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Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 43.401 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13.04.2016 Zug-um-Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs A mit der Fahrgestellnummer ########### abzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von 2.604,06 EUR zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte spätestens seit dem 13.04.2016 mit der Rückgabe des im Klageantrag zu 1. bezeichneten Gegenstands in Annahmeverzug befindet.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
2Die Beklagte ist eine Autohändlerin und vertreibt Fahrzeuge der Marke F1.
3Am 03.06.2014 bestellte der Kläger bei der Beklagten auf Grundlage der verbindlichen F2-Bestellung einen A mit der Fahrgestellnummer ####### (K 1, Bl. 13 ff. d.A.).
4Am 06.10.2014 wurde das streitgegenständliche Fahrzeug an den Kläger ausgeliefert, erstmals zugelassen und wird seitdem von diesem genutzt.
5Im Rahmen der medialen Berichterstattung erfuhr der Kläger, dass der F2-Konzern in bestimmte Diesel-Fahrzeuge eine Software eingebaut hat, die erkennt, wenn sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand befindet und dann in einen speziellen Betriebsmodus schaltet. In diesem Betriebsmodus ist der Ausstoß von Stickoxiden geringer als in dem Normalmodus. Nur durch den Einsatz dieser Software wurden die gesetzlichen Emissionsgrenzwerte für die Typenzulassung erreicht. Er erfuhr dazu, dass das streitgegenständliche Fahrzeug betroffen ist.
6Im Februar 2016 richtete die Herstellerin, die F1, ein Schreiben an den Kläger. Darin „informiert“ sie ihn darüber, dass in dem streitgegenständlichen Fahrzeug die Software verwendet wurde. Dazu teilt sie mit, dass sie „mit Hochdruck an der Organisation des Rückrufs [arbeiten]“ und dass das streitgegenständliche Fahrzeug voraussichtlich ab der Kalenderwoche „09/16 bzw. […] 36/16“ starten wird (K2, Bl. 16 f.).
7Mit anwaltlichen Schreiben vom 05.04.2016 erklärte der Kläger gegenüber der Beklagten den „Rücktritt“ und forderte sie auf, „bis zum 20.04.2016 den Kaufpreis des Fahrzeugs in Höhe von EUR 43.401,00 abzüglich der gezogenen Nutzungen in Höhe von EUR 1.229,70 […] insgesamt also EUR 42.171,30 Zug um Zug gegen Rückgabe des vorbezeichneten Fahrzeugs zu zahlen“. Dazu erwähnte er, dass das Fahrzeug ab sofort bei dem Kläger zur Abholung zur Verfügung steht. Anschließend verlangte er noch Ersatz der vorgerichtlichen Rechtsanswaltskosten in Höhe von 1.965,88 EUR (K 5, Bl. 26 ff. d.A.). Dieses Schreiben wurde per Fax an die Beklagte geschickt. Der Sendebericht vom 05.04.2016 führte „Vollendet“ und Ergebnis „Ok“ auf K 5, Bl. 25 d.A.).
8Hierauf führte die Beklagte mit Schreiben unter dem 12.04.2016 die geplanten Maßnahmen weiter aus und sagte, es sei das „Ziel, dass die Maßnahmen keinen nachhaltigen Einfluss auf Verbrauch und Fahrleistung haben werden“. Sie bat um Geduld und „[verzichtet] ausdrücklich bis zum 31. Dezember 2017 auf die Erhebung der Verjährungseinrede im Hinblick auf etwaige Ansprüche, die im Zusammenhang mit der in Fahrzeugen mit Motortyp B# eingebauten Software bestehen“ (K 6, Bl. 31 f. d.A.).
9Am 27.07.2016 erging die Freigabe des Kraftfahrtbundesamtes für die Fahrzeuge vom Typ des streitgegenständlichen Modells, den A, ### kw, B# (Bl. 213 d.A.). Seit Mitte Dezember 2016 ist eine Softwarelösung für das streitgegenständliche Fahrzeug verfügbar.
