Laborjournals), so wisse man dennoch nicht, in welcher Ausbeute diese Verbindung bei dem Versuch entstanden sei und zu welchen Anteilen noch Quecksilberiodid und eventuell Methyliodid in der Mischung vorhanden gewesen seien. Der Anteil an anorganischem Quecksilbersalz könne zu sehr starkem Erbrechen geführt haben. Somit spreche auch die initiale Symptomatik dafür, dass es am 29.07.2016 zu der Aufnahme der Quecksilberverbindungen gekommen sei.
406Die relativ kurze Zeit von knapp zwei Wochen bis zum Auftreten erster neurotoxischer Wirkungen und die später festgestellten relativen hohen Konzentrationen an Methylquecksilber im Blut sprächen dafür, dass es zu einer vergleichsweise hohen Dosierung des Methylquecksilbers bei F. gekommen sei. Basierend auf Daten, die im Zusammenhang mit der Massenvergiftung im Irak im Winter 1971-1972 mit über 6000 Opfern und 400 Todesfällen gewonnen worden seien, könne davon ausgegangen werden, dass zur Herbeiführung der von F. gezeigten neurotoxischen Symptome eine orale Aufnahme von nicht mehr als 150 bis 200 mg Methylquecksilber ausgereicht hätten (Methylmercury, WHO 1990).
407Nachdem die behandelnden Ärzte im Universitätsklinikum I. ihren Verdacht bestätigt bekommen hätten, dass eine Quecksilbervergiftung vorliege (aufgrund der Laborbefunde sei neben der Aufnahme von methyliertem Quecksilber auch eine zusätzliche Aufnahme von anorganischem Quecksilber nicht auszuschließen), seien gezielte Maßnahmen zur beschleunigten Elimination des Quecksilbers aus dem Körper eingeleitet worden. In der Zeit vom 01.10. bis zum 15.11.2016 sei die Gabe des Chelatbildner DMPS (Dimaval) und zusätzlich in der Zeit zwischen dem 28.10. und 08.11.2016 eine 5-Zyklen-Erythrozyten-Apherese erfolgt. In dieser Zeit sei die Konzentration von Quecksilber im Blut von 1700 auf 68 μg/L abgefallen. Auch die Konzentration an Methyl-Hg sei von rund 734 μg/L am 20.10. auf 73 μg/L am 14.11.2016 zurückgegangen. Somit seien diese Maßnahmen sehr gut geeignet gewesen, um das Quecksilber bzw. das Methylquecksilber beschleunigt aus dem Körper zu eliminieren. Auch die zwischen dem 06.09. und 14.09.2016 durchgeführten fünf Zyklen der Plasmapherese (zu diesem Zeitpunkt sei noch nicht bekannt gewesen, dass Ursache für die Symptome eine schwere Vergiftung mit methyliertem Quecksilber sei) dürften zu einer verstärkten Elimination von Quecksilber geführt haben, weil nach eigenen Untersuchungen sich hiermit Quecksilber sehr gut aus dem Körper eliminieren lasse. So zeige auch der in dem im Rahmen der Hauptverhandlung verlesenen Gutachten vom 04.02.2019 des Sachverständigen Dr. Rr., Chemiedirektor beim Qq. Landeskriminalamt, festgestellte Laborwert zu der am 30.05.2018 entnommene Haarprobe von F. (0-6 cm) lediglich einen im Normbereich liegenden Quecksilberwert von 0,7-0,8 μg/g.
408Hinzu komme, dass auch die am 30.05.2018 entnommene Urinprobe (eine Blutprobe lag nicht vor) ausweislich der gutachterlichen Feststellungen des Sachverständigen Dr. Mm folgende – unauffällige – Werte ergeben habe:
409Untersuchungs-material |
Blei [μg/L] |
Cadmium [μg/L] |
Quecksilber [μg/L] |
Thallium [μg/L] |
Arsen [μg/L] |
Kreatinin [mg/dL] |
Urin |
0,6 |
<0,2 |
1,0 |
<0,2 |
<1,0 |
34 |
Trotz dieser vom Grundsatz her erfolgreichen Maßnahmen zur Elimination von Quecksilber habe sich aber der Zustand von F. nicht verbessert. Es müsse daher davon ausgegangen werden, dass es bei ihm bereits vor dem Einleiten der Entgiftungsmaßnahmen zu einer fortgeschrittenen Neurodegeneration gekommen sei. Es sei aufgrund der Kenntnis über die Wirkung von Methylquecksilber und der klinischen Befunde davon auszugehen, dass es bei F. zu irreversiblen Schäden am Gehirn (Stammhirn) gekommen sei. Aus toxikologischer Sicht sei nicht erkennbar, dass sich der Krankheitszustand noch einmal bessern werde.
411Zusammenfassend sei festzuhalten, dass es zu einer schwerwiegenden Intoxikation durch die Aufnahme von methyliertem Quecksilber bei F. im Sommer 2016, wahrscheinlich am 29.07.2016, gekommen sei. Diese habe zu erheblichen Gesundheitsschäden, insbesondere zu Schäden am Gehirn geführt. Die in den umfangreichen Krankenunterlagen dokumentierten Symptome und Organschäden ließen sich durch die analytisch nachgewiesene Intoxikation mit dieser organischen Quecksilberverbindung zwanglos und vollumfänglich erklären.
412Auch insoweit waren die Ausführungen des Sachverständigen Ee. nachvollziehbar und überzeugend. Die Kammer hatte keine Veranlassung, an der Korrektheit des von ihm gefundenen Ergebnisses zu zweifeln.
413ff)
414Die Kammer schließt alternative Quellen für eine Quecksilbervergiftung sicher aus.
415Diese Überzeugung fußt auf den Angaben des Zeugen Ff., der im Jahr 2016 die Ermittlungen in dem Verfahren xxx UJs xx/xx wegen des Verdachts der Vergiftung von F. geleitet hatte. Dieser hat in seiner zeugenschaftlichen Vernehmung für die Kammer nachvollziehbar und ausführlich das konkrete Vorgehen sowie das Ergebnis seiner Ermittlungen geschildert. Danach seien die im Rahmen der polizeilichen Ermittlungen durchgeführten Untersuchungen des Arbeitsplatzes inklusive der Staubuntersuchungen ohne Nachweis einer Quecksilberbelastung verlaufen. In der Firma selbst werde auch nicht mit Quecksilber gearbeitet. Im persönlichen und familiären Umfeld seien ebenfalls keine Kontakte zu Quecksilber festgestellt worden. Eine Quecksilberbelastung einer von F. gerauchten Shisha-Pfeife sei ausgeschlossen worden, weil F. diese nur gemeinsam mit seinen Freunden geraucht habe. Sämtliche Freunde von F. seien befragt worden; keiner habe ähnliche Symptome aufgewiesen. Die Familie von F. habe sich auf Quecksilber und Schwermetalle untersuchen lassen; auch hier sei das Ergebnis negativ gewesen. Die E-Zigarette von F. und die zugehörigen Flüssigkeiten seien chemisch untersucht worden. Eine erhöhte Quecksilberbelastung habe dort ebenfalls nicht festgestellt werden können. Auch habe es keine Hinweise für eine mögliche Suizidalität von F. gegeben. Schon damals habe der Verdacht bestanden, dass F. von einem Dritten vergiftet worden sei. Ein Täter habe aber nicht ermittelt werden können. Das Ermittlungsverfahren sei schließlich durch die Staatsanwaltschaft Bielefeld eingestellt worden, weil die Ursache für die Quecksilbervergiftung nicht habe gefunden werden können.
416Diese Angaben des Zeugen Ff. stehen auch im Einklang mit den Aussagen der Zeugen F. und Ww. F. Diese haben insbesondere bestätigt, dass die restliche Familie negativ auf eine Belastung mit Quecksilber oder sonstigen Schwermetallen getestet worden sei. Zudem haben sie übereinstimmend geschildert, dass die Medikamente für F. extra aus dem Ausland (Polen) hätten beschafft werden müssen, weil eine Quecksilbervergiftung in Deutschland so selten sei.
417Auch die beiden Sachverständigen Cc. und Ee. haben im Rahmen ihrer Gutachtenerstattung jeweils darauf hingewiesen, wie ungewöhnlich und selten in Deutschland eine solche Quecksilbervergiftung wie die von F. sei. So seien solche Fälle in der wissenschaftlichen Fachliteratur der letzten 100 Jahre vor F. weltweit überhaupt nur dreimal beschrieben worden. Auch für die behandelnden Ärzte des Uniklinikums I. sei der Fall so ungewöhnlich gewesen, dass sie den Fall bereits 2017 zum Gegenstand eines wissenschaftlichen Fachaufsatzes in der „frontiers in neurology“ mit dem Titel „An Enigmatic Case of Acute Mercury Poisoning: Clinical, Immunological Findings and Platelet Function“ gemacht hätten.
418Anhaltspunkte für weitere alternative Möglichkeiten der Vergiftung haben sich für die Kammer nicht ergeben.
419gg)
420Insgesamt bestand bei der gebotenen Gesamtwürdigung der belastenden Indizien für die Kammer kein Zweifel daran, dass der Angeklagte versuchte, F. zu töten, indem er ihm im Sommer 2016 methyliertes Quecksilber verabreichte.
421Auf Grundlage der Gesamtwürdigung der vorgenannten Indizien ist die Kammer folgendermaßen zu den unter II. 2. b) dargestellten Feststellungen zu Tatort und Tatzeit, Tathandlung und Vorsatz und insbesondere Täterschaft des Angeklagten gelangt:
422Es war festzustellen, dass F. ab Sommer 2016 an einer Vergiftung mit methyliertem Quecksilber litt. Diese Vergiftung fällt in eine Zeit, in der sich der Angeklagte ausweislich seiner Unterlagen und Internetrecherchen intensiv mit den Wirkungen von Quecksilber und seinen Verbindungen beschäftigte. Genau in dieser Zeit arbeitete F. in dem Nahbereich des Angeklagten, zwar nicht in derselben Abteilung, aber doch häufig zu denselben Schichtzeiten, wie jedenfalls am 29.07.2016. Zudem nutzte er den Pausenbereich der Abteilung des Angeklagten unter anderem auch, um dort – wie die anderen Vergiftungsopfer D. und E. – seine Lebensmittel aufzubewahren. Nach dem 29.07.2016 trafen der Angeklagte und F. in der Firma nicht mehr aufeinander.
423Vergiftungen mit Quecksilber sind in Deutschland derart selten, dass das Medikament zu seiner Entgiftung aus Polen beschafft werden musste.
424Die Polizei hat bereits im Jahr 2016 intensiv nach alternativen Möglichkeiten gesucht, wie die Vergiftung entstanden sein könnte. Auch die Kammer sieht keine logischen Alternativen. Dabei ist sie sich des Umstands bewusst, dass ein versuchter Giftmord des Angeklagten mangels feststellbaren Motivs kaum verständlich erscheint. Doch gilt dies auch für die Vergiftungen von E. und D., bei denen die Kammer ebenfalls kein Motiv feststellen konnte. Dennoch ist die Kammer nach den obigen Ausführungen davon überzeugt, dass der Angeklagte diese beiden Arbeitskollegen über längere Zeit vergiftet hat.
