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Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Amtsgerichts Werl vom 17.04.2023 (Az. 4 C 335/21) abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtlichen Schaden zu ersetzen, der diesem durch die Beratung und Empfehlung der Beklagten entstanden ist und zukünftig entsteht im Hinblick auf die Kündigung seines Altvertrages beim J. Krankenversicherung a.G. und den Neuabschluss einer privaten Krankenversicherung bei der U. Krankenversicherung AG (Versicherungsnummer N01) zum 01.01.2015.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
I.
2Der Kläger begehrt die Feststellung der Schadensersatzpflicht der Beklagten aufgrund ihrer Vermittlungstätigkeit bezüglich einer Krankenversicherung.
3Die Beklagte ist Versicherungsmaklerin. Der Kläger nahm Ende 2014 die Beratungsleistungen der Beklagten bezüglich seines privaten Krankenversicherungsschutzes in Anspruch. Der Kläger war bis dahin bei dem J. Krankenversicherer a.G. privat krankenversichert. Der Vertrag umfasste auch sog. Wahlleistungen für stationäre Heilbehandlung (Chefarztbehandlung, Zweibettzimmer). Der monatliche Versicherungsbeitrag betrug 765,67 €. Die Beklagte unterbreitete dem Kläger auf dessen Anfrage das Angebot, in einen deutlich günstigeren - Tarif bei der U. Krankenversicherung AG zu wechseln, wobei der Tarif keine Wahlleistungen für stationäre Heilbehandlung umfasste. Der Wechsel wurde zum 01.01.2015 vollzogen. Der monatliche Versicherungsbeitrag betrug 567,44 €.
4Mit Schreiben vom 05.05.2021 machte der Kläger gegenüber der Beklagten erfolglos Schadensersatzansprüche wegen fehlerhafter Beratungsleistung im Jahr 2014 außergerichtlich geltend.
5Der Kläger hat behauptet, die Beratungsleistung der Beklagten sei fehlerhaft gewesen. Er habe 2014 ausdrücklich einen günstigeren, aber leistungsgleichen Krankenversicherungstarif wählen wollen. Evtl. habe der Zeuge F. C., der ihn damals bei der Beklagten beraten habe, dies selbst nicht bemerkt. Der Kläger habe dem Zeugen klar gemacht, dass es ihm vor allen Dingen darauf angekommen sei, dass die Leistungen sich nicht verschlechtern, er also Chefarzt und Zweibettzimmer behalte. Der Kläger als auch der Zeuge C. seien beim Tarif der U. davon ausgegangen, dass dieser Chefarzt und Zweibettzimmer enthalte. Darüber, dass diese Leistungen nicht enthalten seien, sei er von dem Zeugen C. nicht aufgeklärt worden, als dieser ihm das Angebot der U. Krankenversicherung AG unterbreitet habe.
6Zum 01.01.2021 sei der Kläger in einen Tarif bei der K. Versicherungsgruppe gewechselt, der die o.g. Wahlleistungen umfasse, wobei ein Risikozuschlag wegen einer Refluxkrankheit erhoben werde. Dieser Tarif koste den Kläger nunmehr 926,08 € monatlich.
7Ihm sei ein Schaden entstanden, den er jedoch noch nicht beziffern könne, da ihm der Betrag unbekannt sei, den er nach dem alten Tarif bei der P. Versicherung AG zahlen müsste. Ein Schaden sei ihm jedenfalls schon deshalb entstanden, weil ein Risikozuschlag in dem alten Tarif nicht gezahlt werden musste und ihn ohne den Zuschlag kein anderer Versicherer aufgenommen habe. Er ist der Ansicht gewesen, sein Feststellungsinteresse sei daher gegeben.
8Sein Schadensersatzanspruch sei auch nicht verjährt. Er hat behauptet, ihm sei der Umstand, dass der von der Beklagten vermittelte Tarif keine Wahlleistungen versichere, erst anlässlich eines Krankenhausaufenthalts im Jahr 2020 aufgefallen. Vorher habe er nicht durch die ihm übermittelte Versichertenkarte, die die zutreffenden Angaben enthielt, Kenntnis erlangt. Er habe die Versichertenkarte nach Erhalt zu seinen Unterlagen getan. Auch durch den Vorsorgekatalog 2015 habe er keine Kenntnis erlangt, da er diesen im Zweifel wie weitere Unterlagen in den Papierkorb geworfen habe.