10Im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung hatte das Auto einen Kilometerstand von 15.000 km.
11Der Kläger behauptet, es sei ihm entscheidend auf die Umweltfreundlichkeit im Verhältnis zur hohen Leistung angekommen (Bl. 105 d.A.). Er meint, er sei durch sein Schreiben vom 05.04.2016 von dem Vertrag wirksam zurück getreten. Das Fahrzeug sei durch den Einsatz der Software sachmangelhaft. Eine Fristsetzung zur Nachbesserung sei nicht erforderlich, da die Nachbesserung nicht möglich oder jedenfalls unzumutbar sei. Der Sachmangel sei auch nicht unerheblich.
12Der Kläger beantragt,
131. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 43.401 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13.04.2016 Zug-um-Zug gegen Übergabe des Fahrzeugs A mit der Fahrgestellnummer ###### abzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von 1.229,70 EUR zu zahlen;
142. festzustellen, dass sich die Beklagte spätestens seit dem 13.04.2016 mit der Rückgabe des im Klageantrag zu 1. bezeichneten Gegenstands in Annahmeverzug befindet;
153. der Beklagten die Kosten der vorgerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 1.965,88 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13.04.2016 aufzuerlegen.
16Die Beklagte beantragt,
17die Klage abzuweisen,
18Die Beklagte meint, die Verwendung der Software stelle keinen Sachmangel dar. Jedenfalls hätte eine Fristsetzung zur Nachbesserung erfolgen müssen. Dazu sei ein etwaiger Sachmangel unerheblich.
19Entscheidungsgründe
20Die Klage hat überwiegend Erfolg. Sie ist zulässig und überwiegend begründet.
21Das Landgericht Arnsberg ist gem. § 17 Abs. 1 ZPO örtlich und gem. § 1 ZPO i.V.m. §§ 23, 71 Abs. 1 GVG sachlich zuständig.
22I.
23Die Klage ist im tenorierten Umfang begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf Zahlung in Höhe von 43.401,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13.04.2016 Zug-um-Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs A mit der Fahrgestellnummer ###### abzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von 2.170,05 EUR.
24Die Parteien haben am 03.06.2014 einen Kaufvertrag über den streitgegenständlichen PKW, einen A, für einen Kaufpreis von 43.401,00 EUR geschlossen.
25Der erfüllungshalber am 06.10.2016 gelieferte streitgegenständliche PKW war bei Gefahrübergang sachmangelhaft i.S.d. § 434 Abs.1 BGB. Jedenfalls weist er nicht die Beschaffenheit aus, die bei Sachen gleicher Art üblich ist und die der Käufer nach der Art der Sache gemäß § 434 Abs.1 S.2 Nr.2 Var.2 BGB erwarten kann (vgl. u.a. OLG Hamm, Beschluss vom 21. Juni 2016 – I-28 W 14/16 –, zit. n. juris, Rn. 28; OLG Celle, Beschluss vom 30. Juni 2016 – 7 W 26/16 –, zit. n. juris, Rn. 6).
26Welche Beschaffenheit des Kaufgegenstandes ein Käufer anhand der Art der Sache im Sinne von § 434 Abs.1 S.2 Nr.2 erwarten kann, bestimmt sich nach dem Empfängerhorizont eines Durchschnittskäufers und damit nach der objektiv berechtigten Käufererwartung (vgl. BGH, Urteil vom 20. Mai 2009 – VIII ZR 191/07 – zit. n. juris, Rn. 14).
27Ein Fahrzeug, welches mit einer Software ausgestattet ist, die letztendlich zur Verbesserung der Stickoxidwerte nur im Rollprüfstand führt, entspricht nicht den Erwartungen, die berechtigterweise an Fahrzeuge gleichen Standards gestellt werden dürfen. Die eingebaute Software erkennt, wann sich das Fahrzeug im Testzyklus befindet und aktiviert während der Testphase einen Abgasrückführungsprozess, der zu einem geringeren Stickoxidausstoß führt. Ein Durchschnittskäufer darf erwarten, dass die in der Testphase laufenden stickoxidverringernden Prozesse auch im realen Fahrbetrieb aktiv bleiben und nicht durch den Einsatz einer Software deaktiviert bzw. nur im Testzyklus aktiviert werden. Andernfalls wäre die Überprüfung und Angabe von Stickoxidwerten – wenn auch nur unter Laborbedingungen - Makulatur.