425Dabei konnte die Kammer über die konkrete Zusammensetzung der im Sommer 2016 eingesetzten Verbindung aus Methyl und Quecksilber keine Gewissheit erlangen. Gegen einen Einsatz des besonders giftigen Dimethylquecksilbers spricht jedenfalls, dass der Angeklagte insbesondere ausweislich des Laborjournals im Jahr 2016 wohl noch nicht in der Lage war, dieses herzustellen. Im Rahmen der Durchsuchungen im Jahr 2018 wurden allerdings Spuren dieses Giftes gefunden. Auch die Bestelllisten des Angeklagten deuten nach den Ausführungen des Sachverständigen Cc. darauf hin, dass der Angeklagte die Absicht hatte, Dimethylquecksilber in größeren Mengen herzustellen.
426Der Sachverständige Ee. hat sich im Zuge seiner Vernehmung auf die alternative Hypothese hingearbeitet, dass es Methylquecksilberiodid gewesen sein könnte. Dafür spricht unter anderem, dass in dem Laborjournal des Angeklagten an zeitlich passender Stelle (Seite 4 des Laborjournals) ein Herstellungsaufbau beschrieben war, der zur Herstellung von Methylquecksilberiodid führen sollte. Hinzu kommt, dass der Angeklagte wenige Monate vor dem Beginn von F.s Erkrankung, nämlich im Februar 2016, mehrmals im Internet nach den Wirkungen von Methylquecksilberiodid geforscht hat. Im Rahmen der Durchsuchung im Jahr 2018 ist im Keller des Angeklagten auch Methylquecksilberiodid in Spuren gefunden worden.
427Soweit die Verteidigung Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens dafür angetreten hat, dass der Versuchsaufbau zur Gewinnung von Methylquecksilberiodid aus dem Laborjournal nicht zum Erfolg geführt hätte, war dem nicht nachzugehen. Die Kammer stellt vielmehr in eigener Sachkunde, beraten durch die beiden toxikologischen Sachverständigen Cc. und Ee., fest, dass es sich bei dem auf Seite 4 des Laborjournals beschriebenen um einen Versuchsaufbau handelt, der in der Fachliteratur der 1850er bis 1920er Jahre fast identisch beschrieben und mehrmals als erfolgreich durchgeführt angegeben wurde. Das im Laborjournal beschriebene Verfahren erwähnt lediglich statt des Sonnenlichts eine künstliche UV-Licht-Quelle. Nach den Ausführungen der Sachverständigen Cc. und Ee. bestehen keine Bedenken, dass es im Jahr 2016 unter den Bedingungen des Kellerlabors nach dem auf Seite 4 des Laborjournals beschriebenen Verfahren eine Ausbeute an Methylquecksilberiodid gegeben haben kann.
428Letztlich kann dies aber auch dahinstehen, weil die Kammer ohnehin nicht sicher feststellen kann, welche Verbindung von Methyl und Quecksilber Verwendung gefunden hatte. Sowieso hat der Angeklagte mit den beschränkten Möglichkeiten in seinem Kellerlabor keine Reinstoffe gewonnen, sondern immer nur Spuren der gewünschten Stoffe mit verschiedenen Beiprodukten.
429Die Kammer kann aber feststellen, dass Methyl und Quecksilber im Körper von F. vorhanden gewesen sind und dass es eine Vergiftung mit diesen Stoffen war, die zu seinem heutigen Zustand geführt hat.
430Die Kammer schließt aus den Gesamtumständen auf einen bedingten Tötungsvorsatz des Angeklagten. Der Angeklagte, der die Wirkweise der Quecksilberverbindungen – wie etwa mit den am 28.02.2016 erfolgten zwei Suchanfragen mit dem Inhalt „methylquecksilber symptome“ und „methylquecksilberjodid“ – über längere Zeit intensiv studiert hatte, kannte die hohe Gefährlichkeit insbesondere auch für das Leben von F.. Er wusste, dass die von ihm verabreichte Quecksilberverbindung nicht nur zu (erheblichen) Gesundheitsschäden führen, sondern voraussichtlich auch tödlich wirken würde. Dennoch setzte er das Gift gegen F. ein. Tatsächlich war diese Giftgabe auch objektiv lebensbedrohlich. Dass F. überlebte, ist nur dem Umstand geschuldet, dass er sehr schnell in das Uniklinikum I. überwiesen und dort die Quecksilbervergiftung erkannt wurde. Aufgrund seines Wissens um die Wirkweise des von ihm eingesetzten Giftes hält es die Kammer für ausgeschlossen, dass der Angeklagte ernsthaft darauf vertraute, dass der Tod von F. nicht eintreten würde. Dabei spricht auch nichts für eine spontane, unüberlegte Handlung, sondern alles – insbesondere die Recherchen und die Experimente im Kellerlabor – für ein überlegtes, planvolles Vorgehen. Aus diesen Umständen schließt die Kammer, dass der Angeklagte den Tod von F. billigend in Kauf nahm.
431hh)
432Die Feststellung, dass der Angeklagte F. das Gift verabreichte, ohne dass dieser es merkte, und damit bewusst ausnutzte, dass dieser nicht mit einem solchen Angriff rechnete und sich infolgedessen nicht wehren konnte, beruht auf den Angaben der Zeugen Ww. und F. F. sowie dem Rückschluss aus den gefilmten Giftgaben vom 14. und 15.05.2018 und den Angaben der Zeugen E. und D..
433Die Zeugen Ww. und F. F. haben glaubhaft bekundet, dass sie F. zu Beginn der Symptome mehrfach nach möglichen Ursachen für seine Erkrankung befragt hätten. F. sei verzweifelt gewesen und habe hierauf keine Antwort gewusst. Auch den Ärzten gegenüber habe er nichts angeben können, was auf die Ursache seiner Erkrankung hätte hindeuten können.
434Hieraus folgt für die Kammer, dass der Angeklagte F. das methylierte Quecksilber nicht offen verabreicht hat. Eine freiwillige Einnahme oder zwangsweise Verabreichung – etwa durch Drohung oder Gewalt – hätte F. naheliegend gegenüber seinen Eltern und den behandelnden Ärzten angegeben, zumal er nach den glaubhaften Schilderungen seiner Eltern nicht suizidal war und dringend wünschte, dass ihm geholfen werde.
435Hinzu kommt, dass auch die anderen Vergiftungsopfer D. und E. im Rahmen ihrer Zeugenvernehmungen glaubhaft angegeben haben, dass sie von den Giftgaben zunächst nichts bemerkt hätten. So hätten sie sich etwa die auffällige Trübung ihres Trinkwassers mit der Sonneneinstrahlung oder Rückständen von Milch erklärt, weil es für sie zu diesem Zeitpunkt noch unvorstellbar gewesen sei, dass sie an ihrem Arbeitsplatz durch einen Kollegen vergiftet würden.
436Schließlich ist der Angeklagte dabei gefilmt worden, wie er die Pausenbrote von D. vergiftete. Die in Augenschein genommenen Aufnahmen lassen erkennen, wie der Angeklagte sich an beiden Tagen vorab umschaute, als ob er sich vergewissern wolle, nicht beobachtet zu werden, und dann schnell und zielgerichtet vorging. Hierbei legte er das mitgebrachte gefaltete Blatt Papier mit dem darin befindlichen Pulver in einen Aktenordner, den er jederzeit zuklappen konnte, wenn jemand hinzukommen würde. Aus diesem objektiven Bild des Geschehens wird deutlich, dass der Angeklagte gedanklich erfasste, dass in diesen Fällen D. nicht mit einer Vergiftung seiner Pausenbrote rechnete und diese deshalb zu sich nehmen würde. Es liegt auf der Hand, dass er genau diesen Umstand ausnutzte.
4373. Schuldfähigkeit
438Die Feststellungen zur Schuldfähigkeit beruhen auf dem Gutachten des Sachverständigen Dr. med. Aaa. , Arzt für Psychiatrie/ Psychotherapie, Forensische Psychiatrie.
439Ausgehend von dem Inhalt der Verfahrensakte nebst Beiakten sowie den während der Hauptverhandlung gewonnenen Erkenntnissen – insbesondere den Angaben des Zeugen W. zu dem Verhalten und den Angaben des Angeklagten im Rahmen der Untersuchungshaft – hat der Sachverständige umfassend und überzeugend zu den Voraussetzungen der Schuldfähigkeit aus ärztlicher Sicht Stellung genommen.
440Er hat zusammengefasst folgendes ausgeführt:
441a) Zur diagnostischen Einschätzung
442Auffälligkeiten, die möglicherweise einen Verdacht auf eine psychische Störung des Klaus B. begründen könnten, könnten sich vorrangig aus biographischen Informationen, aus der aktuellen Psychopathologie oder aus den Tatumständen ergeben.
443aa) Aus den biografischen Informationen
444Ausgehend von der Frage, ob die vermutete psychische Erkrankung seiner Mutter im Sinne einer genetischen Belastung eine ähnliche Erkrankung des Angeklagten bewirkt habe könne, sei zunächst festzustellen, dass die genaue Diagnose der Mutter nicht bekannt sei. Gehe man von einer deliranten Symptomatik im Rahmen einer Schmerzmittelabhängigkeit aus, wären genetische Belastungen allenfalls hinsichtlich der Entwicklung von Suchterkrankungen zu erwarten. Für eine Suchterkrankung des Angeklagten gebe es aber keinerlei Hinweise.
445Gehe man hingegen von einer psychotischen Erkrankung im Sinne einer Schizophrenie aus, wäre aufgrund der genetischen Belastung mit einer statistischen Wahrscheinlichkeit von 8 % zu erwarten, dass auch der Angeklagte als leibliches Kind seiner Mutter an einer Schizophrenie erkranken würde. Eine Schizophrenie zeige sich nach einem unspezifischen Prodromalstadium von durchschnittlich gut vier Jahren letztlich mit einer charakteristischen Symptomatik, zu der auch autistische Symptome gehören würden. Die Erkrankung verändere dann in typischer Weise das Denken, Fühlen und Handeln. Dabei würden erste Erkrankungsphasen in der ganz überwiegenden Mehrzahl der Fälle bereits im späten Jugend- oder jungen Erwachsenenalter auftreten, bei Jungen in der Regel sogar noch früher als bei Mädchen. Gerade aus dieser Zeit lägen jedoch die Angaben der Zeugin J. vor, die keinerlei Verdacht auf eine Schizophrenie oder eine schizophrene Spektrumstörung begründen würden.
446Unabhängig von einer genetischen Belastung seien die frühen Lebens- und Bindungserfahrungen des Angeklagten offenbar durch die Erkrankung der Mutter geprägt. Die symptomatischen Beschreibungen ließen erahnen, dass es für ihn besonders schwierig gewesen sei, ein stabiles Urvertrauen und die Basis für eine lebendige, vielschichtige und gefühlvolle Kommunikation zu entwickeln. So habe er sich offenbar früh in sich selbst zurückgezogen und kaum einen adäquaten Umgang mit Konflikten und Frustrationen gefunden, die er nach den Angaben seines Bruders zumeist einfach äußerlich ungerührt bzw. resignativ hingenommen habe.