9Der Kläger hat beantragt,
10festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtlichen Schaden zu ersetzen, der diesem durch die Beratung und Empfehlung der Beklagten entstanden ist und entsteht unter Kündigung seines Altvertrages beim J. Krankenversicherung a.G. eine neue private Krankenversicherung bei der U. Krankenversicherung AG (Versicherungsnummer: N01) zum 01.01.2015 abzuschließen.
11Die Beklagte hat beantragt,
12die Klage abzuweisen.
13Sie hat behauptet, dem Kläger seien ausschließlich kostengünstigere Tarife ohne Wahlleistungen angeboten worden. Hierüber sei der Kläger auch aufgeklärt worden, so dass schon keine Pflichtverletzung vorliege. Sie ist der Ansicht gewesen, es fehle auch das Feststellungsinteresse für die Vergangenheit. Der Kläger könne die gezahlten sowie die nach dem alten Tarif zu zahlenden Beiträge — ggfls. auf der Grundlage der Krankenversicherung — mitteilen. Zudem habe der Kläger selbst eingeräumt, dass ihm aufgrund der Prämienersparnis in der Vergangenheit kein Schaden entstanden sei. Für die Zukunft sei die Klage unbegründet, da nach dem klägerischen Vortrag kein Schaden erkennbar sei. Angesichts der erheblichen Prämienersparnis für die Vergangenheit sei ein Zukunftsschaden nicht erkennbar, zumal die Beklagte im Dezember 2018 für den Kläger auf dessen Wunsch andere Krankenversicherungstarife mit Wahlleistungen ermittelt habe.
14Die Beklagte hat die Einrede der Verjährung erhoben. Sie hat insoweit behauptet, der Kläger habe schon früher Kenntnis erlangt, dass der 2015 abgeschlossene Tarif keine Wahlleistungen umfasse. Die Beklagte beruft sich insoweit auf die unstreitig übermittelte Versichertenkarte, auf der die zutreffenden Angaben über den Versicherungsumfang erkennbar waren. Zudem habe sich die Kenntnis für den Kläger auch aus einem Vorsorgekatalog ergeben, der ihm im Nachgang des Vertragsabschlusses 2015 übermittelt wurde. Zudem habe er den Versicherungsschein vom 27.08.2015 und eine Bescheinigung für den Arbeitgeber erhalten. Der Kläger habe bereits im Jahr 2017 einen stationären Krankenhausaufenthalt gehabt und anlässlich dessen Kenntnis vom Umfang seiner stationären Leistungen erlangt.
15Mit Urteil verkündet am 08.05.2023 hat das Amtsgericht Werl die Klage abgewiesen. Zur Begründung führt es aus, dass hinsichtlich des Schadens in der Vergangenheit ein Feststellungsinteresse fehle. Der Kläger habe selbst eingeräumt, dass er für die Vergangenheit aufgrund der (erheblichen) Prämienersparnis keinen Schaden erlitten haben könne. Hinsichtlich eines Schadens in der Zukunft sei zwar ein Feststellungsinteresse gegeben, da es - bei entsprechend langer Lebensdauer des Klägers - zumindest möglich sei, dass die Prämienersparnisse der Vergangenheit aufgezehrt würden, so dass es zukünftig zu einem Schaden kommen könnte. Die Klage sei insoweit jedoch aufgrund der eingetretenen Verjährung unbegründet. Der Kläger habe grob fahrlässig nicht früher Kenntnis vom Umfang des durch Vermittlung der Beklagten zustande gekommenen Krankenversicherungsvertrages erlangt. Der Kläger hätte mit Übersendung der Versichertenkarte sowie der Versicherungspolice Kenntnis erlangen müssen. Zudem habe die Ersparnis fast 200,00 € bzw. 25% monatlich betragen, es habe sich angesichts des Alters des Klägers daher aufgedrängt, dass die neu abgeschlossene Versicherung einen geringeren Leistungskatalog aufweise.
