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Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 810,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 26.01.2022 zu zahlen.
Die Beklagte wird weiter verurteilt, den Kläger von den außergerichtlichen
Kosten der Rechtsverfolgung in Höhe von 80,44 € freizustellen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Der Streitwert wird auf 810,00 € festgesetzt.
Tatbestand
2Die Parteien streiten um restlichen Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall.
3Am 21.12.2021 kam es in C zu einem Verkehrsunfall, bei dem das Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen XX - 000 durch ein bei der Beklagten haftpflichtversichertes Fahrzeug beschädigt worden ist, wobei die Haftung dem Grunde nach zwischen den Parteien unstreitig ist. Nachdem sich der Kläger bei der Beklagten am Unfalltag gemeldet hatte, wandte sich die Beklagte am selben Tag mit einem Schreiben an den Kläger, welches folgenden Hinweis enthält: „Sollte ein Totalschaden vorliegen, beachten Sie bitte: Verkaufen Sie Ihr beschädigtes Fahrzeug bitte nicht sofort zu dem im Gutachten angegebenen Restwert. Wir können Ihnen sicher ein besseres Angebot vermitteln. Bitte warten Sie unsere Nachricht ab, damit Ihnen keine Nachteile entstehen (vgl. BGH vom 27.9.2016, Az. VI ZR
4673/15).“.Der Kläger ließ sein Fahrzeug begutachten. Der Privatsachverständige des TÜV Nord ermittelte am 22.12.2021 einen Restwert von 9.290,00 €. Am 04.01.2022 verkaufte der Kläger das verunfallte Fahrzeug zum Restwert von 9.290,00 €. Mit Schreiben vom 07.01.2022 rechnete die Beklagte den Schadenersatzanspruch des Klägers ab und setzte dabei einen Restwert von 10.100,00 € anstatt 9.290,00 € an. Dazu heißt es in dem Schreiben: „Für das Fahrzeug Ihres Mandanten konnten wir einen höheren Restwert als den im Gutachten genannten ermitteln.“. Mit Schreiben vom 12.01.2022 wurde die Beklagte erfolglos aufgefordert, den Differenzbetrag bis zum 25.01.2022 zu zahlen. Dies lehnte die Beklagte mit Schreiben vom 29.01.2022 ab und führte aus, ein Geschädigter, der sein beschädigtes Fahrzeug nicht reparieren lasse, sondern ein Ersatzfahrzeug anschaffen möchte, könne seiner Schadenabrechnung im Allgemeinen zwar den Restwert zugrunde legen, den ein
5Sachverständiger als Wert auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelt habe.
6Etwas anderes gelte jedoch, wenn er ohne besondere Anstrengungen für sein Unfallfahrzeug einen Erlös erzielen könne, der den vom Sachverständigen geschätzten Wert übersteige.
7Der Kläger behauptet, er sei Eigentümer des Fahrzeugs. Er ist der Ansicht, er sei nicht gehalten gewesen, bei der Verwertung des verunfallten Fahrzeugs abzuwarten. Nach der Rechtsprechung des BGH müsse der Geschädigte ein Schadengutachten nicht der gegnerischen Versicherung zur Prüfung vorlegen, bevor er das verunfallte Fahrzeug zu dem von seinem unabhängigen Gutachter ermittelten Restwert verkaufe.
8Er beantragt,
9wie erkannt.
10Die Beklagte beantragt,
11die Klage abzuweisen.
12Sie ist der Ansicht, es bleibe der Schädigerseite unbenommen, frühzeitig Kontakt mit dem Geschädigten aufzunehmen und auf eine günstigere Verwertungsmöglichkeit hinzuweisen. Dies habe sie, die Beklagte, vorliegend getan. Durch den Verkauf des Fahrzeugs am 04.01.2022 habe der Kläger gegen seine Schadensminderungspflicht verstoßen, weshalb ihm die Differenz zwischen dem von ihm eingenommenen Kaufpreis und dem von ihr, der Beklagten, angesetzten höheren Restwertangebot nicht zustehe.
13Entscheidungsgründe
14Die zulässige Klage ist begründet.
15Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von restlichen 810,00 € aus §§ 7 I StVG, 115 VVG, 823 I, 249ff BGB.