447Der Angeklagte habe sich offenbar zu einem einzelgängerischen Sonderling oder in psychiatrischer Terminologie zu einem Menschen mit schizoid akzentuierten Persönlichkeitszügen oder einer milden Form einer Autismusspektrumstörung entwickelt. Das Vollbild einer Persönlichkeitsstörung oder einer Autismusspektrumstörung (insbesondere eines Aspergersyndroms) sei aber in jedem Fall auszuschließen. Menschen mit einer schizoiden Störung zeichneten sich gemäß ICD 10 durch emotionale Kühle, Distanziertheit oder flache Affektivität aus. Nur wenige oder überhaupt keine Tätigkeiten bereiteten Vergnügen. Es bestünden geringe Fähigkeiten, warme, zärtliche Gefühle oder auch Ärger anderen gegenüber zu zeigen. Zudem bestehe eine Gleichgültigkeit gegenüber Lob und Kritik. Wenig Interesse an sexuellen Erfahrungen mit einer anderen Person sowie übermäßige Vorliebe für einzelgängerische Beschäftigungen seien ebenso typisch. Es bestehe eine übermäßige Inanspruchnahme durch Phantasie und Introspektion. Zudem seien üblicherweise ein Mangel an engen Freunden oder vertrauensvollen Beziehungen (oder solche zu höchstens nur einer Person) und ein fehlender Wunsch nach solchen Beziehungen charakteristisch. Schließlich runde eine deutlich mangelnde Sensibilität im Erkennen und Befolgen gesellschaftlicher Regeln die Beschreibung des Störungsbildes ab.
448Einige der beschriebenen Symptome der spezifischen Persönlichkeitsstörung seien zwar bei dem Angeklagten erkennbar oder zu vermuten. Um aber überhaupt eine Persönlichkeitsstörung diagnostizieren zu können, müssten die Symptome seit der Kindheit oder Adoleszenz bestehen und sich dauerhaft in starren Verhaltensmustern zeigen und auf die soziale und berufliche Leistungsfähigkeit auswirken. Das sei bei dem Angeklagten indes nicht der Fall. Wie die Zeugin J. beschrieben habe, seien die sexuelle Beziehung und das sonstige Zusammenleben „ganz normal“ gewesen. Auch habe es freundschaftliche Kontakte (wenn auch nicht zu Arbeitskollegen) früher durchaus gegeben. Den gemeinsamen Bau des Teleskops habe der Angeklagte mit Interesse betrieben. Zudem, so der Sachverständige weiter, habe der Angeklagte später einen Tanzkurs besucht, bei dem er seine Frau kennen gelernt habe, sei als engagierter Vater beschrieben worden, der zum Beispiel mit seinem Sohn ein beeindruckendes Baumhaus gebaut habe, und habe sich beruflich eher überdurchschnittlich leistungsfähig gezeigt. In seinem Konfliktverhalten habe er sich eher vermeidend und beinahe aggressionsgehemmt gezeigt, punktuell aber auch entschieden durchsetzungsfähig. So sei er etwa subjektiv empfundenen zu intensiven Einmischungen seitens der Schwiegerfamilie entschieden entgegengetreten und habe sich nachhaltig abgegrenzt. Diese Gesamtschau schließe eine Persönlichkeitsstörung von forensischer Relevanz sicher aus.
449Ähnliches gelte für die Autismusspektrumstörungen (ASS), von denen hier allenfalls ein hochfunktionaler Autismus i.S. eines Asperger-Syndroms zu diskutieren sei. Typisch wäre eine Störung der sozialen Interaktion, insbesondere eine unangemessene Einschätzung sozialer und emotionaler Signale wie zum Beispiel das Fehlen von Reaktionen auf Emotionen anderer Menschen oder eine fehlende Verhaltensmodulation im sozialen Kontext. Typischerweise wäre allerdings auch ein Mangel an Kreativität und Phantasie im Denkprozess zu erwarten. Ebenso typisch wären eingeschränkte, sich wiederholende, stereotype Verhaltensmuster, Interessen und Aktivitäten. Charakteristisch wäre zudem auch eine motorische Ungeschicklichkeit, die bei dem Angeklagten sicher nicht bestehe. Vor allem aber wäre eine ASS immer eine seit der frühen Kindheit anhaltende Störung und daher zumindest in einer forensisch relevanten Ausprägung nicht mit den Beschreibungen des früheren Verhaltens durch die Zeugen vereinbar.
450Sowohl schizoiden Persönlichkeitsmerkmalen als auch autistischen Zügen sei eine ausgeprägte Distanz zu anderen Menschen eigen. Dieses passe sehr gut dazu, Gewalttaten durch Gift zu verüben, dessen Anwendung keine direkte Konfrontation mit dem Opfer erfordere. Bei den hier in Frage kommenden Substanzen komme als weitere Qualität der Distanz noch die besonders lange Wirklatenz dazu, die neben der räumlichen auch eine zeitliche Distanz von Tat und Täter zum Opfer erlaube.
451Dass sich der Verkehrsunfall mit Kopfverletzung im Jahr 2003 durch eine Schädigung (insbesondere im Frontalhirnbereich) tatbegünstigend ausgewirkt habe, könne nicht festgestellt werden. Nähere Angaben zum Hergang des Verkehrsunfalls von 2003, den genaueren Verletzungen und deren Folgen seien nicht bekannt. Ausgehend von der Diagnose eines „Schädelbruchs“ spreche gegen eine gravierende Hirnverletzung, dass der Angeklagte bereits zwei Wochen später wieder vollschichtig gearbeitet habe, er selbst gegenüber dem Psychologen der Justizvollzugsanstalt, dem Zeugen Dipl.-Psych. W, keine bleibenden Folgen benannt habe und keiner der Zeugen Veränderungen im Verhalten des Herrn B. vor und nach dem Unfall beschrieben habe.
452Eine hirnorganische Schädigung des Angeklagten durch den Umgang mit giftigen Substanzen in seinem Kellerlabor sei auch nicht festzustellen. Zweifellos sei der Umgang des Angeklagten mit den hochgiftigen Chemikalien in seinem Keller äußerst leichtsinnig. Auch nur halbwegs sichere Schutzmaßnahmen habe er augenscheinlich weder für sich noch für seine Angehörigen eingesetzt. Es sei daher naheliegend, dass er auch selbst möglicherweise neurotoxischen Giften ausgesetzt gewesen sei. Unabhängig von möglicherweise erhöhten Laborwerten und denkbaren Spätschäden hätten sich aber in seinem Verhalten keine Veränderungen gezeigt, die auf eine Vergiftung schließen lassen könnten. So seien in der Motorik, die in der Hauptverhandlung zu beobachten gewesen sei, keinerlei Hinweise auf Nervenausfallserscheinungen ersichtlich gewesen. Der Angeklagte sei bis zuletzt bei seiner Arbeit ein fachlich hoch geschätzter Arbeiter gewesen. Auch nach seiner Inhaftierung habe es in der Justizvollzugsanstalt keine Hinweise auf Ausfallerscheinungen gegeben. Eine gravierende hirnorganische Schädigung sei daher für die hier relevanten Zeiträume auszuschließen.
453bb) Aus der aktuellen Verhaltensbeobachtung bzw. Psychopathologie
454Der beschriebene Kommunikationsstil des Angeklagten mit seinen Kollegen, aber auch mit seiner Frau und den Kindern sei auffällig. Aus den bekannten Facetten des aktuellen psychischen Befundes ließen sich jedoch keine belastbaren Hinweise auf eine forensisch relevante psychische Störung ableiten.
455Zwar habe der Angeklagte, der seit Jahrzehnten in der Firma B. gearbeitet habe, zu seinen Kollegen offenbar durchgehend eine unpersönliche Distanz gehalten. Hier könnten sich die oben genannten akzentuierten Persönlichkeitszüge oder leichten autistischen Symptome ausgewirkt haben. Gleichwohl sei es offenbar eine vorrangig willentliche Entscheidung des Angeklagten, sich nicht persönlich auf seine Kollegen einzulassen. So habe die Zeugin J. berichtet, dass er bereits zu der damaligen Zeit diese Trennung klar entschieden habe, gleichwohl aber im privaten Bereich eine langjährig erfüllte Partnerschaft sowie Freundschaften und Bekanntschaften habe unterhalten können. Vermutlich habe die persönliche Distanz zu den Kollegen die Hemmschwelle, diese zu vergiften, erheblich gesenkt. Da der Angeklagte seine Kollegen nicht in den Kreis des persönlichen Wir-Gefühls integriert habe, habe sich seine Empathie für sie möglicherweise kaum von der unterschieden, die beispielsweise der durchschnittliche Bürger für unbekannte Verbrechensopfer auf anderen Kontinenten empfindet.
456Soweit sich im Kontakt zu seinen Angehörigen Auffälligkeiten gezeigt hätten, etwa bei der Verabschiedung von seiner Frau und dem jüngeren Sohn bei seiner Verhaftung, sei zu berücksichtigen, dass sich in Stresssituationen Persönlichkeitsakzentuierungen nicht selten in besonderem Maße auswirken würden. Bei der Begehung der Taten, die der Angeklagte in aller Ruhe und ganz im Verborgenen habe vorbereiten können, sei hingegen nicht von einer besonderen Stresssituation auszugehen.
457In vermutlich auch stressbelasteten Situationen wie der Untersuchungshaft, auf die er sich aber über Wochen habe einstellen können, habe sich der Angeklagte zwar auch mit ungewöhnlichen Verhaltensweisen gezeigt, sei aber dennoch zu einer guten Anpassungsleistung in der Lage gewesen. So sei er etwa ohne größere Konflikte in einem mehrfach belegten Haftraum zurechtgekommen, was sicher eine gewisse Sozialkompetenz verlange. Auch habe er sein Anliegen der Aufhebung der besonderen Sicherungsmaßnahmen gegenüber dem Zeugen W. zielgerichtet, in angemessener Form und letztlich erfolgreich vertreten können.
458cc) Aus den Tatumständen
459Hinweise auf eine wahnhaft motivierte Tat lägen nicht vor. Insbesondere fänden sich keine Anhaltspunkte für ein besonderes Bedrohungserleben. Auch die Gespräche bei dem Zeugen W. hätten keinerlei entsprechende Anhaltspunkte etwa in Form eines übersteigerten Misstrauens oder wahnhafter Fehlinterpretationen ergeben.