16Hiergegen wendet sich der Kläger form- und fristgerecht mit dem Rechtsmittel der Berufung. Zur Begründung führt er aus, dass im Rahmen des Feststellungsinteresses nicht zwischen Vergangenheits- und Zukunftsschaden hätte differenziert werden dürfen. Für das Feststellungsinteresse sei allein ausreichend, dass die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts bestehe, dabei dürfe nicht allein auf die vergangene Prämienersparnis abgestellt werden. Hinsichtlich der angenommenen groben Fahrlässigkeit bestehe keine Pflicht des Versicherungsnehmers, die Versicherungspolice nach Erhalt durchzulesen und zu prüfen. Dies gelte umso mehr, da sich der Kläger der Beklagten als Versicherungsmakler bedient habe. Diese treffe umfangreiche Aufklärungs- und Beratungspflichten. Der Kläger habe darauf vertraut, dass die Beklagte als Versicherungsmaklerin ihren Pflichten entsprechend tätig geworden sei und dass das ihm unterbreitete Angebot der neuen und besseren Krankenversicherung natürlich auch ebenfalls Wahlleistungen enthalten habe.
17Der Kläger beantragt,
18unter Abänderung des Urteils des Amtsgerichts Werl vom 08.05.2023 - 4 C 336/21 – festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtlichen Schaden zu ersetzen, der diesem durch die Beratung und Empfehlung der Beklagten entstanden ist und entsteht unter Kündigung seines Altvertrages beim J. Krankenversicherung a.G. eine neue private Krankenversicherung bei der U. Krankenversicherung AG (Versicherungsnummer: N01) zum 01.01.2015 abzuschließen.
19Die Beklagte beantragt,
20die gegnerische Berufung zurückzuweisen.
21Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil.
22Die Kammer hat selbst Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen F. C.. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 21.08.2024 Bezug genommen.
23II.
24Die Berufung des Klägers ist in vollem Umfang begründet und führt zur Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung im tenorierten Umfang. Die Feststellungsklage des Klägers ist sowohl zulässig als auch vollumfänglich begründet.
251.
26Die Feststellungsklage gem. § 256 Abs. 1 ZPO ist zulässig, insbesondere liegt auch ein Feststellungsinteresse des Klägers vor.
27Ein Feststellungsinteresse besteht grundsätzlich nur, wenn dem subjektiven Recht des Klägers eine gegenwärtige Gefahr der Unsicherheit dadurch droht, dass der Beklagte es ernstlich bestreitet oder er sich eines Rechts gegen den Kläger berühmt, und wenn das erstrebte Urteil infolge seiner Rechtskraft geeignet ist, diese Gefahr zu beseitigen (vgl. Greger in: Zöller, Zivilprozessordnung, 35. Auflage 2024, § 256 ZPO Rn. 12). Ist dem Kläger eine Klage auf Leistung möglich und zumutbar und erschöpft sie das Rechtsschutzziel, fehlt ihm grundsätzlich das Feststellungsinteresse, weil er im Sinne einer besseren Rechtsschutzmöglichkeit den Streitstoff in einem Prozess klären kann. Befindet sich der anspruchsbegründende Sachverhalt (z. B. der Schaden) zur Zeit der Klageerhebung jedoch noch in der Fortentwicklung, so ist Feststellungsklage insgesamt zulässig, auch wenn der Anspruch bereits teilweise beziffert werden könnte (vgl. Greger in: Zöller, Zivilprozessordnung, 35. Auflage 2024, § 256 ZPO Rn. 14). Der Kläger ist daher nicht gehalten, seine Klage in eine Leistungs- und in eine Feststellungsklage aufzuspalten, wenn bei Klageerhebung ein Teil des Schadens schon entstanden, die Entstehung weiteren Schadens aber noch zu erwarten ist. Einzelne bei Klageerhebung bereits entstandene Schadenspositionen stellen lediglich einen Schadensteil in diesem Sinne dar (vgl. BGH, Urteil vom 19. April 2016 – VI ZR 506/14 –, juris).