28Entsprechend konnte der Kläger gem. §§ 323 Abs. 1, 437 Nr. 2 BGB vom Kaufvertrag zurück treten.
291)
30Die grundsätzlich gem. § 323 Abs. 1 BGB erforderliche Fristsetzung ist hier gem. § 440 S. 1 Var.3 BGB entbehrlich, sie ist für den Kläger unzumutbar.
31Zwar ist zu Gunsten der Beklagten zu berücksichtigen, dass sie bei Vertragsschluss keine Kenntnis von der Abgasproblematik hatte und sich das entsprechende Wissen der F2 auch nicht zurechnen lassen muss. Die Beklagte und die F2 sind rechtlich selbständig. Auch wird die Mängelbeseitigung mit dem Kraftfahrtbundesamt von einer staatlichen und damit vertrauenswürdigen Stelle überwacht.
32Allerdings hatte auch der Kläger keine Kenntnis von der Abgasproblematik. Aus der gem. § 440 Satz 1 BGB allein maßgeblichen Käuferperspektive („wenn die dem Käufer zustehende Art der Nacherfüllung (...) ihm unzumutbar ist“), war es für die klagende Partei zum Rücktrittszeitpunkt unzumutbar, sich auf eine Nachbesserung mit ungewisser Dauer einzulassen. Im Einzelnen:
33a)
34Eine Nachbesserung hat grundsätzlich innerhalb einer „angemessenen Frist“ zu erfolgen. Diese zeitliche Grenze ist auf die hier maßgebliche Problematik aber nicht zugeschnitten. Die Angemessenheit einer Frist ist nach objektiven Kriterien zu beurteilen (BGH, Urteil vom 21.06.1985 – V ZR 134/84). Maßgeblich ist, dass dem Verkäufer eine zeitliche Grenze gesetzt wird, die aufgrund der jeweiligen Umstände des Einzelfalls bestimmbar ist und ihm vor Augen führt, dass er die Nachbesserung nicht zu einem beliebigen Zeitpunkt bewirken darf (vgl. BGH, Urteil vom 13.07.2016 – VIII ZR 49/15). Abweichend davon war hier zum Rücktrittszeitpunkt auch nicht für das Gericht bestimmbar, wie viel Zeit die Nachbesserung in Anspruch nehmen wird. Die Nachbesserung ist an ein behördliches Genehmigungsverfahren gebunden. Die Dauer und auch der Ausgang dieses Verfahrens standen nicht fest. So heißt es auch in dem standardisierten Schreiben der F1 vom Februar 2016 an betroffene Fahrzeugnutzer (hier: Bl. 16 d. A.) lediglich unverbindlich und vage. Ein Fristenlauf ist unter diesen Voraussetzungen Makulatur: Weder kann die Nachbesserung zeitlich beschleunigt werden, noch kann der Käufer absehen, wie lange er sich gedulden muss. Dies kann nicht zu Lasten des Käufers gehen.
35b)
36Ein Nachbesserungsrecht, das ex-ante zeitlich nicht begrenzt werden kann, ist systemfremd und widerspricht europarechtlichen Wertungsvorgaben.