460Soweit auf dem Laptop im Keller auch pornographisches Material (Suchverläufe zu Manga-Pornographie) gefunden worden sei, ließen sich hieraus keine Schlüsse auf eine forensisch relevante sexuelle Deviation (insbesondere im Sinne eines Sadismus) ziehen. Die Verbreitung von Pornographie sei so ubiquitär, dass daraus alleine keine besonderen Schlüsse zu ziehen seien. Auch in der zeitlichen Verteilung der aufgerufenen Seiten zeichne sich aus Sicht des Sachverständigen kein besonders auffälliges Muster ab. Jedenfalls sei nicht erkennbar, dass der Angeklagte sich jeweils nach bestimmten Recherchen mit den pornographischen Seiten „belohnt“ hätte. In der Literatur seien schon früh Giftmorde mit sexuellen Motiven in Verbindung gebracht worden (vor allem bei weiblichen Täterinnen). Wissenschaftlich belegt sei dieses jedoch nicht (was angesichts der kleinen Fallzahlen allerdings auch kaum möglich gewesen wäre). Im vorliegenden Fall bestünden jedenfalls keine belastbaren Hinweise auf eine paraphile Störung bzw. sexuelle Motivation der Taten.
461Der Angeklagte habe anscheinend keine aktiven Erkundigungen über die Auswirkungen der von ihm hervorgerufenen Vergiftungen eingeholt. Auch schriftliche Aufzeichnungen darüber seien nicht gefunden worden. Sofern er die quälenden Symptome und den körperlichen Verfall der Kollegen während der Arbeitszeit miterlebt habe, seien weder unmittelbare sadistische Neigungen noch Ansätze von Mitleid oder Hilfsbereitschaft sichtbar geworden.
462dd) Diagnostisches Fazit
463Im Zeitraum der vorgeworfenen Taten und auch weiterhin seien bei dem Angeklagten Auffälligkeiten im Sinne leichter autistischer Züge oder einer schizoiden Persönlichkeitsakzentuierung feststellbar. Eine psychische Störung, welche ein Eingangsmerkmal der §§ 20, 21 StGB erfüllen könnte, habe aber nicht vorgelegen. Belastbare Hinweise auf eine krankhafte seelische Störung insbesondere im Sinne einer Schizophrenie oder einer anhaltenden wahnhaften Störung lägen nicht vor. Bei dem Angeklagten habe weder ein Schwachsinn noch eine tiefgreifende Bewusstseinsstörung vorgelegen. Auch eine „schwere andere seelische Abartigkeit“ im Sinne des vierten Eingangsmerkmals der § 20 / 21 StGB sei nicht zu diagnostizieren.
464Ungeachtet dessen, dass bereits kein Eingangsmerkmal der §§ 20, 21 StGB festgestellt werden könne, sei auch keine wesentliche Einschränkung der Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit (oder gar eine Aufhebung) festzustellen.
465b) Würdigung
466Die Kammer ist dem Gutachten des Sachverständigen Dr. med. Aaa. nach eingehender Würdigung gefolgt.
467Die Feststellung, dass die Einsichtsfähigkeit in das Unrecht der vorgeworfenen Taten nicht aufgehoben und die Steuerungsfähigkeit auch nicht erheblich vermindert war, wird insbesondere durch die in Augenschein genommenen Videoaufzeichnungen vom 14. und 15.05.2018 bestätigt. Dass sich der Angeklagte vorab umschaute, als ob er sich vergewissern wolle, nicht beobachtet zu werden, und das Pulver in dem Blatt Papier in einen Aktenordner legte, den er jederzeit zuklappen konnte, belegt aus Sicht der Kammer, dass dem Angeklagten das Unrecht seiner Handlung klar war. Weiter sieht sich die Kammer in ihrer Einschätzung dadurch bestärkt, dass der Angeklagte die Taten über einen langen Zeitraum vorbereitete und präzise durchführte.
4684. Ermittlungen und Nachtatgeschehen
469Was den Beginn der Ermittlungen und das weitere Nachtatgeschehen angeht, so beruhen diese Feststellungen auf den Angaben der Zeugen D., Ww. und F. F., Hh., Gg, KHK Ii, X., U. und Ff., den in der Hauptverhandlung verlesenen Vermerken des Hh. vom 11.06.2018 und des EKHK Jj vom 17.05.2018 sowie der verlesenen Einsatzdokumentation der ABC-Erkundung der Feuerwehr C. vom 16.05.2018 sowie den Angaben von Cc..
470Die vorgenannten Polizeibeamten haben den Hergang der Ermittlungen zusammenfassend dargestellt. Die Zeugen Ff., Hh. und Gg haben dabei übereinstimmend die auffällig emotionslose Verabschiedung des Angeklagten von seiner Frau und dem jüngeren Sohn bei seiner Verhaftung geschildert.
471Der Sachverständige Cc. hat im Zuge seiner Gutachtenerstattung auch zu den Vorgängen, die zur wochenlangen Schließung des Labors bei dem Kriminaltechnischen Institut des Landeskriminalamtes NRW geführt haben, Angaben gemacht.
472IV.
473Nach den getroffenen Feststellungen hat sich der Angeklagte wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit wissentlicher schwerer und mit gefährlicher Körperverletzung, wegen wissentlicher schwerer in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, wegen versuchter wissentlicher schwerer in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen, wegen versuchter wissentlicher schwerer in Tateinheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung und wegen gefährlicher Körperverletzung in fünf Fällen strafbar gemacht.
4741. Taten zum Nachteil von E.
475a)
476Der Angeklagte hat sich in den ersten fünf Fällen zu II. 2. a) aa) der Feststellungen wegen gefährlicher Körperverletzung nach §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 1 StGB strafbar gemacht. Die seinem Arbeitskollegen E. jeweils verabreichten Bleiverbindungen stellen Gift im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 1 StGB dar. Bei den verabreichten Bleiverbindungen – wahrscheinlich Bleiacetat – handelt es sich jeweils um einen Stoff, der bei der hier erfolgten oralen Aufnahme durch chemische Wirkung nach seiner Art und der vom Angeklagten jeweils eingesetzten Menge in den konkreten fünf Fällen geeignet war, ernsthafte gesundheitliche Schäden zu verursachen, was dem Angeklagten aufgrund seiner intensiven Recherchen zu den von ihm eingesetzten Giften auch bewusst war.
477b)
478In dem sechsten Fall zu II. 2 a) bb) der Feststellungen hat sich der Angeklagte wegen wissentlicher schwerer Köperverletzung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung nach §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 5, 226 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2 StGB strafbar gemacht, indem er dem Zeugen E. zusätzlich Cadmium verabreichte mit der Folge, dass der Zeuge E. einen irreparablen Nierenschaden erlitt.
479Der Zeuge E. ist infolgedessen in Siechtum im Sinne des § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB verfallen. Aufgrund des festgestellten irreparablen Nierenschadens mit den weiteren Folgen (insbesondere der dauerhaften Dialysepflicht, dauerhaften Arbeitsunfähigkeit, starken Einschränkung der körperlichen Leistungsfähigkeit und begrenzten Möglichkeit der Flüssigkeitsaufnahme) ist ein chronischer Krankheitszustand von nicht absehbarer Dauer zu bejahen, der wegen Beeinträchtigung des Allgemeinbefindens Hinfälligkeit zur Folge hat (vgl. Fischer, StGB, 66. Aufl., § 226 Rn. 11).
480Diesen Zustand des Zeugen E. hat der Angeklagte wissentlich verursacht, § 226 Abs. 2 StGB. Dafür genügt es zwar nicht, dass der Täter lediglich weiß und will, dass sein Opfer durch die Tat erheblich verletzt wird (BGH, Beschluss vom 27.08.2013 - 4 StR 274/13 mwN). Der Tatbestand ist aber erfüllt, wenn der Täter die schwere Körperverletzung als sichere Folge seines Handelns voraussieht (BGH, Urteil vom 14.12.2000 - 4 StR 327/00; Urteil vom 13.12.2017 – 2 StR 230/17). Das ist hier der Fall. Der Angeklagte hatte sich über einen langen Zeitraum insbesondere auch mit der Wirkung von Cadmium und Blei beschäftigt und sah die betreffenden Symptome als sichere Folge seiner Verletzungshandlung voraus. Da sich die Motivation des Angeklagten nicht aufklären ließ, kann indes eine absichtliche Herbeiführung der Folgen nicht bejaht werden.
481Anders als in den vorangegangenen fünf Fällen verwirklichte der Angeklagte dabei auch den Tatbestand des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB (mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung), denn die Verabreichung der Cadmiumverbindung war – im Gegensatz zu den davor verabreichten Mengen an Bleiverbindungen – konkret lebensbedrohlich.
482In dieser Begehungsform steht die gefährliche Körperverletzung zur schweren Körperverletzung in Tateinheit. Die Annahme von Gesetzeskonkurrenz würde das gesonderte Unrecht, das – über die schwere Folge der Körperverletzung hinausgehend – in der lebensgefährlichen Handlung liegt, nicht zum Ausdruck bringen (so BGH, Beschluss vom 21.10.2008 – 3 StR 408/08; noch offen gelassen von BGH, Beschluss vom 25.07.2007 – 2 StR 252/07); denn diese Folge wird weder regelmäßig noch gar notwendig durch eine das Leben (abstrakt) gefährdende Handlung bewirkt.
483Die zugleich verwirklichte gefährliche Körperverletzung in der Begehungsform des § 224 Abs. 1 Nr. 1 StGB tritt indes im Wege der Gesetzeskonkurrenz hinter § 226 Abs. 1 StGB zurück (so Fischer, a.a.O., § 224 Rn. 35 mwN; zu § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB BGH, Beschluss vom 25.07.2007 – 2 StR 252/07; offen gelassen von BGH, Beschluss vom 14.03.2017 – 4 StR 646/16).
484c)
485Der Angeklagte handelte in sämtlichen Fällen auch rechtswidrig und schuldhaft.
4862. Tat zum Nachteil von F.
487Durch die Tat zum Nachteil des F. (Fall zu II. 2. b) der Feststellungen) hat sich der Angeklagte wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit wissentlicher schwerer und mit gefährlicher Körperverletzung strafbar gemacht.
488a)
489Auch wenn das Tötungsdelikt nicht vollendet wurde, weil F. an der Vergiftung mit dem methylierten Quecksilber (noch) nicht verstorben ist, so hatte der Angeklagte durch das Verabreichen des Giftes doch zur Tatausführung unmittelbar angesetzt.
490Er verabreichte F. absichtlich das Gift in dem Wissen, dass dieser hieran voraussichtlich sterben würde. Den Tod von F. nahm er dabei billigend in Kauf.
491Der Angeklagte handelte heimtückisch im Sinne von § 211 Abs. 2 5. Alt. StGB. F. war bei der Aufnahme des methylierten Quecksilbers arglos, weil er während der Arbeitszeit in den Räumen der Firma B. nicht mit einem feindseligen Angriff seines Arbeitskollegen auf sich rechnete und daher keine Möglichkeit hatte, den Angriff abzuwehren. Diese Arglosigkeit von F. und die darauf begründete Wehrlosigkeit nutzte der Angeklagte bewusst zur Begehung der Tat aus.
492Eine Bewertung der Beweggründe als besonders verwerflich scheidet indes schon deshalb aus, weil die Kammer die Beweggründe des Angeklagten nicht kennt. Es ließ sich nicht aufklären, welche Motivation der Tat zugrunde lag.