28Die Beklagte stellt eine Beratungspflichtverletzung durch ihren damaligen Mitarbeiter, den Zeugen C., und damit etwaige Schadensersatzansprüche des Klägers in Abrede. Der Feststellungsantrag ist geeignet, ein etwaiges weiteres Bestreiten der Beklagten über ihre Einstandspflicht dem Grunde nach zu beseitigen. Für die Zukunft räumt selbst die Beklagte ein, dass dem Kläger Schäden entstehen könnten. Der Kläger ist jedoch nach der oben genannten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes nicht gehalten, etwaige in der Vergangenheit bereits entstandene Schäden bereits zu beziffern und die zukünftigen Schäden mit dem Feststellungsantrag weiterzuverfolgen. Vor diesem Hintergrund ist der Feststellungsantrag insgesamt zulässig.
292.
30Dem Kläger steht auch dem Grunde nach ein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte aufgrund einer vorvertraglichen (Beratungs-)Pflichtverletzung des Mitarbeiters der Beklagten, des Zeugen C., gem. §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB i. V. m. § 278 BGB zu. Dieser Anspruch ist auch durchsetzbar.
31a)
32Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass der Mitarbeiter der Beklagten, der Zeuge C., vorvertraglich eine Beratungspflicht gegenüber dem Kläger verletzt und die Beklagte gegenüber dem Kläger daher gem. §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB i. V. m. § 278 BGB grundsätzlich zum Schadensersatz verpflichtet ist. Der Zeuge C. hat dem Kläger entgegen dessen Wünschen die private Krankenversicherung bei der U. Krankenversicherungs AG vorgeschlagen, welche einen schlechteren Leistungsumfang aufwies. Über diesen Umstand hat der Zeuge C. den Kläger auch nicht aufgeklärt, da er ihn selbst nicht bemerkt hat. Dem Zeugen C. lagen insoweit fehlerhafte erstellte Angebote vor, welche von anderen Mitarbeitern der Beklagten erstellt wurden.
33Der Zeuge C. hat die Angaben des Klägers letztendlich weit überwiegend bestätigt. So hat der Zeuge im Rahmen seiner Vernehmung ausgeführt, dass das Ziel seiner Beratung für den Kläger gewesen sei, Beiträge zu sparen, jedoch nicht auf Leistung zu verzichten. Der Kläger sei sehr absicherungsorientiert gewesen und habe eine Einschränkung der Leistungen – auch bei anderen Versicherungen – nicht gewollt. Es sei so gewesen, dass eine alternative Krankenversicherung annähernd den gleichen Leistungsumfang haben sollte, jedoch mit dem Wechsel Geld gespart werden sollte. Der Zeuge C. hat weiter ausgeführt, dass es ihn gewundert habe, als der Kläger ihm später mitgeteilt habe, dass Wahlleistungen im stationären Bereich nicht mitversichert seien. Dies müsse im Zusammenhang mit einem Krankenhausaufenthalt des Klägers gewesen seien, dieser sei sehr aufgeregt gewesen. Er vermute, dass es im Jahr 2020 gewesen sei, auf jeden Fall sei es aber nach der Beendigung seiner beruflichen Tätigkeit bei der Beklagten im Dezember 2018 gewesen. Ihm sei bei der vorhergehenden Beratung nicht aufgefallen, dass dieser Bereich gefehlt habe. Es sei so gewesen, dass die Versicherungsangebote nicht von ihm selbst erstellt worden seien. Er schaue sich die Angebote vor dem Gespräch mit dem Kunden an, jedoch sei es bei den Vor-Ort-Terminen bei der Firma W. häufig wie in einem „Taubenschlag“ gewesen. Er habe sich daher auch darauf verlassen, dass die Vertragsangebote von weiteren Mitarbeitern der Beklagten richtig aufbereitet gewesen seien.