37aa)
38Ausweislich des Erwägungsgrundes 52 der Verbraucherrechterichtlinie (Richtlinie 2011/83/EU) hat der Unternehmer vorbehaltlich abweichender Vereinbarungen die Ware so bald wie möglich und in jedem Fall spätestens binnen 30 Tagen nach Abschluss des Vertrags zu liefern. Diese Vorgabe setzt § 476 Abs. 3 Satz 2 BGB um. Durch die Höchstfrist soll Rechtssicherheit geschaffen werden (vgl. die Regierungsbegründung, BT-Drs. 17/12637, 69: „Wie der Erwägungsgrund 51 der Richtlinie zeigt, soll Artikel 18 Absatz 1 dem Verbraucher Rechtssicherheit über den Zeitpunkt der Lieferung der Sache nach einem Kauf verschaffen“). Diese Wertungsvorgabe wird unterlaufen, wenn für den Unternehmer im Rahmen der Nachbesserung keine zeitlichen Grenzen gelten. Dies berücksichtigt letztlich auch § 308 Nr. 2 BGB.
39bb)
40Ein zeitlich nicht bestimmbarer Fristenlauf würde im Übrigen auch gegen anerkannte Auslegungsvorgaben zur Konkretisierung der Angemessenheit einer Frist verstoßen. Eine
41„Nachfrist (…) braucht nicht so lang zu sein, dass der Schuldner Gelegenheit hat, innerhalb der Frist seine Leistung vorzubereiten. Vielmehr ist vorauszusetzen, dass die Leistung weitgehend fertiggestellt ist und dass der Schuldner lediglich Gelegenheit erhalten soll, seine im Wesentlichen abgeschlossene Leistung vollends zu erbringen“ (BGH, Urteil vom 10-02-1982 – VIII ZR 27/81; vgl. auch OLG Karlsruhe, Urteil vom 24.11.2011 – 9 U 83/11).
42Daraus folgt aber auch, dass die Nachbesserungsfrist
43„regelmäßig wesentlich kürzer (…) als die vereinbarte Herstellungsfrist“ sein kann (BGH, Urteil vom 18.01.1973 – VII ZR 183/70; vgl. auch Erst, in: Münchener Kommentar zum BGB, 7. Auflage 2016, § 323 BGB Rn. 74).
44Im Gegensatz dazu würde eine Nachbesserung hier genutzt werden, um das betroffene Fahrzeug neu zu entwickeln. Dies zeigt sich schon daran, dass die Nachbesserung einer behördlichen Genehmigung bedarf. Eine Betriebsgenehmigung ist vor dem Verkauf eines Fahrzeugs einzuholen.
45c)
46Auch aus sonstigen Wertungsgesichtspunkten kann der klagenden Partei eine Nachbesserung mit ungewisser Dauer nicht zugemutet werden. Die Nachbesserung muss „ohne erhebliche Unannehmlichkeiten für den Verbraucher erfolgen“ (Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 1999/44/EG (Verbrauchsgüterkaufrichtlinie)). Das ist hier nicht der Fall. Die mit einem Zuwarten verbundenen Risiken sind zu hoch, als dass sie dem Käufer aufgebürdet werden könnten:
47aa)
48Zum Rücktrittszeitpunkt war letztlich offen, ob eine – für den weiteren Betrieb des Fahrzeugs vorausgesetzte – Nachbesserung überhaupt möglich sein wird. Die Einzelgenehmigung des Kraftfahrtbundesamtes lag nicht vor. Zweifel an einem Nachbesserungserfolg sind jedenfalls unter Berücksichtigung der öffentlichen Diskussion nachvollziehbar. So heißt es auch in dem Schreiben der F1 vom 12.04.2016:
49„Die durch die öffentliche Diskussion hervorgerufene Unsicherheit können wir sehr gut nachvollziehen.“
50Zweifel an einem Nachbesserungserfolg sind insbesondere auch vor dem Hintergrund verständlich, dass die von der F1 dem Kraftfahrtbundesamt vorgeschlagenen technischen Maßnahmen innerhalb kurzer Zeit für eine Vielzahl von betroffenen Fahrzeugen entwickelt worden sind und ausweislich des vorgenannten Schreibens mit kurzer Werkstattzeit umsetzbar sein sollen. Dann aber stellt sich die Zweifel begünstigende Frage, warum die technischen Lösungen nicht von vornherein implementiert worden sind.