493Aus diesem Grund kann ein grausames Handeln des Angeklagten ebenfalls nicht angenommen werden. Eine gefühllose, unbarmherzige Gesinnung liegt zwar angesichts des augenscheinlichen Fehlens jeglicher emotionaler Beteiligung des Angeklagten nahe, die Kammer zieht diesen Schluss aber nicht. Vielmehr sieht die Kammer in den Angaben der Zeuginnen J., L. und V., die den Angeklagten durchaus als liebevoll und empfindsam beschrieben haben, gewichtige Anhaltspunkte dafür, dass es sich hierbei auch um eine demonstrative Haltung handeln kann, welche nicht zwingend auch dem inneren Erleben des Angeklagten entsprechen muss. Letztlich konnte die Gesinnung des Angeklagten nicht aufgeklärt werden.
494Der Angeklagte handelte auch rechtswidrig und schuldhaft.
495Ein strafbefreiender Rücktritt vom Versuch des Mordes im Sinne des § 24 Abs. 1 StGB ist nicht gegeben. Der Tötungsversuch war beendet. Aufgrund seines durch umfangreiche Recherchen erworbenen Wissens um die Wirkung des von ihm eingesetzten methylierten Quecksilbers wusste der Angeklagte, dass er alles zur Verwirklichung der Tötung von F. Erforderliche getan hatte. Dass F. überlebte, ist allein dem Umstand geschuldet, dass er sehr schnell in die besondere Fachkompetenz eines maximalversorgenden Klinikums überwiesen wurde. Der Angeklagte entfaltete keinerlei Bemühungen, den Tod von F. abzuwenden.
496b)
497Der Angeklagte hat sich auch wegen wissentlicher schwerer Körperverletzung nach § 226 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 StGB strafbar gemacht.
498Auch F. ist infolge der Vergiftung in Siechtum im Sinne von § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB verfallen, denn er hat alle kognitiven Fähigkeiten für immer verloren. Er wird nie wieder zu einer eigenständigen Lebensführung in der Lage sein.
499Diesen Zustand hat der Angeklagte wissentlich verursacht, § 226 Abs. 2 StGB. Er hatte sich über einen langen Zeitraum intensiv mit der Wirkung von Quecksilber und seinen Verbindungen beschäftigt und sah die Symptomatik als sichere Folge seiner Verletzungshandlung voraus.
500c)
501Zudem hat der Angeklagte sich wegen gefährlicher Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung strafbar gemacht. Das Verabreichen des methylierten Quecksilbers war generell geeignet, das Leben des F. zu gefährden.
502d)
503Die drei Strafgesetze stehen im Verhältnis der Tateinheit im Sinne des § 52 StGB zueinander, da sie durch dieselbe Handlung verletzt wurden.
504Zwischen dem versuchten Mord und der vollendeten wissentlichen schweren Körperverletzung besteht Tateinheit, weil sonst der Unrechtsgehalt der Tat nicht hinreichend zum Ausdruck gebracht würde. Deshalb tritt auch die gefährliche Körperverletzung mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung nicht hinter dem Tötungsdelikt zurück. Die zugleich verwirklichte gefährliche Körperverletzung in der Begehungsform des § 224 Abs. 1 Nr. 1 StGB tritt im Wege der Gesetzeskonkurrenz zurück.
5053. Taten zum Nachteil von D.
506a)
507Der Angeklagte hat sich in den Fällen zu II. 2. c) aa) und bb) der Feststellungen wegen versuchter wissentlicher schwerer in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen nach §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 5, 226 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2, 22, 23 StGB strafbar gemacht, indem er dem Zeugen D. jedenfalls zweimal Blei- und Cadmiumverbindungen verabreichte.
508aa)
509Die schwere Körperverletzung wurde in beiden Fällen nicht vollendet. D. musste zwar nach den Vergiftungen jeweils stationär wegen akuten Nierenversagens behandelt werden und hat bleibende Nierenschäden zurückbehalten, er ist aber (noch) nicht hinfällig geworden. Allerdings hatte der Angeklagte durch das jeweilige Verabreichen der Blei- und Cadmiumverbindungen jedenfalls unmittelbar angesetzt zur Verwirklichung der schweren Folge und das in dem Wissen, dass gerade die Verabreichung der Cadmiumverbindungen eine Funktionseinbuße zahlreicher Organe, insbesondere einen dauerhaften Funktionsausfall der Nieren, und damit das Siechtum des Zeugen D. zur Folge haben konnte.
510Der Angeklagte handelte rechtswidrig und schuldhaft.
511Ein strafbefreiender Rücktritt vom Versuch der schweren Körperverletzung liegt nicht vor. Dem Angeklagten waren die genetische Vorerkrankung seines Opfers und dessen daraus herrührende besondere Anfälligkeit nicht bekannt. Die Kammer kann nicht sicher feststellen, ob er auch nach seiner eigenen Vorstellung nach Abschluss der je letzten Ausführungshandlung bereits alles für den Eintritt der qualifizierenden Folge Erforderliche getan hatte, ob also bereits die von ihm bis zur Krankschreibung des Opfers verabreichte Giftmenge nach seiner Vorstellung ausgereicht hatte, um das endgültige Versagen der Nieren verursachen zu können. Es kann aber dahinstehen, ob es sich um einen beendeten oder unbeendeten Versuch handelt. Denn selbst wenn von einem unbeendeten Versuch auszugehen wäre, hätte der Angeklagte nicht freiwillig von der weiteren Tatausführung abgesehen. Vielmehr war es so, dass D. jeweils infolge der Vergiftungen stationär behandelt werden musste und so dem Zugriff des Angeklagten entzogen war. Wie unter II. 2. c) cc) festgestellt, versuchte der Angeklagte nach D.s Rückkehr zudem erneut, diesen mittels Blei- und Cadmiumverbindungen zu vergiften, was zusätzlich gegen eine Aufgabe der Tatbegehung spricht.
512bb)
513Zudem hat der Angeklagte sich in beiden Fällen auch wegen vollendeter gefährlicher Körperverletzung in den Begehungsformen des § 224 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 5 StGB strafbar gemacht.
514Wegen der zwei Tatbestandsmodalitäten gilt das oben zu den Taten zum Nachteil von E. Ausgeführte sinngemäß.
515cc)
516Die beiden Strafgesetze stehen im Verhältnis der Tateinheit im Sinne des § 52 StGB zueinander, da sie durch dieselbe Handlung verletzt wurden.
517Die zugleich verwirklichte gefährliche Körperverletzung in der Begehungsform des § 224 Abs. 1 Nr. 1 StGB als auch in der Begehungsform des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB treten nicht im Wege der Gesetzeskonkurrenz hinter der hier lediglich versuchten wissentlichen schweren Körperverletzung zurück. Ansonsten wäre der Unrechtsgehalt der Tat nicht erschöpft.
518b)
519In dem Fall zu II. 2. c) cc) der Feststellungen hat der Angeklagte sich wegen versuchter wissentlicher schwerer in Tateinheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung nach §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 5, 226 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2, 22, 23 StGB strafbar gemacht.
520Die Kammer wertet dabei die einzelnen Giftgaben nicht als selbständige, in sich abgeschlossene Versuche, sondern als ein einheitliches Geschehen im natürlichen Sinne und damit rechtlich als eine natürliche Handlungseinheit. Die einzelnen Giftgaben basierten auf dem einheitlichen Tatentschluss, den Zeugen D. zu vergiften, und sind in engem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang derart miteinander verbunden, dass das Tätigwerden bei natürlicher Betrachtungsweise als einheitliches zusammenhängendes Tun erscheint.
521D. nahm bei diesen Giftgaben jedenfalls nicht mehr solche Mengen der Substanzen auf, so dass es auch nicht mehr zu einem eine Zäsur für die Handlungseinheit bildenden akuten Nierenversagen mit anschließender stationärer Behandlung kam.
522Ein strafbefreiender Rücktritt im Sinne des § 24 Abs. 1 StGB ist wiederum nicht gegeben. Auch hier kann letztlich dahinstehen, ob von einem beendeten oder unbeendeten Versuch auszugehen ist. Jedenfalls hat der Angeklagte die weitere Tatausführung nicht freiwillig aufgegeben. Am 15.05.2018 streute er zuletzt Bleiacetat auf die Pausenbrote von D. und am 16.05.2018 wurde er mit dazu passendem Bleiacetat in der Tasche in der Firma B. festgenommen. Vor diesem Hintergrund bestehen keine Zweifel, dass der Angeklagte nach der Giftgabe vom 15.05.2018 nicht mit der Vergiftung von D. aufhören wollte, sondern diese weiter fortgesetzt hätte.
523Im Übrigen gilt hinsichtlich der Konkurrenzen das bereits unter IV. 3. a) cc) Ausgeführte.
5244. Kein versuchtes Tötungsdelikt zum Nachteil von E. und D.
525Ein versuchtes Tötungsdelikt zum Nachteil von E. und D. hat die Kammer demgegenüber nicht angenommen. Dass der Angeklagte bei der jeweiligen Verabreichung der Blei- und Cadmiumverbindungen zumindest mit bedingtem Tötungsvorsatz handelte, lässt sich nicht feststellen.
526V.
5271. Taten zum Nachteil von E.
528Im Rahmen der Strafzumessung ist die Kammer für die ersten fünf Taten zum Nachteil von E. – Taten der gefährlichen Körperverletzung zu II. 2. a) aa) der Feststellungen – von dem Strafrahmen des § 224 Abs. 1 StGB ausgegangen, der Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren vorsieht. Für die Tat zu II. 2 a) bb) der Feststellungen – die wissentliche schwere in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung – ist die Kammer gemäß § 52 Abs. 2 StGB vom Strafrahmen des § 226 Abs. 2 StGB ausgegangen, der Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren vorsieht.
529Sodann hat die Kammer in sämtlichen Fällen das Vorliegen eines minder schweren Falles im Sinne des § 224 Abs. 1 Halbs. 2 StGB bzw. des § 226 Abs. 3 Halbs. 2 StGB geprüft und im Ergebnis verneint. Vertypte Milderungsgründe lagen nicht vor. Auch unter Berücksichtigung der allgemeinen Zumessungsgründe ist die Kammer vom Vorliegen eines minder schweren Falles in keinem der sechs Fälle ausgegangen.
530Zwar hat die Kammer auch die völlige strafrechtliche Unbescholtenheit des Angeklagten mildernd bedacht.
531Andererseits waren aber zu Lasten des Angeklagten die erheblichen körperlichen und die psychischen Folgen für E. zu bedenken. Dabei hat die Kammer nicht verkannt, dass die Folgen der Tat zu II. 2 a) bb) der Feststellungen, wegen derer die Kammer ein Verfallen des Zeugen in Siechtum bejaht hat, nicht straferschwerend heranzuziehen waren. Allerdings waren die weiteren Folgen, nämlich die finanziellen Einschränkungen der Familie E., die Sorge des Geschädigten, gegebenenfalls kein Spenderorgan zu erhalten, sowie das erhöhte Krebsrisiko zu berücksichtigen. Die Kammer hat auch berücksichtigt, dass sich die auf die Vergiftung von E. gerichtete Tatserie über einen erheblichen Zeitraum erstreckte, in dem der Zeuge sich immer wieder wegen der äußerst schmerzhaften Vergiftungsfolgen in stationäre Behandlung begeben musste und sich zudem der quälenden Unsicherheit ausgesetzt sah, die Ursache für seine Leiden nicht zu kennen. Ebenfalls strafschärfend fiel ins Gewicht, dass die Taten von einer erheblichen kriminellen Energie geprägt waren. Sie wurden sorgfältig geplant und vorbereitet.