16Der Kläger ist aktivlegitimiert und Eigentümer des beschädigten Fahrzeugs. Zum einen hat er auf das Bestreiten der Beklagten in der Klageerwiderung mit Schriftsatz vom 17.05.2022 sowohl den Kaufvertrag, der auf seinen Namen lautet, als auch einen Kontoauszug, aus dem sich die Zahlung des Kaufpreises von seinem Konto ergibt, vorgelegt, worauf kein weiteres substantiiertes Bestreiten mehr erfolgt ist. Zum anderen erfolgte das Bestreiten der Beklagten zuvor einerseits ins Blaue hinein („nicht auszuschließen, dass noch geleast oder finanziert“) und andererseits treuwidrig, da die Beklagte zu diesem Zeitpunkt bereits über 90 % des Schadens reguliert hatte, ohne die Aktivlegitimation des Klägers in Zweifel zu ziehen.
17Unstreitig ist bei Betrieb des Beklagtenfahrzeugs das klägerische Fahrzeug schuldhaft von der Versicherungsnehmerin der Beklagten beschädigt worden. Die Haftung zu 100 % ist dem Grunde nach zwischen den Parteien unstreitig.
18Der Kläger kann auch restliche 810,00 € hinsichtlich des Restwerts verlangen.
19Der Geschädigte, der den Schaden nicht im Wege der Reparatur, sondern durch Beschaffung eines Ersatzfahrzeugs beheben will, kann Ersatz des
20Wiederbeschaffungswertes abzüglich des Restwertes verlangen. Dabei hat er bei der Schadensbehebung gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB im Rahmen des ihm Zumutbaren und unter Berücksichtigung seiner individuellen Lage den wirtschaftlichsten Weg zu wählen (BGH, Urteil v. 27.9.2016 – VI ZR 673/15, BeckRS 2016, 20147). Das Wirtschaftlichkeitspostulat gilt daher auch für die Frage, in welcher Höhe der Restwert des Unfallfahrzeugs bei der Schadensabrechnung berücksichtigt werden muss. Denn auch bei der Verwertung des beschädigten Fahrzeugs muss sich der Geschädigte im Rahmen der wirtschaftlichen Vernunft halten (BGH a. a. O.). Dabei ist ausreichend, wenn der Geschädigte die Veräußerung seines beschädigten Kraftfahrzeugs zu dem Preis vornimmt, den ein von ihm eingeschalteter Sachverständiger in einem Gutachten, das eine korrekte Wertermittlung erkennen lässt, als Wert auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelt hat (BGH a. a. O.). Der Geschädigte ist weder verpflichtet, über die Einholung des Sachverständigengutachtens hinaus noch eigene Marktforschung zu betreiben, noch ist er gehalten abzuwarten, um dem Schädiger oder dessen Haftpflichtversicherer vor der Veräußerung des beschädigten Fahrzeugs Gelegenheit zu geben, zum eingeholten Gutachten Stellung zu nehmen oder bessere Restwertangebote vorzulegen (BGH a. a. O.).
21So liegt der Fall hier. Nachdem der Kläger das Privatgutachten vorliegen hatte, war er berechtigt, das Fahrzeug zu dem in dem Gutachten ermittelten Restwert zu veräußern.
22Der Hinweis der Beklagten in ihrem Schreiben vom 21.12.2021 („Verkaufen Sie Ihr beschädigtes Fahrzeug bitte nicht sofort zu dem im Gutachten angegebenen Restwert. Wir können Ihnen sicher ein besseres Angebot vermitteln. Bitte warten Sie unsere Nachricht ab, damit Ihnen keine Nachteile entstehen.“) ändert hieran nichts. Zwar ist dem Schädiger unbenommen, im Rahmen einer möglichst frühzeitigen
23Kontaktaufnahme etwa durch wirtschaftliche Anreize darauf hinzuwirken, dass der Geschädigte die Verwertung des beschädigten Fahrzeugs freiwillig in die Hände des Haftpflichtversicherers legt, oder zu versuchen, dem Geschädigten auch ohne dessen Mitwirkung rechtzeitig eine günstigere Verwertungsmöglichkeit zu unterbreiten, die dieser ohne weiteres wahrnehmen kann und die ihm zumutbar ist (BGH a. a. O. Rn. 12). Dies hat die Beklagte vorliegend indes nicht getan. Durch den bloßen Hinweis, man könne dem Geschädigten „sicher ein besseres Angebot vermitteln“ und er solle „ihre Nachricht abwarten“, war der Kläger gerade nicht gehalten, abzuwarten, bis ihm die Beklagte ein „besseres Angebot“ macht. Denn es besteht kein Anlass, dem Geschädigten unter dem Gesichtspunkt des Wirtschaftlichkeitsgebots oder der Schadensminderungspflicht aufzuerlegen, dem Schädiger oder dessen Haftpflichtversicherer vor dem Verkauf des beschädigten Fahrzeugs die Möglichkeit einzuräumen, ihm höhere Restwertangebote zu übermitteln. Zwar mag es sein, dass der Schädiger bzw. der hinter diesem stehende Haftpflichtversicherer ein besonderes Interesse