51Erschwerend kommt hinzu, dass nach dem gesetzlichen Grundsatz eine Nachbesserung erst nach dem erfolglosen zweiten Versuch als fehlgeschlagen gilt (§ 440 Satz 2 BGB). Der Käufer müsste also befürchten, dass sich weitere behördliche Verfahren mit ungewisser Dauer anschließen können.
52bb)
53Zum Rücktrittszeitpunkt war auch offen, ob die Nachbesserung Auswirkungen auf Verbrauch und Fahrleistung haben wird. Dazu heißt es auch in dem vorgenannten Schreiben der Audi AG lediglich:
54„Es ist unser Ziel, dass die Maßnahmen keinen nachhaltigen Einfluss auf Verbrauch und Fahrleistung haben werden.“
55cc)
56Unter Berücksichtigung der öffentlichen Diskussion war auch unklar, ob sich der Marktwert der betroffenen Fahrzeuge nachteilig entwickelt. Gerade der Wert eines Kraftwagens kann von subjektiven Vorstellungen beeinflusst sein (vgl. BGH, Urteil vom 04.03.1976 - VI ZR 14/75: „Mittelbar aber können auch ästhetische Urteile und selbst irrationale Vorurteile schadensrechtlich erheblich werden, wenn sie sich wegen ihrer allgemeinen Verbreitung zwangsläufig auf den Verkehrswert der Sache, auf die sie sich beziehen, auswirken. Das ist aber bei der allgemeinen besonderen Wertschätzung eines fabrikneuen unfallfreien Kraftwagens der Fall (…)“).
57Auch im Zusammenhang mit der „130 %-Rechtsprechung“, wonach in Abweichung von dem Wirtschaftlichkeitsgebot des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB Ersatz des Reparaturaufwands bis zu 30 % über dem Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs verlangt werden kann (vgl. etwa BGH, Urteil vom 02.06.2015 – VI ZR 387/14), ist anerkannt, dass der Vertrautheit mit einem Fahrzeug (vgl. BGH, Urteil vom 15.10.1991 – VI ZR 314/90) und dem Wissen um den Zustand des Fahrzeugs, insbesondere auch das Wissen darum, „ob und welche Mängel dabei aufgetreten und auf welche Weise sie behoben worden sind“, „ein wirtschaftlicher Wert zukommt“ (BGH, Urteil vom 15.02.2005 – VI ZR 70/04). Dies begründet die naheliegende Möglichkeit, dass jedenfalls vor der Freigabeerklärung des Kraftfahrtbundesamts ein Wertverlust zu besorgen ist. Zuvor ist gerade nicht bekannt, ob und wie der Mangel behoben werden kann. Dabei handelt es sich auch nicht um eine Bagatelle – die Zulassung ist an die Mangelbeseitigung gebunden. Ist aber jedenfalls während der Nachbesserungszeit ein Wertverlust möglich, ist die klagende Partei in ihrer Dispositionsmöglichkeit erheblich eingeschränkt: Will sie keinen mangelbedingten Verlust erleiden, muss sie mit einem Verkauf des Fahrzeugs warten. Dies gilt erst Recht mit Blick auf den europäischen Markt. So heißt es bezeichnend in dem vorgenannten Schreiben der F1 vom 12.04.2016:
58„F1 steht bereits in Kontakt mit zahlreichen zuständigen ausländischen Behörden mit dem Ziel, dass auch diese sich an den vom Kraftfahrt-Bundesamt bestätigten Maßnahmen orientieren.“
59Ein Kraftwagen ist aber ein zentrales Verkehrsgut. Einschränkungen in der Fungibilität mit unbestimmter Dauer sind nicht hinnehmbar.