532Unter Berücksichtigung dieser und der übrigen in § 46 StGB genannten Zumessungsgesichtspunkte ergab sich ein Überwiegen mildernder Gesichtspunkte, das die Annahme eines minder schweren Falles getragen hätte, nicht. Dies gilt auch hinsichtlich der ersten der fünf Taten, die sich aufgrund des Seriencharakters und der ähnlichen Begehungsweise der gleichartigen Straftaten im Vergleich zu den anderen Taten nicht als milder darstellte. Die Kammer hat bei der konkreten Strafzumessung die Schwere und Dauer der vom Geschädigten erlittenen Tatfolgen zum Anlass genommen, die Strafen für die sechs Taten schon in der Mitte des Regelstrafrahmens anzusiedeln und als tat- und schuldangemessen für die fünf Taten der gefährlichen Körperverletzung eine Einzelfreiheitsstrafe von je vier Jahren und sechs Monaten sowie für die Tat der wissentlichen schweren Köperverletzung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung eine Freiheitsstrafe von neun Jahren zu verhängen.
5332. Tat zum Nachteil von F.
534Die Strafe für die Tat zum Nachteil von F. – versuchter Mord in Tateinheit mit wissentlicher schwerer und mit gefährlicher Körperverletzung – hat die Kammer gemäß § 52 Abs. 2 StGB dem Strafrahmen des § 211 StGB entnommen. Dieser sieht lebenslange Freiheitsstrafe vor.
535Anhaltspunkte für außergewöhnliche strafmildernde Umstände im Sinne der Rechtsfolgenlösung lagen nicht vor.
536Eine Verschiebung des vorgenannten Strafrahmens über die §§ 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB hat die Kammer nicht vorgenommen. Die Strafrahmenverschiebung steht im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Bei der Prüfung einer Verschiebung des Strafrahmens wegen Versuchs ist auf Grund einer Gesamtschau der Tatumstände im weitesten Sinne sowie der Persönlichkeit des Täters zu entscheiden. Dabei kommt besonderes Gewicht den wesentlich versuchsbezogenen Umständen zu, nämlich Nähe der Tatvollendung, Gefährlichkeit des Versuchs und aufgewandte kriminelle Energie, weil sie die wichtigsten Kriterien für die Einstufung des Handlungs- und Erfolgsunwerts einer nur versuchten Tat liefern (vgl. BGH, Beschluss vom 28.09.2010 - 3 StR 261/10; Urteil vom 15.02.1995 - 2 StR 482/94).
537Die Strafrahmenverschiebung zu verweigern, kann insbesondere angemessen sein, wenn die Folgen des Versuchs besonders nahe zur Vollendung liegen oder wenn es letztlich nur dem Zufall geschuldet war, dass der Erfolg nicht eintrat. Beides ist hier der Fall. Dass F. überlebte, ist nur dem Umstand geschuldet, dass die Ärzte des B. die Grenzen ihrer Möglichkeiten früh erkannten und er sehr schnell in die besondere Fachkompetenz des maximalversorgenden Uniklinikums I. überwiesen wurde, wie der Sachverständige Ee. nachdrücklich hervorgehoben hat. Die konkreten Folgen der Tat bestehen darin, dass der Angeklagte in F. alle Funktionen ausgeschaltet hat, die das Leben im eigentlichen Sinne ausmachen. So hat F. alle kognitiven Fähigkeiten für immer verloren. Er wird durch ein Tracheostoma beatmet und künstlich über eine Magensonde ernährt. Von alldem, was das Leben als Mensch ausmacht, ist bei ihm fast nichts mehr geblieben. Sein Zustand bedeutet für seine Eltern, ihren erwachsenen Sohn auf Dauer in einer enorm belastenden Weise zu pflegen und zu versorgen. Sein Vater hat im Rahmen seiner Vernehmung seinen eigenen Zustand mit den Worten beschrieben, leben wolle er selbst nicht mehr, aber sterben dürfe er auch nicht: Er könne sich ja nicht einfach davonmachen. Der jüngere von F.s Brüdern bringt es fast gar nicht mehr über sich, ihn in diesem Zustand auch nur anzusehen.
538Aus Sicht der Kammer ist keine der Folgen dieses Mordversuchs merkbar glimpflicher, als es der vollendete Mord gewesen wäre.
539Ausgehend von der gesetzlichen Vorgabe des § 211 StGB hat die Kammer für die Tat zum Nachteil des F. daher eine lebenslange Einzelfreiheitsstrafe verhängt.
5403. Taten zum Nachteil von D.
541Bei der Zumessung der gegen den Angeklagten zu verhängenden Strafe für die zum Nachteil des D. begangenen Taten ist die Kammer für die beiden Taten der versuchten wissentlichen schweren in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (Fälle zu II. 2. c) aa) und bb) der Feststellungen) und für die Tat der versuchten wissentlichen schweren in Tateinheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung (Fall zu II. 2. c) cc) der Feststellungen) gemäß § 52 Abs. 2 StGB jeweils zunächst vom Strafrahmen des § 226 Abs. 2 StGB ausgegangen.
542Sodann hat die Kammer in sämtlichen Fällen das Vorliegen eines minder schweren Falles geprüft und im Ergebnis verneint. Unter Berücksichtigung und Abwägung aller Umstände, die für die Wertung von Tat und Täter in Betracht kommen, auch solcher, die den einzelnen Taten vorausgingen und nachfolgten, weichen die Taten – auch unter Berücksichtigung des vertypten Milderungsgrundes nach §§ 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB – nicht in einem solchen Maß von dem Durchschnitt der gewöhnlich vorkommenden Fälle ab, dass die Anwendung des jeweils milderen Strafrahmens geboten erscheint. Die vorgenommene Gesamtbetrachtung führt in keinem der Fälle zu einem beträchtlichen Überwiegen der – im Einzelnen noch auszuführenden – strafmildernden Faktoren.
543Da die Taten im Versuchsstadium stecken geblieben waren, hat die Kammer den Strafrahmen allerdings nach § 49 Abs. 1 StGB verschoben, so dass der Strafrahmen insoweit letztlich Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu elf Jahren und drei Monaten beträgt. Gründe, die fakultative Milderung nach § 23 Abs. 2 StGB zu versagen, konnte das Gericht insoweit nicht erkennen.
544Bei der konkreten Zumessung nach Maßgabe der in § 46 StGB bezeichneten Zumessungsgründe hat die Kammer zu Gunsten des Angeklagten den bereits oben zu V. 1. angeführten Umstand bedacht, dass er bis zu den hier in Rede stehenden Taten strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten war.
545Erheblich zulasten des Angeklagten hat die Kammer berücksichtigt, dass der Angeklagte neben den Versuchen wissentlicher schwerer Körperverletzungen jeweils zugleich eine vollendete gefährliche Körperverletzung bewirkte. Diese Taten führten zu dauerhaften körperlichen Schäden und einer massiven Einschränkung in der Lebensführung des Zeugen D.. Der bei ihm eingetretene Nierenschaden ist zwar noch nicht derart gravierend wie bei E., doch besteht die reelle Gefahr, dass bei einer an sich harmlosen Infektion die vorgeschädigten Nieren endgültig versagen. Auch leidet D., wovon die Kammer sich im Rahmen der Hauptverhandlung selbst ein Bild machen konnte, zum einen psychisch wegen der körperlichen Folgen der Taten, die ihm seine vorherige Lebensweise mit regelmäßigen sportlichen Aktivitäten unmöglich machen, und macht sich zum anderen selbst Vorwürfe, nicht früher etwas bemerkt zu haben. Darüber hinaus kam strafschärfend zum Tragen, dass die gefährlichen Körperverletzungen in zwei Begehungsweisen verwirklicht worden sind. Ebenfalls strafschärfend fiel ins Gewicht, dass die Taten, sorgfältig geplant und vorbereitet, von einer erheblichen kriminellen Energie geprägt waren.
546Im Rahmen der konkreten Strafzumessung hat die Kammer insbesondere wegen der erheblichen gesundheitlichen Folgen für D. das stärkste Gewicht den zwei versuchten wissentlichen schweren Körperverletzungen in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (Fälle zu II. 2. c) aa) und bb) der Feststellungen) zugemessen. Für diese Taten hat sie nach Abwägung der genannten für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände je eine Einzelstrafe von sechs Jahren verhängt.
547Für die Tat der versuchten wissentlichen schweren in Tateinheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung (Fall zu II. 2. c) cc) der Feststellungen) hat die Kammer eine Einzelstrafe von vier Jahren und sechs Monaten für tat- und schuldangemessen erachtet. Dabei hat sie insbesondere im Vergleich zu den ersten fünf Taten zum Nachteil von E. – Taten der gefährlichen Körperverletzung zu II. 2. a) aa) der Feststellungen – berücksichtigt, dass hier zum Nachteil von D. auch jeweils eine versuchte wissentliche schwere Körperverletzung tateinheitlich begangen wurde, es aber insgesamt nur beim Versuch blieb.
5484. Gesamtstrafe
549Aus diesen Einzelstrafen hat die Kammer gemäß §§ 53 Abs. 1 und 2, 54 StGB eine Gesamtstrafe gebildet und angesichts des Zusammentreffens von zeitigen mit einer lebenslangen Freiheitsstrafe gemäß § 54 Abs. 1 S. 1 StGB auf eine
550lebenslange Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe
551erkannt.
552VI.
553Im Hinblick auf die lebenslange Freiheitsstrafe als Gesamtfreiheitsstrafe hat die Kammer die besondere Schwere der Schuld (§ 57a Abs. 1 S. 1 Nr. 2) festgestellt. Bei zusammenfassender Würdigung der der lebenslangen Gesamtfreiheitsstrafe zugrunde liegenden Straftaten wiegt die Schuld des Angeklagten so schwer, dass die Aussetzung der Freiheitsstrafe nach 15 Jahren auch bei dann günstiger Prognose nicht tat- und schuldangemessen wäre.
554Anknüpfungspunkt für die Prüfung der besonderen Schuldschwere nach § 57b StGB sind alle der Gesamtstrafe zugrunde liegenden Taten (vgl. Fischer, a.a.O., § 57b, Rn. 3 mwN). Es ist anerkannt, dass in die Gesamtstrafe eingeflossene schwere Straftaten, die neben der Tat begangen wurden, für die die lebenslange Freiheitsstrafe ausgesprochen wurde, die Gesamtschuldschwere regelmäßig erhöhen, da sich der ihnen innewohnende Unrechtsgehalt bei der Gesamtstrafenbildung nach § 54 Abs. 1 S. 1 StGB nicht auswirken kann (vgl. Fischer, a.a.O., Rn. 4 und 2).