34Die Angaben des Zeugen C. erachtet die Kammer insgesamt als glaubhaft. Der Zeuge hat angegeben, sich an den Kläger und sein Anliegen noch erinnern zu können, hat nachvollziehbare Erinnerungslücken, gerade in Details, jedoch umgehend eingeräumt. Eine übermäßige Belastungstendenz des Zeugen zum Nachteil einer Partei war nicht ersichtlich, letztendlich hat der Zeuge auch freimütig eigene Fehler und Versäumnisse eingeräumt. Widersprüche in den Angaben des Zeugen vermag die Kammer nicht zu erkennen. Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Zeugen, der keinem Lager einer Partei zuzuordnen ist, bestehen aus Sicht der Kammer nicht.
35b)
36Bei der Frage der Pflichtverletzung nach § 280 Abs. 1 S. 1 BGB ist zu berücksichtigen, dass die Pflichten des Versicherungsmaklers weit gehen. Er ist treuhänderähnlicher Sachwalter des Versicherungsnehmers. Der Versicherungsmakler schuldet eine umfassende Betreuung der Versicherungsinteressen des Versicherungsnehmers und eine dementsprechende Beratung. Er ist insbesondere bei Nachfragen zum Umfang des Versicherungsschutzes zu einer vollständigen und richtigen Auskunft und Beratung gehalten. Eine Pflichtverletzung liegt insbesondere vor, wenn der Vermittler dem Versicherungsnehmer, der denselben Versicherungsumfang wie bisher wünscht, eine nicht gleichwertige Versicherung vermittelt. Selbst wenn der Versicherungsnehmer aber nicht ausdrücklich den Wunsch äußert, denselben Versicherungsumfang zu behalten, ist der Versicherungsmakler bei einem Wechsel zu einer Versicherung, die eine geringere Absicherung bietet, zur Aufklärung über den geringeren Schutz verpflichtet (vgl. OLG Hamm Urt. v. 3.9.2007 – 18 U 179/06, BeckRS 2007, 65151 m. w. n.).
37Vor dem Hintergrund der oben dargestellten Anforderungen an die Beratung durch den Versicherungsmakler ist dem Zeugen C. hier klar eine vorvertragliche Beratungspflichtverletzung vorzuwerfen. Der Zeuge hat eingeräumt, dass der Kläger bei einem Wechsel seiner privaten Krankenversicherung annähernd die gleichen Leistungen gewünscht, die anschließend auf sein Angebot abgeschlossene private Krankenversicherung im Bereich der stationären Leistungen jedoch einen geringeren Leistungsumfang aufwies. Der Zeuge hat selbst eingeräumt, dass ihm dieser Umstand selbst nicht aufgefallen sei, als er die fehlerhaften Angebote, welche von anderen Mitarbeitern der Beklagten erstellt wurden, vor dem Gespräch mit dem Kläger gesichtet habe.
38Diese Pflichtverletzung des Zeugen C. muss sich die Beklagte gem. § 278 BGB zurechnen lassen. Das Verschulden wird gem. § 280 Abs. 1 S. 2 BGB vermutet. Diese Vermutung ist durch die Beklagte auch nicht entkräftet worden, im Gegenteil ist ein Verschulden des Zeugen C. sowie der weiteren, an der Erstellung des Angebots beteiligten Mitarbeiter der Beklagten in Form der Fahrlässigkeit anzunehmen.
39c)
40Der Anspruch des Klägers ist auch durchsetzbar, ihm steht nicht der von der Beklagten erhobene Einwand der Verjährung gem. § 214 Abs. 1 BGB entgegen.
41Die Ansprüche des Klägers verjähren dabei innerhalb der dreijährigen Regelverjährungsfrist, § 195 BGB. Diese beginnt gem. § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Grobe Fahrlässigkeit wird dabei angenommen, wenn die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich großem Maße verletzt worden oder das unbeachtet geblieben ist, was im gegebenen Fall jedem einleuchten musste. Danach setzt die grobe Fahrlässigkeit einen objektiv schwerwiegenden und subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraus. Dem Gläubiger muss demnach persönlich ein schwerer Obliegenheitsverstoß in seiner eigenen Angelegenheit der Anspruchsverfolgung vorgeworfen werden können, d. h. die den Anspruch begründenden Umstände müssen sich dem Gläubiger förmlich aufgedrängt, er davor aber letztlich die Augen verschlossen haben (vgl. BeckOGK/Piekenbrock, 1.5.2024, BGB § 199 Rn. 138).