60dd)
61Die naheliegende Möglichkeit eines mangelbedingten Wertverlustes jedenfalls während der Nachbesserungszeit führt im Übrigen auch dazu, dass die klagende Partei das Risiko seiner unfallbedingten Verwirklichung trägt: Erleidet das Fahrzeug etwa einen technischen Totalschaden und kann der Geschädigte nur Ersatz des Widerbeschaffungswerts verlangen, ist der (mangelbedingt ggf. geminderte) Wert zum Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses maßgeblich.
62ee)
63Das vorgenannte Schreiben der F1 vom 12.04.2016 begründet im Übrigen auch den Verdacht, dass ein Betrieb des streitgegenständlichen Fahrzeugs im Ausland mit rechtlichen Schwierigkeiten verbunden ist.
64ff)
65Es besteht aber auch der Verdacht, dass das Fahrzeug innerhalb von Deutschland nicht rechtlich gesichert betrieben werden kann bzw. kein Haftpflichtversicherungsschutz besteht. Entsprechende rechtliche Erwägungen sind jedenfalls nicht unvertretbar. So heißt es etwa in dem Urteil des LG München II vom 15.11.2016 – 12 O 1482/16:
66„Zu berücksichtigen ist auch, dass die Betriebserlaubnis für den PKW kraft Gesetzes gemäß § 19 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 StVZO erloschen ist. Dass die Behörden an diesen Umstand momentan für Hunderttausende Kraftfahrzeugführer keine Folgen knüpfen, ist für sich genommen für § 19 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 StVZO unerheblich, da die Rechtsfolge kraft Gesetzes eintritt – unabhängig von behördlichen Maßnahmen.“
67Dieses rechtliche Risiko kann nicht dem Käufer aufgebürdet werden, zumal ausländische Behörden von der hiesigen Verwaltungspraxis abweichen können.
68d)
69Eine Neulieferung wurde nicht angeboten. Vielmehr zeigt das Schreiben der Auto AG vom Februar 2016, dass als einzige Maßnahmen eine Nachbesserung angeboten wird. Insoweit ist es unerheblich, ob eine Neulieferung hier möglich gewesen wäre.
702)
71Der Rücktritt ist auch nicht gemäß § 323 Abs.5 S.2 BGB ausgeschlossen. Danach kann der Gläubiger vom Vertrag nicht zurücktreten, wenn der Schuldner die Leistung nicht vertragsgemäß bewirkt hat und die Pflichtverletzung unerheblich ist.
72Die Beurteilung der Frage erfordert eine umfassende Interessenabwägung auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalls (vgl. BGH, Urteil vom 28. Mai 2014 – VIII ZR 94/13 –, juris, Rn. 16; BGH, Urteil vom 6. Februar 2013 - VIII ZR 374/11, zit. n. juris, Rn. 16). Für die Frage der Erheblichkeit der Pflichtverletzung im Sinne des § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB ist nach höchstrichterlicher Rechtsprechung bei behebbaren Mängeln grundsätzlich auf die Kosten der Mängelbeseitigung im Zeitpunkt der Rücktrittserklärung abzustellen. Ist im Zeitpunkt der Rücktrittserklärung der Mangel nicht oder nur mit hohen Kosten behebbar oder die Mangelursache ungeklärt, kommt es nicht auf die Kosten der Mangelbeseitigung, sondern entscheidend auf das Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigung an (vgl. BGH, Urteil vom 29. Juni 2011 -VIII ZR 202/10–, zit. n. juris, Rn. 21; BGH, Urteil vom 6. Februar 2013 - VIII ZR 374/11 - BGH, Urteil vom 26.10.2016 – VIII ZR 240/15; BGH, Urteil vom 15. Juni 2011 - VIII ZR 139/09).
73Jedenfalls im Zeitpunkt der Rücktrittserklärung war der Mangel (noch) nicht behebbar. Im Januar 2016 standen -wenn auch nur mangels Freigabe durch das Kraftfahrtbundesamt - noch keine Servicemaßnahmen zur technischen Überarbeitung des Fahrzeugs zur Verfügung.