555So liegt es auch im vorliegenden Fall. Die neben dem versuchten Mord in die Bemessung der lebenslangen Gesamtfreiheitsstrafe eingeflossenen Körperverletzungsdelikte zum Nachteil von E. und D. sind von erheblichem Gewicht. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass neun weitere Einzelstrafen – die zwischen vier Jahren und sechs Monaten bis zu neun Jahren liegen – einbezogen wurden.
556Der Gesamtstrafe liegen insgesamt zehn Straftaten gegen das Leben und die körperliche Unversehrtheit zugrunde. Der Angeklagte beging die Taten in der Zeit von März 2015 bis Mitte Mai 2018 und somit über einen Zeitraum von immerhin über drei Jahren. Betroffen von den Taten waren drei seiner Arbeitskollegen, mit denen er zum Teil mehrere Jahre – mit E. sogar mehrere Jahrzehnte – zusammengearbeitet hatte. In allen Fällen nutzte der Angeklagte den Umstand aus, dass sich seine Opfer an ihrem Arbeitsplatz keines Angriffs versahen. In allen Fällen verwendete er Gifte, mit denen er sich zuvor intensiv auseinandergesetzt hatte. Auch die Folgen bei den Opfern, die er zumindest bei E. und D. gelegentlich selbst miterlebte, hielten ihn nicht von weiteren Taten ab. Alle drei Opfer werden für immer unter den erheblichen Folgen der Taten leiden. Auch E. und D. werden durch die von dem Angeklagten verschuldeten Auswirkungen der Taten ihr Leben lang in besonderer Weise belastet sein, weil sie dauerhaft die späteren weiteren Folgen befürchten werden müssen. E. muss besonders den Transplantationsfall befürchten, in dem man ihm angesichts der Knappheit von Spenderorganen vielleicht keines zubilligen würde, weil er ein Giftdepot im Körper hat. D. wird befürchten müssen, dass seine vorgeschädigten Nieren durch jede an sich harmlose Infektion endgültig versagen. Hinzu kommt die naheliegende Gefahr von Krebserkrankungen als Spätfolge für beide Männer. Aus Sicht der Kammer greifen die Taten des Angeklagten nicht nur bei F., sondern auch bei D. und E. in gravierender Weise für immer in ihren Lebensweg, in die Lebensgestaltung und in ihre Lebensmöglichkeiten ein.
557Aspekte aus der Persönlichkeit des Angeklagten, die die Begehung dieser Taten in einem günstigeren Licht erscheinen lassen würden, sind nicht ersichtlich. Allein der Umstand, dass der Angeklagte nicht vorbestraft ist, kann zu seinen Gunsten angeführt werden.
558Die Straftaten wiegen in ihrer Zusammenschau derart schwer, dass sie die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld des Angeklagten in Bezug auf die lebenslange Gesamtfreiheitsstrafe als tat- und schuldangemessen erscheinen lassen.
559VII.
560Die Kammer hat nach § 66 StGB die Sicherungsverwahrung angeordnet.
5611.
562Die formellen Voraussetzungen der Anordnung nach § 66 Abs. 2 StGB und auch nach § 66 Abs. 3 S. 2 StGB liegen vor.
563Der Angeklagte ist wegen neun Taten gegen die körperliche Unversehrtheit im Sinne von § 66 Abs. 1 Nr. 1 a) StGB zu Einzelfreiheitsstrafen von jeweils mindestens drei Jahren verurteilt worden. Hinzu kommt eine Straftat gegen das Leben und die körperliche Unversehrtheit des F. gemäß § 66 Abs. 1 Nr. 1 a) StGB, wegen der die Kammer auf lebenslange Einzelfreiheitsstrafe erkannt hat.
5642.
565Die materiellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 StGB sind erfüllt. Die Gesamtwürdigung des Angeklagten und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch und körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist (§ 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB).
566Ein Hang im Sinne von § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB wird definiert als eine auf charakterlicher Anlage beruhende oder durch Übung erworbene intensive Neigung zu Rechtsbrüchen; es handelt sich um die wertende Feststellung eines Persönlichkeitsmerkmals. Die Feststellung eines Hanges setzt eine auf eine Vergangenheitsbetrachtung abstellende, wertende Beurteilung der Gesamtheit der die Persönlichkeit des Angeklagten prägenden Umstände einschließlich seiner psychischen Befindlichkeit voraus. Zur Beurteilung heranzuziehen sind neben den Vortaten, insbesondere den die formellen Voraussetzungen begründenden Symptomtaten, auch nicht strafbare Verhaltensweisen (vgl. BGH, Beschluss vom 02.08.2011 – 3 StR 208/11 mwN).
567Zu diesem Ergebnis ist die Kammer auf der Grundlage des Sachverständigengutachtens sowie einer eigenen, umfassenden Vergangenheitsbetrachtung gelangt. Der psychiatrische Sachverständige Dr. med. Aaa. hat im Ergebnis eine hangbedingte Gefährlichkeit des Angeklagten als sehr wahrscheinlich angesehen, aber nicht sicher bejaht. Seine sachverständigen Ausführungen zu den einen Hang ausmachenden Persönlichkeitsmerkmalen waren dennoch die Grundlage der Überzeugungsbildung der Kammer.
568a)
569Im Einzelnen hat der Sachverständige folgendes ausgeführt:
570Hinsichtlich der Voraussetzungen einer Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zeige sich ein zweiseitiges Bild. Die Merkmale der Taten sprächen für einen Hang zur Begehung von schweren Straftaten, während die fremdanamnestischen Angaben zu den persönlichen Eigenschaften des Angeklagten, seinem Verhalten und den Verhältnissen allenfalls Auffälligkeiten ergeben hätten, deren forensische Relevanz nicht zu belegen sei.
571Im Hinblick auf die Frage nach einem Hang des Angeklagten zur Begehung erheblicher Straftaten sah der Sachverständige folgende kritische Faktoren:
572Nachvollziehbare Konflikte in der Arbeitssituation insbesondere mit den Geschädigten, die auch nur annähernd das Tatverhalten erklären könnten, seien nicht ersichtlich. Je weniger aber situative oder interpersonelle Aspekte zu einer Tat beitragen würden, desto mehr sei auf eine innere Tatbereitschaft im Sinne eines Hanges zu schließen (zumindest dann, wenn wie hier kein Eingangsmerkmal der §§ 20 / 21 StGB vorliege). Einerseits lasse die langjährige intensive und kreative Beschäftigung mit den Wirkungsweisen, der Beschaffung und Synthese sowie Anwendung verschiedenster hochgiftiger Substanzen eine hohe persönliche Affinität und ein eingeschliffenes Verhalten erkennen. Die Taten seien langfristig vorbereitet und besonders heimtückisch durchgeführt worden. Der gezielte und wiederholte Einsatz von Substanzen mit einer besonders langen Latenzzeit weise zudem auf eine hohe innere Konstanz der destruktiven Intention bzw. Antizipation der eigenen Haltung in der Zukunft hin. Ansätze zu einer eigenen Abkehr von dem kriminellen Verhalten seien nicht erkennbar. Vor allem sei zu berücksichtigen, dass die eigentlich prognostisch günstigen Faktoren wie beispielsweise langfristige Arbeit, familiäre Bindung, fortgeschrittenes Alter und fehlender Substanzkonsum hier bereits vor den Taten bestanden und offensichtlich nicht ausgereicht hätten, um die Taten zu verhindern. Dieses spreche umso mehr für eine tief verwurzelte innere Verhaltensbereitschaft im Sinne eines Hanges zur Begehung schwerer Straftaten und gegen eine tatsächlich prognostisch günstige Wirkung dieser Faktoren.
573Andererseits ließen sich abseits des vorgeworfenen Tatgeschehens keine belastbaren Hinweise auf Persönlichkeitsmerkmale feststellen, die einen Hang zur Begehung von Straftaten sicher begründen könnten. Zwar seien bei dem Angeklagten eine schizoid akzentuierte Persönlichkeit oder leichte autistische Züge anzunehmen. Anders als bei emotional instabilen oder dissozialen Persönlichkeitsakzentuierungen lägen aber keine wissenschaftlichen Erkenntnisse vor, die für diese Eigenschaften eine erhöhte Gefahr für die Begehung von Straftaten belegten. Ein inhaltlicher Zusammenhang könne zwar angesichts des Empathiedefizits, das beiden in Frage kommenden Störungen eigen sei, vermutet werden. Die Beziehungslosigkeit zu den Kollegen sei höchstwahrscheinlich eine wichtige Voraussetzung für die Begehung der Taten gewesen; sicher sei dies aber nicht. Gehe man davon aus, dass der Angeklagte die vorgeworfenen Taten nicht begangen hätte, gäbe es keine Hinweise auf eine erhöhte Bereitschaft zu delinquentem Handeln. So habe sich der Angeklagte viele Jahrzehnte seines Lebens straffrei geführt und stehe erstmals im Leben vor Gericht. Es lägen keine belastbaren Hinweise auf persönliche Eigenschaften vor, für die eine erhöhte Rückfallgefahr in kriminelles Verhalten nachgewiesen wäre (wie etwa eine dissoziale oder emotional instabile Persönlichkeitsstörung). Passend zu den beschriebenen positiven Ressourcen zeichne sich in dem standardisierten Prognoseinstrument VRAG eine unterdurchschnittlich hohe Rückfallwahrscheinlichkeit ab. Es müsse allerdings berücksichtigt werden, dass sich die hier gegenständlichen Tatvorwürfe stark von den durchschnittlichen Gewalttaten unterschieden, die der Vergleichsstichprobe zugrunde lägen und bei denen direkte interpersonelle Gewaltanwendungen im Vordergrund stünden. Eine Übertragbarkeit der statistischen Erkenntnisse auf den hier vorliegenden Einzelfall erscheine daher fraglich. Insgesamt sei die Beurteilungsgrundlage für die einen Hang ausmachenden Persönlichkeitsmerkmale dünn. Zeuginnen und Zeugen, die den Angeklagten früher näher gekannt hätten, wie die Geschwister und die Exfreundin, hätten ihn seit Jahrzehnten nicht gesehen. Zeugen, die ihn aus jüngerer Zeit beschrieben hätten, hätten sämtlich eingeräumt, ihn nicht näher zu kennen.
574Aufgrund der beschriebenen Merkmale der Tatbegehung hielt es der Sachverständige aus psychiatrischer Sicht für sehr wahrscheinlich, dass bei dem Angeklagten eine stabile und persönlichkeitsgebundene Bereitschaft zur Begehung schwerer Straftaten vorliege, durch welche die Opfer seelisch und körperlich schwer geschädigt werden (d. h. ein Hang zu solchen Taten), und dass er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich sei.
575b)
576Die Kammer sieht die kritischen Faktoren hinsichtlich der Hangfrage in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen und schließt sich seinen Ausführungen insoweit aus eigener Überzeugung an. Zweifel an der Richtigkeit der gutachterlichen Feststellungen bestehen nicht. Der Gutachter ist von zutreffenden Tatsachen ausgegangen und hat die durch die Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung gewonnenen Erkenntnisse berücksichtigt. Widersprüche sind in seinem Gutachten nicht hervorgetreten.