42Der Zeitpunkt des Schadenseintritts ist dabei – vergleichbar den Fällen der Anlageberatung und den „Dieselfällen“ – auf der Grundlage des klägerischen Vortrags bereits mit Abschluss des privaten Krankenversicherungsvertrages bei der U. Krankenversicherung AG anzunehmen (vgl. BeckOGK/Piekenbrock, 1.5.2024, BGB § 199 Rn. 62). Denn der Kläger gibt selbst zur Begründung an, dass er den Vertrag nicht abgeschlossen, d. h. „gewechselt“ hätte, wenn er von dem geringeren Leistungsumfang Kenntnis gehabt hätte.
43aa)
44Eine grob fahrlässige Unkenntnis des Klägers betreffend den Leistungsumfang seiner privaten Krankenversicherung bei der U. Krankenversicherung AG ist nicht bereits im Jahr 2015 anzunehmen.
45Es genügt zur Annahme grob fahrlässiger Unkenntnis nicht, dass der Kläger – bei genauem Hinschauen – auf seiner Versichertenkarte hätte erkennen können, dass Wahlleistungen von dem Versicherungstarif nicht umfasst sind, da die entsprechenden Felder mit „--“ gekennzeichnet sind. Es ist gerichtsbekannt, dass gerade bei privat versicherten Personen die Versichertenkarte keine große Rolle spielt und überdies selten angefragt wird, zumal sich diese Angaben bei einem flüchtigen Blick neben den dort vorhandenen weiteren Angaben kaum erfassen lassen. Eine Pflicht des Versicherten, die Angaben auf der Versichertenkarte nach deren Übersendung konkret zu prüfen, sieht die Kammer nicht. Ebenso wenig ist dem Kläger im Sinne einer grob fahrlässigen Unkenntnis vorzuwerfen, dass der Versicherungsschein keinen Tarif zu den stationären Wahlleistungen enthält. Wie sich aus dem ebenfalls von der Beklagten übersandten Angebot der U. Krankenversicherung AG vom 03.04.2018 ergibt, hätte dem Kläger dabei das Fehlen eines zusätzlichen entsprechenden Tarifs auffallen müssen, die ausdrückliche Angabe, stationäre Wahlleistungen seien nicht versichert, enthält der Versicherungsschein unstreitig nicht. Auch der Umstand, dass die private Krankenversicherung bei der U. Krankenversicherung AG fast 200,00 € im Monat günstiger gewesen ist als seine vorherige private Krankenversicherung, genügt nicht zur Annahme einer grob fahrlässigen Unkenntnis des Klägers. Die jeweilige Höhe und Spreizung der Beiträge bei verschiedenen Versicherungsunternehmen sind einem Versicherungsnehmer regelmäßig nicht bekannt, ebenso wenig wie die jeweilige Kostenstruktur des Versicherungsunternehmens, welche die Beiträge maßgeblich beeinflusst. Hier kommt noch hinzu, dass sich der Kläger gerade eines Versicherungsmaklers, der Beklagten, bedient hat und sich gerade nicht selbst einen Überblick über die angebotenen Tarife verschafft hat. Anhaltspunkte für den Kläger, die Arbeit der Mitarbeiter der Beklagten kritisch zu hinterfragen, bestand zu diesem Zeitpunkt gerade nicht. Es war auch nicht so, dass im Rahmen der Beratung verschiedene Überlegungen über den erforderlichen Leistungsumfang vom Kläger geäußert wurden, d. h. Angebote über verschiedene Leistungsumfänge eingeholt werden sollten und der Kläger angesichts der in diesem Fall möglichen Verwechslung zu erhöhter Aufmerksamkeit verpflichtet gewesen sein könnte.