74Die installierte Software stellt auch eine erhebliche Pflichtverletzung dar. Es kann dahinstehen, zu welchen rechtlichen Konsequenzen der Einbau der Software im Hinblick auf die EG-Typengenehmigung und die Betriebserlaubnis im Einzelnen geführt hat oder noch führen wird. Allein der Umstand, dass das Kraftfahrtbundesamt die zunächst vorbehaltslos gewährte Typengenehmigung aufgrund der eingebauten Software an Nebenbestimmungen im Sinne des § 36 VwVfG geknüpft hat, begründet die Erheblichkeit der Pflichtverletzung. Denn dies führte mittelbar zu der konkreten Gefahr, dass die Betriebserlaubnis i.S.d. § 19 StVZO entzogen werden könnte mit der Folge, dass das Fahrzeug seine Funktion als Fortbewegungsmittel im Straßenverkehr gänzlich verliert. Dieses durch den Einbau der Software begründete, die Kernfunktion des Kaufgegenstandes betreffende Risiko, muss der Käufer nicht nach § 323 Abs. 5 S.2 BGB hinnehmen, ohne sich vom Vertrag lösen zu können.
75Der Kläger muss sich jedoch 2.604,06 EUR als Nutzung anrechnen lassen. Nach tatrichterlicher Schätzung ist bei einem Dieselfahrzeug von einer Gesamtlaufleistung von 250.000 km auszugehen. Im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung betrug die Kilometerleistung des streitgegenständlichen Fahrzeugs 15.000 km.
76II.
77Der Feststellungsantrag ist ebenfalls zulässig, insbesondere folgt das Feststellungsinteresse aus §§ 756, 765 Nr. 1 ZPO.
78Der Feststellungsantrag ist begründet. Die Beklagte befindet sich in Annahmeverzug, da sie die Rückabwicklung und damit auch die Annahme des streitgegenständlichen Fahrzeugs abgelehnt hat. Der Kläger ist durch das Schreiben vom 05.04.2016 vom Vertrag zurück getreten. Insoweit wird auf das unter I. Gesagte Bezug genommen.
79III.
80Der Klageantrag zu 3) unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Freistellung von den durch die Beauftragung des Prozessbevollmächtigten entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten.
81Ein Anspruch hierauf gem. §§ 280 Abs. 1, Abs. 2, 286 BGB scheitert daran, dass die Beklagte sich mit der Neulieferung nicht in Verzug befand.
82Ansprüche gem. §§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 281 BGB bzw. § 280 Abs. 1 BGB, ggf. in Verbindung mit §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB wegen der ursprünglichen sachmangelbehafteten Lieferung bzw. einer etwaigen falschen Beratung greifen mangels Verschuldens nicht. Die Vermutung des § 280 Abs. 1 S. 2 BGB ist widerlegt, es ist nicht ersichtlich, dass die Beklagte den Mangel kannte. Sie muss sich auch etwaige Kenntnisse der F2 nicht zurechnen lassen. Die Zurechnung fremden Wissens ist gemäß § 278 S.1 BGB dann gerechtfertigt, wenn sich der Schuldner bei der Erfüllung einer ihm obliegenden Verbindlichkeit der Hilfe eines Dritten bedient. Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Der Verkäufer schuldet im Rahmen eines Kaufvertrages nicht die Herstellung, sondern die Lieferung einer mangelfreien Sache, § 433 Abs.1 S.2 BGB. Die F2 wird daher im Rahmen der Herstellung der Fahrzeuge nicht im Pflichtenkreis der Beklagten tätig.
83IV.
84Der Zinsanspruch in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz besteht gem. §§ 288 Abs. 1, Abs. 2, 286 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB. Die Beklagte befand sich mit Beginn des 13.04.2016 in Verzug.
85V.
86Die Kostenentscheidung hat ihre Rechtsgrundlage in § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Der Kläger unterliegt lediglich zu ungefähr 3,1%. Ein Gebührensprung wird durch die Mehrforderung nicht ausgelöst.
87Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 S. 1 und 2 ZPO.