577Die vom Sachverständigen genannten günstigen Faktoren wertet die Kammer jedoch zum Teil abweichend von diesem, nachdem sie sie in dessen Vernehmung noch einmal eingehend mit ihm diskutiert hat.
578So hat der Sachverständige auf entsprechende Nachfrage eingeräumt, dass das nach „Habermeyer und Saß, Maßregel der Sicherungsverwahrung nach § 66 StGB, Nervenarzt 11 (2004)“ beschriebene Merkmal „Phasen der Delinquenz überwiegen gegenüber unauffälligen Lebensphasen“ sich auf den gesamten Lebensweg des Angeklagten beziehe. Betrachtet man hingegen die letzten Jahre vor seiner Inhaftierung, wird deutlich, dass der Angeklagte zumindest seit 2015 – und damit über drei Jahre – fortgesetzt erhebliche Straftaten begangen und sich bereits seit 2013 – und damit über fünf Jahre – mit dem Thema Gifte beschäftigt hatte. Er hatte sich nach und nach ein Labor eingerichtet, Substanzen bestellt, experimentiert und schließlich die hergestellten Gifte mit immer wiederkehrendem Tatentschluss eingesetzt. Aus Sicht der Kammer zeigt gerade dieses kontinuierliche Vorgehen über mehrere Jahre, wie sich bei dem Angeklagten ein Verhaltensmuster nach und nach eingeschliffen hat. Die langfristige Beschaffung der Ausrüstung und Chemikalien, die Herstellung der Gifte und die Variationsbreite zeigen hohe kriminelle Energie.
579Dabei misst die Kammer auch dem Umstand besondere Bedeutung zu, dass eigentlich positive Faktoren, wie eine feste Arbeit und familiäre Bindungen, den Angeklagten nicht von den Taten abgehalten haben. Tatsächlich nutzte er gerade die Arbeitsstätte zur Begehung der Taten und gefährdete zudem seine Familie, indem er mit hochgiftigen Chemikalien ohne sichere Schutzmaßnahmen in dem Keller des gemeinsam mit seiner Frau und seinen zwei Kindern bewohnten Hauses experimentierte. Dies zeigt aus Sicht der Kammer die innere verwurzelte Bereitschaft des Angeklagten zur Begehung von Straftaten.
580Ein Hang des Angeklagten zur Begehung erheblicher Straftaten ist danach nicht nur wahrscheinlich, er liegt vor.
581c)
582Der festgestellte Hang des Angeklagten zur Begehung von Straftaten bezieht sich auch auf erhebliche rechtswidrige Taten.
583Erheblich im Sinne des § 66 StGB sind insbesondere Straftaten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden. Solche schweren seelischen Schädigungen kommen regelmäßig bei Sexualdelikten, aber auch bei schweren Gewaltdelikten in Betracht. Es ist nicht erforderlich, dass Schädigungen sicher voraussehbar sind (vgl. Fischer, a.a.O., § 66 Rn. 58).
584Bei den ausgeurteilten Taten lassen bereits die für die Körperverletzungsdelikte verhängten erheblichen Freiheitsstrafen erkennen, dass sich der Hang des Angeklagten zur Begehung von Taten gegen die körperliche Unversehrtheit nicht lediglich auf Bagatellstraftaten bezieht, sondern auf Taten von einigem Gewicht.
585d)
586Der Angeklagte ist infolge des festgestellten Hanges für die Allgemeinheit gefährlich im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB.
587Für die Gefährlichkeitsprognose kommt es auf das Ergebnis einer Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten an. Abzustellen ist auf den Zeitpunkt der Aburteilung. Wesentliches Kriterium im Rahmen der Prognose ist der Hang. Der Hang als „eingeschliffenes Verhaltensmuster“ bezeichnet einen aufgrund umfassender Vergangenheitsbetrachtung festgestellten gegenwärtigen Zustand. Die Gefährlichkeitsprognose schätzt die Wahrscheinlichkeit dafür ein, ob sich der Täter in Zukunft trotz seines Hanges erheblicher Straftaten enthalten kann oder nicht. Der Grad der „Eingeschliffenheit“ beeinflusst hierbei die Beurteilung der Höhe der Wahrscheinlichkeit. In der Regel ist die ausreichende Wahrscheinlichkeit gegeben, wenn die Hangtätereigenschaft festgestellt ist. Es sind aber auch Fälle denkbar, in denen dies nicht so ist (vgl BGH, Urteil vom 19. 7. 2005 - 4 StR 184/05; Fischer, a.a.O, § 66 Rn. 65 ff. mwN).
588Im vorliegenden Fall bestehen keine ausreichenden Anhaltspunkte für die Annahme, dass eine Ausnahme von der Regel vorliegen könnte. Wie die Feststellungen belegen, besteht bei dem Angeklagten ein über die Jahre stark eingeschliffenes Verhaltensmuster. Es liegen überdies keine belastbaren Anhaltspunkte dafür vor, dass bei dem Angeklagten zwischenzeitlich ein Umdenken und eine innere Abkehr von den Taten stattgefunden haben. Die bloße Möglichkeit künftiger Besserung oder die Hoffnung auf sich ändernde Lebensumstände können die Gefährlichkeit eines Täters nicht ausräumen. Insoweit ist zudem zu berücksichtigen, dass die Lebensumstände des Angeklagten schon zu der Zeit der Tatbegehung gerade nicht als problematisch bezeichnet werden können. Da er die in Rede stehenden Taten unter Einbindung in ein stabiles soziales Umfeld beging, ist auch insoweit keine Minderung seiner Gefährlichkeit zu erwarten.
589Unter Gesamtwürdigung der vorstehenden Ausführungen sieht die sachverständig beratene Kammer die erhebliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Angeklagte nach Haftentlassung weitere Straftaten gegen das Leben und die körperliche Unversehrtheit begehen wird.
590e)
591Im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens hat die Kammer sich im Ergebnis für die Anordnung der Sicherungsverwahrung entschieden, die aus ihrer Sicht angesichts der Gefährlichkeit des Angeklagten trotz der Höhe der verhängten Strafe unerlässlich ist.
592Auch die Einwirkung der zu erwartenden langen Haftstrafe, bei der es sich um erstmalige Strafverbüßung handelt, in Verbindung mit Alterungsprozessen des Angeklagten lassen eine Herabsetzung seiner Gefährlichkeit nicht erwarten. Zahlreiche stabilisierende Faktoren in seinem Leben haben ihn nicht von seinen Taten abgehalten. Es handelte sich bei seinen Taten nicht um solche, die besondere körperliche Kraft oder Gesundheit erforderten und die damit im höheren Alter nicht mehr ausführbar wären. Auch war der Angeklagte im Zeitpunkt der Taten ohnehin bereits nicht mehr ganz jung.
593Das prozessual zulässige Verteidigungsverhalten des Angeklagten, nämlich zu schweigen, wertet die Kammer nicht zu seinem Nachteil. Allerdings berücksichtigt sie, dass Anzeichen dafür, dass der Angeklagte sich je von seinen Taten distanziert, an seiner Vorgehensweise gezweifelt oder die Taten gar bereut hat, nicht ersichtlich sind. Vielmehr deuten die Funde in seinem Keller auf das bis zuletzt anhaltende Streben nach immer giftigeren Stoffen.
594Diese Einschätzung der Kammer steht auch im Einklang mit den Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen Dr. med. Aaa. . Dieser hat insoweit folgendes ausgeführt:
595Auch unter Berücksichtigung des Lebensalters sei zwar denkbar, aber nicht konkret absehbar, dass die Gefährlichkeit durch eine langjährige Haftzeit soweit reduziert werden könne, dass keine oder allenfalls noch eine geringe Gefahr bestehe, dass der Angeklagte erhebliche Straftaten, namentlich solche, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, begehen werde. Die Beurteilungsgrundlage für therapeutische Möglichkeiten sei wegen der dürftigen Informationen zur Persönlichkeit des Angeklagten ebenfalls dünn. Ein Leidensdruck mit dem Wunsch nach Veränderung – und damit eine Therapiemotivation – sei aber bei dem Angeklagten jedenfalls nicht ersichtlich.
596Die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung erübrigt sich auch nicht bereits angesichts des Umstandes, dass der Angeklagte zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt worden ist und im Hinblick auf diese die besondere Schwere seiner Schuld festgestellt worden ist. Zwar ist zu bedenken, dass eine Aussetzung der lebenslangen Freiheitsstrafe zur Bewährung zugleich bedeutet, dass gemäß § 67d Abs. 2 S. 1 StGB auch die weitere Unterbringung in der Sicherungsverwahrung auszusetzen ist. Die insoweit maßgeblichen Unterschiede bestehen jedoch zum einen darin, dass der Täter, gegen den Sicherungsverwahrung angeordnet wurde, gemäß § 67d Abs. 2 S. 3 StGB unter Führungsaufsicht steht, wenn die Vollstreckung der Maßregel ausgesetzt wird. Zum anderen wird einem Sicherungsverwahrten nach § 66c StGB ein individuelles und intensives Behandlungskonzept angeboten, das geeignet ist, ihn zur Mitwirkung zu bewegen. Insbesondere findet hier eine intensive sozialtherapeutische Behandlung statt. Dieses Behandlungskonzept ist nach § 66c Abs. 2 StGB auch schon während des vorhergehenden Strafvollzugs und damit gerade auch dem zu einer lebenslänglichen Haftstrafe Verurteilten anzubieten, bei dem es regelmäßig wegen des Gleichlaufs des Prüfungsmaßstabs zu keiner Vollstreckung der Maßregel kommen dürfte und dem so bereits im Vollzug der Freiheitsstrafe ein gerichtlich effektiv durchsetzbarer Anspruch auf intensive Behandlung zusteht (vgl. BGH, Urteil vom 28.06.2017 – 5 StR 8/17; Urteil vom 28.06.2017 − 2 StR 178/16). Die Kammer macht in Ausübung des ihr zustehenden Ermessens von der Möglichkeit Gebrauch, durch die flankierende Anordnung der Maßregel eine solcherart intensive Behandlung bereits während der Vollstreckung der Strafe zu sichern, um die vom Angeklagten ausgehende Gefährlichkeit bereits frühzeitig zu mildern. Sie entnimmt den Angaben des Zeugen W. aus den Gesprächen mit dem Angeklagten, dass jedenfalls nicht gänzlich fernliegend erscheint, die erforderliche Mitwirkungsbereitschaft bei ihm wecken zu können. Dem Zeugen gegenüber hatte der Angeklagte seine grundsätzliche Bereitschaft zu einer Zusammenarbeit mit dem Psychologischen Dienst nach Durchführung des Strafverfahrens als möglich dargestellt.
597VIII.
598Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 465 Abs. 1, 472 Abs. 1 StPO.
[1] Die Kammer verwendet im Folgenden mit der Bezeichnung „Lfd. Nr.“ die Nummern aus dem schriftlichen Gutachten vom 16.01.2019 des Sachverständigen Dr. Hellmut Mahler.