46Abschließend lässt sich eine grob fahrlässige Unkenntnis des Klägers im Jahr 2015 nicht feststellen.
47bb)
48Soweit die Beklagte eine Kenntnis des Klägers im Jahr 2017 aufgrund eines stationären Krankenhausaufenthalts des Klägers im selben Jahr behauptet, im Rahmen dessen der Kläger von dem stationären Leistungsumfang seiner privaten Krankenversicherung bei der U. Krankenversicherung AG Kenntnis erlangt haben soll, widerspricht der Kläger einem stationären Aufenthalt in diesem Jahr. Aus der von der Beklagten vorgelegten Anfrage der U. Krankenversicherung AG vom 05.04.2017 ergibt sich insoweit nur ein (eintägiger) Leistungszeitraum am 01.02.2017, was bereits gegen einen stationären Aufenthalt des Klägers spricht. Darüber hinaus hat die Beklagte keine Umstände dargelegt oder bewiesen, welche für die Annahme einer Kenntnis des Klägers bereits im Jahr 2017 sprechen.
49cc)
50Auf eine Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis des Klägers im Jahr 2018 kommt es nicht an, da die Wirkung der Zustellung der Klage am 29.01.2022 auf den Zeitpunkt der Anhängigkeit am 23.12.2021 gem. § 167 ZPO zurückwirkt, da die Zustellung demnächst im Sinne dieser Vorschrift erfolgt ist.
51Gem. § 167 ZPO tritt die Verjährungshemmung bereits mit Eingang des Antrags oder der Erklärung ein, wenn die Zustellung demnächst erfolgt, d. h. in nicht allzu erheblichem zeitlichem Abstand vom Fristablauf (vgl. Greger in: Zöller, Zivilprozessordnung, 35. Auflage 2024, § 167 ZPO Rn. 10). Bei allein vom Zustellungsbetreiber verursachten Zustellungsverzögerungen schließt der Bundesgerichtshof eine Rückwirkung aus, wenn die vorwerfbaren Umstände dazu geführt haben, dass die Zustellung sich gegenüber der normalen Dauer um mehr als 14 Tage, gemessen ab dem Ablauf der zu wahrenden Frist, verzögert hat (vgl. Greger in: Zöller, Zivilprozessordnung, 35. Auflage 2024, § 167 ZPO Rn. 11). Den Gerichtskostenvorschuss braucht der Kläger nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes nicht von sich aus mit der Klage einzuzahlen, er kann vielmehr die Anforderung durch das Gericht abwarten. Nach Anforderung muss er den Gerichtskostenvorschuss so zeitig einzahlen, dass sich der für die Zustellung ohnehin erforderliche Zeitraum nicht um mehr als ca. 14 Arbeitstage verlängert. Dabei ist der Partei aber für die Erledigung der Einzahlung ein angemessener Zeitraum (in der Regel 1 Woche) zuzugestehen, der sich um einige weitere Tage verlängert, wenn der Vorschuss beim Prozessbevollmächtigten angefordert wird (vgl. Greger in: Zöller, Zivilprozessordnung, 35. Auflage 2024, § 167 ZPO Rn. 16).
52Hier ist die Klage am 23.12.2021 anhängig gemacht worden. Das Amtsgericht hat den Kostenvorschuss mit Rechnung vom 29.12.2021 bei dem Prozessbevollmächtigten des Klägers angefordert. Der Kostenvorschuss ist anschließend am 25.01.2022 eingezahlt worden. Unter Berücksichtigung der Postlaufzeiten, des Feiertags am 01.01.2022 und des bei über einer Woche liegenden, als angemessen anzusehenden Zeitraums für die Einzahlung des Kostenvorschusses nach Anforderung durch das Amtsgericht vermag die Kammer eine Verzögerung der Zustellung von annährend 14 Tagen, welche der Annahme einer baldigen Zustellung nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes entgegensteht, nicht zu erkennen.
533.
54Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
55III.
56Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 4.000,00 € festgesetzt.