an möglichst hohen Restwertangeboten hat. Das ändert aber nichts daran, dass der Gesetzgeber dem Geschädigten die Möglichkeit eingeräumt hat, die Behebung des Schadens gerade unabhängig vom Schädiger in die eigenen Hände zu nehmen (BGH a. a. O. Rn. 12). Diese gesetzgeberische Grundentscheidung darf nicht durch den bloßen Hinweis in dem Schreiben der Beklagten unterlaufen werden. Andernfalls wären alle geschädigten Gegner der Beklagten stets verpflichtet, vor der von ihnen beabsichtigten Schadensbehebung Alternativvorschläge des Schädigers abzuwarten und diesen dann gegebenenfalls zu folgen. Damit würde die Beklagte die gesetzgeberische Wertung sowie die höchstrichterliche Rechtsprechung des BGH mit einem Satz aushebeln. Dabei war auch zu berücksichtigen, dass sich aus dem Hinweis der Beklagten weder ergibt, inwieweit das Restwertangebot von dem des Klägers abweichen wird, noch, wie lange der Kläger abwarten soll. Damit wäre ein Abwarten für den Kläger unzumutbar gewesen. Das bloße Ankündigen einen
24„besseren“ Angebots zu einem unbestimmten Zeitpunkt reicht vor diesem Hintergrund nicht aus, da es insoweit auch an einem konkreten wirtschaftlichen Anreiz für den Kläger fehlt.
25Der Zinsanspruch folgt aus §§ 280, 286, 288 BGB.
26Der Kläger hat ferner einen Anspruch auf Freistellung von seinen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten aus § 257 BGB.
27Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 I, 708 Nr. 11, 711 ZPO.
28Rechtsbehelfsbelehrung:
29A) Gegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Berufung für jeden zulässig, der durch dieses Urteil in seinen Rechten benachteiligt ist,
301. wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600,00 EUR übersteigt oder
312. wenn die Berufung in dem Urteil durch das Amtsgericht zugelassen worden ist.
32Die Berufung muss innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung dieses Urteils bei dem Landgericht G, eingegangen sein. Die Berufungsschrift muss die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird, sowie die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde, enthalten.
33Die Berufung ist, sofern nicht bereits in der Berufungsschrift erfolgt, binnen zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils gegenüber dem Landgericht G zu begründen.
34Die Parteien müssen sich vor dem Landgericht G durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen, insbesondere müssen die Berufungs- und die
35Berufungsbegründungsschrift von einem solchen unterzeichnet sein.
36Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.
37B) Gegen die Streitwertfestsetzung ist die Beschwerde an das Amtsgericht C statthaft, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,00 EUR übersteigt oder das Amtsgericht die Beschwerde zugelassen hat. Die Beschwerde ist spätestens innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache
38Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, bei dem Amtsgericht C, schriftlich in deutscher Sprache oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Die Beschwerde kann auch zur Niederschrift der Geschäftsstelle eines jeden Amtsgerichtes abgegeben werden.
39Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann die Beschwerde noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
40Hinweis zum elektronischen Rechtsverkehr:
41Die Einlegung ist auch durch Übertragung eines elektronischen Dokuments an die elektronische Poststelle des Gerichts möglich. Das elektronische Dokument muss für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet und mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg gemäß § 130a ZPO nach näherer Maßgabe der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (BGBl. 2017 I, S. 3803) eingereicht werden. Auf die Pflicht zur elektronischen Einreichung durch professionelle Einreicher/innen ab dem 01.01.2022 durch das Gesetz zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten vom 10. Oktober 2013, das Gesetz zur Einführung der elektronischen Akte in der Justiz und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs vom 5. Juli 2017 und das Gesetz zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 05.10.2021 wird hingewiesen.
42Weitere Informationen erhalten Sie auf der Internetseite www.justiz.de.